Titel:
Zur Auslegung des § 55d GZVJu
Normenketten:
GZVJu § 55d
StGB § 52, § 299a
Leitsätze:
1. Zur Auslegung des § 55d GZVJu. (Rn. 5 – 17)
2. Als Angehöriger eines Heilberufs i.S.d. § 299a StGB handelt auch, wer, ohne die geforderte Qualifikation zu besitzen, als solcher auftritt. (Rn. 9 und 11)
3. Reicht eine Podologin mehrere Verordnungen in engem zeitlichem Zusammenhang betrügerisch zur Abrechnung ein, liegt regelmäßig nur eine Tat (i.S.d. natürlichen Handlungseinheit) vor. (Rn. 28)
1. Als Angehöriger eines Heilberufs iSd § 299a StGB handelt auch, wer, ohne die geforderte Qualifikation zu besitzen, als solcher auftritt. (Rn. 9 und 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Reicht eine Podologin mehrere Verordnungen in engem zeitlichem Zusammenhang betrügerisch zur Abrechnung ein, liegt regelmäßig nur eine Tat vor. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
gerichtliche Zuständigkeit, Abrechnungsbetrug, Angehörige eines Heilberufs, Podologin, Ausbildung, natürliche Handlungseinheit, Verordnungen
Fundstellen:
LSK 2023, 9052
StV 2023, 772
MedR 2023, 915
BeckRS 2023, 9052
wistra 2023, 305
Tenor
1. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, soweit die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft N. vom 17. Januar 2023 der Angeschuldigten Betrug in 4.108 Fällen zulasten der in der Anklage genannten Krankenkassen vorwirft.
2. Soweit die Anklage der Angeschuldigten eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin U vorwirft, ist die Kammer nicht zuständig.
3. Im Umfang der Ablehnung werden die Kosten des Verfahrens einschließlich der insoweit notwendigen Auslagen der Angeschuldigten der Staatskasse auferlegt.
Gründe
1
Die Generalstaatsanwaltschaft N. (GenStA) legt der Angeschuldigten Abrechnungsbetrug in 4.108 Fällen zum Nachteil verschiedener Krankenkassen zur Last. Die Angeschuldigte, die selbst keine Podologin gewesen sei, habe eine Podologie-Praxis betrieben und Behandlungen gegenüber den Krankenkassen abgerechnet, obwohl sie nicht abrechnungsfähig gewesen seien. Die Zulassungen der Kassen seien nämlich daran geknüpft gewesen, dass eine namentlich genannte Podologin die fachliche Leitung der Praxis innehabe, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Hierdurch sei den Kassen ein Schaden von insgesamt 343.390,14 € entstanden. Weiterhin habe die Angeschuldigte die Patientin U bei der Behandlung am Fuß verletzt.
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Das Hauptverfahren wegen des Abrechnungsbetrugs zulasten der verschiedenen Krankenkassen war aus tatsächlichen Gründen nicht zu eröffnen (§ 204 Abs. 1 StPO).
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1. Die Kammer ist für die Entscheidung über Eröffnung oder Nichteröffnung des Hauptverfahrens zuständig, weil bei ihr ein Gerichtsstand begründet ist.
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a) Die örtliche Zuständigkeit der Kammer folgt allerdings nicht aus § 8 Abs. 1 StPO, weil die Angeschuldigte bei Anklageerhebung keinen Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Nürnberg-Fürth hatte. Sie wohnt vielmehr seit längerer Zeit in K. Ebenso wenig ist ein Gerichtsstand nach § 7 Abs. 1 StPO begründet, weil die Behandlungen und die Versendung der Verordnungen zur Abrechnung am Praxissitz in G stattfanden. Sonstige Gerichtsstände nach den §§ 7 ff. StPO sind nicht gegeben.
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b) Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist auch nicht nach der landesrechtlichen Konzentrationsnorm § 55d Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten im Bereich des Staatsministeriums der Justiz (GZVJu) örtlich zuständig. Die für den gesamten Freistaat Bayern eröffnete erstinstanzliche Zuständigkeit des Landgerichts nach dieser Vorschrift ist begründet, wenn Gegenstand der Anklage Korruptions- und Vermögensstraftaten von Angehörigen eines Heilberufs sind, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, und diese Straftaten im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erbringung oder Abrechnung heilberuflicher Leistungen stehen. Wohn- und Tatort liegen hier zwar in Bayern, sodass die Konzentrationsnorm einschlägig ist, allerdings sind deren genannte Voraussetzungen nicht gegeben.
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aa) Die landesrechtliche Bestimmung knüpft sprachlich und sachlich an § 299a StGB an. So heißt es in der Begründung des Verordnungsentwurfs des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz für die Verordnung zur Änderung der GZVJu, mit der § 55d eingeführt wurde (S. 13 f.):
„Umfasst von der Zuständigkeitskonzentration sind Vermögens- und Korruptionsstraftaten von Angehörigen eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert. Dies knüpft an die Straftatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen (§§ 299a, b StGB) an (vgl. hierzu BT-Drs. 18/6446, S. 17). Dadurch wird ein Gleichlauf von materiellem Strafrecht und Zuständigkeit sichergestellt. Erfasst sind akademische und nicht akademische Heilberufe (…)
Nicht akademische Heilberufe sind insbesondere folgende Berufsgruppen:
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Damit muss zur Bestimmung des Angehörigen eines Heilberufs i.S.d. § 55d GZVJu im Ausgangspunkt auf § 299a StGB zurückgegriffen werden. Dort ist das Begriffsverständnis allerdings uneinheitlich. Eine erste Auffassung versteht den Angehörigen streng statusmäßig, sodass bei ihm alle Zulassungsvoraussetzungen für den jeweiligen Heilberuf vorliegen müssen und eine faktische Berufsausübung für die Statusbegründung nicht genügt (Wollschläger in AnwK-StGB, 3. Aufl., § 299a Rn. 7; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 299a Rn. 9; Rübenstahl/Teubner in Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, WirtschaftsStR, § 299a StGB Rn. 18 f.; tendenziell auch Serini/Witzigmann, Hdb. StA, 7. Aufl., Kap. 18 Rn. 228).
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Den Gegenpol bildet eine funktional-faktische Betrachtung, nach der es ausreichen soll, dass der Beschuldigte als Angehöriger eines Heilberufs auftritt und handelt, mag er auch über keine Ausbildung oder Zulassung verfügen (Dannecker/Schröder in NK-StGB, 6. Aufl., § 299a Rn. 113 f.; Schuhr in Spickhoff, MedizinR, 4. Aufl., StGB §§ 299a, 299b Rn. 13; Momsen/Niang, medstra 2018, 12, 14).
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Eine vermittelnde Auffassung verlangt zusätzlich zur faktischen Betätigung in einem Heilberuf einen formalen Akt, so etwa den Beitritt zur berufsständischen Kammer oder die Erlangung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung, auch wenn diese auf Fälschungen beruht oder sonstige Voraussetzungen hierfür materiell nicht vorliegen (Hohmann in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 299a Rn. 15; Gaede in Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und SteuerStR, 2. Aufl., StGB § 299a Rn. 36; Gaede in Ulsenheimer/Gaede, ArztStR in der Praxis, 6. Aufl., Rn. 1319; Rönnau/Wegner in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Hdb. WirtschaftsStR, 5. Aufl., 3. Teil 3. Kapitel Rn. 37). Denn nur durch einen Formalakt werde die tatbestandliche Angehörigen-Eigenschaft begründet.
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Die Gesetzesmaterialien zu § 299a StGB helfen bei der Klärung der Frage nicht unmittelbar weiter, weil sie die Angehörigen eines Heilberufs nicht unter dem hier relevanten Blickwinkel erörtern. Allerdings verweisen sie zur Abgrenzung des Täterkreises auf § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB (BT-Drs. 18/6446, S. 17). In der zu dieser Vorschrift vorliegenden Rechtsprechung und Kommentarliteratur wird – soweit die Kammer das überschaut – einhellig eine funktional-faktische Sichtweise zugelassen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 18.07.2019 – 15 W 21/19, juris Rn. 62; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 203 Rn. 61; Kargl in NK-StGB, 6. Aufl., § 203 Rn. 47; Hilgendorf in LK-StGB, 13. Aufl., § 203 Rn. 99; Cierniak/Niehaus in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 203 Rn. 32; Tsambikakis/Kessler in Prütting, MedizinR, 6. Aufl., StGB § 203 Rn. 9; Ulsenheimer/Gaede in Ulsenheimer/Gaede, ArztStR in der Praxis, 6. Aufl., Rn. 1041; Knauer/Brose in Spickhoff, MedizinR, 4. Aufl., StGB § 205 Rn. 8; Roxin/Schroth, Hdb. MedizinStR, 4. Aufl., S. 227; Dannecker in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und SteuerStR, 2. Aufl., StGB § 203 Rn. 3; Dittrich in Müller-Gugenberger, WirtschaftsStR, 7. Aufl., Rn. 33.65; Gercke in Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, WirtschaftsStR, § 203 StGB Rn. 23; Schmitz, JA 1996, 772, 773). Danach ist Arzt, wer als solcher auftritt und handelt. Das ist auf § 299a StGB übertragbar, weil dessen Wortlaut eine an die konkrete Tätigkeit oder Funktion anknüpfende Auslegung („Wer als Angehöriger“) ebenso ermöglicht wie derjenige des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB („ihm als Arzt anvertraut“).
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bb) Die Kammer neigt der funktional-faktischen Sichtweise zu. Diese entspricht auch der Auslegung des § 299 Abs. 1 StGB, bei der es für das Handeln „als Angestellter oder Beauftragter“ ausreicht, wenn jemand faktisch als solcher agiert (BGH, Beschluss vom 29.03.2012 – GSSt 2/11, juris Rn. 28; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 299 Rn. 14 f.; Krick in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 299 Rn. 45, 71 f. m.w.N.).
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Die Besonderheit des Falles besteht allerdings darin, dass das Auftreten der Angeschuldigten – je nachdem welchen Blickwinkel man einnimmt – nicht konsistent war. Laut Anklage trat die Angeschuldigte gegenüber den Patienten ihrer Podologie-Praxis als Podologin auf und nahm an ihnen auch Behandlungen vor. Anders war es im Verhältnis zu den Kassen: Sie war keine Podologin und damit keine Angehörige eines Heilberufs. Sie verfügte über keine Ausbildung nach §§ 3 ff. PodG und durfte eine entsprechende Berufsbezeichnung (§ 1 Abs. 1 PodG) nicht führen. Das war bei den Kassen bekannt. Demgemäß leitete die Angeschuldigte die Berechtigung zur Abrechnung als zugelassene Leistungserbringerin gem. § 124 Abs. 1 SGB V von einer dritten Person ab. So sind die Zulassungen ihrer Praxis durch den Verband der Ersatzkassen e.V. und durch die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern jeweils mit der Maßgabe erteilt worden, dass sie an die Anstellung und Tätigkeit einer namentlich benannten Podologin als fachliche Leitung gebunden waren. Die Angeschuldigte war damit in den Kassenzulassungen nicht als Angehörige eines Heilberufs ausgewiesen, sondern lediglich als Betreiberin einer Praxis, in der Angehörige eines Heilberufs angestellt gewesen sein sollen.
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Die Sachlage, wie sie sich gegenüber den Kassen aufgrund der Zulassungen darstellte, ist für die Gerichtszuständigkeit maßgeblich. Der Vorrang dieses Blickwinkels rechtfertigt sich aus dem Regelungsgegenstand des § 55d GZVJu. Dort geht es um die Zuständigkeitskonzentration wegen Korruptions- und Vermögensstraftaten. Die angeklagten Abrechnungsbetrügereien sollen gegenüber den Kassen begangen worden sein. Damit ist das Verhältnis der Angeschuldigten zu ihnen maßgeblich und nicht dasjenige zu den Patienten. Im Verhältnis zu den Kassen war die Angeschuldigte gerade keine Angehörige eines Heilberufs und trat ihnen gegenüber auch nicht als solche auf.
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c) Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth folgt aber aus § 55d Abs. 2 GZVJu. Nach dieser Bestimmung gilt § 55d Abs. 1 GZVJu auch für Vermögens- und Korruptionsstraftaten von Dritten, sofern diese in unmittelbarem Zusammenhang mit der Berufsausübung eines Angehörigen der akademischen und nicht akademischen Heilberufe stehen.
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aa) Für die Zuständigkeit sprechen Wortlaut und Zweck der Vorschrift. Eine Podologin ist Angehörige der nicht akademischen Heilberufe, denn die Führung der Berufsbezeichnung erfordert eine staatlich geregelte Ausbildung gem. §§ 3 ff. PodG. Die Angeschuldigte, also eine Dritte, habe Leistungen abgerechnet, die unter der fachlichen Leitung einer Podologin erbracht worden sein sollen. Dahinstehen kann hier, ob und ggf. im welchem Umfang die Podologin tatsächlich bei der Angeschuldigten tätig war (das würde erst nach einer Hauptverhandlung feststehen). Für die Zuständigkeit reicht es vielmehr aus, dass die Abrechnungen von der Angeschuldigten als rechtmäßig präsentiert worden sein sollen, eben weil die geforderte fachliche Leitung gewährleistet gewesen sei. Auch dann stehen nämlich die Abrechnungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Berufsausübung einer Angehörigen der Heilberufe. Damit ist die vorliegende Konstellation durch den Wortlaut des § 55 Abs. 2 GZVJu gedeckt. Gedeckt ist sie auch vom Normzweck. Dieser liegt darin, für die Verhandlung von Vermögens- und Korruptionsstrafsachen im Gesundheitswesen durch örtliche Konzentration auf gerichtlicher Seite Expertise und Spezialwissen auszubilden und zu nutzen (vgl. Verordnungsbegründung, S. 8 f., 12 f.). Hierfür ist unerheblich, wenn Leistungserbringung und Abrechnung organisatorisch auf unterschiedliche Personen verteilt sind.
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bb) Diesem Normverständnis steht die Regelungsabsicht des Verordnungsgebers nicht klar entgegen. Allerdings ist die Verordnungsbegründung insoweit missverständlich formuliert. Denn sie führt dazu aus (S. 14 f.):
„Da Korruptionsdelikte spiegelbildlich ausgestaltet sind und sowohl die Geber- als auch die Nehmerseite sanktionieren, erstreckt sich gemäß Absatz 2 die Konzentration bei Korruptionsdelikten von Angehörigen der Heilberufe auch auf die zugleich begangenen Korruptionsdelikte dritter Personen. Die Zuständigkeitskonzentration gilt gemäß Absatz 2 auch für Vermögensdelikte dritter Personen, wenn diese in engem sachlichen Zusammenhang mit einem berufsbezogenen Vermögensdelikt eines Angehörigen der Heilberufe stehen, insbesondere wenn die dritte Person beschuldigt wird, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe im Hinblick auf eine berufsbezogene Vermögensstraftat eines Angehörigen der Heilberufe zu sein, oder wenn die dritte Person Arbeitgeber bzw. Auftraggeber eines Angehörigen der Heilberufe ist und es im Zusammenhang mit dessen Berufsausübung zu Vermögensstraftaten kam (…)“
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Der erste Satz der Begründung hat die Korruptionsdelikte im Auge, die durch eine spiegelbildliche Struktur gekennzeichnet werden. Der zweite Satz behandelt demgegenüber die sonstigen Vermögensstraftaten, bei denen es an der Spiegelbildlichkeit fehlt. Auch dort wird aber scheinbar ein Vermögensdelikt des Angehörigen des Heilberufs als Anknüpfungspunkt für Vermögensstraftaten des Dritten angenommen. Ein solches Verständnis ist aber problematisch, wenn man auf die gegebenen Beispiele sieht. So bliebe kein sinnvolles Anwendungsgebiet für den Dritten als Arbeitgeber bzw. Auftraggeber eines Angehörigen der Heilberufe, ohne dass dies zugleich dessen Betätigung als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe im Hinblick auf eine berufsbezogene Vermögensstraftat des Angehörigen bedeuten würde. Sicher ist jedenfalls, dass die Kautele der Vermögensstraftat des Angehörigen der Heilberufe als Anknüpfungspunkt für die Verfolgbarkeit des Dritten keinen Niederschlag im Verordnungstext gefunden hat. Anknüpfungspunkt für die Vermögensstraftat des Dritten ist nach dem Wortlaut vielmehr allein die Berufsausübung des Angehörigen.
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2. Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – StB 52/18, juris Rn. 14; zu Einzelheiten vgl. Schneider in KK-StPO, 9. Aufl., § 203 Rn. 3 ff.; Rosenau in SSW-StPO, 5. Aufl., § 203 Rn. 3 f.). Diese Voraussetzungen liegen derzeit nicht vor.
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a) Der Anklagesatz beschreibt die Tathandlungen der Angeschuldigten dahin, sie habe im Zeitraum März 2015 bis April 2019 „über“ den gutgläubigen Abrechnungsdienstleister R GmbH 4.108 nicht abrechenbare Heilmittelverordnungen bei den gesetzlichen Kassen eingereicht und diese dadurch getäuscht. Diese Formulierung verdeckt indes eine Besonderheit des Falles. Denn die R GmbH hat die ihr von der Angeschuldigten vorgelegten Verordnungen nicht einfach an die Kassen durchgereicht, sondern auf der Grundlage eines mit der Angeschuldigten am 18. Februar 2015 geschlossenen Factoring-Vertrages (FV) die vermeintlichen Forderungen der Angeschuldigten gegen die Kassen aufgekauft und sich abtreten lassen (vgl. § 2 II FV). Im Gegenzug nahm die GmbH die Auszahlung der Vergütungen für die Verordnungen an die Angeschuldigte vor (§ 3 I FV). Damit kam insoweit zunächst ein Betrug der Angeschuldigten zum Nachteil der R GmbH in Betracht, weil sie an die GmbH jeweils Forderungen gegen Krankenkassen abgetreten haben soll, die mangels des Einsatzes einer qualifizierten fachlichen Leitung sozialrechtlich wertlos gewesen seien (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2021 – 1 StR 375/21, juris Rn. 9 f.; Beschluss vom 16. April 2014 – 4 StR 21/14, juris Rn. 18 ff.), und dafür im Gegenzug von der GmbH Gelder vereinnahmt habe. Diese möglichen Betrugstaten sind in ihren Umrissen in der Anklage geschildert. Die im Anhang zum Anklagesatz enthaltene Tabelle weist jeweils aus, wann welche Verordnung der Angeschuldigten bei der R GmbH einging und wann die GmbH im Gegenzug welchen Betrag an sie auszahlte. Die Tabelle beruht auf Daten, die die R GmbH den Strafverfolgungsbehörden überlassen hat und die eine wesentliche tatsächliche Stütze der Anklage bilden. Diese möglichen Betrugstaten sind allerdings nicht Gegenstand der Anklage, weil die GenStA in der Abschlussverfügung vom 17. Januar 2023 von ihrer Verfolgung ausdrücklich gem. § 154a Abs. 1 StPO abgesehen hat.
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b) Angeklagt sind vielmehr allein die Betrugstaten, die die Angeschuldigte zulasten der verschiedenen Krankenkassen begangen haben soll.
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aa) Die rechtliche Konstruktion ist die eines Betrugs durch die Angeschuldigte als mittelbare Täterin, die sich der arglosen Mitarbeiter der R GmbH als Tatmittler zulasten der Kassen bedient (vgl. Schultz, medstra 2021, 339, 341 f.). Die Angeschuldigte handelt in Drittbereicherungsabsicht zugunsten der R GmbH, da es ihr darauf ankommt, dem Abrechnungsunternehmen einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Auszahlungen der Kassen an die GmbH sind nämlich wirtschaftliche Voraussetzung für deren Zahlungen an die Angeschuldigte und somit letztlich Grundlage für die Fortführung der Podologie-Praxis. Der für die R GmbH erstrebte Vermögensvorteil ist stoffgleich (dazu Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 256 ff.; Satzger in SSW-StGB, 5. Aufl., § 263 Rn. 314 ff.) mit dem bei den Kassen eintretenden Schaden.
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bb) Hiervon ausgehend fehlt es in der Anklage schon an greifbaren Beschreibungen der Straftaten zulasten der Kassen. In der Tabelle im Anhang zum Anklagesatz ist lediglich vermerkt, wann die R GmbH ihrerseits unter welcher Rechnungsnummer Rechnungen an welche Krankenkasse gestellt hat. Weiter heißt es dann, dass Mitarbeiter der Kassen im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben der Angeschuldigten die Rechnungen beglichen und die Angeschuldigte „hierdurch“ bereichert (was mangels Stoffgleichheit im technischen Sinne aber nicht der Fall war) und die Kassen entsprechend geschädigt wurden.
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Es fehlen die Angaben, ob und in welchem Umfang die von der R GmbH gestellten Rechnungen bei den Kassen eingingen und wann – hierauf aufbauend – die Kassen welche Beträge an die R GmbH auszahlten und auf diese Weise selbst geschädigt wurden. Es ist der Akte nicht zu entnehmen, aber zu vermuten, dass die von der R GmbH an die Angeschuldigte ausgezahlten Beträge nicht identisch waren mit dem, was die Kassen an die GmbH überwiesen. Der Factoring-Vertrag regelt nämlich, dass sich die R GmbH wegen ihres Honorars aus den von den Kassen eingehenden Geldern befriedigen kann (vgl. § 4, § 5 I, § 10 FV), sodass die bekannten Auszahlungen der R GmbH an die Angeschuldigte in geringerer Höhe ausgefallen sein können als die unbekannten Auszahlungen der Kassen an die R GmbH.
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cc) Beweismittel für die Schädigung der Kassen finden sich in der Akte nur rudimentär. So betrifft die in der Akte enthaltene Aufstellung der Abrechnungen der AOK (EA, 669) nur einen Teil des Anklagezeitraums und ist mit der Anklage, d.h. letztlich mit den Daten der R GmbH, auch sonst nur schwer in Übereinstimmung zu bringen; die dortigen Rechnungsnummern sind nur teilweise identisch mit denen in der Anklage. Die von der DAK übersandte Aufstellung der Abrechnungen ist in ihrer Beweisbedeutung auch nicht durchgehend verständlich. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Auf der Grundlage der Daten der R GmbH soll die GmbH für den Patienten M am 19. Oktober 2017 146,26 € netto (d.h. nach Abzug des Selbstbehalts) ausgezahlt haben. In der Tabelle der DAK findet sich derselbe Patient mit drei Einträgen, die unter dem Datum 18. Oktober 2017 jeweils den Betrag von 26,01 € (Summe: 78,03 €) ausweisen. Es ist nicht verständlich, warum die R GmbH hier mehr an die Angeschuldigte ausgezahlt haben soll, als die DAK in ihrer Abrechnungsaufstellung vermerkte. Das bedürfte weiterer Ermittlungen und eines umfassenden Abgleichs der Daten der Krankenkasse und der R GmbH. Insgesamt ist nicht klar, ob es sich bei der Aufstellung der DAK um die bei ihr lediglich eingereichten oder um die von ihr abgerechneten und bezahlten Rechnungen handelt.
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Für die weiteren in der Anklage als Geschädigte bezeichneten Krankenkassen fehlen in der Akte jedwede Beweismittel, die auf die aufgeworfenen Fragen nach dem Betrug zu ihren Lasten Antwort geben könnten.
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dd) Die Mängel der tatsächlichen Grundlage der Betrugsvorwürfe zum Nachteil der Kassen lassen sich nicht durch ergänzende Beweiserhebungen im Zwischenverfahren (§ 202 StPO) beheben. Nach der genannten Vorschrift sind nur einzelne, punktuelle Beweiserhebungen statthaft, nicht jedoch umfangreiche eigene Ermittlungen des Gerichts (OLG Celle, Beschluss vom 19. Juli 2011 – 1 Ws 271-274/11, juris Rn. 17; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 17. Juli 2008 – 1 Ws 131/08, juris Rn. 13; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 3. März 2021 – 12 KLs 504 Js 1658/18, juris Rn. 29). Letztere wären allerdings erforderlich, weil die Anklage in ihrer Beweisführung tragend auf die Daten der R GmbH ausgerichtet ist, die aber lediglich den Betrug zum Nachteil der R GmbH belegen könnten, nicht jedoch denjenigen zum Vorteil der R GmbH und zum Nachteil der Krankenkassen.
27
Hinsichtlich des Anklagevorwurfs der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der U trüge die Beweislage zwar eine Verfahrenseröffnung, gleichwohl hatte sich die Kammer für unzuständig zu erklären (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StPO; vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 209 Rn. 5). Denn infolge der Nichteröffnung der Anklage wegen des Abrechnungsbetrugs zulasten der Krankenkassen (oben II) ist auch der Anknüpfungspunkt für einen Zusammenhang nach § 13 Abs. 1 StPO entfallen. Dieser wäre aber notwendig, weil hier sonst kein Gerichtsstand besteht, die Körperverletzung soll nämlich in der Praxis in G begangen worden sein.
28
Für den Fall, dass nach Durchführung weiterer Ermittlungen erneut eine Anklage in dieser Sache gegen die Angeschuldigte erhoben wird (§ 211 StPO), bemerkt die Kammer, dass sie die Rechtsmeinung nicht teilt, die Einreichung einer jeden einzelnen Verordnung zur Abrechnung begründe eine Tat im Sinne von Tatmehrheit auch dann, wenn mehrere Verordnungen zugleich eingereicht werden. Diese in der Anklage nicht weiter begründete These stützt sich wohl (vgl. Findl/Haase/Nunner in Hdb. StA, 7. Aufl., Kap. 19 Rn. 169) auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Steuerstrafsachen, wonach Tatmehrheit anzunehmen ist, wenn die Abgabe mehrerer Steuererklärungen über verschiedene Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume in einem äußeren Vorgang zusammenfällt. Das ist auf den Abrechnungsbetrug nicht übertragbar. Vielmehr hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs seine konkurrenzrechtliche Sonderjudikatur mit den Besonderheiten des Steuerrechts begründet und sie ausdrücklich auf das Steuerstrafrecht beschränkt (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2018 – 1 StR 535/17, juris Rn. 22, 24). Somit verbleibt es für den Abrechnungsbetrug bei der allgemeinen Rechtsprechung, wonach Tateinheit (i.S.d. natürlichen Handlungseinheit) anzunehmen ist, wenn mehrere Rechnungen gleichzeitig oder zumindest in einem engen zeitlichen Zusammenhang übergeben oder abgeschickt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 2022 – 4 StR 226/21, juris Rn. 3 m.w.N.; Beschluss vom 14. September 2010 – 4 StR 422/10, juris Rn. 5; Satzger in SSW-StGB, 5. Aufl., § 263 Rn. 356; Schuhr in Spickhoff, MedizinR, 4. Aufl., StGB § 263 Rn. 81). Danach spricht alles dafür, die Einreichung mehrerer abzurechnender Verordnungen an einem Tag konkurrenzrechtlich als eine Tat zu werten. Die Gestaltung der Tabellen in der Anklage hätte dem Rechnung zu tragen.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.