Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 14.04.2023 – RO 4 S 23.595
Titel:

Antragsbefugnis einer nach § 3 UmwRG anerkannten Vereinigung, Beteiligung der Unteren, Naturschutzbehörde sowie des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Aufhebung der Schonzeit nur aus besonderen Gründen, Dass solche Gründe hier vorliegen (insbesondere ist das Kriterium „zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden“ erfüllt ist) wurde nicht dargelegt, fehlerhafte Ermessensentscheidung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, 80 –
UmwRG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2, 3 –
BayJG § 49 Abs. 1 S. 3 und 4 –
BayJG § 33 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1
BJagdG § 22 Abs. 1 S. 3
Schlagworte:
Antragsbefugnis einer nach § 3 UmwRG anerkannten Vereinigung, Beteiligung der Unteren, Naturschutzbehörde sowie des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Aufhebung der Schonzeit nur aus besonderen Gründen, Dass solche Gründe hier vorliegen (insbesondere ist das Kriterium „zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden“ erfüllt ist) wurde nicht dargelegt, fehlerhafte Ermessensentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8490

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes Regensburg vom 27.3.2023 (Gz.: S 21 – 7512/Fk) wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine vom Landratsamt R. (Landratsamt) zugelassene Verkürzung der Schonzeit bei der Jagd auf Rehwild.
2
Mit Schreiben vom 13.3.2023 beantragte der Beigeladene beim Landratsamt, ihm ab 1.4.2023 die Jagd auf Schmalreihe und Jährlinge in seinem Eigenjagdrevier (EJR) (Anm: EJR …*) zu gestatten. In dem Revier (fast reines Waldrevier) seien seit nunmehr fast 10 Jahren schwerste Kalamitäten (Orkane, eine gewalttätige Windhose, große Trockenschäden nachfolgend schwerster Borkenkäferbefall mit flächig absterbenden Fichtenbeständen, inzwischen auf Kiefern übergreifend, 2019 extremer Schnee- / Eisbruch) zu verzeichnen und die aufgerissenen Bestände hätten ihre Standfestigkeit verloren, so dass einzeln stehende Bäume regelmäßig auch von einzelnen mittelstarken Böen umgeworfen und abgebrochen würden. Seit 25 Jahren würden zum Waldumbau keine Fichten, sondern Laubholz, Douglasie, Lärche und Tanne gepflanzt, von der es erfreuliche Naturverjüngung gebe, die jedoch mit Vorliebe vom Rehwild verbissen werde und in der Gesamtfläche kaum schützbar sei. Sein Wald liege eingebettet in einem „dauer-roten“ Hegering. Durch extrem hohen Freizeitdruck bleibe das Wild permanent in den Beständen / Dickungen und ernähre sich besonders gerne von Tannenspitzen. Außerdem führten auf beiden Flussseiten und in der Mitte quer durch das EJR Ortsverbindungs- und Staatsstraßen, auf denen sich jedes Jahr sehr viele Wildunfälle ereigneten. An das EJR angegliedert seien viele kleine Parzellen (insgesamt über 100 ha) – ausschließlich Wald – die nicht (mehr) zu einer Jagdgenossenschaft gehörten. Die vom Beigeladenen unterhaltenen Forststraßen würden von den „Angliederungsgenossenschaften“ ebenso genutzt wie von der Marktgemeinde. Erstmals in diesem Jahr habe sich die „Angliederungsgenossenschaft“ an der Pflege beteiligt. Künftig rechne er außerdem mit Wildschadensforderungen für / auf diesen 100 ha. Zusätzlich müssten Hunderte von Freizeit- und Erholungssuchenden – seit der Pandemie in neuer Dimension – Berücksichtigung finden. Dies führe dazu, dass die gesetzliche Schon- / Schusszeit für Rehwild diesen neueren Gegebenheiten im Wald absolut nicht mehr entspreche. Zusammenfassend sei zu sagen, dass Rehe nur im Wald bejagt werden könnten / müssten. Dort sei waidgerechtes Jagen und sicheres Ansprechen (Tierschutz!) ab Mai sehr stark beschränkt. Der Abschuss von Kitzen im September (3 – 5 kg, oft gar nicht verwertbar) finde fast nicht statt („wir schießen Rehe nicht „für die Tonne“). Ab November – mit verkürztem Büchsenlicht, bereits verfärbt und „unsichtbar“ – würden im Wald kaum Rehe erlegt, was heiße, ein Großteil der Strecke werde dann bei Reif, Schnee und im allerletzten Büchsenlicht und danach bei Mond erlegt. Diese Zeit sei früher bereits als „Notzeit“ benannt worden, mit Hege- bzw. Selektionsabschüssen habe das kaum mehr etwas zu tun. Fakt sei, dass der Rehwildabschuss in den Sommer- und Herbstmonaten regelmäßig mit 20 bis 30 Ansitzen pro Stück „erarbeitet / erkämpft“ werden müsse. Im März und April dagegen sei es im Wald relativ übersichtlich (noch keine Blätter am Laubholz, kein „Pulverholz“, kein Gras- und Dornenwuchs), die Familienverbände (Geiß mit vorjährigen Kitzen) seien noch zusammen und somit ein schnelles, exaktes Ansprechen möglich. Außerdem sei der Druck durch Freizeit- und Pilzsuchende noch gering.
3
In der Behördenakte (Bl. 4) findet sich eine Notiz mit im Wesentlichen folgendem Inhalt: Fläche: EJR 643 ha, davon 60% Wald. Entscheidungsvorschlag: zulassen; s. Begründung EJ-Besitzer (große Investitionen in Waldumbau, Sicherung vor Laubaustrieb erf., Reviergang 2022 bestätigt das).
4
Weiter finden sich in der Behördenakte (Bl. 5 bis 9) Auswertungen zur Verjüngungsinventur und zu Verbissschäden für die Hegegemeinschaft 372 (* …*).
