Titel:
Unzulässige Anfechtungsklage gegen Schlussfeststellung im Flurbereinigungsverfahren mangels Durchführung des Widerspruchsverfahrens
Normenketten:
FlurbG § 138 Abs. 1 S. 2, § 149
VwGO § 42, § 68
Leitsatz:
Die ordnungsgemäße Durchführung des Widerspruchsverfahrens ist Sachurteilsvoraussetzung für eine Anfechtungsklage. Fehlt das Vorverfahren, dann ist die Klage unzulässig. Dies gilt mangels abweichender Bestimmungen in §§ 139 – 148 FlurbG auch für das Rechtsbehelfsverfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schlussfeststellung, ordnungsgemäße Durchführung des Widerspruchsverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung, Widerspruchsfrist bei öffentlicher Bekanntmachung, (kein) Widerspruch vor Erlass des Verwaltungsakts, (kein) mündlicher Widerspruch, Anfechtungsklage, Unzulässigkeit, fehlendes Widerspruchsverfahren, Flurbereinigungsverfahren
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8725
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Für die baren Auslagen des Gerichts wird ein Pauschsatz von 30 Euro erhoben. Das Verfahren ist gebührenpflichtig.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger war als Rechtsnachfolger seiner Mutter Teilnehmer des am 4. Januar 1988 nach §§ 1, 4 und 37 FlurbG angeordneten Flurbereinigungsverfahrens O.
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Der Flurbereinigungsplan ist bestandskräftig. Zuletzt war eine Klage der Rechtsvorgängerin des Klägers gegen den (geänderten) Flurbereinigungsplan mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – Flurbereinigungsgericht – vom 8. Oktober 2013 (13 A 10.3043 – juris) abgewiesen worden. Eine Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2014 (9 B 14.14 – juris) zurück. Eine weitere Klage des Klägers auf Änderung oder Ergänzung des Flurbereinigungsplans nach § 64 FlurbG war durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Mai 2019 (13 A 18.2041 – juris) abgewiesen worden.
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Mit Bescheid vom 28. September 2021 erließ das Amt für ländliche Entwicklung N. (ALE) die Schlussfeststellung. Die Ausführung nach dem Flurbereinigungsplan sei bewirkt. Den Beteiligten stünden keine Ansprüche mehr zu, die im Flurbereinigungsverfahren hätten berücksichtigt werden müssen. Die Aufgaben der Teilnehmergemeinschaft seien abgeschlossen. Die Teilnehmergemeinschaft erlösche mit der Zustellung der unanfechtbar gewordenen Schlussfeststellung. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrungbeigefügt. Dieser ließ sich unter anderem entnehmen, dass gegen die Schlussfeststellung innerhalb eines Monats nach dem ersten Tag der öffentlichen Bekanntmachung Widerspruch beim ALE eingelegt werden könne. Die Schlussfeststellung wurde öffentlich bekanntgemacht (u.a. durch Niederlegung in der Geschäftsstelle der Verwaltungsgemeinschaft H. vom 15. bis 29. Oktober 2021 und Bekanntgabe der Niederlegung am 15. Oktober 2021 in der Gemeinde H.).
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Mit Schreiben vom 11. Januar 2022 teilte das ALE unter anderem dem Kläger mit, dass die Schlussfeststellung unanfechtbar geworden sei. Das Verfahren sei beendet und die Teilnehmergemeinschaft erloschen. Der Teilnehmergemeinschaft wurde am 13. Januar 2022 die unanfechtbare Schlussverfügung zugestellt.
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Am 28. März 2022 hat der Kläger beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof – Flurbereinigungsgericht – Klage gegen die Schlussfeststellung vom 28. September 2021 erhoben. Ein Gespräch beim ALE am 15. Februar 2022 habe keinen Erfolg gebracht. Im Flurbereinigungsverfahren seien seine Interessen nur zum unerheblichen Teil berücksichtigt worden. Das Verfahren habe über 30 Jahre gedauert und sei sehr zeitaufwändig, kräfte- und nervenzehrend gewesen. Es habe unbefriedigende Ergebnisse, jährliche Zahlungsverpflichtungen und Flächenverlust mit sich gebracht. Einige Baumaßnahmen seien nicht geregelt und nicht umgesetzt worden. Die Gemeinde N. habe am 17. Februar 2022 den Flurbereinigungsplan per Satzung geändert. Er fordere wegen seiner bestehenden Anliegen auch eine Änderung des Flurbereinigungsplans. Im Verfahren sei es zu schwerwiegenden Versäumnissen gekommen, seine Interessen seien von der Teilnehmergemeinschaft nicht vertreten worden. Im Gespräch am 15. Februar 2022 mit dem Vorsitzenden der Teilnehmergemeinschaft habe er mündlich Widerspruch eingelegt. Bereits vor Ergehen der Schlussfeststellung habe er mit seiner Mutter einen schriftlichen Widerspruch erhoben. Bereits lange Zeit vorher habe er das Flurbereinigungsverfahren insgesamt abgelehnt.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Schlussfeststellung vom 28. September 2021 aufzuheben und das Flurbereinigungsverfahren insgesamt wiederaufzunehmen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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Die Klage sei nicht zulässig. Der Kläger habe gegen die Schlussfeststellung keinen Widerspruch erhoben. Es sei kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden.
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Am 27. Juli 2022 hat der Beklagte die Akten vorgelegt.
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Am 23. März 2023 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig, weil der Kläger das Widerspruchsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat.
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Die ordnungsgemäße Durchführung des Widerspruchsverfahrens ist Sachurteilsvoraussetzung unter anderem für eine Anfechtungsklage. Fehlt das Vorverfahren, dann ist die Klage unzulässig (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 68 Rn. 20 m.w.N.). Dies gilt mangels abweichender Bestimmungen in §§ 139 – 148 FlurbG auch für das Rechtsbehelfsverfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz (vgl. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG).
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Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der vom ALE mit Bescheid vom 28. September 2021 gemäß § 149 FlurbG erlassenen Schlussfeststellung (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 88 VwGO). Es handelt sich hierbei um eine Anfechtungsklage (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) gegen einen Bescheid der oberen Flurbereinigungsbehörde (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 AGFlurbG; vgl. Linke in Linke/Mayr, AGFlurbG, 2012, Art. 1 Rn. 3). Einer solchen Klage ist gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FlurbG ein Widerspruchsverfahren vorgeschaltet (vgl. a. § 149 Abs. 1 Satz 3 FlurbG). Soweit der Kläger in seinem Antrag eine Wiederaufnahme des Flurbereinigungsverfahrens erwähnt, kommt dem keine eigenständige Bedeutung zu (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 88 VwGO).
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Das demnach vor Klageerhebung notwendige Widerspruchsverfahren hat der Kläger nicht ordnungsgemäß durchgeführt, weil er innerhalb offener Widerspruchsfrist keinen wirksamen Widerspruch eingelegt hat.
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Die Widerspruchsfrist endete am 15. November 2021: Die Schlussfeststellung ist öffentlich bekanntzumachen (§ 149 Abs. 1 Satz 2 FlurbG). Die Widerspruchsfrist beginnt gemäß § 115 Abs. 1 FlurbG mit dem ersten Tag der Bekanntmachung. Vorliegend war ausweislich der vom Beklagten vorgelegten Akten der 15. Oktober 2021 der erste Tag der Bekanntmachung der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrungversehenen Schlussverfügung vom 28. September 2021. Hiervon ausgehend begann die Widerspruchsfrist am 16. Oktober 2021 zu laufen (§ 115 Abs. 2 Satz 1 FlurbG i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB; vgl. a. Wingerter in Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Auflage 2018, § 115 Rn. 3 m.w.N.). Sie endete nach einem Monat (§ 70 VwGO; vgl. Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 141 Rn. 7) am Montag, 15. November 2021 (§ 115 Abs. 2 Satz 1 FlurbG i.V.m. § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
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Bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist hatte der Kläger keinen Widerspruch eingelegt: In den vorgelegten Behördenakten befindet sich kein Widerspruchsschreiben. Soweit er in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, er habe bereits vor Ergehen der Schlussverfügung einen schriftlichen Widerspruch erhoben, fehlt es zum einen schon am Nachweis hierfür. Zum andern kann ein Widerspruch nur wirksam eingelegt werden, wenn der Verwaltungsakt bereits existent ist (Mayr in Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Auflage 2018, § 141 Rn. 7 m.w.N.). Ein tatsächlich vor Erlass der Schlussverfügung eingelegter Widerspruch hätte deshalb von vornherein keine Wirkung. Auch soweit der Kläger meint, er habe in einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Teilnehmergemeinschaft am 15. Februar 2022 einen mündlichen Widerspruch erhoben, kann ihm das nicht weiterhelfen: Zum einen wäre ein am 15. Februar 2022 erhobener Widerspruch verspätet gewesen. Zum andern kann ein Widerspruch nicht mündlich erhoben werden (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 141 Rn. 4).
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Da die Klage bereits unzulässig ist, kommt es auf die inhaltlichen Einwände des Klägers gegen die Schlussfeststellung bzw. das Flurbereinigungsverfahren nicht an.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 147 Abs. 1 FlurbG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.