Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.04.2023 – M 30 E 22.4913
Titel:

Erfolglose Eilanträge der bayerischen AfD gegen die Beobachtung der Partei durch den bayerischen Verfassungsschutz und deren Bekanntmachung

Normenketten:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3, Art. 21 Abs. 1
BVerfSchG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 S. 1 lit. a, Abs. 2
BayVSG Art. 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, Art. 3 S. 1, Art. 4 Abs. 1 S. 1, Art. 6
Leitsätze:
1. Die Bestimmungen des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes sind auch auf politische Parteien anwendbar; soweit sie deren Beobachtung ermöglichen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Vorschriften. (Rn. 55 – 58) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz setzt tatsächliche Anhaltspunkte für politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss voraus, der darauf gerichtet ist, einen der Verfassungsgrundsätze, die zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. (Rn. 59 – 66) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verhaltensweisen der Partei "Alternative für Deutschland" darauf gerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung hinsichtlich der Ausprägung der Menschenwürde und des Demokratieprinzips außer Geltung zu setzen. (Rn. 68 – 172) (redaktioneller Leitsatz)
4. Derartige Anhaltspunkte liegen auch Hinsichtlich des bayerischen Landesverbands der Partei vor. (Rn. 173 – 185) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Partei „Alternative für Deutschland (AfD)“, Landesverband Bayern, Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Beobachtung durch das Bayerische, Landesamt für Verfassungsschutz und deren Bekanntgabe (abgelehnt), Partei, Verfassungsschutz, Beobachtung, Bekanntgabe, freiheitlich-demokratische Grundordnung, AfD, Gesamtpartei
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.09.2023 – 10 CE 23.796
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8029

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen ihre Beobachtung durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) und deren öffentliche Bekanntgabe.
2
Bei der Antragstellerin handelt es sich um den Landesverband Bayern der Partei Alternative für Deutschland (AfD).
3
Der Antragsgegner veröffentlichte am 8. September 2022 anlässlich der Vorstellung der bayerischen Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 eine Pressemitteilung unter der Überschrift: „H. Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen“ und der darunter befindlichen Passage: „Bayerns Innenminister J. H. stellt Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 vor: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“. Weiter heißt es in der Pressemitteilung hierzu: „Wie H. weiter erklärte, ist nunmehr auch die AfD noch stärker in den Fokus der Verfassungsschützer gerückt. ‚Aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtung der Gesamtpartei aufgenommen.‘ Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Nicht unter Beobachtung stünden jedoch die Mitglieder der AfD-Landtagsfraktion, da hierfür die höchstrichterlichen Anforderungen nicht erfüllt seien […].“. In den vorgestellten Verfassungsschutzinformationen selbst wird die Antragstellerin nicht erwähnt. Die Pressemitteilung ist derzeit auf der Seite des BayLfV unter https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/pressemitteilungen/halbjahresinformationen-verfassungsschutz-bayern-2022/index.html sowie auf der Seite des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration unter https://www.stmi.bayern.de/med/pressemitteilungen/pressearchiv/2022/273c/index.php abrufbar. Darüber hinaus ist über einen Link auf der Seite des BayLfV ein in diesem Link ursprünglich als „Sprachregelung“ bezeichnetes Dokument ohne Datumsangabe abrufbar (https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/pressemitteilungen/halbjahresinformationen-verfassungsschutz-bayern-2022/).
4
Der Presseerklärung ging eine interne Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 voraus. Ausführungen zur Frage der Beobachtung der AfD durch den Antragsgegner enthielten zudem die Antworten des Antragsgegners vom 16. Juli 2022 auf eine Schriftliche Anfrage eines Abgeordneten des Bayerischen Landtags und vom 19. Juli 2022 auf eine dpa-Anfrage.
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Die Antragstellerin führte mit einem an das BayLfV gerichteten und als Abmahnung bezeichneten Schreiben vom 22. September 2022 zur Rechtswidrigkeit der einzelnen Maßnahmen aus und forderte das unverzügliche Abstellen der Handlungen, die Löschung entsprechender Mitteilungen, die Abgabe entsprechender (in die Zukunft gerichteter) Unterlassungserklärungen und das Einräumen der Rechtswidrigkeit der Handlungen mittels öffentlicher Richtigstellungen. Das BayLfV lehnte die geltend gemachten Begehren mit Schreiben vom 4. Oktober 2022 ab.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten hat die Antragstellerin daraufhin am 5. Oktober 2022 Klage gegen ihre Beobachtung sowie die öffentliche Bekanntgabe derselben erhoben (M 30 K 22.4912) und begehrt zugleich einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung wird umfangreich mit Schriftsätzen im Wesentlichen vom 5., 12., 17., 19., 24. und 26. Oktober 2022, 8., 14., 18. und 30. November 2022, 14. Dezember 2022 sowie 4. und 25. Januar 2023 ausgeführt. Es fehle bereits an einer Rechtsgrundlage für die Beobachtung durch den Antragsgegner, da das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) nicht auf politische Parteien anwendbar sei. Tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Antragstellerin gebe es nicht. In tatsächlicher Hinsicht liege keine Radikalisierung vor, es handele sich lediglich um Einzelaussagen, die im Wesentlichen nicht von Mitgliedern der Antragstellerin, sondern von Mitgliedern anderer Landesverbände der Alternative für Deutschland stammten, sodass es auch an den erforderlichen landesspezifischen Anhaltspunkten fehle. Der Antragsgegner habe zum einen den Prüfzeitraum überschritten, was zu einer Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung führe, und blind die Einschätzung des Bundesamts für Verfassungsschutz bezüglich der Gesamtpartei übernommen, sodass Ermessensfehler vorlägen. Der Antragsgegner sei überdies mangels Kompetenz nicht berechtigt, die Gesamtpartei zu beobachten. Auch die Bekanntgabe sei rechtswidrig, da es unabhängig von der Unzulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung angesichts Art. 21 Grundgesetz (GG) bereits an einer Rechtsgrundlage fehle. Weiter sei die Antragstellerin vor der Bekanntgabe nicht angehört worden. Hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte seien nicht vorhanden. Zudem entsprächen die Äußerungen an sich nicht dem staatlichen Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot. Der Eingriff in die Rechte der Antragstellerin sei umso bedeutender, als im Herbst 2023 in Bayern die Landtagswahl stattfinde. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen verwiesen, § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Die Antragstellerin beantragt,
im Wege einer einstweiligen Anordnung zu erkennen,
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1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet,
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a) es zu unterlassen, die Antragstellerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen;
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b) es zu unterlassen, öffentlich bekanntzugeben, dass die Antragstellerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird;
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2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsanordnung zu Ziffer 1. wird dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld bis zu EUR 10.000,- angedroht.
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3. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, die in der unter der URL https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/aktuelle_meldungen/halbjahresinformationen-verfassungsschutz-bayern-2022/ veröffentlichten Pressemitteilung enthaltenen Aussagen in Bezug auf die Antragstellerin, nämlich (soweit nachfolgend unterstrichen)
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„H.: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen Bayerns Innenminister J. H. stellt Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 vor: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen
„Extremisten lieben Krisen!" Auf diese Formel brachte Bayerns Innenminister J. H. die aktuellen Entwicklungen bei der Vorstellung der Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022. Nach dem Abflauen der Coronaproteste bestimme nunmehr der russische Angriffskrieg und seine Folgen auch in den extremistischen Szenen die Dynamik. Die steigende Inflation, Sorgen vor Einschränkungen bei der Energieversorgung und einem möglichen wirtschaftlichen Abschwung verunsicherten die Bevölkerung. „Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung endlich langfristige Lösungen entwickelt und eine funktionierende und bezahlbare Energieversorgung sicherstellt“, mahnte H.. Problematisch sei insbesondere auch, dass Extremisten bei ihren Mobilisierungsversuchen bewusst 'unverdächtig' auftreten, um so möglichst unbemerkt ihren Einfluss in breitere Gesellschaftsschichten auszubauen. „Die Menschen dürfen sich nicht täuschen lassen und den Extremisten auf den Leim gehen“, rät H.. „Unsere Verfassungsschützer sind jedenfalls höchst wachsam.“
Wie H. weiter erklärte, ist nunmehr auch die AfD noch stärker in den Fokus der Verfassungsschützer gerückt. „Aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtung der Gesamtpartei aufgenommen.“ Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Nicht unter Beobachtung stünden jedoch die Mitglieder AfD-Landtagsfraktion, da hierfür die höchstrichterlichen Anforderungen nicht erfüllt seien. (…)“
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zu löschen und es zu unterlassen, diese Berichterstattung in jedweder Form erneut zu verbreiten und/oder zu veröffentlichen und/oder dies durch Dritte vornehmen zu lassen.
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4. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsanordnung zu Ziffer 3. wird dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld von bis zu EUR 10.000,- angedroht.
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5. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, binnen dreier Werktage nach Zugang des Beschlusses richtig zu stellen, dass die Einordnung, Beobachtung, Behandlung, Prüfung und/oder Führung der Antragsgegnerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, rechtswidrig war.
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6. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, binnen dreier Werktage nach Zugang des Beschlusses richtig zu stellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einordnung, Beobachtung, Behandlung, Prüfung und/oder Führung der Antragstellerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, rechtswidrig war.
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7. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, binnen dreier Werktage nach Zugang des Beschlusses richtig zu stellen, dass die in der unter der URL https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/aktuelle_meldungen/halbjahresinformationen-verfassungsschutz-bayern-2022/ veröffentlichten Pressemitteilung enthaltenen Aussagen in Bezug auf die Antragstellerin, nämlich (soweit nachfolgend unterstrichen)
19
„H. Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen Bayerns Innenminister J. H. stellt Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 vor: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen
„Extremisten lieben Krisen!" Auf diese Formel brachte Bayerns Innenminister J. H. die aktuellen Entwicklungen bei der Vorstellung der Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022. Nach dem Abflauen der Coronaproteste bestimme nunmehr der russische Angriffskrieg und seine Folgen auch in den extremistischen Szenen die Dynamik. Die steigende Inflation, Sorgen vor Einschränkungen bei der Energieversorgung und einem möglichen wirtschaftlichen Abschwung verunsicherten die Bevölkerung. „Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung endlich langfristige Lösungen entwickelt und eine funktionierende und bezahlbare Energieversorgung sicherstellt“, mahnte H.. Problematisch sei insbesondere auch, dass Extremisten bei ihren Mobilisierungsversuchen bewusst 'unverdächtig' auftreten, um so möglichst unbemerkt ihren Einfluss in breitere Gesellschaftsschichten auszubauen. „Die Menschen dürfen sich nicht täuschen lassen und den Extremisten auf den Leim gehen“, rät H.. „Unsere Verfassungsschützer sind jedenfalls höchst wachsam.“
Wie H. weiter erklärte, ist nunmehr auch die AfD noch stärker in den Fokus der Verfassungsschützer gerückt. „Aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtung der Gesamtpartei aufgenommen.“ Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Nicht unter Beobachtung stünden jedoch die Mitglieder AfD-Landtagsfraktion, da hierfür die höchstrichterlichen Anforderungen nicht erfüllt seien. (…)“
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rechtswidrig waren;
21
8. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Rechtsstreits.
22
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022,
23
die Eilanträge abzulehnen.
24
Zur Begründung wird mit Schriftsätzen im Wesentlichen vom 10., 14., 18., 20., und 21. Oktober 2022, 2. und 21. November 2022, 27. Dezember 2022 sowie 20. Januar 2023 vorgetragen, auf die hinsichtlich der Einzelheiten gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO verwiesen wird. Die Beobachtung der Antragstellerin und die Bekanntgabe der Beobachtung seien rechtmäßig, da (hinreichend gewichtige) tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in den auch auf politische Parteien anwendbaren Vorschriften des BayVSG und des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) vorlägen. Unabhängig davon, dass es keiner landesspezifischen Anhaltspunkte bedürfe, hätten die Feststellungen, die zur Beobachtung der Gesamtpartei geführt hätten, auch in Bayern Gültigkeit, zumal auch Erkenntnisse aus Bayern in das „Folgegutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative für Deutschland (AfD)“ des Bundesamts für Verfassungsschutz, Stand: 22. Februar 2021 (BfV Gutachten) eingeflossen seien und es keine Anhaltspunkte gebe, dass sich die Antragstellerin von den Zielen der Gesamtpartei distanziere bzw. im Rahmen der parteiinternen Gremien die politischen Vorstellungen der Gesamtpartei nicht mittrage. Die Umstände, die den Antragsgegner zur Aufnahme der Beobachtung bewogen hätten, könnten zudem der Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 entnommen werden, die auch Erkenntnisse aus Bayern aus den Jahren 2020 bis 2022 berücksichtige. Der Antragsgegner verfüge über die Kompetenz zur Beobachtung der Gesamtpartei soweit Bezüge zum Freistaat Bayern bestünden.
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Eine antragstellerseitig begehrte Stillhaltezusage hat der Antragsgegner abgelehnt. Daraufhin wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 25. Oktober 2022 (M 30 E 22.4913) dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer Zwischenregelung zu Ziffer 1. des Eilantrags insoweit stattgegeben, als dem Antragsgegner bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt wurde, gegenüber der Antragstellerin nachrichtendienstliche Mittel im Sinne von Art. 8 BayVSG und Art. 9 bis 19a BayVSG anzuwenden und die Antragstellerin betreffende Informationsmaßnahmen auf Basis des Art. 26 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BayVSG vorzunehmen. Die darüberhinausgehend beantragte Untersagung einer „offenen Beobachtung“ nach Art. 5 Abs. 1 BayVSG und die Löschung der Pressemitteilung wurden abgelehnt. Rechtsmittel gegen den Beschluss wurden nicht eingelegt.
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Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 gab das Gericht den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Frage, ob der Landesverband Bayern oder die Gesamtpartei als Gegenstand der Beobachtung durch das Landesamt für Verfassungsschutz angesehen werde. Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 erklärt, es sei die Antragstellerin und nicht die Gesamtpartei Gegenstand der Beobachtung durch den Antragsgegner. Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 27. Dezember 2022 erklärt, es unterliege „die AfD“ der Beobachtung des BayLfV „und zwar grundsätzlich in dem Umfange, in welchem die Verhaltensweisen der Partei Berührungspunkte zum Freistaat Bayern und damit zur örtlichen Zuständigkeit des BayLfV aufweisen und unabhängig von der (kooperationsrechtlichen) Organisationsstruktur“.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 30 K 22.4912, sowie die vorgelegten behördlichen Unterlagen Bezug genommen. Eine Beiziehung der Akten der Verfahren des Verwaltungsgerichts Köln, Az. 13 K 326/21 und Az. 13 L 105/21 mit den dortigen in den Entscheidungen zitierten Beweismitteln ist im Eilverfahren nicht erfolgt.
II.
28
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO im Zusammenhang mit der Beobachtung der Antragstellerin durch das BayLfV und die diesbezügliche Bekanntgabe durch das BayLfV sind weitgehend zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
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1. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Antragstellerin sind statthaft (a.) und auch im Übrigen zulässig (b., c.), soweit sie nicht die Beobachtung unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel betreffen (c.bb.).
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a. Die gegenüber § 80 Abs. 5 VwGO subsidiären Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO) sind statthaft, da weder die Beobachtung noch die Bekanntgabe Verwaltungsakte darstellen und die Antragstellerin damit in der Hauptsache Leistungsbegehren verfolgt (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2007 – 8 CS 07.1023 – juris Rn. 15; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 123 VwGO Rn. 26 f.) – zum einen die Unterlassung insbesondere der Beobachtung und deren öffentlicher Bekanntgabe, zum anderen die Löschung des die Antragstellerin betreffenden Teils der Pressemitteilung des Antragsgegners vom 8. September 2022 sowie Richtigstellungen.
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b. Die Antragstellerin ist entsprechend bzw. analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, obwohl sie nicht erklärtes „Beobachtungsobjekt“ des Antragsgegners ist.
32
aa. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen (vgl. BVerwG, U.v. 19.11.2015 – 2 A 6/13 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 30.12.2020 – 20 CE 20.3002 – juris Rn. 8; VGH BW, B.v. 6.6.2017 – 4 S 1055/17 – NVwZ-RR 2018, 354/355; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 123 VwGO Rn. 107), dass der Antragstellerin ein sich in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage aus grundrechtlich geschützten Rechtspositionen abzuleitender öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch (st.Rspr., vgl. z.B. BVerwG, U.v. 25.1.2012 – 6 C 9.11 – juris Rn. 22; U.v. 21.5.2008 – 6 C 13.07 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 23.9.2010 – 10 CE 10.1830 – juris Rn. 18, B.v. 16.7.2010 – 10 CE 10.1201 – juris Rn. 16; SächsOVG, B.v. 6.7.2012 – 5 B 172/12 – juris Rn. 21) in Bezug auf die Beobachtung durch den Antragsgegner und deren öffentliche Bekanntgabe sowie ein Anspruch auf Löschung der Pressemitteilung und auf Richtigstellung zusteht, da die Antragstellerin von der Beobachtung und der Bekanntgabe betroffen wird.
33
Zwar wird entgegen der ursprünglichen Auffassung der Antragsstellerin gemäß der Klarstellung des BayLfV auf den richterlichen Hinweis hin die Gesamtpartei AfD vom Antragsgegner beobachtet. Allerdings stellt die Antragstellerin als Landesverband ausweislich der Bundessatzung der AfD eine organisatorische Untergliederung der (Gesamt-)Partei dar (vgl. §§ 1, 9 Bundessatzung der Alternative für Deutschland vom 29. November 2015, Stand: 1. Juli 2021 − Bundessatzung der AfD) und ist verfassungsschutzrechtlich unabhängig von der parteienrechtlichen Organisationsstruktur bei der Bestimmung des Beobachtungsobjekts als Bestandteil der Gesamtpartei AfD anzusehen (vgl. nur VG München, U.v. 16.10.2014 – M 22 K 14.1663 – juris Rn. 41 sowie noch eingehend unten). Die Antragstellerin wird auch in örtlicher Hinsicht von der Beobachtung durch den Antragsgegner erfasst, da die Gesamtpartei – wie durch den Antragsgegner klargestellt wurde – vom Antragsgegner insoweit beobachtet wird, als ihre Verhaltensweisen Berührungspunkte zum Freistaat Bayern aufweisen. Diese Berührungspunkte sind bei der Antragstellerin gegeben, da ihr Tätigkeitsgebiet ausweislich ihrer Satzung dem Gebiet des Freistaats Bayern entspricht (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 Satzung des Landesverbands Bayern der Alternative für Deutschland vom 19. April 2015, zuletzt geändert am 15. September 2019 – Satzung des Landesverbands Bayern der AfD).
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bb. Dass die Antragsbefugnis der Antragstellerin nur insoweit besteht, als der geltend gemachte Anordnungsanspruch ihr selbst zustehen kann, hat zur Folge, dass im hiesigen Verfahren (lediglich) zu überprüfen ist, ob die Beobachtung der Antragstellerin durch den Antragsgegner rechtmäßig ist. Dies umfasst insbesondere die Frage, ob bzw. inwieweit der Antragstellerin Aussagen anderer Untergliederungen der Gesamtpartei bzw. von deren Mitgliedern zugerechnet werden können. Nicht verfahrensgegenständlich ist damit zugleich die Frage, inwieweit der Antragsgegner berechtigt ist, die Gesamtpartei zu beobachten (vgl. zur Beobachtungsmöglichkeit einer Gesamtpartei durch eine Landesverfassungsbehörde Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 5 Rn. 2 ff., insb. 4 ff. mit § 4 Rn. 107 sowie zum Hintergrund der parteienrechtlichen Organisationsstruktur Ipsen, Parteiengesetz, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 11), da die Antragstellerin im hiesigen Verfahren ersichtlich nicht als Vertreterin der Gesamtpartei auftritt (wozu sie im Übrigen wohl auch nicht berechtigt wäre).
35
c. Es besteht in Bezug auf die offene Beobachtung der Antragstellerin auch das für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige Rechtsschutzbedürfnis, da die Beobachtung nach wie vor andauert, was zu einer fortlaufend höheren Eingriffsintensität führt (vgl. VG Köln, U. v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 948), und sich die Antragstellerin hinreichend zeitnah gegen die Beobachtung gewandt hat (aa.). Bezüglich einer etwaigen Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ist das für die Zulässigkeit eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin jedoch jedenfalls derzeit zu verneinen (bb.).
36
aa. Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin entfällt nicht deshalb, weil die Antragstellerin zu viel Zeit bis zur vorprozessualen Aufforderung gegenüber dem Antragsgegner am 22. September 2022 bzw. bis zum Ergreifen gerichtlichen Rechtsschutzes am 5. Oktober 2022 hätte verstreichen lassen. Wie bereits im Beschluss vom 25. Oktober 2022 (vgl. VG München, B.v. 25.10.2022 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 16, 28) ausgeführt wurde, durfte sich die Antragstellerin die Zeit nehmen, die für eine sachgerechte Vorbereitung der notwendigen Rechtsausführungen notwendig ist. Dafür wäre angesichts der spezifisch auf die Vorgänge und Rechtslage in Bayern bezogenen Ausführungen auch bei Unterstellen einer Kenntnis der Antragstellerin von der Beobachtung bereits im Juli ein Zeitraum von etwa zweieinhalb Monaten angemessen, auch wenn die Bevollmächtigten der Antragstellerin den Bundesverband der AfD bereits in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln, Az. 13 L 105/21 vertreten haben.
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bb. In Bezug auf den Anspruch auf einstweilige Unterlassung einer etwaigen Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln fehlt der Antragstellerin jedoch das für die Zulässigkeit der in der Hauptsache zu erhebenden vorbeugenden Unterlassungsklage vorauszusetzende besondere Rechtsschutzinteresse.
38
(1) In der Hauptsache wäre bezüglich der Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (nur) eine vorbeugende Unterlassungsklage statthaft, da nach Aktenlage nicht davon auszugehen ist, dass momentan eine Beobachtung der Antragstellerin mit nachrichtendienstlichen Mitteln erfolgt.
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(a) Zwar wurde in der Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 zunächst ausgeführt, die Beobachtung der AfD erfolge aus offenen Informationsquellen und auch mittels Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel, und im Anschluss erläutert, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erfolgen dürfe. Eine isolierte Betrachtung der Beobachtungserklärung spricht daher trotz des anschließenden Zusatzes, dass der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bei der Beobachtung der AfD „in dem Umfang in Betracht“ komme, wie er „zulässig ist oder zulässig werden wird“ (vgl. Beobachtungserklärung BayLfV v. 21.6.2022, S. 18), dafür, dass (bereits) nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Dementsprechend wurde – gestützt auf die Beobachtungserklärung (vgl. B.v. 25.10.2022 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 32, 36) − im Beschluss vom 25. Oktober 2022 davon ausgegangen, dass zumindest eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln bestehe (a.a.O., Rn. 39), und diese – allerdings allein aufgrund einer Interessen- bzw. Folgenabwägung (a.a.O., Rn. 30 ff.) – angesichts der Intensität und Irreversibilität des Eingriffs (a.a.O., Rn. 39) bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt.