5
In der ergänzenden revierweisen Aussage zur Verjüngungssituation zum Forstlichen Gutachten zur Situation der Waldverjüngung 2021 (im Folgenden: ergänzende revierweise Aussage) wird das EJR … aus forstlicher Sicht wie folgt beschrieben: Der überwiegende Waldanteil des Jagdreviers befindet sich westlich des Regens als großes zusammenhängendes Gebiet. Östlich des Regens gehört lediglich ein kleiner Teil der dortigen Wälder zur Jagd. Das Gelände ist stark „kuppiert“ und fällt zu den Regenauen hin steil ab. Die Altbestände des Jagdreviers sind (noch) nadelholzdominant, wobei die Fichte den größten Anteil einnimmt. Kiefer und Douglasie sind ebenfalls häufig vertreten. Tanne ist immer wieder beigemischt. Häufigste Baumart beim Laubholz ist die Buche, welche regelmäßig über die Fläche verteilt ist. Ältere Eichen kommen eher selten vor und stehen v.a. an den Wald- und Wegrändern. Edellaubholz ist ebenfalls eher selten, aber regelmäßiger über die Fläche verteilt als Eiche. Laut Auflistung ist das erfolgreiche Aufwachsen von Pflanzungen bzw. Saaten (Forstkulturen) bei den dort genannten Baumarten im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen möglich. Zu diesem Punkt ist erläuternd vermerkt: Sporadisch aufkommende Individuen von Edellaubholz (v.a. Bergahorn) und Buche werden zwar verbissen, sobald die Verjüngung jedoch annähernd flächig aufläuft, können sie sich gut entwickeln. Tannennaturverjüngung wurde in den vergangenen Jahren mit Clips bzw. Streichmittel geschützt, dennoch sind etliche ungeschützte und unverbissene Exemplare zu finden. Eiche kommt häufig als Hähersaat vor. Wo ausreichend Licht vorhanden ist, kann eine angemessene Zahl dem Äser entwachsen. Laut Auflistung ist das erfolgreiche Aufwachsen von Pflanzungen bzw. Saaten (Forstkulturen) bei der dort (allein) genannten Baumart Douglasie im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen möglich. Die Verbisssituation wird insgesamt als „tragbar“ bewertet, was formularmäßig beschrieben wird als „Schalenwildverbiss kommt an allen Baumarten vor. Die Wuchsverzögerung der stärker verbissgefährdeten Baumarten ist aber noch tolerierbar. Auch sie entwachsen in angemessener Zahl und Verteilung dem gefährdeten Höhenbereich“ Unter „ergänzende Anmerkungen“ ist vermerkt: „Die Verbissbelastung bewegt sich im tragbaren Bereich. Auch die stärker verbissgefährdeten Baumarten wie Tanne und Edellaubhölzer können ihr Verjüngungspotential ausschöpfen. Eichen stehen angesichts ihrer Seltenheit im Altbestand stärker unter Druck, auch sie können sich jedoch der Situation entsprechend etablieren. Der Waldumbau ist im vollen Gange. Es zeichnet sich bereits ab, dass die heranwachsende Waldgeneration deutlich vielfältiger und laubholzreicher sein wird. Die aktuelle Verbisssituation kommt dieser Entwicklung zugute.“
6
Unter dem 23.3.2023 erließ das Landratsamt folgenden Bescheid:
7
Aufgrund des erheblichen waldbaulichen Interesses an wirksamen Verbesserungen lasse ich daher ausnahmsweise und in stets widerruflicher Weise die Jagd auf Rehwild (Böcke und Schmalrehe) in der Zeit vom 10. bis 30. April 2023 zu.
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Bei der Jagdausübung sind die Grundsätze der Waidgerechtigkeit sorgfältig zu beachten. Insbesondere ist aus wildbiologischen Gründen in den Sommermonaten eine Jagdruhe von mindestens vier Wochen einzuhalten (Intervalljagd).
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Die sofortige Vollziehung dieser Ausnahmegenehmigung (…) wird angeordnet.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Schonzeitverkürzung sei erforderlich, um die teils erheblichen Verbiss- und Fegeschäden in den Forstkulturen durch die Bejagung im Wald vor dem Beginn der Vegetationsperiode zu verringern und die waldbaulichen Maßnahmen der Jagdgenossen im Zusammenhang mit Schadensbewältigung und klimagerechtem Waldumbau zu sichern. Das forstliche Gutachten 2021 stelle fest, dass die Verbissbelastung in weiten Bereichen des Landkreises in der Hauptverbisszone über alle Baumarten hinweg deutlich zu hoch sei und sich gegenüber den Vorjahren wieder leicht verschlechtert habe. Um wirksame Verbesserungen zu erreichen, halte das AELF ein verstärktes jagdliches Engagement – „gerade auch in Ihrem Revier“ – für erforderlich. Der Schutz vor Fegeschäden und der Schutz vor Entmischung durch zu hohen Verbissdruck seien im Hinblick auf die Verjüngungen (Kulturen und Naturverjüngung) geboten. Entsprechende Anforderungen der Waldbesitzer lägen konkret vor. Durch den Klimawandel hätten sich nicht nur die waldbaulichen Rahmenbedingungen verschlechtert (Schädlingsbefall, Hitze- und Trockenschäden). Vielmehr habe sich auch der Beginn der Vegetationsperiode für Land- und Forstwirtschaft zeitlich deutlich vorverlagert. Ziel der Maßnahme sei es somit, die verstärkte und gezielte Jagd im Wald und die schwerpunktmäßige Bejagung der in diesem Zeitraum leicht anzusprechenden Rehböcke und Schmalrehe zu erleichtern. Unabhängig von der Diskussion um die Wirksamkeit von festgelegten Abschusszahlen sollten damit spürbare Verbesserungen für den dringend erforderlichen Waldumbau und die Eigentumsrechte der Waldbesitzer erreicht werden. Der Jagdbeirat, der Kreisjagdberater, das staatliche Veterinäramt und die Untere Naturschutzbehörde hätten der Ausnahmegenehmigung unter Bezugnahme auf diese Feststellungen ausdrücklich zugestimmt, ebenso die Arbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer im BBV. Belange der Waidgerechtigkeit und des Tierschutzes stünden der Vorverlegung nicht entgegen, zumal der frühere Beginn in der bundesweit üblichen Zeitspanne für die Jagd auf Rehwild liege und in den Sommermonaten vom Beigeladenen eine angemessene Jagdruhe zugesichert worden sei.
11
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde damit begründet, dass diese geeignet und sowohl im überwiegenden Interesse der Beteiligten (Revierinhaber) und der dadurch Begünstigten (Waldbesitzer, Grundeigentümer) als auch im öffentlich Interesse erforderlich sei, um die Umsetzung der angestrebten Bejagungsmöglichkeiten auch im Fall einer Klage zu ermöglichen. Die Revierinhaber/innen würden mit ihren Anträgen auf Schonzeitaufhebung im April seit einigen Jahren verstärkt auf die wachsenden Anforderungen der Waldbesitzer reagieren. Sie wollten sich auf deren berechtigte Belange einlassen, ihre Pflichten aus dem Jagdrecht (Anpassung der Wildbestände unter Beachtung der Hegeverpflichtung) und den Jagdpachtverträgen (Wildschadensvermeidung) erfüllen und ihren Beitrag zu einem gelingenden Waldumbau leisten. Die Schaffung dafür günstiger Rahmenbedingungen durch die Vorverlegung der Jagdzeit in die noch vegetationsarme Zeit sei auch Aufgabe der Unteren Jagdbehörde und diene diesem Zweck. Bei der Abwägung der widerstreitenden Belange überwiege das sofortige Vollzugsinteresse ein eventuelles Rechtsschutzinteresse Dritter deutlich. Wildbiologische Gründe gegen eine Vorverlegung der Jagdzeit auf den 10. April seien nicht erkennbar, zumal die bundesweit geltende Rahmenzeit deutlich länger sei (1.4. bis 31.1.). Im Vergleich zur gesamten Dauer der Jagdzeit auf Rehböcke (5 ½ Monate) und Schmalrehe (8 ½ Monate) falle die Verlängerung der Jagdzeit im Hinblick auf die erforderliche Wildschonung und Ruhezeiten kaum ins Gewicht, zumal der Revierinhaber Jagdruhe im Sommer zugesagt hat. Diese Zeit im April sei besonders bedeutsam und geeignet zur Bejagung des Rehwilds, weil die Vegetation zu dieser Zeit noch nicht weit entwickelt sei und im Wald relativ freie Sicht bestehe, was das Ansprechen des Wildes erheblich erleichtere. Zudem sei die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit auch verhältnismäßig. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel zum Schutze vor Wildschäden sei nicht ersichtlich, da einzelne Maßnahmen, etwa in Form des Verbiss-Schutzes in der Breite, nicht zielführend und mit der gleichen Effektivität angewandt werden könnten, wie die Bejagung im Wald (Schwerpunktbejagung). Dies sei insbesondere auch darauf zurückzuführen, dass der stark erhöhte Verbiss sich nicht nur auf einzelne Baumarten erstrecke, sondern über alle Baumarten hinweg. Aus der Verkehrsunfallstatistik ergebe sich zudem, dass die Zahl der Wildunfälle mit Rehwild im gesamten Landkreis im bayernweiten Vergleich weiterhin überdurchschnittlich hoch sei. Insgesamt komme nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre daher einer Jagdstrategie besondere Bedeutung zu, die sich intensiver an waldbaulichen Erfordernissen orientiere (insb. der Schwerpunktbejagung im Wald). Eine alleinige Steuerung über Abschusszahlen habe sich als nicht wirkungsvoll genug erwiesen.
