Titel:
Unbegründeter Schadensersatzanspruch wegen eines mit einer behaupteten Abgasmanipulation erworbenen Dieselfahrzeugs mit einem Motor der Baureihe EA 288
Normenketten:
BGB § 276 Abs. 1 S. 1, § 823 Abs. 2, § 826
OWIG § 11 Abs. 2, Alt. 2
Leitsätze:
1. Der Fahrlässigkeitsmaßstab bei Schutzgesetzverletzungen ist ein einheitlicher; ein unvermeidbarer Verbotsirrtum lässt den Schuldvorwurf nicht nur bei der Verletzung eines Straftatbestandes entfallen, sondern auch bei Verstößen gegen andere öffentlich-rechtliche Bestimmungen (vgl. beispielsweise § 11 Abs. 2, 2. Alt. OWiG). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Umfassende behördliche Untersuchungen von Motoren der Baureihe EA 288 ergaben, dass darin „keine unzulässige Abschalteinrichtung“ verbaut ist. Anders als bei Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 ist auch kein Software-Update notwendig, um den Bestand der Betriebserlaubnis nicht zu gefährden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dieselfahrzeug, VW Golf TD, Dieselmotor der Baureihe EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Abgasmanipulation, Schutzgesetz
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 12.08.2022 – 23 O 18/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8929
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 12.08.2022, Az. 23 O 18/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.847,68 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines von ihm erworbenen Dieselfahrzeugs wegen behaupteter Abgasmanipulationen auf Schadenersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb am 12.03.2020 von einer privaten Verkäuferin einen Gebrauchtwagen der Marke VW Golf TD mit einer seinerzeitigen Laufleistung von 95.000 km zu einem Preis von 22.000,00 EUR. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm er ein Bankdarlehen auf.
3
Das Fahrzeug des Klägers ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet, der der Schadstoffklasse Euro 6 unterfällt und über ein Abgasnachbehandlungssystem in Form eines NOx-Speicherkatalysators (NSK) verfügt. In der Motorsteuerung ist neben einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (sog. Thermofenster) eine Funktion implementiert, mittels derer das Fahrzeug anhand von Fahrkurven erkennt, ob es sich auf dem Prüfstand für den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befindet. Die Typgenehmigung für den Fahrzeugtyp war am 10.10.2014 erteilt worden (vgl. Zulassungsbescheinigung).
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Der Kläger behauptet, dass die Prüfzykluserkennung eine Umschaltung in einen besonderen Betriebsmodus bewirke, in dem die Abgasreinigung gezielt verstärkt werde, so dass die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten würden. Er macht ferner geltend, dass es sich bei dem Thermofenster, dessen konkrete Beratung zwischen den Parteien streitig ist, um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) VO 715/2007 handele.
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte ihm wegen der Implementierung der genannten Funktionen in der Motorsteuerungssoftware zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet sei.
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Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 12.08.2022 abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in jenem Urteil wird Bezug genommen.
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Der Kläger hat gegen das seinem anwaltlichen Vertreter am 17.08.2022 zugestellte Urteil über diesen mit Schriftsatz vom 19.09.2022, eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag (einem Montag), Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel wurde mit weiterem Schriftsatz des Klägervertreters vom 31.01.2023, eingegangen am 06.02.2023, innerhalb mit Zustimmung der Gegenseite verlängerter Frist begründet. Auf die Berufungsbegründung (Bl. 269/313 d.A.) wird Bezug genommen.
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Der Kläger hat im Berufungsverfahren beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.847,68 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 25.147,93 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … und Abtretung des dem Kläger gegenüber der … Bank … aus dem Darlehensvertrag mit der Darlehensnummer … zustehenden Anspruchs auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.
2. Der Rechtsstreit wird hinsichtlich desjenigen Betrages, um den sich der Anspruch aufgrund der Weiternutzung des Fahrzeugs reduziert hat, im Übrigen für erledigt erklärt.
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Hilfsweise hat der Kläger beantragt:
3. Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger 8.115,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie den Kläger von weiteren Verbindlichkeiten in Höhe von 13.458,49 EUR aus dem Darlehensvertrag mit der Darlehensnummer … mit der … Bank … freizustellen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … und Übertragung des dem Kläger gegenüber der S… Bank … zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.
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„Äußerst hilfsweise“ hat der Kläger beantragt,
4. das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.
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Weiter hat der Kläger beantragt:
5. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte und Berufungsbeklagte mit der Annahme der in den vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug Leistung im Annahmeverzug befindet.
6. Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, den Kläger und Berufungskläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.728,48 EUR freizustellen.
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Der Senat hat die Parteien mit Beschluss vom 08.02.2023 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen (Bl. 315/324 d. A.). Der Kläger hat hierauf mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters vom 22.03.2023 erwidert (Bl. 329/333).
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Die Zurückweisung der Berufung beruht auf § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
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1) Das Rechtsmittel hat nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Zur Begründung wird auf die Ausführungen in dem Hinweisbeschluss vom 08.02.2022 Bezug genommen, in denen umfassend erläutert wurde, weshalb sich die geltend gemachten Ansprüche weder auf § 826 BGB noch auf § 823 Abs. 2 BGB stützen lassen.
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Der hierauf erwidernde Schriftsatz der Klägerseite vom 22.03.2023 führt zu keiner abweichenden Bewertung. Da darin auf die Begründung des Senats zum Nichtbestehen eines Anspruchs aus § 826 BGB nicht eingegangen, sondern im Lichte der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des EuGH in der Sache C-100/21 vom 21.03.2023 die Frage eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie (EG) 2007/46 und Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 in den Mittelpunkt gerückt wird, besteht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO auch nur insoweit Anlass zu ergänzenden Ausführungen.
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Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB scheiden auch unter Berücksichtigung der genannten EuGH-Entscheidung aus. Der EuGH hat zwar entschieden, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie (EG) 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern auch Individualinteressen von Fahrzeugerwerbern schützen. Ein auf eine Verletzung jener Vorschriften gestützter Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB käme gleichwohl auch dann nicht in Betracht, wenn der BGH – der in ständiger Rechtsprechung darauf hinweist, dass nur die nationalen Gerichte berufen und in der Lage sind, unionsrechtliche Vorschriften unter das Konzept einer drittschützenden Norm zu subsumieren (BGH, Beschluss vom 04.05.2022, VII ZR 656/21 Rn. 3) – seine bisherige Rechtsprechung, wonach weder §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV noch Art. 5 VO (EG) 715/2007 Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern schützen (vgl. Urteil vom 30.07.2020 – Az. VI 5/20), im Anschluss an das genannte EuGH-Urteil ändern würde.
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a. Angesichts der im Hinweisbeschluss wiedergegebenen amtlichen Auskunft des KBA vom 21.09.2021 besteht schon kein greifbarer Anhalt dafür, dass es sich bei der Zykluserkennung und dem Thermofenster um unzulässige Abschalteinrichtungen i.S.v. Art. 5 Abs. 2 VO (WG) 715/2007 handelt, also überhaupt ein objektiver Verstoß der Beklagten gegen jene Bestimmung vorliegt:
- In Bezug auf die Zykluserkennung hat das KBA erläutert, dass diese aus dortiger Sicht jedenfalls gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. c) VO (EG) 715/2007 zulässig sei, weil es ihrer bedürfe, um sicherzustellen, dass sich der NSK während der Typprüfung mindestens einmal regeneriere und die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte auch bei Deaktivierung der Funktion nicht überschritten werden.
- In Bezug auf das Thermofenster hat die Behörde in derselben Auskunft ausdrücklich erklärt, dass „mit Bezug auf die temperaturbezogene AGR-Regelung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt“ worden sei. Da jene Auskunft nach dem Urteil des EuGH vom 17.12.2020 erging, besteht kein Zweifel, dass das KBA die in jener Entscheidung postulierte enge Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit a) VO (EG) 715/2007, wonach die Vorschrift nur Vorrichtungen erfasst, die dazu dienen, plötzliche und irreparable Motorschäden zu vermeiden, bei seiner Auskunft berücksichtigt hat.
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b. Unabhängig davon, dass somit schon kein greifbarer Anhalt dafür besteht, dass die Beklagte überhaupt gegen Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 verstoßen hat, wäre aufgrund der genannten KBA-Auskunft jedenfalls das für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB – neben einer objektiven Schutzgesetzverletzung – erforderliche Verschulden zu verneinen. Aus Satz 2 der Vorschrift folgt, dass eine Ersatzpflicht auch dann nur im Falle eines Verschuldens eintritt, wenn nach dem Inhalt des Schutzgesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich ist.
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Soweit in dem Schriftsatz des Klägervertreters vom 22.03.2023 behauptet wird, die für die Beklagte handelnden Personen hätten vorsätzlich gegen die genannten Bestimmungen verstoßen, fehlt hierfür jeder Anhalt. Insofern wird auf die Ausführungen unter II a) des Hinweisbeschlusses verwiesen.
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Zwar genügt für ein Verschulden i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB – anders als für einen Anspruch aus § 826 BGB – Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Wie im Hinweisbeschluss unter Ziffer II c) erläutert, ist eine Schutzgesetzverletzung indes nicht als fahrlässig begangen anzusehen, wenn sie auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung des Betroffenen beruht, die von der für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständigen Behörde bei Einholung einer entsprechenden Erkundigung bestätigt worden wäre (BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 – VI ZR 424/16, zitiert nach juris Rn. 15 ff.; Wagner in: Münchner Kommentar, BGB, 8. Auflage, § 823 Rn. 610; Förster in: BeckOK, BGB, 62. Edition, § 823, Rn. 285).
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Die Auffassung des Klägervertreters, wonach dies nur bei Verstößen gegen Straftatbestände gelte, findet weder im Gesetz noch in der zitierten BGH-Entscheidung eine Stütze. Der Fahrlässigkeitsmaßstab bei Schutzgesetzverletzungen ist ein einheitlicher; ein unvermeidbarer Verbotsirrtum lässt den Schuldvorwurf nicht nur bei der Verletzung eines Straftatbestandes entfallen, sondern auch bei Verstößen gegen andere öffentlich-rechtliche Bestimmungen (vgl. nur § 11 Abs. 2, 2. Alt. OWiG).
22
Der Senat hält unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Einwände im Schriftsatz des Klägervertreters vom 22.03.2023 an seiner Ansicht fest, dass ein etwaiger Verstoß der Beklagten gegen Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie (EG) 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 unter diesem Gesichtspunkt als nicht schuldhaft anzusehen wäre. Denn aufgrund des Inhalts der amtlichen Auskunft vom 21.09.2021 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das KBA als für den Vollzug der in Rede stehenden Vorschriften zuständige Behörde der Beklagten auch im Falle eines entsprechenden Auskunftsersuchens unter Offenlegung der Fahrkurvenerkennung und des Thermofensters vor Einleitung des Typgenehmigungsverfahrens im Jahr 2014 mitgeteilt hätte, dass es beide Funktionen als gesetzeskonform erachte.
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Dass die genannte Auskunft erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals erteilt wurden, steht dem erläuterten Schluss nicht entgegen. In Bezug auf das Thermofenster gilt dies umso mehr, als die weite Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit a) VO (EG) 715/2007, der zufolge jener Ausnahmetatbestand auch Vorrichtungen erfasse, die einer Vermeidung bloßer Verschleiß schäden dienen, bei Erteilung der Typgenehmigung im Oktober 2014 noch allgemeiner Auffassung entsprach. Dass das KBA in seiner Auskunft vom 21.09.2021 trotz des zwischenzeitlich ergangenen EuGH-Urteils vom 17.12.2020, demzufolge der genannte Ausnahmetatbestand eng auszulegen ist und nur Vorrichtungen erfasst, die dazu dienen, plötzliche und irreparable Motorschäden zu vermeiden, erklärte, dass „mit Bezug auf die temperaturbezogene AGR-Regelung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt“ worden sei, lässt umso weniger Raum für Zweifel daran, dass die Behörde eine entsprechende Auskunft auch bereits im Falle eines hypothetischen Auskunftsersuchens der Beklagten im Jahr 2014 erteilt hätte.
