Inhalt

VG München, Beschluss v. 04.04.2023 – M 22 SE 23.1558
Titel:

Obdachlosenunterbringung, kein vorbeugender Rechtsschutz gegen befürchtete Zwangsräumung, keine Anfechtbarkeit einer (lediglich begünstigenden) obdachlosenrechtlichen Einweisung

Normenketten:
VwGO § 123
VwGO § 80 Abs. 5
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
Schlagworte:
Obdachlosenunterbringung, kein vorbeugender Rechtsschutz gegen befürchtete Zwangsräumung, keine Anfechtbarkeit einer (lediglich begünstigenden) obdachlosenrechtlichen Einweisung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8020

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

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Der Anträge bleiben ohne Erfolg.
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1. Soweit der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu verpflichten, ihm seine bisherige Unterkunft in der ... in … weiterhin zur Verfügung zu stellen, erweist sich der Antrag bereits als unzulässig.
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Die dafür erforderliche besondere Dringlichkeit – mithin ein Anordnungsgrund – ist vorliegend nicht gegeben. Dem Antragsteller ist es zuzumuten (und bleibt es unbenommen), nachträglichen Rechtsschutz gegen eine etwaige, noch zu erlassende Räumungsanordnung der Antragstellerin zu ergreifen. Anhaltspunkte, die vorliegend eine Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich (vgl. zum grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes: BVerwG, B.v. 27.5.2004 – 1 WDS-VR 2/04 – juris Rn. 3).
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1.1 Zur Klarstellung ist in diesem Zusammenhang auf Folgendes hinzuweisen: Nach Beendigung der Nutzungsberechtigung bedarf die Räumung einer von Obdachlosen weiterhin genutzten Wohnung einer mit Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzbaren (Räumungs-)Anordnung (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand Oktober 2019, Art. 7 Rn. 197; VG München, B.v. 23.4.2008 – M 22 S 08.1399 – juris Rn. 16). Dabei hat die Obdachlosenbehörde eine angemessene Frist zu bestimmen, innerhalb derer der Obdachlose seine Verpflichtung zur Räumung der Unterkunft zu erfüllen hat (vgl. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG; zu den Anforderungen an der Fristsetzung aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1963 – I C 8.63 – NJW 1964, 315). Allein die Beendigung der obdachlosenrechtlichen Zuweisung einer Unterkunft (hier mit Bescheid der Antragsgegnerin vom …2023) genügt für die Durchführung einer zwangsweisen Räumung nicht. Dies kann vielmehr nur mittels einer gegen den Obdachlosen zu erlassenden Räumungsverfügung – gegebenenfalls unter Anordnung des Sofortvollzugs verbunden mit der Androhung der Zwangsräumung – geschehen (vgl. VGH BW, B.v. 23.11.1992 – 1 S 2341/92 – DÖV 1993, 353; VG München, B.v. 30.7.2020 – M 22 E 20.3294).
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1.2. Vorliegend hat die Antragsgegnerin noch keine förmliche Räumungsanordnung erlassen, die den oben dargestellten Anforderungen genügt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der aus Sicht eines objektiven Empfängers lediglich nachrichtlichen Mitteilung für die Anmerkung in den Gründen des Bescheids vom … … 2023, dass die Unterkunft in der … … zum … … 2023 zu räumen sei. Eine mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzbare Rechtsgrundlage in Form einer Räumungsverfügung wurde damit nicht geschaffen.
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Daher ist derzeit mangels eines durchsetzbaren Räumungsbescheids – und damit einer unmittelbar bevorstehenden Räumung – ein qualifiziertes, d.h. gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse (Anordnungsgrund), nicht vorhanden. Der Antragsteller hat vielmehr eine für die wirksame Räumung der Unterkunft erforderliche Anordnung der Antragsgegnerin abzuwarten und gegen diese Anordnung nachträglichen Rechtsschutz zu ergreifen. Gründe, weshalb ihm dies nicht zumutbar wäre (schwerwiegende und irreparable Nachteile), sind nicht ersichtlich.
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An dieser Stelle weist das Gericht hin, dass der Antragsteller nicht beanspruchen kann, in eine bestimmte Unterkunft eingewiesen bzw. dort belassen zu werden, da eine Obdachlosenunterkunft lediglich der vorübergehenden Unterbringung dient und nicht für eine dauernde Wohnnutzung bestimmt ist. Dementsprechend begründet eine Einweisung auch keinen „Besitzstand“ zu Gunsten der eingewiesenen Person, der seiner künftigen Umsetzung entgegenstehen könnte (OVG Saarl, B.v. 2.11.2021 – 2 A 194/21 – juris Rn. 10; HessVGH, B.v. 7.3.2011 – 8 B 217/11 – juris Rn. 28 m.w.N.; VG München, B.v. 2.1.2017 – M 22 S 16.5528 – juris Rn. 25). Bei der Auswahl einer konkreten Unterkunft steht der Sicherheitsbehörde zudem ein weites Ermessen zu, solange die Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung beachtet sind (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand Oktober 2019, Art. 7 Rn. 188; VG München, B.v. 5.12.2017 – M 22 E 17.4746 – juris Rn. 19).
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2. Soweit der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 Abs. 1 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom … … 2023 gegen die Einweisungsverfügung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin vom … … 2023, hinsichtlich derer der Sofortvollzug angeordnet wurde, begehrt, ist sein Antrag gleichfalls unbegründet.
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2.1 Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage wiederherstellen, wenn diese – wie hier – aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Verfügung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Abs. 3 VwGO entfallen ist. Hierfür trifft das Gericht eine eigene originäre Entscheidung aufgrund einer summarischen Würdigung der zum Entscheidungszeitpunkt gegebenen Erkenntnislage unter Abwägung der Interessen des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes und dem Interesse der Antragsgegnerin an der geltend gemachten sofortigen Vollziehbarkeit, wobei besonderes Gewicht den voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache zukommt.
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2.2 Gemessen an diesen Maßstäben kann der Antrag keinen Erfolg haben, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird, da sich diese gegen einen lediglich begünstigenden Bescheid richtet und damit unzulässig sein dürfte.
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Bei der Zuweisung einer Obdachlosenwohnung handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Der Eingewiesene kann von diesem Verwaltungsakt nach Belieben Gebrauch machen. Es besteht keine Pflicht, in die zur Verfügung gestellte Unterkunft tatsächlich einzuziehen (VG München, B.v. 24.10.2002 – M 22 E 02.2459 – juris Rn. 53; VG Ansbach, B.v. 12.8.2004 – AN 5 S 04.01448 – juris Rn. 10).
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Dementsprechend besteht vorliegend für den Antragsteller auch keine Verpflichtung zum Einzug in die ihm zugewiesene Unterkunft, die durch die Antragsgegnerin zwangsweise durchgesetzt werden könnte. Folglich fehlt es auch an den Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung seitens der Behörde. Eine gleichwohl verfügte Regelung dieses Inhalts geht ins Leere.
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Die Anträge waren somit vollumfänglich abzulehnen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des Antrags nach § 123 VwGO aus § 154 Abs. 1 VwGO. Hinsichtlich des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO waren die Kosten- trotz des Unterliegens des Antragstellers – der Antragsgegnerin aufzuerlegen, da diese im Ergebnis durch die Antragsgegnerin, die die sofortige Vollziehbarkeit der Einweisung im angefochtenen Bescheid vom … … 2023 grundlos angeordnet hat, veranlasst wurden (§ 155 Abs. 4 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 sowie Ziffer 35.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Zusammenrechnung der Streitwerte erfolgt vorliegend trotz der objektiven Antragshäufung wegen der wirtschaftlichen Identität der Streitgegenstände (Einweisung oder Belassung in der bisherigen Unterkunft) nicht.