Titel:
Erfolglose PHK-Beschwerde wegen landesinterner Umverteilung eines geduldeten Ausländers
Normenketten:
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60b
DVAsyl § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 6
Leitsätze:
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungsreife der Prozesskostenhilfe. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Um Klarheit über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung zu erhalten sind Gerichte verpflichtet, baldmöglichst nach Bewilligungsreife über Prozesskostenhilfebegehren zu entscheiden, wobei es zulässig ist, in den Gründen für die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die Gründe der Sachentscheidung Bezug zu nehmen unter Beachtung des Umstandes, dass die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und diejenige über das Begehren in der Hauptsache unterschiedlichen Maßstäben unterliegen, die im Einzelfall eine separate Begründung der Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlich machen können. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfebeschwerde, Verpflichtungsklage, Landesinterne Umverteilung, Humanitäre Gründe von gleichem Gewicht, Begleiteter Umgang, Krankheit eines Elternteils, Prozesskostenhilfe, Beschwerdeverfahren, Erfolgsaussichten, PHK-Entscheidung, Sachentscheidung, Ausländerrecht, Duldung, landesinterne Umverteilung, Umverteilungsgrund, Kindeskontakt, Rechtsschutz
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 27.07.2022 – M 24 K 21.4700
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8717
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Kläger, ein bestandskräftig abgelehnter Asylbewerber jordanischer Staatsangehöriger palästinensischer Herkunft, der Inhaber einer Duldung nach § 60b AufenthG ist, wendet sich mit seiner Beschwerde gegen Teil C. der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 27. Juli 2022, mit dem dieses seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe − unter Beiordnung der Bevollmächtigten − für eine Klage, gerichtet auf Verpflichtung des Beklagten zur landesinternen Umverteilung des Klägers nach § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 DVAsyl von Viechtach nach Dachau, abgelehnt hat.
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1. Die – ohne Begründung eingelegte − Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet, weil das Verwaltungsgericht den genannten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Sache zu Recht unter Verweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Klage nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgelehnt hat.
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a) Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn das Gericht den vorgetragenen Rechtsstandpunkt der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei bei summarischer Prüfung für vertretbar hält und unter Berücksichtigung der (materiellen) Darlegungs- und Beweislast sowie der Amtsermittlung die entsprechende Beweisführung als möglich erachtet (vgl. Reichling in Vorwerk/Wolf, ZPO, 48. Aufl., Stand: 1.3.2023, § 114 Rn. 28 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungsreife (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2019 – 10 C 19.315 – juris Rn. 6 m.w.N.). Als Ausnahme hiervon kann der Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblich sein, wenn sich nach dem Eintritt der Bewilligungsreife die Sach- und Rechtslage zugunsten des Betroffenen geändert hat und die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung infolge dieser Änderung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2013 – 10 C 12.1757 − juris Rn. 25 m.w.N.).
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b) Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgelehnt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden (in Bezug genommenen) Gründe des angegriffenen Beschlusses.
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aa) Lediglich ergänzend gilt darüber hinaus Folgendes: Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf landesinterne Umverteilung hat, weil es an der Tatbestandsvoraussetzung eines Umverteilungsgrundes im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 DVAsyl fehlt, mithin eines humanitären Grundes, welcher der Hausgemeinschaft von Ehegatten sowie ihren minderjährigen ledigen Kindern an Gewicht gleichsteht.
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(1) Den geltend gemachten Wunsch des Klägers, näher an dessen in R. lebender Tochter zu wohnen, um die Umgangskontakte mit ihr zu erleichtern, hat das Verwaltungsgericht als nicht hinreichend angesehen, weil es sich bei den Kontakten zu der Tochter um einen lediglich einmal im Monat stattfindenden begleiteten Umgang für wenige Stunden handele, der trotz der erheblichen Distanz und der sich daraus ergebenden Umstände wie bisher auch von Viechtach aus aufrechterhalten werden könne. Die durch gerichtlichen Vergleich festgelegten begleiteten Kontakte zu der Tochter seien seit Jahren in der Frequenz stabil. Es sei weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass sie in Zukunft häufiger stattfinden würden. Insofern laufe der Wunsch des Klägers, näher an R. zu wohnen, letztlich auf eine Verkürzung der Fahrzeiten einer einmal monatlich stattfindenden Besuchsfahrt hinaus (vgl. GA S. 7 f.). Die getroffenen Feststellungen decken sich mit dem Prozessstoff (vgl. Behördenakte, Bl. 19: „Umgangstermin … im Kinderschutzbund … im Rahmen des Besuchscafés … von 14.00 bis 16.00 Uhr“) und sind auch mit Blick auf die daraus gezogenen Schlussfolgerungen in der Sache nicht zu beanstanden.