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Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 3.4.2023 Klage erheben (Az. RO 4 K 23.557) und am 6.4.2023 um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen lassen. Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass die Verbisssituation in dem hier streitgegenständlichen Jagdrevier (EJR …*) nach den ergänzenden revierweisen Aussagen tragbar sei. Übermäßige Wildschäden im Sinne des Art. 33 BayJG lägen weder vor noch seien sie zu befürchten. In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass sich die Antragsbefugnis des Antragstellers aus § 2 Abs. 1 UmwRG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG ergebe. Der Antragsteller sei eine nach § 3 UmwRG im Freistaat Bayern anerkannte Vereinigung (wird näher ausgeführt). Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers richte sich gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG (wird näher ausgeführt). Die Anordnung des Sofortvollzugs sei schon formal unzureichend begründet. Kern der Vollzugsbegründung sei, dass die Behörde die in den Blick zu nehmenden Interessen gegeneinander abwäge. Die schriftliche Begründung müsse den Inhalt dieser Abwägung erkennen lassen. Dabei sei es erforderlich, dass die Abwägung vollständig und richtig durchgeführt werde. Im streitgegenständlichen Bescheid sei eine zutreffende inhaltliche Abwägung in Bezug auf den Einzelfall nicht vorgenommen worden. Das Landratsamt führe formelhaft an, es sehe seine Aufgabe darin, „günstige Rahmenbedingungen“ durch die Vorverlegung der Jagdzeit zu schaffen. Es sei jedoch nicht Aufgabe der Unteren Jagdbehörde, Jagdpolitik zu betreiben. Zu prüfen sei, ob eine Schonzeitverkürzung im Einzelfall aufgrund übermäßiger Wildschäden erforderlich und in welchem Maß (örtlich, zeitlich) wie verhältnismäßig sei. Ausweislich der revierweisen Aussagen sei von erheblichen Verbiss- oder Fegeschäden keine Spur. Die Begründung des Landratsamts sei wortgleich in – ca. 50 – erlassenen Bescheiden angeführt worden. Sie passe zu der vorherrschenden Situation im Revier jedoch nicht. Die Verbissbelastung sei vorliegend tragbar. Sogar die als besonders verbissgefährdet geltende Tanne schöpfe ihr Potential aus, die Eiche komme hoch, sobald ausreichend Licht vorhanden sei. Es fehlten mithin triftige Gründe, weshalb die Wildschadenssituation im betroffenen Jagdrevier zu einem Erfordernis der sofortigen Umsetzung einer eng auszulegenden Ausnahmevorschrift über die Schonzeitaufhebung auch dann zwingen solle, wenn Rechtsbehelfe gegen die behördliche Entscheidung ergriffen würden. Die (im Sofortvollzug angestellte) Verhältnismäßigkeitsprüfung scheitere bereits daran, dass in dem besagten Revieren kein nennenswerter, durch Schalenwild verursachter Wildschaden und damit erst Recht kein „übermäßiger Wildschaden“ im Sinne des Art. 33 BayJG vorkomme oder auch nur drohe, die gesamte Begründung also am Fall vorbeigehe. Zudem habe es das Landratsamt unterlassen, die von ihm als „Schwerpunktbejagung“ bezeichnete Waldjagd anzuordnen. Das Revier weise breite Feldanteile (40%) auf. Die im Antrag des Eigenjadbesitzers aufgestellte Behauptung, es handele sich um ein fast reines Waldrevier, sei nicht richtig. Die frühzeitige Bejagung des Rehwildes im Offenland, welche durch den Bescheid ebenfalls ermöglicht werde (eine Beschränkung auf den Wald erfolge nicht), könne zu erhöhtem Verbiss im Wald führen, denn die Tiere würden bei einer frühzeitigen Bejagung im Offenland die Deckung im Wald aufsuchen. Die Vorgehensweise des Landratsamtes gehe also an der konkreten Reviersituation vorbei und sei letztlich kontraproduktiv. Der Bescheid des Antragsgegners vom 23.3.2023 sei offensichtlich rechtswidrig, weshalb ein Vollzugsinteresse a priori ausscheide. Aus dem Bescheid und dem zugrundeliegenden Sachverhalt ergebe sich nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ausnahme von der gesetzlichen Jagd- bzw. Schonzeit in dem betreffenden Jagdrevier gegeben seien. Wie sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr.1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG ergebe, könnten die Schonzeiten nur aus besonderen Gründen, die den Regelbeispielen in der genannten Norm entsprächen, aufgehoben werden. Die bewilligte Verkürzung der Schonzeit sei vorliegend nicht erforderlich, um den Eintritt eines übermäßigen Wildschadens zu verhindern. Sie erfolge auch nicht im Allgemeininteresse. Übermäßige Wildschäden im Sinne des Art. 33 BayJG lägen offenkundig nicht vor. Nach der revierweisen Aussage liege im streitgegenständlichen Jagdrevier eine tragbare Verjüngungssituation vor. Bereits deshalb stehe fest, dass „besondere Gründe“ für die Vorverlagerung der Jagdzeit nicht vorliegen könnten. Verbiss- oder Fegeschäden komme das Gewicht eines besonderen Grundes nur dann zu, wenn es um die Vermeidung von das übliche Maß in erheblichem Umfang übersteigenden Wildschäden geht, die nicht allein auf mangelnder Abschusserfüllung beruhten, sondern auf andere jagdliche oder forstliche Faktoren zurückzuführen seien, denen durch zumutbare Schutzmaßnahmen nicht wirksam begegnet werden könne, wovon hier nicht die Rede sein könne. Soweit im Bescheid ausgeführt werde, die Aufhebung der Schonzeit sei erforderlich, um die teils erheblichen Verbiss- und Fegeschäden in den Forstkulturen durch die Bejagung im Wald vor dem Beginn der Vegetationsperiode zu verringern und die waldbaulichen Maßnahmen der Jagdgenossen im Zusammenhang mit Schadensbewältigung und klimagerechtem Waldumbau zu sichern, gehe dies an der konkreten Reviersituation vorbei. Bei einer tragbaren Verbisssituation könne von „teils erheblichen Verbiss- und Fegeschäden“ keine Rede sein. Auch die Bezugnahme auf die „Jagdgenossen“ zeige, dass der Bescheid nach einem einheitlichen Muster verfasst worden sei, eine Behandlung der konkreten Reviersituation sei nicht erkennbar. Es gehe vorliegend um ein EJR, in diesem gebe es denklogisch keine „Jagdgenossen“. Weshalb das AELF „ein verstärktes jagdliches Engagement“ auch im streitgegenständlichen Revier für erforderlich halte, werde in keiner Weise tragfähig untermauert. Soweit der Bescheid auf Jagdzeiten in anderen Ländern verweise, sei darauf zu verweisen, dass das Landratsamt als Vollzugsbehörde gehalten sei, § 19 AVBayJG und die dort festgelegten Jagdzeiten zu