Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 24.01.2023 – Au 8 S 22.2446
Titel:

Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, glücksspielrechtliche Erlaubnis zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle, Befristung bis zum 31. Dezember 2022, Mindestabstandsregelung, Unions- und Verfassungsrechtskonformität

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
GlüStV 2021 § 9 Abs. 4 Satz 2
AGGlüStV Art. 7 Abs. 2 Nr. 4
AGGlüStV Art. 15 Abs. 2
AGGlüStV Art. 16 Abs. 2
Schlagworte:
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, glücksspielrechtliche Erlaubnis zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle, Befristung bis zum 31. Dezember 2022, Mindestabstandsregelung, Unions- und Verfassungsrechtskonformität
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9045

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin (Sportwettvermittler) begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Befristung einer ihr erteilten Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten.
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1. Die Antragstellerin ist Vertragspartnerin des Sportwettveranstaltungsunternehmens … (Sportwettveranstalter) und vermittelt Sportwetten am Standort B.-Straße … in K. an diesen Sportwettveranstalter. Die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle wurde mit Bescheid des Antragsgegners vom 17. Mai 2019 (formal) geduldet.
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Mit Schreiben vom 2. November 2020 beantragte der Sportwettveranstalter für die Antragstellerin die Erteilung einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten in dieser Wettvermittlungsstelle. Mit Schreiben vom 10. September 2021 wurde die Antragstellerin zu einer beabsichtigten Befristung der Erlaubnis bis zum 31. Dezember 2022 angehört, auf das im Umkreis von 250 Metern Entfernung gelegene berufliche Schulzentrum, u.a. mit der staatlichen Wirtschaftsschule, wurde hingewiesen. Der Sportwettveranstalter wurde in Abdruck über die Anhörung informiert. Der Bevollmächtigte des Wettveranstalters nahm mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2021 umfassend zur Anhörung Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass für die Wettvermittlungsstelle formeller Bestandsschutz bestehe, die Festlegung der Frist ermessenfehlerhaft sei sowie eine Ausnahme von der Abstandsregelung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV geboten sei. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin nahm mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2021 ebenfalls umfassend Stellung und führte im Wesentlichen noch aus, dass das Berufliche Schulzentrum überwiegend von Heranwachsenden im Alter zwischen 18 und 21 Jahren besucht werde.
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Mit Bescheid vom 10. November 2022 erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin die Erlaubnis, in der Wettvermittlungsstelle, Sportwetten an den mit Konzession des zuständigen Regierungspräsidiums … erlaubten Sportwettveranstalter zu vermitteln (Ziffer 1), wobei die Erlaubnis widerruflich erteilt wurde (Ziffer 2). Die Erlaubnis gelte bis zum 31. Dezember 2022, sie erlösche mit Beendigung des Wettvermittlungsvertrags oder mit dem Verlust der Konzession des Veranstalters (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheids wurden verschiedene Nebenbestimmungen sowie in Ziffer 5 des Bescheids deren sofortige Vollziehung angeordnet. Ferner enthielt der Bescheid eine Kostenentscheidung sowie eine Gebührenfestsetzung (Ziffern 6 und 7).
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Zur Begründung der Befristung der Erlaubnis wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass jede Vermittlung öffentlicher Glücksspiele gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 der Erlaubnis bedürfe. Eine Erlaubnis sei nach § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 widerruflich zu erteilen und zu befristen. Vorliegend stehe der Erlaubniserteilung ein Versagungsgrund i.S.v. Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV entgegen. Innerhalb des 250-Meter-Radius um die Wettvermittlungsstelle würde sich das berufliche Schulzentrum befinden. Dazu gehöre auch die staatliche Wirtschaftsschule. Aufgrund der Weitläufigkeit des Geländes sei eine Maximalmessung vorgenommen worden, sprich es sei jeweils von den Häuserkanten der Wettvermittlungsstelle bzw. der Wirtschaftsschule, welche sich am weitesten voneinander entfernt befänden, gemessen worden. Dieser Abstand betrage 196 m. Der Luftlinienabstand zwischen den beiden Eingangstüren müsse damit zwangsläufig noch geringer sein. Die Örtlichkeiten könnten gut voneinander aus erreicht werden. Bei einer Wirtschaftsschule (hier beginnend ab der sechsten Jahrgangsstufe) handle es sich sowohl nach dem Wortlaut der Norm als auch bei deren systematischer Auslegung und vor dem Hintergrund der Gesetzgebungshistorie um eine bestehende Schule für Kinder und Jugendliche. Durch ihren starken Bezug zum Sport und dessen Akteuren würden Sportwetten die Gefahr bieten, dass sportbegeisterte Kinder und Jugendliche schon früh an Sportwetten und die Markennamen verschiedener Wettveranstalter herangeführt würden und darüber hinaus die Sportwette als Gut des täglichen Lebens wahrgenommen werde. Eine Ausnahme könne bei pflichtgemäßer Ermessensausübung nicht erteilt werden. Die Örtlichkeit der Wettvermittlungsstelle könne von der Wirtschaftsschule aus gut erreicht werden und befände sich im Wahrnehmungsbereich der Kinder und der Jugendlichen. Insbesondere seien auf der Verbindungsstrecke keine natürlichen Geländehindernisse oder anderen örtlichen Gegebenheiten gegeben, die eine andere Sichtweise erfordern würden. Auch eine Änderung der Öffnungszeiten könnte höchstens dazu führen, dass der unzulässige Betrieb der Wettvermittlungsstelle in zeitlicher Hinsicht nicht vorliege. Die Regelungen seien verfassungs- und unionsrechtmäßig. Aufgrund der Übergangsregelung des Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 16 Abs. 2 AGGlüStV habe die Erlaubnis befristet bis zum 31. Dezember 2022 erteilt werden können.