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(b) Jedoch hat der Antragsgegner im weiteren Verfahren nochmals auf die (engen), von Gesetzgeber und Rechtsprechung gezogenen Grenzen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel verwiesen und – wenn auch in durchaus zugespitzter Weise − die Frage aufgeworfen, ob die Antragstellerin tatsächlich davon ausgehe, diese hohen Voraussetzungen zu erfüllen. Falls dies der Fall sei und daher der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel realistischer Weise zu befürchten sei, solle die Antragstellerin dies vortragen (vgl. Stellungnahme BayLfV v. 21.10.2022, S. 1 f.). Speziell in Bezug auf die Überwachung der Kommunikation und informationstechnischer Systeme hat der Antragsgegner durch das BayLfV ausgeführt, dass die Antragstellerin selbst wohl nicht ernsthaft behaupten wolle, dass die hierfür zu fordernden besonders hohen Voraussetzungen bei ihr bzw. einem ihrer Mitglieder vorlägen (vgl. Stellungnahme BayLfV v. 20.10.2022, S. 2).
41
(c) Diese Äußerungen des Antragsgegners sind so zu verstehen, dass jedenfalls momentan (noch) keine nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt werden. Demnach wäre in der Hauptsache eine vorbeugende Unterlassungsklage statthaft.
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(2) Das für deren Zulässigkeit vorauszusetzende besondere Rechtsschutzinteresse liegt nicht vor.
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(a) Das besondere Rechtsschutzinteresse setzt bei der begehrten vorläufigen Unterlassung zum einen voraus, dass die möglicherweise subjektive Rechte der Antragstellerin verletzende Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln alsbald zu besorgen ist oder jederzeit droht und es der Antragstellerin nicht zugemutet werden kann, zunächst abzuwarten, bis eine solche Beobachtung erfolgt und die damit möglicherweise verbundene Rechtsverletzung eingetreten ist, um dann nachgängigen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1985 – 3 C 34/84 – juris Rn. 34; BayVGH, B.v. 30.7.2015 – 10 ZB 15.819 – juris Rn. 9; NdsOVG, B.v. 9.4.2014 – 13 LA 17/12 – juris Rn. 9).
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Aus den Äußerungen des Antragsgegners lässt sich jedoch nicht ohne weiteres schließen, dass das BayLfV tatsächlich in naher Zukunft nachrichtendienstliche Mittel anwenden wird (dieses Kriterium aufstellend BayVGH, B.v. 30.7.2015 – 10 ZB 15.819 – juris Rn. 11). Auch wenn der Antragsgegner sich hierzu nicht eindeutig positioniert hat, sind seine Stellungnahmen so zu interpretieren, dass der Antragsgegner den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel zwar (fortlaufend) prüft, für einen entsprechenden Einsatz derzeit jedoch keine Anhaltspunkte vorliegen. Auch die Antragstellerin hat nichts vorgetragen, was das Gericht auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in naher Zukunft schließen lassen würde.
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(b) Die Zulässigkeit der vorbeugenden Unterlassungsklage setzt weiterhin voraus, dass das künftige Verwaltungshandeln nach seinem Inhalt und seinen tatsächlichen wie rechtlichen Voraussetzungen so weit bestimmt ist, dass eine Rechtmäßigkeitsprüfung möglich ist. Solange sich noch nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit übersehen lässt, welche Maßnahmen drohen oder unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen sie ergehen, kann ein berechtigtes Interesse an einem vorbeugenden Rechtsschutz nicht anerkannt werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.1974 – 1 C 7.73 – juris Rn. 41; BayVGH, B.v. 30.7.2015 – 10 ZB 15.819 – juris Rn. 9).
46
Eine etwaige zukünftige Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ist nach ihrem Inhalt jedenfalls noch nicht so weit bestimmt, dass eine Rechtmäßigkeitsprüfung möglich wäre. Insbesondere lässt sich noch nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit übersehen, welche Maßnahmen drohen, d.h. welche konkreten nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt werden (vgl. zu den von der Eingriffsintensität und den rechtlichen Voraussetzungen z.T. äußerst unterschiedlichen Mitteln Art. 9 ff. Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) i.d.F. d. Bek. vom 12. Juli 2016 (GVBl. S. 145, BayRS 12-1-I), zuletzt geändert durch § 3 des Gesetzes vom 23. Juli 2021 (GVBl. S. 418)) und unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen sie eingesetzt werden. Für das Rechtsschutzinteresse ist es damit nicht ausreichend, wenn nach Auffassung des Betroffenen jederzeit mit einer Ausweitung der Beobachtung auf nachrichtendienstliche Mittel gerechnet werden müsse (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 10 ZB 15.1085 – juris Rn. 6).
47
2. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO sind unbegründet, da es bezüglich sämtlicher geltend gemachter Ansprüche an der Glaubhaftmachung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs fehlt.
48
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
49
Der Begriff des glaubhaft zu machenden (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO)) Anordnungsanspruchs meint dabei den materiellen Anspruch bzw. das subjektive Recht, das im Hauptsacheverfahren geltend gemacht wird. Er ist glaubhaft gemacht, wenn es im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Antragstellerin in der Hauptsache obsiegen wird.
50
Zu berücksichtigen ist in Bezug auf die antragstellerseits aufgeworfene Frage, wen die Glaubhaftmachungslast trifft, dass den Staat die Beweislast für die gesetzlichen Voraussetzungen eines Eingriffs in einen durch ein negatorisches Grundrecht geschützten Freiheitsbereich trifft. In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes bedarf der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht der Rechtfertigung und ist nicht umgekehrt die Ausübung von Grundrechten rechtfertigungsbedürftig. Wenn ein auf Grundrechte gestützter Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird, trägt demnach der Staat die Beweislast für die gesetzlichen Voraussetzungen des Eingriffs (vgl. BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 6 C 13/07 – juris Rn. 41; speziell für das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 4 Rn. 138). Dieser auf das Hauptsacheverfahren bezogene Grundsatz ist auch auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO übertragbar, da die Verpflichtung des Antragstellers zur Glaubhaftmachung bei § 123 Abs. 1 VwGO nicht weiter reicht als die Darlegungs- und Beweislast des Klägers im Hauptsacheverfahren (vgl. Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 123 VwGO Rn. 65).
51
a. Es ist nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass der Antragstellerin − auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten bezüglich der Glaubhaftmachungslast im Verfassungsschutzrecht (vgl. VG München, B.v. 28.6.2010 – M 22 E 09.3373 – juris Rn. 30) − in Bezug auf das Unterlassen der Beobachtung durch den Antragsgegner kein Anordnungsanspruch zusteht. Die Voraussetzungen des geltend gemachten und mit der Hauptsacheklage verfolgten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs liegen in Bezug auf die Beobachtung der Antragstellerin durch den Antragsgegner mit offenen Mitteln nicht vor. Vielmehr ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die mit der Beobachtung einhergehenden Beeinträchtigungen der Antragstellerin rechtmäßig und von dieser daher hinzunehmen sind, da zwar ein Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG) und in das Recht der Antragstellerin auf Betätigungsfreiheit als politische Partei (Art. 21 Abs. 1 GG) vorliegt (aa.), dieser aber durch die rechtmäßige Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG) i.d.F. d. Bek. vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954), zuletzt geändert durch Art. 1 SIS-III-Gesetz vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2632) gerechtfertigt ist (bb.).
52
aa. Die Beobachtung – verstanden als Beschaffung von Informationen – stellt, auch wenn sie – wie hier – lediglich aus offenen, jedermann zugänglichen Quellen erfolgt, einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) der Antragstellerin (Art. 19 Abs. 3 GG) dar, da die aus öffentlichen Quellen stammenden Daten durch ihre systematische Erhebung, Sammlung und Erfassung einen zusätzlichen Aussagewert erhalten (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 17; VG München, U.v. 16.10.2014 – M 22 K 14.1663 – juris Rn. 40) und ist zudem als Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf Betätigungsfreiheit als politische Partei (Art. 21 Abs. 1 GG) anzusehen.
53
bb. Der Antragsgegner ist nach summarischer Prüfung aber zur Beobachtung der Antragstellerin berechtigt, da die tatbestandlichen Voraussetzungen (2) der verfassungsmäßigen und auf politische Parteien anwendbaren (1) Regelung in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG vorliegen, da aufgrund verschiedener Äußerungen vom Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD auszugehen (3), dies der Antragstellerin als Landesverband auch zuzurechnen (4) und die Beobachtung der Antragstellerin ermessensfehlerfrei (6) und verhältnismäßig (Art. 6 BayVSG) ist (7).
54
(1) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG) und das Recht auf Betätigungsfreiheit als politische Partei (Art. 21 Abs. 1 GG) werden nicht schrankenlos gewährleistet. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist gerechtfertigt, wenn es eine gesetzliche Rechtsgrundlage für den Eingriff gibt und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird (vgl. BVerfG, B.v. 9.3.1988 – 1 BvL 49/86 – juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 – juris Rn. 23; B.v. 7.10.1993 – 5 CE 93.2327 – juris Rn. 19). Die Betätigungsfreiheit der Antragstellerin als politische Partei findet ihre Schranken in der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“. Diese Grundentscheidung ist im Wesentlichen aus Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 20 Abs. 4, Art. 21 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 GG herzuleiten (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 24; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 – juris Rn. 22). Der Staat ist demnach grundsätzlich nicht gehindert, das tatsächliche Verhalten von Gruppen oder deren Mitgliedern wertend zu beurteilen (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 58; BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 6 C 13.07 – juris Rn. 21; BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1609 – juris Rn. 23). Die für die Rechtfertigung der Beobachtung mit offenen Mitteln erforderliche gesetzliche Ermächtigung ist hier in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG zu sehen (dazu, dass die Befugnisnormen des BayVSG vom Gesetzgeber gerade auch im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschaffen wurden, vgl. LT-Drs. 11/14928, S. 1).
55
Es bestehen − auch unter Berücksichtigung der in Art. 21 Abs. 1 GG geregelten Betätigungsfreiheit politischer Parteien und des in Art. 21 Abs. 2, 4 GG normierten Parteienprivilegs − keinerlei und erst recht keine schwerwiegenden Zweifel (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 20 NE 20.2482 – juris Rn. 17 ff.; VG München, B.v. 28.10.2022 – M 30 E 22.309 – juris Rn. 32) an der Verfassungsmäßigkeit der Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG. Wie bereits im Beschluss vom 25. Oktober 2022 ausgeführt, sind die Vorschriften des BayVSG entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch auf politische Parteien anwendbar (vgl. VG München, B.v. 25.10.2022 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 19).
56
Zwar schließt das sogenannte Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2, 4 GG, das die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehält, ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus (st.Rspr. seit BVerfG, U.v. 17.8.1956 – 1 BvB 2/51 – juris Rn. 215; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 21). Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen oder wegen parteioffizieller Tätigkeiten rechtliche Sanktionen androhen oder verhängen (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.1975 – 2 BvE 1/75 – Rn. 16; BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 21). Gleichwohl darf die Überzeugung gewonnen und vertreten werden, dass eine Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Zudem handelt es sich bei einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht um eine Sanktion, da die Beobachtung der Aufklärung dient, ob die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 21). Die Zulässigkeit einer solchen Aufklärung wird von der Verfassung („streitbare“ bzw. „wehrhafte“ Demokratie) vorausgesetzt. Aus der verfassungsrechtlichen Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen, fließt die Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden für die Beobachtung verfassungsfeindlicher Gruppen und Aktivitäten (vgl. BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 150). Die Beobachtung ist durch das Bayerische Verfassungsschutzgesetz näher geregelt. Wenn die dort genannten Voraussetzungen im jeweiligen Einzelfall vorliegen, verletzt diese Beobachtung nicht die in Art. 21 GG normierten Rechte politischer Parteien (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.1993 – 5 CE 93.2327 – juris Rn. 17 ff. zum BayVSG v. 24.8.1990; vgl. zudem zum BVerfSchG BVerfG, B.v. 17.9.2013 – 2 BvE 6/08 – juris Rn. 132 ff. zur Wahrung des Vorbehalts des Gesetzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch angesichts Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sowie BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 20 ff. zur Anwendbarkeit auf politische Parteien trotz Art. 21 Abs. 1, 2 GG und VG Köln, U.v. 8.3.22 – 13 K 326/21 – Rn. 167 ff.; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 – 9 B 273/21 MD – juris Rn. 44 ff. zu den mit den Vorgaben des BayVSG inhaltsgleichen Voraussetzungen von § 7 Abs. 2 Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c VerfSchG-LSA).
57
Es ist im Hinblick auf die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn eine Verfassungsschutzbehörde Maßnahmen insoweit an die Inhalte von Meinungsäußerungen knüpft, als diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Denn es ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Lassen sich Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus Meinungsäußerungen ableiten, dürfen Maßnahmen zur Verteidigung dieser Grundordnung ergriffen werden (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 71 f.).
58
Knüpft eine belastende staatliche Maßnahme an Meinungsäußerungen an, muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) ihrerseits konstituierend ist für die Demokratie, die eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zulässt. Die Meinungsäußerungsfreiheit kann daher Auswirkungen sowohl auf die Anforderungen an die Feststellung von Bestrebungen, vor allem bei der Auslegung einzelner Äußerungen, als auch auf die rechtliche Bewertung der ergriffenen Maßnahme haben, insbesondere im Hinblick auf deren Angemessenheit (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 71).
59
(2) Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz setzt gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG tatsächliche Anhaltspunkte für politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss voraus, der darauf gerichtet ist, einen der Verfassungsgrundsätze, die zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Denn Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayVSG gewährt dem BayLfV die Befugnis, Informationen zu verarbeiten, insbesondere soweit dies erforderlich ist, um seine Aufgabe zu erfüllen, Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zu sammeln (Nr. 1) und soweit dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen und Tätigkeiten sowie der hierfür erforderlichen Nachrichtenzugänge erforderlich ist (Nr. 2). Voraussetzung für die Verarbeitung, also für die Sammlung und Auswertung von Informationen und damit für eine Beobachtung, ist gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayVSG das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, Art. 3 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG.
60
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Abs. 2 BVerfSchG). Sie erfordern ein aktives, jedoch nicht notwendig kämpferisch-aggressives Vorgehen, d.h. äußerlich feststellbare Aktivitäten, wie z.B. öffentliche Auftritte, Veranstaltungen und Bekundungen. Um der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) hinreichend Rechnung zu tragen, sind nur Verhaltensweisen hierunter zu fassen, die über rein politische Meinungen hinausgehen. Die bloße Kritik an einem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss danach unberücksichtigt bleiben, da sie nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen und daher erlaubt ist. Gleiches gilt auch für Forderungen, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern, nicht jedoch für Kritik an einem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wenn die Kritik mit der Ankündigung konkreter Aktivitäten zur Beseitigung dieses Verfassungsgrundsatzes oder mit der Aufforderung zu solchen Aktivitäten verbunden ist (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 70).
61
Die Aktivitäten müssen politisch bestimmt und damit objektiv geeignet sein, über kurz oder lang politische Wirkungen zu entfalten (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 59; BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 23).
62
Sie müssen zudem auf die Beseitigung bzw. das Außer-Geltung-Setzen eines der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter abzielen und somit ein maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein, wobei es sich hierbei allerdings nicht um das politische Hauptziel handeln muss (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 70 ff.; BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 60 f.; BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 23). Beseitigung meint die vollständige Abschaffung des Schutzguts, ein Außer-Geltung-Setzen liegt dagegen bereits vor, wenn das Schutzgut nicht förmlich abgeschafft, aber faktisch beseitigt wird oder leerlaufen soll (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 23.11.2011 – 1 B 111.10 – juris Rn. 44; Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 167; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 4 Rn. 10). Speziell in Bezug auf politische Parteien ist hervorzuheben, dass ein politisches Ziel anzunehmen ist, wenn eine Partei betrachtend gewonnene Erkenntnisse in ihren Willen aufgenommen und zu Bestimmungsgründen ihres politischen Handelns gemacht hat. Da eine politische Partei eine ihrem Wesen nach zu aktivem Handeln im staatlichen Leben entschlossenen Gruppe ist (vgl. bereits § 2 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz – PartG) i.d.F. d. Bek. vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), zuletzt geändert durch Art. 4 PersonengesellschaftsrechtsmodernisierungsG (MoPeG) vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) sowie BVerfG, U.v. 17.8.1956 – 1 BvB 2/51 – juris Rn. 232; BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 61) und auf politische Aktivität und auf Änderung der politischen Verhältnisse ausgerichtet ist, liegt bei Meinungsäußerungen, die von oder innerhalb einer politischen Partei abgegeben werden, zumindest nahe, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen Verhältnisse abgegeben werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 61; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 94). Hintergrund hierfür ist, dass politische Parteien durch ihre Programme und ihre Äußerungen um Unterstützung der Wählerinnen und Wähler für ihre Auffassungen und Ziele werben, um diese letztlich im Rahmen einer Teilhabe an staatlicher (legislativer und/oder exekutiver) Gewalt geltend zu machen und umzusetzen (vgl. VG Berlin, U.v. 31.8.1998 – 26 A 623.97 – juris Rn. 28).
63
Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen aus Sicht des Verfassungsschutzrechts unter anderem das in § 4 Abs. 2 Buchst. a, Buchst. c, Buchst. d, Buchst. f BVerfSchG umschriebene Demokratieprinzip und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (§ 4 Abs. 2 Buchst. g BVerfSchG) und damit insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als tragendes Konstruktionsprinzip der Grundrechte, wobei verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht auf die Abschaffung oder Außerkraftsetzung sämtlicher im Grundgesetz verbürgter Menschenrechte abzielen müssen (vgl. VG Köln, U. v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 185; VG München, U.v. 29.8.2002 – M 24 K 02.2483 – juris Rn. 34).
64
Die tatbestandliche Voraussetzung „tatsächliche Anhaltspunkte“ verlangt mehr als bloße Vermutungen, Mutmaßungen, Annahmen oder Hypothesen. Andererseits bedarf es auch nicht der Gewissheit, dass Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigt oder außer Kraft gesetzt werden sollen. Es müssen vielmehr konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als objektive Tatsachenbasis vorliegen (vgl. BVerfG, U.v. 14.7.1999 – 1 BvR 2226/94 – juris Rn. 281), die bei vernünftiger Betrachtung auf solche Bestrebungen hindeuten und deshalb eine weitere Aufklärung erforderlich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 30, 32; BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 23). Sie können sich z.B. aus offiziellen Programmen, Satzungen oder sonstigen Veröffentlichungen ergeben, allerdings ebenso aus Äußerungen und Taten von führenden Persönlichkeiten und sonstigen Vertretern, Mitarbeitern und Mitgliedern der Gruppierung (vgl. OVG NW, U. v. 13.2.2009 – 16 A 845/08 – juris Rn. 47; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 – juris Rn. 22; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 – 2 A 11774/98 – juris Rn. 21; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 – 9 B 273/21 MD – juris Rn 38; VG München, B.v. 27.7.2017 – M 22 E 17.1861 – juris Rn. 60). Es kommt daher nicht nur auf das offizielle Parteiprogramm und die Satzung der Partei an, sodass unabhängig von diesen auch auf Meinungsäußerungen zurückgegriffen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.1980 – 2 C 27/78 – juris Rn. 52).
65
Auch um der Betätigungsfreiheit politischer Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) und ihrer Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) bei Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzung der tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen hinreichend Rechnung zu tragen, ist bei Meinungsäußerungen, die politischen Parteien zuzurechnen sind, vorauszusetzen, dass die entsprechenden Meinungsäußerungen nicht nur vereinzelt erfolgen, sondern auf eine Art und Weise, die die Befürchtung greifbar macht, dass Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch tatsächlich außer Kraft gesetzt werden sollen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts spiegelt sich dieser Gedanke dergestalt wieder, dass auf die Verfassungsfeindlichkeit der politischen Ziele einer Partei geschlossen werden kann, also die Zielrichtung der Verhaltensweisen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen bzw. außer Geltung zu setzen, damit begründet werden kann, dass Menschenwürdeverletzungen in einer Partei systematisch, d.h. nicht nur vereinzelt erfolgen (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 – juris Rn. 48 f.; in diesem Sinne zudem OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.4.2006 – OVG 3 B 3.99 – juris Rn. 145; VG Berlin, U.v. 31.8.1998 – 26 A 623.97 – juris Rn. 39), sodass sie nicht mehr nur als bloße „Entgleisungen“ anzusehen sind.
66
Der unbestimmte Rechtsbegriff der tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung, sowohl in Bezug auf das Vorliegen der behaupteten Tatsachen, also die Tatsachenfeststellung durch die Verfassungsschutzbehörde, als auch die aus diesen Tatsachen gezogenen wertenden Schlussfolgerungen (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1320 − juris Rn. 42; VG München, U.v. 17.12.2020 − M 30 K 18.5358 − juris Rn. 55; B.v. 27.7.2017 − M 22 E 17.1861 − juris Rn. 59; Roth in Schenke/Graulich/ Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 4 Rn. 135).
67
(3) Gemessen an diesen Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall bei wertender Gesamtbetrachtung der vorgelegten Belege (c) tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BVerfSchG dafür vor, dass die Verhaltensweisen der AfD darauf gerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung hinsichtlich der Ausprägung der Menschenwürde (a) und des Demokratieprinzips (§ 4 Abs. 2 Buchst. a, Buchst. c, Buchst. d, Buchst. f BVerfSchG) außer Geltung zu setzen (b).
68
(a) Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verhaltensweisen der AfD darauf gerichtet sind, die Menschenwürde von Muslimen außer Geltung zu setzen (vgl. i.Erg. ebenso VG Köln, U. v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 464 ff., 700 ff., 927).
69
(aa) Die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) ist als tragendes Konstruktionsprinzip im System der Grundrechte (vgl. BVerfG, B.v. 20.10.1992 − 1 BvR 698/89 − juris Rn. 107) von den in § 4 Abs. 2 Buchst. g BVerfSchG angesprochenen, im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten erfasst. Mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. (vgl. BVerfG, B.v. 20.10.1992 − 1 BvR 698/89 − juris Rn. 107). Art. 1 Abs. 1 GG schützt Personen und Personengruppen davor, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ausgegrenzt, verächtlich gemacht, verspottet oder sonst herabgewürdigt zu werden (vgl. BVerfG, U.v. 12.12.2000 − 1 BvR 1762/95 − juris Rn. 66; B.v. 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 − juris Rn. 32).
70
Allein die Verletzung der Ehre einer Person reicht jedoch zur Annahme eines Angriffs auf die Menschenwürde nicht aus. Erforderlich ist grundsätzlich vielmehr, dass der angegriffenen Person oder dem Mitglied der angegriffenen Personengruppe das Lebensrecht als gleichwertiger Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt wird (vgl. BGH, U.v. 15.3.1994 – 1 StR 179/93 − juris Rn. 15, bestätigt durch BVerfG, B.v. 6.9.2000 − 1 BvR 1056/95 − juris Rn. 40). Äußerungen können – auch bei Vorhandensein einer weitergehenden Zielsetzung − unmittelbar die Menschenwürde der von den Äußerungen betroffenen Personen, also ihren inneren Wert und zugleich sozialen Achtungsanspruch, verletzen. Dementsprechend sind Äußerungen, die zum Hass gegen eine Personengruppe aufstacheln oder zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen ihnen gegenüber auffordern, oder mit denen sie beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden, nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) gedeckt (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 − juris Rn. 48).
