Inhalt

VGH München, Beschluss v. 17.04.2023 – 15 ZB 23.126
Titel:

Antrag auf Zulassung der Berufung

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 5
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz:
Die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das VG und die Klägerseite genügt nicht für die Annahme von tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (vgl. VGH München BeckRS 2022, 8528 Rn. 19). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung, Zulassungsgründe nicht substantiiert dargelegt, Keine Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB, Zulassung der Berufung, grundsätzliche Bedeutung, tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten, rechtliches Gehör
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 02.08.2022 – RN 6 K 20.640
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8736

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 16.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Vorbescheides für den Umbau und die Erweiterung der Ausstellungs- und Werkstattfläche eines Gewerbebetriebs auf dem Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung M., die die Beklagte mit Bescheid vom 20. März 2020 ablehnte.
2
Mit Urteil vom 2. August 2022 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die auf Erteilung des Vorbescheids gerichtete Klage ab. Eine Teilprivilegierung des im Außenbereich liegenden Vorhabens nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB greife im konkreten Fall nicht. Ob vorliegend von vornherein strengere Anforderungen gestellt werden müssten, weil im Rahmen von früheren Genehmigungen bereits von der Erweiterungsmöglichkeit im Rahmen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB Gebrauch gemacht worden sei, könne im Ergebnis offenbleiben, da die begehrte Erweiterung unabhängig von in der Vergangenheit erfolgten Nutzungsänderungen landwirtschaftlicher Gebäude nicht als angemessen angesehen werden könne. Als angemessen betrachtet werde regelmäßig insgesamt eine Zunahme von Fläche oder Bauvolumen von 20 – 25 v. H.. Vorliegend sei bereits mit Bescheid vom 30. Juli 2004 der Anbau eines zweigeschossigen Verkaufs- und Ausstellungspavillons in der Größenordnung von 75 qm genehmigt worden, im Anschluss Nutzungsänderungen landwirtschaftlicher Gebäude für den Gewerbebetrieb. Auch wenn dies wegen des vergangenen Zeitraums keine Berücksichtigung bei der Flächenmehrung finden sollte – was ausdrücklich offengelassen werde – liege die nunmehr begehrte zusätzliche Flächenmehrung von 160 qm im Verhältnis zum in den Planunterlagen angegebenen Bestand von 466 qm (einschließlich Pavillon) bzw. den in der mündlichen Verhandlung angegebenen 485 qm über den durchschnittlich als angemessen für eine Erweiterung angesehenen 25 v. H.. Die beantragte Erweiterung sei mit Blick auf die vorgesehene zusätzliche Gebäudekubatur nicht (mehr) angemessen.
3
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt, verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Sie ist der Ansicht, das Verwaltungsgericht habe aufgrund von widersprüchlichen und unvollständigen Unterlagen, die die Beklagte am 26. Juli 2022 vorgelegt und zu denen keine Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme bestanden habe, entschieden. Ohne die kompletten Genehmigungsunterlagen habe das Verwaltungsgericht die Feststellungen im Urteil nicht treffen können. Nicht nachvollziehbar sei, warum die beantragte Erweiterung mit Blick auf die vorgesehene zusätzliche Gebäudekubatur nicht (mehr) angemessen sei.
4
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
5
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
6
1. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrunds ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt worden, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt.
7
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.). Der Rechtsmittelführer muss mit schlüssigen Gegenargumenten darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unrichtig ist (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, Rn. 62 ff. zu § 124a). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (Kuhlmann in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 124 Rn. 15 m.w.N.). Dem wird die Antragsbegründung nicht gerecht.
8
Die Klägerin kommt ihrem Darlegungsgebot nach § 124a VwGO nicht nach, da sie sich mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert auseinandersetzt. Sie behauptet zwar, dass das Verwaltungsgericht aufgrund von widersprüchlichen und unvollständigen Unterlagen entschieden habe, stellt aber nicht schlüssig dar, inwieweit die angegriffene Entscheidung unrichtig sein, die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung des streitgegenständlichen Vorbescheids haben und der Teilprivilegierungstatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB vorliegen sollen.
9
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
10
Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne dieser Vorschrift weist eine Rechtssache dann auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sie sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N). Diese Voraussetzungen sind nach dem Zulassungsvortrag der Klägerin vorliegend nicht erfüllt bzw. nicht substantiiert dargelegt. Die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und die Klägerin genügen nicht (BayVGH, B.v. 14.4.2022 – 15 ZB 21.2827 – juris Rn. 19).
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3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
12
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2023 – 15 ZB 22.2634 – juris Rn. 23).
13
Diese Anforderungen erfüllt die Zulassungsbegründung nicht. Die Klägerin formuliert schon keine entsprechende Rechts- oder Tatsachenfrage.
14
Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, „ob ein lebensfähiger Gewerbebetrieb, der dringend eine angemessene Vergrößerung für den Erhalt einer weiteren Nutzung beinhaltet“, wird damit begründet, dass die Klägerin wegen einer Kündigung durch einen Vertragspartner eine angemessene Betriebserweiterung zur Modernisierung benötige. Abgesehen davon, dass diese Frage nur in Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Einzelfalls, nicht jedoch fallübergreifend zu beantworten ist, wird auch nicht dargelegt, inwieweit dies für die Frage der Angemessenheit der Betriebserweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb i.S.d. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BauGB entscheidungserheblich ist.
15
4. Die Berufung ist ferner nicht wegen eines Verfahrensmangels, auf dem das Ersturteil beruhen kann, zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Die Klägerin macht ohne Erfolg geltend, ihr sei das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verwehrt worden.
16
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen, und verpflichtet das Gericht, das entscheidungserhebliche Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn die angefochtene Entscheidung auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten, oder wenn das erkennende Gericht das entscheidungserhebliche tatsächliche oder rechtliche Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat. Für die ordnungsgemäße Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist erforderlich, dass der Betroffene die Tatsachen, auf die das Gericht seine Entscheidung gestützt hat und zu denen er sich nicht äußern konnte, benennt und zugleich aufzeigt, an welchen tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen er aufgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs gehindert war bzw. was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und weshalb dies unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 37 m.w.N).
17
Mit ihren Ausführungen, aufgrund der unvollständigen Bauunterlagen und einer fehlenden Stellungnahmefrist zu diesen Unterlagen liege ein Verstoß gegen das Gebot auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor, zeigt die Klägerin keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG auf. Denn sie stellt nicht substantiiert dar, an welchen tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen sie aufgrund der behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs gehindert war bzw. was sie bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und weshalb dies unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen wäre. Wie die Klägerin im Zulassungsantrag ausführt, wurden ihr die Unterlagen per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) am 27. Juli 2022, also sechs Tage vor der mündlichen Verhandlung übermittelt. Es wäre demnach ausreichend Zeit gewesen, vor oder in der mündlichen Verhandlung zu rügen, dass ihrer Ansicht nach, die Unterlagen unvollständig seien, und eine Schriftsatzfrist zu beantragen. Die Berufung auf die Gehörsrüge scheidet deshalb aus, da es die anwaltlich vertretene Klägerin unterlassen hat, die im konkreten Fall gegebenen, prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, zu nutzen (vgl. BVerwG, B.v. 4.8.2008 – 1 B 3.08 – juris Rn. 9; Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 138 Rn. 35).
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
19
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.2.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, Anhang) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
20
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).