beachten. Die Änderung von Jagdzeiten obliege dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber. Soweit im Bescheid auf die berechtigten Ansprüche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden abgestellt werde, sei zu berücksichtigen dass dieser Vorrang vor dem Gebot einer angemessenen Wildhege nicht schrankenlos gelte, denn § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG stelle ausdrücklich auf den Schutz (nur) der berechtigten Ansprüche der genannten Wirtschaftsbereiche auf Schutz gegen Wildschäden ab (wird näher ausgeführt). Ferner liege nach Aktenlage keine Situation vor, in der – wegen Nichterreichung des Abschuss-Solls beim Rehwild während der gesetzlichen Jagdzeiten – auf eine Ausdehnung der Jagdzeit zurückgegriffen werden müsste. Es erschließe sich nicht, weshalb die Schonzeit in einem Revier mit tragbarem Verbiss überhaupt verkürzt werden sollte. Das Ziel, (hier gar nicht vorhandene) Verbissschwerpunkte durch Schwerpunktbejagung zu entlasten, könne innerhalb der Jagdzeit ab 1.5. auf diesen Verjüngungsflächen ebenfalls erreicht werden. Stattdessen ordne das Landratsamt eine vorzeitige Jagd auf der Revier-Gesamtfläche an, d.h. auch außerhalb des Waldes könne ab 10.4.2023 mit der Jagd begonnen werden. Soweit vorgetragen werden sollte, dass die Hegegemeinschaft Karlstein einen zu hohen Verbiss aufweise und eine Abschusserhöhung empfohlen werde, könne dies nicht zu einer Schonzeitverkürzung in Revieren mit tragbarer Verbisssituation führen. Es sei nicht angezeigt, bei einer durchwegs inhomogenen Verbisssituation im Landkreis die Schonzeiten auf möglichst großer Fläche zu verkürzen und entsprechend flächigen Jagddruck zu erzeugen. Soweit argumentiert werde, dass die klimabedingte Vorverlegung der Austreibungsphase der heimischen Flora dazu führe, dass die Waldverjüngung dadurch gefährdet sei, dass das Rehwild noch innerhalb der Schonzeit die frischen Triebe junger Baumsetzlinge äse und ggf. mehr Deckung habe, begründe das keine revierbezogene Sondersituation. Denn es handele sich um einen Umstand, der nicht nur im streitgegenständlichen Jagdrevier, sondern allgemein zum Tragen komme. Soweit das im BayJG verankerte Waldverjüngungsziel hierdurch gefährdet sein sollte (was hier gerade nicht der Fall sei), wäre es Sache des Verordnungsgebers, diesen Umstand mit den Zielen abzuwägen, die mit den festgesetzten Schonzeiten verfolgt würden, und eine entsprechende Regelung zu finden. Soweit der Revierinhaber einem Jagdkonzept folgen wolle, nach dem (statt noch mehr) eher früher gejagt werden solle, müsse klar gesagt werden, dass sich diese gewünschte Praxis zu den geltenden Rechtsvorschriften in Widerspruch setze. Die Schonzeit diene (neben der Aufzucht der Jungtiere, die hier nicht tangiert sei) der Hege des Wildes. Es sei weder angebracht, die Schonzeit zur „Jagdoptimierung“ angesichts früherer Austriebszeiten, noch wegen der damit angestrebten weiteren Optimierung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Grundeigentümer zu verkürzen. Im Gegenteil sollte bedacht werden, dass bei früherem Jagdbeginn in einem Revier, das nur zu 60% aus Wald bestehe, das auf der Gesamtfläche stehende Rehwild (auch Geißen, die nicht vorzeitig freigegeben wurden) beunruhigt würde, sich in den Wald zurückziehe und dort ggf. den Verbiss mehre. Demgegenüber habe das Landratsamt von einer Regelung, die sich auf besonders verbissgefährdete Verjüngungsflächen im Wald beschränke, abgesehen. Dies wäre jedoch vorzugswürdig, denn eine Schwerpunktbejagung auf Verjüngungsflächen würde es ermöglichen, andere Flächen (z.B. Waldteile, die bereits dem Äser entwachsen sind), als Einstand zur Verfügung zu stellen, gerade weil dort keine nennenswerten Schäden durch Verbiss zu befürchten seien. Dies ziehe das Landratsamt nicht einmal in Erwägung, was einen Ermessensfehler begründe. Es sei zudem jagdfachlich unstreitig, dass die – freigegebenen – Schmalrehe im April nicht leichter, sondern schwerer von trächtigen Geißen, die dann noch nicht so dick seien, zu unterscheiden seien. Zuletzt könne auch das Argument, eine überdurchschnittliche Zahl von Wildunfällen spreche für die Vorverlegung der Jagd, nicht überzeugen. Es sei nicht erkennbar, dass die Statistik oder sonstige Erkenntnisse für eine hohe Zahl von Unfällen in den besagten Revieren spreche. Selbst bei angenommenen offenen Erfolgsaussichten überwiege das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse. Tiere, die aufgrund eines vorläufig vollziehbaren Bescheides erlegt würden, seien – als Umweltbestandteile – zunächst einmal unwiederbringlich verloren.
13
Es wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes Regensburg vom 23.3.2023 über die Aufhebung der Schonzeit für Rehwild (Rehböcke und Schmalrehe) vom 10.4.2023 bis 30.4.2023 für das Eigenjagdrevier … wiederherzustellen.
14
Für den Antragsgegner beantragt das Landratsamt
den Antrag abzulehnen.
15
Die Begründung des Sofortvollzugs genüge den gesetzlichen Anforderungen. Aus dem gegenständlichen Bescheid werde deutlich, dass die Behörde bei ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass tatsächlich ein überwiegendes Vollzugsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordere. Soweit sich der Antragsteller darauf berufe, eine zutreffende Abwägung der widerstreitenden Interessen sei in der Begründung des Sofortvollzugs nicht erfolgt, betreffe dieser Umstand die materielle Richtigkeit der Begründung. Hierzu erfolge im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens eine eigene Interessenabwägung des Gerichts, der die Antragsgegnerseite insoweit nicht vorgreifen könne und dürfe. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der gesetzlichen Jagd- und Schonzeit seien gegeben. Die insoweit gesetzlich geforderten besonderen Gründe gem. Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG lägen vor. Zwar stelle sich die Verbisssituation im gegenständlichen Revier nach dem letzten forstlichen Gutachten aus 2021 als tragbar dar. Allerdings seien in den letzten Jahren im Revier hohe Investitionen in den Waldumbau getätigt worden. Es sei umgeben von einem „dauerroten“ Hegering, in dessen Jagdrevieren die Verbissbelastung nach dem forstlichen Gutachten großteils als dauerhaft zu hoch eingeschätzt werde. Im Übrigen werde auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen.