71
Das Bundesverwaltungsgericht sieht die undifferenzierte, agitatorisch angelegte Zuweisung der Verantwortlichkeit für Missstände an eine Personengruppe, die − insbesondere in Verbindung mit erniedrigenden Bezeichnungen oder unangemessenen und unhaltbaren Vergleichen − den Zweck verfolgt, beim Zuhörer Hass oder Neidgefühl hervorzurufen, als unmittelbaren Angriff auf die Menschenwürde der von den jeweiligen Äußerungen betroffenen Personen an und geht davon aus, dass auf die Verfassungsfeindlichkeit der politischen Ziele einer Partei geschlossen werden kann, soweit Funktionäre, Mitglieder und Anhänger einer Partei die Menschenwürde Dritter nicht nur vereinzelt beeinträchtigen, sondern systematisch verletzen und missachten (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 − juris Rn. 48 f. zur Frage der verfassungsfeindlichen Zielsetzung einer politischen Partei bei der Beurteilung, ob ein Soldat bei Betätigung in der entsprechenden Partei die ihm nach § 8 Soldatengesetz (SG) obliegende politische Treuepflicht verletzt). Gleichermaßen einzuordnen sind Äußerungen, die dazu geeignet sind, bei potentiellen Wählerinnen und Wählern ebenso wie in der Bevölkerung allgemein Sozialneid zu schüren, Abwehr und Unbehagen hervorzurufen sowie eine ablehnende, wenn nicht feindliche Haltung gegenüber den genannten Personengruppen zu begründen oder zu festigen und letztlich Angst und Hass ihnen gegenüber zu schüren (vgl. zu diesem Kriterium OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.4.2006 − OVG 3 B 3.99 − juris Rn. 152; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 − juris Rn. 27; VG Düsseldorf, U.v. 12.4.2013 − 22 K 9174/10 − juris Rn. 99), da entsprechende Äußerungen – sofern sie denn systematisch erfolgen − generell geeignet sind, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 − juris Rn. 48 f.; zur Verletzung der Menschenwürde durch ausländerfeindliche Äußerungen im Ergebnis ebenso BayVGH, B.v. 7.10.1993 − 5 CE 93.2327 − juris Rn. 24 ff., 41).
72
Dieser Maßstab ist auch bei der Bestimmung des Begriffs der politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Geltung zu setzen (Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG), heranzuziehen, da es bei systematischen menschenwürdeverletzenden Äußerungen einer Partei als deren politisches Ziel angesehen werden kann, durch die menschenrechtswidrige Herabsetzung und Ausgrenzung der betroffenen Personengruppen gesellschaftliche Verhältnisse herbeizuführen, in denen die Menschenwürde dieser Personengruppen nicht geachtet wird (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 12.4.2013 − 22 K 9174/10 − juris Rn. 100 f.). Dies bedeutet, dass die Menschenwürde der betroffenen Personen letztlich faktisch leerlaufen soll. Denn bei systematischen menschenwürdeverletzenden Äußerungen kann von einer mehrheitsfähigen inneren Bereitschaft ausgegangen werden, im Falle der Teilhabe an staatlicher Macht mit entsprechenden legislatorischen und exekutiven Maßnahmen die Menschenwürde der betroffenen Personengruppen zu beseitigen oder außer Kraft zu setzen (vgl. VG Berlin, U.v. 31.8.1998 – 26 A 623.97 − juris Rn. 39). Dies ist umso mehr anzunehmen, wenn die anhaltende Befassung der Partei mit der betroffenen Personengruppe und deren negative Bewertung zentrales Anliegen der Partei ist (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 10.11.2009 – 22 K 3117/08 – juris Rn. 66). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1952 festgestellt, dass im modernen Staat Machtkämpfe mit dem Ziel, die bestehende Ordnung zu beseitigen, immer weniger offen und mit unmittelbarer Gewalt, sondern vielmehr in steigendem Maße mit den schleichenden Mitteln innerer Zersetzung geführt werden. Offen und mit Gewalt durchgesetzt werden die verfassungsfeindlichen Ziele dann erst, nachdem die politische Macht bereits errungen ist; sie werden zuvor aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts daher „naturgemäß“ nicht klar und eindeutig verkündet (vgl. BVerfG, U.v. 23.10.1952 − 1 BvB 1/51 − juris Rn. 52).
73
(bb) Dies zugrunde legend reichen die Ausführungen im „Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland“, beschlossen am 30. April/1. Mai 2016 (Grundsatzprogramm der AfD) nicht aus für die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass die Verhaltensweisen der AfD darauf gerichtet sind, die Menschenwürde von Muslimen außer Geltung zu setzen. Zwar äußert die AfD in ihrem Grundsatzprogramm die Auffassung, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre; die Ausbreitung des Islams und einer ständig wachsenden Zahl von Muslimen wird als große Gefahr für den Staat, die Gesellschaft und die Werteordnung in Deutschland (a.a.O., S. 49) gesehen. Jedoch bekennt sich die AfD in ihrem Programm nicht nur uneingeschränkt zur Religionsfreiheit, sondern erkennt auch an, dass sich viele Muslime rechtstreu verhalten und sich integriert haben und bezeichnet diese Muslime als akzeptierte und wertgeschätzte Mitglieder der Gesellschaft (a.a.O., S. 49). Gefordert wird, die Bildung und zunehmende Abschottung von islamischen Parallelgesellschaften mit Scharia-Richtern und die religiöse Radikalisierung von Muslimen bis zum gewaltbereiten Salafismus und Terror zu verhindern (a.a.O., S. 49), was ein verfassungsschutzrechtlich nicht bedenkliches politisches Ziel darstellt.
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(cc) Tatsächliche Anhaltspunkte für Verhaltensweisen der AfD, die darauf gerichtet sind, die Menschenwürde von Muslimen außer Geltung zu setzen, ergeben sich jedoch aus Äußerungen von einzelnen Untergliederungen der AfD und deren Mitgliedern.
75
(aaa) Die Aussage des Abgeordneten … … (AfD Landesverband Brandenburg, MdL in Brandenburg) vom 15. Januar 2018
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„Fazit… Muslime sind nicht integrierbar und demzufolge gehört der Islam nicht zu Deutschland!“, BfV Gutachten, S. 457
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zeigt, dass Muslime nach der Auffassung … grundsätzlich nicht integriert werden könnten. Muslimen wird damit pauschal und undifferenziert die Integrationsfähigkeit und -willigkeit abgesprochen und die Möglichkeit des Gelingens der Integration von Muslimen kategorisch ausgeschlossen.
78
(bbb) Auch … …, im September 2021 aus der AfD ausgetreten (Quelle: Wikipedia), zum damaligen Zeitpunkt aber Mitglied der AfD (Landesverband Rheinland-Pfalz) und Mitglied der AfD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag sowie Vorsitzender des Kreisverbands A, geht ausweislich seiner nachfolgenden Äußerungen vom 21. Januar 2020 davon aus, dass Muslime „sich durch Integrationsverweigerung“ auszeichneten, da aus der mehrfachen Bezugnahme auf den Islam hervorgeht, dass sich seine Aussage auf Muslime bezieht. Muslime werden von … nicht nur als „nicht zu Deutschland gehörend“ dargestellt, sondern sie als „großteils unqualifiziert“ und „mehrheitlich illegale Sozialstaatsplünderer“ bezeichnet und als Gruppe pauschal den mit positiven Eigenschaften („qualifiziert“, „fleißig“) bedachten einwandernden Personen aus anderen Ländern bzw. Kontinenten gegenübergestellt.
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„Und wenn die Mächtigen – entgegen der Vorbehalte der Bürger gegen den Islam – Millionen großteils unqualifizierte, kulturfremde Personen importieren, versündigen sie sich an der Zukunft unserer Kinder. Sie werden unsere Sozialststeme und den gesellschaftlichen Zusammenhalt ruinieren. Sie sind die Feinde eines stabilen, solidarischen Gemeinwesens und werdem letztlich (Verteilungs)-Konflikte, Hass und wirtschaftliche Schwäche produzieren.“, BfV Gutachten, S. 454 „Deutschland kann etwas ‚bunt‘ sein – mit qualifizierten Asiaten, fleissigen Polen, Italienern, US-Amerikanern. Aber nicht mit kulturell nicht reinpassenden Gruppen, die sich durch Integrationsverweigerung auszeichnen – wir brauchen da die besten Köpfe, keine mehrheitlich illegalen Sozialstaatsplünderer mit völlig anderen Vorstellungen von Staat und Kultur. Deutschland ist kein ‚mentales‘ Einwanderungsland, die Leute werden hier faktisch vergewaltigt mit unpassender Migration. Jedenfalls: Ein solch kulturell zersplittertes und islamischeres Deutschland wird keinen Zusammenhalt, keine Kultur, keine gemeinsamen Werte mehr haben. Eine Gruppe wird die Andere misstrauisch beäugen, und irgendwann um die Macht im Staat kämpfen – siehe Yugoslawien etc – Vielvölkerstaaten gehen nur, wenns kulturell passt . Der politische Islam kennt keine Toleranz, und den Restdeutschen werden wir hier ab 2040, 2050 die Hölle auf Erden bereiten. Wollen wir dies wirklich?“, BfV Gutachten, S. 454 f.
80
… belässt es gerade nicht bei Aussagen, die noch als zugespitzte Kritik an der Einwanderungspolitik der Bundesregierung und als Forderung nach einer stärkeren Einwanderung von Fachkräften verstanden werden könnten. Er zeichnet vielmehr ein Bild, in dem es in Deutschland keinen Zusammenhalt, keine Kultur und keine gemeinsamen Werte mehr geben werde, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Sozialsysteme ruiniert würden, an die Stelle eines bisherigen stabilen, solidarischen Gemeinwesens wirtschaftliche Schwäche, (Verteilungs-)konflikte und Hass träten. Aus dieser Beschreibung der künftigen Entwicklung Deutschlands durch die als „[Versündigung] an der Zukunft unserer Kinder“ bezeichnete Migrationspolitik, durch die „die Leute […] hier faktisch vergewaltigt“ würden, wird schließlich ein Feindbild abgeleitet: Die von … auch ausdrücklich als „Feinde“ bezeichneten Muslime würden letzten Endes mit „den Deutschen“ um „die Macht im Staat kämpfen“ und den „Restdeutschen“ schließlich „die Hölle auf Erden bereiten“. Durch das damit geschaffene Feindbild soll eine Abneigung gegenüber Muslimen gefördert werden.
81
Von Mitgliedern bzw. Untergliederungen der AfD wird Angst vor sowie Hass gegenüber Muslimen geschürt:
(ccc) So wird der Islam mit Islamismus gleichgesetzt:
82
„[W]as auch sonst jeder Moslem weiß: Es gibt nur einen Islam und keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus.“, … … (AfD Landesverband Bayern), vor seinem Tod MdB und Vorsitzender des AfD Kreisverbands B in seinem F.-Eintrag vom 2.12.2019, BfV Gutachten, S. 435 (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten),
83
woraus denklogisch allein die Schlussfolgerung zu ziehen ist, dass jeder Muslim ein Islamist sei und damit alle Muslime pauschal wegen ihres Glaubens unter einen Generalverdacht gestellt werden.
84
(ddd) Frauen müssten in Stadtteilen mit einem hohen Anteil an Muslimen (die als von Muslimen „beherrscht“ bezeichnet werden) Angst vor Übergriffen haben:
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„Es grenzt an Zynismus, wenn der Bürgermeister jetzt noch gezielt Studierende der Bonner Uni – die mit 56% einen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil besitzt – in muslimisch beherrschten Stadtteilen ansiedeln will. Belästigungen und Schlimmeres, zumal nach Einbruch der Dunkelheit, sind hier vorprogrammiert.“, Beitrag des AfD Kreisverbands C (AfD Landesverband Nordrhein-Westfalen) auf seiner Website vom 12.2.2019, BfV Gutachten, S. 512
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(eee) Der Islam, dem zugleich abgesprochen wird, eine Religion im Sinne von Art. 4 GG zu sein, wird gleichgesetzt mit Angst, Frauenverachtung, Morden und Terror:
87
„Wir müssen uns nur darüber im klaren werden, dass der Islam erstens keine Religion ist und zweitens keinen Frieden und Barmherzigkeit beinhaltet. Egal wo der Islam weltweit ist gibt es Angst, Frauenverachtung, Morde und Terror.“, … … (AfD Landesverband Bayern), erster stellvertretender Vorsitzender AfD-Bezirksverband Oberfranken und Vorsitzender des AfD Kreisverbands D am 27.3.2019, BfV Gutachten, S. 486
88
… kommentierte mit dieser Äußerung einen Artikel des Nachrichtenportals inFranken.de, der die Verlängerung des Modellversuchs „Islamischer Unterricht“, einem Islamunterricht unter Einbeziehung der grundgesetzlichen Werteorientierung in Bayern um zwei weitere Jahre thematisierte. Zwar ist zu prüfen, ob der letzte Teil der Aussage von … nicht lediglich eine Koinzidenz, verstanden als quasi zufälliges gleichzeitiges Auftreten von Angst, Frauenverachtung, Morde und Terror und der Verbreitung des Islams beschreiben soll. Wie der erste Teil der Aussage, wonach der Islam Frieden und Barmherzigkeit nicht beinhalte, deutlich macht, wird der Islam aber vielmehr als Ursache für die benannten Phänomene ausgemacht. Die Aussage … lässt in ihrer Pauschalität jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem in dem Presseartikel letztlich angesprochenen Thema, Islam und die grundgesetzliche Werteorientierung, vermissen und kann daher keinerlei Beitrag zu einem Diskurs liefern.
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(fff) Die Angst vor Gewaltverbrechen durch Muslime wird auch in einer Wahlkampfrede der AfD-Bundestagsabgeordneten und dritten stellvertretenden Landesvorsitzenden des Landesverbands Rheinland-Pfalz der AfD (Quelle: https://www. ... /vorstand), … …, am 11. März 2019 geschürt, wie der nachfolgende Auszug zeigt:
90
„Wir werden weiterhin kommunal gegen den Verschleierungszwang vorgehen. Warum sage ich Zwang? Weil die Damen, die das hier tun und durchboxen wollen, auf Biegen und Brechen eines im Sinn haben: Die, die sich kennzeichnen durch das Kopftuch, kennzeichnen sich als der richtigen Religion zugehörig, dem richtigen Kulturkreis zugehörig, und alle nicht durch Kopftuch Gekennzeichneten sind ergo freigegeben, zum Belästigen, zum Vergewaltigen und zum Töten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, und das machen wir nicht mit. Gruppenvergewaltigung, in der Form, hat es früher nicht gegeben, und alle, die lachen und irgendwelche Transparente hochhalten, mögen auch verschont bleiben von solchen Erfahrungen. Denn wenn Sie sich vorstellen, dass 15 vollkommen durchgeknallte, von ihren Hormonen ferngesteuerte Typen, allemal reinstecken müssen, während man wehrlos und bewusstlos auf dem Boden liegt und sich nicht wehren kann. Die dürfen sich mal vergegenwärtigen, dass diese Frauen zukünftig aus der gleichen Öffnung scheißen, pissen und menstruieren, mal abgesehen von den seelischen Schäden, die diese Frauen und Mädchen den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen.“, BfV Gutachten, S. 437
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Der Hinweis auf die möglichen Folgen von (Gruppen-)Vergewaltigungen für die betroffenen Mädchen und Frauen mag zwar von seiner Formulierung her als geschmacklos empfunden werden, kann aber (noch) als in der Wortwahl sehr drastischer Appel, (Gruppen-)Vergewaltigungen zu verhindern, angesehen werden. … belässt es allerdings nicht hierbei und auch nicht dabei, Gruppenvergewaltigungen vor allem Muslimen zuzuschreiben, sondern interpretiert das Tragen eines Kopftuchs durch Musliminnen so, dass hierdurch die übrigen (d.h. nicht kopftuchtragenden) Frauen und Mädchen Belästigungen, Vergewaltigungen und Tötungsdelikten ausgesetzt sind. Durch die Aussagen wird nicht nur die Angst in der Bevölkerung vor Übergriffen durch männliche Muslime geschürt, sondern zugleich unterstellt, dass das Tragen des Kopftuchs durch Musliminnen der Unterscheidung diene, an welchen Frauen und Mädchen Verbrechen begangen werden dürften und an welchen nicht. Aufgrund der dargestellten Tragweite der Aussagen ist bei deren Bewertung nicht mehr ausschlaggebend, dass sich … in der Rede gegen einen Zwang zur Verschleierung aus- und damit ein Sachthema anspricht.
92
(ggg) Es wird nicht nur in Bezug auf Vergewaltigungen, sondern generell eine Drohkulisse aufgebaut. Auf einen Bericht der Lippischen Landes-Zeitung über 400 muslimische Gläubige hin, die sich zu einem gemeinsamen Gebet auf einem S1.platz in … (N.-W.) versammelten, verlinkte der AfD Kreisverband E (AfD Landesverband Mecklenburg-Vorpommern) den Artikel in einem Beitrag auf F. und kommentierte ihn am 26. Mai 2020 wie folgt:
93
„Erst belegen Sie Parks und Parkplätze, demnächst Straßen und Stadtviertel und wem das nicht passt, der wird verleumdet und bedroht. Ein kämpferisches Vorgehen nach Mohammeds Vorbild. Wer diesen Islamfaschismus nicht endlich aufhält und diese Ideologie in die Grenzen weißt, der wacht bald in einem Gottesstaat wieder auf!“, BfV Gutachten, S. 476
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Laut den Ausführungen zu dieser Veranstaltung im BfV Gutachten (S. 476), ist davon auszugehen, dass es sich um eine friedliche Veranstaltung handelte, die der Ausübung des islamischen Glaubens unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie diente. Bedrohungen, Verleumdungen oder ein kämpferisches Vorgehen der betenden Muslime sind dem BfV nicht bekannt. Der AfD Kreisverband setzt daher das Gebet auf einem Parkplatz anlasslos mit einem „kämpferische[n] Vorgehen nach Mohammeds Vorbild“ gleich und verunglimpft das Unterfangen der Muslime, die eigene Religion unter den Voraussetzungen einer Pandemie auflagengerecht zu praktizieren, fernab jeder Sachlichkeit als „Islamfaschismus“. Insofern nutzt der Kreisverband das Gebet auf dem Parkplatz lediglich als Anlass, seine abwertende Haltung gegenüber dem Islam auszudrücken, diesen zugleich als aggressive Ideologie zu diffamieren und hierdurch Ängste in der Bevölkerung vor einem islamischen „Gottesstaat“ zu schüren.“
95
(hhh) Dies geht einher mit Äußerungen, in denen die Zuwanderung von Muslimen als Bedrohungsszenario dargestellt wird, in dem körperliche Angriffe, sexuelle Übergriffe und Terroranschläge nur Zwischenschritte darstellen, bis schließlich ein Bürgerkrieg provoziert, Regierung und Verwaltung zum Kollabieren gebracht werden, um letztlich die Scharia einzuführen:
96
„Die islamische Zeitrechnung:
1. Uhr: Suche eine offene demokratische Gesellschaft (unsere)
2. Uhr: Beginn mit der Massenmigration (seit 2015 verstärkt am Laufen)
3. Uhr: Etabliere Enklaven (viele deutsche Städte haben bereits islamische Stadtteile)
4. Uhr: Infiltriere Regierung und Verwaltung (siehe Bestrebungen den Anteil von Migranten in diesen Bereichen zu erhöhen)
5. Uhr: Initiiere gelegentliche Attacken (siehe Häufung von Massenangriffen und sexuellen Übergriffen)
6. Uhr: Unterdrücke die freie Meinungsäußerung (siehe GEZ-Sender, siehe Mainstreampresse, siehe Uploadfilter)
7. Uhr: Erhöhe die Anzahl und die Wirkung der Attacken (siehe B2.platz)
9. Uhr: Provoziere einen Bürgerkrieg
11. Uhr: Sorge dafür, dass Regierungen und Verwaltungen kollabieren
12. Uhr: Geschafft. Führe die Scharia ein.
Die ersten 6 Stufen haben wir erfolgreich gemeistert. Jetzt steht verstärkt Stufe 7 an…“, F. Eintrag des AfD Kreisverbands F (AfD Landesverband Thüringen) vom 18.3.2019, BfV Gutachten, S. 471 f.
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Gerade auch durch die Verwendung des Begriffs „islamische Zeitrechnung“ wird der Islam als Religion mit islamistischem Terrorismus gleichgesetzt und dem Islam bzw. Angehörigen des muslimischen Glaubens pauschal in diffamierender Weise eine von diesen ausgehende aggressive und terroristische Bedrohung zugeschrieben.
98
(iii) Auch durch die nachfolgenden Aussagen wird ein Feindbild gegenüber Muslimen aufgebaut, indem abwertende und angstschürende Begriffe wie „moslemische Invasionswelle“ und „moslemische[…] Horden“ verwendet werden, denen Bayern „auf gar keinen Fall […] anheimfallen“ dürfe und der Regierung unterstellt wird, sie führe eine „bewusste und kühl kalkulierte Islamisierung unseres Heimatlandes“ herbei.
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„Meine Damen und Herren! Ich würde allerdings nicht … … heißen, wenn in meiner Rede der politische Islam nicht vorkommen würde. […] Parteimitgliedern […] mal die Augen zu öffnen, um was es sich bei dieser totalitären Ideologie, denn etwas anderes ist es nicht, getarnt natürlich im Schafspelz einer Religion handelt. Nämlich um Rückschritt, Technikfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Freiheitsfeindlichkeit, Demokratieunvereinbarkeit, primitivste Körperstrafen, absolute Kontrolle des alltäglichen Lebens [Applaus]. Ich setze mich mit dem Thema politischer Islam seit über einem Jahrzehnt auseinander und bin in der islamkritischen Szene auch international gut vernetzt. Meine Damen und Herren! Eine weitere moslemische Invasionswelle kommt gerade zu uns herein, über Polen und keiner berichtet drüber. Keiner, die ganzen Mainstream, kein Wort drüber oder nur Randnotizen [Applaus]. Was unsere Regierung betreibt, ist letztlich nichts anderes als die bewusste und kühn kalkulierte Islamisierung unseres Heimatlandes [Applaus]. Manchmal kommt es mir so vor, der Deutsche soll nur noch arbeiten und sich am besten gar keine eigenen Kinder mehr leisten können, um irgendwelche Muslims zu finanzieren [Applaus]. Wie ich bereits vorher sagte, in meiner Mediationstätigkeit war ich sehr viel unterwegs und es gibt wahnsinnig schöne Ecken in Bayern und Bayern darf auf gar keinen Fall den moslemischen Horden anheimfallen [Applaus, Jubel im Publikum]. Wir wollen Bayern, dass es so bleibt wie es eben ist, mit einer einheimischen Bevölkerung, mit einer Kirche in der Dorfmitte und einem Wirtshaus daneben. Das wollen wir haben [Applaus]. Es wird Zeit, die Remigration in Angriff zu nehmen. Es sind bereits viel zu viele bei uns … [un-deutlich] … herind. Und ich möchte noch … [undeutlich] … Kemal Atatürk, um es auszudrücken, es gibt verschiedene Kulturen, aber nur eine Zivilisation, die europäische.“, Bewerberrede von … … für die Funktion eines Beisitzers im Vorstand der Antragstellerin vom 17.10.2021 ab Minute 01:47, Beobachtungserklärung BayLfV v. 21.6.2022, S. 10 f (Klammersetzung bereits in Beobachtungserklärung enthalten).
100
Wenn der Redner ausführt, dass es ihm zuweilen so vorkomme, dass „der Deutsche […] nur noch arbeiten und sich am besten gar keine eigenen Kinder mehr leisten können [soll], um irgendwelche Muslims zu finanzieren“, sollen bei den Zuhörenden hierdurch wirtschaftliche Ängste hervorgerufen werden. Insofern kommt es nicht darauf an, dass er seine Aussagen einleitend nur auf den politischen Islam − den er im Übrigen mit ausschließlich negativen Attributen beschreibt – bezieht.
101
(jjj) Durch die dargestellten Äußerungen wird die Menschenwürde von Muslimen verletzt, da diese wegen ihrer Religionszugehörigkeit systematisch, anhaltend und wiederholt pauschalisierend auf polemische Art und Weise herabgesetzt, ausgegrenzt und als kriminelle, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt werden (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 7.10.1993 − 5 CE 93.2327 – juris Rn. 25). Aus diesen, die Menschenwürde verletzenden Äußerungen kann auch darauf geschlossen werden, dass die Menschenwürde der von den Äußerungen betroffenen Personengruppen zumindest faktisch beseitigt werden soll.
102
(b) Gemessen an den oben dargestellten Voraussetzungen ergeben sich zudem aus der fortgesetzten Agitation gegen die Institutionen und Repräsentanten des Staats und gegen die demokratischen Parteien tatsächliche Anhaltspunkte für Verhaltensweisen der AfD, die auf das Außer-Geltung-Setzen des Demokratieprinzips und des davon mitumfassten Mehrparteiensystems gerichtet sind (Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Abs. 2 BVerfSchG).
103
(aa) Als Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG) sind auch Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip, insbesondere gegen das hiervon mitumfasste Mehrparteiensystem zu sehen.
104
(aaa) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen gemäß § 4 Abs. 2 BVerfSchG insbesondere das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (Buchst. a), das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (Buchst. c), die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortung gegenüber der Volksvertretung (Buchst. d) sowie der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (Buchst. f). Hierbei handelt es sich um Verfassungsgrundsätze (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG), durch deren Kodifizierung in § 4 Abs. 2 BVerfSchG der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (beginnend mit BVerfG, U.v. 23.10.1952 – 1 BvB 1/51 − juris Rn. 38) übernommen hat (vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 60; 11/7504, S. 8). Das Demokratieprinzip ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Ls. 3b, Rn. 542 f.) konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sodass es vom Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG erfasst wird, auch wenn in § 4 Abs. 2 BVerfSchG nur einzelne Ausprägungen des Demokratieprinzips benannt werden (Buchst. a, c, d, f).
105
(bbb) Demokratie ist zu verstehen als Herrschaftsform der Freien und Gleichen (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Rn. 542). Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.1980 − 2 C 27/78 – juris Rn. 543). Nur im Falle gleichberechtigter Mitwirkungsmöglichkeiten aller Bürgerinnen und Bürger wird dem Erfordernis der Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung genüge getan. Ein Instrument zur Sicherung der Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung ist neben der Chancengleichheit der Parteien und der Ausübung einer Opposition das Mehrparteiensystem (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Rn. 544). Das Grundgesetz hat sich für das Modell der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie entschieden, weshalb der Wahl des Parlaments bei der Herstellung des notwendigen Zurechnungszusammenhangs zwischen Volk und staatlicher Herrschaft besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Rn. 546; U.v. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89 – juris Rn. 37).
106
(bb) Auch in Bezug auf das Demokratieprinzip und das hiervon umfasste Mehrparteiensystem müssen – um eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen zu können − tatsächliche Anhaltspunkte für ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen eines auf Außer-Geltung-Setzen dieses Prinzips gerichteten Personenzusammenschlusses vorliegen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Abs. 2 BVerfSchG).
107
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlässt den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Rn. 546).
108
Um der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) hinreichend Rechnung zu tragen, ist davon auszugehen, dass die bloße Kritik an etwaigen bestehenden Missständen des parlamentarischen Systems für die Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nicht ausreicht (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Rn. 780 in Bezug auf die Verfassungswidrigkeit von Parteien gemäß Art. 21 Abs. 2 GG), zumal das Recht auf Ausübung einer parlamentarischen Opposition selbst ein zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu zählender Verfassungsgrundsatz ist (vgl. BVerfG, U.v. 23.10.1952 − 1 BvB 1/51 − juris Rn. 38 sowie einfachgesetzlich § 4 Abs. 2 Buchst. c BVerfSchG).
109
Von einer bloßen Kritik kann allerdings bei gehäuften Beschimpfungen, Verdächtigungen und Verleumdungen nicht mehr ausgegangen werden (vgl. BVerfG, U.v. 23.10.1952 − 1 BvB 1/51 − juris Rn. 227; BVerwG, U.v. 12.3.1986 − 1 D 103/84 − juris Rn. 77). Diese offenbaren vielmehr die Tendenz, das Vertrauen zu den Repräsentanten der Bundesrepublik in der Bevölkerung von Grund auf zu erschüttern, damit ihr zugleich die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ganzes fragwürdig erscheine (vgl. BVerfG, U.v. 23.10.1952 − 1 BvB 1/51 − juris Rn. 227; BVerwG, U.v. 12.3.1986 − 1 D 103/84 − juris Rn. 77; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 – 9 B 273/21 MD − juris Rn. 58). Das ist insbesondere der Fall, wenn bei der Beschreibung der Verfassungswirklichkeit sowie der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland unter Außerachtlassung jeder Bemühung um Augenmaß an die Stelle des kritischen Urteils eine Darstellung tritt, die im einzelnen kritikwürdige Zustände bewusst entstellt und überspitzt verallgemeinert, begleitet von einer Diffamierung der Einrichtungen des Staates und den sie tragenden Parteien, sodass der Eindruck entstehen muss, diese allenthalben bestehenden Missstände hätten letztlich ihre Ursache in der Grundordnung selbst, am Maßstab praktischer Bewährung gemessen sei sie also untauglich. Dadurch wird ein Klima geschaffen, in dem − letztlich womöglich sogar auf Gewaltanwendung zielende − Neigungen gedeihen, diese Grundordnung als in ihren Auswirkungen „unerträglich“ zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1986 − 1 D 103/84 − juris Rn. 77; U.v. 27.11.1980 − 2 C 38/79 − juris Rn. 27).
110
Auch wenn es einer politischen Partei nicht darauf ankommt, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen und durch ein anderes (z.B. diktatorisches System) zu ersetzen, kann daher angenommen werden, dass eine auf das Außer-Geltung-Setzen der Demokratie gerichtete Verhaltensweise vorliegt, wenn es einer Partei darum geht, das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie zu erschüttern, um sich die Gunst der Wählerinnen und Wähler zu sichern.
111
Vor diesem Hintergrund kann bei Äußerungen, die darauf abzielen, das Vertrauen der Bevölkerung in die parlamentarische Staatsverfassung als Ganzes in Frage zu stellen, durchaus angenommen werden, dass diese über eine zulässige Machtkritik hinausgehen und auf ein Außer-Geltung-Setzen des Demokratieprinzips gerichtet sind (vgl. VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 − 9 B 273/21 MD − juris Rn. 58).
112
Begründen lässt sich die Annahme eines zielgerichteten Außer-Geltung-Setzens des Demokratieprinzips in Bezug auf das von diesem miterfasste Mehrparteiensystem darüber hinaus auch damit, dass das Mehrparteiensystem einer Partei verbietet, nach der Alleinherrschaft zu streben oder anderen Parteien die Daseinsberechtigung abzusprechen und sie daher verpflichtet, wenigstens die Möglichkeit anzuerkennen, dass auch Ziele und Verhalten anderer Parteien gleichwertig und richtig sein können (vgl. BVerfG, U.v. 17.8.1956 − 1 BvB 2/51 − juris Rn. 585). Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip in Form des Mehrparteiensystems liegen daher vor bei Angriffen auf die Existenzberechtigung der übrigen Parteien, wenn diese in ihrer Gesamtheit als politische Dilettanten und Verräter beschimpft und verächtlich gemacht werden (vgl. OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 − 2 A 11774/98 − juris Rn. 44) und sind daher nicht erst dann anzunehmen, wenn das Parlament mit dem Ziel, ein Einparteiensystem zu etablieren, verächtlich gemacht wird (vgl. hierzu BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Rn. 543, 761 ff.).
113
(cc) Gemessen an diesen Voraussetzungen liegen aufgrund einer fortgesetzten Agitation gegen die Institutionen und Repräsentanten des Staats und gegen die demokratischen Parteien tatsächliche Anhaltspunkte für ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen eines auf Außer-Geltung-Setzen des Demokratieprinzips gerichteten Personenzusammenschlusses vor.
114
(aaa) Bereits durch das Grundsatzprogramm der AfD (S. 8) wird der Eindruck erweckt, es bestehe in Bezug auf „Demokratie und Grundwerte“ ein „illegitime[r] Zustand“. Insbesondere entspreche die Machtverteilung nicht mehr den Grundsätzen der Gewaltenteilung. Als „heimlicher Souverän“ wird eine „kleine, machtvolle politische Führungsgruppe“ innerhalb der Parteien ausgemacht. Gegenüber Berufspolitikern soll insofern Argwohn erweckt werden, als es eine ganze „politische Klasse“ hiervon gebe, „deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen“ gelte. Die Schalthebel der staatlichen Macht habe – soweit diese nicht auf die EU übertragen worden sei – ein „politisches Kartell“ ebenso in seinen Händen wie die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen. Hierdurch soll gegenüber den Bürgerinnen und Bürger der Eindruck erweckt werden, dass zumindest ein großer Teil der Politikerinnen und Politiker vor allem zu seinem eigenen Wohlergehen handele, die Wählerinnen und Wähler also befürchten müssten, dass die von ihnen Gewählten nicht in ihrem Sinne handelten. Der Begriff „Kartell“ suggeriert zudem, dass es sich um ein abgeschottetes System voller Absprachen handele, auf das von außen kein Einfluss genommen werden könne. Indem die AfD dieses vermeintliche Kartell benennt, wird der Eindruck erweckt, die Bürgerinnen und Bürger müssten die AfD wählen, um überhaupt wieder wirksamen Einfluss auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland nehmen zu können. Denn schließlich könne „nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland diesen illegitimen Zustand beenden“.
115
„Demokratie und Grundwerte
Wir wollen Deutschland reformieren und an die Prinzipien und Wurzeln anknüpfen, die erst zu seinem Wirtschaftswunder und dann zu seinem jahrzehntelangen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg geführt haben.
Deutschlands Staatsapparat hat inzwischen ein ungutes Eigenleben entwickelt. Die Machtverteilung entspricht nicht mehr den Grundsätzen der Gewaltenteilung. Zudem ist der öffentliche Sektor über sachgerechte Grenzen hinausgewuchert. Die staatlichen Organe wieder an ihren Auftrag zu binden und den Staat an seine Kernaufgaben zu erinnern, ist wesentlicher Teil unserer Politik.
Spätestens mit den Verträgen von Schengen (1985), Maastricht (1992) und Lissabon (2007) hat sich die unantastbare Volkssouveränität als Fundament unseres Staates als Fiktion herausgestellt.
Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien. Sie hat die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte zu verantworten. Es hat sich eine politische Klasse von Berufspolitikern herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt. Es handelt sich um ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen worden ist, die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in Händen hat.
Nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland kann diesen illegitimen Zustand beenden.“, Grundsatzprogramm der AfD, S. 8
116
In Bezug auf die dargestellten Ausführungen im Grundsatzprogramm der AfD ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese den Themenkomplex „Demokratie und Grundwerte“ lediglich einleiten und ihnen konkrete Themen und Forderungen nachfolgen, hinsichtlich der Gewaltenteilung z.B., dass diese durch zahlreiche einfachgesetzliche Regelungen erheblich beeinträchtigt worden sei und z.B. Minister nicht als Abgeordnete in einem Parlament, das die Exekutive gerade kontrollieren solle, tätig sein sollten (a.a.O., S. 10). Zudem wird etwa eine Begrenzung der Amtszeit von (nicht direkt gewählten) Abgeordneten gefordert (a.a.O., S. 13).
117
Das Aufstellen entsprechender Forderungen ist verfassungsschutzrechtlich (noch) nicht relevant. Allerdings zeigt bereits das Grundsatzprogramm der AfD, dass es Bestandteil und Ziel ihrer Politik ist, bei den Bürgerinnen und Bürgern Misstrauen gegenüber der Funktionsfähigkeit der Demokratie zu säen.
118
(bbb) Tatsächliche Anhaltspunkte für gegen das Demokratieprinzip gerichtete Bestrebungen ergeben sich allerdings aus einer Vielzahl von Äußerungen.
119
So erweckt etwa … …, Mitglied des Bundestags und stellvertretender Bundessprecher der AfD (Landesverband Thüringen) in seiner Bewerbungsrede für den Bundesvorstand auf dem Bundesparteitag der AfD am 30. November 2019 den Eindruck, die Bundesregierung handele generell nicht rechtstreu, sei aber gleichwohl über viele Jahre hinweg personell nicht abgelöst worden.
120
„Trotz Merkel und ihrer Spießgesellen, die in ihren Ämtern festbetoniert sind.
Die unser Land seit Monaten, seit Jahren, seit vielen Jahren mit Vergehen und Verbrechen überziehen.“, BfV Gutachten, S. 592
121
Dem Wortlaut nach bezieht sich die Aussage auf die Bundeskanzlerin a.D. Dr. M2. und andere Mitglieder der Bundesregierung persönlich und damit nicht auf die Bundesregierung als solche. Aufgrund der langen Amtszeit der Bundeskanzlerin a.D., auf die auch … Bezug nimmt („festbetoniert“), sind die Bundeskanzlerin a.D. und ihre namentlich nicht näher benannten „Spießgesellen“ jedoch als Repräsentanten der Bundesregierung zu sehen, welche damit Objekt der Aussage … ist. Dabei kann insofern nicht mehr von „bloßer“ Kritik ausgegangen werden, als keine Kritik an bestimmten Einzelfällen geäußert wird, sondern vielmehr der Bundesregierung unterstellt wird, über einen langen Zeitraum hinweg („seit vielen Jahren“) in einer Vielzahl von Fällen („überziehen“) auf unrechtmäßige und sogar kriminelle Weise zu handeln. Unabhängig von der Frage, ob einzelne Maßnahmen der Bundesregierung gerichtlich beanstandet worden sein mögen, kann dies eine derart pauschale, undifferenzierte Kritik nicht rechtfertigen. Die Aussage kann und soll augenscheinlich auch gar keine Sachdiskussion hierüber auslösen, sondern ist vielmehr darauf gerichtet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Legitimität des Handelns der Bundesregierung von Grund auf zu erschüttern.
122
(ccc) Gleiches gilt für die nachfolgende Aussage, in der der Bundeskanzlerin a.D. Dr. M2. unterstellt wird, einen Polizeistaat eingeführt zu haben.
123
„Sie haben es zu weit getrieben; Die ‚Untertanen‘ stehen nun auf, und zwar in ganz Deutschland! Trotz, unter Merkels viel zu langer Amtszeit eingeführtem Polizeistaat, da immer mehr Fakten an die Öffentlichkeit kommen, die das Corona-Regime gar nicht mehr schnell genug löschen/zensieren kann.“, F.-Eintrag von … … (AfD Landesverband Thüringen), Mitglied des Landtags Thüringen und Sprecher im AfD Kreisverband G, vom 10.5.2020, BfV Gutachten, S. 656
124
Auch wenn die Aussage vor dem Hintergrund von Grundrechtseinschränkungen in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu sehen ist, kann die Verwendung des Begriffs des Polizeistaats nicht mehr als bloße, hinzunehmende Kritik hieran eingestuft werden. Denn ein Polizeistaat ist ausweislich der Begriffsdefinition des Duden (https://www.duden.de/rechtschreibung/Polizeistaat) ein „Staat, in dem der Bürger nicht durch unverletzliche Grundrechte und eine unabhängige Rechtsprechung geschützt wird (wie im Rechtsstaat), sondern der willkürlichen Rechtsausübung der [Geheim]polizei ausgesetzt ist“ (Klammersetzung durch duden.de). Dies suggeriert nicht nur, dass in Deutschland Grundrechte generell keine Geltung mehr hätten (also nicht nur zeitweise – wenn auch umfangreich – zum Schutz der Bevölkerung an Leib und Leben eingeschränkt worden seien), sondern zugleich, dass die Exekutive keiner Kontrolle mehr durch unabhängige (Art. 97 Abs. 1 GG) Richterinnen und Richter mehr unterliege und die Polizei willkürlich, also ohne Rechtsgrundlage und sachlichen Grund Maßnahmen gegenüber Bürgerinnen und Bürger ergreife.
125
Zudem wird die Behauptung aufgestellt, dass die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) durch verfassungswidrige (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG) Zensur beschränkt werde, sodass „unliebsame“ Fakten vor der Öffentlichkeit verborgen würden. Mit dem „Corona-Regime“ wird wohl auf die Regierung angespielt, oder aber es wird der Regierung zumindest unterstellt, die Zensur durch eine als „Corona-Regime“ bezeichnete Gruppe jedenfalls nicht zu verhindern. Insofern zielt die Aussage darauf ab, den Eindruck in der Bevölkerung zu erwecken, dass ihr die Regierung bewusst Fakten vorenthält oder zumindest nicht in der Lage ist, das Vorenthalten von Informationen zu verhindern.
