Inhalt

VG München, Urteil v. 31.03.2023 – M 26a K 22.5174
Titel:

Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen, Kranke von der maßgelblichen Fassung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG nicht umfasst, Kein Verdienstausfall wegen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung, Fehlende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Normenketten:
IfSG § 56 Abs. 1 S. 2
IfSG § 56 Abs. 5 S. 2
IfSG § 2 Nr. 4
Schlagworte:
Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen, Kranke von der maßgelblichen Fassung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG nicht umfasst, Kein Verdienstausfall wegen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung, Fehlende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8021

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin, eine R., begehrt mit ihrer Klage in eigener Sache die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen für die von ihr verauslagte Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 517,42 EUR nebst Aufwendungen für soziale Sicherung in Höhe von 480,00 EUR für ihre Mitarbeiterin, einer Rechtsfachwirtin, die sich von 24. November 2020 bis einschließlich 4. Dezember 2020 in behördlich angeordneter Absonderung befand.
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Am 16. Juni 2021 stellte die Klägerin bei der Regierung von Oberbayern einen Antrag auf Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen nach § 56 Abs. 1 und §§ 57,58 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) für die Zeit der Absonderung ihrer Mitarbeiterin von 24. November 2020 bis einschließlich 4. Dezember 2020. Dabei gab sie an, dass die Arbeitnehmerin die ausgeübte Tätigkeit nicht habe im Homeoffice ausüben können, da diese krank gewesen sei. Auch eine Ersatztätigkeit habe aufgrund der Erkrankung nicht ausgeübt werden können. Die Arbeitnehmerin sei von 24. November 2020 bis 4. Dezember 2020 krankgeschrieben gewesen bzw. arbeitsunfähig erkrankt. Es habe sich um eine COVID-19-Erkrankung gehandelt.
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Dem Antrag beigefügt war u.a. folgende Unterlagen:
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- Eine Bescheinigung des Landratsamtes E., wonach gegenüber der Arbeitnehmerin der Klägerin vom 27. November 2020 bis 4. Dezember 2020 eine häusliche Isolation ausgesprochen wurde. Im Zeitraum vom 22. November 2020 bis 3. Dezember 2020 seien Symptome aufgetreten. Der Arbeitnehmerin wurde bestätigt, dass sie Kranker i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG gewesen sei.
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- Ein Endbefund eines Labors vom 24. November 2020, wonach der PCR-Test des am 24. November 2020 entnommenen Materials positiv gewesen ist.
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- Ein Attest einer Gemeinschaftspraxis vom 10. Dezember 2020, wonach die Arbeitnehmerin seit 24. November 2020 am COVID-19-Virusinfekt erkrankt gewesen und diese ab 24. November 2020 in Quarantäne geschickt worden sei.
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Mit Bescheid vom 6. Oktober 2022 lehnte der Beklagte den Antrag auf Verdienstausfallentschädigung und der Beiträge zur Sozialversicherung ab. Es fehle an einem Verdienstausfall im Sinne des § 56 Abs. 1 IfSG. Da die Betroffene während der Quarantäne arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, sei ihr vorliegend vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle nach den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG) zu gewähren.
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Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2022 erhob die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage mit dem Antrag,
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den Bescheid vom 6. Oktober 2022 aufzuheben und dem Antrag auf Erstattung der Verdienstausfallentschädigung und der Beiträge zur Sozialversicherung für die Arbeitnehmerin stattzugeben.
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Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2022 teilte die Klägerin mit, auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten.
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Mit Schreiben vom 3. November 2022 legte der Beklagte die elektronische Behördenakte vor, in die der Klägerin antragsgemäß Akteneinsicht gewährt wurde.