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2. Hiergegen, unter Einbeziehung nunmehr der Regelung im Bescheid vom 13. Dezember 2022, ließ die Antragstellerin am 15. Dezember 2022 Klage erheben im Wesentlichen mit dem Ziel, den Beklagten zur Erteilung einer Erlaubnis befristet bis zum 30. Juni 2031 zu verpflichten, hilfsweise für einen angemessenen Zeitraum (Au 8 K 22.2385). Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist noch nicht ergangen.
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Mit Bescheid vom 13. Dezember 2022 änderte der Antragsgegner die Ziffer 5 des Erlaubnisbescheids vom 10. November 2022 und ordnete die sofortige Vollziehung der unter Ziffern 3 und 4 genannten Nebenbestimmungen an (Ziffer 1). Ferner enthielt der Bescheid eine Kostenentscheidung (Ziffer 2).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in den Fällen entfalle, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde besonders angeordnet werde. Ein besonderes öffentliches Interesse liege hier vor. Es sei nicht ausgeschlossen, dass trotz der Pflicht zur Befristung der glücksspielrechtlichen Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 eine isolierte Anfechtungsklage gegen die Befristung der Erlaubnis zumindest als nicht evident unzulässig erachtet werde und somit aufschiebende Wirkung entfalte. Eine solche temporär aufgrund der Anfechtungsklage zumindest scheinbar weiter „wirkende“ Erlaubnis würde erst nach § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO enden. Insofern werde der Antragsgegner tätig, um den Spieler- und Jugendschutz zu wahren. Der Fortbetrieb der Wettvermittlungsstelle sei nach dem 31. Dezember 2022 aufgrund der vorliegenden Konfliktsituation nicht mehr mit der Regelung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV vereinbar. Der Mindestabstand zu sensiblen Einrichtungen stelle eine effektive Maßnahme zum Schutz vulnerabler Gruppen dar. Dieser Schutz sei in den gesetzlichen Zielen des § 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 GlüStV 2021 festgelegt. Die im Ermessen stehende Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit sei geeignet, erforderlich und angemessen. Das überwiegend wirtschaftliche Interesse des Sportwettvermittlers, von der Befristung bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens zumindest scheinbar nicht betroffen zu sein, trete hinter dem öffentlichen Interesse einer rechtmäßigen Sportwettvermittlung zurück. Zudem sei die ergänzende Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit notwendig, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass illegales Glücksspiel rechtssicher unterbunden werden könne.
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Am 22. Dezember 2022, ergänzt mit Schriftsatz vom 5. Januar 2023 ließ die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (Au 8 K 22.2385) gegen die in der Nr. 3 des Bescheids des Antragsgegners vom 10. November 2022 angeordnete Befristung der Erlaubnis wiederherzustellen,
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hilfsweise, die angeordnete sofortige Vollziehung der in der Nr. 3 des Bescheids vom 10. November 2022 enthaltene Befristung vorläufig bis zur Entscheidung über den vorliegenden Eilantrag aufzuheben,
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wiederum hilfsweise, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nr. 3 des Bescheids vom 10. November 2022 angeordnete Befristung bis zur Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vorläufig anzuordnen,
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höchstvorsorglich und hilfsweise, im Wege der einstweilen Anordnung den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin die im gegenständlichen Bescheid vom 10. November 2022 erteilte Erlaubnis vorläufig befristet bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Hauptsache zu erteilen bzw. die sich aus der Befristung ergebenden Rechte bis dahin nicht zu vollziehen,
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hilfsweise, im Wege der einstweilen Anordnung den Antragsgegner zu verpflichten,
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der Antragstellerin die im Bescheid vom 10. November 2022 erteilte Erlaubnis vorläufig bis 30. Juni 2023 zu erteilen und die sich aus der Befristung ergebenden Rechte bis 30. Juni 2023 nicht zu vollziehen,
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hilfsweise, den Antragsgegner zu verpflichten, die sich aus der Befristung ergebende Rechte bis zu einem nach Meinung des Gerichts angemessenen Zeitraum über den 31. Dezember 2022 hinaus vorläufig nicht geltend zu machen und die sich aus der Befristung ergebenden Rechte bis dahin nicht zu vollziehen.
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Zur Begründung wird im Antragsschriftsatz und mit Schriftsatz vom 5. Januar 2023 im Wesentlichen ausgeführt, dass die fehlende Anhörung vor Erlass des Sofortvollzugs mit Bescheid vom 13. Dezember 2022 per se bereits einen Verfahrensfehler begründen dürfte. Aufgrund der geschaffenen Faktenlage, nämlich der Schließung der Wettvermittlungsstelle und der internetmäßigen Abkopplung von dem Wettveranstalter werde die Antragstellerin dauerhaft keinerlei weiteres Geschäft an der fraglichen Stelle mehr entfalten können. Die Folgen wären unumkehrbar. Der Betrieb der Wettvermittlungsstelle erfolge seit dem 1. August 2016. Innerhalb von weniger als einem Monat müsse nun der komplette Betrieb aufgegeben werden. Dies stelle einen äußerst schwerwiegenden Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin dar. Die erst am 21. November 2022 zugestellte Entscheidung gebe nicht einmal mehr die Möglichkeit, die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Mitarbeiter sowie das Gewerbemietverhältnis ordentlich zu kündigen. In Anbetracht des erheblichen Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit sowie den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und in Anbetracht der Tatsache, dass die Wettvermittlungsstelle an der fraglichen Stelle bereits seit mehr als fünf Jahren beanstandungsfrei betrieben werde sowie der erheblichen rechtlichen Bedenken, die bereits im Anhörungsverfahren sowohl mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2021 als auch mit Schriftsatz des Bevollmächtigten des Wettveranstalters vom 1. Dezember 2021 vorgebracht worden seien, sei das Ergebnis weder sachlich noch rechtlich vertretbar. Es sei auch nicht ersichtlich, inwieweit der Antragsgegner das ihm zustehende Ermessen im Hinblick auf die mögliche Ausnahmeregelung ausgeübt habe. Die 250 m-Regel betreffe allein eine Schule zur Berufsausbildung, bei der die Schüler zum Großteil über 18 Jahre alt seien. Der Abstand sei nur geringfügig unterschritten. Die Schulzeit sei auf 8.00 bis 15.00 Uhr begrenzt. Die Wettvermittlungsstelle könne ihre Öffnungszeiten entsprechend beschränken. Zudem genieße die Einrichtung der Antragstellerin auch Bestandsschutz. Richtigerweise hätte eine Erlaubnis bereits vor Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags 2021 erteilt werden müssen, da derartige Mindestabstandsregeln zum damaligen Zeitpunkt nicht gegolten hätten. Sollte entgegen der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München und des Verwaltungsgerichts Regensburg eine isolierte Anfechtungsklage nicht zulässig sein, werde eine einstweilige Anordnung im Wege der Regelungsanordnung beantragt. Im Bescheid fehle eine detaillierte Abwägung beiderseitiger Interessen und es sei lediglich formelhaft und schablonenartig die 200 (wohl 250) m-Regelung über den Fall gestülpt worden. Die Werbung sei komplett unauffällig, der Zutritt ohnehin lediglich Personen über 21 Jahren gestattet und die Schaufensterscheiben seien blickdicht verschlossen. Es handle sich nicht um ein Wettbüro, sondern um eine reine Wettannahmestelle. Es würden keinerlei Live-Wetten angeboten. Es würden keinerlei Sportübertragungen erfolgen. Die Wettannahmestelle sei insoweit identisch mit der Lotto-Toto-Oddset-Annahmestelle. Es würde eine entsprechende Differenzierung fehlen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Hauptantrag sowie die hilfsweise gestellten Anträge abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Antrag zumindest unbegründet sei. Die sofortige Vollziehung sei formell rechtmäßig angeordnet worden. Die Antragstellerin habe vor Erlass des Änderungsbescheids nicht angehört werden müssen. Die Maßgaben des § 80 Abs. 3 VwGO seien erfüllt. Die schriftliche Begründung lasse in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen, die zur Anordnung der sofortigen Vollziehung geführt hätten. Dies sei auch bezogen auf die konkreten Umstände im vorliegenden Einzelfall geschehen. Es handele sich nicht um lediglich formelhafte Wendungen. Die in der Hauptsache erhobene isolierte Anfechtungsklage gegen die Befristung sei offensichtlich unzulässig. Im Bereich des Glücksspielrechts sei wegen § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 offensichtlich, dass ohne die Befristung ein rechtswidriger Rest-Verwaltungsakt übrigbliebe. Die isolierte Anfechtungsklage gegen die Befristung wäre zudem offensichtlich unbegründet. Eine Befristung vormals formal geduldeter Wettvermittlungsstellen aufgrund von Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 16 Abs. 2 AGGlüStV bis zum 31. Dezember 2022 sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Abstandsregelungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV würden keinen unions- oder verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Auch eine reine Interessensabwägung fiele zu Ungunsten der Antragstellerin aus.
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Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die vorliegende Behördenakte Bezug genommen. Die Verfahrensakte des Hauptsacheverfahrens Au 8 K 22.2385 wurde beigezogen.
II.
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Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz bleibt ohne Erfolg. Keine eigenständige Bedeutung kommt daneben dem vorsorglichen Antrag auf Erlass eines sogenannten „Hängebeschlusses“ (mehr) zu.
23
Der Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung ihrer erhobenen Klage wiederherzustellen, ist bereits unzulässig (dazu unter 1.). Selbst wenn man den Antrag als zulässig erachten wollte, bliebe er ohne Erfolg. Denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig (dazu unter 2.) und die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch das Verwaltungsgericht vorzunehmende eigenständige Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem öffentlichen Vollzugsinteresse fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Die Befristung in Ziffer 3 des Bescheids vom 10. November 2022 erweist sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig und verletzt damit die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (dazu unter 3.). Gründe, gleichwohl im Interesse der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihrer erhobenen Klage anzuordnen, sind nicht ersichtlich. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist zwar statthaft, aber ebenfalls erfolglos (dazu unter 4.).
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In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse der Antragstellerin an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (bzw. ihres Widerspruchs) überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse der Antragstellerin an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse des Antragsgegners. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin einerseits sowie dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners andererseits – nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 52 ff. und Rn. 65 ff.; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 80 Rn. 80 ff. und Rn. 120 ff.; Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 43. EL August 2022, § 80 Rn. 326 ff.).
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Soweit die Behörde die sofortige Vollziehung ausdrücklich gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, d.h. die aufschiebende Wirkung der Klage nicht bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob sich bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehung als formell rechtswidrig erweist, insbesondere ob sich die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung als im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO als nicht ausreichend erweist; ist dies der Fall, hat das Gericht ohne weitere Sachprüfung die Vollziehungsanordnung aufzuheben (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 54 ff., 98).
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1. Der Antrag der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage isoliert hinsichtlich der im Bescheid vom 10. November 2022 angeordneten Befristung wiederherzustellen, ist bereits unzulässig, er ist nicht statthaft (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Eine isolierte Anfechtung der streitgegenständlichen Befristung der glücksspielrechtlichen Erlaubnis ist unzulässig, weil eine isolierte Aufhebung der Befristung offenkundig von vornherein ausscheidet.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können Nebenbestimmungen zwar im Einzelfall isoliert angefochten werden (vgl. etwa BVerwG, U.v. 22.11.2000 – 11 C 2.00 – BVerwGE 112, 221 m.w.N.). Dies gilt auch für (wie hier) mit einem begünstigenden Verwaltungsakt erlassene belastende Nebenbestimmungen wie z.B. Befristungen. Ob eine solche Klage zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt hierbei davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann (zum Streitstand: VG Würzburg, B.v. 10.1.2023 – 5 W E 22.1986 – BeckRS 2023, 118 Rn. 20 m.w.N.). Dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (vgl. BVerwG, a.a.O.; vgl. dazu auch VGH BW, B.v. 11.8.2022 – 6 S 790/22 – juris Rn. 16). Letzteres ist der Fall, wenn die fragliche Bestimmung, den Regelungsgehalt des Hauptverwaltungsakts definiert (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2019 – 8 B 10.18 – juris Rn. 5).
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b) Bei einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021, Art. 2 und 7 AGGlüStV zum Betrieb einer Wettvermittlungsstelle, die schon nach ihrer gesetzlichen Konzeption ausdrücklich eine Befristung vorsieht (vgl. § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021), ist eine Befristung integraler Bestandteil des Hauptverwaltungsakts. Ließe man die isolierte Anfechtung der befristeten Erlaubnis zu, ist offensichtlich, dass bei ihrer Aufhebung eine glücksspielrechtliche Erlaubnis entstehen würde, die rechtmäßig nicht bestehen bleiben kann. Eine unbefristete glücksspielrechtliche Erlaubnis stünde dazu in eklatantem, nicht hinnehmbarem Widerspruch (vgl. bereits VGH BW, B.v. 11.8.2022 – 6 S 790/22 – juris Rn. 16 für die Befristung von glücksspielrechtlichen Erlaubnissen für Spielhallen; im vorgenannten Sinn ausdrücklich nunmehr VG Würzburg, B.v. 10.1.2023 – W 5 E 22.1986 – BeckRS 2023, 118 Rn. 21.; a.A. VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris, das die Zulässigkeit einer isolierten Anfechtbarkeit zwar bejaht (a.a.O. Rn. 13), gleichwohl im Rahmen der Begründetheit aber festhält (a.a.O. Rn. 18), dass eine Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 „in jedem Fall“ zu befristen sei; die Frage der isolierten Anfechtbarkeit offenlassend etwa BayVGH, B.v. 1.6.2021 – 23 ZB 20.532 – juris Rn. 11).
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2. Selbst wenn man den Antrag als zulässig erachten wollte, bliebe er ohne Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig, insbesondere sind die sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden Begründungserfordernisse gewahrt.
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a) An die Begründung i.S.d. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sind keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. Angesichts der Gefahren des Glücksspiels besteht ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran, diese Risiken möglichst gering zu halten bzw. eine effektive Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht und u.a. die Gewährleistung von Jugend- und Spielerschutz (§ 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 GlüStV 2021) zu bewerkstelligen. Auf diese für den Betrieb einer Wettvermittlungsstelle typische Interessenslage (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 55) hat auch im konkreten Fall in nicht zu beanstandender Weise der Antragsgegner abgestellt. Zusätzlich dazu hat der Antragsgegner angeführt, dass die nachträgliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Befristungsregelung notwendig sei, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass nach Auslaufen der Befristung illegales Glückspiel rechtssicher unterbunden werden könne.
31
b) Entgegen dem Einwand der Antragstellerin bedurfte es auch keiner Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG (analog) bzw. aus rechtstaatlichen Gründen.
32
Das Rechtsstaatsprinzip kann vor dem Hintergrund des Gebots rechtlichen Gehörs eine Anhörung erforderlich machen, wenn die Vollziehbarkeitsanordnung aus Sicht des Betroffenen im jeweiligen Einzelfall einer behördlichen Überraschungsentscheidung gleichkommt (vgl. Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 258 ff. m.w.N.). Vorliegend verhält es sich (trotz nachträglicher Anordnung des Sofortvollzugs) aber nicht so, wenn und weil die Antragstellerin nach den Umständen des Einzelfalls zur beabsichtigten Befristung der Erlaubnis bis zum 31. Dezember 2022 angehört wurde und auch vor Ablauf der Befristung, zumal bei dem zwischenzeitlich anhängig gemachten Klageverfahren, mit der Möglichkeit einer Sofortvollzugsanordnung rechnen musste.
33
Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre ein etwaiger Verfahrensmangel jedenfalls geheilt, weil die Antragstellerin im gerichtlichen (Eil-)Verfahren ausreichend die Gelegenheit hatte, ihre tatsächlichen und rechtlichen Einwendungen vorzubringen (vgl. zu dem Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG zu entnehmenden Rechtsgedanken etwa BayVGH, B.v. 30.4.1997 – 27 ZS 97.984 – NVwZ-RR 1998, 358, 359; vgl. auch Kopp/Schenke, § 80 Rn. 82; kritisch Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 261).
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Auch nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG (analog) war vorliegend eine Anhörung der Antragstellerin vor Anordnung des Sofortvollzugs nicht geboten. Nach ganz herrschender Meinung (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 53 m.w.N.) ist Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG auf eine Anordnung des Sofortvollzugs nicht entsprechend anwendbar; eine direkte Anwendung scheitert schon daran, dass die Anordnung kein Verwaltungsakt ist (vgl. etwa Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 82 m.w.N.). Aus der Bezeichnung als „Bescheid“ im Rahmen der Anordnung des Sofortvollzugs (samt Kostenentscheidung) ergibt sich bei summarischer Prüfung nichts Anderes, weil ungeachtet der äußeren Form ein etwaiger Verfahrensmangel jedenfalls geheilt wäre (vgl. entsprechend die vorstehenden Ausführungen).
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3. Selbst wenn man den Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO als zulässig erachten wollte, bliebe der Antrag in der Sache ohne Erfolg. Denn die gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergäbe, dass auch unter Beachtung sowohl nationalen, insbesondere Verfassungsrechts, als auch Unionsrechts, insbesondere der Marktfreiheiten, die angeordnete Befristung bis zum 31. Dezember 2022 aller Voraussicht nach rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird entsprechend Bezug auf die detaillierte Begründung im Bescheid vom 10. November 2022 genommen und lediglich ergänzend ausgeführt (§§ 122 Abs. 2, 117 Abs. 5 (analog) VwGO):
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a) Zur Überzeugung des Gerichts hat das Verwaltungsgericht München in seinem Urteil vom 1. Dezember 2022 (M 27 K 22.5829 – juris) zu einem mit dem vorliegenden Verfahren vergleichbaren Sachverhalt zutreffend herausgearbeitet, dass die Abstandsregelung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV intertemporal anwendbar ist. Aus der Gesetzesbegründung zum AGGlüStV ergibt sich, dass diejenigen Betreiber einer Wettvermittlungsstelle, die sich freiwillig einem Duldungsverfahren unterworfen haben und deren Wettvermittlungsstelle weiterhin einen zuverlässigen Betreiber aufweist, in ihren Investitionen, welche sie im Vertrauen auf den Bestand des formalen Duldungsbescheides getätigt haben, in begrenztem Maße schutzwürdig sind bzw. waren und „daher für eine Übergangszeit von den Regelungen zu Mindestabständen befreit werden“ soll(t) en (vgl. LT-Drs. 18/14870, S. 17). Daraus ergibt sich, dass nach Ablauf der „Übergangszeit“ – also nach dem 31. Dezember 2022 – auch für Bestandsbetriebe die Abstandsvorgabe zur Anwendung kommen soll, sodass bei Nichteinhaltung der Abstände nach dem 31. Dezember 2022 regelmäßig ein Versagungsgrund vorliegt. Insoweit greifen auch die Einwände zum formellen Bestandsschutz nicht durch, weil der Gesetzgeber die diesbezügliche Problematik erkannt und sich angesichts des nur begrenzten Vertrauens in bereits getätigte Investitionen für einen Ausgleich mittels eines Übergangszeitraums im Rahmen seiner legislativen Einschätzungsprärogative in rechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden hat. Außerdem existiert kein Rechtssatz, der Vertrauensschutz dergestalt vermittelt, dass eine Betriebsstätte nicht zukünftigen Beschränkungen unterworfen werden dürfte (zum Ganzen VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 15; vgl. auch bereits zu Fragen des nur begrenzt schutzwürdigen Vertrauens i.R.v. Art. 15 Abs. 2 AGGlüStV: VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris Rn. 93 ff. m.w.N.; dem folgend: VG Würzburg, B.v. 10.1.22023 – W 5 E 22.1986 – BeckRS 2023, 118 Rn. 37).
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b) Die Abstandsregelung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV verstößt nicht gegen höherrangiges Unions- und/oder Verfassungsrecht.
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Diesbezüglich nimmt die Kammer zunächst umfassend auf ihre bisherige Rechtsprechung (VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris; B.v. 14.9.2022 – Au 8 S 22.1659 – juris; B.v. 26.9.2022 – Au 8 S 22.1578 – juris) Bezug, die sich ausführlich mit der Verfassungs- und Unionsrechtskonformität der Abstandsregelung auseinandersetzt und von den übrigen bayerischen Verwaltungsgerichten geteilt wird (vgl. VG München, U.v. 21.7.2022 – M 27 K 22.1195 – juris Rn. 23; VG München, U.v. 21.7.2022 – M 27 K 22.1646 – juris Rn. 21; VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 16; VG Regensburg, B.v. 15.11.2022 – RN 5 S 22.1333 – juris Rn. 62 ff.; VG Würzburg, B.v. 10.1.2023 – W 5 E 22.1986 – BeckRS 2023, 118 Rn. 37 ff.).
39
aa) Die unterschiedlichen Regelungen zwischen Wettvermittlungsstellen und Spielhallen im Bestand im Hinblick auf die Mindestabstände zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstätten rechtfertigen weder aus Gleichheitsgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 GG) noch aus Kohärenzgesichtspunkten (Art. 56 AEUV) bei summarischer Prüfung weder Zweifel an der Verfassungs- noch an der Unionrechtskonformität des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV. Bei der Prüfung des Gleichbehandlungsgrundsatzes – sei dieser im Einzelnen entweder grundgesetzlich oder unionsrechtlich abgeleitet – ist lediglich das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die unterschiedliche Handhabung zu fordern, da die Unterscheidungsmerkmale nicht personen-, sondern sachverhaltsbezogen sind (vgl. hierzu etwa BeckOK-GG, 53. Edition, Stand: 15. November 2022, Art. 3 GG Rn. 30 ff.; Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 57 Rn. 75 ff. je m.w.N.). Dieser sachliche Grund ist in der besonderen Empfänglichkeit von Kindern und Jugendlichen sowie analog von Betroffenen von Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstellen gerade für Sportwetten begründet (vgl. auch bereits VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris Rn. 81 ff.; VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 16; VG Regensburg, B.v. 15.11.2022 – RN 5 S 22.1333 – juris Rn. 63 ff.; VG Würzburg, B.v. 10.1.2013 – W 5 E 22.1986 – BeckRS 2013, 118 Rn. 40). Insoweit steht dem Gesetzgeber, der die unterschiedliche Handhabung von Abständen im Gesetzgebungsverfahren durchaus thematisiert hatte (vgl. LT-Drs. 18/16499, Plenarprotokoll vom 16. Juni 2021, S. 6), eine der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle weitestgehend entzogene Einschätzungsprärogative zu. Hiergegen gibt es rechtlich, zumal bei summarischer Prüfung, nichts zu erinnern, insbesondere obliegt es im vorliegenden Verfahren nicht der Kammer, zu beurteilen, ob Abstandsgebote auch für Spielhallen oder Betriebe, in welchen Geldspielgeräte aufgestellt sind, ebenfalls zweckmäßig gewesen wären (vgl. zur rechtlichen Unbedenklichkeit von Abstandsgeboten für Spielhallen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Spielhallengesetz Berlin: BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – BVerfGE 145, 20 – juris Rn. 96 ff., 136 f., 141 f., 152).
40
Dasselbe gilt für die Frage der Geeignetheit der Abstandsvorgabe zur Erreichung des Jugend- und Spielerschutzes bzw. der Bekämpfung von Spielsucht als wesentliches Ziel des GlüStV 2021 vor dem Hintergrund, dass auch in den Medien für Sportwetten geworben wird (vgl. VG Leipzig, B.v. 31.1.2022 – 5 L 23/22 – juris Rn. 65), zumal eine offensichtliche Ungeeignetheit für die Kammer vorliegend nicht ersichtlich ist und dem Gesetzgeber auch insoweit eine legislative Einschätzungsprärogative zukommt (zum Ganzen VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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bb) Rechtliche Bedenken in Bezug auf die Kohärenz ergeben sich auch nicht daraus, dass für staatliche Toto-/Lotto-Annahmestellen – ob des ODDSET-Sportwettangebots – keine Abstandsregelungen existieren. Es ist zunächst zu berücksichtigen, dass es mit dem Mindestabstandsgebot nicht um eine Monopolisierung bestimmter Glücksspielarten geht, sondern lediglich eine räumliche Steuerung der Angebote. Daher kann im Rahmen der Betrachtung der Kohärenz auch nicht verlangt werden, dass der Gesetzgeber für alle Glücksspieltypen gleichförmige Regelungen trifft, konkret also dafür Sorge trägt, dass in dem vorgesehenen Mindestabstand ein jegliches Angebot an Glücksspielen gesetzlich ausgeschlossen ist. Der Gesetzgeber durfte deshalb eine differenzierte Gefahreneinschätzung treffen und abweichende gesetzliche Rahmenbedingungen für die staatlichen Toto-/Lotto-Annahmestellen schaffen (vgl. EuGH, U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a. – Stoß – juris Rn. 90 ff.; vgl. auch BVerwG, U.v. 16.12.2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 Rn. 52). Dies gilt umso mehr, als solche Annahmestellen auf Grund ihres Gepräges von vornherein nicht geeignet erscheinen, in gleichem Maße anziehend auf Kinder und Jugendliche zu wirken. Sie unterscheiden sich namentlich im Hinblick auf Art und Umfang der angebotenen Glücksspiele. Der überwiegende Teil des Angebots besteht aus Lotterien. Soweit dort Sportwetten vermittelt werden, gibt es typischerweise eine (wesentlich) geringere Angebotspalette. Insbesondere fehlt es an Livewetten, denen ein besonders hohes Suchtpotenzial zugeschrieben wird (vgl. auch LT-Drs. 18/5861, S. 9). Zur Wesensverschiedenheit trägt dessen ungeachtet namentlich der Umstand bei, dass Annahmestellen neben dem staatlichen Glücksspielangebot Artikel des täglichen Lebens wie Zeitungen, Tabakwaren, Schreibwaren, Getränke und Snacks führen, so dass auch Kunden, die nicht an einem Glücksspiel teilnehmen wollen, den Eindruck der Annahmestelle prägen. Schon deshalb ist ihnen eine völlig andere Gestaltung und Atmosphäre zu eigen. Die Tatsache, dass dort gerade auch Kunden ein- und ausgehen, die mit gewöhnlichen, ihren Alltagsbedarf deckenden Bedürfnissen befasst sind, gibt den Annahmestellen ein anderes, alltäglicheres und weniger auf die Befriedigung des Spieltriebs ausgerichtetes Gepräge (vgl. auch LT-Drs. 18/5861, S. 9). Dahingegen finden sich in einer Wettvermittlungsstelle ausschließlich Kunden, die Sportwetten abschließen möchten und sich hierfür gegebenenfalls auch über Stunden in den typischerweise aufgrund ihrer Gestaltung sowie ihres Angebots zum längeren Verweilen einladenden Räumlichkeiten aufhalten (vgl. auch VG Berlin, B.v. 12.6.2020 – 4 L 290/19 – juris Rn. 34 ff.). Nach alledem steht es nicht zu erwarten, dass ein Mindestabstand für Wettvermittlungsstellen zu einer stärkeren Wahrnehmung und ggf. Nutzung im Umgriff von Einrichtungen i.S.d. Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV befindlicher Toto-/Lotto-Annahmestellen führt sowie damit o.g. gesetzgeberische Ziele einer Begrenzung des Einflusses von Glücksspielen auf Kinder und Jugendliche konterkariert (vgl. zum Ganzen auch VG Leipzig, B.v. 31.1.2022 – 5 L 23/22 – juris Rn. 69 f.). Beide Vertriebsformen sind wesensverschieden und haben unterschiedliche Gefährdungspotenziale, so dass weder eine Ungleichbehandlung wesentlich Gleichem noch eine inkohärente Reglementierung erkennbar ist. Die Regelung des Art. 7a AGGlüStV tritt unabhängig hiervon mit Ablauf des 30. Juni 2024 außer Kraft, erlaubt übergangsweise die Vermittlung von Sportwetten in Annahmestellen für die ausweislich der vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt veröffentlichten sog. White-List konzessionierte Sportwettveranstalterin … S. GmbH und dient letztendlich aber im Einklang mit §§ 21a Abs. 2 und 29 Abs. 6 GlüStV 2021 der konsistenten Abwicklung des übergangsweise begrenzten Sportwettangebots: So war bislang in zahlreichen staatlichen Toto-/Lotto-Annahmestellen die Teilnahme an Sportwetten möglich. Die Veranstaltung dieser Sportwetten diente dem – mit Inkrafttreten des aktuellen Glücksspielstaatsvertrags 2021 für Sportwetten entfallenden – staatlichen Auftrag aus § 10 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2012/ 2020, ein ausreichendes Glücksspielangebot als Alternative zum Schwarzmarkt sicherzustellen. Ein insoweit übergangsweise beschränktes Sportwettangebot ermöglicht Kunden und Betreibern der Annahmestellen, sich auf die Rechtsänderung einzustellen. Dies dient letztlich auch einer Vermeidung der Abwanderung von bisherigen Teilnehmern der Sportwette „Oddset“ (vgl. LT-Drs. 18/11128, S. 161) in den Schwarzmarkt (vgl. auch bereits VG Augsburg, B.v. 4.7.2022 – Au 8 S 22.765 – juris Rn. 101 ff.).
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c) Das im Bereich des Radius von 250 Metern Entfernung zur streitgegenständlichen Wettvermittlungsstelle liegende berufliche Schulzentrum stellt eine als schützenswert im Sinne des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV zu qualifizierende Einrichtung dar.
43
Anhaltspunkte, dass sich die Einrichtung außerhalb des 250 m-Radius befindet, liegen nicht vor. Aus der in den Plan eingezeichneten Messung (Bl. 406 der Behördenakte) ergibt sich vielmehr nachvollziehbar, dass die vom Antragsgegner vorgenommene Messung von den Häuserkanten der Wettvermittlungsstelle bzw. der Wirtschaftsschule einen Abstand von 196 m ergibt und der Luftlinienabstand zwischen den beiden Eingangstüren damit noch geringer ausfallen dürfte. Da sich auf dem Gelände des beruflichen Schulzentrums auch eine Wirtschaftsschule befindet, die Schülern ab der fünften bzw. ab der sechsten Jahrgangsstufe offensteht, handelt es sich auch offensichtlich um eine bestehende Schule für Kinder und Jugendliche im Sinne des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV.
44
Im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner nach dem 31. Dezember 2022 die Erlaubnis für den Betrieb der streitgegenständlichen Wettvermittlungsstelle wegen Nichteinhaltung des Abstandsgebots ohnehin hätte versagen müssen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV), weil die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle den gesetzlichen vorgegebenen Abstand zur o.g. Einrichtung nach Aktenlage unterschreitet, war es auch nicht ermessensfehlerhaft, die Erlaubnis von vornherein bis zu dem längst möglichen Zeitpunkt, nach dem der Betrieb nicht mehr erlaubnisfähig gewesen wäre, zu befristen, zumal die Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 in jedem Fall zu befristen ist. Gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler nach § 114 Satz 1 VwGO sind, zumal bei summarischer Prüfung, nicht ersichtlich. Insbesondere ein Ermessensausfall liegt angesichts der Ausführungen im Bescheid vom 10. November 2022 u.a. zur Frage eines atypischen Falls sowie der Öffnungszeiten nicht vor (zum Ganzen VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 18).
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4. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO ist statthaft (vgl. dazu VG Würzburg, B.v. 10.1.2023 – W 5 E 22.1986 – juris Rn. 22), aber nicht erfolgreich.
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Nach den vorstehenden Ausführungen, auf welche entsprechend Bezug genommen wird, bleibt der Antrag ohne Erfolg, weil sich die Befristung voraussichtlich als rechtmäßig erweist und die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch – gerichtet zumindest auf Weiterbetrieb über den 31. Dezember 2022 hinaus – glaubhaft zu machen vermag.
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5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. auch VG München, U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris).