Titel:
Erfolgreicher Eilrechtsschutz gegen die Betriebsuntersagung und -stilllegung einer abfallrechtlichen Deponie - Unverhältnismäßigkeit bzw. Ungeeignetheit der Maßnahme
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayAbfG Art. 20 Abs. 1, Art. 21
GG Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:
1. Verstöße gegen den Genehmigungsbescheid einer abfallrechtlichen Deponie rechtfertigen – selbst wenn sie nachgewiesen sind – noch nicht per se eine Betriebsstilllegung nach Art. 20 Abs. 1 Alt. 3 BayAbfG. Diese wäre vielmehr unverhältnismäßig. Denn insoweit ist stets zu prüfen, ob mildere Maßnahmen der Herstellung rechtmäßiger Zustände in Gestalt nachträglicher Auflagen oder auch entsprechender nachträglicher Änderungsgenehmigungen in Betracht kommen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Betriebsuntersagung und Betriebsstilllegung bezüglich einer Deponie sind keine geeigneten Maßnahmen, um die Gesundheitsgefährdung durch bereits ausgetretenes Arsen zu beseitigen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnung der sofortigen Vollziehung, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, aufschiebende Wirkung, Widerspruch, Vollziehbarkeit, Grundwasser, Aufhebung, Landratsamt, Anordnung, Zulassung, Festsetzungen, Verwaltungsakt, Deponie, Vollziehung, Gutachten, Beschwerde, Bescheid, Abfallbeseitigung, Abfallrecht, Stilllegung, Betriebsuntersagung, Betriebbsstilllegung, Endabdeckung, Gesundheitsgefahr, Arsen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 10.11.2022 – RN 8 S 22.2014
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8728
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. November 2022 – RN 8 S 22.2014 – wird aufgehoben.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28. Juli 2022 wird bezüglich Ziff. 1 bis 6 wiederhergestellt, bezüglich Ziff. 9 ff. des Bescheides angeordnet.
III. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Der Streitwert für beide Rechtszüge wird auf 376.361,34 EUR festgesetzt.
Gründe
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Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die abfallrechtliche Verfügung des Antragsgegners (Landratsamt P…) vom 28. Juli 2022.
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1. Die Antragstellerin betreibt eine Deponie auf dem Gebiet der Stadt P…, die zuvor seit dem 1. Januar 1993 vom ZAW D… betrieben wurde, in einem Gebiet, das von jeher vom Wasserwirtschaftsamt D… aus hydrogeologischen Gründen als ungeeignet für jedwede Art von Deponien eingestuft worden war.
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Die streitgegenständlichen Anordnungen im Bescheid vom 28. Juli 2022 gründen im Wesentlichen auf Vorwürfen gegenüber der Antragstellerin bezüglich Verstößen gegen den Genehmigungsbescheid vom 16. Februar 2005. In diesem wurde u.a. angeordnet, dass die Antragstellerin eine Zwischenabdichtung über die gesamte Fläche der Deponie zu errichten habe. Diese Anordnung wurde mit Bescheid vom 6. März 2007 neugefasst. Die Neufassung betraf Details der Zwischenabdichtung sowie die Dokumentation des Einbaus und eine Fremdüberwachung. Am 7. April 2022 wurde eine Regelüberwachung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Deponieverordnung (DepV) durchgeführt, nach deren Ergebnis die gemessenen Werte nicht den Bescheidsvorgaben entsprachen. Mit Schreiben vom 25. April 2022 stellte das Wasserwirtschaftsamt fest, dass der Sachverhalt einen Verstoß gegen Anhang 1, Punkt 2.2, Satz 2 DepV darstelle.
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2. Mit Bescheid vom 28. Juli 2022 ordnete das Landratsamt P… an, dass der Betrieb der streitgegenständlichen Deponie untersagt wird (Ziff. 1), die Deponie stillzulegen ist (Ziff. 2), alle Stilllegungsarbeiten am 31. Dezember 2022 abgeschlossen sein müssen, die Bauarbeiten durch ein im Deponieabbau erfahrenes Ingenieurbüro zu begleiten und zu dokumentieren sind, sowie die Kontaktdaten des Büros dem Landratsamt mitzuteilen sind (Ziff. 3, 4), der Abschluss der Bauarbeiten schriftlich anzuzeigen ist (Ziff. 5) sowie die Dokumentation der Ziff. 4 des Bescheids dem Landratsamt vorzulegen ist (Ziff. 6). In Ziff. 7 bis Ziff. 15 wurden Anordnungen zur sofortigen Vollziehbarkeit der Ziff. 1 bis 6 getroffen. Der Deponie fehle eine Umzäunung, die Abdichtung sei nicht nachgewiesen.