16
Mit am 12.4.2023 eingegangenem Schreiben ließ der Antragsteller hierauf erwidern, dass er nach wie vor der Ansicht sei, dass die Begründung des Sofortvollzugs nicht ausreichend, weil schematisch sei. Im Übrigen genügten die Ausführung der Antragsgegnerseite, dass trotz tragbarer revierweiser Bewertung der Verbissbelastung die Schonzeitverkürzung notwendig sei, weil Investitionen den Waldumbau getätigt worden seien und das Reviere in einem „dauerroten“ Hegering liege, nicht um die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 BayJG plausibel zu machen. Hohe Investitionen begründeten keine Annahme übermäßiger Wildschäden. Auch die Lage in einer roten Hegegemeinschaft könne, angesichts der Inhomogenität der Reviere im Landkreis zu keiner anderen Bewertung führen. Die Verjüngung verliefe im Wesentlichen unbeeinträchtigt. Weshalb die besonders verbiss- und fegegefährdeten Baumarten nicht geschützt würden, werde weder vom Landratsamt noch vom Beigeladenen erläutert. Es erschließe sich nicht, weshalb bei einem Waldanteil von 60% flächig die Schönzeit verkürzt werden müsse, um die angeblich im April zu betreibende Waldjagd auf sensiblen Verjüngungsflächen zu ermöglichen. Jedwede Ermittlungen seien vom Landratsamt unterlassen worden, das Ausmaß der im Revier auftretenden oder auch nur zu befürchtenden Wildschäden sei weder dargelegt, noch in der Akte bewertet worden. Es liege ein Ermessensfehler (Totalausfall) vor. Eine Beteiligung der Unteren Naturschutzbehörde erscheine mangels inhaltlicher Stellungnahme derselben in der Akte zweifelhaft.
17
Am 13.4.2023 reichte die Antragsgegnerseite auf gerichtliche Anforderung u.a. folgende Unterlagen nach, auf deren Inhalt Bezug genommen wird: Niederschrift über die Sitzung des gemeinsamen Jagdbeirates vom 24.5.2022 zur Abschussplanung für Rehwild für die Jagdjahre 2022-2024, Schreiben der Waldbesitzervereinigung Regensburg Süd an Frau L. … vom 16.3.2023, Schreiben der Waldbesitzervereinigung Schierling w. V. an Frau L. … vom 20.3.2023 sowie Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde vom 20.3.2023.
18
Mit Beschluss vom 11.4.2023 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage bis zum 14.4.2023, 24.00 Uhr wiederhergestellt.
19
Für den Sachverhalt und das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die elektronisch vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren sowie im Verfahren RO 4 K 23.557, die zum Verfahren beigezogen wurde.
II.
20
Der zulässige (dazu 1.) Antrag hat in der Sache Erfolg (dazu 2.).
21
1. Der Antrag ist zulässig.
22
Der Antragsteller ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UmwRG antragsbefugt.
23
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UmwRG kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht (Nr. 1) und geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein (Nr. 2). Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 UmwRG muss die Vereinigung bei Rechtsbehelfen gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2a bis 6 oder gegen deren Unterlassen zudem die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend machen.
24
Der Antragsteller ist eine nach § 3 Abs. 1 UmwRG i.V.m. § 63 Abs. 2 BNatSchG im Freistaat Bayern anerkannte, landesweit tätige Naturschutzvereinigung (vgl. Bekanntmachung nach § 3 Abs. 1 Satz 5 UmwRG, abrufbar unter https://www.stmuv.bayern.de/themen/naturschutz/organisation/naturschutzvereinigungen/index.htm?include_matomo=true, zuletzt abgerufen am 12.4.2023).
25
Bei der streitgegenständlichen Schonzeitverkürzung handelt es sich um eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG.
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Nach dem als weitem Auffangtatbestand (vgl. VG Neustadt/W.straße, B. v. 25.2.2021 – 5 K 384/20.NW, juris Rn. 20) konzipierten § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG ist die im Streit stehende Aufhebung der Schonzeit ein Verwaltungsakt, durch den unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union ein anderes als in den Nrn. 1 bis 2b genanntes Vorhaben zugelassen wird. Hierbei kann für die Bestimmung des Vorhabensbegriffs auf die weite Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 4 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) zurückgegriffen werden (vgl. BayVGH, U. v. 1.10.2019 – 14 BV 17.1278, juris Rn. 28; Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, UmwRG § 1 Rn. 19). Vorhaben sind hiernach die Errichtung, der Betrieb und die Änderung von technischen und sonstigen Anlagen sowie die Durchführung und Änderung von sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahmen.
27
Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 4 UmwRG sind umweltbezogene Rechtsvorschriften Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Umweltinformationsgesetzes (UIG) (Nr. 1) oder Faktoren i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 2 des UIG (Nr. 2) beziehen. Der Begriff der umweltbezogenen Rechtsvorschriften ist weit zu verstehen. Es genügt, wenn die Bestimmungen wahrscheinlich unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf die Umwelt haben (vgl. BayVGH, U. v. 1.10.2019 – 14 BV 17.1278, juris Rn. 32). Erfasst sind damit alle Normen, die zumindest auch dazu beitragen, dass gegenwärtige und künftige Generationen in einer ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt leben können, weiter auch Normen, die – wie § 1 Abs. 7 BauGB – verlangen, dass die Belange des Umweltschutzes gerecht abgewogen werden (Abwägungsgebote) sodass jeder im Rahmen eines Abwägungsvorgangs auch der Umwelt zuzurechnende Belang dessen Umweltbezogenheit insgesamt begründet (Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, UmwRG § 1 Rn. 31).
28
Nach diesen Maßstäben handelt es sich nach Auffassung des Gerichts bei Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG um eine unter § 1 Abs. 4 UmwRG fallende umweltbezogene Rechtsvorschrift. Das Jagdrecht weist in Art. 1 Abs. 2 BayJG zahlreiche Berührungspunkte mit dem Naturschutzrecht auf. So soll das Gesetz u.a. dazu dienen, einen artenreichen und gesunden Wildbestand in einem ausgewogenen Verhältnis zu seinen natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, die natürlichen Lebensgrundlagen des Wildes zu sichern und zu verbessern und die jagdlichen Interessen mit den sonstigen öffentlichen Belangen, insbesondere mit den Belangen der Landeskultur, des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (vgl. zu dem entsprechenden § 32 Abs. 1 Satz 3 LJG Rheinland-Pfalz VG Neustadt/W.straße, B. v. 25.2.2021 – 5 K 384/20.NW, juris Rn. 20 m.w.N.). Aufgrund des weiten Verständnisses ist ein Umweltbezug der Vorschrift bereits aufgrund der dargelegten (allgemeinen) Bezugnahmen auf das Naturschutzrecht gegeben. Darüber hinaus ergibt sich der Umweltbezug der streitgegenständlichen Vorschrift auch aus dem Sinn und Zweck der Schonzeiten, denn diese verfolgen den Zweck der Hege des Wildes und sollen die Aufzucht der Jungtiere sicherstellen (vgl. VG München, B. v. 24.1.2012 – M 7 SE 12.166, juris Rn. 17). Dass eine Aufhebung der Schonzeit direkte Auswirkungen auf die Hege des Wildes und die Aufzucht der Jungtiere haben kann, liegt schon in der Natur der Sache begründet.
29
Indem der Antragsteller Bedenken gegen die Schonzeitaufhebung erhoben hat und einen Verstoß gegen Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG rügt, macht er geltend, dass die erteilte Genehmigung Rechtsvorschriften widerspricht, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG). Dabei macht der Antragsteller auch die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG). Schließlich macht der Antragsteller ebenfalls geltend, durch die Schonzeitaufhebung in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt zu sein (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG). Zweck des Antragstellers ist nach § 2 seiner Satzung die Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit den Wildtieren und ihren Lebensräumen, die Förderung des Tierschutzgedankens sowie des Natur- und Umweltschutzes (vgl. Satzung der … vom 18.6.2015, abrufbar unter …, zuletzt abgerufen am 12.4.2023). Damit ist der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich und der mit dem Rechtsbehelf angegriffenen Entscheidung gegeben.
