Titel:
Schulische Ordnungsmaßnahme, Ausschluss vom Unterricht
Normenketten:
BayEUG Art. 86 Abs. 2 Nr. 5
VwGO § 80 Abs. 5
Schlagworte:
Schulische Ordnungsmaßnahme, Ausschluss vom Unterricht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8023
Tenor
I. Der aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. Januar 2023 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23. Februar 2023 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Ausschluss vom Unterricht von der Schule für insgesamt 5 Tage.
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Der Antragsteller besucht im laufenden Schuljahr 2022/2023 die 8. Klasse des …Gymnasiums in N. bei F. (im Folgenden: die Schule).
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Nach den Herbstferien erfuhr die Schulleitung davon, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober 2022 eine Gruppe von Schülern in das Schulgebäude eingedrungen war und sich dort aufgehalten hatte. Am 17. November 2022 fand ein Gespräch der Schulleitung mit 4 beteiligten Schülern statt, am 18. November 2022 erklärte auch der Antragsteller gegenüber der Schulleitung, dass er sich in der besagten Nacht im Schulgebäude aufgehalten habe. Am 11. Januar 2023 fand ein Gespräch zwischen der Schulleitung und der Mutter des Antragstellers statt. Diese wurde am 20. Januar 2023 vorab von der Schulleitung telefonisch über die getroffene Ordnungsmaßnahme informiert.
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Mit Bescheid vom 20. Januar 2023 ordnete die Schule gegenüber dem Antragsteller die Maßnahme des Ausschlusses vom Unterricht für fünf Tage (vom 28.3. bis zum 30.3.2023 und vom 18.4. bis zum 19.4.2023) an. Gleichzeitig wurden dem Antragsteller 25 Sozialstunden auferlegt, die er in Absprache mit dem Hausmeister bis zum Schuljahresende abzuleisten habe.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 29. Januar 2023 Widerspruch einlegen.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten ebenfalls vom 29. Januar 2023, eingegangen beim Verwaltungsgericht am gleichen Tag, ließ der Antragsteller beantragen,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Schule vom 20. Januar 2023 wiederherzustellen.
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Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, dass der Bescheid unangemessen sei und den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Grundrechte des Antragstellers verletze. Der Antragsteller sei zum Zeitpunkt der Tat 13 Jahre alt und damit der Jüngste der mutmaßlich beteiligten Schülergruppe gewesen, da die anderen Schüler mit 14 und 15 Jahren deutlich älter als der Antragsteller gewesen seien. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller bei der vorgeworfenen Handlung das Sagen gehabt hätte. Die verhängte Schulstrafe sei auch unverhältnismäßig hoch und stehe für sich betrachtet in keinem Verhältnis zum Betreten von Räumlichkeiten, zu denen dem Antragsteller jedenfalls tagsüber jederzeit der Zugang gestattet sei. Bei dieser Sachlage könne schon nicht von einem „Eindringen“ gesprochen werden. Es sei durch nichts gerechtfertigt, dass ausgerechnet gegen das jüngste mutmaßliche Mitglied der Gruppe, das allenfalls als Mitläufer beteiligt gewesen sei, die höchste Schulstrafe verhängt worden sei. Gegen die anderen Beteiligten sei ein Unterrichtsausschluss von 3 Tagen und 15 Sozialstunden verhängt worden. Gründe hierfür seien dem Bescheid nicht zu entnehmen. Es sei jedoch zu vermuten, dass der Antragsteller deshalb eine höhere Strafe bekommen habe, weil er zum Tatvorwurf keine Angaben gemacht bzw. solche nur in Gegenwart seiner Eltern habe machen wollen. Auch könne der Antragsteller nicht dafür bestraft werden, dass – wie im Bescheid ausgeführt – sich die Schule von der Mutter des Antragstellers mehr Kooperationsbereitschaft gewünscht habe. Auch die Maßnahme eines Ausschlusses vom Unterricht als solche sei fragwürdig, wenn man bedenke, dass Schüler, die dem Unterricht fernblieben, mit staatlicher Hilfe zum Erscheinen gezwungen werden könnten. Ein besonderer Nachteil entstehe dem Antragsteller auch dadurch, dass er an angekündigten Leistungsnachweisen während der Zeit seines Ausschlusses vom Unterricht teilnehmen müsse.
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Am 23. Februar 2023 erließ die Schule einen Änderungsbescheid zum Ausgangsbescheid vom 20. Januar 2023, mit dem die angeordneten 25 Sozialstunden aufgehoben wurden.
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Der Antragsgegner hat die Akten vorgelegt und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Maßnahme entspreche den maßgeblichen schulrechtlichen Bestimmungen. Die Schule habe zudem den ohnehin nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren pädagogischen Wertungsspielraum in nicht zu beanstandender Weise gewahrt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat in der Sache Erfolg.
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Da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen schulische Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 5. Juli 2022 (GVBl. S. 308) – im Folgenden: BayEUG – keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. Art. 88 Abs. 8 BayEUG), ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. Januar 2023 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23. Februar 2023 angeordnet werden soll (vgl. § 88 VwGO).
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Entfaltet ein Rechtsbehelf wie vorliegend von Gesetzes wegen (Art. 88 Abs. 8 BayEUG) keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und dem Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Maßgebliche Bedeutung kommt bei der Abwägung den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zunächst verschont zu bleiben, regelmäßig zurück. Erweist sich der angefochtene Bescheid dagegen bei vorläufiger Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung in der Regel anordnen, da kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids besteht. Ist der Ausgang des Verfahrens offen, bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung, bei der insbesondere auch die gesetzgeberische Entscheidung, die aufschiebende Wirkung einer Klage auszuschließen, zu berücksichtigen ist.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war dem Antrag stattzugeben. Ausgehend von der Sach- und Rechtslage, wie sie sich dem Gericht im Eilverfahren darstellt, bestehen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, sodass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs als hoch anzusehen sind und im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung folglich das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.
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1. Die verfügte Entlassung von der Schule begegnet bereits in formeller Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Zuständig für die getroffene Maßnahme nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 5 BayEUG war die Schulleitung (vgl. Art. 88 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG).
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b) Die Schule hat auch in Bezug auf die getroffene Ermessensentscheidung dem Begründungserfordernis nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG ausreichend Rechnung getragen. Durch die Formulierungen „… war nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und unter Abwägung der oben genannten Gesichtspunkte“ sowie „in Ausübung des pädagogischen Ermessens…“ wird erkennbar, dass der Schulleiter nicht von einer gebundenen Entscheidung ausging, sondern sich dessen bewusst war, dass er Ermessen auszuüben hatte und dieses auch an pädagogischen Maßstäben und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiert hat.
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c) Allerdings ist bei summarischer Prüfung aufgrund der Nichtbeachtung wesentlicher Verfahrensvorschriften schon von der formellen Rechtswidrigkeit des Bescheids in der Fassung vom 23. Februar 2023 auszugehen.
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Die Verfahrensvorgaben, die bei der Festsetzung von Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 5 BayEUG zu beachten sind, ergeben sich aus Art. 88 BayEUG. So sind nach Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayEUG vor der Entscheidung der betroffene Schüler und dessen Erziehungsberechtigte anzuhören, wobei sie gemäß Art. 86 Abs. 3 S. 4 BayEUG auf ihre Rechte zur Beiziehung von Beratungslehrkräften, Schulpsychologen und Vertrauenslehrern hinzuweisen sind (Art. 86 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 2 BayEUG). Diesen Verfahrensvorgaben wurde vorliegend im Hinblick auf die mögliche Beiziehung Dritter nicht Genüge getan (VG Augsburg, B.v. 16.3.2018 – Au 3 S 18.380 – juris Rn. 27). Anhand der vorgelegten Unterlagen kann nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerseite auf die ihr von Gesetzes wegen eingeräumte Möglichkeit hingewiesen worden ist. Die Nichterweislichkeit geht zulasten des Beklagten (materielle Beweislast). Allein aus dem Umstand, dass die Mutter des Antragstellers gegenüber der Schule angegeben hat, sich nur schriftlich äußern zu wollen bzw. sich erst von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen, folgt nicht, dass sie im Falle einer ordnungsgemäßen Belehrung über ihre Rechte zur Beiziehung weiterer Personen hiervon keinen Gebrauch gemacht hätte. Für die Anwendbarkeit des Art. 46 BayVwVfG bestehen keine Anhaltspunkte (vgl. auch Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Kommentar zum BayEUG, Stand Februar 2023, Anm. 5.2 zu Art. 88).