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3. Mit Schriftsatz vom 12. August 2022 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Regensburg gestellt sowie Klage erhoben. Die Sickerwasserstudien seien einwandfrei. Die Anlage werde nicht von Unbefugten betreten. Die Zwischenabdichtung sei ordnungsgemäß hergestellt worden. Darüber seien das Landratsamt sowie das Wasserwirtschaftsamt bereits 2008 informiert worden. Im Jahresbericht 2009 sei dies auch festgehalten worden. Bis in das Jahr 2021 seien behördlicherseits keine Einwände betreffend die Zwischenabdichtung erhoben worden. Nachweise, dass die Antragstellerin für die zu hohen Arsenmessergebnisse verantwortlich sei, existierten nicht. Die endgültige Stilllegung führe zu einem enormen wirtschaftlichen Schaden. Mit Schreiben vom 2. September 2022 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass mit den Stilllegungsarbeiten begonnen worden sei. Am 21. September 2022 beantragte die Antragstellerin beim Landratsamt die Änderung der Deponieumfriedung, der Bauabschnittseinteilung sowie der Endabdeckung.
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4. Das Verwaltungsgericht Regensburg lehnte mit Beschluss vom 10. November 2022 den Antrag der Antragstellerin mit Ausnahme der vorliegend nicht mehr streitgegenständlichen Regelung in Ziff. 8 des Bescheides vom 28. Juli 2022 ab. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiege gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Die Androhungen in Ziff. 9 bis 11 des Bescheides hätten sich bereits erledigt, sodass diesbezüglich der Antrag unzulässig sei. Die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziff. 7 des Bescheides sei rechtmäßig und halte sich im Rahmen des § 80 Abs. 3 VwGO.
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Die Betriebsuntersagung beruhe zurecht auf Art. 20 Abs. 1 Alt. 3 BayAbfG, da die Anlage entgegen der Plangenehmigung betrieben werde. Des Weiteren fehle es an der Umzäunung. Auch werde die Anlage bescheidswidrig in mehr als zwei Bauabschnitten gleichzeitig geführt. Im Übrigen müsse nach der DepV eine geologische Barriere nach Anhang 1, Ziff. 2.2, Tabelle 1 Nr. 1 DepV, sowie eine mineralische Entwässerungsschicht nach Anhang 1, Ziff. 2.2, Tabelle 1 Nr. 3 DepV vorhanden sein. Die Anforderung einer solchen Zwischenabdichtung sei jedoch nicht nachgewiesen worden. Insoweit komme den Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes (WWA) eine besondere Bedeutung zu. Die Einholung weiterer Gutachten sei nur erforderlich, wenn das Gutachten des WWA unvollständig, widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht überzeugend sei oder wenn die Erkenntnisse durch substantiierte Einwände der Beteiligten ernsthaft in Frage gestellt würden, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Überschreitung des maßgeblichen Grenzwertes für Arsen sei unstreitig, streitig sei nur die Frage der Herkunft. Das von der Antragstellerin ins Feld geführte Szenario, dass das Arsen aus dem benachbarten Baggersee stamme, halte des WWA für nicht nachvollziehbar. Als Alternative wäre die Nachrüstung der Deponie in Frage gekommen, diese sei aber wegen des nur noch geringen Restfüllvolumens unwirtschaftlich und damit nicht das mildere Mittel. Die Ermessensausübung des Landratsamtes sei deshalb nicht zu beanstanden. Die Stilllegung gründe auf Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BayAbfG, nachdem die Deponie nach Art. 20 Abs. 1 AbfG untersagt sei.
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5. Mit Schriftsatz vom 22. November 2022 legte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hiergegen Beschwerde ein mit dem Antrag, unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtes Regensburg die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Landratsamtes P… vom 28. Juli 2022, Ziff. 1 bis 6, wiederherzustellen, sowie die aufschiebende Wirkung betreffend Ziffern 9 bis 14 anzuordnen. Mit weiterem Schriftsatz vom 12. Dezember 2022 berief sich der Bevollmächtigte der Antragstellerin auf verschiedene Gutachten, denen zufolge die umstrittene Zwischenabdichtung angebracht worden sei. Die Messstelle P4, an der einzig die Arsengrenzwertüberschreitung festgestellt wurde, liege im Abstrom des nahegelegenen Baggersees, dessen Wasser bei Grundwasserkontakt (nicht aber wie vom Wasserwirtschaftsamt behauptet in 0,2 bis 0,3 m Höhe über dem Grundwasser) im Gestein vorhandenes Arsen löse. Letzteres sei fachlich nachvollziehbar (so der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige Dr. A2. H., G. M2. GmbH). Das arsenfreie Deponiesickerwasser belege, dass das Arsen nicht aus der Deponie stamme. Eine Oberflächenendabdeckung, wie im Bescheid vom 28. Juli 2022 gefordert, sei im Übrigen, träfen die Vermutungen des Landratsamtes zu, nicht geeignet, weiteren Arsenaustritt aus der Deponie zu verhindern.
