Titel:
Teilweise erfolgreicher Eilantrag gegen die Anordnung von Baumschutzmaßnahmen
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, S. 4, § 114
BayVwZVG Art. 19 Abs. 1, Abs. 2, Art. 21a S. 1
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Art. 46
BayLStVG Art. 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Eilentscheidung fehlt, wenn diese für den Antragsteller von vornherein nutzlos bzw. wenn das gerichtliche Offenhalten der Hauptsache zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausgehend von dem Ansatz, dass § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO nur die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung betrifft, ist es zwingend, dass es auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung nicht ankommen kann. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gefahr im Verzug iSv Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG ist anzunehmen, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die behördliche Maßnahme zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Nachholen der Anhörung bewirkt nur dann eine Heilung iSv Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG, wenn der Sinn der Anhörung, die Entscheidung anhand der Stellungnahme der Beteiligten zu überprüfen, noch erreicht werden kann. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
mangelndes Rechtsschutzbedürfnis für Eilantrag nach Erfüllung der auferlegten Verpflichtung, keine Heilung der unterbliebenen Anhörung, ermessensfehlerhafte Frist, Zwangsgeldandrohung, Baumpflegemaßnahme, Schutz freigelegter Wurzeln, Eilantrag, Rechtsschutzbedürfnis, Erfüllung der auferlegten Verpflichtung, Begründung des Sofortvollzugs, Interessenabwägung, Anhörungsmangel, Nachholung der Anhörung, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, ermessensfehlerhaft kurz festgesetzte Frist
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8329
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 und Ziffer 6 des Bescheids vom 12. Januar 2023 wird angeordnet bzw. wiederhergestellt.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Eilrechtsschutz gegen von der Antragstellerin verfügte Baumschutzmaßnahmen.
2
Die Antragstellerin ist Miteigentümerin der Flurstücke Nr. … und … der Gemarkung … (= …). Die Antragstellerin bzw. ihr Ehemann erhielten als Miteigentümer nach Aktenlage – neben der Baugenehmigung vom 19. Mai 2021 – in den Jahren 2017 bis 2021 von der Antragsgegnerin die Genehmigung zur Fällung von insgesamt neun Bäumen (Bescheide vom 3.7.2017, 19.3.2019, 17.2.2021, 9.11.2021; zum Teil gegen Ersatzpflanzung).
3
Mit Bescheid vom 19. Mai 2021 erhielten die Antragstellerin und ihr Ehemann von der Antragsgegnerin die Genehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses und eines Carports (Haus 1) unter Auflagen. Die Auflagen zum Baumschutz erfolgten auf Grundlage des vorgelegten Freiflächenplans vom 13. Dezember 2019. Es wurden fünf Bäume zur Fällung freigegeben, wobei dafür sechs näher bestimmte Ersatzpflanzungen vorgesehen waren. Nach Ziffer 3.4 der Baugenehmigung sind alle zu erhaltenden Bäume gemäß DIN 18920 vor Beschädigungen zu schützen. Nach Ziffer 3.5 ist im Bereich der Bäume B 13 und B 14 ein Wurzelvorhang zur Baugrube hin einzuplanen und die Baugrube durch Senkrechtverbau auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Ziffer 3.6 bestimmt, dass alle zum Erhalt festgesetzten Bäume während der Baumaßnahme mit einem festen, zwei Meter hohen Holzschutzzaun zu schützen seien. Dieser müsse am Rand des Wurzelbereichs errichtet werden. Der Wurzelbereich eines Baumes sei der Kronenradius plus 1,5 m. Nach der Baugenehmigung i.V.m. dem Freiflächengestaltungsplan sind unter anderem die Bäume B 8 (Bergahorn), B 13 (Bergahorn) und B 14 (Stieleiche) zu erhalten. Für diese war mit dem Bauantrag keine Fällgenehmigung beantragt worden.
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Mit E-Mail vom 27. November 2022 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung der Frist für die Ersatzbepflanzung. Solange das Bauvorhaben in der … nicht fertiggestellt sei, sei es unsinnig, die Ersatzbepflanzung vollständig durchzuführen. Sie werde in Kürze mit der Errichtung des Hauses in der … beginnen. Die Antragsgegnerin wies die Antragstellerin mit E-Mail vom 2. Dezember 2022 darauf hin, dass mit der Baumaßnahme insbesondere erst dann begonnen werden dürfe, wenn die entsprechenden Baumschutzvorkehrungen gemäß der Auflagen Nr. 3.4 – 3.6 erstellt worden seien. Mit E-Mail vom 7. Dezember 2022 beantragte die Antragstellerin die Fällung des Baumes Nr. 13 unter Verweis auf die Ausführungen eines Statikers der bauausführenden Firma. Sie habe mit der Errichtung des Einfamilienhauses in der … begonnen.
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Bei einer Ortseinsicht am 8. Dezember 2022 stellte die Antragsgegnerin fest, dass bei der Eiche Nr. 14 der Wurzelschutzvorhang und sonstige Schutzmaßnahmen fehlten, dass Materialablagerungen im Wurzelraum von den Bäumen Nrn. 8 und 13 existierten und dass (Stark-)Wurzeln von Baum Nr. 13 abgerissen worden seien. Um den Baum Nr. 13 herum sei mit Abstand von ca. 2,5 m der komplette Oberboden abgetragen worden. Auf den zur Akte gelangten Fotos ist ersichtlich, dass Bauarbeiten im Gange sind und dass eine Gitterbox mit Baumaterialien (z.B. Leerrohre und Eimer) und Holzmaterialien in der Nähe der Bäume abgestellt ist. Ebenso sind Aufschüttungen erkennbar. Noch am gleichen Tag wandte sich die Antragsgegnerin, Amt für Umweltschutz und Energiefragen, an das hauseigene Bauamt und informierte es über die Ergebnisse der Ortseinsicht.