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2. In materieller Hinsicht ist die verhängte Maßnahme dem Fehlverhalten des Antragstellers zwar dem Grunde nach angemessen, leidet aber insoweit an materiellen Mängeln, als die Schule kein sachgerechtes Kriterium dafür, dass gegen den Antragsteller im Gegensatz zu den übrigen Beteiligten ein Ausschluss vom Unterricht für 5 statt 3 Tage verhängt worden sind, dargelegt hat und die Ermessensüberlegungen – auch bei Respektierung des der Schule zustehenden pädagogischen Ermessensspielraums – einer gerichtlichen Überprüfung insoweit nicht standhalten.
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a) Für die Auswahl der Ordnungsmaßnahmen kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maß die Erfüllung des Schulzwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurden. Es handelt sich um eine pädagogische Ermessensentscheidung, bei der neben der objektiven Feststellung und Gewichtung des Verstoßes auch die Person und das Verhalten des betreffenden Schülers anhand seines individuellen Entwicklungsstandes zu beurteilen ist. Die Entscheidung, ob die gewählte oder eine weniger einschneidende Ordnungsmaßnahme ausgesprochen wird, hat sich daran zu orientieren, ob das schwere Fehlverhalten des Schülers auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen dieser Ordnungsmaßnahme auf ihn im Hinblick auf die unbeeinträchtigte Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule oder wegen des Schutzes Dritter nicht mehr hingenommen werden kann und dem Schüler in dieser Deutlichkeit und Konsequenz vor Augen geführt werden muss, dass sein Verhalten nicht geduldet werden kann. Diese Beurteilung entzieht sich einer vollständigen Erfassung nach rein rechtlichen Kriterien und bedingt sachnotwendig einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren pädagogischen Wertungsspielraum. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Ordnungsmaßnahme erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie haben insbesondere zu kontrollieren, ob der Unterrichtsausschluss gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstößt. Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt es ferner, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob sie ihre Entscheidungen auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten (vgl. BayVGH, B. v. 2.9.1993 – 7 CS 93.1736 – BayVBl 1994, 346).
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Die Wahl der Ordnungsmaßnahme orientiert sich an der Beeinträchtigung der Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule, an den Erfordernissen des Schutzes Dritter und daran, ob bisherige Ordnungs- und Erziehungsmaßnahmen Wirkung gezeigt haben oder dem Schüler in aller Deutlichkeit und Konsequenz vor Augen geführt werden muss, dass sein Verhalten nicht weiter geduldet werden kann (BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 7 CS 18.800 – juris).
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Anders als bei einer Ordnungsmaßnahme im Sinne von Art. 86 Abs. 2 Nr. 4 lit. a BayEUG oder Nr. 6 lit. a BayEUG (Ausschluss in einem Fach bzw. vom Unterricht für die Dauer von bis zu vier Wochen), deren Verhängung nur zulässig ist, wenn der Schüler durch schwere oder wiederholte Störung bzw. Fehlverfahren aufgefallen wäre, ist die streitgegenständlich Ordnungsmaßnahme des Art. 86 Abs. 2 Nr. 5 BayEUG an keine weiteren materiellen Voraussetzungen geknüpft. Damit kommen insoweit die allgemeinen Voraussetzungen einer Ordnungsmaßnahme im schulischen Bereich zum Tragen. Erforderlich ist es demnach, dass der betroffene Schüler einen entsprechenden Tatbestand erfüllt hat, in der Regel in Form eines schuldhaften, vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoßes gegen die schulische Pflicht (Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Stand: Mai 2022, zu Art. 86 BayEUG, Ziffer 11.86 Rn. 2). Die Ordnungsmaßnahme muss dabei den Zielen des Art. 86 Abs. 1 BayEUG (Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder Schutz von Personen und Sachen) dienen. Dies bedeutet, dass sie nur zum Zweck der Erziehung des Schülers getroffen werden darf und in erster Linie darauf abzielen muss, den betroffenen Schüler an einer Wiederholung seines Fehlverhaltens zu hindern (Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 447, 449).
