Titel:
Klage gegen Erschließungsbeitrag
Normenketten:
BayKAG Art. 5a Abs. 1, Abs. 7 S. 2
BauGB § 127 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 2 S. 1
BayStrWG Art. 6
VwVfG § 35 S. 2, § 41
Leitsätze:
1. Die Öffentlichkeit einer Erschließungsanlage ist Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten, selbst wenn sie bereits endgültig hergestellt ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erst wenn die Straße vollständig gewidmet ist oder als gewidmet gilt, stellt sie eine öffentliche Einrichtung dar, für die Erschließungsbeiträge erhoben werden dürfen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Widmung erfolgt in der Regel durch eine förmliche Widmungsverfügung, die in einem formalisierten Verfahren der Allgemeinheit bekannt zu machen ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitrag, Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, Öffentliche Erschließungsanlage, Anbaustraße, Vollständige Widmung, öffentliche Bekanntmachung der Widmungsverfügung (Amtsblatt), Bestandsverzeichnis (Keine) Widmung durch Eintragung bestimmter Flurnummern in Bestandsverzeichnis, Beitragserhebungsverbot, öffentliche Erschließungsanlage, vollständige Widmung, Bestandsverzeichnis, (keine) Widmung durch Eintragung bestimmter Flurnummern in Bestandsverzeichnis
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 17.06.2021 – Au 2 K 19.696
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8762
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. Juni 2021 – Au 2 K 19.696 – abgeän¬dert.
Der Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2016 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Au. vom 10. April 2019 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war not¬wendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden‚ sofern nicht die Klägerin vorher Sicher¬heit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung der 384 m langen Erschließungsanlage „Z. straße (West)“, die – in Verlängerung der alten Z. straße – ein Industriegebiet am Ortsrand der beklagten Stadt erschließt.
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1. Mit dem Bau der Straße wurde 1991 begonnen. Mit Herstellung der Parkbuchten sowie dem Geh- und Radweg auf dem Grundstück FlNr. 585/3 (Teilfläche) waren die Bauarbeiten im Jahr 2001 abgeschlossen. Auf der Grundlage eines Baumpflanzungsplans des Landschaftsarchitekten M. vom 2. Februar 2006 wurde in den Jahren 2009 bis 2012 der bis dahin durchgehend mit Rasen bewachsene (südliche) Randstreifen auf den Grundstücken FlNrn. 579/84, 579/79 und 585/9 mit Bäumen bepflanzt. Die insoweit abschließenden Rechnungen der Firma O. und des Landschaftsarchitekten M. datieren vom 31. Oktober und 6. November 2012 und gingen bei der Beklagten am 7. November 2012 ein.
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Die Straßenflächen und die südlich angrenzenden Grundstücksflächen liegen im Geltungsbereich des am 29. Juni 1995 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. J9 „Zwischen Bahnlinie, Bundesstraße 2 neu und Z. straße“, der unter anderem die Straßenbegrenzungslinien und das Straßenbegleitgrün als grüne Parkplätze und Grünstreifen mit zu pflanzenden Straßenbäumen festsetzt.
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Die Z. straße (West) ist als O. straße gewidmet. Nach Vortrag der Beklagten war die erstmalige Bekanntmachung der Widmung im Amtsblatt vom 26. August 1996 ohne entsprechenden Stadtratsbeschluss erfolgt; vorsorglich wurde die Widmung deshalb auf der Grundlage eines am 28. Oktober 2015 gefassten Stadtratsbeschlusses wiederholt. Diese im Amtsblatt am 12. November 2015 bekanntgemachte Widmung benennt als Widmungsgegenstand – ebenso wie bereits die 1996 erfolgte Bekanntmachung – nur das Grundstück FlNr. 585/3 (Teilfläche). Mit diesem Inhalt war die Straße zunächst im Bestandsverzeichnis der Beklagten geführt (Eintragungsverfügung vom 5.2.2016). Mit Eintragungsverfügung vom 15. Oktober 2018 wurden als redaktionelle Änderung ohne Stadtratsbeschluss die drei weiteren, das Straßenbegleitgrün bildenden Grundstücke in das Bestandsverzeichnis aufgenommen.
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Mit Bescheiden vom 28. Dezember 2016 zog die Beklagte die Klägerin für mehrere gewerblich genutzte (Anlieger-)Grundstücke zu Erschließungsbeiträgen für die endgültige Herstellung der Z. straße (West) in Höhe von insgesamt 344.185,02 € heran. Für das im vorliegenden Verfahren allein streitgegenständliche Grundstück FlNr. 588/2 setzte sie einen endgültigen Beitrag in Höhe von 3.611,16 € fest und verlangte unter Anrechnung von Vorausleistungen in Höhe von 1.209,25 € noch die Zahlung von 2.401,91 €.
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2. Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht erhoben und insbesondere geltend gemacht: Der Erschließungsbeitragsbescheid sei rechtswidrig, da spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2005 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Denn die danach durchgeführten Pflanzarbeiten auf den Grundstücken FlNrn. 579/84, 579/79 und 585/9 gehörten nicht mehr zur erstmaligen Herstellung der Erschließungsanlage. Selbst wenn das der Fall sein sollte, wäre der Bescheid verspätet. Denn dann wäre die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2016 abgelaufen. Der Beitragsbescheid datiere zwar vom 28. Dezember 2016; es erscheine aber naheliegend, dass er erst nach dem Jahreswechsel und damit nicht mehr fristwahrend zur Post gegeben worden sei, weil er bei der Klägerin erst am 9. Januar 2017 eingegangen sei. Schließlich sei die Beitragserhebung auch deshalb rechtswidrig, weil die Straße nicht in vollem Umfang gewidmet sei.
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Mit Urteil vom 17. Juni 2021 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beitragserhebung sei rechtmäßig und nicht aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung ausgeschlossen. Bei dem mit Bäumen bepflanzten Grünstreifen auf den FlNrn. 579/84, 579/79 und 585/9 handele es sich um einen Bestandteil der Erschließungsanlage „Z. straße (West)“. Diese Flächen befänden sich im Eigentum der Beklagten und seien aufgrund der Eintragung im Bestandsverzeichnis wirksam als O. straße gewidmet. Erst die ab 2009 durchgeführte Bepflanzung habe dem im Bebauungsplan enthaltenen und durch den Ausführungsplan des Landschaftsarchitekten M. vom 2. Februar 2006 konkretisierten Bauprogramm entsprochen. Sie gehöre demnach zur erstmaligen Herstellung der Erschließungsanlage. Die Rechnung des Landschaftsarchitekten M. vom 6. November 2012 für die beauftragte Überwachungstätigkeit der Bepflanzungs- und Pflegearbeiten stelle die „letzte Unternehmerrechnung“ dar.
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3. Mit ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie wiederholt und vertieft ihre Einwände gegen die Beitragserhebung und führt insbesondere weiter aus: Bis heute fehle die vollständige Widmung der Erschließungsanlage, da die Widmung aufgrund des Stadtratsbeschlusses vom 28. Oktober 2015 den aus den Grundstücken FlNrn. 579/84, 579/79 und 585/9 bestehende Grünstreifen nicht mitumfasse. Die „redaktionelle Änderung“ des Bestandsverzeichnisses durch Eintragungsverfügung vom 15. Oktober 2018 habe keine konstitutive Wirkung. Unabhängig davon sei jedenfalls von der endgültigen technischen Fertigstellung der Erschließungsanlage und der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten im Jahr 2001 und damit vom Eintritt der Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Jahres 2005 auszugehen, nachdem der fragliche Grundstücksstreifen zu dieser Zeit bereits als Grünfläche angelegt gewesen sei. Es spiele daher keine Rolle, wann die Baumreihe darauf angepflanzt worden sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. Juni 2021 abzuändern und den Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2016 in Form des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Au. vom 10. April 2019 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie vertritt die Auffassung, der Grundstücksstreifen aus den FlNrn. 579/84, 579/79 und 585/9 sei als Bestandteil des Straßenbegleitgrüns der Erschließungsanlage „Z. straße (West)“ zu qualifizieren, dessen Herstellung gemäß dem aus dem Bebauungsplan und seinen zeichnerischen Festsetzungen ersichtlichen konkreten Bauprogramm der Beklagten für die endgültige Herstellung der Erschließungsgesamtanlage erforderlich gewesen sei. Das ergebe sich eindeutig daraus, dass die bezeichneten Flächen innerhalb der bebauungsplanerisch festgesetzten Straßenbegrenzungslinie belegen und dort mit dem Planzeichen „Straßenbegleitgrün: grüne Parkplätze und Grünstreifen mit zu pflanzenden Straßenbäumen“ festgesetzt seien. Die Z. straße sei jedenfalls zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung insgesamt, d.h. auch hinsichtlich der einen Bestandteil der Straße darstellenden und als öffentliche Grünfläche festgesetzten FlNrn. 579/84, 579/79 und 585/9 wirksam gewidmet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, auf die von der Beklagten und vom Landratsamt vorgelegten Aktenheftungen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 23. März 2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
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Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie sind deshalb unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten für die Herstellung der Erschließungsanlage „Z. straße (West)“ können nach Art. 5a Abs. 2 KAG in Verbindung mit §§ 127 ff. BauGB nicht entstanden sein, weil die zwischen 1991 und 2001 gebaute Straße entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts bis heute nicht vollständig gewidmet und deshalb nicht öffentlich ist. Daher kommt es auf die (wohl zu verneinende) Frage nicht entscheidungserheblich an, ob die 2009 bis 2012 durchgeführten Pflanzarbeiten auf dem Grünstreifen noch zur endgültigen Herstellung gehörten und deshalb der Beitragsbescheid vom 28. Dezember 2016 die Festsetzungsfrist noch gewahrt hat.
18
1. Erschließungsbeitragsfähig sind zum Anbau bestimmte Straßen, wie die in Streit stehende Z. straße (West), gemäß § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB (Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG a.F.) nur, wenn sie öffentlich sind. Die Öffentlichkeit einer Erschließungsanlage ist Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten, selbst wenn sie bereits endgültig hergestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2011 – 6 CE 10.2875 – juris Rn. 13).
19
Das gesetzliche Merkmal „öffentlich“ ist bei Verkehrsanlagen straßenrechtlich zu verstehen. Dass die Öffentlichkeit tatsächlich zugelassen ist, genügt nicht. Denn die Verkehrsanlage muss der Allgemeinheit rechtlich gesichert und privatrechtlicher Verfügungsmacht entzogen zur Verfügung stehen, um einen beitragsrelevanten Sondervorteil auslösen zu können. Die Eigenschaft „öffentlich“ erhalten Straßen (Wege, Plätze) demnach dadurch, dass sie nach dem einschlägigen Straßengesetz, hier nach Art. 6 BayStrWG, wirksam für den öffentlichen Verkehr gewidmet werden oder kraft Gesetzes als gewidmet gelten.
20
Das bloße Vorhandensein einer förmlichen straßenrechtlichen Widmung reicht allerdings nicht aus. Sie muss sich in räumlicher Hinsicht auf alle Teile der Verkehrsanlage und ihre gesamte Ausdehnung in Länge und Breite beziehen. Erst wenn die Straße vollständig gewidmet ist oder als gewidmet gilt, stellt sie eine öffentliche Einrichtung dar, für die Erschließungsbeiträge erhoben werden dürfen (vgl. BayVGH, U.v. 13.12.2016 – 6 B 16.978 – BayVBl. 2017, 418 Rn. 18; NdsOVG, B.v. 4.3.2016 – 9 LA 154/15 – juris Rn. 39).
21
Die Widmung erfolgt in der Regel durch eine förmliche Widmungsverfügung, einer Allgemeinverfügung im Sinn des Art. 35 Satz 2, Alt. 2 BayVwVfG, die in einem formalisierten Verfahren der Allgemeinheit bekannt zu machen ist (Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 6 Rn. 1). Einer bestandskräftigen Widmungsverfügung kommt für das beitragsrechtliche Verfahren grundsätzlich Tatbestandswirkung zu (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2014 – 6 ZB 13.1050 – juris Rn. 5); das bedeutet, dass Behörden und Gerichte an die Existenz und den Inhalt einer wirksamen unanfechtbaren Widmung gebunden sind.
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2. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Z. straße (West) nicht vollständig gewidmet und deshalb keine erschließungsbeitragsfähige „öffentliche“ Erschließungsanlage im Sinn von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB.
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a) Zur Erschließungsanlage Z. straße (West) gehören – bei der erschließungsbeitragsrechtlich grundsätzlich gebotenen natürlichen Betrachtungsweise (BayVGH, B.v. 28.4.2022 – 6 ZB 21.2951 – juris Rn. 7 m.w.N.) – neben der Fahrbahn, dem begrünten Parkstreifen, dem Geh- und Radweg auch der auf der Südseite durchgehend angelegte, inzwischen mit Bäumen bepflanzte Grünstreifen als sogenanntes unselbständiges Straßenbegleitgrün. Das hat das Verwaltungsgericht auf der Grundlage des vom Berichterstatter durchgeführten Augenscheins zutreffend festgestellt und wurde von der Beklagten selbst der Beitragsabrechnung zugrunde gelegt. Mit dieser Ausdehnung umfasst die Verkehrsanlage vier Buchgrundstücke, und zwar eine Teilfläche der FlNr. 585/3, sowie die FlNrn. 579/79, 585/9 und 597/84.
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b) Die straßenrechtliche Widmung umfasst indes nicht die gesamte in Anspruch genommene Straßenfläche, sondern nur das Grundstück FlNr. 585/3 (Teilfläche).
25
Straßenrechtlich maßgeblich ist entgegen der Sichtweise des Verwaltungsgerichts und der Beklagten nicht das korrigierte aktuelle Bestandsverzeichnis, das inzwischen alle vier Grundstücke aufführt. Zur Bestimmung des Widmungsumfangs muss vielmehr auf die im Amtsblatt der Beklagten veröffentlichte Widmungsverfügung vom 10. November 2015 abgestellt werden, die auf der Grundlage des Stadtratsbeschlusses vom 28. Oktober 2015 erlassen worden ist und die allein „Fl.Nr.:585/3 Tfl.“ nennt.
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Zwar regelt der vom Verwaltungsgericht erwähnte Art. 67 Abs. 4 BayStrWG eine unwiderlegliche Widmungsfiktion, wonach bei unanfechtbarer Eintragung im Bestandsverzeichnis die Widmung als verfügt gilt. Es handelt sich jedoch um eine Übergangsvorschrift, welche die Eintragung einer alten Straße im Zusammenhang mit der Erstanlegung des Bestandsverzeichnisses nach dem Inkrafttreten des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes in seiner ursprünglichen Fassung am 1. September 1958 voraussetzt (Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 67 Rn. 38 f.). Auf die neu gebaute Z. straße (West) kann die Widmungsfiktion des Art. 67 Abs. 4 BayStrWG daher keine Anwendung finden. Es verbleibt bei den allgemeinen Vorschriften, nach denen die Straße zu widmen (Art. 6 BayStrWG) und dann mit dem entsprechenden Inhalt in das bereits angelegte Bestandsverzeichnis aufzunehmen ist (Art. 3 Abs. 2 BayStrWG). Für diesen (Regel-)Fall hat das Bestandsverzeichnis keine konstitutive Bedeutung als unwiderlegliche Vermutung, sondern lediglich Beweisfunktion als öffentliche Urkunde, während die Eintragungsverfügung eine rein interne Anweisung darstellt (Häußler, a.a.O. Art. 3 Rn. 40).
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Mit Blick auf die Z. straße (West) geht daher zur Auflösung der inhaltlichen Widersprüche die amtlich bekannt gemachte Widmungsverfügung dem Bestandsverzeichnis vor. Die Widmung benennt als Straßenfläche in Umsetzung des inhaltsgleichen Stadtratsbeschlusses vom 28. Oktober 2015, wie ausgeführt, nur „Fl.Nr.: 585/3 Tfl“. Mit diesem Umfang ist sie von der Beklagten zunächst auch in das Bestandsverzeichnis übernommen worden. Einer erweiternden Auslegung, die sich durch bloße Korrektur des Bestandsverzeichnisses umsetzen ließe, ist die (eindeutige) Widmungsverfügung im Hinblick auf die notwendige Rechtsklarheit nicht zugänglich, selbst wenn sich auf den nicht genannten Nachbargrundstücken Straßenbestandteile befinden (vgl. BayVGH, U.v. 26.4.2022 – 8 B 20.1655 – juris Rn. 41). Denn zur Wahrung des Bestimmtheitsgebots sind in der Widmungsverfügung neben der genauen Angabe von Anfangs- und Endpunkt sowie Länge der gewidmeten Anlage alle Flurnummern der in Anspruch genommenen Grundstücke zu bezeichnen. Daher erfasst eine förmliche straßenrechtliche Widmung nach Art. 6 Abs. 1 BayStrWG in aller Regel nur diejenigen Bestandteile einer Straße, die sich auf Grundstücken befinden, deren Flurnummern in der Widmungsverfügung ausdrücklich aufgeführt sind (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 9 f.; B.v. 4.10.2011 – 8 ZB 11.210 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 9.5.2006 – 8 ZB 05.1473 – juris Rn. 5; U.v. 15.7.1997 – 8 B 96.1539 – juris).
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Die drei übersehenen Straßengrundstücke FlNrn. 579/79, 585/9 und 597/84 gelten auch nicht nach Art. 6 Abs. 8 BayStrWG als gewidmet. Diese Widmungsfiktion setzt unter anderem voraus, dass eine Straße verbreitert, begradigt, unerheblich verlegt oder ergänzt wird. Daran fehlt es bei der Z. straße (West), die insgesamt neu angelegt worden ist. Eine Widmungsfiktion kann nicht eintreten, wenn, wie hier, abweichend von der förmlichen Widmung weitere Teilflächen in Anspruch genommen werden (BayVGH, B.v. 24. 10. 2005 – 6 B 01.2416 – juris Rn. 39).
29
c) Das Fehlen einer vollständigen Widmung führt zur Aufhebung des angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheids. Denn einer – wie hier – nur teilweise gewidmeten Verkehrsanlage fehlt insgesamt die Eigenschaft „öffentlich“ mit der Folge, dass insgesamt keine Erschließungsbeitragspflichten entstehen (Schmitz, Erschließungsbeiträge, § 6 Rn. 20).
30
Zwar unterliegt ein „verfrüht“ vor Entstehen der sachlichen Beitragspflichten erlassener und damit (zunächst) rechtswidriger Beitragsbescheid mit Blick auf die Beitragserhebungspflicht dann nicht der gerichtlichen Aufhebung, wenn er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher Veränderungen in rechtmäßiger Weise erlassen werden müsste (vgl. etwa BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 8 C 87.88 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 27.11.2014 – 6 ZB 12.2446 – juris Rn. 6). Das beruht (auch) auf dem Gedanken, dass es sinnlos wäre, den angefochtenen (rechtswidrigen, weil verfrüht erlassenen) Bescheid aufzuheben, obwohl aufgrund der geänderten Sachlage sogleich wieder ein inhaltsgleicher Bescheid an den in Anspruch Genommenen gerichtet werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 8 C 87.88 – juris). So wird etwa ein ursprünglich rechtswidriger Beitragsbescheid vor der gerichtlichen Aufhebung bewahrt, wenn die bei Bescheiderlass noch fehlende – vollständige – Widmung bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt wird.
31
Das kommt für die Z. straße (West) jedoch nicht mehr in Betracht. Die Eintragungsverfügung vom 15. Oktober 2018, die alle vier Straßengrundstücke nennt und eine entsprechende Korrektur des Bestandsverzeichnisses anordnet, stellt eine bloß intern wirkende Verfügung dar, die eine förmliche Widmung (und den erforderlichen Stadtratsbeschluss) nicht ersetzen kann.
32
Im Übrigen kann die Nachholung einer vollständigen förmlichen Widmung die Erschließungsbeitragspflichten nicht mehr auslösen. Denn nach dem am 1. April 2021 in Kraft getretenen Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG darf ein Erschließungsbeitrag nicht (mehr) erhoben werden, sofern seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind. Durch diese zeitliche Begrenzung sollten die unter deren Anwendungsbereich fallenden Erschließungsanlagen („Altanlagen“) einschließlich ihrer Teileinrichtungen der Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts vollständig entzogen werden (vgl. LT-Drs. 17/8225, S. 16). Die Erhebungsfrist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG ist für die Z. straße (West) abgelaufen. Mit ihrer erstmaligen technischen Herstellung als Erschließungsanlage war – unstreitig – im Jahr 1991 begonnen worden. Die Erhebungsfrist endete demnach mit Ablauf des Jahres 2016.
33
Zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten zwischen den Beteiligten sei darauf hingewiesen, dass der Klägerin – trotz gerichtlicher Aufhebung des endgültigen Beitragsbescheids und Ablaufs der Frist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG – gemäß Art. 19 Abs. 10 Satz 1 KAG kein Anspruch auf Erstattung der festgesetzten und erhobenen Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag zustehen dürfte.
34
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
35
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
36
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.