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Auf eine E-Mail-Nachfrage der Antragstellerin vom 8. Dezember 2022 bezüglich des Fällantrags von Baum Nr. 13 antwortete die Antragsgegnerin, dass das Ganze angesehen und beurteilt werde und dass ein Telefonat nächste Woche dazu möglich sei.
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Mit Bescheid vom 13. Dezember 2022 verfügte die Antragsgegnerin (Bauamt) eine für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellung, die insbesondere auf die Nichteinhaltung der beauflagten Schutzmaßnahmen für die Bäume Nr. 13 und 14 gestützt wurde.
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Die Antragstellerin wandte sich daraufhin mit E-Mail vom 19. Dezember 2022 an die Antragsgegnerin und führte insbesondere aus, dass es an der erforderlichen Anhörung vor Erlass des Baustopps fehle. Sie habe lediglich die Hausanschlüsse verlegen lassen, der Aushub habe im Jahr 2023 erfolgen sollen. Aus den genannten Gründen verzichtete sie auf einen Telefontermin.
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Mit Schreiben vom 12. Januar 2023 erklärte die Antragsgegnerin der Antragstellerin im Wesentlichen, dass der Ortstermin am 8. Dezember 2022 insbesondere stattgefunden habe, weil entgegen der Festsetzungen in der Baugenehmigung laut der mit dem Fällantrag für Baum Nr. 13 vorgelegten Skizze kein senkrechter Verbau zum Schutz der Bäume geplant gewesen sei, sondern eine normale Böschung. Eine sofortige Einstellung der Bauarbeiten sei im Interesse des Baumschutzes erforderlich gewesen. Weitere Bauarbeiten hätten die Wurzeln in noch höherem Maße gefährdet. Durch die stammnahe Befahrung des Wurzelbereichs des Ahorns im Westen und im Süden sei das Wurzelwerk des Baumes teilweise abgerissen worden. Die Abgrabung der Grube sei ohne Schutzmaßnahmen für die Bäume durchgeführt worden, wobei auch hier Wurzeln abgerissen worden seien. Parallel zu diesem Schreiben werde an die Antragstellerin ein Anordnungsschreiben zur fachgerechten Versorgung der abgerissenen Wurzeln im Osten des Baumes Nr. 13 verschickt, um die Schäden am Bergahorn so weit wie möglich einzudämmen. In einem Telefonat am 23. Dezember 2022 sei mit der Umweltreferentin und der Antragstellerin ein gemeinsamer Ortstermin vereinbart worden. Aufgrund der geschilderten eindeutigen Sachlage sei fraglich, ob dieser in Bezug auf die Auflagen der Baumschutzverordnung ein anderes Ergebnis haben könne als das bereits vorliegende. Wenn die Antragstellerin jedoch einen Termin wünsche, so stehe dem aus Sicht des Umweltamts nichts entgegen.
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Mit Bescheid vom 12. Januar 2023 verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin, sämtliche Ablagerungen im Wurzelbereich der Bäume Nr. 8 und 13 zu entfernen. Der Wurzelbereich eines Baumes sei der Kronenradius plus 1,5 m. Der Lageplan sei Bestandteil dieses Bescheids (Ziff. 1). Darüber hinaus wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, die abgerissenen Wurzeln des Baumes Nr. 13 durch ein entsprechendes Fachunternehmen freizulegen und fachgerecht durchtrennen zu lassen (Ziff. 2). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet (Ziff. 3). Nach Ziffer 4 wird ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000 EUR zur Zahlung fällig, sollte die Antragstellerin die Auflage Nummer 3.5 aus dem Baugenehmigungsbescheid vom 19. Mai 2021 nicht bis zum 12. Februar 2023 erfüllen. Nach den Ziffern 5 und 6 wird jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR zur Zahlung fällig, wenn die Verpflichtung aus Nummer 1 bzw. 2 des Bescheids nicht bis zum 28. Januar 2023 erfüllt werde. Ziffern 7 und 8 treffen Regelungen zur Kostentragung. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass bei einer Ortseinsicht am 8. Dezember 2022 festgestellt worden sei, dass Grabungsarbeiten durchgeführt worden seien. Um den zu erhaltenden Baum Nr. 13 sei der komplette Oberboden im Abstand von ca. 2,5 m abgegraben worden. (Stark-)Wurzeln seien abgerissen und Material sei im unmittelbaren Bereich um den Stamm von den Bäumen Nr. 13 und 8 abgelagert worden. Die Nummern 1 und 2 des Bescheids würden sich auf § 5 Abs. 2 Satz 1 der Baumschutzverordnung der Stadt … (BaumSchVO) stützen. Die Bäume Nr. 8 und 13 seien durch die Ablagerungen im Wurzelbereich und durch die unsachgemäße Durchtrennung von Wurzeln beschädigt worden. Nach § 3 Abs. 2 Buchst. b) BaumSchVO seien Beschädigungen auch Störungen des Wurzelbereichs unter der Krone, insbesondere durch Abgrabungen, Ausschachtungen oder Aufschüttungen. Als Zustandsstörerin sei die Antragstellerin die richtige Adressatin. Die Anordnung entspreche pflichtgemäßem Ermessen. Sie sei sachgerecht, um die Bäume langfristig zu erhalten und sie vor weiteren Beschädigungen zu schützen. Bei zukünftigen Bautätigkeiten sollten durch die angeordneten Maßnahmen, also die Entfernung der Ablagerungen und die fachgerechte Versorgung der Wurzeln, weitere Freilegungen sowie Beschädigungen der verbliebenen Wurzeln verhindert werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Die Anordnungen seien rechtlich und tatsächlich möglich. Ein milderes, gleich effektives Mittel sei nicht erkennbar. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Nr. 4 erfolge nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Angesichts der Ablagerungen sowie der abgerissenen (Stark-) Wurzeln und der damit einhergehenden Austrocknung bzw. anhaltenden Schädigung der Bäume könne nicht bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gewartet werden. Bis dahin könnte das Ziel, der dauerhafte Erhalt der Bäume, keinen Erfolg mehr haben. Als Zwangsmittel werde in den Ziffern 5 und 6 das Regelzwangsmittel des Zwangsgelds angedroht. Die Frist sei angemessen. 500 EUR entspreche jeweils dem wirtschaftlichen Interesse daran, dass die Antragstellerin zur Erfüllung der Anordnungen der Ziffern 1 und 2 des Bescheids angehalten werde.