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b) Im vorliegenden Fall ist die Schulleitung zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller mit seinem Verhalten die ihm als Schüler obliegenden Verhaltenspflichten in einer Weise verletzt hat, die sich nachteilig auf den Schul- und Unterrichtsbetrieb auswirken konnte. Nach Art. 56 Abs. 4 BayEUG haben sich alle Schülerinnen und Schüler so zu verhalten, dass die Aufgabe der Schule erfüllt und das Bildungsziel erreicht werden kann (Satz 1); sie haben alles zu unterlassen, was den Schulbetrieb oder die Ordnung der von ihnen besuchten Schule stören könnte (Satz 3). Diese allgemeinen Pflichten, die aus der verfassungsrechtlich geforderten Funktionsfähigkeit des öffentlichen Schulwesens (Art. 7 Abs. 1 GG, Art. 130 Abs. 1 BV) abzuleiten sind und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV) ebenso wie der grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit der Schüler (Art. 5 Abs. 1 GG; Art. 110 Abs. 1 BV) rechtliche Schranken setzen (vgl. BayVGH, U.v. 10.3.2010 – 7 B 09.1906 – juris Rn. 30), wurden vorliegend durch den Antragsteller dadurch verletzt, dass er durch das unbefugte Betreten des Schulgebäudes den in der Schule üblichen und erforderlichen respektvollen Umgang miteinander und das Beachten der üblichen schulischen Regeln, die für den ordnungsgemäßen Schulbetrieb unerlässlich sind, missachtet hat.
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Dass die Schule dabei sachfremde Erwägungen angestellt hätte oder von einem unzutreffenden Sachverhalt – die Antragstellerseite räumt ihrerseits die Beteiligung des Antragstellers ein – ausgegangen wäre, ist nicht erkennbar. Die antragstellerseits bestrittene Frage, ob es bei dem nächtlichen Betreten der Schule zu Sachbeschädigungen gerade durch den Antragsteller gekommen ist, wurde ausweislich des streitgegenständlichen Bescheids gerade nicht als Anlass für die Ordnungsmaßnahme gegen den Antragsteller herangezogen. Insbesondere kann dem Antragsteller auch nicht zugestanden werden, dass es sich bei dem Fehlverhalten um eine bloße Bagatelle gehandelt hätte. Unabhängig davon, ob es sich aus einer entsprechenden Regelung in der Hausordnung der Schule ergibt, dass das Betreten des Schulgebäudes außerhalb der Unterrichtszeiten untersagt ist, ist einem 13jährigen Schüler eines Gymnasiums so viel Vernunft und Einsicht zu unterstellen, dass er in der Lage ist, zu erkennen, dass das Betreten des Schulgebäudes außerhalb der Unterrichtszeiten oder besonderen schulischen Anlässen nicht erlaubt ist und – neben einer möglichen strafrechtlichen Relevanz – eine schulische Pflichtverletzung darstellt, insbesondere wenn dieses Betreten wie vorliegend zur Nachtzeit und in den Schulferien stattfindet. Dass der Antragsteller davon ausgehen konnte, nichts „Verbotenes“ zu tun, weil er ja – wie sein Bevollmächtigter vorträgt – tagsüber das Schulgebäude jederzeit betreten könne und damit schon nicht von einem „Eindringen“ in das Schulgebäude gesprochen werden könne, ist absolut lebensfremd und taugt nicht einmal als Schutzbehauptung.
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c) Die gewählte Ordnungsmaßnahme verfolgt damit in nicht zu beanstandender Weise den Zweck, an die Einsichtsfähigkeit des Antragstellers zu appellieren, eine Wiederholung seines Fehlverhaltens zu unterlassen. Die gewählte Maßnahme war dem Grunde nach auch zur Schwere des Verstoßes verhältnismäßig. Der Ausschluss vom Unterricht ist eine spürbare Warnung, wird aber nicht seinen schulischen Bildungsweg beeinflussen. Die Maßnahme kann auch, da sie im engen zeitlichen Zusammenhang mit der vorgeworfenen Tat wirkt, unmittelbar deutlich machen, dass das gezeigte Verhalten nicht hingenommen werden kann und hat – worauf die Schule ausdrücklich hingewiesen hat – präventiven Charakter gegenüber potentiellen Nachahmern. Nachdem der Ausschluss vom Unterricht eine gesetzlich vorgesehene Ordnungsmaßnahme darstellt, die u.a. auch bezweckt, den Schüler zur Einsicht zu bringen, dass ihm in der Schule besondere Leistungen angeboten werden, die ihm im Falle einer Störung vorenthalten werden können und er sich damit selbst schaden kann (vgl. auch Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Kommentar zum BayEUG, Stand Februar 2023, Anm. 10.1 zu Art. 86), steht diese Maßnahme auch nicht im Widerspruch zur zwangsweise durchsetzbaren Schulpflicht. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn dem ausgeschlossenen Schüler die Teilnahme an angekündigten Leistungsnachweisen ermöglicht wird (VG Ansbach, B.v. 14.11.2018 – AN 2 S 18.02197 – juris Rn. 14).
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d) Allerdings – und voraussichtlich nur aus diesem Grund – leidet die Maßnahme an einem zur Rechtswidrigkeit führenden materiellen Mangel, weil bei der Festlegung der Dauer des Ausschlusses vom Unterricht keine ordnungsgemäße Ermessensausübung stattgefunden hat. Eine solche setzt voraus, dass alle für den Betroffenen günstigen Umstände in die Bewertung einbezogen werden, umgekehrt aber ihm keinerlei Umstände in unrechtmäßiger Weise angelastet werden.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der auf den Grundrechten des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG beruhende Schutz vor einer Verpflichtung zur Selbstbezichtigung nicht auf strafrechtliche oder vergleichbare Verfahren beschränkt, sondern stellt einen „selbstverständlichen rechtsstaatlichen Grundsatz eines fairen Verfahrens“ dar (BVerfG; B.v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77 – juris; B.v. 6.9.2016 – 2 BvR 890/16 – juris Rn. 34).
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Die von der Schule angenommene, gesetzlich aber nicht vorgesehene Pflicht eines Schülers zur Selbstanzeige oder zur umfassenden Auskunftserteilung auch insoweit, als er sich dadurch selbst belastet, kann im Hinblick auf diesen verfassungsrechtlichen, dem Grundrecht auf Wahrung der Menschenwürde entsprechenden Grundsatz nicht anerkannt werden. Der schulische Bereich ist mit den Bereichen, für die das BVerfG Ausnahmen vom Verbot der Selbstanzeige unter bestimmten Voraussetzungen zulässt, z.B. zur Wahrung schutzwürdiger Interessen anderer, nicht vergleichbar. Darüber hinaus wären dann rechtliche Vorkehrungen erforderlich zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verwertung der vom betroffenen Schüler zum eigenen Nachteil gemachten Aussagen (VG München, U.v. 11.10.2011 – M 3 K 10.3990 – juris Rn. 33 ff.; B.v. 4.7.2022 – M 3 S 22.3053; n.v.; Schenk, BayEUG, Textausgabe mit Teilkommentar, 24. Auflage 2023, Erl. zu Art. 86 Abs. 1; S. 165).
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Ob es ein nachvollziehbares Kriterium zur Differenzierung des Umfangs der verhängten Ordnungsmaßnahme gewesen wäre, die bislang nicht gezeigte Einsicht eines Schülers in sein Fehlverhalten zu seinem Nachteil zu berücksichtigen, muss nicht entschieden werden, da ein solches Differenzierungskriterium vorliegend nicht gegeben ist, nachdem im Änderungsbescheid hierzu ausdrücklich ausgeführt ist, dass bislang keiner der beteiligten Schüler Reue gezeigt oder sich für das Verhalten entschuldigt hat. Somit wäre auch dieser Umstand nicht zur Rechtfertigung dafür geeignet, dem Antragsteller gegenüber eine weitergehende Ordnungsmaßnahme im Vergleich zu den anderen Beteiligten zu verhängen.
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e) Soweit antragstellerseits die Unzulässigkeit der Anordnung von Sozialstunden gerügt worden ist, ist darauf hinzuweisen, dass diese im Änderungsbescheid ausdrücklich aufgehoben worden und damit nicht mehr streitgegenständlich ist.
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3. Nach alledem war daher der Antrag mit der auf § 154 Abs. 1 VwGO beruhenden Kostenfolge abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.