126
(ddd) Der Regierung wird unterstellt, nicht im Interesse des Volkes, sondern vielmehr diesem entgegen zu handeln. So äußerte sich … …, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag Thüringen und Sprecher des AfD Landesverbands Thüringen in einer Rede am 17. Februar 2020 wie folgt:
127
„[Hier] in diesem Land [wird] gegen die Interessen unseres Volkes Politik gemacht von den Herrschenden. […] Deswegen ist die Herrschaft der verbrauchten Parteien für mich eine Ochlokratie, eine Herrschaft der Schlechten.“, BfV Gutachten, S. 659 (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten)
128
Da sich die Aussage auf die „Herrschenden“ und die „Herrschaft der verbrauchten Parteien“ bezieht, wird deutlich, dass keine Kritik an einzelnen politischen Akteuren oder deren einzelnen Maßnahmen geübt wird. Ein ochlokratisches System ist „(in der altgriechischen Staatsphilosophie) Herrschaft durch den Pöbel (als eine entartete Form der Demokratie); Pöbelherrschaft“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Ochlokratie). In der Verwendung des Begriffs Ochlokratie ist nicht nur eine Verunglimpfung zu sehen. Vielmehr wird nahegelegt, dass die anderen Parteien und insbesondere die von diesen gebildete Regierung generell „schlecht“ und damit zum Nachteil des Volkes handelten. Durch diese Pauschalisierung soll eine generalisiert negative Wahrnehmung der anderen Parteien und der von diesen gebildeten Regierung, wie sie momentan ohne Beteiligung der AfD besteht, erzeugt und hierdurch letztlich das Vertrauen in das Funktionieren des Mehrparteiensystems erschüttert werden.“
129
(eee) … … …, jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt Vorsitzender des der Antragstellerin angehörenden Kreisverbands H, äußerte sich als Gastredner bei einem überparteilichen Treffen von „Deutsche Konservative“, „Der III. Weg“, „Freie Sachsen“ und „AfD“ am 19.11.2022 wie folgt:
130
„Ja liebe Mitstreiter, lieber …, lieber Herr …, lieber Herr …, deutsche Patrioten und Patriotinnen, ich darf euch alle recht herzlich im Namen des AfDKreisverbands H begrüßen. […] Unsere bürgerliche Mitte ist aber inzwischen ganz weit nach links abgedriftet. Es ist das autoaggressive Präsuizidalsyndrom der Nachkriegsgeneration in unserer Gesellschaft, es ist die laufende Gehirnwäsche der Massenmedien und es ist der unglaubliche Wohlstand, den die Nachkriegsgeneration erarbeitet hat. Diese drei Faktoren haben unsere Gesellschaft zu einem großen Teil in eine Ansammlung von verweichlichten, denkfaulen, bequemen, links-grün versifften Transgender-Gaga-Individuen verwandelt. Es ging lange genug gut mit dem angehäuften Wohlstand. Angesichts der fatalen Politik der letzten zwanzig Jahre bei der Währung, bei der Energie und bei der Massenmigration, geht dieser Wohlstand nun zu Ende. Es stehen uns harte Zeiten bevor. Die Inflation frisst unsere Kaufkraft, unsere Träume und unsere Zukunft. Wie kommt es dazu, dass unser Lebensstandard in den letzten Jahrzehnten so dramatisch gesunken ist? Weil wir von einer ideologieverseuchten Räuberbande regiert werden. Lobbyisten der Kartellparteien und allem voran der Grünen, stopfen sich die Taschen voll, indem sie uns mit Steuern auf Energie, CO₂ und auf unser Vermögen, unser Hab und Gut schleichend enteignen. Steuern auf Strom 70%, Steuern auf Benzin 67%, Steuern auf Diesel 63%, Steuern auf Gas 43%, kalte Progression bei der Einkommensteuer. Diese Volksverräter regieren doch nicht mehr zum Wohl des Volkes. Da werden mit voller Absicht Verknappungen herbeigeführt. Mieten, Strom und Heizen werden unbezahlbar. Volltanken und ein voller Einkaufswagen werden für Familien zum Luxus. Die Inflation frisst unsere Kaufkraft, unsere Träume und unsere Zukunft. Wir und unsere Familien können uns immer weniger leisten. Während euer Bankkonto geplündert wird, fließt das Geld in die Taschen der globalistischen Superreichen, der globalistischen Eliten wie Kl. Sch., G. S., Bi. G., König Ch. III. von Gr. usw. und deren korrupten Handlangern wie früher schon Merkel und jetzt unseren rotgrünen Politdarstellern in München, Berlin und Brüssel. Wie kommt es dazu, dass unser Lebensstandard so in den letzten Jahrzehnten so dramatisch gesunken ist? Schuld daran ist die Aufhebung des Trennbanksystems in Amerika. […] Also das Resultat ist, dass der Kauf eines Hauses inzwischen für eine Familie unerschwinglich geworden ist. Ja hier im, selbst hier im Landkreis …, wenn sich ein junges Ehepaar hier noch ein Haus bauen will, da müssen die schon eine halbe Million dafür hinblättern. Damit steht das Finanzsystem jetzt kurz vor dem Zusammenbruch. Unermessliche Verschuldung, eine immer ärmer werdende Gesellschaft, steigende Inflation und unermesslicher Reichtum in den Händen der wenigen großen Großspekulanten. Werden sie ihre Schulden jemals zurückzahlen? Nein! Die Schulden sind dafür schon viel zu hoch. Mit allen Mitteln suchen sie nun nach Sündenböcken, um die Schuld am finanzwirtschaftlichen Zusammenbruch von sich abzuwenden. Die Zerstörer der freiheitlichen wirtschaftlichen und politischen Ordnung des Westens, die unermesslichen Reichtum gesammelt haben, wollen jetzt ihrer Verantwortung entkommen. Für sie ist jede Krise ein willkommener Anlass, um vom wahren Schuldigen der Katastrophe abzulenken, den einverleibten Profit zu behalten und sich die wütenden Massen fernzuhalten. Erst Corona, jetzt der Ukraine-Konflikt, dann die Energiekrise, das Klima und so weiter. Wir lassen uns von den Lügen dieser Gauner nicht mehr irreführen. Zum Teufel mit ihnen. Alle Krisen sollen Schuld am Zusammenbruch der Ordnung und der menschlichen Katastrophe sein, bloß die Profiteure nicht. Das haben wir übrigens auch korrupten, verlogenen Rundfunkmedien zu verdanken. Um ihre Macht und ihr durch Unrecht gerafftes Geld vor einem Crash wie 1929 zu schützen, wollen die Profiteure eine neue Ordnung der Welt und des Wirtschaftssystems den Menschen auferlegen. In einer unheiligen Allianz mit machtgierigen Neomarxisten wollen die globalen Spieler ihre Macht mit einer globalen totalitären Herrschaft sichern – der sogenannten Global Governance. Den ersten Schritt zu dieser Global Governance nennen sie jetzt die Agenda 2030. Ein langersehntes Machtziel der Marxisten soll so möglich werden. Mit dem Vorwand einer angeblichen nachhaltigen Entwicklung täuschen sie die Menschen, um ihr eigentliches Ziel zu erreichen, ihre Raubbeute vor der empörten Bevölkerung zu schützen und ihre Globalmacht um jeden Preis zu sichern. Die globalen Akteure haben den größten Raub der Geschichte auf Kosten der Menschheit begangen. Das muss man sich einfach mal klarmachen. Sie haben uns Bürger dabei ausgenutzt und uns unseren Wohlstand genommen – unsere Freiheit, unsere Demokratie, den Rechtsstaat, unsere Kultur – alles das wollen sie uns nehmen. Jetzt wollen sie uns auch noch eine neue totalitäre Weltordnung aufzwingen, um uns zu unterwerfen und zu knechten. Werden wir das wirklich zulassen? Wir sind die große Mehrheit, wir sind bereit unsere Bestimmung für die Freiheit zu verteidigen. Nach Artikel 20 Grundgesetz haben wir das Recht und die Pflicht dazu. Stehen wir jetzt gemeinsam auf. Nehmen wir unser Schicksal in die Hand und holen wir uns unsere Freiheit, unsere Selbstbestimmung und unsere Zukunft wieder zurück. Die Herrschaft der Freiheit hat jetzt begonnen. Stoppen wir den globalen Totalitarismus dieser Akteure und Volksverräter. Stoppen wir die Agenda 2030. Ja lieber …, ich wünsche dir alles Gute auf deinem weiteren Lebensweg. Bleibe gesund, bleibe uns gewogen. Vielen Dank.“, Vermerke BayLfV vom 6.12.2022 und vom 12.12.2022
131
In seinem Redebeitrag bezeichnet … die Regierung als „ideologieverseuchte[…] Räuberbande“, durch deren Handeln der Lebensstandard in den letzten Jahren dramatisch gesunken sei. Die „Lobbyisten der Kartellparteien“ und „Volksverräter“ würden sich persönlich bereichern anstatt zum Wohl des Volkes zu regieren und würden hierbei unterstützt von den korrupten und verlogenen Medien, die die Bürgerinnen und Bürger einer „laufende[n] Gehirnwäsche“ unterziehen würden. Den Bürgerinnen und Bürgern sei nicht nur der Wohlstand bereits genommen worden, nun solle ihnen auch noch ihre Freiheit, ihre Demokratie, der Rechtsstaat und ihre Kultur genommen und ihnen eine neue totalitäre Weltordnung aufgezwungen werden, um sie zu unterwerfen und zu knechten. Diese durch die „Volksverräter“ verursachte Entwicklung müsse gestoppt werden.“
132
(fff) … …, jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt stellvertretender Kreisvorsitzender des AfD Kreisverbands H (AfD Landesverband Bayern) äußerte sich am 20. September 2022 auf einer Veranstaltung zum Thema „Nicht frieren für unsinnige Politik, sofortige Friedensverhandlungen mit Russland; Energie- und Gaskrise sofort beenden, Inflation beenden, stabile Währung schaffen, Preisexplosion stoppen, Aufhebung jeglicher Impfpflicht; Schluss mit allen Corona-Maßnahmen“ wie folgt:
133
„Unser Bundeskanzler lässt uns ausrichten, wenn Kundgebungen von Extremisten, Querdenkern, Verfassungsfeinden gekapert werden, nehmen wir das nicht hin denn unsere Demokratie ist wehrhaft. Olala. Frage dazu an den Herrn B3. S2. – von welcher Demokratie spricht er, diese ist bereits vor langer Zeit abgeschafft und durch eine Klimadiktatur ersetzt worden – ein totalitäres System. Ein totalitäres System mit vollständiger Kontrolle über uns Bürger.“
„Da hätte ich noch eine weitere Frage an Ol. Sch.– der DDR-Ratsvorsitzende Ul. meinte vor längerer Zeit, in meinem Geburtsjahr, niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen, Ol. Sch.meinte auf die Frage ob die Regierung vorhat, auf Demonstranten zu schießen, niemand hat die Absicht auf Demonstranten zu schießen, ich für meinen Teil liebe Freunde glaube diesen Volksverrätern und Verbrechern kein Wort. Die Regierung führt nun seit Jahren Krieg gegen uns Bürgern und das meine ich wirklich ernst. Sie führen Krieg gegen uns.“
„Millionen von Bürgern leben nun in Armut, staatlich organisiert. Die vorsätzlich geschaffenen Preissteigerungen, von Nahrungsmitteln und ein offenkundiger Angriff auf die Landwirtschaft und die Energieversorgung sowie die Einführung der medizinischen Tyrannei sind Taktiken in diesem Krieg gegen das Volk. Wenn man unsere letzten Spargroschen für eine warme Wohnung gestohlen hat, geht es an die Immobilien und danach in die endgültige Sklaverei.“, jeweils Vermerk BayLfV v. 19.10.2022, S. 2 f.“
134
Auf einer Veranstaltung am 4. Oktober 2022 äußerte … schließlich:
135
„Wir haben den Corona-Irrsinn gerade überlebt und nun gibt´s gleich Krisen wieder im Überfluss. Alle von unseren Regierungen selbst inszeniert und erschaffen.“
„Diese grün-sozialistischen Kartellpolitiker der Regierung dulden es und sind nicht nur Mitwisser, sie sind Mittäter, bei der vorsätzlichen Zerstörung der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft.“
„Die Erkenntnis, dass uns unsere Regierung bewusst und vorsätzlich mit selbsterzeugten Krisen in die Armut und staatliche Abhängigkeit treibt, ist noch nicht bei allen angekommen. Leider. Die deutsche Regierung ist nicht unfähig, sie ist bösartig.“, jeweils Vermerk BayLfV v. 19.10.2022, S. 4
136
Die Demokratie sei in der Bundesrepublik Deutschland demnach bereits vor langer Zeit abgeschafft und durch eine (Klima) Diktatur ersetzt worden. Die Regierung („Volksverräter[…]“, „Verbrecher[…]“ und „bösartig“) führe seit Jahren Krieg gegen die Bürgerinnen und Bürger, inszeniere Krisen und zerstöre Wirtschaft und Gesellschaft vorsätzlich, was nach der Prophezeiung … letztlich zu einer „endgültigen Sklaverei“ führen werde.
137
(ggg) Das Volk fände sich in einer Diktatur wieder, wenn die „Altparteien und ihre Gehilfen in NGOs und den Medien“ nicht aufgehalten würden:
138
„Die Umerziehung läuft in vollem Gange. […] Man bezeichnet es zwar als Satire, meint es aber todernst. Ist es die Vorbereitung einer Kulturrevolution wie in China, die damals Millionen Toter gefordert hat? Auch damals hetzte man die Kinder gegen ihre Eltern und Großeltern auf. Wenn wir die Altparteien und ihre Gehilfen in NGOs und den Medien nicht aufhalten, finden wir uns in der nächsten sozialistischen Diktatur wieder, diesmal nicht braun oder rot sondern grün.“, BfV Gutachten, S. 603 f (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten).
139
Anlass dieser Äußerung von … …, Mitglied des Bundestags und Beisitzer im AfD Landesvorstand Sachsen, in einem F.-Eintrag vom 28. Dezember 2019 und Bezugspunkt für den Vorwurf, Kinder gegen ihre Eltern und Großeltern aufzuhetzen, war das von einem Kinderchor aufgeführte Lied „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“. Die Verwendung des Begriffs „Umerziehung“ kann noch als Kritik an dem Lied und den hierin getätigten Aussagen sowie der Klimapolitik der Regierung bzw. etwa der Partei Bündnis 90/Die Grünen verstanden werden. Jedoch wird durch die Bezugnahme auf Todesfälle infolge der Kulturrevolution in China ein Bedrohungsszenario entworfen, das in keinem Verhältnis mehr zu möglichen Folgen der Klimapolitik der Regierung bzw. etwa der Partei Bündnis 90/Die Grünen steht. Zudem wird unterschwellig behauptet, die als „Altparteien“ bezeichneten anderen Parteien hätten sich quasi geschlossen mit Nichtregierungsorganisationen und den Medien, deren pluralistische Vielfalt zumindest unterschlagen wird, „verbündet“ und würden eine Diktatur errichten, wenn sie nicht von der AfD bzw. der Bevölkerung aufgehalten würden. Die Aussage zielt nicht nur darauf ab, Angst in der Bevölkerung zu schüren, sondern auch darauf, den Eindruck eines kollusiven Zusammenwirkens verschiedenster Institutionen zu erwecken und damit letztlich beim Leser das Gefühl hervorzurufen, die AfD stelle sich jedenfalls als einzige Partei der Errichtung einer Diktatur entgegen.
140
(hhh) Einer anderen Aussage nach sei die Bundesrepublik Deutschland bereits jetzt keine Demokratie mehr, sondern vielmehr ein „totalitäres, kleptokratisches und ochlokratisches System […], das selbst die übelsten Despoten vor Neid platzen lässt“:
141
„Nach 14 Jahren unter Merkels Bundesstillstandsverwaltung steht das Land Kopf, hat sich inzwischen in ein totalitäres, kleptokratisches und ochlokratisches System verwandelt, das selbst die übelsten Despoten vor Neid platzen lässt und ist in nahezu allen Bereichen völlig handlungsunfähig.“, ..., Mitglied des Landtags Baden-Württemberg (AfD Landesverband Baden-Württemberg) in einem F.-Beitrag vom 27.2.2020, BfV Gutachten, S. 659
142
Totalitär bedeutet „mit diktatorischen Methoden jegliche Demokratie unterdrückend, das gesamte politische, gesellschaftliche, kulturelle Leben [nach dem Führerprinzip] sich total unterwerfend, es mit Gewalt reglementierend“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/totalitaer). Ein Kleptokrat ist eine „männliche Person, die sich bereichert, indem sie ihre privilegierte gesellschaftliche Stellung zum Schaden anderer ausnutzt“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Kleptokrat), was auf ein System übertragen bedeutet, dass dieses von Personen angeführt bzw. gekennzeichnet wird, die sich nach der benannten Definition bereichern, indem sie ihre privilegierte gesellschaftliche Stellung zum Schaden anderer ausnutzen. Ein ochlokratisches System ist – wie bereits dargestellt wurde − „(in der altgriechischen Staatsphilosophie) Herrschaft durch den Pöbel (als eine entartete Form der Demokratie); Pöbelherrschaft“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Ochlokratie). Durch die Verwendung dieses Dreiklangs an Begriffen wird der Bundesrepublik Deutschland abgesprochen, ein (funktionierendes) demokratisches System zu sein und durch den Vergleich mit „übelsten Despoten“ die Behauptung aufgestellt, es handele sich um ein Unrechtsregime, wie es ansonsten nirgends anzutreffen sei. Diese auf verschiedene Aspekte abzielende Abwertung des demokratischen Systems in der Bundesrepublik Deutschlands ist derart umfassend und tiefgreifend, dass die Politik der Bundeskanzlerin a.D. hierfür zwar anlässlich sein, die Bewertung aber nicht mehr zu rechtfertigen vermag.
143
(iii) Auch wird der rechtsprechenden Gewalt ihre Kontrollfunktion abgesprochen und sie vielmehr als Gegner des Volkes dargestellt.
144
In einem F.-Eintrag vom 24. Mai 2020 beschimpft … … (AfD Landesverband Baden-Württemberg), Gründungsmitglied der AfD und AfD-Kandidat für die Bundestagswahl 2021 (Quelle: https://www. …de/ueber-mich), die Justiz als „Deutsche Verräter-Justiz“ (BfV Gutachten, S. 686). … … (AfD Landesverband Hessen), ebenfalls Kandidat für die Bundestagswahl 2021 (Quelle: https://www.abge....de/profile/ …*) sowie erster Vorsitzender des AfD Kreisverbands I (Quelle: https:/ …afd-hessen.org/or.../) zufolge segnen die „Staatsgerichte […] wie die Gerichte im 3. Reich und in der DDR jedes rechtswidrige Gesetz einfach ab“ (BfV Gutachten, S. 686). Eine Pressemeldung zu einem Urteil gegen einen Geflüchteten kommentiert der AfD Kreisverband J (AfD Landesverband Baden-Württemberg) am 8. Mai 2020 in einem F.-Eintrag augenscheinlich mit der Auffassung, es sei zu milde ausgefallen, wie folgt: „Merkels Gäste bekommen unser Steuergeld und bei der Justiz noch Rabatt dazu. Verfluchte Richter gegen das Volk. Verräter.“ (BfV Gutachten, S.686).
145
Die Äußerung von Wertungen in Bezug auf Urteile ist verfassungsschutzrechtlich nicht zu beanstanden. Auch ist es nicht zu beanstanden, wenn thematisiert und hinterfragt wird, ob, warum und in welchem Ausmaß die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gerichtlich bestätigt wurde. Die dargestellten Äußerungen gehen jedoch über eine derartige Kritik hinaus, da die Verunglimpfung von Gerichten und Richtern gegenüber der Auseinandersetzung mit deren Rechtsprechung im Vordergrund steht. Die Verunglimpfungen zielen – insbesondere auch durch Verwendung der dem Nationalsozialismus zuzuordnenden Begrifflichkeit „(Volks) Verräter“ – und den Vergleich mit dem Dritten Reich und der DDR darauf ab, den Eindruck zu erwecken, dass die rechtsprechende Gewalt in ihrer Entscheidungsfindung nicht unabhängig handele (Art. 97 Abs. 1 GG). Hierdurch wird in der Bevölkerung die Angst geschürt, dass das staatliche Handeln keiner unabhängigen gerichtlichen Kontrolle unterliege und Bürgerinnen und Bürgern damit gegenüber staatlichen Maßnahmen der Exekutive kein wirksamer Rechtsschutz zur Verfügung stehe und damit nicht zu erwarten sei, dass die Rechtsstaatlichkeit durch inhaltlich unabhängig getroffene Entscheidungen gewahrt werde. Unabhängig davon, ob hierin tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen das Rechtsstaatsprinzip gesehen werden könnten, welches ebenfalls Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist (vgl. einfachgesetzlich § 4 Abs. 2 Buchst. b, Buchst. e BVerfSchG), wird durch die dargestellten Behauptungen daher insgesamt ein Bild gezeichnet, in dem die Bevölkerung als weitgehend machtlos gegenüber der vom Willen und Wohl des Volkes losgelöst handelnden Exekutive dargestellt wird. Damit sollen auch die auf die mangelnde Kontrolle der Exekutive durch die Justiz zielenden Äußerungen einen Beitrag dazu leisten, das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern. Angesichts der bereits dargestellten Behauptungen, durch die die Rechtmäßigkeit und Legitimität des Handelns der Exekutive und deren Zielsetzung in hohem Maße infrage gestellt und der Eindruck erweckt wird, dass der Bevölkerung hierdurch bewusst Schaden zugefügt werden sollte, wäre eine wirksame gerichtliche Kontrolle staatlichen Handelns durch unabhängige Richterinnen und Richter von umso größerer Bedeutung.
146
(jjj) Durch die dargestellten Aussagen wird ein Gesamtbild gezeichnet, wonach die Existenz der Bürgerinnen und Bürger vom Handeln der Regierung und Polizeigewalt und -terror bedroht und zugleich weder vom Rechtsstaat noch von einer unabhängigen Justiz geschützt werde, um Ängste und Ablehnung gegenüber dem politischen und institutionellen System in Deutschland zu schüren.
147
Dies verdeutlicht auch der im BfV Gutachten dargestellte Text eines Videos mit dem Titel „Deutschland – Es sind nicht unsere Politiker, nicht unsere Justiz und schon gar nicht unsere Polizei“, selbst wenn diesem durch das bloße Teilen auf F. durch … … (AfD Landesverband Hessen) und damit für sich genommen ggf. noch keine verfassungsschutzrechtliche Relevanz zukommen mag (vgl. OLG Dresden, U.v. 1.6.2018 – 4 U 217/18 – juris Rn. 15; OLG Frankfurt, U.v. 26.11.2015 – 16 U 64/15 – juris Rn. 37 ff.):
148
„Die Regierung will unser Land mit Millionen Syrern und Afrikanern fluten, weil genau das ihre Aufgabe ist. Und die korrupte Justiz passt auf, dass wir dabei untätig zusehen müssen. Die BRD, weder Staat noch Rechtsstaat, ist die feindliche Besatzung für Deutschland. Sie will uns Deutsche umbringen. Seit mindestens 100 Jahren versucht man uns Deutsche kleinzukriegen [Anm.: Betonung auf „kriegen“] und das im wahrsten Sinne des Wortes. Kleinkriegen. Diese BRD-Regierung besteht aus allem möglichen, aber nicht aus Deutschem. Die Aufgabe der Besatzungs-BRD ist es, die besonders geistesgewandten und kreativen Deutschen zu unterdrücken, auszubeuten und auf lange Sicht umzubringen, sollten sie sich wehren. […] Auch die Parteien kommen ohne Ausnahme alle aus dem gleichen Stall und spielen uns ihre Konkurrenz nur vor. Es ist Teil der Täuschung, damit verblendete Bürger zur Wahl gehen und ihr Mandat abgeben. Nur darum geht es. Zur Frage, ob Deutschland wirklich besetzt ist oder nicht, kann man ganz einfach mal nach oben in den Himmel schauen. Da ist die Antwort auf die Besatzungsfrage. Wenn feige antideutsche Justiz ein Urteil erlässt, dann ist die Polizei, die skrupellose Truppe, die den auf Papier gebrachten Terror mir roher Gewalt durchsetzt. Das ist nicht unsere Polizei. […] Die brechen im Rudel in Häuser ein und schleifen Leute heraus für 50 € sogenannte GEZSchulden und weniger. Es muss endlich Schluss sein mit der Lobhudelei auf den Besatzer der Deutschen. Nicht unsere Politik. Nicht unsere Justiz. Nicht unsere Polizei.“, Text eines Videos mit dem Titel „Deutschland – Es sind nicht unsere Politiker, nicht unsere Justiz und schon gar nicht unsere Polizei“, geteilt am 28.11.2019 von … … (AfD Landesverband Hessen) auf dessen F.-Seite, BfV Gutachten, S. 582
149
(kkk) Als quasi letzte vorhandene Möglichkeit, die dargestellte Entwicklung zu verhindern, wird die Unterstützung und Wahl der AfD inszeniert:
150
So habe die AfD die bestehenden Missstände erkannt und arbeite an der Aufklärung der Bevölkerung darüber, dass Deutschland nurmehr eine „Schein-“ bzw. „Fassadendemokratie“ sei und sich zu einer Diktatur entwickle:
151
„Wir sind diejenigen, die für Demokratie, für Freiheit und für Meinungsvielfalt kämpfen und den Plänen einer neuen sozialistischen Diktatur den Kampf angesagt haben. Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen [d.h.: das dortige Agieren der AfD-Fraktion] war eine taktische Meisterleistung. Sie hat den Altparteien ihre demokratische Maske heruntergerissen und die darunterliegende, diktatorische, neosozialistische Fratze für jedermann sichtbar gemacht. Wir müssen den Menschen immer wieder vor Augen führen, dass sich die Altparteien dieses Land zur Beute gemacht haben und wir nur noch in einer Scheindemokratie leben. […] Ich möchte im Landesvorstand mithelfen, diesen Zustand, dass an uns niemand mehr vorbeikommt, sukzessive überall zu erreichen. Ich möchte Strategien miterarbeiten, mit denen wir noch effizienter die Menschen erstens darüber aufklären, dass wir nur noch in einer Fassadendemokratie leben und auf dem Weg in eine Diktatur sind.“, … …, Mitglied des Bundestags und Beisitzer im Vorstand des AfD Landesverbands Sachsen in einer Rede in … am 29.2.2020, BfV Gutachten, S.610 f (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten).