30
2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
31
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings nach § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO dann, wenn die Anordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist oder die Behörde – wie hier im streitgegenständliche Bescheid vom 27.3.2023 – nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet. In diesen Fällen kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch wiederherstellen.
32
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
33
Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe hat der Antrag Erfolg. Der angeordnete Sofortvollzug ist zwar in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden (dazu 2.1). Eine summarische Prüfung der erhobenen Klage ergibt aber, dass diese in der Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein wird, sodass ein öffentliches Interesse am Vollzug des angegriffenen Bescheids nicht besteht (dazu 2.2).
34
2.1 Die behördliche Sofortvollziehbarkeitsanordnung erweist sich bei summarischer Prüfung als formell rechtmäßig.
35
Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen, in denen die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Sofortvollzug anordnet, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die schriftliche Begründung soll den Betroffenen in die Lage versetzen, seine Rechte wirksam wahrnehmen und die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels abschätzen zu können. Außerdem soll die Begründungspflicht der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollzugsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Daraus folgt, dass die Begründung nicht lediglich formelhaft sein darf, sondern die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen darlegen muss, die die Annahme eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses tragen. Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es für die Frage ihrer formellen Rechtmäßigkeit nicht an (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55).
36
Eine Anordnung des Sofortvollzugs bedarf eines über das Erlassinteresse hinausgehenden besonderen Vollzugsinteresses. Die besonderen Gründe sind dabei allein auf die zeitliche Dimension und damit die Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit der Vollziehung der Handlungs- oder Unterlassungspflicht bezogen (vgl. zum Ganzen: Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022 § 80 Rn. 44).
37
Dies zugrunde gelegt, genügt die Begründung für den Sofortvollzug den formellen Anforderungen aus Sicht der Kammer gerade noch. Im Wesentlichen wird hierzu ausgeführt, dass die Anordnung des Sofortvollzugs geeignet und sowohl im überwiegenden Interesse der Beteiligten (Revierinhaber) und der dadurch Begünstigten (Waldbesitzer, Grundeigentümer) als auch im öffentlichen Interesse erforderlich sei, um die Umsetzung der angestrebten Bejagungsmöglichkeiten auch im Fall einer Klage zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Bescheid sich naturgemäß am 1. Mai erledigt haben wird, ist die zeitliche Dimension hier ausschlaggebend, um einen Sofortvollzug zu rechtfertigen.
38
Im gerichtlichen Verfahren erfolgt im Übrigen keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es erfolgt eine eigene Interessenabwägung des Gerichts. Die von Antragstellerseite im vorliegenden Verfahren gegen die Begründung des Sofortvollzugs vorgebrachten Argumente betreffen insoweit die materielle Richtigkeit der Begründung und sind deshalb allein im Rahmen der eigenen Interessenabwägung des Gerichts zu berücksichtigen.
39
2.2 Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg haben wird.
40
2.2.1 Die streitgegenständliche Schonzeitaufhebung erweist sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich als formell rechtmäßig.
41
Nach Art. 49 Abs. 1 Satz 3 und 4 BayJG sind beim Vollzug des Bundesjagdgesetzes und des Bayerischen Jagdgesetzes – soweit wesentliche Belange der Land- und Forstwirtschaft berührt sind – die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und – soweit wesentliche Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege berührt werden – diejenigen Naturschutzbehörden zu beteiligen, die dem Zuständigkeitsbereich der Jagdbehörde der vergleichbaren Verwaltungsstufe entsprechen.
42
Hiernach dürfte im vorliegenden Fall sowohl eine Beteiligung des AELF als auch der Unteren Naturschutzbehörde erforderlich gewesen sein, da nach Auffassung des Gerichts die Erteilung einer Ausnahme von der bundesrechtlichen Jagd- und Schonzeitenregelung nach Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 BJagdG im konkreten Fall wesentliche Belange des Naturschutzes berühren dürfte (vgl. VG München, B. v. 30.3.2022 – M 7 S 22.1695, BeckRS 2022, 7185 Rn. 30). Denn zum einen handelt es sich hier um die Verkürzung der Schonzeit um fast drei Wochen und damit nicht um einen lediglich unerheblichen Zeitraum. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gestattung der Jagd auf Rehböcke und Schmalrehe auch Auswirkungen auf das übrige Rehwild hat, da der Zeitraum zwischen dem 15.1.2023 und dem 1.5.2023, in dem nach § 19 Abs. 1 Nr. 1c Der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Jagdgesetzes (AVBayJG) die Jagd auf sämtliches Rehwild ruht und dieses in dieser Zeit grundsätzlich auch nicht durch jagdliche Handlungen beunruhigt wird, um einen nicht unerheblichen Zeitraum verkürzt wird.
43
Nach den Angaben im Bescheid habe das AELF das waldbauliche Interesse an der zeitlich vorgezogenen Bejagung im streitgegenständlichen Revier bestätigt und unterstütze die Forderungen der Waldbesitzer. Der Jagdbeirat, der Kreisjagdberater, das staatliche Veterinäramt und die Untere Naturschutzbehörde hätten der Ausnahmegenehmigung unter Bezugnahme auf diese Feststellungen ausdrücklich zugestimmt, ebenso die Arbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und die Eigenjagdbesitzer im BBV.
44
Laut einer hausinternen E-Mail der Unteren Naturschutzbehörde vom 20.3.2023 sei die Verkürzung der Schonzeit für das jagdbare Wild vom 1.5. auf den 10.4. weder im Einzelfall noch im Rahmen einer inzwischen verworfenen Allgemeinverfügung aus naturschutzfachlicher Sicht zu beanstanden. Aufgrund dieser umfassenden Formulierung geht das Gericht bei summarischer Prüfung davon aus, dass damit die Untere Naturschutzbehörde auch im hier zu entscheidenden Fall ordnungsgemäß beteiligt wurde.
45
Eine Stellungnahme des AELF ist den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen und wurde auch auf ausdrückliche Nachforderung bis dato nicht vorgelegt. Insoweit wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob das AELF tatsächlich – wie in den Bescheidsgründen angegeben – in Bezug auf den hier streitgegenständlichen Bescheid ordnungsgemäß beteiligt wurde.
46
2.2.2 Nach summarischer Prüfung erweist sich der streitgegenständliche Bescheid jedenfalls als materiell rechtswidrig.
47
Gemäß Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG kann die Jagdbehörde durch Einzelanordnung für bestimmte Gebiete oder für einzelne Jagdreviere aus besonderen Gründen, insbesondere aus Gründen der Wildseuchenbekämpfung und Landeskultur, zur Beseitigung kranken und kümmernden Wildes, zur Vermeidung von übermäßigen Wildschäden, zu wissenschaftlichen Zwecken, Lehr- und Forschungszwecken, bei Störung des biologischen Gleichgewichts oder der Wildhege die Schonzeiten aufheben.
48
Nach der Vorgabe des § 19 Abs. 1 Nr. 1c AVBayJG, der insoweit der Bestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Jagdzeiten vom 2. April 1977 (BGBl I S. 531) entspricht, unterliegen Schmalrehe vom 1.5. bis 31.1. und Rehböcke vom 1.5. bis 15.10. der Jagd. Außerhalb der Jagdzeiten ist Wild gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BJagdG mit der Jagd zu verschonen (Schonzeiten). Schonzeiten verfolgen den Zweck der Hege des Wildes und sollen die Aufzucht der Jungtiere sichern (vgl. OVG SH, U.v. 22.5.2017 – 4 KN 11/15 – juris Rn. 51; VG Ansbach, B.v. 30.4.1998 – AN 15 E 98.00625 – juris Rn. 15).
49
Wie sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr.1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG ergibt, können die Schonzeiten nur aus besonderen Gründen, die den Regelbeispielen in der genannten Norm entsprechen, aufgehoben werden. Als Ausnahmebestimmung ist § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG bzw. Art. 33 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 BayJG wohl eng auszulegen (vgl. OVG NW, U.v.30.3.2015 – 16 A 1610/13 – NuR 2015, 580 = juris Rn. 65, 67; VG Ansbach, B.v. 30.4.1998 – AN 15 E 98.00625 – juris Rn. 15; VG München, B.v. 24.1.2012 – M 7 SE 12.166 – juris Rn. 17). Jedenfalls aber ist Voraussetzung, dass die Ausweitung der Jagdzeiten unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände vernünftigerweise geboten ist und die besonderen Gründe höheres Gewicht haben als die Gründe für die allgemeine (regelmäßig dem Schutz von Brut- und Setzzeit dienende) Schonzeitregelung (vgl. VG München, B.v. 20.1.2023 – M 7 E 23.132 – BeckRs 2023,1086, beck-online; BayVGH, U.v. 11.12.2017 – 19 N 14.1022, juris Rn. 96 und U.v. 13.2.2019 – 19 N 15.420, juris Rn. 108).
50
Wildschäden kommt jedenfalls das Gewicht eines besonderen Grundes nur zu, wenn „übermäßige Wildschäden“, d.h. das übliche Maß in erheblichem Umfang übersteigende Wildschäden zu befürchten sind und diese nur durch Aufhebung der Schonzeit vermieden werden können (vgl. VG München, B.v. 20.1.2023 – M 7 E 23.132 – BeckRs 2023,1086, beck-online; Leonhardt in Leonhardt / Pießkalla, Jagdrecht, Stand: 97. Erg.lief. Aug. 2021, zu § 22 BJagdG, Nr. 4.2.4 m.w.N.). Das Kriterium der Vermeidung von übermäßigen Wildschäden ist nicht schon allein dann erfüllt, wenn wegen mangelnder Abschussplanerfüllung beim Rehwild sich die Verbisssituation (wesentlich) zu verschlechtern droht, vielmehr muss die Aufhebung der Schonzeit darüber hinaus noch durch andere jagdliche und forstliche Aspekte im Gebiet (Jagdbezirk) geboten sein, was in jedem Einzelfall besonders geprüft und bewertet werden muss. Eine unvollständige Abschussplanerfüllung kann aber Anlass sein, dass die Jagdbehörde prüft, ob die geforderten gesetzlichen Voraussetzungen, mithin also „besondere Gründe“ vorliegen. Dies könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn in einem Jagdbezirk nach dem letzten Verbissgutachten zu hohe oder deutlich zu hohe Verbissbelastungen festgestellt worden sind und der Jagdbezirk von Borkenkäferschäden betroffen ist (vgl. Leonhardt, a.a.O. zu § 22 BJagdG, Nr. 4.2.4). Von einem übermäßigen Wildschaden ist damit dann auszugehen, wenn er das übliche Maß von durch Wild verursachten Schäden erheblich und in einem Umfang übersteigt, dessen Hinnahme dem Geschädigten nicht mehr zuzumuten ist (vgl. VG München, B.v. 20.1.2023 – M 7 E 23.132 – BeckRs 2023,1086, beck-online; OVG NW, U.v. 30.3.2015 – 16 A 1610/13 – juris).
51
Dies zugrunde gelegt liegen nach summarischer Prüfung die Voraussetzungen für die Aufhebung der Schonzeit im Zeitraum 10. bis 30.4.2023 nicht vor.
52
Der streitgegenständliche Bescheid regelt eine Schonzeitverkürzung für das EJR … Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Schonzeitverkürzung erforderlich sei, um die teils erheblichen Verbiss- und Fegeschäden in den Forstkulturen durch die Bejagung im Wald vor Beginn der Vegetationsperiode zu verringern und die waldbaulichen Maßnahmen der Jagdgenossen im Zusammenhang mit Schadensbewältigung und klimagerechtem Waldumbau zu sichern. Weiter wird Bezug genommen auf das forstliche Gutachten 2021, wonach die Verbissbelastung in weiten Bereichen des Landkreises in der Hauptverbisszone über alle Baumarten hinweg deutlich zu hoch sei und sich gegenüber den Vorjahren wieder verschlechtert habe. Ein verstärktes jagdliches Engagement werde vom AELF auch im streitgegenständlichen Revier für erforderlich gehalten.
53
Unabhängig davon, dass in den vorgelegten Akten eine entsprechende Stellungnahme des AELF bezüglich des hier betroffenen Reviers nicht enthalten ist, bestehen nach Aktenlage und anhand der im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel aus Sicht der Kammer erhebliche Zweifel daran, dass die notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen für eine Verkürzung der Schonzeit im EJR … vorliegen.
54
Wie oben dargestellt, kommt Wildschäden das Gewicht eines besonderen Grundes im Sinne des Art. 33 Abs. 3 Nr. 1 BayJG, § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG nur zu, wenn übermäßige Wildschäden zu befürchten sind und diese durch die Verkürzung der Schonzeit vermieden werden können.
55
Vorliegend wurde schon nicht ausreichend dargelegt, dass in dem streitgegenständlichen Revier tatsächlich übermäßige – durch Rehwild – verursachte Verbissschäden vorliegen.
56
Der vorgelegten ergänzenden revierweisen Aussage, die als Teil des forstlichen Gutachtens eine objektive und hinreichend umfassende Ermittlung der Schadenssituation bieten (vgl. BayVGH, U.v. 19.5.1998 – 19 B 95.3738 – juris), lassen sich solche Schäden gerade nicht entnehmen. Die Verbisssituation (durch Rehwild und Schwarzwild) im GJR … wird insgesamt als „tragbar“ bewertet, was formularmäßig beschrieben wird als „Schalenwildverbiss kommt an allen Baumarten vor. Die Wuchsverzögerung der stärker verbissgefährdeten Baumarten ist aber noch tolerierbar. Auch sie entwachsen in angemessener Zahl und Verteilung dem gefährdeten Höhenbereich“. Bei der Beurteilung des Verjüngungspotentials wurde sowohl im Punkt Naturverjüngung als auch im Punkt Forstkulturen angegeben, dass alle angegebenen Baumarten im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen gegen Schalenwildeinfluss aufwachsen könnten. In den Erläuterungen zur Naturverjüngung wird hierzu ergänzt, dass sporadisch vorkommendes Edellaubholz zwar verbissen werde, bei annähernd flächigem Auflaufen der Verjüngung aber eine gute Entwicklung zu verzeichnen sei. Tannenverjüngungen seien in den vergangenen Jahren mit Clips bzw. Streichmittel geschützt worden, dennoch seien etliche ungeschützte und unverbissene Exemplare zu finden gewesen. Bezüglich der Verjüngungssituation lässt sich der ergänzenden revierweisen Aussage damit gerade nicht entnehmen, dass im streitgegenständlichen Revier übermäßige Verbissschäden zu verzeichnen sind. Dies wird auch gestützt durch die Anmerkung unter Punkt 3.3 der ergänzenden revierweisen Aussage, wonach sich die Verbissbelastung im tragbaren Bereich befinde. Auch die stärker verbissgefährdeten Baumarten könnten ihr Verjüngungspotential ausschöpfen. Eichen stünden angesichts ihrer Seltenheit im Altbestand stärker unter Druck, auch sie könnten sich jedoch der Situation entsprechend etablieren. Im Ergebnis lässt sich der ergänzenden revierweisen Aussage nicht entnehmen, dass im EJR … übermäßige Verbissschäden im oben beschriebenen Sinne vorliegen. Angesichts dieser Einschätzung ist aus Sicht des Gerichts auch nicht nachvollziehbar, weshalb das AELF ein verstärktes jagdliches Engagement gerade im EJR … für erforderlich halten sollte – was sich im Übrigen der Akte so nicht entnehmen lässt, da besagte Stellungnahme darin nicht enthalten ist.
57
Soweit der Beigeladene seinen Antrag auf Schonzeitverkürzung darauf stützte, dass die sehr erfreuliche Naturverjüngung mit großer Vorliebe vom Rehwild verbissen werde und aufgrund des hohen Freizeitdrucks das Wild permanent in den Beständen / Dickungen bliebe, wurde nicht dargelegt und sich nach Aktenlage auch nicht damit auseinandergesetzt, dass diese Umstände erst nach der letzten forstlichen Begutachtung des Bestandes neu aufgetreten sind und ob diese Umstände zu übermäßigen Verbissschäden im oben genannten Sinne geführt haben bzw. in Zukunft führen werden. Es ist lediglich auf einer Notiz (S. 4 der Behördenakte) vermerkt: s. Begründung EJ-Besitzer (große Investitionen in Waldumbau, Sicherung vor Laubaustrieb erf., Reviergang 2022 bestätigt das). Zu konkreten aktuellen Verbissschäden im streitgegenständlichen Revier ist dieser Notiz aber nichts zu entnehmen. Dass nach Angaben des Beigeladenen in den letzten 10 Jahren eine ganze Reihe von Kalamitäten im Revier zu verzeichnen sind, die – so ist sein Antragsschreiben vom 13.3.2023 wohl zu verstehen – zu umfangreichen Aufforstungen geführt haben, lässt keine Schlüsse darauf zu, dass sich die Situation in den letzten zwei Jahren gegenüber der Situation, die dem forstlichen Gutachten 2021 zugrunde lag, so verändert hätte, dass von übermäßigen Verbissschäden auszugehen wäre.
58
Soweit der Beigeladene vorträgt, mit Blick auf den hohen Freizeitdruck und die starke Einschränkung des waidgerechten Jagens ab Mai (gemeint wohl aufgrund der früher einsetzenden Vegetationsperiode) entspreche die gesetzliche Schon- / Schusszeit für Rehwild nicht mehr den neuen Gegebenheiten im Wald, so ist dem entgegenzuhalten, dass es sich dabei um eine Argumentation handelt, die für sämtliche Jagdreviere in Bayern gleichermaßen gilt. Unabhängig davon, dass die Behörde sich mit diesen Argumenten im konkreten Einzelfall nach Aktenlage nicht auseinandergesetzt und damit nicht dargelegt hat, dass es dadurch zu übermäßigen Verbissschäden kommt, ist es wohl Sache des Gesetzgebers auf bayernweit geänderte Umstände entsprechend zu reagieren.
59
Welche Relevanz die vom Kläger vorgetragene große Zahl an Wildunfällen für die Verbisssituation haben soll, ist weder dargelegt, noch sonst für das Gericht ersichtlich.
60
Dass die Verbisssituation für die Hegegemeinschaft …, in deren Gebiet das streitgegenständliche Revier liegt, als zu hoch bewertet wird, ändert nichts an der Einschätzung, dass im EJR … gerade kein übermäßiger Verbiss vorliegt. Die Hegegemeinschaft umfasst eine Gesamtfläche von 13.246 ha, so dass aus einer Bewertung, die für eine solch große Fläche gilt, keine Rückschlüsse auf die Situation in den hier streitgegenständlichen Jagdrevieren mit einer Fläche von zusammen 636 ha gezogen werden können, was die ergänzenden revierweisen Aussagen ja gerade bestätigen. Erst recht gilt dies, soweit die – deutlich zu hohe – Verbissbelastung im gesamten Landkreis Regensburg (Fläche: 1.396 km² bzw. 139.600 ha) im streitgegenständlichen Bescheid als Begründung für die Schonzeitverkürzung herangezogen wird.
61
Damit fehlt es für das streitgegenständliche Revier an der notwendigen Darlegung der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Verkürzung der Schonzeit.
62
Darüber hinaus bestehen erhebliche Bedenken dahingehend, ob die Behörde ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt hat. Neben einer hinreichenden Sachverhaltsaufklärung ist dafür erforderlich, dass die Behörde alle wesentlichen Gesichtspunkte in ihre Ermessenserwägung einstellt.
63
Insoweit setzt sich der streitgegenständliche Bescheid schon nicht hinreichend mit der Situation im konkret betroffenen Revier auseinander. Die Bescheidsgründe stellen ganz allgemein auf die früher beginnende Vegetationsperiode, die Verbissbelastung im Landkreis Regensburg, die durch den Klimawandel bedingten verschlechterten waldbaulichen Bedingungen und darauf ab, dass die verstärkte und gezielte Jagd im Wald und die schwerpunktmäßige Bejagung der im Zeitraum 10.4. bis 30.4. leicht anzusprechenden Rehböcke und Schmalrehe erleichtert werden solle. Unabhängig davon, dass es für eine Schonzeitverkürzung, die tatbestandlich allein zur Vermeidung von übermäßigen Wildschäden ausgesprochen werden kann, nicht ausreichen kann, dass die Jagd „erleichtert“ wird, geht der streitgegenständliche Bescheid an keiner Stelle auf die tatsächlichen Verhältnisse im EJR … ein. Weder der Akte noch den Bescheidsgründen lässt sich entnehmen, ob und wenn ja inwieweit / mit welcher Gewichtung die vom Beigeladenen vorgebrachten Aspekte, die sein Revier betreffen, in die Entscheidung eingeflossen sind. Ebenso wenig ist erkennbar, ob und wenn ja welche weiteren Interessen / Überlegungen, die einerseits für, andererseits gegen eine Schonzeitverkürzung sprächen, im konkreten Einzelfall in die Entscheidung eingestellt wurden. Die im Bescheid angeführten – allgemeinen – Aspekte wie etwa die Pflichten aus dem Jagdrecht und den Jagdpachtverträgen, Klimaaspekte oder Erfahrungen von Kreisjagdberatern und Jägern können sicherlich zu einem gewissen Grade in die Ermessenserwägungen einfließen, aber in keinem Fall eine Auseinandersetzung mit den Verhältnissen im konkreten Revier ersetzen. Damit ist der streitgegenständliche Bescheid in jedem Fall ermessensfehlerhaft ergangen. Auch zur konkreten Dauer der Schonzeitverkürzung fehlen Ausführungen.
64
Nach allem war dem Antrag daher stattzugeben.
65
3. Rechtsgrundlage der gerichtlichen Kostenentscheidung ist § 154 Abs. 1 VwGO. Dem Beigeladenen konnten keine Kosten auferlegt werden, weil er keine Anträge gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Umgekehrt entsprach es nicht der Billigkeit, dem Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
66
4. Rechtsgrundlage der Streitwertfestsetzung sind § 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG), § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag die Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb das Gericht von einer Reduzierung des Streitwerts nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit abgesehen hat.