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Mit am 17. Januar 2023 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ließ die Antragstellerin Klage erheben und einen Eilantrag stellen. Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, dass eine eigene Frist zur Erfüllung der – ohne Anhörung oder vorherigen Aufforderung – in den Ziffern 1 und 2 angeordneten Verpflichtungen nicht festgesetzt worden sei, auch wenn diese bis zum 28. Januar 2023 nicht zwangsgeldbewährt seien. Die sofortige Erfüllbarkeit sei nicht zuletzt im Hinblick auf den Zeitablauf zwischen der Ortseinsicht am 8. Dezember 2022 und dem Bescheiderlass am 12. Januar 2023 unverhältnismäßig. Es sei zudem allgemein nicht nachvollziehbar, warum diese Maßnahmen umgehend auszuführen seien. Es sei weder ersichtlich, dass „Ablagerungen im Wurzelbereich“ noch evtl. „abgerissene Wurzeln“ zu einer umgehenden Baumschädigung führten. Selbst wenn man von einer Umsetzungsfrist bis 28. Januar 2023 ausgehe, sei diese nicht angemessen. Auch in tatsächlicher Hinsicht sei festzustellen, dass ein Fachunternehmen zur Ausführung der Maßnahmen nicht innerhalb von zwei Wochen und erst recht nicht umgehend zu beauftragen sei. Bei der Forderung, „sämtliche Ablagerungen im Wurzelbereich“ zu entfernen, sei nicht ersichtlich, wie diese dem Baumschutz dienen solle. Insbesondere für den Baum Nr. 8 könne diese Anordnung nicht vollzogen werden, da weite Bereiche des Kronenbereichs plus 1,5 m innerhalb des mit Bescheid vom 19. Mai 2021 genehmigten Bauvorhabens zu liegen kämen. Die Anordnungen in den Ziffern 1 und 2 seien ohne Rechtsgrundlage ergangen. Die für die Baumschutzverordnung der Antragsgegnerin maßgebliche Rechtsgrundlage sei Art. 12 Abs. 2 des Bayerischen Naturschutzgesetzes (BayNatSchG), der letztendlich in § 3 Abs. 1 BaumSchVO abschließend umgesetzt sei. Die Beseitigung von Ablagerungen oder die fachgerechte Freilegung und Durchtrennung von Wurzeln unterfielen nicht diesem Regelungsgehalt. Als milderes Mittel hätte die Antragstellerin unproblematisch zunächst formlos vor Bescheiderlass aufgefordert werden können, die für erforderlich gehaltenen Maßnahmen zu treffen. Dies sei nicht erfolgt.
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Die Antragstellerin beantragt im Eilverfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffern 1 und 2 sowie 5 und 6 des Bescheides vom 12. Januar 2023 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
14
Zur Begründung wurde im Wesentlichen dargelegt, dass für das Bauvorhaben der Antragstellerin eine Abweichung vom Bebauungsplan vereinbart worden sei, um zumindest eine erhaltenswerte Eiche (Baum Nr. 14) zu erhalten, nachdem fast der gesamte Baumbestand auf dem Grundstück seit dem Jahr 2017 gefällt worden sei. Bereits am 2. Dezember 2022 sei der Antragstellerin mitgeteilt worden, dass der Baubeginn erst zulässig sei, wenn die im Freiflächengestaltungsplan zur Baugenehmigung dargestellten Schutzmaßnahmen für die Bäume errichtet sind. Bei einer Ortseinsicht am 8. Dezember 2022 sei festgestellt worden, dass bei Arbeiten zur Verlegung von Hausleitungen im südöstlichen Grundstücksbereich Wurzeln des Baumes Nr. 13 an der Abgrabungsstelle im Osten, sowie im Norden und Westen des Baumes durch Befahren und Bodenabtragung beschädigt und abgerissen worden seien. Außerdem sei Material im unmittelbaren Bereich um die Bäume Nr. 8 und 13 abgelagert worden. Zwar sei tatsächlich vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids keine Anhörung der Antragstellerin erfolgt, jedoch sei dieser Verfahrensfehler nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 BayVwVfG durch Klageerhebung geheilt, da sich die Antragstellerin zur Sache eingelassen habe. Zudem seien die Argumente der Antragstellerin hinlänglich bekannt gewesen. Rechtsgrundlage der in den Ziffern 1 und 2 verfügten Maßnahmen sei § 5 Abs. 2 Satz 1 BaumSchVO i.V.m. § 3 Abs. 1 BaumSchVO. Die Aufzählung der Beschädigungen in § 3 Abs. 2 BaumSchVO sei nicht abschließend. § 5 Abs. 2 Satz 1 BaumSchVO halte sich genau im Ermächtigungsrahmen des Art. 12 Abs. 2 BayNatSchG a.F. Nach § 3 Abs. 2 Buchst. b) sei explizit als Störung, die gemäß § 3 Abs. 2 BaumSchVO verboten sei, „Abgrabungen, Ausschachtungen oder Aufschüttungen“ genannt. Das