Titel:
Antragsberechtigung eines Webdesigners für Künstler-Soloselbstständigenprogramm
Normenkette:
GG Art. 3
Leitsatz:
Bei der Tätigkeit als Webdesigner handelt es sich auch um eine künstlerische Tätigkeit im Sinne der Kriterien für die Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Förderung, Webdesigner, Künstlerische Tätigkeit, bejaht in Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, U.v. 7.7.2005, B 3 KR 37/04 R), überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts aus künstlerischer Tätigkeit, keine Vorlage ausreichender Nachweise, Verwaltungspraxis des Beklagten, Corona, Selbstständigenprogramm, Künstler, Lebensunterhalt
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8565
Tenor
I. Die Verfahren Au 8 K 21.582 und Au 8 K 22.695 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Klagen werden abgewiesen.
III. Die Kosten der Verfahren hat der Kläger zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Gewährung einer Zuwendung im Rahmen der Corona-Soforthilfe nach dem Soloselbständigenprogramm für die Jahre 2020 (Au 8 K 21.582) und 2021 (Au 8 K 22.695).
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1. Am 4. Februar 2021 stellte der Kläger über das elektronische Antragsportal bei der Regierung von ... einen Antrag auf Gewährung von Hilfen nach den „Richtlinien für die Gewährung eines fiktiven Unternehmerlohns zur Sicherung des Lebensunterhalts der von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) betroffenen soloselbstständigen Künstlerinnen und Künstler sowie Angehörigen kulturnaher Berufe (Soloselbstständigenprogramm für Künstlerinnen und Künstler sowie Angehörige kulturnaher Berufe)“ (im Folgenden: Soloselbstständigenprogramm) für den Zeitraum Oktober 2020 bis Dezember 2020.
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Zur Begründung gab er an, dass er seinen Lebensunterhalt überwiegend aus erwerbsmäßiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit gemäß dem Katalog der Künstlersozialkasse bestreite, er arbeite als „Fachmann f. Öffentlichkeitsarbeit oder Werbung“. Die durchschnittlichen monatlichen Gesamteinnahmen im Vergleichszeitraum hätten 2.156,- EUR betragen. Monatliche Gesamteinnahmen für den Antragszeitraum erwarte er in Höhe von 198,- EUR, ein Rückgang von 85,4%. Es errechne sich ein fiktiver Unternehmerlohn in Höhe von monatlich 1.158,- EUR (gesamt 3.474,- EUR).
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Im Rahmen mehrerer Rückfragen der Regierung ergänzte der Kläger seine Angaben im Förderantrag dahin, dass er im Bereich Onlinemarketing arbeite. Dazu gehörten Website-Erstellung und Website-Pflege, Suchmaschinenoptimierung, Statistikauswertung, Werbeanzeigen, Kundenkommunikation, PR, Grafikdesign, Fotografie und vieles mehr. Diesem Tätigkeitsbereich komme die Bezeichnung „Fachmann für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit“ seiner Auffassung nach am nächsten, er habe deshalb diese Tätigkeitsbezeichnung angegeben. Er lege Rechnungen für Tätigkeiten im Bereich Newsletter-Gestaltung, Texterstellung, Grafikarbeit und Fotografie für einen Stammkunden vor, weiter nunmehr Rechnungen über Bannergestaltung und Werbung sowie Newsletter-Gestaltung und Versand, sowie die Auswertung für einen weiteren Stammkunden. Er sei seit Jahren zu 100% für Unternehmen im Rotlicht-/Erotik-Gewerbe tätig, deren Betrieb durch die Pandemieregelungen untersagt (worden) sei. Der Umsatzausfall betreffe alle seine Dienstleistungen. Die von ihm vorgelegten Rechnungen für den Zeitraum vor Oktober 2020 beruhten auf einem mündlichen Vertrag, eine geforderte Vertragskündigung könne er deshalb nicht vorlegen. Gleichzeitig legte er die Lohnsteuerbescheinigung für 2019 vor, aus der sich eine Entlohnung aus nichtselbständiger Tätigkeit für ein Autohaus in Höhe von 9.600,- EUR ergibt.
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Auf eine nochmalige Nachfrage legte der Kläger eine Gehaltsabrechnung des vorgenannten Autohauses für den Monat Oktober 2020 vor, aus der sich ein Bruttoarbeitslohn von 800,- EUR ergibt. Nach den Angaben des Klägers wurde dieser Bruttolohn in gleicher Höhe für alle drei Monate des Antragszeitraums bezahlt.
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Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. Februar 2021 den Antrag ab.
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Antragsberechtigt seien nur Künstler und Personen, die u.a. eine kulturnahe Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben würden. Voraussetzung sei, dass der Kläger in der Künstlersozialkasse versichert sei, den Lebensunterhalt überwiegend aus erwerbsmäßiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit gemäß dem Katalog der Künstlersozialkasse oder überwiegend aus erwerbsmäßiger Tätigkeit im kulturnahen Bereich bestreite. Die vom Kläger angegebene Tätigkeit, die Neuanlage von Websites, Dateiupload, Texterstellung sowie Aktualisierung, entspreche nicht einer künstlerischen Tätigkeit. Im Vordergrund stehe insoweit nicht die künstlerische Gestaltung, die Erstellung von Websites falle in den Tätigkeitsbereich eines Fachinformatikers mit Programmierkenntnissen. Bei der Website-Pflege stehe das Tracking sowie die Erfolgsauswertung im Vordergrund. Auch die Einrichtung eines Newsletters stelle keine künstlerische Tätigkeit dar.
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2. Am 31. Dezember 2021 stellte der Kläger einen weiteren Antrag bei der Regierung von ... nach dem Soloselbstständigenprogramm für den Zeitraum Juli bis September 2021 sowie für November 2021.
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Zur Begründung gab er an, dass er seinen Lebensunterhalt überwiegend aus erwerbsmäßiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit gemäß dem Katalog der Künstlersozialkasse bestreite, er arbeite als „Grafiker“. Die durchschnittlichen monatlichen Gesamteinnahmen im Vergleichszeitraum hätten 1.356,- EUR betragen. Monatliche Gesamteinnahmen für den Antragszeitraum erwarte er in Höhe von 872,- EUR, ein Rückgang von 35,69%. Es errechne sich ein fiktiver Unternehmerlohn in Höhe von monatlich 484,- EUR (gesamt 1.936,- EUR).
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Im Rahmen der Antragstellung teilte der Kläger weiter mit, dass er im Februar 2021 und im Juli 2021 insgesamt Fördermittel des Bundes in Höhe von insgesamt 7.903,59 EUR (Novemberhilfe: 1044,- EUR; Dezemberhilfe: 715,59 EUR; Neustarthilfe 6144,- EUR) erhalten habe.
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Mit Bescheid vom 15. Februar 2022 lehnte der Beklagte den Antrag ab.
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Unter Wiederholung der Begründung aus dem Bescheid vom 16. Februar 2021 wurde ergänzend ausgeführt, dass der Kläger im anhängigen Klageverfahren zu diesem Bescheid keine weiteren Unterlagen für den Vorjahreszeitraum vorgelegt habe, aus denen sich in Abweichung zur Rechtsauffassung der Regierung eine künstlerische Tätigkeit ergebe.
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3. Am 11. März 2021 (Au 8 K 21.582) und am 15. März 2022 (Au 8 K 22.695) ließ der Kläger gegen den jeweiligen Bescheid jeweils rechtzeitig Klage erheben.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Kläger nachgewiesen habe, dass er schwerpunktmäßig eine künstlerische Tätigkeit ausübe. Er befasse sich mit den Tätigkeitfeldern Webdesign, Grafik, Fotografie und Texte. Weiter betreibe er eigene Webseiten und publiziere dort und auch auf fremden Plattformen Artikel und Informationen, in denen dann zur Monetarisierung Werbeplätze in Form von Bannern und Textlinks verkauft würden. Es stehe demnach die kreative schöpferische Tätigkeit des Klägers im Vordergrund. Auch der Gestaltung von Bannern und deren Publizierung gehe denknotwendig eine schöpferische Tätigkeit voraus, da nur so die entsprechende Reichweite erzielt werden könne. Bei der Webseitenpflege und -aktualisierung im Bereich Contentcreation benötige der Kläger Fertigkeiten im Bereich Grafikerstellung, Texterstellung, Fotografie und Fotobearbeitung. Es handle sich damit ebenfalls um kreative Tätigkeiten. Dies gelte auch für die Erstellung von Webseiten für Kunden und die Erstellung von Newslettern. Unter Beachtung des Art. 3 GG könne der Kläger damit einen Anspruch auf Gewährung der Förderung geltend machen, die restriktive Auslegung des Beklagten sei fehlerhaft.
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Im Juni 2021 ließ der Kläger eine Einnahmenliste für das Jahr 2019 und 2020/2021 vorlegen. In dieser wurde, soweit sie in identischer Weise bereits im Antragsverfahren bei der Förderstelle vorgelegt war, seine Tätigkeit als „Grafiker, Texter, Fotograf“ benannt, in der im Antragsverfahren vorgelegten Liste war die Tätigkeit jeweils als „Werbefachmann“ bezeichnet. Da der Kläger überwiegend im Internet Dienstleistungen für Betriebe im Rotlichtgewerbe anbiete, deren Tätigkeit durch die Beschränkungen der Pandemie vollständig untersagt gewesen sei, sei es im Bereich der Webseiten-Erstellung bzw. -pflege auch zu keiner gestiegenen Nachfrage durch die Kunden gekommen.
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Der Kläger lässt im jeweiligen Verfahren beantragen,
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unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Februar 2021 den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Finanzhilfe nach dem Soloselbständigenprogramm für Künstlerinnen und Künstler aufgrund des Antrags vom 4. Februar 2021 zu gewähren,
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unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Februar 2022 den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Finanzhilfe nach dem Soloselbständigenprogramm für Künstlerinnen und Künstler aufgrund des Antrags vom 31. Dezember 2021 zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt in beiden Verfahren,
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Zur Begründung im Verfahren Au 8 K 21.582 trug der Beklagte im Wesentlichen vor, dass der Kläger nicht im Einzelnen glaubhaft gemacht habe, dass er überwiegend eine künstlerische Tätigkeit ausübe. Zwar könne der Werbegrafiker in den Geltungsbereich der Förderrichtlinie fallen, die Erstellung von Werbebannern oder die Gestaltung von Websites könne eine künstlerische Tätigkeit darstellen. Nicht künstlerisch seien die technische Einrichtung einer Website, das Tracking von Nutzern der Website oder der Verkauf von Werbeplätzen auf eigenen Websites durch Banner oder Textlinks. Der Kläger habe trotz mehrfacher Aufforderung keine Verträge mit Kunden oder Nachweise zum Überwiegen der künstlerischen Tätigkeit im Rahmen seiner Tätigkeiten vorgelegt. Eine Glaubhaftmachung der Einbußen durch die Pandemie sei nicht erfolgt, zumal Webdesigner in der Regel zu den Gewinnern der Pandemie aufgrund des gestiegenen Online-Shop-Angebots gehörten. Nach ständiger Verwaltungspraxis der Regierung sei die Vorlage geeigneter Nachweise für die künstlerische Tätigkeit – je nach Beruf insbesondere Rechnungen, Verträge etc. – Voraussetzung für die Gewährung der Förderung, soweit der Antragsteller nicht bereits in der Künstlersozialkasse versichert sei.
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Im Antrag für das Jahr 2021 habe der Kläger keine weiteren Unterlagen vorgelegt, aus denen sich nachvollziehbar eine überwiegende künstlerische Tätigkeit ergebe. Gleichzeitig habe er eine Bezahlung in Höhe von 9.200,- EUR für das Jahr 2019 als abhängig Beschäftigter bei einem Autohaus erhalten, für die künstlerische Tätigkeit habe er für das Jahr 2019 Einnahmen in Höhe von 16.272,- EUR angegeben. Da er für diese Einnahmen aber nur einzelne Rechnungen für eine Website-Pflege vorgelegt habe, lasse sich eine überwiegende künstlerische Tätigkeit nicht nachvollziehen. Aus dem Antrag des Klägers für den Förderzeitraum Juli bis Dezember 2021 ergebe sich auch eine Überkompensation aufgrund der erhaltenen Bundesmittel für den Zeitraum November/Dezember 2020.
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Auf den gerichtlichen Hinweis vom 18. März 2022, dass eine ausreichende Glaubhaftmachung des Umsatzrückgangs für den Anteil der künstlerischen Tätigkeit als Webdesigner zweifelhaft sein könnte, erfolgte keine weitere Äußerung der Klägerseite.
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In beiden Verwaltungsstreitverfahren wurde am 17. Januar 2023 mündlich vor Gericht verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird im Einzelnen Bezug genommen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten.
Entscheidungsgründe
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Die den inhaltlich gleichen Streitgegenstand betreffenden beiden Verfahren konnten gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden.
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Die zulässig erhobenen beiden Klagen bleiben erfolglos. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer finanziellen Hilfe nach den Richtlinien für die Gewährung eines fiktiven Unternehmerlohns zur Sicherung des Lebensunterhalts der von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) betroffenen soloselbstständigen Künstlerinnen und Künstler sowie Angehörigen kulturnaher Berufe (Soloselbstständigenprogramm für Künstlerinnen und Künstler sowie Angehörige kulturnaher Berufe).
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1. Bei Billigkeitsleistungen der vorliegenden Art handelt es sich um freiwillige staatliche Maßnahmen. Eine explizite Rechtsnorm, die konkret einen Anspruch des Klägers auf Bewilligung der beantragten Hilfe begründet, existiert nicht. Vielmehr erfolgt die Billigkeitsleistung auf der Grundlage der einschlägigen Richtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der dafür im Haushaltsplan besonders zur Verfügung gestellten Ausgabemittel (Art. 53 BayHO). Ein Rechtsanspruch besteht danach nur ausnahmsweise, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) durch eine Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis auf Basis der einschlägigen Richtlinien. Die Förderrichtlinien begründen als ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbar Rechte und Pflichten, sondern entfalten erst durch ihre Anwendung Außenwirkung. Das Gericht ist somit grundsätzlich an den Zweck der Hilfen gebunden, wie ihn der Geber der Hilfen versteht. Für die gerichtliche Prüfung der Entscheidung über die Gewährung einer Förderung in Form einer Billigkeitsleistung gelten deshalb dieselben Grundsätze wie für Zuwendungen, die ebenfalls auf der Grundlage der einschlägigen Förderrichtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel (Art. 23, 44 BayHO) erfolgen. Entscheidend für die gerichtliche Prüfung ist, wie die Behörde des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden ist.
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Ein Anspruch auf die Förderung besteht im Einzelfall somit über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung und den Gleichheitssatz dann, wenn die in den Richtlinien dargelegten Fördervoraussetzungen vorliegen und vergleichbare Anträge in ständiger Förderpraxis des Beklagten auch positiv verbeschieden werden (VG Würzburg, GB. v. 24.3.2021 – W 8 K 21.112 – juris Rn. 20 sowie zur vergleichbaren Thematik der Zuwendungen BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 26).
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Da Richtlinien keine Rechtsnormen sind, unterliegen sie auch grundsätzlich keiner richterlichen Interpretation. Eine Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob aufgrund der einschlägigen Förderrichtlinien überhaupt eine Verteilung öffentlicher Mittel vorgenommen werden kann (Vorbehalt des Gesetzes) und bejahendenfalls, ob bei Anwendung der Richtlinien in Einzelfällen, in denen die begehrte Leistung versagt worden ist, der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt oder der Rahmen, der durch die gesetzliche Zweckbestimmung gezogen ist, nicht beachtet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.1979 – 3 C 111/79 – juris).
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Die Richtlinien setzen Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Hilfen und regeln insoweit die Ermessenshandhabung. Die Ermessensbindung reicht jedoch nur so weit wie die festgestellte tatsächliche ständige Verwaltungspraxis. Die gerichtliche Überprüfung erfolgt nur im Rahmen des § 114 VwGO. Das Gericht hat nicht die Befugnis zu einer eigenständigen oder gar erweiternden Auslegung der Richtlinien (vgl. SaarlOVG, B.v. 28.5.2018 – 2 A 480/17 – juris; OVG SH, U.v. 17.5.2018 – 3 LB 5/15 – juris; OVG NRW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris; HessVGH, U.v. 28.6.2012 – 10 A 1481/11 – juris; VG Würzburg, GB.v. 24.3.2021 – W 8 K 21.112 – juris Rn. 22).
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Ausgangspunkt ist die ständige Verwaltungspraxis in vergleichbaren Fällen, sofern sie nicht im Einzelfall aus anderen Gründen zu rechtswidrigen Ergebnissen führt. So dürfen im Einzelfall keine sachlichen Gründe für das Abweichen von der Behördenpraxis bestehen. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften dürfen nur für den Regelfall gelten und müssen Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle lassen (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 40 Rn. 57 ff.; Ruthig in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 114 Rn. 41 ff.). Ein derartiger atypischer Fall ist dann gegeben, wenn der konkrete Sachverhalt außergewöhnliche Umstände aufweist, deren Besonderheiten von der ermessenslenkenden Vorschrift nicht hinreichend erfasst und von solchem Gewicht sind, dass sie eine von der im Regelfall vorgesehenen Rechtsfolge abweichende Behandlung gebieten (OVG NRW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris; VG Würzburg, GB.v. 24.3.2021 – W 8 K 21.112 – juris Rn. 26).
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2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kann der Kläger weder für das Jahr 2020 (Au 8 K 21.582) noch für das Jahr 2021 (Au 8 K 22.695) einen Anspruch auf die Gewährung finanzieller Hilfen nach dem Soloselbstständigenprogramm geltend machen.
34
Gemäß Nr. 2 Satz 1 der Richtlinien für die Gewährung finanzieller Hilfen nach dem Soloselbstständigenprogramm (Bek. v. 11.3.2021, BayMBl. 2021 Nr. 195, geändert mit Bek. v. 17.6.2021, BayMBl. 2021 Nr. 460; im Folgenden: Richtlinien) sind antragsberechtigt Künstlerinnen und Künstler sowie Angehörige kulturnaher Berufe mit bestehendem Hauptwohnsitz in Bayern, die spätestens seit 1. Februar 2020 eine künstlerische, publizistische oder kulturnahe Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Nach Nr. 2 Satz 2 der Richtlinien ist hierfür Voraussetzung, dass der Antragsteller nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versichert ist (1. Spiegelstrich) oder den Lebensunterhalt überwiegend aus erwerbsmäßiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit gemäß dem Katalog der Künstlersozialkasse bestreitet (2. Spiegelstrich) oder den Lebensunterhalt überwiegend aus erwerbsmäßiger Tätigkeit in kulturnahen Bereichen – die beispielhaft benannt werden – bestreitet (3. Spiegelstrich). Gemäß Nr. 2 Satz 5 der Richtlinien ist Antragsvoraussetzung ferner, dass die durchschnittlichen bzw. die zu erwartenden durchschnittlichen monatlichen Gesamteinnahmen des Antragstellers im Antragszeitraum verglichen mit den durchschnittlichen monatlichen Gesamteinnahmen des Jahres 2019 durch Einnahmeausfälle aufgrund der Corona-Pandemie um mindestens 30% zurückgegangen sind (erheblicher Umsatzrückgang). Weiter enthält Nr. 5 der Richtlinien für die Antragstellung Regelungen zur Vorlage geeigneter Nachweise, aus denen sich Antragsberechtigung und Umsatzrückgang ergeben. Diese Nachweise sind nach Nr. 9.1 Satz 4 der Richtlinien der Bewilligungsstelle auf Verlangen vorzulegen.
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a) Der Kläger ist als Selbstständiger, der eine (auch) künstlerische Tätigkeit ausübt, antragsberechtigt.
36
Der Kläger hat in seinem elektronischen Antrag vom 4. Februar 2021 unter der Rubrik „Angaben zur Tätigkeit“ in der Antragsmaske aus den dort hinterlegten Tätigkeitsbezeichnungen den Begriff „Fachmann f. Öffentlichkeitsarbeit oder Werbung“ ausgewählt. Diese Bezeichnung hat offensichtlich die Antragsmaske vorgegeben, um so die in Nr. 2 Satz 2, 2. Spiegelstrich bezeichnete „Tätigkeit gemäß dem Katalog der Künstlersozialkasse“ wiederzugeben. Erst im Laufe des Verwaltungsverfahrens hat sich durch die Nachfragen der Regierung und die ausführlicheren Erläuterungen des Klägers die Tätigkeit als „Webdesigner“ konkretisiert.
37
Entgegen den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden ist auch der Beklagte nunmehr der Auffassung, dass die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Webdesigner als künstlerische Tätigkeit i.S.d. Nr. 2 Satz 2, 2. und. 3. Spiegelstrich der Richtlinien einzuordnen ist (Schriftsatz des Beklagten vom 14.7.2022, Bl. 30 der Gerichtsakte im Verfahren Au 8 K 22.695). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die sich der Beklagte insoweit zu Eigen gemacht hat, ist die Künstlereigenschaft von Webdesignern im Ergebnis nicht (mehr) streitig. Denn bei der Tätigkeit als Webdesigner handelt es sich auch um eine künstlerische Tätigkeit im Sinne der Kriterien für die Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG), wie das Bundessozialgericht dies im Einzelnen dargelegt hat (BSG, U.v. 7.7.2005 – B 3 KR 37/04 R – juris Rn. 12 ff.).
38
b) Neben der Antragsberechtigung durch die Ausübung einer künstlerischen Tätigkeit ist weitere Voraussetzung für das Bestehen eines Anspruchs, dass der Kläger – der unstreitig nicht nach dem KSVG versichert ist – seinen Lebensunterhalt überwiegend aus der künstlerischen Tätigkeit deckt (Nr. 2 Satz 2, 2. und 3. Spiegelstrich der Richtlinien).
39
Nach der ständigen Verwaltungspraxis der Regierung als Bewilligungsstelle ist es zum Nachweis des Vorliegens dieser Anspruchsvoraussetzung notwendig, dass der Antragsteller nachvollziehbare Belege über die Art und die Höhe der Einkünfte, die in Ausübung der künstlerischen Tätigkeit erzielt werden, vorlegt (vgl. Nr. 9.1 Satz 4 der Richtlinien).
40
Der Kläger geht vorliegend neben seiner Tätigkeit als Webdesigner auch einer abhängigen Beschäftigung bei einem Autohaus nach. Gleichzeitig ergeben sich aus den im Antragsverfahren vom Kläger vorgelegten Rechnungen auch Einnahmen aus Tätigkeiten, die keinen künstlerischen Bezug aufweisen. So weist etwa die Rechnung vom 30. September 2020 (Bl. 7 der Behördenakte im Verfahren Au 8 K 21.582) auch Einnahmen für „Aktualisierung Tracking und Erfolgsauswertung“ aus.
41
Aufgrund dieser Angaben hat der Beklagte die Vorlage (weiterer) nachvollziehbarer Belege zur Höhe der durch die künstlerische Tätigkeit erzielten Einnahmen verlangt, um so das „Überwiegen“ der Sicherung des Lebensunterhalts durch die künstlerische Tätigkeit zu klären.
42
Die vom Kläger in den Antragsverfahren wie in den gerichtlichen Verfahren vorgelegten Rechnungen bzw. Aufstellungen lassen ein derartiges Überwiegen der Sicherung des Lebensunterhalts durch die künstlerische Tätigkeit nicht erkennen. Aus den Rechnungen ergeben sich keine quantifizierbaren Anteile für die künstlerische Tätigkeit. Die Websiten-Auswertung etc. als Bestandteil, der keinen künstlerischen Bezug aufweist, ist weder dem Umfang noch der Höhe nach aus den Rechnungsbeträgen herausgerechnet oder abscheidbar. Hinzu kommt, dass der Kläger weitere Einnahmen aus der unselbständigen Beschäftigung erzielt, so dass bereits auch ein Überwiegen der künstlerischen Tätigkeit an den Gesamteinnahmen nicht dargelegt ist.
43
Soweit der Kläger in den beiden Klageverfahren jeweils eine Übersicht für seine Einnahmen aus künstlerischer Tätigkeit – ohne eine Differenzierung für den Anteil, der keiner Ausübung einer künstlerischen Tätigkeit zuzuordnen ist (vgl. soeben) – für das Referenzjahr 2019 und die Einnahmen für die Antragszeiträume Oktober bis Dezember 2020 (Anlage zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 28.6.2021; Bl. 21 der Gerichtsakte im Verfahren Au 8 K 21.582) bzw. Juli bis Dezember 2021 (Anlage zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 15.3.2022; Bl. 8 der Gerichtsakte im Verfahren Au 8 K 22.695) vorlegt, ist auch daraus kein Überwiegen der Sicherung des Lebensunterhalts durch erwerbsmäßige künstlerische Tätigkeit abzuleiten. Denn insoweit ergeben sich bereits für das Referenzjahr 2019 überwiegende Zeitanteile, für die der Kläger keine Ausübung einer künstlerischen Tätigkeit angibt. So ist aus den monatlichen Beträgen ein zeitlicher Anteil von etwa 10 bis zu maximal 50 Stunden pro Monat erkennbar. Eine Plausiblisierung, ob der Kläger in den restlichen Zeiten weitere Einnahmen erzielt hat bzw. ob mit diesen Einnahmen der überwiegende Anteil an der Sicherung des Lebensunterhalts abgedeckt wurde, ist nicht erfolgt.
44
Mangels nachvollziehbarer Belege zur überwiegenden erwerbsmäßigen künstlerischen Tätigkeit (Nr. 2 Satz 2, 2. Spiegelstrich der Richtlinien) bzw. der überwiegenden Sicherung des Lebensunterhalts des Klägers durch erwerbsmäßige Tätigkeit im kulturnahen Bereich (Nr. 2 Satz 2, 3. Spiegelstrich der Richtlinien) hat der Beklagte die Gewährung von finanziellen Hilfen nach dem Soloselbstständigenprogramm rechtmäßig abgelehnt. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG ist darin nicht zu erkennen. Die einheitliche Anwendung der Richtlinie durch die Forderung nach der Vorlage nachvollziehbarer Belege ist in Anwendung des Haushaltsrechts (Art. 53, Art. 44 Abs. 1 BayHO) gedeckt. Ein atypischer Fall im o.g. Sinn ist schließlich auch nicht ersichtlich.
45
3. Auf die Frage, ob im Falle des Klägers bei der Anrechnung weiterer öffentlicher Mittel eine (unzulässige) Überkompensation vorliegt, kommt es somit nicht mehr entscheidungserheblich an.
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4. Die Kostenentscheidung für die erfolglosen Klagen beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
47
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.