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OLG München, Hinweisbeschluss v. 11.04.2023 – 34 U 7675/22 e
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Audi A3 Sportback 1.6 TDI)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG Braunschweig BeckRS 2021, 51097; OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es kann nicht angenommen werden, dass, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung in einem Motor eines Fahrzeugherstellers vorliegt, dies im Regelfall die gesamte Motorenreihe oder gar alle Fahrzeuge dieses Herstellers bzw. dieses Konzerns betrifft. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es liegt auf der Hand, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus auf dem Prüfstand. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auch bei einer drittschützenden Wirkung der Regelungen in Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG und/oder Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG und einer sich aus § 823 Abs. 2 BGB ergebenden Haftung der Herstellerin, wäre ein danach notwendiger mindestens fahrlässiger Verstoß der Herstellerin hinsichtlich des verbauten Thermofensters nicht feststellbar. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Prüfstandserkennungssoftware mit Umschaltlogik, Thermofenster, OBD, KBA, Kenntnis, Typgenehmigung
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 23.12.2022 – 61 O 1422/22 Die
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9206

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 23.12.2022, Az. 61 O 1422/22 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Binnen dieser Frist kann auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens Stellung genommen werden, den der Senat beabsichtigt auf bis zu 19.000,- € festzusetzen.
4. Dem Kläger wird anheimgestellt, die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger macht Schadensersatz gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend.
2
Am 25.5.2017 erwarb der Kläger den streitgegenständlichen Audi A3 Sportback 1.6 TDI, 81 kW, als Gebrauchtwagen bei einem Dritten zu einem Preis von 22.837,00 €. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Baureihe EA 288 (Abgasnorm EU 6) ausgestattet, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt wurde. Das Fahrzeug verfügt zur Abgasreinigung über eine Abgasrückführung und einen NOx-Speicherkatalysator (NSK). Ein Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamts (KBA) existiert in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug bzw. den darin verbauten Motor nicht.
3
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, das Fahrzeug sei von dem sog. „Abgasskandal“ betroffen. Es sei mit mehreren illegalen Abschalteinrichtungen versehen, um im Falle eines Abgastests die zulässigen Abgaswerte zu erreichen. Auch das in der Baureihe EA 288 vorhandene sog. Thermofenster sei als unzulässige Abschalteinrichtung einzuordnen. Er hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 18.241,66 € (abzüglich weiterer Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKW zu verurteilen, festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeuges in Verzug befinde, sowie die Klagepartei zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.214,99 € freizustellen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, der Motor enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung. Der Vortrag der Klagepartei sei insoweit unsubstantiiert und ins Blaue hinein. Das KBA habe die EA 288 – Motoren untersucht und festgestellt, dass diese nicht die aus den EA 189 – Motoren bekannte Umschaltlogik enthielten.
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Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.12.2022 abgewiesen. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer deliktischen Haftung der Beklagten seien von der Klagepartei nicht schlüssig vorgetragen. Sowohl der Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, als auch der Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug enthalte ein unzulässiges Thermofenster, begründeten keine Ansprüche gegen die Beklagte, weil er als Vortrag „ins Blaue hinein“ anzusehen sei bzw. weil die Klagepartei den Vorsatz der Beklagten nicht dargelegt habe. Auch andere deliktische Anspruchsgrundlagen kämen vor dem Hintergrund der vorgenannten Ausführungen nicht in Betracht.
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Mit seiner am 30.12.2022 beim Oberlandesgericht eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren im Wesentlichen weiter. Die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen würden eine andere Entscheidung rechtfertigen. Die Ausführungen des Landgerichts zu den Substantiierungsanforderungen würden fehlgehen. Der Kläger behauptet, dass das Fahrzeug des Klägers manipuliert worden sei. So sei eine Software verbaut, die anhand von Fahrkurven, Fahrverhalten und Prüfzyklen erkenne, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfstand befinde. In diesem Fall werde der NOx-Speicherkatalysator (NSK) vor Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) entleert, die Beladungssteurung werde deaktiviert und der NSK regeniere lediglich streckengesteuert nach festen Intervallen. Zudem werde eine zusätzliche Heizmaßnahme aktiviert, welche die Regeneration im NEFZ verbessere.
7
Die Beklagte hält die Berufung für unbegründet.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien und das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
II.
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Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da er einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung i.S.v. § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Nach dieser Maßgabe hat das Landgericht die Klage jedenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Es fehlt bereits an einem hinreichenden Klagevorbringen. Daher konnte das Landgericht auch von Beweiserhebungen absehen, ohne da mit gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör zu verstoßen. Die Rügen der Berufung greifen nicht.
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1. Eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB scheidet aus.
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Zwar kann in dem Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S. der VO (EG) Nr. 715/2007 ausgestatteten Motors eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen, die einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB gegen den Hersteller zu begründen vermag. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen aber nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH NJW 2020, 1962/1963). Vorliegend fehlt es indes schon an einem insoweit schlüssigen Klagevortrag. Ein solcher setzt voraus, dass die Partei Tatsachen vorbringt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen (BGH NZV 2021, 525/527). Das ist hier nicht der Fall.
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a) Kein tragfähiges Indiz für den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung liefert der Hinweis auf Manipulationen am Motortyp EA189. Es ist nicht statthaft, alle Fahrzeuge der Beklagten dahingehend gleichsam über einen Kamm zu scheren, dass, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung in einem Motor eines Fahrzeugherstellers vorliege, dies im Regelfall die gesamte Motorenreihe oder gar alle Fahrzeuge dieses Herstellers bzw. dieses Konzerns betreffe (OLG Hamm BeckRS 2021, 31189 Rn. 78; OLG Koblenz BeckRS 2019, 18418 Rn. 22). Ein solcher Erfahrungssatz kann nicht angenommen werden, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie bzw. einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale einem Generalverdacht unterworfen würden (OLG Brandenburg BeckRS 2020, 41726 Rn. 29). Wenn Gerichte zu einer Haftung wegen Verwendung unzulässige Abschalteinrichtungen bei Motoren der Reihe EA288 gekommen sind, geschah dies stets aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls. Rückschlüsse auf den vorliegenden Fall können daraus nicht gezogen werden. Nur ergänzend sei daher angemerkt, dass zudem inzwischen das Oberlandesgericht Naumburg (BeckRS 2021, 48409 Rn. 11) ausdrücklich erklärt hat, an der Rechtsauffassung nicht mehr festzuhalten, die seinem Urteil vom 9.4.2021 (VuR 2021, 279), auf das sich der Kläger u.a. beruft, zugrundelag.
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b) Greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen mit sittenwidrigem Gepräge im streitgegenständlichen Fahrzeug, die eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten auslösen oder eine Beweiserhebung veranlassen würden, trägt der Kläger nicht vor. Zureichende Anhaltspunkte für den Verbau einer Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik hat die Klagepartei nicht aufgezeigt. Zwar ist ein Rückruf des KBA wegen einer Prüfstanderkennungssoftware bzw. einer sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtung nicht zwingend zum Aufzeigen solcher Anhaltspunkte erforderlich (BGH, Beschluss vom 28.01.2020; VIII ZR 57/19). Fehlt es aber an einem Rückruf müssen diese in anderer Weise dargelegt werden. Dies gilt umso mehr, da umfassende Prüfungen des streitgegenständlichen Motors EA 288 durch das KBA stattgefunden haben, ohne dass sich die Betroffenheit eines Fahrzeugs, welches dieses Aggregat aufweist, herausgestellt hätte. Wie von der Beklagten anhand amtlicher Auskünfte des KBA gegenüber verschiedenen Gerichten belegt, wurden durch dieses weder Nebenbestimmungen angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen.
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(1) Unergiebig im Hinblick auf eine angebliche unzulässige Abschalteinrichtung ist der Verweis auf erhöhte Abgaswerte außerhalb des Prüfstandbetriebs. Denn aus diesen folgt keineswegs, dass eine solche Einrichtung vorhanden sein muss (BGH BeckRS 2021, 37995 Rn. 30; OLG Koblenz BeckRS 2022, 30900 Rn. 27; OLG München BeckRS 2022, 29312 Rn. 18). Vielmehr liegt auf der Hand, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus auf dem Prüfstand. Dergleichen ist auch bei Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch allgemein bekannt. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 im Jahr 2013 die Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte und erst seit Kurzem für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb nach WLTP-Standard vorschreibt, kommt es auch nicht darauf an, ob das streitgegenständliche Fahrzeug im Normalbetrieb die der Zulassung zugrundeliegenden Werte im NEFZ einhält. Das wird vielmehr umgekehrt bei praktisch jedem Fahrzeug der Fall sein. Die Abschaltvorrichtung in der Software bei Fahrzeugen der Beklagten mit Motor EA189 ist denn auch vom KBA – wie aufgrund der Presseberichterstattung seit September 2015 allgemein bekannt ist – nicht wegen der generellen Abweichung der Emissionswerte im Normalbetrieb als unzulässig beanstandet worden, sondern ausschließlich deshalb, weil sie bei erkannter Abweichung der Fahrt vom NEFZ die Abgasreinigung zugunsten erhöhter NOx-Werte veränderte (OLG Braunschweig BeckRS 2019, 38719). Gerade dies ist vorliegend jedoch nicht substantiiert dargelegt.
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(2) Soweit der Kläger auf die „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ verweist, stellt diese entgegen seiner Ansicht keinen greifbaren Anhaltspunkt für das Vorhandensein einer „Umschaltlogik“ bzw. einer unzulässigen Abschalteinrichtung dar (OLG Nürnberg, Urteil vom 22. September 2021 – 12 U 4034/20, juris Rn. 23; vgl. auch den Hinweis auf die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde: BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, juris). So waren die Applikationsrichtlinien dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten seit Ende 2015 bekannt und mit diesem abgestimmt, ohne dass deswegen ein Rückruf des Fahrzeugs durch das KBA angeordnet worden wäre. Vielmehr geht aus dem von der Beklagten vorgelegten Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 hervor, dass sich Hinweise, nach denen die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen sei, auf Grundlage der Überprüfungen des KBA nicht bestätigt haben (vgl. Anlage B 1, S. 12). Zudem hat das BMVI auf Pressemeldungen am 12.09.2019 nochmals per Twitter reagiert (vgl. Anlage B 2). Es hat hierzu mitgeteilt, dass die Vorwürfe nicht neu seien und das KBA bereits 2016 eigene Messungen, Untersuchungen & Analysen durchgeführt habe. Unzulässige Abschalteinrichtungen seien dabei nicht festgestellt worden und zwar auch nicht in Gestalt einer unzulässigen Zykluserkennung. Dies wird auch durch die vom KBA in zahlreichen Parallelverfahren in den Jahren 2020 und 2021 erteilten Auskünfte zu Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des EA 288 bekräftigt (vgl. Anlagen B 15 und Anlagenkonvolut B 40). Darin verweist das KBA auf die von ihm durchgeführten, sehr umfassenden Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe EA 288, so z.B. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten. Bei keinem der untersuchten Fahrzeuge habe eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt werden können.
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(3) Es kann dahinstehen, ob es sich bei dem Vortrag unter Ziffer III.2. der Berufungsbegründung (Bl. 15 ff. d.A.) zu internen Unterlagen der R. B. GmbH um im Berufungsverfahren neue Angriffsmittel handelt, die deshalb schon gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen wären (vgl. z.B. Seiler in Thomas/Putzo ZPO 43. Aufl. § 530 Rn. 4; MüKoZPO/Rimmelspacher 6. Aufl. § 530 Rn. 27). Hinsichtlich dieser Unterlagen fehlt bereits jeglicher Bezug zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug. Es ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers schon nicht, dass in dem Fahrzeug ein Motorsteuerungsgerät der Firma R. B. GmbH eingebaut worden wäre. Aus den Unterlagen ergibt sich ferner nicht, dass und gegebenenfalls in welchen Fahrzeugen die angeführten „Funktionen mit besonderem Potential für nicht behördenkonforme Applikationen“ verbaut wurden, geschweige denn dass die Funktionen von den entsprechenden Herstellern auch dazu genutzt wurden, um nicht behördenkonforme Applikationen zu konfigurieren.
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(4) Auch in der Gesamtschau vermögen die aufgezeigten Aspekte keine greifbaren Anhaltspunkte für eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung zu liefern. Es kann nicht allein aufgrund des Vortrags allgemein zur Entwicklung von Abschalteinrichtungen von einem verdichteten Sachverhalt zur flächendeckenden Implementierung von unzulässigen Abschalteinrichtungen in allen Dieselfahrzeugen der Beklagten mit der Folge einer sekundären Darlegungslast oder gar einer umgekehrten Darlegungs- und Beweislast ausgegangen werden. In den Fällen, in denen – wie vorliegend – der Motor verschiedentlich überprüft und von dem KBA unter keinem Gesichtspunkt beanstandet worden ist, kommt eine Haftung der Motorenherstellerin nach § 826 BGB nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.05.2022 – VIa ZR 303/21 –, juris).
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c) Zudem liegt bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs unstreitig eine EG-Typgenehmigung vor, welche die Grundlage für die erteilte Übereinstimmungsbescheinigung darstellt und auch nicht ausnahmsweise als unwirksam zu betrachten ist.
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aa) Bei der EG-Typgenehmigung handelt es sich um eine für einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Anwendung der RL 2007/46/EG, der RL 2002/24/EG sowie der RL 2003/37/EG erteilte Bestätigung, dass der zur Prüfung vorgestellte Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit die einschlägigen Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt, vgl. § 2 Nr. 4 FZV. Die EG-Typgenehmigung ist ein Verwaltungsakt gegenüber dem Fahrzeughersteller, dem hierdurch ermöglicht wird, die dem genehmigten Typ entsprechenden einzelnen Fahrzeuge jeweils unter Ausstellung und Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung – vgl. § 22 EG-FGV – in den Verkehr zu bringen. Dieser Verwaltungsakt hat unabhängig von der objektiven Richtigkeit der ihm zugrundeliegenden Annahmen – Tatbestandswirkung. Die Zivilgerichte sind damit daran gehindert, in einem Rechtsstreit zwischen einem Fahrzeugkäufer und dem Hersteller etwas anderes anzunehmen. Insbesondere steht die Tatbestandswirkung der Annahme entgegen, der Hersteller habe dem Käufer gegenüber mit dem Inverkehrbringen des betreffenden Fahrzeugs gegen die guten Sitten verstoßen, weil dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sei (OLG Oldenburg BeckRS 2021, 45193 Rn. 14; OLG Nürnberg BeckRS 2020, 17693 Rn. 16).
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bb) Zwar ist die Berufung auf die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung ausgeschlossen, wenn diese durch eine arglistige Täuschung der zuständigen Behörde erschlichen wurde (OLG Oldenburg BeckRS 2021, 45193 Rn. 15; OLG Nürnberg BeckRS 2020, 17693 Rn. 17). Auch insoweit bedarf es jedoch eines schlüssigen Sachvortrags, an dem es vorliegend allerdings fehlt. Die EA 288-Motoren wurden vom KBA unstreitig insgesamt dreimal überprüft: zunächst im Rahmen der Untersuchungskommission Volkswagen vom Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 vor Freigabe freiwilliger Software-Updates (im Hinblick auf das Nationale Forum Diesel) und nochmals in den Jahren 2019 und 2020. Dabei war das KBA durch die vorher bekannt gewordene, auch nach seiner Ansicht unzulässige Umschaltlogik im Rahmen des Motors EA 189 sensibilisiert. Zudem hatte die Beklagte unstreitig gegenüber dem KBA bereits Ende 2015 die in EA 288-Fahrzeugen hinterlegte Fahrkurvenerkennung offengelegt. Dennoch kam das KBA unstreitig bei jeder der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorliege und die Grenzwerte im NEFZ auch ohne die Fahrkurvenerkennung und die allein streckenabhängige Regeneration eingehalten würden (s. Tweet des BMVI vom 12.09.2019, Anlage B2; vgl. diverse Auskünfte des KBA, etwa vom 15.3.2023 an das OLG Köln, BE 82). Ausgehend hiervon kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, durch die Verwendung der Fahrkurve habe sie arglistig und besonders verwerflich gehandelt. Die Implementierung einer Funktion, die vom KBA selbst nach mehrfachen ausführlichen Untersuchungen als zulässig angesehen wird, vermag den Vorwurf einer arglistigen Erschleichung der Typgenehmigung nicht zu tragen (OLG Schleswig NJOZ 2023, 44). Es liegt fern, dass das KBA bei Vornahme der Untersuchungen schon vor Erteilung der Genehmigung am 16.9.2015 diese verweigert hätte. Selbst wenn aus heutiger Sicht die fragliche Funktion, anders als vom KBA angenommen, als unzulässige Abschalteinrichtung qualifiziert würde, wäre der Beklagten allenfalls fahrlässiges Verhalten, aber keine besondere Verwerflichkeit anzulasten. Ein bloß fahrlässiges Verhalten der Beklagten genügt den Anforderungen des § 826 BGB aber nicht (BGH NJW 2021, 3721/3724).
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cc) Im Übrigen ist es gerade Aufgabe des KBA, die Frage der Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben verbindlich zu klären; die dafür erforderlichen Ermittlungen sind gemäß § 24 VwVfG von Amts wegen durchzuführen (BGH BeckRS 2021, 33038 Rn. 20; OLG München BeckRS 2022, 29312 Rn. 19). Sollten dem KBA dabei Fehler unterlaufen, ändert dies nichts an der Wirksamkeit der erteilten EG-Typgenehmigung, die sich dann gegebenenfalls eben auch auf Abschalteinrichtungen erstreckt. Denn die Genehmigung betrifft einen konkret vorhandenen Fahrzeug-Prototyp mit allen seinen bereits feststehenden Eigenschaften. Daran ändert sich nichts, wenn die Beschreibung des Prototyps entgegen gesetzlichen Vorschriften unvollständig oder falsch ist. Das Genehmigungsverfahren dient gerade dazu, die Richtigkeit der Beschreibung zu prüfen (OLG Nürnberg BeckRS 2020, 17693 Rn. 16).
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h) Die Ausführungen des Landgerichts zu der erstinstanzlich behaupteten Manipulation des OBD-Systems werden in der Berufungsbegründung nicht angegriffen. Der Senat merkt deshalb lediglich ergänzend an, dass es insoweit schon allein deswegen an einem beachtlichen Klagevortrag fehlt, weil dieses System der Prüfung der Funktion emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme dient, selbst aber nicht den Schadstoffausstoß fehlfunktionsunabhängig überwacht (OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 10880 Rn. 45). Es ist auch nicht Aufgabe des OBD-Systems, zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden (BGH BeckRS 2021, 44235 Rn. 91).
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2. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitert bereits daran, dass es an der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden im Rahmen des vorliegenden Kaufvertrags zwischen dem Kläger und einem Dritten fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 VI ZR 5/20 – Rn. 18 ff, juris).
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3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus §§ 826, 831 BGB, da es, wie bereits ausgeführt, schon an der Darlegung einer zumindest bedingt vorsätzlichen Schädigungshandlung der für die Beklagte tätigen Personen fehlt.
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4. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG und Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG, kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Der Europäische Gerichtshof geht zwar gemäß seiner Entscheidung vom 21.3.2023 in der Rechtssache C-100/21 davon aus, dass die genannten EU-Vorschriften auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.
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a) Bezüglich einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstandserkennungssoftware mit Umschaltlogik fehlt es allerdings – wie bereits ausgeführt – bereits an einem hinreichenden Sachvortrag zu dem Verbau einer solchen in dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug. Es fehlt auch ein hinreichender Sachvortrag des Klägers zu dem Einbau eines – unzulässigen Thermofensters.