Verbot gelte nicht, wenn Vorsorgemaßnahmen gegen das Absterben von Bäumen getroffen worden seien. Die in der Baugenehmigung formulierten Baumschutzauflagen seien als solche Absprachen zu verstehen. Unter Punkt 3.4 sei die Einhaltung der DIN 18920 festgehalten, die Ablagerung im bzw. Belastung des Wurzelbereichs als Schadursache ansehe. Die Forderung, jedwede Ablagerung zu unterlassen, sei sachdienlich, verständlich und durchführbar. Dass für den Baum Nr. 8 der Schutz des gesamten Wurzelbereichs aufgrund der Ausmaße des Bauvorhabens nicht möglich sei, bedeute nicht, dass auf sämtliche Schutzmaßnahmen verzichtet werde. Die DIN 18920 sehe unter Punkt 4.6 vor, dass, wenn aus Platzgründen nicht der gesamte Wurzelbereich geschützt werden könne, der zu schützende Bereich möglichst groß sein und insbesondere die offene Bodenfläche umfassen müsse. Es bestehe ein erhöhtes Interesse an der Herstellung eines Zustands, der weitere Schadquellen ausschließt. Mit der fachgerechten Durchtrennung der abgerissenen Wurzeln und Versorgung der Wunden werde das Risiko von Pilzerkrankungen des Baumes verringert. Der Sofortvollzug sei zu Recht nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet worden. Die Verdichtung des stammnahen Wurzelbereichs von Bäumen sowie die Durchtrennung der Wurzeln, die der Wasser- und Nährstoffversorgung des Baumes dienen, würden zur Schädigung des Baumes führen, sofern dieser Zustand nicht umgehend behoben wird. Verdichtungen im Wurzelbereich führten zu einem Verlust von Bodenstruktur, wodurch Feinporen im Boden verloren gehen und die Sauerstoffzufuhr für die Wurzeln beeinträchtigt werde. Die Wurzeln könnten ihre Funktion zur Baumversorgung und -verankerung verlieren. Das Abreißen von Wurzeln bedeute einerseits den Verlust wichtiger „Zubringerleitungen“ von Waser und Nährstoffen. Anderseits würden durch das Abreißen (im Gegensatz zur fachgerechten Durchtrennung mittels eines sauberen Schnitts) größere Flächen freiliegenden Holzkörpers entstehen, die durch den Baum schlecht wieder verschlossen werden könnten. Diese Wunden stellten mögliche Eintrittspforten für Krankheitserreger wie z.B. holzzersetzende Pilze dar. Die Beauftragung eines Fachunternehmens innerhalb von zwei Wochen sei durchaus möglich. Eine fristgerechte Mitteilung eines verbindlichen Termins zeitnah nach Ablauf der Frist könne zu einer Fristverlängerung führen.
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Bei einer Ortseinsicht am 26. Januar 2023 stellte die Antragsgegnerin fest, dass bei eingestellter Bautätigkeit die Aufschüttungen entfernt worden, die Wurzeln des Baumes Nr. 13 mit Sand bedeckt worden (ohne Nachweis einer fachgerechten Versorgung) und keine Baumschutzzäune oder Wurzelvorhänge vorhanden seien.
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Auf eine Nachfrage des Gerichts erklärte die Antragstellerin, dass der Verpflichtung aus Ziffer 1 des Bescheids nachgekommen worden sei. Zudem habe die Antragstellerin eine Änderung der Baugenehmigung beantragt, nach der der Baum Nr. 14 nicht erhalten werden könne. Baum Nr. 13 sei nicht verkehrssicher, was ein Zugversuch ergeben habe. Eine entsprechende „Vorabinformation“ vom 26. Januar 2023 des Ingenieur und Sachverständigen Büro … wurde vorgelegt, eine finale Bewertung über ein kommendes Gutachten dabei angekündigt.
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Mit Schreiben vom 28. Februar 2023 teilte die Antragsgegnerin mit, dass bei einer zwischenzeitlichen Ortseinsicht festgestellt worden sei, dass zwar der Wurzelbereich des Baumes Nr. 13 inzwischen frei von Ablagerungen sei, jedoch die abgerissenen Wurzeln nach wie vor unbedeckt und unbehandelt seien. Dieser Zustand führe, insbesondere wenn das Frühjahr komme, zum zunehmenden Austrocknen der abgerissenen Wurzeln und zu einer weiteren Schwächung des Baumes. Da ein Verzicht auf Zwangsmaßnahmen erklärt worden sei, werde nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO beantragt, der Antragstellerin als Auflage aufzugeben, die frei liegenden Wurzeln des Baumes Nr. 13 (Bergahorn) fachgerecht zu versorgen. Ein Verzicht auf die Schutzmaßnahmen für die Bäume Nr. 13 und 14 (Wurzelschutzvorhang) könne erst dann erklärt werden, wenn diese sicher nicht erhalten werden können.
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Mit Beschluss der erkennenden Kammer vom 31. Januar 2023 wurden die Verfahren, soweit sie sich gegen Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids richten, abgetrennt. Sie werden unter den Aktenzeichen AN 3 S 23.207 und AN 3 K 23.208 fortgeführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und auf die beigezogene Behördenakte verwiesen.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen, ist teilweise unzulässig. Soweit er zulässig ist, ist er begründet.
21
Soweit sich der Eilantrag gegen die Ziffer 1 (Entfernung sämtlicher Ablagerungen im Wurzelbereich der Bäume Nr. 8 und 13) und gegen die damit zusammenhängende Ziffer 5 (Zwangsgeldandrohung) des streitgegenständlichen Bescheids richtet, ist er mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Eilentscheidung fehlt, wenn diese für den Antragsteller von vornherein nutzlos bzw. wenn das gerichtliche Offenhalten der Hauptsache zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich ist (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 80 VwGO Rn. 492; Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 80 VwGO Rn. 132).
22
1. Die Antragstellerin ist der Anordnung in der Ziffer 1 des Bescheids, sämtliche Ablagerungen im Wurzelbereich der beiden Bäume zu entfernen, nachgekommen. Die entsprechende Erklärung der Antragstellerin stimmt mit den von der Antragsgegnerin im Rahmen einer Ortseinsicht am 26. Januar 2023 gemachten Fotos und auch den dazu angefügten kurzen Erläuterungen überein. Die Aufschüttung war entfernt, es waren keine Baumaterialien oder sonstige Gegenstände mehr abgestellt. Nachdem mit Bescheid vom 13. Dezember 2022 die sofort vollziehbare Baueinstellung verfügt worden war, liegt die Annahme nahe, dass die Bauarbeiten daraufhin gestoppt wurden und der Bauunternehmer die Materialien – wohl möglicherweise sogar schon vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 12. Januar 2023 – entfernt hat. In der Hauptsache gibt es damit keinen vollziehbaren Verwaltungsakt mehr, gegen den vorläufiger Rechtsschutz durch aufschiebende Wirkung erreicht werden müsste (vgl. VGH BW, B.v. 26.5.1987 – 4 S 1484/86 – NVwZ 1988, 747). Ein gerichtlicher Eilrechtsschutz in Hinblick auf die Ziffer 1 des Bescheids kann keine Verbesserung der Rechtsposition der Antragstellerin bewirken. In der Ziffer 1 war ausdrücklich lediglich die Entfernung der Ablagerungen angeordnet worden, nicht das künftige Unterlassen. Auch in der Begründung des Bescheids wird ausdrücklich nur auf das Entfernen Bezug genommen. Damit ist durch die Entfernung der Aufschüttung und der verschiedenen Baumaterialien die Verpflichtung nach Ziffer 1 vollständig erfüllt.
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2. Entsprechendes gilt für die Zwangsgeldandrohung in der Ziffer 5 des Bescheids. Die Antragstellerin kann durch den Eilrechtsschutz ihre Rechtsposition nicht verbessern, der Eilrechtschutz ist insoweit nutzlos, so dass ihr auch in Hinblick auf Ziffer 5 das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Der Antragstellerin wurde ein Zwangsgeld angedroht für den Fall, dass sie die Verpflichtung aus Ziffer 1 nicht bis zum 28. Januar 2023 erfüllt. Ausweislich der in die Behördenakte gelangten Fotos des Ortstermins waren schon am 26. Januar 2023 alle Ablagerungen entfernt. Die Antragsgegnerin ist wegen der rechtzeitigen Erfüllung der Verpflichtung damit rechtlich gehindert, ein Zwangsgeld von der Antragstellerin zu fordern, auch wenn die Androhung gemäß Art. 21a Satz 1 BayVwZVG sofort vollziehbar ist. Es fehlt die allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung nach Art. 19 Abs. 2 VwZVG, dass der Verpflichtete seine Verpflichtung nicht rechtzeitig erfüllt.
24
Da der Eilantrag bezüglich Ziffer 1 und Ziffer 5 schon unzulässig ist, ist insoweit auf die Begründetheit nicht näher einzugehen, insbesondere, ob die Anordnungen rechtlich zu beanstanden wären.
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Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg, soweit er sich gegen Ziffer 2 und Ziffer 6 des Bescheids richtet.
26
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist insoweit zulässig. Er ist insbesondere statthaft. Die Anordnung in der Ziffer 2 wurde von der Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt, die Anordnung in der Ziffer 5 ist als Maßnahme des Verwaltungszwangs (Zwangsgeldandrohung) gemäß Art. 21a Satz 1 BayVwZVG sofort vollziehbar. In der Hauptsache wurde mit der fristgerecht erhobenen Klage ein Rechtsbehelf eingelegt, der in der Lage ist, die aufschiebende Wirkung auszulösen. Die Antragstellerin hat auch insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis, insbesondere wurde die Verpflichtung zur fachgerechten Durchtrennung der Wurzeln des Baumes Nr. 13 noch nicht erfüllt.
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2. Der Antrag ist insoweit auch begründet.
28
Es ist schon fraglich, ob die Anordnung des Sofortvollzugs der Verpflichtung zur fachgerechten Durchtrennung der abgerissenen Wurzeln des Baumes Nr. 13 (Ziffer 5 des Bescheids) formell rechtmäßig erfolgt ist. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Ausgehend von dem Ansatz, dass § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nur die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung betrifft, ist es zwingend, dass es auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung nicht ankommen kann. Es reicht eine schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55). Die Begründung muss nicht ausführlich sein; aus ihr muss jedoch hervorgehen, dass und warum die Verwaltung im konkreten Einzelfall dem sofortigen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 247). Ausweislich des Bescheids beabsichtigte die Antragsgegnerin eine Begründung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Jedoch bezieht sich diese Begründung ausdrücklich auf „Die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Nr. 4 dieses Bescheids“. Ziffer 4 des Bescheids trifft jedoch Festsetzungen in Hinblick auf die Auflagen aus dem Baugenehmigungsbescheid, eine Erklärung zur sofortigen Vollziehbarkeit der Ziffer 2 beinhaltet sie nicht. Zwar kann der Begründung wohl entnommen werden, dass die Antragsgegnerin grundsätzlich der Ausnahmecharakter für eine Anordnung des Sofortvollzugs bewusst war, jedoch ist fraglich, ob aufgrund des ausdrücklichen Bezugs auf die falsche Ziffer des Bescheids die Antragsgegnerin tatsächlich im konkreten Fall von einer besonderen Ausnahmesituation ausging. Doch selbst wenn man davon ausginge, dass ein unbeachtlicher Tippfehler vorliegt, insbesondere, da sich die Begründung inhaltlich auf die abgerissenen Wurzeln bezieht (und nicht auf die Baugenehmigung), so fällt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus.
29
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anordnen oder wiederherstellen. Das erkennende Gericht hat eine eigenständige und originäre Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu treffen, die notwendigerweise nur vorläufigen summarischen Charakter hat. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht Ersatz für das Verfahren der Hauptsache sein, welches in erster Linie den Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG vermittelt; demgegenüber dient das Eilverfahren vornehmlich der Verhinderung von Rechtsnachteilen und Rechtsverlusten bis zum (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Wegen des summarischen Charakters des Eilverfahrens müssen dabei weder schwierige Rechtsfragen vertieft noch abschließend geklärt werden. Solches muss dem Verfahren der Hauptsache überlassen bleiben (vgl. OVG NRW, B.v. 26.1.1999 – 3 B 2861/97 – juris Rn. 4). Im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten bzw. noch einzulegenden Rechtsbehelfs eine maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BayVGH, B. v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 22). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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a) Die in der Ziffer 2 des Bescheids verfügte Verpflichtung der Antragstellerin, die abgerissenen Wurzeln des Baumes Nr. 13 durch ein entsprechendes Fachunternehmen freizulegen und fachgerecht durchtrennen zu lassen, ist nach summarischer Überprüfung rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, der erhobenen Anfechtungsklage kommen Erfolgsaussichten zu.
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aa) Es mangelt nach summarischer Prüfung schon an der erforderlichen Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG vor Erlass dieses für die Antragstellerin belastenden Verwaltungsakts, so dass eine beachtliche formelle Rechtswidrigkeit vorliegt.
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Die Antragsgegnerin hat aufgrund der Ortseinsicht am 8. Dezember 2022 Kenntnis erlangt von den Zuständen und der Sachlage am streitgegenständlichen Grundstück. Eine Kontaktaufnahme mit der Antragstellerin wegen der beabsichtigten und mit Bescheid vom 12. Januar 2023 verfügten Maßnahmen erfolgte daraufhin nicht. Es erfolgte lediglich der Hinweis am 8. Dezember 2022, dass wegen des Fällantrags des Baumes Nr. 13 ein Telefonat möglich sei. In der E-Mail der Antragstellerin vom 19. Dezember 2022, in der sie auf einen Telefontermin verzichtet, kann auch kein Verzicht auf eine Anhörung gesehen werden. Auch wenn ein Verzicht auf eine Anhörung grundsätzlich möglich ist (vgl. Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl. 2023, § 28 VwVfG Rn. 48), so fehlt es hier an der konkreten Bezugnahme auf eine bestimmte Maßnahme. Die Antragstellerin wandte sich wegen des Fällantrags und der verfügten Baueinstellung an die Antragsgegnerin. Maßnahmen zum Baumschutz standen – jedenfalls für die Antragstellerin – nicht erkennbar im Raum. Geschweige denn waren diese auf bestimmte Bäume und bestimmt vorzunehmende Handlungen konkretisiert. In dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 12. Januar 2023 kann auch keine Anhörung gesehen werden. Dieses Schreiben beschreibt weder konkret die beabsichtigten Verfügungen zum Baumschutz noch hatte die Antragstellerin im Nachgang ausreichend Zeit, Stellung zu nehmen, da der angegriffene Bescheid am gleichen Tag erging und sogar insoweit „parallel“ angekündigt wurde. Zudem nimmt die Antragsgegnerin darin sogar Bezug auf einen vereinbarten Ortstermin, bei dem Gelegenheit zum Austausch der Rechtsauffassungen bestanden hätte, der ausweislich der Akten aber nicht stattfand. Ein Fall der Entbehrlichkeit der Anhörung nach den Umständen des Einzelfalls gemäß Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG liegt – abgesehen davon, dass eine Begründung für die Ermessensentscheidung im Bescheid nicht enthalten ist – nicht vor. Insbesondere greift Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG nicht. Gefahr im Verzug i.S.v. Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG ist anzunehmen, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die behördliche Maßnahme zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen. Hierbei ist wegen der Bedeutung des Anhörungsrechts als tragendem Prinzip des rechtsstaatlichen Verfahrens ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. zu § 28 VwVfG: BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16/11 – juris Rn. 14). Dass selbst bei einer kurzen Anhörungsfrist der Zweck der Maßnahme, der Erhalt des Baumes, nicht erreicht hätte werden können, ist weder dargetan noch ersichtlich.
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Eine Heilung des Anhörungsmangels nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 BayVwVfG durch Nachholung im gerichtlichen Verfahren kann nach summarischer Prüfung wohl nicht angenommen werden. Das Nachholen der Anhörung bewirkt nur dann eine Heilung, wenn der Sinn der Anhörung, die Entscheidung anhand der Stellungnahme der Beteiligten zu überprüfen, noch erreicht werden kann. Die Heilung eines Anhörungsmangels gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 BayVwVfG setzt voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Voraussetzungen grundsätzlich nicht (vgl. zu § 28 VwVfG: BVerwG, B.v. 17.8.2017 – 9 VR 2/17 – juris Rn. 10, NVwZ 2018, 268). Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nach summarischer Prüfung wohl nicht von einer Heilung ausgegangen werden. Zwar hat sich die Antragsgegnerin mit den von der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren vorgebrachten Aspekten hinsichtlich der fachgerechten Versorgung der abgerissenen Wurzeln des Baumes Nr. 13 auseinandergesetzt, insbesondere zur Rechtsgrundlage und zur gesetzten Frist. Jedoch greift der von der Antragsgegnerin vorgebrachte Umstand, dass die Argumente der Antragstellerin hinlänglich bekannt gewesen seien, zu kurz. Denn gerade aufgrund des Umstands, dass für Baum Nr. 13 nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheids ein Sachverständigenbüro einen Zugversuch durchgeführt hat, der als Vorabergebnis am 26. Januar 2023 zu einer fehlenden Verkehrssicherheit gelangt, und dass über den sich darauf stützenden gestellten Fällantrag ausweislich der Akten noch nicht entschieden wurde, liegt es nicht auf der Hand, dass bei einer vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids durchgeführten Anhörung der Antragstellerin die Antragsgegnerin auch die verfügten Maßnahmen zum Schutze des Baumes Nr. 13 getroffen hätte. Es kann auch nicht gemäß Art. 46 BayVwVfG mit der erforderlichen Offensichtlichkeit festgestellt werden, dass das Unterbleiben der Anhörung die Entscheidung der Antragsgegnerin in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2021 – 19 CS 20.261 – juris Rn. 12). Erforderlich hierfür wäre, dass die Kausalität des Anhörungsmangels für den Behördenwillen ohne Zweifel verneint werden kann (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 46 VwVfG Rn. 80). Gerade wegen der von der Antragstellerin mit Hilfe eines Sachverständigenbüros festgestellten vorgebrachten fehlenden Verkehrssicherheit des Baumes Nr. 13 kann nicht ohne jeglichen Zweifel ausgeschlossen werden, dass die Antragsgegnerin die Ziffer 2 des Bescheids bei einer vorher durchgeführten Anhörung anders als erfolgt verfügt hätte.
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bb) Die angeordnete Verpflichtung zum Freilegen und zur fachgerechten Versorgung der abgerissenen Wurzeln des Baumes Nr. 13 dürfte zudem im konkreten Fall gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen, so dass sie auch materiell rechtswidrig sein dürfte. Zwar können nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BaumSchVO grundsätzlich von der Antragsgegnerin Maßnahmen zur Pflege und zum Schutz von Bäumen angeordnet werden – unabhängig davon, ob es ausreichend ist, die Antragstellerin als Miteigentümerin als alleinige Adressatin zu verpflichten. Jedoch ist bei solchen sicherheitsrechtlichen Anordnungen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Art. 8 LStVG zu beachten. Nach Art. 8 Abs. 1 LStVG ist unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Geeignet ist eine Maßnahme dann, wenn mit ihr der angestrebte Zweck ganz oder teilweise erreicht werden kann (vgl. Goldhammer in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 15.1.2023, Art. 8 LStVG Rn. 37). Als milderes Mittel wäre im konkreten Fall zunächst die formlose Aufforderung der Antragstellerin, eventuell im Zusammenhang mit einer Anhörung, sich um die abgerissenen Wurzeln zu kümmern, heranzuziehen gewesen. Dass dieses Mittel von vornherein völlig ungeeignet gewesen wäre, den gewünschten Zweck zu erreichen, liegt nicht auf der Hand. Insbesondere nach der erfolgten Einstellung der Bauarbeiten ist es nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin geeignete Alternativvorschläge unterbreitet oder ohne sicherheitsrechtliche Anordnung die fachgerechte Versorgung der Wurzeln des Baumes Nr. 13 übernommen hätte.
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cc) Die von der Antragsgegnerin der Antragstellerin eingeräumte Frist zur Erfüllung der Verpflichtung der Ziffer 2 des Bescheids ist nach summarischer Prüfung zudem ermessensfehlerhaft festgesetzt worden. Der Fehler ist gemäß § 114 VwGO beachtlich, so dass auch in dieser Hinsicht von einer materiellen Rechtswidrigkeit der Ziffer 2 des Bescheids auszugehen sein dürfte. Auch wenn die Frist zur Erfüllung nicht ausdrücklich in die Ziffer 2 aufgenommen wurde, so dürfte der Antragstellerin eine Frist bis 28. Januar 2023 gewährt worden sein. Denn nur dann, wenn die auferlegte Handlungspflicht nicht bis zum 28. Januar 2023 erfüllt wird, wird nach der Ziffer 6 des Bescheids ein Zwangsgeld angedroht. Innerhalb des Zeitraums bis zum 28. Januar 2023 war die Antragstellerin gehalten, die fachgerechte Versorgung der Wurzeln durchführen zu lassen. Diese Frist, die letztlich angesichts der Datierung des Bescheids auf den 12. Januar 2023 etwa zwei Wochen beträgt, dürfte sich angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls als unangemessen kurz darstellen, so dass ein beachtlicher Ermessensfehler besteht. Ein beachtlicher Ermessensfehlgebrauch liegt in der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 114 VwGO Rn. 68). Ein solcher ist hier anzunehmen. Dies deshalb, da die Antragsgegnerin schon beim Ortstermin am 8. Dezember 2022 am Grundstück der Antragsgegnerin den Zustand vorgefunden hat, weswegen sie die streitgegenständliche Anordnung verfügt hat. Zwischen der Ortseinsicht und dem Bescheiderlass vergingen etwa fünf Wochen, ohne dass von der Antragsgegnerin Kontakt mit der Antragstellerin wegen der beabsichtigten Maßnahmen aufgenommen wurde. Es wurde zwar kurz nach der Ortseinsicht die sofort vollziehbare Baueinstellung verfügt, jedoch wurden die streitgegenständlichen Maßnahmen zum Baumschutz – ohne ersichtlichen Grund – erst mit einem größeren zeitlichen Abstand, mehrere Wochen später, angeordnet.
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Das Gericht verkennt nicht, dass es Fallgestaltungen gibt, bei denen Baumpflegemaßnahmen mit einer kurzen Handlungsfrist (unter Anordnung des Sofortvollzugs) erforderlich sind, jedoch stellt sich dieser konkrete Einzelfall anders dar. Es liegt nicht auf der Hand, dass ein kurzfristiges Handeln beispielsweise aufgrund einer besonderen Gefährdungslage erforderlich war. Im Gegenteil spricht schon alleine aufgrund des etwa fünfwöchigen Zeitablaufs seit der Ortseinsicht Vieles dafür, dass nicht einmal die Antragsgegnerin tatsächlich einen kurzfristigen Handlungsbedarf sah – auch wenn sie die lediglich zwei Wochen betragende Frist angeordnet hat. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren mitgeteilt hat, dass eine Verlängerung der Frist möglich sei, wenn zeitnah ein verbindlicher Termin zur Durchführung der Maßnahmen feststeht. Auch der Inhalt der Handlungspflicht, die fachgerechte Versorgung der abgerissenen Wurzeln, lässt per se nicht auf eine besondere Eilbedürftigkeit schließen. Es ist für das Gericht nach Aktenlage derzeit nicht erkennbar, dass die fachgerechte Versorgung der Wurzeln, durch die das Eindringen von Krankheitskeimen und das Austrocknen der Wurzeln wohl verringert werden kann, zeitlich derart eilbedürftig ist.
37
b) Die Zwangsgeldandrohung in der Ziffer 6 des Bescheids ist wohl nach summarischer Prüfung ebenso rechtswidrig und dürfte die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen. Es fehlt an den allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 Abs. 1 VwZVG. Zwar ist die Rechtmäßigkeit eines Grundverwaltungsakts gemäß Art. 19 VwZVG keine Voraussetzung für dessen zwangsweise Durchsetzung, jedoch ist dessen Vollziehbarkeit erforderlich (vgl. zu § 6 VwZG: Mosbacher in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Aufl. 2021, § 6 VwVG Rn. 1c). Daran mangelt es hier. Der Grundverwaltungsakt, der mit der Ziffer 6 des Bescheids zwangsweise durchgesetzt werden soll, ist die Verpflichtung zur Freilegung und fachgerechten Durchtrennung der Wurzeln des Baumes Nr. 13. Diese ist zwar von der Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt worden, jedoch wird die aufschiebende Wirkung der Klage mit diesem Beschluss wiederhergestellt. Damit liegt kein vollziehbarer Grundverwaltungsakt vor, dessen zwangsweise Durchsetzung rechtlich zulässig ist. Auf das Vorliegen der übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen braucht daher nicht weiter eingegangen werden.
38
Der Antragstellerin wird trotz des entsprechenden Antrags der Antragsgegnerin keine Auflage nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO auferlegt. Nach dieser Vorschrift kann die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Dies ist Ausfluss des gewissen Gestaltungsermessens, das das Gericht beim „Wie“ der Aussetzungsentscheidung hat (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 80 VwGO Rn. 168). Das Gericht hat nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden, ob der Aussetzungsentscheidung Auflagen beigefügt werden (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 80 VwGO Rn. 437). Die Antragsgegnerin beantragte, als Auflage der Antragstellerin aufzuerlegen, die frei liegenden Wurzeln des Bergahorns (Baum Nr. 13) bis zur Entscheidung des Gerichts fachgerecht zu versorgen. Diesem Antrag kann schon aus dem Grund nicht entsprochen werden, weil dies inhaltlich letztlich vollständig der unter Ziffer 2 des Bescheids verfügten Maßnahme entspricht, die nach summarischer Prüfung wohl erfolgreich von der Antragstellerin gerichtlich angegriffen wird. Eine geeignete und erforderliche Auflage, die im vorliegenden Fall dem Interessenausgleich zwischen dem wirksamen vorläufigen Rechtsschutz und dem staatlichen Vollzugsinteresse dient, ist für die Kammer nicht erkennbar. Der Antragsgegnerin ist es nicht verwehrt, im Nachgang zu dieser Entscheidung gegenüber der Antragstellerin Maßnahmen zum Schutz der Bäume unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen anzuordnen.
39
Die Kosten des Verfahrens sind gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeneinander aufzuheben, da die Beteiligten jeweils etwa zu gleichen Teilen obsiegen bzw. unterliegen.
40
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.