152
(lll) Gehindert werde die AfD in ihrem Handeln für die Bevölkerung aber dadurch, dass sie durch ihre politischen Gegner, also insbesondere die übrigen Parteien „systematisch entmenscht“, aus der Gesellschaft isoliert und ihre Sympathisanten eingeschüchtert würden, um die AfD letztlich „zu zerschlagen“:
153
„Liebe Leser, wir erleben in diesen Tagen ein politisches und publizistisches Kesseltreiben gegen unsere demokratische Partei, das seinem Wesen nach bereits in eine Diktatur gehört. […] Nein, liebe Leser – man kann wirklich nicht sagen, unsere politischen Gegner hätten aus zwei deutschen Diktaturen keine Lehren gezogen: Sie haben die Lehre gezogen, wie man in einer Diktatur einen demokratischen politischen Gegner systematisch entmenscht, um ihn aus der Gesellschaft zu isolieren, Sympathisanten einzuschüchtern, und ihn schließlich kriminalisieren zerschlagen zu wollen. Sie haben gut gelernt, was Diktaturen ihnen vorgelebt haben, und sie leben in der schizophrenen Vorstellung, sie selber könnten solche üblen Methoden anwenden, ohne ihre angebliche demokratische Jungfräulichkeit einzubüßen. […] Es wird in Deutschland wieder der Tag kommen, an dem sich alles für ein Unrechtssystem schämt und alle so tun, als sei keiner dabei gewesen, und keiner habe daraus Profit gezogen.“, … … (AfD Landesverband Baden-Württemberg), Mitglied des Landtags Baden-Württemberg in einem F.-Beitrag vom 16.2.2020, BfV Gutachten, S. 640 (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten)
154
Indem die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland durch die Bezugnahme im letzten Satz mit denjenigen unter dem Regime der Nationalsozialisten verglichen werden, wird Handlungsdruck gegenüber den Bürgerinnen und Bürger erzeugt, sich gegen das bestehende System erheben zu müssen. Auch wenn die Äußerungen von … im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Th. K. von seinem Amt als Thüringens Ministerpräsident, in das er mithilfe der Stimmen der AfD gewählt worden war, zu sehen sind, entfernen sie sich derart weit von diesen Geschehnissen, dass sie nicht mehr als bloße Kritik hieran gewertet werden zu können, zumal singuläre Ereignisse keinen Vergleich mit dem diktatorischen und menschenverachtenden Regime der Nationalsozialisten rechtfertigen.
155
(mmm) Durch die Äußerung
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„Die SA Truppen der sogenannten ‚demokratischen Parteien‘ haben wieder zugeschlagen.“, BfV Gutachten, S. 756
157
wird den anderen Parteien unter Ziehung eines Vergleichs mit dem nationalsozialistischen System unterstellt, Gewalt und Terror gegenüber der AfD auszuüben. Anknüpfungspunkt für den F.-Beitrag des Bezirksverband M.-He. (AfD Landesverband Berlin) vom 2. März 2020 war ein Artikel von Radio L., der einen Brandanschlag auf AfD-Bundessprecher … … in … (Sachsen) thematisierte. In dem Artikel von Radio L. wurden keinerlei Aussagen zu Verdächtigen oder den möglichen Tätern gemacht. Gleichwohl behauptet der AfD-Bezirksverband durch seine Aussage, die anderen Parteien seien für den Anschlag verantwortlich und verfügten über Truppen zur Anwendung von Gewalt und Terror gegenüber politischen Gegnern.
158
(nnn) In diese Richtung geht auch die nachfolgende Aussage, in welcher der AfD durch Verwendung des Begriffs des „Dissidenten“, der ebenfalls auch der Zeit des Nationalsozialismus zuzuordnen ist, die Rolle eines Opfers des herrschenden Systems zugeschrieben wird:
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„Wir bewegen uns auf einem schmalen Grat auf einen Zustand zu, in dem abweichende Meinungen in Deutschland mit SA-Methoden und Ausgrenzungen bestraft werden und zur normalen Tagesordnung gehören. […] Im Deutschland des Jahres 2020 sind wir nicht mehr die Opposition, sondern jedes Mitglied der AfD ist ein Dissident.“, … … (AfD Landesverband Niedersachsen), stellvertretender Vorsitzender des AfD Kreisverbands K in einem Newsletter des Kreisverbands K von März 2020, BfV Gutachten, S. 685
160
(ooo) Die nachfolgende Aussage von … … …, ehemals stellvertretender Vorsitzender des AfD Kreisverbands L, lässt schlussendlich darauf schließen, sich im Falle der Teilhabe an staatlicher Macht losgelöst vom Willen des Volkes und geltenden rechtlichen Grundprinzipien zur Selbstjustiz ermächtigen und sich hierdurch unliebsamer politischer Gegner entledigen zu wollen: So suggerierte … am 5. Januar 2021 auf F., im Fall der Machtübernahme politische Gegner an die Wand stellen und durch ein Erschießungskommando töten zu wollen.
161
„Wir werden längere Wände als 1989 in Rumänien brauchen – Freiwillige für die Pelotons dürften aber kein Problem sein …“, Beobachtungserklärung BayLfV v. 21.6.2022, S. 9.
162
(ppp) Aus der Auslegung der dargestellten Äußerungen ergibt sich die Zielsetzung, das Vertrauen der Bevölkerung in die parlamentarische Staatsverfassung als Ganzes in Frage zu stellen, da die Grenzen zulässiger Machtkritik auch bei Anerkennung der Stilmittel der Zuspitzung, Polemik und des Mittels, die Aufmerksamkeit durch Verwendung drastischer Wortwahl auf vermeintliche Missstände zu lenken, überschritten werden. Auch in den Fällen, in denen Sachthemen als Anknüpfungspunkte für die Aussagen dienen, wird einer inhaltlichen Diskussion ein schwindend geringer Raum eingeräumt, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass es den äußernden Personen überhaupt um einen kritischen Diskurs geht. Vielmehr ist anzunehmen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in das Funktionieren der parlamentarischen Staatsverfassung in Form eines demokratischen und rechtsstaatlichen Systems geschwächt werden soll, um Bürgerinnen und Bürger zur Wahl der AfD, die letztlich als einzige Rettung verbleibt, zu bewegen und hierdurch deren Teilhabe an legislatorischer und exekutiver Macht zu befördern.
163
(c) Bei wertender Gesamtbetrachtung erfüllen die Äußerungen auch die tatbestandliche Voraussetzung der tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen.
164
(aa) Wie bereits dargestellt wurde, können sich Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen auch aus Äußerungen von Mitgliedern einer Gruppierung ergeben. Gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Ziele einer Vereinigung lassen sich in der Regel sogar weniger ihrer Satzung und ihrem Programm, sondern eher ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit, ihren Publikationen sowie den Äußerungen und der Grundeinstellung ihrer Funktionsträger entnehmen (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.2009 – 6 A 3/08 − juris Rn. 45; U.v. 13.5.1986 – 1 A 12/82 − juris Rn. 27). Insofern ist die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Gericht diese in Bezug auf die Menschenwürde allein aus Äußerungen abgeleitet hat und in Bezug auf das Demokratieprinzip die Aussagen im Grundsatzprogramm der AfD nicht als ausreichend für die Begründung tatsächlicher Anhaltspunkte erachtet hat.
165
(bb) Die Aussagen reichen in ihrer quantitativen Dichte und inhaltlichen Bedeutsamkeit aus, da die Äußerungen zum einen „in der Breite“ erfolgen, aus verschiedenen Landesverbänden (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen) heraus und vor allem nicht nur von „einfachen“ Mitgliedern, sondern vielmehr von Personen mit herausragender Position bzw. Funktion in der AfD (Bundestagsebenso wie Landtagsabgeordnete, stellvertretender Bundessprecher, Gründungsmitglied der AfD) sowie von Verbänden selbst (Bezirksverband, Kreisverband) herrühren. Gerade aus Äußerungen von Funktionsträgern kann auf deren Grundeinstellung und von dieser auf die verfassungsfeindliche Ausrichtung einer Vereinigung geschlossen werden (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1320 − juris Rn. 37). Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können auch bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten des Personenzusammenschlusses widerspiegelt. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von verfassungsschutzrechtlich irrelevanten oder wertneutralen Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22.09 − juris Rn. 49; VG Köln, U. v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 − juris Rn. 210). Ausreichend ist, dass die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte auf entsprechende Bestrebungen hindeutet, mag auch jeder für sich genommen nicht genügen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22/09 − juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 28.2.2020 − 10 CE 19.2517 − juris Rn. 23).
166
(cc) Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind nicht nur dann gegeben, wenn die betreffende Vereinigung in ihrer Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet (BayVGH, B.v. 30.7.2015 – 10 ZB 15.819 − juris Rn. 44). Vielmehr ist die Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden gerade im Falle eines Richtungsstreits gerechtfertigt, weil nur so festzustellen ist, in welche Richtung sich die Vereinigung bewegt (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 45; BayVGH, B.v. 30.7.2015 − 10 ZB 15.819 − juris Rn. 44; VG Köln, U. v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 212). Dementsprechend sind die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG auch dann erfüllt, wenn Bestrebungen nur von einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei ausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22/09 − juris Rn. 45; VG Köln, U. v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 − juris Rn. 212). Dies kann eine Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden erfordern, da nur so festzustellen ist, in welche Richtung sich die Partei letztlich bewegt. Allein durch die Beobachtung können die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit über den Fortgang der weiteren, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Partei sachkundig und angemessen unterrichtet werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22/09 − juris Rn. 45). In Bezug auf die AfD dient die Beobachtung durch das BayLfV gerade der Klärung der derzeitigen Ausrichtung und Entwicklung der Partei, da die Äußerungen Ausdruck noch offener, parteiinterner Meinungsunterschiede und Richtungskämpfe sind (vgl. zu diesem Kriterium OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 − 2 A 11774/98 − juris Rn. 43; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 − juris Rn. 27).
167
(dd) Das Gericht verkennt bei seiner Gesamtbewertung weder, dass sich die tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegend (lediglich) aus Äußerungen ergeben, noch, dass eine Vielzahl einzelner Äußerungen, die im BfV Gutachten angeführt werden, (noch) nicht die Schwelle für die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte überschreiten dürften. Da die beanstandeten Äußerungen allerdings auch von führenden und das innerparteiliche Geschehen maßgeblich mitbestimmenden Parteimitgliedern stammen, die aufgrund ihrer Funktion bzw. Position auf die weitere Entwicklung der AfD maßgeblich Einfluss nehmen können und das Bild der Partei in der Öffentlichkeit prägen (u.a. Äußerungen im Wahlkampf), liegen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung der Gesamtpartei vor. Durch die Beobachtung kann festgestellt werden, in welche Richtung sich die AfD letztlich bewegt (vgl. NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 − juris Rn. 27).
168
(ee) Zwar kann eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht schon bei „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger angenommen werden (BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42.00, 43.00 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1609 – juris Rn. 56). Die Äußerungen stammen aber beispielsweise von einem stellvertretenden Bundessprecher und verschiedenen Bundestags- und Landtagsabgeordneten und damit von Persönlichkeiten und Einrichtungen, von denen angenommen werden darf, dass sie zumindest Teile der Partei repräsentieren und Mitglieder und Wähler an die Partei binden sollen, die mit ihren Auffassungen übereinstimmen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22/09 − juris Rn. 54). Zudem sind die menschenwürdeverletzenden ebenso wie die demokratiefeindlichen Äußerungen insgesamt zu zahlreich und von zu unterschiedlicher Herkunft, um als Einzelmeinungen abgetan zu werden, auch wenn sie nicht von der gesamten Parteiführung ausgehen.
169
(ff) Es liegen auch keine hinreichenden Indizien („entlastende Gesichtspunkte“) vor, die die dargestellten Äußerungen entkräften könnten, und damit gegen das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sprechen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1609 − juris Rn. 56).
Insbesondere rein formale Bekenntnisse sind für eine Entlastung nicht ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.1993 − 5 CE 93.2327 − juris Rn. 23), sodass etwa das uneingeschränkte Bekenntnis zur Religionsfreiheit im Grundsatzprogramm der AfD (S. 48) die aus den Agitationen gegenüber Muslimen abgeleitete rechtliche Wertung ebenso wenig wie das im Verfahren von der Antragstellerin betonte bedingungslose Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung die rechtliche Gesamtbewertung im Ergebnis zu ändern vermag.
170
(gg) Zwar macht das BayVSG keine Vorgaben, wie aktuell Erkenntnisse sein müssen, damit Maßnahmen des Verfassungsschutzes auf sie gestützt werden können, jedoch ist der zeitliche Aspekt bei der Bewertung und Gewichtung der Anhaltspunkte zu berücksichtigen, wobei davon auszugehen ist, dass der Aussagewert umso geringer sein dürfte, je weiter Anhaltspunkte in der Vergangenheit liegen (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 28; VG Hamburg, B.v. 23.8.2021 – 17 E 2904/21 − beck online Rn. 35). Auch soweit die vorliegend zitierten, vom Antragsgegner in das Verfahren eingeführten Äußerungen im BfV Gutachten mit Stand 22. Februar 2021 enthalten sind und damit aus den Jahren 2018 bis 2021 stammen, entfalten sie immer noch aktuelle Relevanz. Die jeweiligen Redner sind nach öffentlich zugänglichen Quellen größtenteils noch Mitglieder der AfD und in besonderen Funktionen. Zudem wurden vom Antragsgegner auch Erkenntnisse des BayLfV eingeführt, die Äußerungen aus den Jahren 2021 und 2022 betreffen, sodass deutlich wird, dass es durchaus auch in jüngerer Vergangenheit entsprechende Äußerungen gegeben hat.
171
(hh) Zu berücksichtigen ist bei der Gesamtbewertung der Aussagen zudem die für die Beobachtung aus offenen Quellen bestehende Eingriffsschwelle des Vorliegens tatsachlicher Anhaltspunkte (vgl. VG München, B.v. 27.7.2017 − M 22 E 17.1861 − juris Rn. 61; U.v. 16.10.2014 − M 22 K 14.1663 − juris Rn. 54). Die Voraussetzungen für eine bloße Beobachtung als erste staatliche Reaktion müssen der Verfassungsschutzbehörde die Erfüllung ihrer Aufgabe als „Frühwarnbehörde“ gerade ermöglichen (vgl. VG München, U.v. 16.10.2014 − M 22 K 14.1663 − juris Rn. 55).
172
(ii) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin, dass der Antragsgegner allein wegen der Nichtvorlage einer vollständigen und sortierten Behördenakte das Eilverfahren verlieren müsse, wirkt sich dies lediglich auf die gerichtliche Würdigung und Bewertung der vom Antragsgegner vorgelegten Belege aus (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. A. 2021, § 99 Rn. 7, § 108 Rn. 17). Die Antragstellerin ist unter Berufung auf das Recht auf prozessuale Waffengleichheit und den Anspruch auf rechtliches Gehör der Auffassung, sie müsse die vollständige und sortierte Akte des Antragsgegners einsehen und prüfen können, um substantiiert vortragen zu können. Der Antragstellerin ist darin zuzustimmen, dass erst ein Gesamtüberblick eine Gesamtbewertung ermöglicht. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass die vom Antragsgegner vorgelegten Aktenbestandteile für das Eilverfahren einen Gesamtüberblick verschaffen, der auch eine Gesamtbewertung ermöglicht. Auch bei Berücksichtigung des Umstands zu Lasten des Antragsgegners, dass keine vollständige und sortierte Akte vorgelegt wurde, erachtet das Gericht die vorgelegten Belege im Eilverfahren als eine tragfähige Grundlage für die Beurteilung des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, zumal es der Antragstellerin unbenommen geblieben ist, (weitere) entlastende Tatsachen einzuführen bzw. entlastende Umstände vorzutragen (vgl. hierzu VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 − 9 B 273/21 − juris Rn. 80). Da der Antragstellerin sämtliche vorgelegten Aktenbestandteile und Schriftsätze übermittelt und hierdurch Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, wurde ihr Recht auf Chancengleichheit gewahrt und ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör Genüge getan.
173
(4) Tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen liegen auch in Bezug auf die Antragstellerin vor, da ihr die dargestellten Äußerungen mangels Distanzierung (c) auch zurechenbar sind, soweit sie von anderen Landesverbänden bzw. deren Mitgliedern stammen (a), ohne dass es hierfür – im vorliegenden Fall jedoch ohnehin vorliegender − landesspezifischer Anhaltspunkte bedürfte (b).
174
(a) Der Landesverband einer politischen Partei muss sich Äußerungen von Repräsentanten derselben Partei auf Bundesebene entgegenhalten lassen, da davon auszugehen ist, dass beide organisatorische Einheiten einer auf Bundesebene tätigen Partei denselben ideologischen Hintergrund haben und diesen zum Ausdruck bringen (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2018 − 10 ZB 15.795 − juris Rn. 17 f.; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 − 11 L 87/00 − juris Rn. 22; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 − 2 A 11774/98 − juris Rn. 21; VG Berlin, U.v. 31.8.1998 − 26 A 623.97 − juris Rn. 30). Aus dem gleichen Grund können auch Äußerungen anderer Landesverbände herangezogen werden (vgl. OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 − 2 A 11774/98 − juris Rn. 22; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 − 11 L 87/00 − juris Rn. 22; VG Berlin, U.v. 31.8.1998 − 26 A 623.97 − juris Rn. 30). Die Untergliederung einer Partei in Landes-, Bezirks- und Kreisverbände ist allein organisatorischer Art, sodass hiermit grundsätzlich keine programmatische Differenzierung einhergeht (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.1993 − 5 CE 93.2327 − juris Rn. 21; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 − 11 L 87/00 − juris Rn. 22; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 − 9 B 273/21 MD − juris Rn. 30). Das Verfassungsschutzrecht geht bei der Betrachtung von Vereinigungen mit räumlich untergliederter Organisationsstruktur von einer gegenseitigen Zurechenbarkeit verfassungsfeindlicher Verdachtsmomente aus (zur Zurechenbarkeit vom Landeszum Bundesverband einer Vereinigung vgl. auch VG München, U.v. 16.10.2014 − M 22 K 14.1663 − juris Rn. 41; zudem Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 179). Dass den Landesverbänden Satzungs-, Finanz- und Personalautonomie zukommt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Bundessatzung der AfD), steht dem schon aufgrund der Einflussnahmemöglichkeit des Bundesverbands auf die einzelnen Landesverbände (zu diesem Kriterium BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 15.795 − juris Rn. 18; vgl. § 8 Bundessatzung der AfD) nicht entgegen. Darüber hinaus ist auch keine hinreichende programmatische Differenzierung der Antragstellerin von der Gesamtpartei erkennbar (vgl. zu diesem Kriterium VG Berlin, U.v. 31.8.1998 − 26 A 623.97 − juris Rn. 30). Auch wenn der Antragstellerin keine Möglichkeit zukommen sollte, z.B. durch Ordnungsmaßnahmen, gegen Mitglieder anderer Landesverbände vorzugehen, stünde dies einer Zurechnung nicht entgegen. Denn es besteht für die Antragstellerin durchaus die Möglichkeit, sich von einzelnen Äußerungen von Mitgliedern anderer Landesverbände deutlich zu distanzieren.
175
(b) Landesspezifische tatsächliche Anhaltspunkte in Bezug auf verfassungsfeindliche Bestrebungen der Antragstellerin sind zwar nicht erforderlich – die von der Antragstellerin herangezogene Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (HessVGH, B.v. 3.3.2021 – 7 B 190/21 – juris Rn. 29) ist schon aufgrund der nicht vergleichbaren Fallkonstellation nicht einschlägig, als es dort um tatsächliche Aspekte (Angaben zur Zahl der Angehörigen des „Flügels“ in Hessen) und nicht um Zurechnungsfragen geht − liegen jedoch ohnehin vor.
176
(aa) Die Wertung der menschenwürdefeindlichen Zielrichtung der AfD lässt sich – wie dargestellt – insbesondere auch auf Aussagen von Mitgliedern der Antragstellerin stützen: … …, erster stellvertretender Vorsitzender des AfD-Bezirksverbands Oberfranken und Vorsitzender des AfD Kreisverbands D und … …, Beisitzer des Landesvorstands Bayern und Mitglied des Stadtrats … für die AfD. Auch … … war vor seinem Tod Mitglied der Antragstellerin. Für die demokratiefeindliche Ausrichtung der AfD lassen sich ebenfalls Äußerungen von Personen, die – zumindest zum Zeitpunkt ihrer Äußerungen – Mitglieder der Antragstellerin waren, anführen: … …, zum damaligen Zeitpunkt stellvertretender Kreisvorsitzender des AfD Kreisverbands H sowie … … …, zum damaligen Zeitpunkt Vorsitzender des Kreisverbands H, und … … …, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des AfD Kreisverbands L und Kandidat der AfD für die Landtagswahl 2018.
177
(bb) Diese Äußerungen sind der Antragstellerin auch zurechenbar.
178
(aaa) Zwar wurden die Veranstaltungen, auf denen die Äußerungen … erfolgten, nicht von der Antragstellerin oder einer ihrer Untergliederungen angemeldet, sondern vielmehr von ... und … … Auch wenn die Antragstellerin darauf hinweist, dass die Anmeldung der Veranstaltungen durch die drei als Privatpersonen erfolgte, sind die Äußerungen … der Antragstellerin gleichwohl zurechenbar. Denn zum einen bewirbt – worauf der Antragsgegner im Verfahren hingewiesen hat – … entsprechende Veranstaltungen regelmäßig auf der F. Präsenz „… … – AfD“, betrieben von ihm als „AfD-Kreis- und Stadtrat in …, Stellv. Vorsitzender AfD KV H“. Zum anderen bestehen auch Beziehungen von … … und … … zur Antragstellerin: Laut einem F. Post des „AfD KV H“ vom 3. Februar 2020 war … … „AfD-Landratskandidat Landkreis …“ und … … laut der Homepage des AfD Kreisverbands M dessen Erster Vorsitzender.
179
(bbb) Das Gericht verkennt nicht, dass gegen … ein Parteiausschlussverfahren betrieben wurde und er zwischenzeitlich kein Mitglied der AfD mehr ist und für diese auch kein Mandat mehr innehat. Eine Äußerung kann einer Partei jedoch auch dann noch zugerechnet werden, wenn die äußernde Person zwischenzeitlich nicht mehr Mitglied der Partei ist – sei es, weil sie diese freiwillig verlassen hat oder weil sie diese verlassen musste (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 − juris Rn. 51; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 − 2 A 11774/98 − juris Rn. 55; VG München, U.v. 16.10.2014 − M 22 K 14.1663 − juris Rn. 82) – da die Zugehörigkeit zur Partei zumindest im Zeitpunkt der Äußerung (noch) bestand.
180
(ccc) Da die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (vgl. VG München, B.v. 27.7.2017 – M 22 E 17.1861 − juris Rn. 48; U.v. 16.10.2014 − M 22 K 14.1663 – juris Rn. 45; VG Köln, U.v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − Rn. 151 ff.), steht einer Heranziehung der Äußerungen von … (20. September und 4. Oktober 2022) und … … (19. November 2022) auch nicht entgegen, dass die Beobachtung der Antragstellerin durch den Antragsgegner zum Zeitpunkt der Äußerungen bereits erfolgte, d.h. die Aussagen bei dem Entschluss, die Beobachtung aufzunehmen, noch keine Berücksichtigung finden konnten. Bei einer Beobachtung ergibt sich aus dem materiellen Recht gerade kein von diesem Grundsatz abweichender Zeitpunkt, da es – anders als etwa bei der Veröffentlichung eines Verfassungsschutzberichts (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 33, VG München, U.v. 17.12.2020 − M 30 K 18.5358 − juris Rn. 48 f.) − keinen festen Stichtag gibt, auf den die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde zu beziehen sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf Überwachungsmaßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz (G 10) (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1990 − 1 C 12/88 − juris Rn. 27), der schon eine andere prozessuale Konstellation zugrunde lag.
181
Demzufolge können auch Äußerungen, die keinen Einfluss auf die Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 haben konnten, insbesondere weil sie erst danach getätigt wurden, berücksichtigt werden. Gleiches gilt für etwaige Distanzierungen und Ordnungsmaßnahmen.