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b) Letztendlich kann dies aber dahingestellt bleiben. Auch bei einer drittschützenden Wirkung der genannten (Umsetzungs-) Normen und einer sich aus § 823 Abs. 2 BGB gestützten Haftung der Beklagten, wäre ein danach notwendiger mindestens fahrlässiger Verstoß der Beklagten hinsichtlich des verbauten Thermofensters nicht feststellbar. Das KBA hat vorliegend mehrfach den streitgegenständlichen Motortyp untersucht und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt. Gerade vor diesem Hintergrund ist ein fahrlässiges Handeln der Verantwortlichen der Beklagten in Bezug auf die Einhaltung der bezeichneten europarechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der Beantragung und Erlangung der Typgenehmigung nicht ersichtlich. Die Beklagte treffen keine strengeren Sorgfaltsanforderungen als die für die Beurteilung der Zulässigkeit berufene Fachbehörde. Ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten scheidet damit aus. Eine viele Jahre später erfolgte gerichtliche Auslegung der einschlägigen Vorschrift, die den Einsatz und die Grenzen eines Thermofensters möglicherweise enger beschreibt (vgl. Urteil des EuGH vom 17.12.2020 Rechtssache C-693/18 – NJW 2021, 1216; Urteil des EuGH vom 14.07.2022 – Rechtssache C-217/20 u.a.) vermag an einer zum damaligen Zeitpunkt vertretbaren Einschätzung der Beklagten nichts zu ändern. Es ist angesichts der Bewertung durch das KBA nicht ersichtlich, dass die Beklagte weitergehende Pflichten i.S. von § 276 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt haben sollte (vgl. OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2022, 32254 Rn. 86; KG BeckRS 2022, 24950 Rn. 20).
29
c) Darüber hinaus ist die Frage des Drittschutzes getrennt von der Frage zu beurteilen, ob im Fall eines gegebenen Drittschutzes und des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung dem Käufer (auch) ein gegen den Hersteller gerichteter Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags zustehen sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2022, a.a.O., Rn. 4). Dies deckt sich mit der in den Schlussanträgen des Generalanwalts R. formulierten Rechtsauffassung, wonach in diesem Fall im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu entscheiden sei, wie ein gegebenenfalls entstandener Schaden zu ersetzen sei und die Regeln hierfür zu bestimmen (Rn. 61). Allein entscheidend sei, dass der Ersatz angemessen sei. Daraus folgt gerade nicht, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Rückabwicklung des mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags auch im Fall des zu bejahenden Drittschutzes der die EG-Typengenehmigung und Übereinstimmungsbescheinigung betreffenden Normen und eines Verschuldens der Beklagten zusteht.
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Der Gerichtshof sieht einen möglichen Schaden darin, dass die nach Erteilung der EG-Typgenehmigung für das Fahrzeug entdeckte Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung, mit der das Fahrzeug ausgerüstet ist, die Gültigkeit der Genehmigung und daran anschließend die Übereinstimmungsbescheinigung in Frage stellen. Dies könne eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit hervorrufen, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen und damit beim Käufer zu einem Schaden führen (EuGH vom 21.3.2023, C-100/21, Rn. 84). Aus den von der Beklagten vorgelegten Schreiben des KBA (Anlagenkonvolut B 40 und Anlage BE 82) ergibt sich allerdings, dass dieses keine Veranlassung sieht, Maßnahmen zu ergreifen. Weder wurde seither die Typengenehmigung geändert noch ein Rückruf angeordnet. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann aber mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter Prüfung keine unzulässige Abschalteinrichtung festzustellen vermag. Insofern ist ein Schaden des Klägers nicht ersichtlich, eine Schadensersatzpflicht scheidet daher aus.
31
Das deutsche Recht stellt ohnehin auf anderem Weg sicher, dass notwendige technische Anpassungen des Fahrzeugs an die gebotenen (europa-)rechtlichen Standards auch über verwaltungsrechtliche Maßnahmen (z.B. in Form von verbindlich angeordneten Nachrüstungen und Änderungen) nachträglich erfolgen können, die auf Kosten der Hersteller durchgeführt werden. Damit ist gewährleistet, dass der jeweils aktuelle Eigentümer des Fahrzeugs wegen dieser Maßnahmen keine spürbare wirtschaftliche Belastung erfährt, anderseits den Zielen und Vorgaben des europäischen Rechts insgesamt genügt ist.
32
5. Stehen dem Kläger demnach mangels Anspruchsgrundlagen weder der von ihm geltend gemachte Zahlungsanspruch noch Nebenforderungen zu, so befindet sich die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug.
III.
33
Den Streitwert für das Berufungsverfahren beabsichtigt der Senat gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO auf bis zu 19.000,- € festzusetzen.
IV.
34
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat und die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. In diesem Fall ermäßigen sich die Gerichtsgebühren gemäß Nr. 1222 KV-GKG von 4,0 auf 2,0.