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Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2023 beantragte die Landesanwaltschaft, die Beschwerde gegen den Beschluss des VG Regensburg vom 10. November 2022 zurückzuweisen. Es habe für das Landratsamt P… kein Anlass für sonstige eigene Ermittlungen und Untersuchungen bestanden. Die von der Antragstellerin vorgelegten Gutachten sähen lediglich Alternativszenarien vor, entkräfteten aber nicht die Annahmen des Antragsgegners. Die Deponie sei genehmigungswidrig in mehr als zwei Bauabschnitten betrieben worden. Die Erstreckung und Mächtigkeit der Zwischenabdichtung sei ungewiss. Ablagerungen seien denkbare Quellen von Arsen. Die Indizien sprächen für die Auffassung des Landratsamtes P… Der Antragstellerin sei es nicht gelungen, die Vermutung, dass die Arsenschwellenwertüberschreitung von ihrer Deponie stamme, zu widerlegen. Das Landratsamt habe im Übrigen die Frist für die Durchführung der Stilllegung bis zum Ablauf des 30. September 2023 verlängert. Da die Restfüllmenge der Deponie nur noch gering gewesen sei und die Antragstellerin ohnehin dabei sei, den streitbefangenen Bescheid zu befolgen, liege eine irreparable Entscheidung nicht vor. In einer Replik vom 26. Februar 2023 ging der Bevollmächtigte der Antragstellerin nochmals auf die vorgebrachten Argumente ein.
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Wegen der zahlreichen Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz zu Unrecht versagt.
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1. Die streitgegenständlichen Anordnungen im Bescheid vom 28. Juli 2022 begegnen ernstlichen Zweifeln hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO analog), weshalb im Rahmen der gebotenen Abwägung das Anordnungs- und Aufschubinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt. Die Androhungen in Ziff. 9 bis 11 des Bescheides haben sich wegen ihrer Dauerwirkung nicht erledigt, entgegen der Annahme des Antragsgegners, sodass der diesbezügliche Antrag im Beschwerdeverfahren zulässig ist.
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Art. 20 BayAbfG, auf dem die streitgegenständlichen Anordnungen beruhen, enthält Regelungen für nicht rechtmäßige Deponien und kommt zur Anwendung, wenn eine nach dem Inkrafttreten des früheren Abfallbeseitigungsgesetzes des Bundes erstmals errichtete Anlage mangels abfallrechtlicher Zulassung unrechtmäßig betrieben wird. Gründe für eine Unrechtmäßigkeit sind die Errichtung oder Betrieb oder Änderung einer Anlage ohne die erforderliche Plangenehmigung oder im Widerspruch zu den im Zulassungsbescheid getroffenen Festsetzungen.
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Vorliegend bestehen an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 28. Juli 2022 ernstliche Zweifel zum einen, was die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 20 Abs. 1 BayAbfG betrifft, zum anderen in Bezug auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG).
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Zwar fußen die Vorwürfe gegenüber der Antragstellerin auf Verstößen gegen den Genehmigungsbescheid vom 16. Februar 2005. In diesem wurde u.a. angeordnet, dass die Antragstellerin eine Zwischenabdichtung über die gesamte Fläche der Deponie zu errichten habe. Nach wie vor ist aber nicht belegt, ob es zutrifft, dass die streitgegenständliche Zwischenabdichtung nicht (vollständig) eingefügt worden ist, sowie, ob die Überschreitung des Auslöseschwellenwerts für Arsen an der Messstelle P4 überhaupt durch das Deponat der Antragstellerin bedingt ist. Eine am 7. April 2022 durchgeführte Regelüberwachung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Deponieverordnung (DepV) ergab zwar, dass die gemessenen Werte nicht den Vorgaben des Genehmigungsbescheides entsprachen. Ob dies vom Deponat der Antragstellerin herrührt, ist derzeit indes in keiner Weise belegt.