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Soweit der Klägervertreter dieser Annahme in dem Schriftsatz vom 22.03.2023 entgegentritt, setzt er lediglich seine eigenen Schlüsse an die Stelle derer des Senats.
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Die Ansicht des Klägervertreters, wonach das oben angeführte BGH-Urteil vom 27.07.2017 auf die hiesige Konstellation deshalb nicht übertragbar sei, weil im Bezugsfall ein „Wissensgefälle“ zwischen der Vollzugsbehörde (der BaFin) und dem dortigen Beklagten bestanden habe, von dem in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Beklagten und dem KBA im vorliegenden Fall keine Rede sein könne, trifft nicht zu. Ist ein Schutzgesetz mehreren Auslegungen zugänglich, muss sich derjenige, der das betreffende Gesetz zu befolgen hat, aus Gründen des Vertrauensschutzes auf eine Auskunft der für den Vollzug zuständigen Behörde unabhängig davon verlassen können, ob diese ihm gegenüber einen Wissensvorsprung hat oder nicht.
26
c. Ergänzend zu den Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 08.02.2023 ist noch anzumerken, dass dem Kläger durch die beanstandeten Vorrichtungen auch kein für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzter Schaden entstanden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann derjenige, der durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages veranlasst worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, zwar auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19). Dabei kann aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts der Erfahrungssatz abgeleitet werden, dass kein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann, sodass davon auszugehen ist, dass ein solcher Käufer den Kaufvertrag in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung nicht abgeschlossen hätte (vgl. BGH, a.a.O.).
27
Ein solcher Erfahrungssatz greift in Fällen wie dem vorliegenden nicht ein, weil dem Fahrzeug des Klägers zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohte (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.03.2022, 8 U 245/21). Das Kraftfahrtbundesamt hat keine Regelungen zur Typengenehmigung – etwa in Form von Nebenbestimmungen – getroffen, die Einfluss auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenraum gehabt hätten. Angesichts mehrerer aktueller amtlicher Auskünfte des KBA (etwa der oben mehrfach genannten vom 21.09.2021), wonach umfassende behördliche Untersuchungen von Motoren der Baureihe EA 288, die – wie der Motor im klägerischen Fahrzeug – der Schadstoffklasse Euro 6 unterfallen und mit einem NOx-Speicherkatalysator ausgestattet sind, ergaben, dass darin „keine unzulässige Abschalteinrichtung“ verbaut ist, stehen entsprechende Anordnungen auch weiterhin nicht im Raum. Der Kläger konnte und kann sein Fahrzeug benutzen. Anders als bei Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 ist auch kein Software-Update notwendig, um den Bestand der Betriebserlaubnis nicht zu gefährden (vgl. hierzu OLG Frankfurt a.a.O., m.w.N.).
28
2) Die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nach einstimmiger Überzeugung des Senats ebenfalls vor.
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Insbesondere steht ihr das Erfordernis der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 522 Abs. 2 Satz Nr. 3 ZPO) nicht entgegen. Zurückweisungen von Berufungen gegen klageabweisende Urteile sind vom Bundesgerichtshof in mehreren Parallelverfahren zu Fahrzeugen mit Motoren der Baureihe EA 288 gebilligt worden – auch noch nach der im Erwiderungsschriftsatz des Klägervertreters zitierten Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022 – so erst jüngst durch Beschlüsse vom 23.01.2023 (Az.: VIa ZR 724/22) und vom 30.01.2023 (VIa ZR 663/22). Wie die Berufungsgerichte, deren Entscheidungen vom BGH mit jenen beiden Beschlüssen bestätigt wurden, stützt auch der erkennende Senat die Zurückweisung der Berufung im vorliegenden Fall selbständig tragend auf Erwägungen, die von den Fragestellungen, über die der BGH im Anschluss an das am 21.03.2023 ergangene Urteil des EuGH zu entscheiden hat, unabhängig sind.
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3) Da Gründe, von der Soll-Bestimmung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO abzuweichen, nicht gegeben sind, war die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO und die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren auf §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO