Titel:
Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn gegen gewerbegebietstypische Lagerhallen
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 6
BauNVO § 8 Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:
1. Eine bauliche Anlage hat erdrückende Wirkung und ist deshalb rücksichtslos, wenn sie wegen ihrer Ausmaße ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derartig übermächtig ist, dass sein Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Betriebsbezogenes Wohnen ist im Gewerbegebiet nur ausnahmsweise zulässig (vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO) und im Fall seiner Zulassungsfähigkeit grundsätzlich nicht gesteigert schutzwürdig. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbareilantrag, Befreiung von Festsetzung eines Bebauungsplans zur Wandhöhe, Abstandsflächen, Gebot der Rücksichtnahme, erdrückende Wirkung, Aufschüttung, gewerbegebietstypische Hallenbauten, Betriebsleiterwohnung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 27.01.2023 – W 5 S 22.1798
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8767
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich als Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke (FlNr. … und Fl.Nr. …, jeweils Gemarkung K. …) gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung von zwei Lagerhallen mit zweigeschossigem Kopfbau und Großraumbüro im Obergeschoss (Baugrundstück: Fl.Nr. … derselben Gemarkung).
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Die Grundstücke des Antragstellers und das südöstlich davon befindliche Baugrundstück liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „…“ in der Fassung seiner 3. Änderung, bekanntgemacht am 29. Januar 2016. Dieser setzt dort hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein Gewerbegebiet und hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung u.a. eine zulässige maximale Wandhöhe von 6,50 m fest.
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Gegen die den Beigeladenen mit Bescheid vom 11. Oktober 2022 erteilte Baugenehmigung, mit der die beantragte Befreiung wegen der Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Wandhöhe um max. 1,05 m gewährt wurde, hat der Antragsteller Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Januar 2023 ab. Die Klage werde mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Das streitgegenständliche Bauvorhaben verstoße nicht gegen Abstandsflächenrecht. In Gewerbegebieten betrage die Abstandsfläche 0,2 H, mindestens 3 m. Diese werde auch mit Blick auf die sich aus den Plänen ergebende Geländeaufschüttung unzweifelhaft eingehalten. Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften ergebe sich auch nicht aus dem Bauplanungsrecht. Soweit das Bauvorhaben von der Festsetzung des gültigen Bebauungsplans zur zulässigen Wandhöhe von 6,50 m abweiche, habe das Landratsamt eine Befreiung erteilt. Ob diese im Hinblick auf die Aufschüttung bzw. die für die Bemessung der Wandhöhe maßgebliche Geländeoberfläche objektiven Bestimmtheitsanforderungen genüge, könne offenbleiben, weil die Maßfestsetzung zur Wandhöhe nach ihrem Zweck, wie er sich anhand der Auslegung des Bebauungsplans ergebe, nicht dem Nachbarschutz diene. Das als nachbarschützend allein in Betracht kommende Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt. Hierfür spreche schon die Einhaltung des Abstandsflächenrechts. Eine erdrückende oder einmauernde Wirkung sei nicht gegeben. Anhaltspunkte für eine unzureichende Entwässerungssituation bestünden ebenfalls nicht.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Es sei zu berücksichtigen, dass auf den nach Aufschüttung vorhandenen Boden eine ca. 60 cm hohe Schotterschicht, darauf die Bodenplatte und hierauf der eigentliche Hallenbau komme. Es entstehe eine über 9 m hohe und 49 m lange, erdrückend wirkende Mauer, die fast komplett entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze verlaufe. Diese werde sich negativ auf eine vom Antragsteller geplante Bebauung mit einem Bürogebäude mit Betriebsleiterwohnung auf einer derzeitigen Grünfläche auswirken. Die Bauvoranfrage sei am 19. August 2021 gestellt worden. Zwischen dem geplanten Gebäude und der Hallenwand der Beigeladenen liege nur die 3 m breite Zufahrt des Antragstellers und die 3 m breite Abstandsfläche. Es sei von einem Einmauerungseffekt aufgrund der Länge und der Höhe der Wand der genehmigten Halle auszugehen. Hinsichtlich der Hallenhöhe sei insbesondere zu berücksichtigen, dass bereits die sich aus den Plänen ergebende Aufschüttung des Baugrundstücks um 0,56 m höher sein werde, als die Auffüllungen auf den Nachbargrundstücken. Auf diesen habe man sich am natürlichen Gelände orientiert und maximal 2 m aufgefüllt. Das Bauvorhaben füge sich daher nicht in das Gesamtbild ein. Die Aufschüttung führe außerdem zu einer Beeinträchtigung durch herabfließendes Wasser, insbesondere bei Stark- und langanhaltendem Regen. Der vorgelegte Plan sei zudem hinsichtlich der Höheneinstellung falsch. Tatsächlich werde das Bauvorhaben wegen der Höhe der bereits vorgenommenen Aufschüttung sogar ca. 3 m über dem natürlichen Gelände liegen, während das Grundstück des Antragsstellers nur ca. 1,90 m höher sei. Das habe das Landratsamt nunmehr auch selbst festgestellt und mit Bescheid vom 5. April 2023 einen Baustopp verhängt.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. Januar 2023 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verteidigt den angegriffenen Beschluss und weist darauf hin, dass die Beigeladenen hinsichtlich einer zwischenzeitlich festgestellten abweichenden Bauausführung aufgefordert worden seien, einen Tekturantrag zu stellen.
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Die Beigeladenen haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
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Die von ihm dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, wird die Klage des Antragstellers gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Oktober 2022 voraussichtlich erfolglos bleiben, da diese nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die zumindest auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen folgendes zu bemerken:
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1. Das Bauvorhaben der Beigeladenen verstößt auch mit Blick auf ein eigenes Bauvorhaben des Antragstellers (Bürogebäude mit Betriebsleiterwohnung) nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
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Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine bauliche Anlage erdrückende Wirkung hat und deshalb rücksichtslos ist, wenn sie wegen ihrer Ausmaße ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derartig übermächtig ist, dass sein Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. Siegmund in BeckOK BauGB, Stand Dezember 2022, § 31, Rn. 108 m.w.N.; vgl. z.B. auch BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 17 m.w.N.). Es hat danach zutreffend darauf abgestellt, dass das Bauvorhaben in Anbetracht der Einhaltung der Abstandsflächen (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2023 – 9 ZB 22.2569 – juris Rn. 11 m.w.N.), der nicht gravierenden Überschreitung der Wandhöhenfestsetzung des Bebauungsplans, selbst unter Berücksichtigung der Aufschüttung, und der Lage der Grundstücke in einem Gewerbegebiet vorliegend nicht als rücksichtslos angesehen werden kann. Es entsteht zu den Grundstücken des Antragstellers hin zwar eine 49 m lange durchgehende Wandfläche. Diese belässt im Hinblick auf die Gesamtlänge der gemeinsamen Grundstücksgrenze von 67,50 m aber noch genügend Freiraum. Abgesehen davon ermöglicht der Bebauungsplan gerade die Errichtung derart langgestreckter und gewerbegebietstypischer Hallenbauten. Die Stellung des Antragstellers als Nachbar ist insoweit nicht als besonders empfindlich oder schutzwürdig einzustufen (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 23). Zwar überschreitet das Bauvorhaben die Festsetzung des Bebauungsplans zur Wandhöhe zum Teil um 1,05 m und die unmittelbar benachbarte Halle wird nicht auf dem natürlichen Gelände errichtet, sondern nach den genehmigten Plänen auf einer bis zu 2,57 m hohen Aufschüttung. Dies führt aber ebenfalls nicht zur Unzumutbarkeit der Ausmaße der benachbarten Halle, zumal die unmittelbar benachbarte Wandfläche eine Höhe von 6,50 m ab der neuen Geländeoberfläche einhält und nach eigenem Bekunden des Antragstellers auch auf seinen Grundstücken gewisse Aufschüttungen vorgenommen wurden. Auch die zur Untermauerung seines Vortrags vorgelegten Lichtbilder mit veranschaulichenden Maßangaben und Einzeichnungen lassen nicht erkennen, dass dessen gewerblich zu nutzenden Grundstücke durch die Gesamtwirkung des Baukörpers übermäßigen Belastungen ausgesetzt sein werden. Dies gilt selbst in Anbetracht eines vom Antragsteller geplanten Bürogebäudes mit Betriebsleiterwohnung. Betriebsbezogenes Wohnen, welches im Gewerbegebiet nur ausnahmsweise zulässig ist (vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO), wäre im Fall seiner Zulassungsfähigkeit grundsätzlich nicht gesteigert schutzwürdig (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand Oktober 2022, § 8 Rn. 40; Schmidt-Bleker in BeckOK BauNVO, Stand Januar 2023, § 8 Rn. 190).
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2. Das Verwaltungsgericht hat aufgrund des Vorbringens des Antragstellers keine Anhaltspunkte für eine durch das Bauvorhaben verursachte, unzureichende Entwässerungssituation gesehen, durch die die Schwelle zur bauplanungsrechtlichen Rücksichtslosigkeit überschritten sein könnte. Der Hinweis des Antragstellers auf Starkregen bzw. langanhaltenden Regen gibt dem Senat keinen Anlass, diese nach Aktenlage gut nachvollziehbare Einschätzung zu hinterfragen.
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3. Darüber hinaus kann dahinstehen, inwieweit die tatsächliche Bauausführung hinsichtlich der Höheneinstellung der Hauptbaukörper von der angefochtenen Baugenehmigung abweicht. Auch die deshalb angeordnete Baueinstellung und die Frage, ob die Abweichungen genehmigungsfähig wären, berühren die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Baugenehmigung nicht. All dies ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladenen haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert bzw. keinen Antrag gestellt. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 9.7.1, 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013; sie entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).