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Unbestritten fehlt der Deponie lediglich eine Umzäunung; ferner wird sie möglicherweise genehmigungswidrig in mehr als zwei Abschnitten betrieben. Verstöße gegen den Genehmigungsbescheid rechtfertigen jedoch – selbst wenn sie nachgewiesen sind – noch nicht per se eine Betriebsstilllegung nach Art. 20 Abs. 1 Alt. 3 BayAbfG. Diese wäre vielmehr unverhältnismäßig. Denn insoweit ist stets zu prüfen, ob mildere Maßnahmen der Herstellung rechtmäßiger Zustände in Gestalt nachträglicher Auflagen oder auch entsprechender nachträglicher Änderungsgenehmigungen in Betracht kommen.
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Die Antragstellerin trifft zwar – wie dem Antragsgegner zuzugeben ist – nach dem Genehmigungsbescheid eine Nachweispflicht für die Einfügung einer Zwischenabdichtung, doch hat sie vorliegende alles in ihren Möglichkeiten Stehende getan, um nunmehr und aktuell zu belegen, dass eine solche Zwischenabdichtung tatsächlich existieren kann. Infolgedessen ist es jetzt am Antragsgegner, zunächst weitere Nachforschungen dahingehend anzustellen, ob die Zwischenabdichtung nicht doch (zumindest teilweise) angebracht wurde, anstatt sich nur auf die angeblich ungenügenden Nachweise der Antragstellerin zu berufen. Es besteht insoweit eine abgestufte Darlegungs-, Beweis- und Feststellungslast (§ 173 VwGO i.V.m. § 138 Abs. 2 ZPO), der der Antragsgegner bislang nicht nachgekommen ist.
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Nach den Regeln der gestuften Darlegungslast hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Behauptenden wie des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt die materielle Beweislast des Inhalts, dass die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter ihm günstige Rechtsfolgen ableitet, zu seinen Lasten geht (vgl. HessVGH, U.v. 06.02.2014 – 6 A 876/10 – juris). Dies gilt insbesondere im Bereich der Eingriffsverwaltung. Nach den Regeln der gestuften Darlegungslast, die an die Vorschrift des § 138 Abs. 2 ZPO anknüpfen, wonach sich jede Partei über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären hat, hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat (vgl. BGH, U.v. 22.07.2021 – I ZR 123/20 – juris Rn. 22 ff.).
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Hier hat die Antragstellerin sehr substantiiert vorgetragen und Gutachten eingeholt; der Vortrag und die Gutachten wurden durch den Antragsgegner nicht entsprechend substantiiert entkräftet. Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Tatsachen, die nach der zugrundeliegenden Norm Voraussetzung für die durch den Verwaltungsakt angeordnete Rechtsfolge sind, trägt im Rahmen der Eingriffsverwaltung stets die Behörde (vgl. BayVGH, B.v. 17.02.2020 – 12 CS 19.2505 – juris, amtl. Leitsatz 5). Das Abfallrecht gestattet keine finalen Maßnahmen auf ungesicherter tatsächlicher Grundlage.
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Vorliegend steht unbestritten lediglich fest, dass die Sickerwasserstudien einwandfrei sind und der Wert für Arsen überschritten ist. Zwingende Nachweise, dass die Antragstellerin für die Arsenmessergebnisse auch tatsächlich verantwortlich ist, existieren jedoch nicht.
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Die Messstelle P4, an der allein die Arsengrenzwertüberschreitung festgestellt wurde, liegt im Abstrom des nahegelegenen Baggersees, dessen Wasser bei Grundwasserkontakt im Gestein vorhandenes Arsen lösen könnte. Demgegenüber ist die Stellungnahme des WWA vom 28. Oktober 2022, wonach in 0,2 bis 0,3 m Höhe über dem Grundwasser kein Arsenbefund existiert, nicht ausreichend. Denn die Arsenlösung im Baggersee erklärte dann zugleich auch das von Arsen freie Deponiesickerwasser. Dem ist der Antragsgegner nicht weiter nachgegangen, sodass die Tatbestandsvoraussetzungen für ein behördliches Einschreiten gegen die Antragstellerin nicht zweifelsfrei dargelegt sind.
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Zwar kommt den Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes (WWA) eine besondere Bedeutung zu. Die Einholung weiterer Gutachten und das Treffen zusätzlicher tatsächlicher Feststellungen zum Ursachenzusammenhang der Grenzwertüberschreitung sind vorliegend indes unerlässlich, da anhand der von der Antragstellerin vorgelegten Gutachten (Stellungnahmen des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dipl.Geol. T. St., LGA Institut für U. und A3. GmbH, vom 7. Juni 2022 und 11. August 2022; hydrogeologische Berichte des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Hydrogeologie Dr. R. K., IFB E. GmbH, vom 23. August 2022 und 19. Oktober 2022) die fachliche Beurteilung des WWA bereits im Rahmen einer bloßen Parallelwertung in der Laiensphäre nachhaltig erschüttert und somit durch substantiierte Einwände der Antragstellerin ernsthaft in Frage gestellt ist (BayVGH, B.v. 04.08.2014 – 8 ZB 14.385 – BeckRS 2014, 55255 Rn. 6).
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Die endgültige Stilllegung führte zudem zu einem enormen wirtschaftlichen Schaden für die Antragstellerin. Auch dies wurde im Rahmen der notwendigen Interessenabwägung durch den Antragsgegner und das Verwaltungsgericht nicht richtig gewichtet. Denn effektiver verwaltungsgerichtlicher Eilrechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) hat die Aufgabe, irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit wie möglich auszuschließen. Keinesfalls dürfen solche Entscheidungen auf ungesicherter tatsächlicher Grundlage getroffen werden, wie es im vorliegenden Fall offensichtlich geschehen ist. Der Antragsgegner wird deshalb zunächst den Ursachenzusammenhang mittels eines „Gefahrerforschungseingriffs“ festzustellen haben, bevor er finale Maßnahmen gegen die Antragstellerin ins Werk setzt.
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Sowohl das WWA als auch der Antragsgegner beziehen sich auf eine Gesundheitsgefahr durch ausgetretenes Arsen, ohne eine ausreichende Ursachenforschung betreffend die Antragstellerin anzustellen. In Anbetracht des mit der Anordnung insbesondere auch des Sofortvollzuges verbundenen Eingriffs in die Grundrechte der Antragstellerin wäre zunächst der Nachweis zu führen gewesen, dass das Arsen nicht vom nahegelegenen Baggersee, sondern tatsächlich aus der Deponie der Antragstellerin stammt. Daran fehlt es.
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2. Schließlich erweisen sich Betriebsuntersagung und -stilllegung auch noch aus einem anderen Grunde als unverhältnismäßig: sie sind nämlich nicht die geeigneten Maßnahmen, um die Gesundheitsgefährdung durch das bereits ausgetretene Arsen zu beseitigen. Eine Oberflächenendabdeckung wie im Bescheid vom 28. Juli 2022 gefordert ist allein nicht geeignet, den weiteren Austritt von Arsen – sei es nun aus dem Baggersee oder aus der Deponie – zu verhindern. Die Verwirklichung von Gesundheitsschutz durch Erforschung der Ursache des Arsenfunds ist die der Behörde vordringlichst obliegende Aufgabe; nicht aber die Verschleierung der wirklichen Ursache durch eine nachträgliche Endabdeckung.
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Erst wenn der Ursachenzusammenhang geklärt ist, können finale Maßnahmen gegen die Antragstellerin bzw. den tatsächlich Verantwortlichen ergriffen werden. Da im Sickerwasser der Deponie selbst kein Arsen festgestellt wurde und ein Ursachenzusammenhang der Grenzüberschreitung am Messpunkt P4 mit dem Deponat derzeit nicht belegbar ist, ist ohne weitere Sachaufklärung auch für eine temporäre Betriebsschließung bis zur weiteren Klärung des Ursachenzusammenhangs kein Raum. Hierfür bedürfte es zumindest der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines entsprechenden Kausalzusammenhangs. Da die festgestellte Grenzwertüberschreitung jedoch durchaus auch lediglich natürliche Ursachen haben kann, bestehen insoweit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dessen ungeachtet würde auch eine vorübergehende Betriebsuntersagung bis zur endgültigen Klärung des Ursachenzusammenhangs den weiteren Eintrag von Arsen nicht unterbinden. Im Sickerwasser der Deponie wurde kein Arsen nachgewiesen.
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Damit begegnen sowohl die Betriebsuntersagung als auch die Stilllegung (Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BayAbfG, Art. 20 Satz 1 BayAbfG) ernstlichen Zweifeln hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO analog). Nach derzeitigem Erkenntnisstand kann die Anordnung des Sofortvollzuges deshalb keinen Bestand haben. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist daher aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013. Die voraussichtlichen Kosten einer Stilllegung betragen 752.722,68 EUR (Blatt 185 der elektronischen Behördenakte).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).