182
(c) Solche stehen der Zurechenbarkeit auch nicht entgegen.
183
(aa) Zwar kann der Zurechnungszusammenhang – trotz einheitlicher Organisation – wie bereits im Beschluss vom 25. Oktober 2022 ausgeführt wurde (vgl. VG München, B.v. 25.10.2022 – M 30 E 22.4913 − juris Rn. 27), durch nachhaltige Distanzierungen unterbrochen werden (vgl. zudem VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 208/20 – juris Rn. 458 ff.; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 112 f.). Solche Distanzierungen wären der Antragstellerin prinzipiell möglich – sei es in Form einer Distanzierung von Äußerungen eigener Mitglieder oder von Mitgliedern anderer Landesverbände oder in Form von parteiinterner Gremienarbeit, die z.B. dazu beiträgt, dass entsprechende Äußerungen nicht mehr erfolgen.
184
(bb) Die durch die Antragstellerin eingeleiteten Ordnungsmaßnahmen gegen …, … und … … können zwar grundsätzlich als Indiz für eine Distanzierung gewertet werden. Dies ist allerdings im konkreten Fall nicht ausreichend, um das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte entfallen zu lassen. Wenn das Erfordernis, sich von Aussagen zu distanzieren, Ausdruck eines Richtungsstreits innerhalb einer Partei ist, in der jedenfalls auch Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorhanden sind, führt die Distanzierung von einzelnen Äußerungen noch nicht dazu, dass davon ausgegangen werden kann, der Richtungsstreit wäre hierdurch bereits beigelegt und es stehe fest, in welche Richtung sich die Partei letztlich entwickelt, mit der Folge, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz daher ggf. nicht mehr angezeigt wäre (vgl. dazu, dass die Einleitung von Ordnungsmaßnahmen ebenso wie das Ausscheiden aus einer Organisation gerade auch Ausdruck eines Richtungsstreits sein kann, in dessen Fall die Verfassungsschutzbehörde gerade befugt ist, die weitere Entwicklung innerhalb der Vereinigung zu beobachten OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 – 2 A 11774/98 − juris Rn.69; VG München, U.v. 16.10.2014 − M 22 K 14.1663 − juris Rn. 82). Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Distanzierung von den beiden letztgenannten Personen – wie vom Antragsgegner vorgetragen – (nur) angesichts des anhängigen Gerichtsverfahrens und damit aus prozesstaktischen Gründen erfolgte, um eine weitere Beobachtung durch den Antragsgegner zu verhindern (vgl. hierzu VG Köln, U. v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 934). Zugleich kommt es damit nicht darauf an, dass die Antragstellerin selbst einräumt, von den Aussagen … erst durch den Schriftsatz des Antragsgegners im hiesigen Verfahren und damit letztlich erst infolge der Beobachtung erfahren zu haben.
185
(cc) Im Übrigen würden die aufgezeigten tatsächlichen, landesspezifischen Anhaltspunkte in Bezug auf die Geltung der Menschenwürde von Muslimen durch Aussagen von Mitgliedern der Antragstellerin, die vor dem 21. Juni 2022 erfolgten und von denen sich die Antragstellerin nicht distanziert hat, ausreichen.
186
(5) Als Rechtsfolge des Vorliegens der Voraussetzungen von Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG ergibt sich gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayVSG die Sammlung und Auswertung und damit eine offene Beobachtung durch das BayLfV.
187
Eine weitergehende Auseinandersetzung mit der Vielzahl an in das Verfahren eingeführten Äußerungen, die das BfV bzw. das BayLfV als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen wertet, bedarf es folglich nicht (mehr). Dabei ist herauszustellen, dass die vorgelegten Unterlagen durchaus auch Äußerungen enthalten, denen noch keine verfassungsschutzrechtliche Relevanz zukommt, aber auch weitere tatsächliche Anhaltspunkte. Eine umfassende Darstellung ist insoweit nicht geboten.
188
Ob sich auch aus dem Volksverständnis der AfD (vgl. hierzu eingehend VG Köln, U. v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 216 ff., 543 ff., 841 ff.), aus der Nähe zu anderen Organisationen (z.B. Identitäre Bewegung), der Bewertung der Jungen Alternative in Bayern (JA Bayern), der Jugendorganisation der Antragstellerin (vgl. § 23 Abs. 1 Satzung des Landesverbands Bayern der AfD) durch das BayLfV oder aus Aktivitäten zur Vernetzung ehemaliger Anhänger des formal aufgelösten „Flügel“ tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ergeben, bedarf ebenso wenig einer Erörterung durch das Gericht.
189
Gleiches gilt für die Frage, ob sich aus der Agitation der AfD gegenüber Ausländern, Asylsuchenden und Menschen mit Migrationshintergrund und aus Äußerungen in Bezug auf den Islam neben tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die Menschenwürde (s.o.) auch verfassungsschutzrelevante tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen hinsichtlich der grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG ergeben (vgl. zu diesen Themenkomplexen VG Köln, U. v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 388 ff., 487 ff., 667 ff.). Die vom Gericht herangezogenen Äußerungen und deren Subsumtion unter die Menschenwürde und das Demokratieprinzip waren durch die Ausführungen in der Beobachtungserklärung des BayLfV und das eingeführte BfV Gutachten sowie durch den eingeführten, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln (Az. 13 L 105/21) entstammenden Schriftsatz des AfD Bundesverbands vom 17. Juni 2021 Gegenstand des hiesigen Verfahrens.
190
(6) Gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler (vgl. § 114 Satz 1 VwGO), insbesondere in Form eines Ermessensnichtgebrauchs, liegen hinsichtlich der Entscheidung, die Antragstellerin zu beobachten, nicht vor.
191
(a) Zwar kommt dem BayLfV bezüglich der Erfüllung seiner Aufgaben aus Art. 3 BayVSG kein Ermessen zu, allerdings räumt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 BayVSG dem BayLfV Ermessen in Bezug auf das „ob“ einer konkreten Maßnahme (Entschließungsermessen) sowie Ermessen in Bezug auf die Frage der Auswahl des anzuwendenden Mittels (Auswahlermessen) ein (vgl. Lindner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 21. Edition 15.1.2023, BayVSG, Art. 5 Rn. 40).
192
(b) Ein gerichtlich überprüfbarer Ermessensnichtgebrauch liegt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht vor. Anders als die Antragstellerin meint, hat der Antragsgegner sich nicht lediglich deshalb zur Beobachtung der AfD entschlossen, weil diese auch durch das BfV beobachtet wird. Zwar wird in der Pressemitteilung vom 8. September 2022 dargestellt, dass das BayLfV die Beobachtung aufgrund der Entscheidung des BfV aufgenommen habe und in der Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 ausgeführt, dass der Beobachtungsauftrag in Bayern aufgrund der bundesweiten Erkenntnisse des BfV und der übrigen Landesämter für Verfassungsschutz eröffnet sei (vgl. Beobachtungserklärung BayLfV v. 21.6.2022, S. 16). Allerdings wird aus der Beobachtungserklärung deutlich, dass und inwieweit verschiedene Vorgänge in Bayern das BayLfV zur Aufnahme der Beobachtung bewogen haben. Darüber hinaus gibt das BayLfV in der Beobachtungserklärung verschiedene Aussagen wieder, die das BayLfV als verfassungsschutzrechtlich relevant einstuft (a.a.O., S. 10 f.).
Aufgrund dieser Erkenntnisse kommt das BayLfV in der Beobachtungserklärung zu dem Schluss, dass die innere Zerrissenheit der AfD als Gesamtpartei, parteiinterne Flügelkämpfe bzw. eine Annäherung an extremistische Gruppierungen innerhalb der AfD als Gesamtpartei zum Zweck der Feststellung, welchen nennenswerten Einfluss Extremisten haben und in welche Richtung sich die AfD als Gesamtpartei letztlich entwickelt, eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigt und aufzuklären ist, welchen Einfluss verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Personen, Teilorganisationen und der AfD in Bayern insgesamt auf die künftige Entwicklung der AfD in Bayern und damit auch der AfD als Gesamtpartei haben (a.a.O., S. 17).
193
(7) Schließlich steht auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 BayVSG) einer Beobachtung der Antragstellerin mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung nicht entgegen.
194
(a) Die Beobachtung der Antragstellerin durch das BayLfV aus allgemein zugänglichen Quellen ist geeignet, weiter abzuklären, welchen Einfluss verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Personen und Teilorganisationen sowie der AfD in Bayern insgesamt auf die künftige Entwicklung der AfD in Bayern und damit auch der AfD als Gesamtpartei haben. Die Beobachtung im Wege der Auswertung offener Quellen ist auch erforderlich, da sie das mildeste Mittel im Rahmen der Beobachtung darstellt (Art. 6 Abs. 1 BayVSG). Die Beobachtung der Antragstellerin in dem bislang praktizierten Umfang steht auch nicht erkennbar außer Verhältnis zum beabsichtigten Erfolg (Art. 6 Abs. 2 BayVSG), ist also auch angemessen.
195
(b) Anders als die Antragstellerin meint, darf der Antragsgegner nicht nur diejenigen Einzelpersonen beobachten, für die tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Die Zulässigkeit der Erhebung von Informationen mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung über eine Person, die Mitglied eines Personenzusammenschlusses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG ist, hängt nicht von ihren individuellen und subjektiven Beiträgen oder ihrer intentionalen Beteiligung an Handlungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG verlangt keine Voraussetzungen, die über die Mitgliedschaft in dem Personenzusammenschluss hinausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22/09 − juris Rn. 66).
196
(c) Zudem resultiert eine Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung nicht daraus, dass jedes einzelne der Mitglieder der Antragstellerin tatsächlich vom BayLfV beobachtet würde. Dagegen, dass eine derart umfassende Beobachtung vorgenommen würde, sprechen bereits die in der Beobachtungserklärung (Beobachtungserklärung BayLfV v. 21.6.2022, S. 18) in Bezug genommenen Ausführungen im BfV Gutachten (S. 975 f.) zu den Aufklärungszielen der Beobachtung. Aus diesen geht hervor, dass die Zielrichtung der Beobachtung insbesondere auf die Entwicklung und den Einfluss jener Teile der Partei zu fokussieren ist, von denen extremistische Bestrebungen ausgehen oder die eine Zusammenarbeit mit eben jenen Kräften anstreben, also letztlich einen individuellen Verantwortungsbezug zu den Bestrebungen aufweisen, die Auswahl der zu beobachtenden Personen also nach diesen Kriterien erfolgt. Die übrigen Teile der Partei sind demnach zwar grundsätzlich ebenfalls von der Beobachtung erfasst, aber nur insoweit wie dies zur Aufklärung der extremistischen Bestrebungen erforderlich ist. Das BayLfV hat überdies im laufenden Verfahren nochmals klargestellt, dass nicht jedes einzelne Mitglied der Antragstellerin bzw. der Gesamtpartei AfD der Beobachtung unterliegt, sondern einzelne Mitglieder nur beobachtet werden, wenn dies erforderlich ist (vgl. Stellungnahme BayLfV v. 20.10.2022, S. 2). Insofern realisiert sich auch nicht die von der Antragstellerin als nicht hinnehmbar geschilderte Gefahr eines Handelns des Antragsgegners als „Datenkrake“.
197
(d) Eine Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung ergibt sich auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Umfangs nicht.
198
(aa) Eine zeitliche Begrenzung der Bearbeitung als Prüfffall sieht das BayVSG – anders als etwa § 8 Abs. 2 Satz 2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) i.d.F. d. Bek. vom 2. August 2021 (Nds. GVBl. S. 564) mit einer Begrenzung der „Verdachtsgewinnungsphase“ auf ein Jahr − nicht vor. In Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist zu bestimmen, ob bzw. wann die Prüfphase beendet werden muss. Diese Frage stellt sich jedoch nur, wenn keine Tatsachen vorliegen bzw. neu hinzutreten, die die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen rechtfertigen. Ansonsten bliebe es dem Verfassungsschutz nach einem gewissen Zeitraum „unauffälligen“ Verhaltens verwehrt, seine Aufgabe der Sammlung und Auswertung von Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen (Art. 3 Satz 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG) zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu erfüllen, was angesichts dessen hohen Stellenwerts nicht hinzunehmen wäre. Angesichts der hier vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte kommt es damit auf die Dauer der Prüfphase letztlich nicht an. Zugleich ist eine Radikalisierung der Antragstellerin damit nicht Voraussetzung für die Beobachtung durch das BayLfV.
199
(bb) Eine Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung resultiert auch nicht daraus, dass die Äußerungen, auf die die Beobachtung gestützt wird, vor zu langer Zeit getätigt worden wären. Zwar steht eine weitere Beobachtung auch unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität außer Verhältnis zum Zweck der Beobachtung, wenn sich in den letzten Jahren keine Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen mehr ergeben haben, wobei hierunter ein Zeitraum von etwa drei Jahren gefasst wurde (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2020 − 10 CE 19.2517 − juris Rn. 28). Diese zeitliche Begrenzung wird vorliegend gewahrt, da auch Äußerungen aus den Jahren 2021 und 2022 zur Begründung der tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogen wurden.
200
Etwas anderes gilt auch nicht angesichts des von der Antragstellerin angeführten Beschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin (vgl. VG Berlin B.v. 28.5.2020 – VG 1 L 97/20 − beck online Rn. 32), wonach die Verhältnismäßigkeit eine kürzere Zeitspanne (zwei Jahre) voraussetze. Zum einen werden die zwei Jahre vom VG Berlin nicht als – im Übrigen mit dem Prinzip der streitbaren Demokratie unvereinbare (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1999 − 1 C 30/97 − juris Rn. 34) – absolute Obergrenze erachtet, da aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin lediglich folgt, dass jedenfalls von einer kurzen Zeitspanne auszugehen ist, wenn die letzten Anknüpfungstatsachen noch nicht mehr als zwei Kalenderjahre zurückliegen. Zum anderen bezieht sich die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin auf einen Verfassungsschutzbericht, bei dem es aufgrund dessen wiederkehrender Veröffentlichung und der damit einhergehenden höheren Aktualität angebracht erscheint, in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit eine kürzere Zeitspanne anzusetzen als bei der Beobachtung als kontinuierlichem Vorgang. Selbst falls man gleichwohl einen zeitlichen Maßstab von zwei Jahren ansetzen wollte, wäre dieser gewahrt, da insofern an die letzten vorliegenden Tatsachen anzuknüpfen ist und diese hier in den Äußerungen von … … am 19. November 2022 zu sehen sind.
201
(cc) Von einer „Dauerbeobachtung“, deren Verhältnismäßigkeit insbesondere beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel besonders kritisch zu hinterfragen ist (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1999 − 1 C 30/97 − juris Rn. 34), ist bisher ebenfalls noch nicht auszugehen, da hierfür vorauszusetzen wäre, dass sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte nicht bestätigt hat und die für eine Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind oder sich herausstellen würde, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Verfassungsfeindlichkeit einer Bestrebung durch zwischenzeitliche Entwicklungen in dem Personenzusammenschluss überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet geworden sind (BVerwG, U.v. 7.12.1999 − 1 C 30/97 − juris Rn. 34; VG Köln, U. v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 − juris Rn. 961 ff.). Diese Voraussetzungen werden hier angesichts der noch nicht übermäßig lang währenden Beobachtung durch das BayLfV und den als aktuell zu bewertenden Belegen des BayLfV zu Äußerungen im Herbst 2022 nicht erfüllt.
202
(e) Die Beobachtung der Antragstellerin als Landesverband einer politischen Partei ist auch unter Berücksichtigung der Betätigungsfreiheit und Chancengleichheit politischer Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) sowie des Entscheidungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts über das Verbot politischer Parteien (Art. 21 Abs. 2, 4 GG) nicht unverhältnismäßig.
203
Das Grundgesetz gibt auch für politische Parteien den äußeren Rahmen für die Willensbildung im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG vor, es ist mithin auch für sie veränderungsfeindlich (Art. 79 Abs. 3 GG). Das bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Parteienfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 GG und dem Prinzip der streitbaren bzw. wehrhaften Demokratie ist daher dahingehend aufzulösen, dass die offene Beobachtung einer politischen Partei grundsätzlich zulässig ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen und die Beobachtung auch im Einzelfall verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1999 – 1 C 30/97 − juris Rn. 19 ff.; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 − 9 B 273.21 MD − juris Rn. 83).
204
Zwar darf die mit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz einhergehende Gefahr einer politischen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes nicht aus dem Blick gelassen werden, insbesondere angesichts der im Oktober stattfindenden Landtagswahlen. Da aber die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Antragstellerin vorliegen, verfängt der Vorhalt der Antragstellerin, dass die Beobachtung allein politisch motiviert sei, nicht. Auch die anstehenden Landtagswahlen führen nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung, da die gerade im Hinblick auf die anstehenden Wahlen negativen Auswirkungen auf die Antragstellerin vor allem aus der Bekanntgabe der Beobachtung herrühren. Der in der Beobachtung liegende Eingriff in die Rechte der Antragstellerin ist angesichts der Aufgabe des Verfassungsschutzes, im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Informationen über verfassungsfeindliche Gruppierungen zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise entgegenzuwirken (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 7.12.1999 − 1 C 30/97 − juris Rn. 27), von ihr hinzunehmen.
205
(f) Zudem geht das Gericht mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon aus, dass der Antragsgegner die besonderen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Beobachtung von Abgeordneten und Mandatsträgern wahrt.
206
An die Verhältnismäßigkeit der Beobachtung von Abgeordneten sind angesichts des darin liegenden Eingriffs in das freie Mandat der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, bei Landtagsabgeordneten Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 GG bzw. Art. 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2013 − 2 BvE 6/08, 2 BvR 2436/10 − juris Rn. 118 ff.). Auch bei kommunalen Mandatsträgern sind besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Beobachtung zu stellen, da auch sie sich über Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG auf die freie Mandatsausübung berufen können (vgl. BVerwG, U.v. 27.3.1992 − 7 C 20/91 − juris Rn. 9; VG München, B.v. 27.11.2019 – M 30 E 19.1368 – juris Rn. 45). Aus den Ausführungen in der Beobachtungserklärung (vgl. Beobachtungserklärung BayLfV v. 21.6.2022, S. 16 f.) wird deutlich, dass sich der Antragsgegner dieser besonderen Maßstäbe bewusst ist. Anhaltspunkte, dass diese Maßstäbe nicht berücksichtigt würden, sind nicht ersichtlich.
207
(g) Die Beobachtung der Antragstellerin ist auch insoweit verhältnismäßig, als sich der Antragsgegner trotz der zwischenzeitlichen Aufstellung nicht dazu geäußert hat, ob und inwieweit Wahlbewerberinnen und -bewerber, also Kandidatinnen und Kandidaten der Antragstellerin für die Landtagswahl, von der Beobachtung ausgenommen werden. Anders als die Antragstellerin meint, gelten die aus dem freien Mandat (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 GG bzw. Art. 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) abzuleitenden, strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz nur für Abgeordnete. Denn das freie Mandat setzt den Erwerb des Abgeordnetenstatus und damit den Erwerb der Mitgliedschaft im Parlament voraus (vgl. Risse/Witt in Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 38 Rn. 19 f.; Magiera in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 52 ff.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dessen Entscheidung sich bereits dem Wortlaut nach nur auf Abgeordnete bezieht. Die strengen Anforderungen an die Beobachtung von Abgeordneten werden darin zudem damit begründet, dass der Abgeordnete durch das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in ein öffentliches Amt berufen wurde und als Vertreter des gesamten Volkes einen repräsentativen Status innehat. Aufgrund dieses Status soll durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG die Willens- und Entscheidungsbildung der Abgeordneten geschützt werden. Voraussetzung hierfür ist wiederum der besondere Schutz der Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und den Wählerinnen und Wählern vor gezielter staatlicher Beeinflussung und staatlicher Abschreckung (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2013 − 2 BvE 6/08, 2 BvR 2436/10 − juris Rn. 93 f.). Da Wahlbewerberinnen und -bewerber nicht wie tatsächlich gewählte Abgeordnete als Verbindungsglied zwischen Bürgern und Parlament fungieren und ihre Meinungen und Interessen in die politische Willensbildung des Parlaments einfließen lassen können (zu diesen Aspekten BVerfG, B.v. 17.9.2013 – 2 BvE 6/08, 2 BvR 2436/10 − juris Rn. 96 f.) kommt Wahlbewerberinnen und -bewerbern der Schutz des freien Mandats aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 GG bzw. Art. 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV noch nicht zu. Wahlbewerberinnen und -bewerber können sich allerdings ebenso wie politische Parteien auf das Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 21 Abs. 1 GG bzw. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) berufen (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.2009 − 2 BvC 2/06 − juris Rn. 84). Dies hat zur Folge, dass die bereits für politische Parteien dargestellten Maßstäbe für die Verhältnismäßigkeit der Beobachtung gelten, die jedoch gewahrt wurden.
208
(h) Zu berücksichtigen ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit daneben, dass die Gesamtpartei AfD und hierüber womöglich auch die Antragstellerin selbst durch das BfV beobachtet wird. Gleichzeitig wird die Antragstellerin auch vom BayLfV beobachtet, auch wenn formal die Gesamtpartei Beobachtungsobjekt des BayLfV ist. Gleichartige Grundrechtseingriffe durch mehrere Hoheitsträger erhöhen die Eingriffswirkung und relativieren sich nicht gegenseitig (vgl. VG München, B.v. 25.10.2022 – M 30 E 22.4913 − juris Rn. 39). Die höhere Intensität des Eingriffs ist dem Aufbau des Verfassungsschutzverbundes geschuldet, der neben dem jeweils zuständigen Landesamt in bestimmten Fällen, wie etwa bei Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, die sich über den Bereich eines Landes hinaus erstrecken (§ 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG), auch dem BfV eigene Befugnisse verleiht (vgl. zur Zuständigkeit mehrerer Verfassungsschutzbehörden Gusy in Dietrich/Eifler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, IV § 1 Rn. 51). Gerechtfertigt ist die höhere Intensität des Eingriffs durch die hohe Bedeutung des Schutzes vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen, dessen Wirksamkeit sichergestellt werden muss. Gerade bei Bestrebungen, die sich über den Bereich eines Landes hinaus erstrecken, trägt die Zuständigkeit der ortsnahen und -kundigen Landesbehörde neben der Zuständigkeit des BfV, das zentral Erkenntnisse auswertet (§ 5 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG) und die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden koordiniert (§ 5 Abs. 3 BVerfSchG), hierzu bei.
209
(i) Die Aufnahme der Beobachtung der Antragstellerin aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist auch unter dem Gesichtspunkt verhältnismäßig, dass es künftig grundsätzlich zum Einsatz verdeckter nachrichtendienstlicher Mittel kommen kann (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayVSG). Zum einen besteht kein Automatismus dafür, dass diese im Falle einer offenen Beobachtung auch zum Einsatz kommen (vgl. VG Köln, U. v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 964). Zum anderen enthalten Art. 9 ff. BayVSG für besonders eingriffsintensive nachrichtendienstliche Mittel spezielle tatbestandlichen Voraussetzungen. Auch soweit Art. 9 ff. BayVSG nicht anwendbar sind (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayVSG), greifen mit Art. 8a, Art. 8b BayVSG zusätzliche Schutzmechanismen. Überdies ist auch für die Entscheidung, ob ein nachrichtendienstliches Mittel Anwendung findet oder nicht eine offene Informationserhebung nach Art. 5 Abs. 1 BayVSG ausreicht, ebenso wie für die Auswahl des konkret einzusetzenden nachrichtendienstlichen Mittels der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgebend (vgl. Lindner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 21. Edition 15.1.2023, BayVSG, Art. 8 Rn. 18). Insgesamt führt die generelle Möglichkeit des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel folglich nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung der Antragstellerin mit offenen Mitteln (vgl. VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 − juris Rn. 964). Einer näheren Betrachtung der Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel (nach Maßgabe von BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris) bedarf es vorliegend nicht (siehe oben).
210
cc. Der Antragstellerin steht daher weder ein Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung (Ziffer 1a. des Antrags), noch ein Anspruch auf Richtigstellung, dass die Beobachtung rechtswidrig gewesen sei (Ziffer 5. des Antrags) und folglich auch keine Androhung von Ordnungsgeld (Ziffer 2. des Antrags) zu.
211
Das Gericht trifft trotz der hierauf bezogenen Anträge vorliegend keine Entscheidung in Bezug auf die Einordnung, Behandlung, Prüfung und Führung der Antragstellerin als sogenannter Verdachtsfall, da ein Verdachtsfall nach der bayerischen Rechtslage keine ausdrückliche gesetzliche Kategorie darstellt (vgl. hierzu schon VG München, B.v. 25.10.2022 − M 30 E 22.4913 − juris Rn. 33), auch wenn dieser Begriff in der Praxis durchaus gebräuchlich ist (vgl. nur Warg in Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, V § 1 Rn. 19 ff.). Ein Verdachtsfall liegt nach herkömmlichem Verständnis vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen (vgl. Warg in Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, V § 1 Rn. 19). In diesem Fall ist das BayLfV befugt, die Beobachtung aufzunehmen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayVSG i.V.m. Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs, 1 Satz 1 BayVSG, § 3 Abs. 1, § 4 BVerfSchG; vgl. zum Thema Verdachtsberichterstattung BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 26).
212
b. Auch der geltend gemachte Unterlassungsanspruch hinsichtlich einer öffentlichen Bekanntgabe, dass die Antragstellerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird (Ziffer 1b. des Antrags), sowie ein Anspruch in Bezug auf die veröffentlichte Pressemitteilung des BayLfV (Ziffer 3. des Antrags) bestehen nicht. Daher kommen auch die geltend gemachten (Folgenbeseitigungs-)Ansprüche auf Löschen der Berichterstattung (Ziffer 3. des Antrags) und Richtigstellung (Ziffern 6. und 7. des Antrags) nicht in Betracht.
213
aa. Zwar lässt sich ein Anspruch auf Unterlassen der Bekanntgabe einer Beobachtung aus grundgesetzlich geschützten Positionen des von der Beobachtung Betroffenen ableiten (st.Rspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 − juris Rn. 17 m.w.N.), es fehlt jedoch vorliegend an der für einen solchen Anspruch erforderlichen rechtswidrigen Beeinträchtigung durch die Bekanntgabe.
214
(1) Mit der streitbefangenen Erklärung (v.a. dem darin enthaltenen Verdacht des Vorliegens von Bestrebungen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen) greift der Antragsgegner in die grundrechtlich geschützte Sphäre der Antragstellerin ein (zur Information der Öffentlichkeit außerhalb des Verfassungsschutzberichts als mittelbar belastender negativer Sanktion mit Eingriffscharakter vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015, BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 19). Als Schutzanspruch kommen dabei v.a. die Parteienfreiheit in Form der Betätigungsfreiheit als politische Partei (Art. 21 Abs. 1 GG) und die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb (i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 38 Abs. 1 GG) in Betracht sowie das auch einer juristischen Person zustehende allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG). Auch ein Eingriff in die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) i.d.F. d. Bek. vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II S. 1198), zuletzt geändert durch 15. EMRK-Protokoll vom 24. Juni 2013 (BGBl. 2014 II S. 1034, 1035) erscheint nicht ausgeschlossen.
215
(2) Der Eingriff ist jedoch nicht rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die streitbefangene Information der Öffentlichkeit nach dem auch auf politische Parteien anwendbaren (siehe oben) Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 3 BayVSG vorliegen.
216
Liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen nach Art. 3 BayVSG vor, ist das BayLfV zur Berichterstattung in der Öffentlichkeit nicht nur berechtigt, sondern nach dem Willen des Gesetzgebers, ausgehend von der Prämisse, dass eine wehrhafte Demokratie das Wissen um die von Extremismus ausgehenden Gefahren voraussetzt, dazu auch verpflichtet, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Maßstab für die Entscheidung ist, in welcher Art und Weise darüber berichtet werden darf (vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 54 mit Verweis auf BVerfGE 113/63, 84; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 − juris Rn. 60).
217
(3) Soweit die Antragstellerin unter Verweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung und eine in ihren Augen fehlerhafte Gesetzesbegründung die Unzulässigkeit einer sog. Verdachtsberichterstattung anführt, vermag sie nicht durchzudringen. Ihre Argumentation, wonach der Landesgesetzgeber die Unterscheidung zwischen einem sog. „Verdachtsfall“ und dem „Verdacht eines Verdachts“ verkannt habe, überzeugt nicht. Das Erfordernis des unbestimmten Rechtsbegriffs der tatsächlichen Anhaltspunkte wurde in Art. 15 i.d.F. d. Bek. vom 10. April 1997 (GVBl. S. 70, BayRS 12-1-I), Satz 1 geändert mit Wirkung vom v 1.8.2008 durch Gesetz vom 8.7.2008 (GVBl. S. 357 ff.) unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung zur Klarstellung eingefügt, dass noch keine Gewissheit darüber, dass diese Bestrebungen vorliegen, notwendig ist (vgl. LT-Drs. 15/10313, S. 12, 26 f.), da die Verfassungsschutzbehörden die ihnen von der Verfassung zugewiesene Aufgabe der Aufklärung, Warnung und Abwehr nicht effektiv wahrnehmen könnten, wenn sie untätig bleiben müssten, bis sich die Verfassungsfeindlichkeit ihrer Beobachtungsobjekte beweisen ließe (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 − juris Rn. 30). Auch zu dem insoweit wortgleichen Art. 26 BayVSG führt der Gesetzgeber in der Begründung aus, dass konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme von Bestrebungen und Tätigkeiten i.S.d. Art. 3 BayVSG vorliegen müssen, um eine Bewertung als verfassungsfeindlich in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, während ein möglicher, nicht durch belegbare Tatsachen gestützter „bloßer Verdacht“ nicht ausreicht (vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 53 mit Verweis auf BVerfGE 113, 63/76, 81 ff. und BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 − juris Rn. 35). Entscheidend ist folglich das Vorliegen von konkreten tatsächlichen Anhaltspunkten für die Annahme von Bestrebungen und Tätigkeiten nach Art. 3 BayVSG und ein bestimmter Wahrscheinlichkeitsgrad dafür, dass die Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen. Soweit die Antragstellerin daraus folgert, dass die Bestrebungen im Falle der bloßen „Wahrscheinlichkeit“ ihres Vorliegens eben gerade in ihrem Vorliegen ungewiss seien und deshalb eben noch keine „tatsächlichen Anhaltspunkte“ vorlägen, setzt sie die Bezüge falsch. Vielmehr sind die tatsächlichen Anhaltspunkte die Ausgangslage, die je nach Intensität oder auch Gewichtung entweder nicht einmal für eine Beobachtung oder gerade so für eine Beobachtung oder eben auch für eine Information der Öffentlichkeit ausreichen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in Bezug genommenen Passage der Pressemitteilung: „Aufgrund der Entscheidung des Bundesamts für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtung der Gesamtpartei aufgenommen. […] Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen […]“. Es wird dadurch vielmehr klargestellt, dass gerade noch keine Gewissheit hinsichtlich der Bestrebungen vorliegt, sondern aufgeklärt werden soll, ob und inwieweit sich der Verdacht – und damit die Wahrscheinlichkeit –, dass diese vorliegen, bis zur Gewissheit verstärkt. Aus der Mitteilung geht gerade nicht hervor, dass der Antragsgegner es nur für wahrscheinlich hält, dass es tatsächliche Anhaltspunkte geben könnte, es wirkt also insoweit die fehlerhafte Bezugsetzung der Antragstellerin fort.
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(4) Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen liegen – wie oben ausführlich dargetan – vor.
219
Diese sind auch von hinreichendem Gewicht im Sinne des Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG. Das Merkmal des hinreichenden Gewichts der tatsächlichen Anhaltspunkte wurde ausweislich der Begründung zum Gesetzesentwurf bei der Neufassung der Regelung der Öffentlichkeitsarbeit mit aufgenommen und soll der Klarstellung dienen, da bereits zuvor nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine entsprechende Einschränkung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verlangt worden war (vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 54). Dabei wird in Anlehnung an die strafrechtliche Nomenklatur bei Ermittlungsverfahren und Anklage das hinreichende Gewicht – und damit eine Information der Öffentlichkeit – dann angenommen, wenn das Vorliegen der Bestrebungen im o.g. Sinn wahrscheinlicher ist, als deren Nichtvorliegen (vgl. Meermagen in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, 21. Edition 15.01.2023, Art. 26 Rn. 26 ff.). Ob dem BayLfV bei der Annahme der hinreichenden Gewichtigkeit ein erheblicher und einer richterlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zukommt (so die Gesetzesbegründung in Anlehnung an den der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung zustehenden Beurteilungsspielraum, vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 54) bzw. auf die Strukturen der Abwägungskontrolle zurückzugreifen ist (vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 54), oder aber im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG und angesichts der nicht zu unterschätzenden Intensität des mit der Veröffentlichung verbundenen Grundrechtseingriffs auch unter Berücksichtigung der Geheimhaltungsinteressen des Verfassungsschutzes nicht vielmehr Zurückhaltung bei der Einschränkung der Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte geboten ist (vgl. Meermagen in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, 21. Edition 15.01.2023, Art. 26 Rn. 26 ff.), ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Vorliegend kann diese Frage jedoch offenbleiben, da die Annahme einer hinreichenden Gewichtigkeit der tatsächlichen Anhaltspunkte durch das BayLfV in beiden Fällen nicht zu beanstanden ist.
220
Während maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Pressemitteilung im Grundsatz der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist, so dass darauf abzustellen wäre, ob die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte die öffentliche Bekanntgabe tragen (vgl. zur Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 23; U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – Rn. 33), ist eine Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts in Fällen von in die Zukunft gerichteten Unterlassungsansprüchen denkbar, mit der Folge, dass auf die Sach- und Erkenntnislage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen wäre. Auf der Grundlage beider Zeitpunkte kann die Antragstellerin jedoch mit ihren Begehren nicht durchdringen. Es lagen bereits zum Zeitpunkt der Pressemitteilung hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte i.S.v. Art. 26 BayVSG vor.
221
Wie bereits dargestellt, existierten schon vor der Pressemitteilung vom 8. September 2022 sowohl in Bezug auf die Geltung der Menschenwürde von Muslimen als auch das Demokratieprinzip zahlreiche Äußerungen, die von Personen in zentraler Funktion stammen und sich durch verschiedene organisatorische Untergliederungen einer Vielzahl von Landesverbänden, auch den bayerischen, ziehen und daher geografisch ebenso wie hierarchisch weit gestreut sind. Da sich die Äußerungen in inhaltlicher Hinsicht auch durch eine bedeutende Intensität auszeichnen, ist das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen wahrscheinlicher als das Nichtvorliegen (s.o.), so dass die beispielhaft aufgeführten konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte sowohl quantitativ als auch qualitativ die streitbefangene Unterrichtung der Öffentlichkeit durch den Antragsgegner über die Antragstellerin als Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes rechtfertigen.
222
(5) Eine vorherige Anhörung war dabei trotz der Eingriffsqualität der Bekanntgabe der Beobachtung nicht erforderlich bzw. wäre ein diesbezüglicher Mangel zwischenzeitlich geheilt (vgl. ausführlich OVG Berlin-Bbg, B.v. 19.6.2020 – OVG 1 S 55/20 − juris Rn. 12 ff. sowie VG Köln, U.v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 162 f.). Eine Anhörung ist gesetzlich weder durch das BayVSG noch durch die von diesem in Bezug genommenen Regelungen des BVerfSchG vorgesehen. Auch Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist weder unmittelbar (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2003 − 5 CE 02.3212 − juris Rn. 34; VG Berlin, B.v.28.5.2020 − VG 1 L 95/20 − beck online, Rn. 23) noch analog anwendbar (BayVGH, B.v. 14.2.2003 − 5 CE 02.3212 − juris Rn. 34; VG Berlin, B.v. 28.5.2020 − VG 1 L 95/20 − beck online Rn. 23; VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 − juris Rn. 162 f.). Eine Anhörung ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten (dies aus der Rspr. des BVerfG zu staatlicher Informationstätigkeit, BVerfG, B.v. 26.6.2002 − 1 BvR 558/91 − juris Rn. 60 auf die Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts übertragend VG Berlin, B.v. 28.5.2020 − VG 1 L 95/20 − beck online Rn. 23). Ob das Rechtsstaatsprinzip bzw. die Grundrechte allgemein eine Gelegenheit zur Stellungnahme gebieten, ist in Bezug auf Äußerungen öffentlicher Träger im Rahmen staatlicher Informationstätigkeit höchstrichterlich bisher nicht abschließend geklärt (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2003 − 5 CE 02.3212 − juris Rn. 34 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 13.3.1991 − 7 B 99/90 − juris Rn. 8, wiederum bezugnehmend auf BVerwG, U.v. 23.5.1989 − 7 C 2/87 − juris Rn. 82). Eine einstweilige Anordnung auf Unterlassung der Bekanntgabe wegen einer unterbliebenen Anhörung ist zumindest nicht geboten (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2003 − 5 CE 02.3212 − juris Rn. 34; OVG Berlin-Bbg, B.v. 19.6.2020 −OVG 1 S 55/20 − juris Rn. 12). Selbst bei Annahme eines Anhörungserfordernisses wäre aufgrund der Möglichkeit inhaltlicher Beanstandungen im Wege materieller Abwehrrechte das Unterbleiben der Anhörung als jedenfalls heilbarer Formfehler anzusehen (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1989 − 7 C 2/87 – juris Rn. 82; BayVGH, B.v. 14.2.2003 − 5 CE 02.3212 − juris Rn. 34) und ein etwaiger Anhörungsmangel zwischenzeitlich geheilt worden (vgl. VG Köln, U.v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 162 f.; VG Berlin, B.v.28.5.2020 − VG 1 L 95/20 − beck online Rn. 23). Wie sich aus den Schreiben des Antragsgegners vom 29. September 2022 und vom 4. Oktober 2022 ergibt, hat dieser das als „Abmahnung“ bezeichneten Schreiben der Antragstellerin vom 22. September 2022 zum Anlass genommen, seine Entscheidung zu überprüfen und das Ergebnis der Überprüfung der Antragstellerin in dem Schreiben vom 4. Oktober 2022 auch mitgeteilt.
223
(6) Ein Verstoß gegen das für staatliches Informationshandeln generell geltende Gebot der inhaltlichen Richtigkeit ist ebenso wenig gegeben. Eine unwahre Tatsachenbehauptung liegt nicht, wie von der Antragstellerin angeführt, in der (Unter-)Überschrift der Pressemitteilung, da die darin enthaltene Information, dass die Antragstellerin nunmehr vom BayLfV beobachtet wird, diese, auch ohne in dem Bericht selbst enthalten zu sein, insoweit und sachlich zutreffend zu einem Teil der Verfassungsschutzinformationen macht. Auch die Darstellung hinsichtlich der Entscheidung des BfV verstößt nicht gegen das Gebot der inhaltlichen Richtigkeit, weil sie in einer Weise unvollständig wäre, dass der Sachverhalt verzerrt oder verfälscht wird (vgl. hierzu BVerfG, U.v. 27.2.2018 – 2 BvE 1/16 − juris Rn. 59). Der Lesart der Antragstellerin, wonach der Antragsgegner bewusst unvollständig informiert, wird vorliegend nicht gefolgt. Anders als in der Beobachtungserklärung (vgl. Beobachtungserklärung BayLfV v. 21.6.2022, S. 19 f.) sowie in der sogenannten Sprachregelung, in welchen der Antragsgegner jeweils auf die nicht rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2022 hinweist, wird in der eher kurz gehaltenen Darstellung in der Pressemitteilung überhaupt nicht auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln eingegangen, so dass auch das Weglassen des Verfahrensstadiums in der nächsten Instanz die Information nicht in obigem Sinn verzerrt oder verfälscht.
224
Auch wird mit der Aussage „Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“ nicht, wie die Antragstellerin vortragen lässt, behauptet, die Antragstellerin sei Teil dieser „extremistischen Szene“. Unabhängig von der Ausgestaltung der Überschrift als „Blickfang“ lässt sich die Aussage doch für den durchschnittlich verständigen Leser so verstehen, dass eine Beobachtung dahingehend stattfinden soll, inwieweit die Antragstellerin ein Teil dieser Szene ist, was auch im auf die Überschrift folgenden Text so erläutert wird und gerade sachlich zutreffend ist.
225
(7) Auch gegen die Gebote der Sachlichkeit sowie der Neutralität wurde im Ergebnis nicht verstoßen.
226
Das Gebot der Sachlichkeit verlangt eine zurückhaltend-neutrale, auf diffamierende oder verfälschte Darstellung verzichtende Bewertung und stellt im Zusammenwirken mit dem Neutralitätsgebot gegenüber politischen Parteien Anforderungen an die Art und Weise der – bei Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässigen − Information der Öffentlichkeit (vgl. auch VerfG Hamburg, U.v. 16.10.2021 – HVerfG 14/20 − juris). Aus dem Grundsatz der chancengleichen Beteiligung an der politischen Meinungs- und Willensbildung folgt die Verpflichtung der Staatsorgane und ihrer Repräsentanten, nicht einseitig im Rahmen des politischen Meinungskampfes zulasten einer Oppositionsfraktion und ihrer Mitglieder Stellung zu beziehen. Es verbieten sich also unsachliche, diskriminierende oder diffamierende Äußerungen und dem Prinzip der Waffengleichheit und der gegenseitigen Rücksichtnahme widersprechender unangemessener Druck (vgl. BayVerfGH, E.v. 26.2.2019 – Vf. 51-IVa-17 − NVwZ-RR 2019, 841/845), wenn auch andererseits durch die Geltung dieses (spezifischen) Neutralitätsgebots die Wahrnehmung der Aufgaben des jeweiligen Amtsträgers nicht infrage gestellt werden darf.
227
Die Aussage „Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“ bewegt sich dabei noch im Bereich des sachlich, zurückhaltend Zulässigen, lässt sie doch für den durchschnittlich verständigen Leser erkennen, dass eine Beobachtung gerade dahingehend stattfinden soll, inwieweit die Antragstellerin ein Teil dieser Szene ist, was auch im folgenden Text so erläutert wird.
228
(8) Der Antragsgegner hat auch im Übrigen mit der Entscheidung über die Bekanntgabe der Beobachtung der Antragstellerin und der in der Pressemitteilung gewählten Art und Weise der Darstellung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
229
Die Öffentlichkeit wurde im Wesentlichen über die Entscheidung des Präsidenten des BayLfV, die AfD beobachten zu lassen (Erklärung zum Beobachtungsobjekt), und die dafür im Wesentlichen maßgeblichen Gründe informiert. Diese Information war auch zur Aufklärung und Warnung der Öffentlichkeit geeignet. Der Antragsgegner bringt auch hinreichend zum Ausdruck, dass durch die Beobachtung erst festgestellt werden soll, inwieweit verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Gesamtpartei vorliegen, und dass die Mitglieder der Landtagsfraktion mangels Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht unter Beobachtung stehen. Der Grundsatz der Erforderlichkeit ist ebenfalls gewahrt. Ohne die Bekanntgabe würde dem enormen Informationsbedarf der Öffentlichkeit in Bezug auf eine bundesweit agierende Partei und den Verdacht von verfassungsfeindlichen Bestrebungen ihrerseits nicht hinreichend Rechnung getragen. Gerade im Hinblick auf die bundesweite Betätigung der AfD war es auch erforderlich, die Öffentlichkeit über die bayerische Einschätzung und Beobachtung zu informieren, damit nicht der Eindruck entstehe, im Zuständigkeitsbereich des BayLfV lägen gerade keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor.
230
Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Beobachtung der Antragstellerin wahrt insoweit auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, da bei Abwägung der gegensätzlichen Schutzgüter auch mit Blick auf das hier vor allem betroffene Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, dem Aufklärungsinteresse und der Warn- und Abwehrfunktion im Hinblick auf den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein höheres Gewicht zukommt. Zwar kommt dem Eingriff aufgrund der im Herbst 2023 stattfindenden Landtagswahlen ein besonders Gewicht zu, insbesondere weil mit der Unterrichtung der Öffentlichkeit eine Abschreckung potentieller Unterstützer und Wählerinnen und Wähler einhergehen kann. Allerdings setzt eine wehrhafte Demokratie das Wissen um die von Extremismus ausgehenden Gefahren voraus, da eine politische Auseinandersetzung mit extremistischen Positionen und Bestrebungen ohne eine sachgerechte Information nicht möglich ist. Der Gesetzgeber sieht eine gut informierte Öffentlichkeit als den besten Verfassungsschutz an und hat dem BayLfV deshalb die Rolle eines zentralen Informationsdienstleisters angedacht (vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 53). Daher hat die Antragstellerin jedenfalls den mehr als ein Jahr vor den Wahlen erfolgten Eingriff und die damit verbundenen Nachteile als zumutbar hinzunehmen.
231
Da nach alledem kein Anspruch auf Unterlassung der Bekanntgabe der Beobachtung (Ziffern 1b. und 3. des Antrags) besteht, bestehen auch keine Ansprüche auf Löschung (Ziffer 3. des Antrags) oder Richtigstellung (Ziffern 6. und 7. des Antrags). Deswegen kommt auch hier eine Androhung von Ordnungsgeld (Ziffern 2. und 4. des Antrags) nicht in Betracht.
232
Die Anträge im einstweiligen Rechtsschutz sind daher allesamt abzulehnen.
233
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
234
4. Der festgesetzte Streitwert beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz in Verbindung mit den Empfehlungen in Nrn. 1.1.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dabei wurden die Anträge rund um die Beobachtung und die Anträge rund um die Bekanntgabe jeweils als ein gemeinsamer Streitgegenstandskomplex gewertet und folglich zweifach ein halbierter Regelstreitwert angesetzt.