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(2) Das Weiteren lässt sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ein Umverteilungsgrund im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 DVAsyl auch nicht aus der Erkrankung des Vaters des Klägers und dem geltend gemachten Wunsch des (erwachsenen) Klägers herleiten, jenen zu unterstützen. Zwar seien Unterlagen für eine schwerwiegende Nierenerkrankung sowie weitere erhebliche Erkrankungen des Vaters des Klägers vorgelegt worden, und es liege nahe, von einer gewissen altersentsprechenden Gebrechlichkeit des Vaters des Klägers auszugehen. Nicht im Einzelnen vorgetragen, belegt oder sonst ersichtlich sei allerdings, inwieweit der Vater des Klägers aufgrund der Erkrankung dessen Unterstützung bedürfe. Bereits der Beklagte habe zu Recht darauf hingewiesen, dass unklar sei, ob und inwieweit der Kläger bisher Lebenshilfe für seinen Vater leiste. Die aufgeworfene Frage, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Lebenshilfe durch die Mutter des Klägers, habe der Kläger nicht zum Anlass genommen, dies weiter aufzuklären (vgl. GA S. 8 f.). Auch dies ist in der Sache nicht zu beanstanden. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts decken sich mit dem Prozessstoff und sind mit Blick auf die getroffene Würdigung nachvollziehbar, zumal der (materiell) darlegungs- und beweisbelastete Kläger zusätzlich zu den aufgezeigten Lücken im Vortrag auch keine Hausgemeinschaft mit dem Vater zu begründen beabsichtigt und sich außerstande sieht, Stellungnahmen des behandelnden medizinischen Personals zu der Notwendigkeit der Unterstützung beizubringen (vgl. VG München, Gerichtsakte, Klage v. 2.9.2021, S. 3: „WG-Zimmer“ u. „Schreibung durch Hausarzt leider nicht möglich“).
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bb) Der Beschwerde verhilft auch nicht zum Erfolg, dass das Verwaltungsgericht erst mit Erlass des Gerichtsbescheides über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe – unter Beiordnung der Bevollmächtigten − entschieden und hierzu auf die Gründe des Gerichtsbescheides verwiesen hat. Zwar sind die Gerichte verpflichtet, über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe baldmöglichst nach Bewilligungsreife zu entscheiden, damit die rechtsschutzsuchende Person Klarheit über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung erhält, um hierauf gegebenenfalls zur Vermeidung weiterer Kosten reagieren zu können. Zum einen führt jedoch ein Verstoß hiergegen nicht zwangsläufig dazu, dass aus diesem Grund im Beschwerdeverfahren – unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage − Prozesskostenhilfe zu bewilligen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2010 – 7 C 10.90 – juris Rn. 11). So ist es auch mit Blick auf die Rechtsschutzgleichheit grundsätzlich zulässig, in den Gründen für die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die Gründe der Sachentscheidung Bezug zu nehmen. Allerdings unterliegen die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und diejenige über das Begehren in der Hauptsache unterschiedlichen Maßstäben, die im Einzelfall eine separate Begründung der Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlich machen können (vgl. BVerfG, B.v. 5.12.2018 – 2 BvR 2257/17 – juris Rn. 18 m.w.N.). Dies ist indes weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Zum anderen ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass das Verwaltungsgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 30. Juni 2022 seine Einschätzung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung im Voraus mitgeteilt hat. Danach hatte die Klägerseite hierüber Klarheit und bis zu dem mitgeteilten Stichtag, dem 22. Juli 2022, auch genügend Zeit, um hierauf angemessen reagieren zu können, gegebenenfalls auch auf einer vorherigen Prozesskostenhilfeentscheidung des Verwaltungsgerichts vor dem genannten Stichtag zu bestehen (vgl. VG München, Gerichtsakte, Schreiben v. 30.6.2022, S. 2).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen sind anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG jeweils eine Festgebühr anfällt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
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4. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.