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Nach erfolgter Akteneinsicht begründete die Klägerin die Klage mit Schriftsatz vom 29. November 2022. Die Absonderung der Betroffenen sei mit Bescheinigung des Landratsamtes E. für den Zeitraum vom 27. November bis 4. Dezember 2020 angeordnet worden. Es seien Symptome aufgetreten und es sei bestätigt worden, dass die Betroffene Kranke i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG gewesen sei. Der Auffassung des Landratsamtes, dass die Quarantäne erst mit dem Anruf des Landratsamtes bei der Betroffenen begonnen habe, könne nicht gefolgt werden. Sowohl der mit dem Antrag vorgelegte positive PCR-Test als auch die Bescheinigung des die Betroffene behandelnden Hausarztes vom 10. Dezember 2020 besagten, dass sich die Betroffene bereits ab 24. November 2020 in Quarantäne befunden habe. Im Antragsformular sei zwar angegeben worden, dass die Betroffene im Zeitraum vom 24. November bis 4. Dezember 2020 keine Tätigkeit habe ausüben können, da sie an Corona erkrankt sei. Da jedoch seitens des behandelnden Hausarztes und des Landratsamtes die häusliche Isolation ausgesprochen worden sei, sei für die Betroffene keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt worden. Somit sei die Klägerin als Arbeitgeberin während der Absondern nach anderen arbeitsvertraglichen, tarifvertraglichen oder gesetzlichen Vorschriften auch nicht zur Zahlung der Vergütung verpflichtet. Mit der beigefügten Bescheinigung der Krankenkasse der Betroffenen vom 10. November 2022 werde bestätigt, dass im Zeitraum vom 24. November 2020 bis 4. Dezember 2020 keine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vorliege.
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Mit Schreiben vom 31. Januar 2023 beantragte der Beklagte,
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die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
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Am 31. Januar 2023 sei zur Symptomatik der Arbeitnehmerin beim Gesundheitsamt E. nachgefragt worden. Ausweislich der E-Mail-Mitteilung vom 31. Januar 2023 habe die Arbeitnehmerin in der Zeit vom 22. November 2020 bis 3. Dezember 2020 an Symptomen wie Fieber und schwerem Krankheitsgefühl gelitten. Auf das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung komme es nicht an. Entscheidend sei, ob die Arbeitnehmerin tatsächlich arbeitsunfähig gewesen sei, was vorliegend zu bejahen sei. Die objektiv gegebene Arbeitsunfähigkeit schließe den Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG und in der Folge den Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 56 Abs. 5 IfSG aus. Anderenfalls würde es in die Hände der Arbeitnehmerin gelegt, ob diese sich krankschreiben lasse oder nicht. Auch die Bescheinigung der Krankenkasse der Arbeitnehmerin vom 10. November 2020 sei nicht geeignet, eine Aussage zur Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmerin während der Dauer der Absonderung zu treffen oder diese zu belegen. Ob die Arbeitsunfähigkeit auch noch am letzten Tag der Absonderung, am 4. Dezember 2020, gegeben gewesen sei, entziehe sich der Kenntnis des Beklagten. Sofern für den 4. Dezember 2020 die Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmerin gegeben gewesen sei, scheide eine Erstattung aufgrund Mitverschuldens an der Entstehung eines Verdienstausfallschadens wegen unterbliebener Home-Office-Tätigkeit gemäß § 254 BGB analog aus. Die Tätigkeit als Rechtsfachwirtin sei als Bürotätigkeit generell Homeoffice geeignet. Nach den Antragsangaben der Klägerin sei eine Tätigkeit im Home-Office jedoch aufgrund der Erkrankung der Arbeitnehmerin unterblieben. Auf mündliche Verhandlung werde verzichtet.
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Mit Beschluss vom 27. März 2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte elektronische Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
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1. Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil die Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2022 und der Beklagte mit Schreiben vom 31. Januar 2023 klar, eindeutig und vorbehaltlos auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
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Für die Entscheidung ist nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 27. März 2023 die Einzelrichterin zuständig.
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2. Die am 19. Oktober 2022 fristgerecht erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage nach § 42 Abs. 1 Halbs. 2 Alt. 1 VwGO statthaft, da sich die Klägerin gegen die Ablehnung ihres Entschädigungs- bzw. Erstattungsantrags im Bescheid vom 6. Oktober 2022 wendet und den Erlass eines für sie günstigeren Bescheides begehrt.
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3. Die zulässige Klage ist unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer von ihr verauslagten Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 517,42 EUR nebst Aufwendungen für soziale Sicherung in Höhe von 480,00 EUR für ihre Mitarbeiterin für die Zeit von 24. November 2020 bis einschließlich 4. Dezember 2020 hat und sich der streitgegenständliche Bescheid vom 6. Oktober 2022 somit als rechtmäßig erweist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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3.1 Anspruchsgrundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 56 IfSG in der von 19. November 2020 (BGBl. 2020 I S. 2397) bis 15. Dezember 2020 (BGBl. 2020 I S. 3136), mithin im Zeitraum der angeordneten Absonderung, geltenden Fassung (vgl. hierzu VG München, U.v. 23.01.2023 – M 26a K 21.82 – juris Rn. 15ff., grundlegend VG Bayreuth, U.v. 21.06.2021 – B 7 K 21.110 – juris Rn. 21ff.).
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3.2 Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung enthält eine Entschädigung in Geld, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Bei Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen (§ 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG). Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber von der zuständigen Behörde erstattet (§ 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG in der bis 15. Dezember 2020 geltenden Fassung).
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3.3 Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 IfSG in der maßgeblichen Fassung sind vorliegend nicht erfüllt.
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3.3.1 Die Arbeitnehmerin der Klägerin wurde, wie sich aus der (undatierten) Bescheinigung des Landratsamtes E. und der im Klageverfahren vom Beklagten vorgelegten E-Mail vom 31. Januar 2023 ergibt, im Zeitraum vom 22. November 2020 bis 3. Dezember 2020 als Kranker i.S.v. § 2 Nr. 4 IfSG und nicht als Ausscheider i.S.v. § 2 Nr. 6 IfSG, Ansteckungsverdächtiger i.S.v. § 2 Nr. 7 IfSG oder Krankheitsverdächtige i.S.v. § 2 Nr. 5 IfSG abgesondert.
27
Kranker ist nach § 2 Nr. 4 IfSG eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist. Die Arbeitnehmerin der Klägerin wurde positiv auf das Covid-19-Virus getestet, war also an einer übertragbaren Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG erkrankt, und litt an Symptomen wie Fieber und schwerem Krankheitsgefühl. Das Fehlen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ändert daran nicht, da ein Kranker im Sinne von § 2 Nr. 4 IfSG nicht zwingend arbeitsunfähig erkrankt sein muss.
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Kranke waren in der vorliegend einschlägigen Fassung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG als Anspruchsberechtigte jedoch noch nicht genannt, sondern erst in der ab 31. März 2021 (BGBl. I S. 370) geltenden Fassung als Anspruchsberechtigte mitumfasst (vgl. hierzu die Begründung in Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 19/27291, u.a. zum Gesetzentwurf zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen, Drs. 19/26545, Seite 61 zu Nummer 4 (§ 56): Durch die Neufassung des Satzes 2 wird klargestellt, dass auch Personen, die aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 einem Absonderungsgebot unterliegen, ebenso wie Personen, die einem solchen Gebot nach §§ 30, 32 unterliegen, einen Anspruch nach Satz 2 haben. Das gilt auch dann, wenn sie sich als Erkrankte abzusondern haben, jedoch ist wie bisher ein Verdienstausfall Voraussetzung, der etwa dann nicht eintritt, soweit eine Entgeltersatzleistung gewährt wird.).
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Im Übrigen hätte die Arbeitnehmerin, selbst wenn sie als Kranke in der vorliegend einschlägigen Fassung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG mitumfasst gewesen wäre, keinen Verdienstausfall erlitten, da das Gericht davon überzeugt ist, dass diese arbeitsunfähig erkrankt war, da diese den Angaben der Klägerin im Antrag auf Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen vom 16. Juni 2021 zufolge die ausgeübte Tätigkeit nicht habe im Homeoffice ausüben können, da diese krank gewesen sei, und auch eine Ersatztätigkeit aufgrund der Erkrankung nicht habe ausgeübt werden können, was zweifellos für eine Erkrankung, die zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt hat, spricht. Selbst in der Klagebegründung betont die Klägerin, dass Symptome aufgetreten seien, es lediglich an der förmlichen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit gefehlt habe. Dass es die Arbeitnehmerin der Klägerin – möglicherweise arbeitsvertragswidrig – unterlassen hat, sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen zu lassen, ändert jedoch nichts daran, dass sie – wie von der Klägerin selbst dargelegt – arbeitsunfähig erkrankt war.
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Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG), so dass für diesen Fall infolge der Absonderungsanordnung kein Verdienstausfall entsteht.
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3.3.2 Aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin im Antrag auf Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen vom 16. Juni 2021, dass die Arbeitnehmerin während der Zeitdauer der Absonderung von 24. November 2020 bis 4. Dezember 2020 krankgeschrieben bzw. arbeitsunfähig erkrankt war, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG nach Überzeugung des Gerichts auch nicht für den 4. Dezember 2020 erfüllt, auch wenn seitens des Gesundheitsamtes für diesen Tag keine Symptome mehr notiert worden waren. Gegenteiliges wurde auch im Klageverfahren nicht vorgetragen.
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4. Da die Klage keinen Erfolg hat, hat die Klägerin nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO).