Titel:
zum Umfang der Kosten der Abschiebung
Normenkette:
AufenthG § 58 Abs. 1, § 66 Abs. 1, § 67 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Die im Rahmen der Prüfung eines Leistungsbescheids, mit dem Kosten für die Abschiebung angefordert wurden, inzident zu prüfende Rechtmäßigkeit der Abschiebung bestimmt sich nach der im Zeitpunkt der Maßnahme geltenden Rechtslage. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung „schlägt“ nicht auf die zugrundeliegende Abschiebungsandrohung und deren Vollstreckung „durch“. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Umfang der Kostenhaftung bei Abschiebung, Leistungsbescheid, Fehlerhaftigkeit der Abschiebung, Durchsuchung, Suizidalität, ärztliche Begleitung
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 06.12.2021 – B 6 K 21.697
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8740
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.813,02 EUR festgesetzt.
Gründe
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Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der am ... 1987 geborene Kläger, ein äthiopischer Staatsangehöriger, sein in erster Instanz erfolgloses Begehren nach Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 10. Mai 2021 weiter. Mit diesem Bescheid wurde der Kläger aufgefordert, die in Verbindung mit seiner Abschiebung vom 23. März 2021 entstandenen Kosten in Höhe von 4.813,02 EUR zu zahlen (3.281,20 EUR Gesamtkosten für Amtshilfe der Polizei: Fahrtkosten mit zwei Dienst-Kfz von Bayreuth nach München und zurück je 452 km á 0,30 EUR, gesamt 271,20 EUR; Personalkosten 4 Beamte mit insgesamt 50 Einsatzstunden á 59,00 EUR, gesamt 2.950,00 EUR; Reisekosten Tagegeld über 12 Stunden á 15,00 EUR für 4 Beamte, gesamt 60,00 EUR. Kosten für ärztliche Betreuung i.H.v. 1.365,00 EUR: 00.40 Uhr am 23.03. bis 01.00 am 24.03. plus Vorbereitung 21 Stunden á 65,00 EUR sowie für den Kläger beschaffte Arzneimittel i.H.v. 166,82 EUR).
2
Das Verwaltungsgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 6. Dezember 2021 die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Abschiebung des Klägers nach Äthiopien rechtmäßig gewesen sei. Auch würden gegen den Umfang der erhobenen Kosten keine rechtlichen Bedenken bestehen. Gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG bedürfe es im Falle eines Asylfolgeantrags, der nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt, keiner erneuten Abschiebungsandrohung oder Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise. Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei (keine Ermessensentscheidung) ein Ausländer unter den dort genannten Voraussetzungen abzuschieben. Die geltend gemachten verfassungs- und europarechtlichen Einwände, welche sich maßgeblich auf die gesundheitliche Situation des Klägers stützten, würden ebenfalls nicht durchgreifen. Auch die Rügen gegen den Umfang der Kostenerstattungspflicht würden nicht durchgreifen. Der Einsatz von vier Polizeibeamten sei angesichts der im Raum stehenden Suizidalität ohne weiteres gerechtfertigt gewesen. Die angesetzten Kosten der ärztlichen Begleitung seien hinsichtlich Umfang und Höhe ebenfalls nicht zu beanstanden.
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Der hiergegen gerichtete Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Leistungsbescheids ist die Sach- und Rechtslage bei Erlass der (letzten) behördlichen Entscheidung. Die im Rahmen der Prüfung des Leistungsbescheids inzident zu prüfende Rechtmäßigkeit der Abschiebung bestimmt sich hingegen nach der im Zeitpunkt der Maßnahme geltenden Rechtslage (BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – juris Rn. 13). Maßgeblich ist demnach vorliegend das Aufenthaltsgesetz in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts geltenden Fassung.
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1. Die Berufung des Klägers ist nicht aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil (bzw. ein Gerichtsbescheid) sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9).
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Der Kläger trägt insoweit zur Begründung seines Zulassungsantrags vor, dass das Gericht die Anwesenheit von vier Polizeibeamten für einen nicht gewaltbereiten Ausländer als verhältnismäßig ansah und dies mit einer vermeintlichen Suizidalität begründete. Allerdings ergebe sich weder aus seinem Vortrag noch aus der Asylakte, dass er bei einer Abschiebung sich einer ernsthaften Selbstgefährdung unterziehen werde. Es bleibe daher fragwürdig, woher das Gericht diese Sachkunde zu entnehmen vermochte. Es gebe keinen Rechtssatz, dass eine abzuschiebende Person generell der Suizidgefahr ausgesetzt sei. Ebenso fehle es an einem gesicherten Rechtssatz, dass für eine Abschiebung generell vier Polizeibeamte notwendig seien. Insoweit habe „die Beklagte“ keine Stellung genommen, warum unbedingt hier vier Polizeibeamte notwendig gewesen seien. Vielmehr habe das Gericht dies als allgemeine Anzahl an Personen festgelegt, ohne dies näher zu begründen. Hinzu kämen die angesetzten Kosten der ärztlichen Betreuung, die alleinig ihm auferlegt wurden, obwohl eine Sammelabschiebung stattgefunden habe und er zusammen mit anderen Ausländern abgeschoben worden sei. Ziehe die Ausländerbehörde bei einer Sammelabschiebung vorsorglich einen Arzt hinzu, könnten die dadurch entstandenen Kosten anteilig von den Abgeschobenen verlangt werden, auch wenn sie eine ärztliche Behandlung letztlich nicht benötigt hätten (VG Stuttgart, U.v. 15.02.2011 – Az.: 6 K 3708/09). Eine anteilige Kostenschuld sei hier nicht erfolgt, sodass „die Beklagte“ alle Kosten der ärztlichen Begleitung alleinig von ihm verlangt habe. Dies widerspreche jedoch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da der Arzt nicht nur für ihn zur Verfügung gestanden habe, sondern im Notfall ebenso für die anderen Ausländer während der Sammelabschiebung zur Verfügung habe stehen müssen. Eine alleinige Kostenlast für ihn sei daher untunlich und hier im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht beachtet worden. Als weiteren Punkt werde das Eindringen der Polizeibeamten in seine Wohnung benannt. Das Gericht habe nicht dazu Stellung genommen, ob das Eindringen der Polizeibeamten durch Aufbrechen der Tür und Hineinstürmen mit den Grundsätzen der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG vereinbar gewesen sei und zuvor nicht eine Anordnung durch das Gericht einzuholen gewesen wäre. Die Abschiebekosten könnten nämlich nur dann rechtmäßig sein, wenn auch die abgerechneten Handlungen rechtmäßig gewesen seien. Diese Akzessorietät habe es zu beachten und inzident zu prüfen gehabt. Eine solche Prüfung sei hier nicht erfolgt. Auf das Erfordernis eines Durchsuchungsbeschlusses auch während einer Abschiebung werde hingewiesen, da Asylsuchende den gleichen Schutz verdienten wie Nicht-Asylsuchende. Aus diesem Grunde könnten die Abschiebekosten auch nicht rechtmäßig sein.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Bescheid vom 10. Mai 2021 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.
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Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 66 Abs. 1 und § 67 Abs. 1 und 3 AufenthG. Nach § 66 Abs. 1 AufenthG hat der Ausländer u.a. die Kosten zu tragen, die im Zusammenhang mit der Durchsetzung einer Abschiebung entstehen. Den Umfang der zu erstattenden Kosten bestimmt § 67 Abs. 1 AufenthG. Danach umfassen die Kosten einer Abschiebung u.a. die Ausgaben für die sonstige Versorgung des Ausländers sowie sämtliche durch eine erforderliche Begleitung des Ausländers entstehenden Kosten einschließlich der Personalkosten.
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Der Ausländer haftet für die Kosten einer Abschiebung jedoch nur, wenn die zu ihrer Durchsetzung ergriffenen Amtshandlungen und Maßnahmen ihn nicht in seinen Rechten verletzen. Folglich können nur die Kosten einer rechtmäßigen Abschiebung geltend gemacht werden. Deren Rechtmäßigkeit ist aus der behördlichen Sicht bei ihrer Durchführung – also ex ante – zu beurteilen (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – juris Rn. 15). Subjektive Rechte des Ausländers werden etwa verletzt, wenn die in § 58 Abs. 1 und § 59 Abs. 1 AufenthG genannten Abschiebungsvoraussetzungen nicht vorliegen, Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG entgegenstehen oder Vollstreckungshindernisse nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehen (Dollinger in: Bergmann/Dienelt, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 66 Rn. 5).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war die Abschiebung des Klägers nach Äthiopien – wie der Beklagte und das Verwaltungsgericht zutreffend ausführen – rechtmäßig; der Kläger war gemäß § 58 Abs. 1 AufenthG abzuschieben, da die Ausreisepflicht vollziehbar, die Ausreisefrist abgelaufen und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert bzw. eine Überwachung der Ausreise gemäß § 58 Abs. 3 Nrn. 2, 4, 5 und 7 AufenthG erforderlich war. Der Kläger hat daher die geltend gemachten Kosten, die bei der gesetzlich gebotenen Durchsetzung seiner Abschiebung entstanden sind, zu tragen.
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Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang rügt, dass die Abschiebekosten nur dann rechtmäßig sein könnten, wenn auch die abgerechneten Handlungen rechtmäßig gewesen seien, aber für das Eindringen der Polizeibeamten in die Wohnung des Klägers ein Durchsuchungsbeschluss erforderlich gewesen wäre, kann dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen.
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Einer Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit der Abschiebung steht nicht bereits die Bestandskraft der gegen den Kläger ergangenen Abschiebungsandrohung entgegen. Denn es wird – wie hier – nicht die Fehlerhaftigkeit der Abschiebungsandrohung geltend gemacht, sondern die Fehlerhaftigkeit der Abschiebung selbst, die ein nicht der Bestandskraft fähiger Realakt ist und deren tatsächlicher Vollzug auch sonst keine der Bestandskraft fähige Entscheidung bedeutet (BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – juris Rn. 16 m.w.N.). Es wird vorliegend geltend gemacht, dass die Durchsuchung – so eine solche hier überhaupt angenommen werden kann; vielmehr lag nach den Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 17. Februar 2022 jedoch wohl eher nur ein ohne richterliche Anordnung nach § 58 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zulässiges Betreten der Wohnung des abzuschiebenden Klägers zu dem Zweck seiner Ergreifung vor – der Wohnung des Klägers ohne eine richterliche Anordnung gemäß § 58 Abs. 8 Satz 1 AufenthG rechtswidrig gewesen sei; dies berührt jedoch nicht die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebung als solcher, da – wie bereits ausgeführt – die Abschiebevoraussetzungen vorlagen. Weitere Maßnahmen oder Verwaltungsakte, die im Zusammenhang mit der Durchführung der Abschiebung erfolgen und gegebenenfalls rechtswidrig sein könnten, berühren jedoch insoweit die Rechtmäßigkeit der Abschiebung als solche nicht (vgl. insoweit zur vergleichbaren Konstellation eines fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen einer polizeilichen Maßnahme und einer anderen, damit in zeitlichem Zusammenhang stehenden Maßnahme BVerwG, U.v. 21.1.2019 – 6 B 120.18 – juris Rn. 23.).
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Mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs kann daher dahinstehen, ob eine rechtswidrige Durchsuchung – wie hier wohl nicht – oder lediglich ein zulässiges Betreten der Wohnung vorliegt; denn selbst wenn eine Durchsuchung ohne richterliche Anordnung rechtswidrig wäre, würde sich dies auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebung nicht auswirken. Die Abschiebung als Realakt bzw. die Abschiebungsandrohung als Verwaltungsakt einerseits und das Betreten bzw. die Durchsuchung der Wohnung des Abzuschiebenden andererseits sind jeweils eigenständige Entscheidungen, gegen die separate Rechtsbehelfe möglich sind. Eine fehlende richterliche Anordnung zur Durchsuchung einer Wohnung kann folglich allenfalls zur Rechtswidrigkeit der Durchsuchung führen, nicht aber zur Rechtswidrigkeit der hiervon rechtlich zu trennenden Abschiebungsandrohung und deren Vollstreckung. Eine Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung – so eine solche vorliegt – „schlägt“ mithin nicht auf die zugrundeliegende Abschiebungsandrohung und deren Vollstreckung „durch“ (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – juris Rn. 22 ff.). Lediglich soweit die Kosten einer rechtswidrigen Durchsuchung als Abschiebekosten im Sinne von § 67 AufenthG geltend gemacht würden – wie hier nicht –, würde eine eventuelle Rechtswidrigkeit der Durchsuchung einer Geltendmachung der Kosten der Durchsuchung im Zusammenhang mit einer Abschiebung entgegenstehen.
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Soweit der Kläger rügt, dass sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus der Asylakte ergebe, dass der Kläger bei einer Abschiebung sich einer ernsthaften Selbstgefährdung unterziehen werde, es bleibe daher fragwürdig, woher das Gericht diese Sachkunde zu entnehmen vermocht habe, ebenso fehle es an einem gesicherten Rechtssatz, dass für eine Abschiebung generell vier Polizeibeamte notwendig seien, können diese Ausführungen dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Einsatz von vier Polizeibeamten angesichts der im Raum stehenden Suizidalität ohne weiteres gerechtfertigt gewesen sei. Dass bei dem Kläger eine schwere depressive Störung mit Suizidgedanken im Zusammenhang mit einer Abschiebung vorliegt, ergibt sich aus der Behördenakte (u.a. Bd. 6 Bl. 52, 105, 107, 158 ff.), auf die im Gerichtsbescheid Bezug genommen wurde.
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Der Beklagte hat dazu weiterhin auch in seiner Stellungnahme vom 17. Februar 2022 ausführlich dargelegt, dass der Einsatz von vier Polizeibeamten und zwei Einsatzfahrzeugen für den Transport des Klägers von seiner Unterkunft in B. bis zum Flughafen M. notwendig und daher gerechtfertigt und nicht unverhältnismäßig gewesen sei. Der Kläger leide unter einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer reaktiven depressiven Episode. Gerade diese psychische Erkrankung sei typischerweise einhergehend mit Suizidgedanken und -handlungen. Es habe daher ein Suizidversuch des Klägers im Zusammenhang mit der Abschiebung nicht ausgeschlossen werden können. Insbesondere sei eine vermeintliche latente Suizidgefahr des Klägers wiederholt durch seinen Betreuer gegenüber der ZAB geltend gemacht worden. Auch im psychologischen Gutachten vom 25. August 2019 sei festgehalten worden, dass er gelegentliche Suizidgedanken habe, die bei Belastung zunähmen. In der mündlichen Verhandlung im Asylklageverfahren am 16. Dezember 2020 vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht B. sei diese Suizidgefahr erneut durch den Kläger und seinen Betreuer bestätigt worden, sodass die Ausführungen in der Zulassungsbegründung, wonach keine Anhaltspunkte einer ernsthaften Selbstgefährdung im Falle einer Abschiebung vorliegen würden, unzutreffend seien. Der Kläger ist diesen Ausführungen des Beklagten nicht entgegengetreten. Die zutreffende Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass die Geltendmachung der Kosten des Einsatzes von vier Polizeibeamten im Hinblick auf die Suizidalität des Klägers rechtmäßig sei, ist daher nicht zu beanstanden.
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Soweit der Kläger rügt, dass die angesetzten Kosten der ärztlichen Betreuung, obwohl eine Sammelabschiebung stattgefunden habe und der Kläger zusammen mit anderen Ausländern abgeschoben worden sei, alleinig dem Kläger auferlegt wurden, kann auch dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen.
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Die angesetzten Kosten der ärztlichen Begleitung sind – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – hinsichtlich Umfang und Höhe nicht zu beanstanden. Wie der Beklagte in seiner Stellungnahme vom 17. Februar 2022 dazu ausführt, sei für den Kläger jedoch – um eine Selbstgefährdung während der Abschiebung wirksam auszuschließen – durch die ZAB zusätzlich eine ärztliche Begleitung organisiert worden, beginnend mit dem polizeilichen Zugriff in der Unterkunft bis zur Übergabe an die Bundespolizei am Flughafen M., um eine lückenlose ärztliche Versorgung sicherzustellen. Die in diesem Rahmen durch die ZAB in Rechnung gestellten Kosten seien damit allein dem Kläger zuzuordnen und es handele sich dabei nicht um die für einen Sammelcharter allgemein anfallenden Kosten einer ärztlichen Begleitung, die grundsätzlich auf alle Abzuschiebenden umgelegt würden.
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Im Hinblick auf seine Erwiderung auf diese Stellungnahme des Beklagten scheint der Kläger nach wie vor davon auszugehen, dass die hier in Rechnung gestellte ärztliche Begleitung auch während der Sammelabschiebung mit dem Flugzeug erfolgte. Dass dies offensichtlich unzutreffend ist, ergibt sich bereits aus der dem Bescheid beigefügten Rechnung des Arztes, die lediglich eine Einsatzzeit (plus Vorbereitung) von 00.40 Uhr am 23.03.(2021) bis 01.00 Uhr am 24.03.(2021) ausweist, also lediglich jenen Zeitraum umfasst, in dem der Zugriff auf den Kläger in der Gemeinschaftsunterkunft in B. und die sich daran anschließende Verbringung des Klägers zum Flughafen in M. erfolgte. Die unmittelbare ärztliche Begleitung des Klägers endete mit der Übergabe des Klägers um 20:30 Uhr am 24. März 2021 an die für die Abschiebung zuständige Bundespolizei. Der Flug mit der Sammelabschiebung nach Äthiopien startete jedoch erst um 22:30 Uhr am 24. März 2021. Die geltend gemachten Kosten der ärztlichen Begleitung sind daher nachvollziehbar allein durch den Kläger verursacht worden und sind daher zu Recht auch ihm allein in Rechnung gestellt worden.
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2. Die Berufung des Klägers ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, warum der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr. vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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Der Kläger trägt vor, dass es hier um die Rechtsfragen gehe,
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a) wie das eingeräumte Ermessen der Ausländerbehörde bei der Vollstreckung der Abschiebung mit Blick auf den konkreten Zeitpunkt und die Art und Weise der Durchführung der Abschiebung ausgeübt werden müsse und ob bei der Vollstreckung der Abschiebung ebenso vorangegangene ausreisepflichtige Personen bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen seien (Windhundprinzip),
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b) ob vulnerable Personen gemäß Art. 21 RL 2013/33/EU vor einer Vollstreckung einer Abschiebungsanordnung erneut zur freiwilligen Ausreise aufgefordert werden müssten und
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c) ob ein Betreten von Wohnungen zum Ergreifen einer konkreten, abzuschiebenden Person als Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG oder als sonstiger Eingriff im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG zu qualifizieren sei
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und führt dazu weiter aus:
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a) Unstreitig hätte die Ausländerbehörde „bei der Bestimmung von konkretem Zeitpunkt und die Art und Weise der Durchführung der Abschiebung“ ein Ermessen, sodass unter Zugrundelegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Abschiebung zu vollziehen sei. Streitig sei allerdings wie dieses Ermessen ausgeübt werden dürfe und insbesondere andere ausreisepflichtige Personen ebenso in diese Ermessensausübung einzufließen hätten. Fakt sei nämlich, dass ausreisepflichtige Personen nicht alle im gleichen Zeitpunkt ausreisepflichtig seien, sondern zu unterschiedlichen Zeiten ausreisepflichtig würden. Bei der Bestimmung der ausreisepflichtigen Personen gelte es jetzt zu bestimmen, ob vor der Abschiebung aktueller ausreisepflichtiger Personen nicht vorher anderen bereits früher ausreisepflichtig gewordenen Personen der Vorrang zu gewähren sei. Insoweit sei die Rechtsfrage zu klären, ob die Vollstreckung der Abschiebung sich nach dem Windhundprinzip richte. Das Windhundprinzip oder Windhundverfahren bezeichne ein Verfahren, bei dem der Zugang zu einer nur begrenzt vorhandenen Ressource von der ressourcenverwaltenden Stelle nur nach der zeitlichen Reihenfolge der Bedarfsanmeldungen, nicht jedoch nach anderen Kriterien freigegeben werde. Nach diesem Prinzip wären damit erst die vorherigen Abschiebungen zu vollstrecken, bevor an eine aktuelle Abschiebung gedacht werden könnte. Die Vorgehensweise nach diesem Prinzip ermögliche ebenso den Anschein der Abschiebung aufgrund der Rechtsverfolgung auszuschließen und beende die Privilegierung von abgesehener Rechtsverfolgung oder Flucht. Niemand dürfe wegen seiner zulässigen Rechtsausübung benachteiligt werden. Dieser Grundsatz sei im gesamten Rechtssystem „vehement“ und zeige, dass jeder seine Rechte in Anspruch nehmen könne, ohne dabei einen Rechtsnachteil zu erleiden. Davon könne dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn nicht nach dem Windhundprinzip, sondern nach Willkür die abzuschiebenden Personen aus einer Vielzahl an ausreisepflichtigen Personen ausgewählt würden. Es solle gerade der Eindruck verhindert werden, dass andere Abschiebungsanordnungen von Asylsuchenden nicht bzw. nicht mit einer gewissen Intensität verfolgt würden, weil die Asylsuchenden in den jeweiligen Verfahren keine rechtliche Hilfe in Anspruch genommen hätten. Jemanden nur deswegen bevorzugt in die Abschiebung zu nehmen, weil er sich eines rechtlichen Mittels bedient habe, sei grob rechts- und höchst verfassungswidrig. Es sei anzunehmen, dass die Ausländerbehörden bevorzugt sich an die Personen richten würden, die den Rechtsweg erfolglos bestritten hätten, anstatt in einer geordneten und numerisch vorgegebenen Reihenfolge zu verfahren. Dieser Eindruck entstehe bereits dadurch, dass vergleichbare Fälle nicht in Form der Abschiebung vorangetrieben würden, wie das hiesige Verfahren. Diese Verwaltungspraxis sei in der Lage, Asylsuchenden die Inanspruchnahme von rechtlichen Mitteln erst gar nicht in Betracht ziehen zu lassen. Daher werde dieser Rechtsfrage eine besondere grundsätzliche Bedeutung zugesprochen. Die Beantwortung dieser Rechtsfrage ermögliche die Vollstreckungshandlungen der Ausländerbehörde ebenfalls einer überprüfbaren Maßnahme zu unterwerfen. Nach jetzigem Stand würden weder die Rechtsprechung noch die Ausländerbehörden erkennen, dass die Vollstreckungshandlung sehr wohl eine Ermessensausübung sei und hier sich ebenso an die Verhältnismäßigkeit zu richten habe. Weder das Gericht noch „die Beklagte“ hätten dieses Ermessen erkannt und die entsprechenden Rückschlüsse gezogen. Auch die Vollstreckung müsse einer rechtlich überprüfbaren Einheit unterliegen und können nicht alleinig im unüberprüfbaren Ermessen der Ausländerbehörde unterstellt werden. Diese Rechtsfrage sei auch klärungsfähig, da die allgemeinen Grundsätze der Ermessensausübung ebenso bei der Vollstreckung von Abschiebemaßnahmen zur Anwendung kommen müssten und die Maßnahme sich nach der Verhältnismäßigkeit zu richten habe. Dieser Prüfungsmaßstab ermögliche es, die besonderen Einzelfälle bei einer Abschiebung wie Schwangerschaft, Kinder, psychische Störung usw. „erforderlicher“ zu handhaben und ggf. auf die freiwillige Ausreise etc. hinzuweisen, bevor durch staatliche Mittel ein unmittelbarer Zwang durchgesetzt werde. Nach dem jetzigen Verständnis werde eine Ermessensausübung nicht erkannt, womit regelmäßig ein Ermessensnichtgebrauch zu erkennen sei und auch keine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolge. Die Beantwortung dieser Rechtsfrage sei dafür geeignet, für eine Vielzahl an Fällen zur Anwendung zu kommen, da es die allgemeine Frage des Vollstreckungsermessens im Asylrecht beinhalte und dies keinem konkreten Einzelfall zugesprochen werden könne, sondern alle Vollstreckungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht betreffe. Hervorgehoben werden müsse insbesondere, dass das Gericht eine Ermessensausübung in der Vollstreckung erkannt habe, indem Zeitpunkt und Modalitäten als Ermessensentscheidung anzusehen wären. Verkannt habe das Gericht jedoch, dass auch dieses Ermessen an die Verhältnismäßigkeit gebunden sei und auch dementsprechend auszuüben sei. An dieser Rechtsfolge fehle es bisher in der Rechtsanwendung. Mit der Beantwortung dieser Rechtsfrage seien auch andere Beweiserleichterungen möglich. Exemplarisch könne die Möglichkeit für den Ausländer genannt werden, Auskunft von der Ausländerbehörde über die Anzahl an ausreisepflichtigen Personen, die zeitlich früher ausreisepflichtige seien, zu erhalten. Ein solcher Beweisanspruch bzw. Auskunftsanspruch könnte sich aus § 173 VwGO i.V.m. § 421 ZPO ergeben.
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b) Die zweite Rechtsfrage betreffe die besondere Situation von vulnerablen Personen gemäß Art. 21 RL 2013/33/EU. Nach dieser Vorschrift hätten die Mitgliedstaaten in dem einzelstaatlichen Recht zur Umsetzung dieser Richtlinie die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z. B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien zu berücksichtigen. Hier stelle sich die Frage, ob der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung dieser Richtlinie die besondere Situation von vulnerablen Personen ebenfalls berücksichtigt habe. Nach dieser Richtlinie seien alle Maßnahmen bezüglich des Asylbegehrens inklusive Vollstreckung unter diesen Gesichtspunkten zu behandeln. Im Bezug zu vulnerablen Personen habe das nationale AsylG oder AufenthG keine eigenständigen Normen, die eine besondere Rücksichtnahme attestierten. Vielmehr würden nach der Umsetzung im AsylG vulnerable und nicht-vulnerablen Personen gleichbehandelt, obwohl hier die Ungleichbehandlung gerechtfertigt wäre. Dieser Aspekt werde in der Rechtsprechung und den Ausländerbehörden nicht als Besonderheit wahrgenommen, da der Gesetzgeber eine solche Umsetzung nicht vorgenommen habe. Dennoch seien hier die von Art. 21 RL 2013/33/EU aufgegebenen Verpflichtungen anzuwenden. Besonders bei psychischen Erkrankungen sei Vorsicht bei staatlichem Handeln geboten, da psychische Erkrankungen im Gegensatz zu physischen Leiden nicht ohne weiteres von selbst heilen könnten. Daher könne sich durchaus eine Pflicht der zuständigen Behörden ergeben, in Form einer teleologischen Reduzierung der Ermächtigungsgrundlagen zur Wahrung der menschlichen Gesundheit zu handeln. Hier könne ebenso angemerkt werden, dass die Unverhältnismäßigkeit indiziert werde, wenn ohne Anlass der Ausländer durch eine eingetretene Tür mit Hand- und Fußschellen abgeführt werde. Im Ergebnis käme es auch hier durch die Anwendung des Art. 21 RL 2013/33/EU dazu, dass die Ausländerbehörde dem vulnerablen Ausländer vor einer Vollziehung der Abschiebung die Gelegenheit der freiwilligen Ausreise geben müsste. Wichtig sei hierbei der Gedanke der Finalität. Eine Aufforderung könne damit nur dann zielführend und damit der vulnerablen Realität entsprechen, wenn dem Ausländer vor Augen geführt werde, dass eine konkrete Abschiebemaßnahme bevorstehe und bei einer fehlenden freiwilligen Ausreise durch unmittelbaren Zwang vollstreckt werde. Die theoretische „Ausweispflicht“ reiche hierfür nicht aus, da hier die Finalität der Abschiebung durch eine Vollstreckungsmaßnahme nicht gewährleistet werde. Mit der Beantwortung dieser Rechtsfrage werde ebenso die allgemeine Bedeutung für den vulnerablen Personenkreis deutlich, da traumatisierende Abschiebemaßnahmen immer einen tiefgreifenden Einschnitt bedeuten würden und bei Kindern, Schwangeren, psychisch kranken Personen usw. zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesamtzustandes führen könnten, der durch die vorherige finale Aufforderung vermieden werden könne. Die Klärungsbedürftigkeit ergebe sich bereits aus der bisherigen Verwaltungspraxis, die insbesondere Kinder und psychische Störungen völlig vernachlässige und einer staatlich angeordneten sowie organisierten Traumatisierung unterwerfe.
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c) Es stelle sich mithin ebenso die Frage, ob vor dem Betreten der Wohnung des Ausländers eine Durchsuchungsanordnung durch einen Richter (Richtervorbehalt) notwendig gewesen wäre. Dass das von einem Ausländer genutzte Zimmer als Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG anzusehen sei, erscheine jedenfalls nicht fernliegend (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 30. September 2019 – 2 S 262/19 – juris Rn. 18; OVG Hamburg, Urteil vom 18. August 2020 – 4 Bf 160/19 – juris Rn. 31 f.; a.A. Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 1. Februar 2021, AufenthG § 58 Rn. 13 ff.). Von einem verpflichtenden Richtervorbehalt sei ebenfalls dann auszugehen, wenn in der Wohnung Personen zum Zwecke der Abschiebung aufzufinden und zu ergreifen seien, also namentlich eine Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG vorgenommen werde und es sich nicht um Maßnahmen des Bau-, Handwerks- oder Lebensmittelrechts gehe, die Wohnung des Ausländers zu betreten und zu besichtigen. Vielmehr gehe es bei Abschiebungen gezielt darum, diesen aufzufinden. Damit werde regelmäßig in einer für Durchsuchungen typischen Weise in das private Leben des Ausländers und die räumliche Sphäre, in der es sich entfaltet, eingegriffen, denn der Gegenstand der Ermittlung seien der private Lebensbereich des Ausländers und die dort wohnenden Personen. Die Feststellung, dass sich der Ausländer in der Wohnung befinde, geschehe nicht nur gelegentlich des anderen Zwecken dienenden behördlichen Besichtigungs- und Betretungsrechts, sondern sei das unmittelbare und einzige Ziel der Maßnahme (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 18. August 2020 – 4 Bf 160/19 – juris Rn. 34; in diesem Sinne auch Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 1. Februar 2021, AufenthG § 58 Rn. 33 f.; Herrmann, ZAR 2017, 201, 204; Franke/Kerkemeyer, NVwZ 2020, 760, 763 f.). Aus dieser Überlegung heraus seien bei Abschiebungen generell richterliche Durchsuchungsanordnungen einzuholen. Bei Abschiebungen werde auf solche Anordnungen verzichtet, ohne hierbei auch nur im entferntesten den Tatbestand der Gefahr in Verzug zu prüfen. Es werde schlichtweg davon ausgegangen, dass ein Eingriff zu dulden sei und als Teil der Abschiebemaßnahme so zu erfolgen habe. Eine solche Herangehensweise sei in vielen Abschiebungen festzustellen, sodass sich die besondere Bedeutung von der Vielzahl an Abschiebungen ableiten lasse. Der Schutz des privaten Lebensraums zeige ebenso die allgemeine Bedeutung und Klärungsbedürftigkeit für die Betroffenen. Die bereits etablierte Rechtsprechung zu Wohnungsdurchsuchungen seien auch hier heranzuziehen und zeigten, dass es auch an einer Klärungsfähigkeit nicht mangele. Im Ergebnis könne bereits durch die hier gezeigten Rechtsfragen verdeutlicht werden, dass die Abschiebekosten und die darin abgerechneten Abschiebemaßnahmen nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen hätten und damit aufzuheben seien.
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Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht.
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Soweit der Kläger der Frage, ob die Vollstreckung der Abschiebung sich nach dem „Windhundprinzip“ zu richten habe, da bei der Bestimmung von konkretem Zeitpunkt und Art und Weise der Durchführung der Abschiebung die Ausländerbehörde ein Ermessen habe, sodass unter Zugrundelegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Abschiebung zu vollziehen sei, eine grundsätzliche Bedeutung für die Rechtssache zumisst, ist der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht gegeben.
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Es fehlt an einer ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit dieser Frage.
33
Die Abschiebung ist die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht einer ausländischen Person, indem diese aus dem Bundesgebiet entfernt wird. Von ihrer Rechtsnatur her ist sie ein nicht der Bestandskraft fähiger Realakt, deren tatsächlicher Vollzug auch sonst keine der Bestandskraft fähige Entscheidung bedeutet (BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 21/17 – juris Rn. 16 m.w.N.).
34
Ausweislich des Wortlauts der Vorschrift des § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG – „ist“ – handelt es sich bei der Abschiebung um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass die zuständigen Behörden bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen diese vollziehen müssen (Albracht-Naujocks NVwZ 1986, 26; GK-AufenthG/Funke-Kaiser § 58 Rn. 105; Dollinger in Bergmann/Dienelt, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 58 Rn. 3). Ein Ermessen steht ihnen nur in Bezug auf die Bestimmung des genauen Zeitpunktes und der Modalitäten der Abschiebung zu (GK-AufenthG/Funke-Kaiser § 58 Rn. 106; Hailbronner/Fritzsch in Hailbronner AuslR § 58 Rn. 11). Die von der Rechtsprechung des EGMR und EuGH geforderte Ermessensbetätigung im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre nach Art. 8 EMRK (dazu Eckertz-Höfer ZAR 2008, 41 ff.; Kluth ZAR 2009, 381 ff.) bezieht sich auf die Ausweisungsentscheidung und damit auf eine der Abschiebung systematisch vorgelagerte Ebene (BeckOK AuslR/Kluth, 36. Ed. 1.1.2023, AufenthG § 58 Rn. 38).
35
In Verbindung mit § 59 AufenthG (idR Abschiebungsandrohung) und § 60 AufenthG (Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten oder -hindernissen) regelt § 58 AufenthG die Voraussetzungen, unter denen eine Abschiebung erfolgen darf, so die vollziehbare Ausreisepflicht (Abs. 2), ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die betroffene Person ihrer Ausreisepflicht nicht fristgerecht nachkommen wird oder die Erforderlichkeit einer Überwachung der Ausreise (Abs. 3). Abgesehen vom Ausnahmefall des § 58a AufenthG (Abschiebungsanordnung) ist im Aufenthaltsrecht dabei keine besondere Anordnung der Abschiebung erforderlich.
36
Da jedoch bei der unstrittig im Ermessen der Ausländerbehörde stehenden Bestimmung des genauen Zeitpunkts und der Modalitäten der Abschiebung eine Vielzahl an unterschiedlichen Faktoren bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind (u.a. Vorhandensein von geeigneten Identitätsnachweisen bzw. Passersatzpapieren, Einverständnis- bzw. Zustimmungserklärungen der Heimatländer der abzuschiebenden Person, Organisation einer gegebenenfalls erforderlichen (auch ärztlichen) Begleitung, Buchung von Transportmitteln etc.), handelt es sich bei der konkret zu vollziehenden Abschiebung jeweils den individuellen Umständen (wie zum Beispiel Schwangerschaft, Kinder, Krankheiten usw.) entsprechende Einzelfälle, denen eine grundsätzlichen Regelung wie zum Beispiel das „Windhundprinzip“ gerade nicht gerecht würde. Vielmehr hat die Ausländerbehörde in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der bestimmenden Faktoren eine individuelle Entscheidung zu treffen. Eine generelle Klärungsfähigkeit dieser Frage ist daher nicht gegeben.
37
Darüber hinaus ist weder ersichtlich noch dargelegt, dass eine zur Vollstreckung der Abschiebung anstehende Person in einem subjektiven Recht verletzt würde, wenn sie vor anderen, ebenfalls zur Vollstreckung der Abschiebung anstehenden Personen tatsächlich abgeschoben würde. Das Verwaltungsgericht hat weiterhin zutreffend dargelegt, dass es weder in diesem noch in anderen Verfahren irgendeinen Anhaltspunkt dafür gesehen habe, dass sich die Einlegung von Rechtsbehelfen für den rechtsschutzsuchenden Ausländer nachteilig auswirke, was den Zeitpunkt oder die Modalitäten der Abschiebungen beträfe. Insoweit fehlt es auch an der Klärungsbedürftigkeit dieser Frage.
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Soweit der Kläger der Frage, ob der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Art. 21 RL 2013/33/EU die besondere Situation von vulnerablen Personen (wie hier der Kläger) berücksichtigt habe, da dieser Aspekt in der Rechtsprechung und den Ausländerbehörden nicht als Besonderheit wahrgenommen werde, da der Gesetzgeber eine solche Umsetzung nicht vorgenommen habe, eine grundsätzliche Bedeutung für die Rechtssache zumisst, ist der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht gegeben.
39
Es besteht keine Klärungsbedürftigkeit im Hinblick darauf, dass die Anwendung des Art. 21 RL 2013/33/EU die Ausländerbehörde dazu verpflichten würde, dem vulnerablen Ausländer vor einer Vollziehung der Abschiebung Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise geben zu müssen.
40
Nach Art. 21 der RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen – EU-Aufnahme-RL (ABl. L 180 S. 96) berücksichtigen die Mitgliedstaaten in dem einzelstaatlichen Recht zur Umsetzung dieser Richtlinie die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z.B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien.
41
Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung bereits ausführlich auf die bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten verfassungs- und europarechtlichen Einwände (Art. 9 Abs. 2 RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – EU-Asylverfahrens-RL (ABl. L 180 S. 60), Art. 41 RL 2013/32/EU, Erwägungsgrund Nr. 29 RL 2013/32/EU), welche sich maßgeblich auf die gesundheitliche Situation des Klägers gestützt hatten, eingegangen und hat zutreffend mit umfangreichen Ausführungen festgestellt, dass diese Einwände nicht durchgreifen, insbesondere dass dem Kläger vor einer Vollziehung der Abschiebung die Gelegenheit der freiwilligen Ausreise nicht (nochmalig) hätte gegeben werden müssen, insbesondere es im Falle eines Asylfolgeantrags, der nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt, keiner erneuten Abschiebungsandrohung oder Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise bedarf, vor allem weil auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass eine Bereitschaft des Klägers zur freiwilligen Ausreise bestand. Mit diesen Ausführungen setzt sich der Kläger nicht auseinander.
42
Auch die Heranziehung einer weiteren europarechtlichen Vorgabe (Art. 21 RL 2013/33/EU) vermag an der zutreffenden Beurteilung des Verwaltungsgerichts nichts zu ändern, da das Verwaltungsgericht ausführlich dargelegt hat, dass die Belange auch besonders vulnerabler Personen durch die bisherigen Asyl- und Gerichtsverfahren umfassend gewährleistet gewesen seien. Insbesondere habe der Beklagte dem zu berücksichtigenden „Gesundheitszustand“ des Klägers durch entsprechende Vorkehrungen bei der Durchführung der Abschiebung (ärztliche Begleitung der gesamten Maßnahme, Beschaffung eines Vorrats verschiedener Medikamente für den Kläger, Beteiligung der Organisation „ARRA“ im Zielland Äthiopien zur Sicherstellung einer geordneten Ankunftssituation für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen) Rechnung getragen.
43
Nur in einem besonderen – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefall ist in § 60a Abs. 5 Satz 3 AufenthG eine gesonderte (erneute) Ankündigung der Abschiebung vorgesehen (Gordzielik in Huber/Mantel AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, AufenthG § 58).
44
Soweit der Kläger der Frage, ob vor dem Betreten der Wohnung des Ausländers eine Durchsuchungsanordnung durch einen Richter (Richtervorbehalt) notwendig wäre, eine grundsätzliche Bedeutung zumisst, fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit für den vorliegenden Fall.
45
Wie bereits ausgeführt, kann hier dahinstehen, ob eine (rechtswidrige) Durchsuchung – wie hier wohl nicht – oder lediglich ein (zulässiges) Betreten der Wohnung vorliegt; denn selbst wenn eine Durchsuchung oder auch nur das Betreten der Wohnung ohne richterliche Anordnung rechtswidrig wäre, würde sich dies auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebung nicht auswirken. Lediglich die Geltendmachung von Kosten einer rechtswidrigen Durchsuchung im Rahmen einer Abschiebung wäre unzulässig. Allerdings wurden – wie bereits dargelegt – hier keine Kosten geltend gemacht, die sich ausschließlich aus dem gewaltsamen Öffnen der Tür und dem anschließenden Betreten der Wohnung des Klägers ergeben haben. Es ist daher nicht entscheidungserheblich, ob hier das Vorgehen der Polizei in der Wohnung des Klägers im Zusammenhang mit seiner Ergreifung eine Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG mit der Voraussetzung einer vorherigen richterlichen Anordnung oder ein nach § 58 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 13 Abs. 7 GG zulässiges Betreten der Wohnung darstellt bzw. ob bei Abschiebungen generell richterliche Durchsuchungsanordnungen einzuholen sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3, § 53 Abs. 3 Satz 1 GKG.
47
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).