Titel:
Disziplinarklage, Zurückstufung um zwei Stufen in das Eingangsamt, Ausländerfeindliche, nationalsozialistische und antisemitische Chats sowie unbefugte Weitergabe dienstlicher Erkenntnisse durch Polizeibeamten, Mangels Verletzung der Verfassungstreuepflicht keine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
Normenkette:
BayDG Art. 10
Schlagworte:
Disziplinarklage, Zurückstufung um zwei Stufen in das Eingangsamt, Ausländerfeindliche, nationalsozialistische und antisemitische Chats sowie unbefugte Weitergabe dienstlicher Erkenntnisse durch Polizeibeamten, Mangels Verletzung der Verfassungstreuepflicht keine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8018
Tenor
I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um zwei Stufen in das Amt eines Kriminalmeisters (Besoldungsgruppe A7) erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Disziplinarklage die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Diesem werden als Polizeibeamten der Versand und Empfang von Chat-Nachrichten mit ausländerfeindlichem, nationalsozialistischem und antisemitischem Inhalt sowie die Weitergabe von Erkenntnissen aus der polizeilichen Sachbearbeitung vorgeworfen.
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1. Der am ... geborene Beklagte ist seit 4. Januar 2010 Beamter, seit 1. September 2013 im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Er war seit 1. Oktober 2016 bis zum Verbot der Führung der Dienstgeschäfte am 10. August 2020 beim Kriminalfachdezernat 7 – Bereiche Korruption, Gesundheitswesen – tätig; vorher war er bei einer Polizeiinspektion eingesetzt und auch mit Aufgaben des Personenschutzes betraut. Seine letzte Ernennung zum Kriminalhauptmeister (Besoldungsgruppe A9) erfolgte zum 1. Juni 2019. Die letzte periodische Beurteilung 2017 lautet auf das Gesamtergebnis von sieben Punkten.
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Der Beklagte ist ledig und kinderlos. Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
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2. Wegen der im Rahmen des disziplinarrechtlichen Verfahrens gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfe wurden folgende strafrechtliche Verfahren gegen ihn geführt:
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2.1. Die Staatsanwaltschaft M. II sah mit Verfügung vom 27. August 2020 (...) nach § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen unter anderem den Beklagten ab. Den vom Ermittlungsverfahren betroffenen Personen lag zur Last, im Zeitraum von 2013 bis 17. Juli 2019 durch Versenden von Nachrichten einschließlich Bildern und Videos in verschiedenen Wh.A.-Chats die Straftatbestände unter anderem der Volksverhetzung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Gewaltdarstellung, der Beleidigung, des Geheimnisverrats und des Beschimpfens von Religionsgemeinschaften verwirklicht zu haben.
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2.2. Die Staatsanwaltschaft M. I stellte mit Verfügung vom 24. November 2020 (...) ein Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Das Ermittlungsverfahren betraf die mögliche strafrechtliche Relevanz der Inhalte der Kommunikation des Beklagten insbesondere im Rahmen von WhatsApp-Chats.
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2.3. Weiter stellte die Staatsanwaltschaft M. I mit Verfügung vom 11. Mai 2021 (** … …*) ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Die Einstellung betraf die Vorwürfe, in drei Chats am 21. September 2015, 13. November 2015 und 10. März 2016 Informationen aus den polizeilichen Ermittlungen gegen den Fußballspieler … und am 25. Oktober 2018 eine Seite einer polizeilichen Sachverhaltsschilderung über einen Screenshot an eine Angehörige der Justiz weitergegeben zu haben.
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Im Hinblick auf den Vorwurf, am 15. Mai 2019 eine Information über einen in einer polizeilichen Kontrolle ermittelten Promillewert ihres Sohnes an eine Tante weitergeleitet zu haben, stellte die Staatsanwaltschaft M. I das Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten vorläufig nach § 153a Abs. 1 StPO und nach Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von 500 € zugunsten Condrobs am 2. Juni 2021 endgültig ein.
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3. Das Polizeipräsidium M. leitete mit Verfügung vom 7. April 2020 disziplinarrechtliche Ermittlungen gegen den Beklagten ein. Am 28. Mai 2020 wurde eine Durchsuchung bei ihm durchgeführt. Mit Schreiben vom 15. Juli 2020 wurde der Beklagte nachträglich über die Einleitung des Disziplinarverfahrens in Kenntnis gesetzt. Mit Verfügung vom 10. August 2020 wurde das Verfahren auf weitere Vorwürfe ausgedehnt und bis zum Abschluss der gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt; gleichzeitig wurde ein mündliches Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) ausgesprochen, das mit Schreiben vom 31. August 2020 schriftlich bestätigt wurde. Mit Schreiben vom 10. Februar 2021 wurde der Beklagte unter teilweiser Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge und der jährlichen Sonderzahlung vorläufig des Dienstes enthoben; der Einbehaltungssatz wurde mit Schreiben vom 2. März und 20. April 2022 geändert. Nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wurde das Disziplinarverfahren mit Verfügung vom 4. August 2021 fortgesetzt und auf weitere Vorwürfe ausgedehnt. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2021 wurde dem Beklagten das Ergebnis der Ermittlungen bekannt gegeben.
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Im Disziplinarverfahren wurden für den Beklagten unter den Daten des 11. August, 16., 17. und 19. November 2020 Persönlichkeitsbilder durch verschiedene Vorgesetzte erstellt. Diese berichten übereinstimmend von seinem großen Engagement als Polizeibeamter und davon, dass in seinem gesamten dienstlichen Verhalten gegenüber Bürgern, Kollegen und Vorgesetzten keine Anhaltspunkte für eine rechtsextreme Gesinnung erkennbar gewesen seien.
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Der Beklagte erhielt zu allen Verfahrensschritten die Gelegenheit zur Äußerung, von der er mit Schriftsätzen seines Bevollmächtigten vom 24. September 2021 und 10. Februar 2022 Gebrauch machte.
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4. Das Polizeipräsidium M. erhob am 25. April 2022 Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,
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den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
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Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe 1 bis 9 lauten wie folgt:
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„(1) Im Zeitraum vom 24. Dezember 2017 bis 25. Januar 2019 habe der Beklagte in einem Gruppen-Chat (Nr. 232) und einem 1/1 Chat (Nr. 219) im Nachrichtendienst WhatsApp mehrfach Text-, Bild-, Audio- und Videonachrichten mit gewalttätigem, fremdenfeindlichem und nationalsozialistischem Inhalt versandt.
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(a) In den Chat Nr. 219 mit dem einzigen weiteren Teilnehmer P.D. habe er im Zeitraum vom 24. Dezember 2017 bis 7. November 2018 vier Audio-, eine Video- und fünf Bilddateien mit derartigem Inhalt eingestellt.
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Auf zehn entsprechende Nachrichten des P.D. im Zeitraum vom 13. Oktober 2017 bis 1. Juni 2018 habe er zustimmend reagiert.
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(b) In den Chat Nr. 232 mit insgesamt sieben Teilnehmern habe er zwischen 2. März 2018 und 25. Januar 2019 einen Screenshot, zwei Videos, ein Foto und zwei Nachrichten mit entsprechendem Inhalt eingestellt.
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(2) Jedenfalls seit Oktober 2014 habe der Beklagte rechtsextremes, nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut in einem privaten Chat mit P.D. verbreitet. Der Chat betreffe neun vorwerfbare Wortwechsel im Zeitraum vom 24. Oktober bis 25. November 2014. Es sei davon auszugehen, dass die Äußerungen insbesondere … … … …, der ihm zum damaligen Zeitpunkt als Personenschützer anvertraut gewesen sei, und die ... betroffen hätten. Bei den im Chat verwendeten Abkürzungen „SH“ und „HH“ handle es sich mutmaßlich um Codes für „Sieg Heil“ bzw. „Heil Hitler“.
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(3) In dem Chat Nr. 232 mit mehreren Beteiligten habe sich der Beklagte in Textnachrichten vom 6. September 2017 zu einem Einsatz bei dem Fußballspieler … geäußert und Einsatzdetails weitergegeben.
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(4) In drei Chat-Verläufen ab dem 21. September 2015 habe der Beklagte detaillierte Informationen zu einer von ihm durchgeführten Verkehrskontrolle, bei der der ehemalige Fußballspieler … unter Alkoholeinfluss angetroffen worden sei, an mehrere Teilnehmer, vermutlich Familienangehörige und Bekannte, weitergegeben.
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(5) Im Zeitraum vom 8. bis 15. Mai 2019 habe er in einem privaten Chat mit Frau L. Inhalte eines polizeilichen Datenbestandes zum Sohn von Frau L. offenbart. Der Sohn sei am 19. März 2019 nach einer Verkehrskontrolle einer Blutentnahme unterzogen worden.
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(6) Der Beklagte habe am 25. Oktober 2018 ohne dienstliche Veranlassung einen Screenshot aus einem polizeilichen Vorgang an eine Bekannte übersandt.
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(7) In einem Chat mit P.D. auf WhatsApp sei es am 6. März 2020 ab 17:51 Uhr zu einem die Vernehmung eines Rabbiners betreffenden Nachrichtenverlauf gekommen, der eine rechtsradikale, ausländerfeindliche, nationalistische Gesinnung des Beklagten nahelege.
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(8) Auch ein Chat mit O.A. im Nachrichtendienst WhatsApp am 19. März 2020 lasse eine solche Gesinnung des Beklagten vermuten.
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(9) In einem Chat im Nachrichtendienst WhatsApp mit der Bekannten V. des Beklagten sei es am 13. November 2015, 7. Januar 2016 und 1. November 2017 zum Austausch diverser Textbeiträge gekommen, die eine rechtsradikale, ausländerfeindliche, nationalistische Gesinnung des Beklagten nahelegten.
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Hinsichtlich der Inhalte der vorgeworfenen Chats wird auf die Darstellung in der Disziplinarklage verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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Das Polizeipräsidium M. trägt in der Disziplinarklage weiter insbesondere vor:
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Der Antrag des Bevollmächtigten auf Einholung weiterer dienstlicher Stellungnahmen werde abgelehnt. Die Vielzahl der vom Beklagten getätigten Äußerungen deute auf eine verwerfliche Gesinnung und die Identifikation mit dem verwerflichen Gedankengut hin. Auch wenn die Äußerungen teilweise in einem 1/1 Chat erfolgt seien, rechtfertige dies nicht die geführte Kommunikation.
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Durch sein Verhalten habe der Beklagte ein einheitliches Dienstvergehen begangen und die politische Treuepflicht aus § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, die Pflicht, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauensvoll zu verhalten, aus § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, die Gehorsamspflicht aus § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V.m. Nr. 2.7.2 der EDV-Rahmenrichtlinie für die Bayerische Polizei vom 1. März 2001 und die Pflicht zur Verschwiegenheit aus § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG verletzt.
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Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit habe durch das Dienstvergehen enormen und irreparablen Schaden genommen, weshalb die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als Disziplinarmaßnahme geboten sei. Der Schwerpunkt liege in der Verletzung der politischen Treuepflicht als Kernpflicht. Der Beklagte habe Äußerungen vorwerfbaren Inhalts wiederholte Male getätigt. Sie seien mit der besonderen Vertrauens- und Garantenstellung als Polizeibeamter im Hinblick auf die Wahrung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in der Öffentlichkeit unvereinbar. Erschwerend wirke, dass sich die Äußerungen auch auf eine ihm dienstlich anvertraute Schutzperson bezogen hätten. Zudem habe er die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten durch die Chat-Inhalte verletzt und unbefugt Geheimnisse offenbart, die ihm als Amtsträger bekannt geworden seien. Zu Gunsten des Beklagten würden die vier Persönlichkeitsbilder gewertet, außerdem seine fehlende Vorbelastung, seine Reue und Entschuldigung sowie dass er sich bei den Ermittlungen durch Preisgabe seines PIN hilfsbereit gezeigt habe. Wegen des Versagens im Kernbereich stelle die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedoch die einzig angemessene Ahndung des Dienstvergehens dar.
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Der Beklagte beantragte,
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die Disziplinarklage abzuweisen, hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
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Er ließ vortragen, er sei weit davon entfernt, ausländerfeindlich zu sein oder rechtsradikales Gedankengut zu hegen. Dies komme auch im Persönlichkeitsbild von EKHK S. zum Ausdruck. Im dienstlichen Kontakt mit Flüchtlingen, mit Kollegen mit Migrationshintergrund oder mit seinen Schutzpersonen sei er stets objektiv gewesen und es nie zu Beschwerden gekommen.
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Die vorgeworfenen Chat-Beiträge in dem 1/1 Chat Nr. 219 (Vorwurf 1) stammten schwerpunktmäßig von D., mit dem er seit mehr als zehn Jahren befreundet gewesen sei und auf den sich sein Freundeskreis zuletzt beschränkt habe. Um die Freundschaft nicht zu gefährden, habe er nicht abweisend auf dessen Nachrichten reagiert, sondern lediglich durch wortkarge Antworten erkennen lassen, dass er die Nachrichten nicht gut heiße. Er habe D. dann jedoch Ende 2018/Anfang 2019 in einem persönlichen Gespräch gebeten, die Zusendungen entsprechender Nachrichten einzustellen, was dieser auch getan habe. Die anstößigen Nachrichten lägen im Promillebereich der ausgetauschten Nachrichten. Er bereue zutiefst, sich nicht nur nicht distanziert, sondern aus falsch verstandener Rücksichtnahme auch noch aktiv an dem Chat mitgewirkt zu haben.
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Die vorgeworfenen Äußerungen in dem Chat mit D. im Oktober/November 2014 (Vorwurf 2) seien nicht aus einer grundsätzlich rechtsradikalen Weltanschauung heraus erfolgt. Sie ließen sich mit dienstlichen Umständen erklären. Sein Verhalten als Personenschützer sei dennoch stets korrekt und professionell gewesen. Er bedaure, wenn er mit den Äußerungen eine Grenze überschritten habe. Die Abkürzungen „HH“ und „SH“ hätten nicht die vom Kläger zugeschriebene Bedeutung.
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Vorwurf 3 sei grundsätzlich zutreffend. Der Chat Nr. 232 habe ausschließlich aus Kollegen bestanden; es sei nicht unüblich, sich über Einsätze auszutauschen.
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Im Hinblick auf Vorwürfe 4 und 6 sei das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Eine Dienstpflichtverletzung habe jeweils nur geringe Relevanz.
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Für den von Vorwurf 5 erfassten Sachverhalt entschuldige er sich. Die Staatsanwaltschaft habe nur eine geringe Schuld in seinem Verhalten gesehen, was auf das Disziplinarrecht übertragen werden könne.
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Der von Vorwurf 7 betroffene Sachverhalt sei nicht vorwerfbar; vielmehr komme in dem Chat zum Ausdruck, dass er sich über die hohe Stellung des einzuvernehmenden Zeugen im Klaren gewesen sei.
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Bei dem Chat mit A. (Vorwurf 8) sei er nicht auf dessen Äußerungen eingegangen.
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Für die Äußerungen in dem Chat mit V. (Vorwurf 9) schäme er sich. Sie gehöre wegen ihrer extremen Ansichten nicht mehr zu seinem Bekanntenkreis.
43
Im Übrigen habe die Disziplinarbehörde es versäumt, auch entlastende Umstände zu ermitteln. Insbesondere sei er in einem Gruppen-Chat mit Kollegen mit einer Nachricht vom 20. März 2020 dem Einstellen anstößiger Inhalte entgegen getreten.
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Da die Beiträge in den Vorwürfen 1, 2 und 9 nicht aus einer rechtsradikalen, nationalsozialistischen Gesinnung erfolgt seien, könne in rechtlicher Hinsicht nur noch ein Verstoß gegen die Pflicht zum Wohlverhalten vorliegen. Die Handlungen seien außerdienstlich begangen worden und erfüllten nicht die Voraussetzungen von § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Die Chats seien mit einer Einzelperson bzw. in einer geschlossenen Gruppe geführt worden und vom Recht auf Vertraulichkeit umfasst. Bei den Sachverhalten 7 und 8 sei eine Pflichtverletzung nicht erkennbar. Hinsichtlich der Sachverhalte 3, 4 und 6 liege nur geringe disziplinarrechtliche Relevanz vor, die die Schwelle zur Ahndungsbedürftigkeit nicht überschreite. Die Dienstpflichtverletzung hinsichtlich Vorwurf 5 sei nach der strafrechtlichen Ahndung nach § 153a StPO gemäß Art. 15 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) nicht zu verfolgen. Jedenfalls sei die Höchstmaßnahme nicht gerechtfertigt.
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In der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2023 äußerte sich der Beklagte zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen und zu den einzelnen Chat-Beiträgen. Er bekundete Reue und Bedauern und berichtete, dass er den Kontakt zu P.D. inzwischen abgebrochen habe. Im Übrigen wiederholten die Parteien ihre Anträge.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Disziplinarakte, die Personalakte, die Ermittlungsakten und die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um zwei Stufen in das Eingangsamt der 2. Qualifikationsebene (Kriminalmeister, Besoldungsgruppe A7) erkannt (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayDG).
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1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Insbesondere erhielt der Beklagte in allen Verfahrensschritten die Gelegenheit zur Äußerung. Soweit er rügt, dass die Disziplinarbehörde es versäumt habe, auch entlastende Umstände zu ermitteln, begründet dies jedenfalls keinen wesentlichen Mangel nach Art. 53 Abs. 1 BayDG; insoweit ist eine Ergebnisrelevanz hinsichtlich des gerichtlichen Disziplinarverfahrens (vgl. BVerwG, B.v. 7.7.2016 – 2 B 1.16 – juris Rn. 10) zu verneinen, weil das Gericht bei Bedarf noch entsprechende Ermittlungen anstoßen hätte können.
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2. In tatsächlicher Hinsicht legt das Gericht seinem Urteil die Vorwürfe aus der Disziplinarklage zugrunde. Alle dem Beklagten vorgeworfenen Beiträge in den jeweiligen Chats stehen aufgrund der Auswertungen verschiedener elektronischer Geräte fest. Der Beklagte hat den Sachverhalt auch vollumfänglich zugestanden.
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Danach hat er im Zeitraum vom 13. Oktober 2017 bis 7. November 2018 in den Chat Nr. 219 mit P.D. zehn Äußerungen mit nationalsozialistischem, ausländerfeindlichem und antisemitischem Inhalt eingestellt und zustimmend bzw. verhalten zustimmend auf zehn entsprechende Äußerungen von P.D. reagiert (Vorwurf 1a). Bereits vorher hat er sich im Zeitraum vom 24. Oktober bis 25. November 2014 in dem Chat Nr. 66 mit P.D. in nationalsozialistischem und antisemitischem Sinn ausgetauscht (Vorwurf 2). Einen weiteren Chat mit P.D. zu einer anstehenden Vernehmung eines Rabbiners hat der Beklagte am 6. März 2020 geführt (Vorwurf 7). Weiter hat er im Zeitraum vom 2. März 2018 bis 25. Januar 2019 in den Gruppen-Chat Nr. 232 sechs Beiträge mit teilweise gewaltdarstellendem, teilweise ausländerfeindlichem Inhalt eingestellt (Vorwurf 1b). Einen Chat mit jedenfalls zwei vorwerfbaren Äußerungen hat er zudem am 6. März 2020 mit O.A. (Vorwurf 8) und mit ausländerfeindlichen Äußerungen am 13. November 2015, 7. Januar 2016 und 1. November 2017 mit V. geführt (Vorwurf 9).
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Darüber hinaus hat er am 6. September 2017 (Vorwurf 3), ab 21. September 2015 (Vorwurf 4), vom 8. bis 15. Mai 2019 (Vorwurf 5) und am 25. Oktober 2018 (Vorwurf 6) in verschiedenen Chats Erkenntnisse aus polizeilichen Ermittlungen an Dritte weitergegeben.
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3. Mit seinem Verhalten hat der Beklagte mehrere beamtenrechtliche Pflichten verletzt. Im Hinblick auf die verletzten Pflichten ist zu unterscheiden zwischen den Chats (Vorwürfe 1, 2, 7 bis 9; vgl. 3.1.) und der unbefugten Weitergabe dienstlicher Erkenntnisse (Vorwürfe 3 bis 6; vgl. 3.2.), wobei die Pflichtverletzungen wegen seiner Stellung als Polizeibeamter das amtserforderliche Vertrauen in besonderem Maße beeinträchtigen (3.3.).
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3.1. Der Versand und Erhalt vorwerfbarer Äußerungen in den Chats begründet einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten aus § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (3.1.1.) und die Pflicht zu unparteiischer und gerechter Amtsführung aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG (3.1.2.), aufgrund der Umstände des Einzelfalls aber keinen Verstoß gegen die politische Treuepflicht aus § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (3.1.3.).
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In der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung zu nationalsozialistischem Verhalten von Beamten wie etwa dem Zeigen des Hitlergrußes wird unterschieden zwischen einerseits Verhalten, dem tatsächlich eine innere Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugrunde liegt, und andererseits Verhalten, bei dem ein solcher Anschein begründet und entsprechende Zweifel hervorgerufen werden. Disziplinarrechtliche Relevanz kommt dem Verhalten in beiden Fällen zu. Eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht aus § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG ist jedoch dann zu verneinen, wenn durch konkretes Handeln zwar der Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat entgegenstehenden Gedankengut gesetzt wird, dem Verhalten aber dennoch keine innere Abkehr von den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugrunde liegt. Zweifelsohne ist ein Beamter im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verpflichtete Beamtenschaft gehalten, zu vermeiden, dass er durch sein Verhalten den Anschein setzt, sich mit verfassungsfeindlichen Ideen zu identifizieren oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren. Das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins begründet stets eine disziplinarrechtlich bedeutsame Verletzung der Pflicht zur achtungs- und vertrauensvollem Verhalten aus § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG. Liegt dem Verhalten keine Gegnerschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugrunde, ist dagegen eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht zu verneinen (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2001 – 1 DB 15.01 – juris Rn. 36 f. sowie unter Berufung hierauf etwa: VG Greifswald, U.v. 26.9.2022 – 11 A 1077/21 HGW – juris Rn. 25 ff.; U.v. 28.1.2022 – 11 A 2175/20 HGW – juris Rn. 33 ff.; VG Ansbach, U.v. 28.7.2020 – AN 12b D 19.01099 – n.v. UA S. 18 f.; VG Münster, U.v. 26.2.2018 – 13 K 768/17.O – juris Rn. 89 ff.).
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Im gleichen Sinn nimmt das Bundesverwaltungsgericht im Wehrbereich eine Unterscheidung vor zwischen der Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 Soldatengesetz (SG) und der Verpflichtung zu deren Anerkennung (§ 8 Alt. 1 SG) und bejaht eine Verletzung der letztgenannten Pflicht nur im Fall einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung. Unterstützt ein Soldat dagegen entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen und verhält sich objektiv betrachtet illoyal, verletzt er die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG, nicht aber die Pflicht zu deren Anerkennung nach § 8 Alt. 1 SG (BVerwG, U.v. 4.11.2022 – 2 WD 25.20 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 13.1.2021 – 2 WD 4.21 – juris Rn. 41 ff.; U.v. 18.6.2020 – 2 WD 17.19 – juris Rn. 33 ff.).
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Die vorstehende Unterscheidung hat Konsequenzen auch für die disziplinarrechtliche Relevanz außerdienstlichen Verhaltens (vgl. 4.) und die Disziplinarmaßnahmezumessung (vgl. 6.2.).
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3.1.1. Mit der Teilnahme an den Chats hat der Beklagte in schwerwiegender Weise die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten aus § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (in der Fassung v. 17.6.2008 bzw. 8.6.2017 bzw. 29.11.2018) verletzt.
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Mit den von ihm eingestellten Audio-Beiträgen vom 24. Dezember 2017 (Vorwurf 1a – Teil 1 – Äußerungen 1-4), die ihren Ursprung in einem scherzhaften Wortwechsel zu dem von ihm gefahrenen Kfz haben und in satirischer Form die Kampfkraft der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg und nationalsozialistisches Unrecht gegenüber den Juden betreffen, geht eine Verharmlosung nationalsozialistischer Ideen einher. Dabei kommt besonderes disziplinarrechtliches Gewicht den Äußerungen 3 und 4 zu, die den Rahmen eines Scherzes weit überschreiten. Auch bei dem Post vom 19. Mai 2018 mit einem durch Fotomontage veränderten Foto von Ö. und Er. (Vorwurf 1a – Teil 1 – Bild 5) wird durch die Überschrift eine positive Bewertung des Dritten Reiches suggeriert. Ausländerfeindlicher Inhalt kommt den vom Beklagten in den Chat eingestellten Bildern 7 bis 10 unter Vorwurf 1a – Teil 1 – zu, weil hier Ausländer für die in Deutschland herrschenden Probleme verantwortlich gemacht (Bild 8), Personen mit dunkler Hautfarbe mit negativen Eigenschaften assoziiert (Bild 10) und Abschiebung bzw. Einreiseverhinderung in ironischer Form propagandiert werden (Bilder 8 und 9). Dabei ändert die „Unterhaltungskomponente“ nichts an dem objektiven ausländerfeindlichen Erklärungsinhalt (BVerwG, U.v. 13.1.2022 – 2 WD 4.21 – juris Rn. 36).
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In besonderem Maße vorwerfbar ist, dass der Beklagte sich gegenüber den zehn von D. zwischen Oktober 2017 und Anfang Juni 2018 eingestellten ausländerfeindlichen und nationalsozialistischen Beiträgen nicht klar positioniert und diesen Einhalt geboten hat (Vorwurf 1a – Teil 2). Vielmehr hat er mit den Äußerungen 5, 6, 7 und 9 klar seine Zustimmung zum Ausdruck gebracht. Eine Dienstpflichtverletzung ist nicht nur im aktiven Versenden von Nachrichten mit vorwerfbarem Inhalt, sondern auch in deren Empfang, ohne dem Inhalt entgegenzutreten oder sich zumindest davon zu distanzieren, zu sehen (ebenso VG Greifswald, U.v. 26.9.2022 – 11 A 1077/21 HGW – juris Ls. 3 und Rn. 27). Um einer Abwärtsspirale entgegenzuwirken, bedarf es insoweit einer klaren Positionierung gegen rechte Posts jedweden Inhalts und ist dies in besonderem Maße von einem Polizeibeamten zu erwarten.
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Der vom Beklagten am 24. Dezember 2018 versandten Nachricht im Gruppenchat Nr. 232 (Vorwurf 1b Äußerung 5) kommt mit der abwertenden Bezeichnung von Ausländern ausländerfeindlicher Inhalt zu. Die Videos vom 5. und 7. April 2018 (Vorwurf 1b Video 2 und 3) haben Gewaltdarstellungen zum Inhalt.
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In besonderem Maße vorwerfbar ist die Konversation Nr. 66 zwischen dem Beklagten und P.D. im Zeitraum vom 24. Oktober bis 25. November 2014 (Vorwurf 2) mit den Achtungsanspruch der Juden in besonderem Maße verletzenden Beiträgen. Besonders schwer wiegen dabei die die Schutzpersonen betreffenden Äußerungen 3 und 9 des Beklagten am 24. Oktober und 25. November 2014 und seine unterbliebene Reaktion auf die Äußerung von D. am 28. Oktober 2014 im Rahmen des Wortwechsels 4 (dort a.E.). Nicht glaubhaft erscheint die verharmlosende Erklärung des Beklagten, die in dem Chat mehrmals verwendeten Abkürzungen „HH“ und „SH“ seien – anders als vom Kläger vorgenommen – nicht als „Heil Hitler“ und „Sieg Heil“ zu interpretieren. Selbst wenn dieser Vortrag zutreffen würde, wäre es unerlässlich gewesen, bereits eine Konversation zu unterlassen, die eine solche Deutung zulässt.
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Vorwerfbar sind auch die beiden letzten Beiträge des Beklagten im Chat mit A. am 19. März 2020 (Vorwurf 8), denen ebenfalls ausländerfeindlicher und nationalsozialistischer Inhalt zukommt.
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Von ausländerfeindlichem Gedankengut geprägt ist weiter der gesamte Chat mit V. (Vorwurf 9), was sich an der herabwürdigenden Diktion des Beklagten und den vertretenen Ansichten festmachen lässt; in diesem Chat tritt er zudem als Wortführer auf.
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Als nicht vorwerfbar sieht das Gericht die Äußerung des Beklagten vom 6. April 2018 (Vorwurf 1a – Teil 1 – Äußerung 5) an, bei der er – ungeachtet des Einstellens einer Gewaltszene – gerade sein Unverständnis für das gezeigte Verhalten zum Ausdruck bringt. Als nicht vorwerfbar erachtet das Gericht auch die Äußerungen 1, 4 und 6 im Chat Nr. 232 (Vorwurf 1b); bei Chatbeitrag 1 genügt die bloße Nennung des „Deutschen“ nicht für einen nationalsozialistischen Bezug, Foto 4 hat eine disziplinarrechtlich nicht relevante Satire zum Inhalt, Äußerung 6 einen politisch neutralen Sprachwitz. Auch der kurze Dialog mit D. am 6. März 2020 (Vorwurf 7) enthält keine vorwerfbare Äußerung des Beklagten; nach seiner nachvollziehbaren Erklärung im Klageverfahren wollte er vielmehr gerade sein Bewusstsein für die hervorgehobene Stellung des Zeugen ausdrücken.
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Der Beklagte kann sich gegenüber der Annahme einer Pflichtverletzung nicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Meinungsfreiheit oder das Recht auf Vertraulichkeit berufen. Eine diffamierende Herabsetzung von Personen und Personengruppen überschreitet die einem Beamten gezogenen Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit deutlich (BVerwG, U.v. 18.6.2020 – 2 WD 17.19 – juris Rn. 25 f.; U.v. 20.2.2001 – 1 D 55.99 – juris Rn. 38 f.).
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3.1.2. Die Teilnahme an den Chats führt gleichzeitig zu einem Verstoß gegen die Pflicht zu unparteiischer und gerechter Amtsführung aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG.
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Aus dieser Pflicht folgt das an den Beamten gerichtete Gebot, sich nicht in einer die Besorgnis der Parteilichkeit begründenden Weise zu verhalten. Es dürfen keine Zweifel an seiner unparteiischen Amtsführung entstehen. Eine Besorgnis der Parteilichkeit ist dann angezeigt, wenn objektive Gründe vorliegen, die aus Sicht eines vernünftigen Betrachters Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Beamten erregen (BVerwG, U.v. 20.2.2001 – 1 D 55.99 – juris Rn. 41).
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Durch seine Äußerungen in den Chats und den Umstand, dass der Beklagte den Chat-Beiträgen von D., A. und V. nicht entschieden entgegen getreten ist, hat er Zweifel daran begründet, dass er im Rahmen seiner Amtsführung Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit jüdischem Glauben unparteiisch und gerecht gegenübertreten wird. Maßgeblich ist insoweit nicht, ob er tatsächlich parteiisch ist und dem Gerechtigkeitsgebot zuwiderhandelt. Vielmehr genügt insoweit der „böse Schein“, weil bereits dieser geeignet ist, das Vertrauen in eine gerechte und unparteiische Amtsführung nachhaltig zu erschüttern (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2001 – 1 D 55.99 – juris Rn. 42).
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3.1.3. Die Beteiligung des Beklagten an den Chats begründet dagegen mangels innerer Abkehr von den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung keine Verletzung der politischen Treuepflicht.
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3.1.3.1. Nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG müssen sich Beamtinnen und Beamte durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinn des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Die Verfassungstreuepflicht führt dazu, dass sich der Beamte mit den Prinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung ohne innere Distanz identifizieren muss. Gefordert ist die Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dem der Beamte dienen soll, mit der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung dieses Staates zu identifizieren und für sie einzutreten. Unverzichtbar ist, dass der Beamte den Staat und die geltende verfassungsrechtliche Ordnung bejaht, sie als schützenswert anerkennt, in diesem Sinn sich zu ihnen bekennt und aktiv für sie eintritt (BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 16).
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3.1.3.2. Trotz der in schwerwiegendem Maße vorwerfbaren Chats lässt eine Gesamtschau der Chats und der weiteren Umstände des Einzelfalls eine innere Abkehr des Beklagten von den Fundamentalprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht erkennen. Das vorwerfbare Verhalten beruht nicht auf einer von ihm vertretenen verfassungsfeindlichen Gesinnung. Er selbst hat eine solche bereits bei seiner Suspendierung und während des gesamten Disziplinarverfahrens in Abrede gestellt. Dies entspricht auch dem Bild, das das Gericht in der mündlichen Verhandlung von ihm gewonnen hat, bei der er selbst sein Unverständnis über die ausgetauschten Chatbeiträge geäußert hat.
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Auch seine Posts lassen als solche keine nicht widerlegbaren Rückschlüsse auf eine fehlende Verfassungstreue zu. Der zwischen dem Beklagten und P.D. geführte Chat Nr. 219 (Vorwurf 1a) und der zwischen diesen im Zeitraum vom 24. Oktober bis 25. November 2014 geführte Chat Nr. 66 (Vorwurf 2), in denen die schwerwiegendsten Äußerungen gefallen sind, entspringen vielmehr zu einem Großteil der sich aufschaukelnden Unterhaltung. Darin fand jeweils ein „auf kurzfristige ‚Lacher‘ angelegter Überbietungswettbewerb an geschmacklosen und menschenverachtenden Bemerkungen statt“; die vorstehende Formulierung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.1.2022 – 2 WB 4.21 – juris Rn. 43; B.v. 10.10.2019 – 2 WDB 2.19 – juris Rn. 27) trifft auch auf den vorliegenden Fall zu. Bei einer solchen Sachverhaltskonstellation ist der Rückschluss auf eine ernsthafte verfassungsfeindliche Gesinnung nicht zwingend und es nicht auszuschließen, dass der Beamte den Gehalt seiner Posts nicht ernst gemeint hat (BVerwG, U.v. 13.1.2022, a.a.O.; B.v. 10.10.2019, a.a.O.). Vielmehr erscheint das Vorbringen des Beklagten, er habe die Chats mit D. mit den schwerwiegendsten Inhalten aus falsch verstandener Freundschaft geführt, durchaus nachvollziehbar und lässt sich dies erkennen an seinen teilweise wortkargen und wenig motivierten Antworten. Nachvollziehbar ist auch sein Vortrag, die antisemitischen Beiträge unter Vorwurf 2 seien im Hinblick auf innerdienstliche Begebenheiten gefallen, ohne dass eine grundlegend antisemitische Einstellung dahinter stehe. Seine Erklärung zu Vorwurf 9, er habe V., die aufgrund schlechter Erfahrungen mit Männern aus anderen Kulturkreisen diesen gegenüber eine ablehnende Haltung eingenommen habe, mit seinen Beiträgen beeindrucken wollen, hält das Gericht ebenfalls für glaubhaft und nachvollziehbar.
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Auch aus den vier Persönlichkeitsbildern ergeben sich weder Anhaltspunkte für eine fehlende Verfassungstreue des Beklagten noch für eine ausländerfeindliche, nationalsozialistische oder antisemitische Einstellung. Dort ist vielmehr ausgeführt, dass er „mit Leib und Seele“ Polizeibeamter ist (Persönlichkeitsbild EKHK S. v. 11.8.2020 und von EKHK T. v. 16.11.2020). Die Vorgesetzten haben übereinstimmend geäußert, bislang nie fremdenfeindliche, rechtsradikale oder sonst herabwürdigende Verhaltensweisen gegenüber ausländischen Personen, mit denen der Beklagte dienstlich zu tun hatte, oder gegenüber Kollegen mit Migrationshintergrund beobachtet oder gemeldet erhalten zu haben.
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Diesem Eindruck vom Beklagten entspricht es, dass er sämtliche Chats mit D. bei der Beschlagnahme seiner elektronischen Geräte bereits gelöscht hatte, weil nach seinem Bekunden eine Identifikation mit dem dortigen Gedankengut nicht vorlag, und diese nur aufgrund automatischer Speicherung noch auf seinen Geräten verfügbar waren. Weiter hat er D. in einem persönlichen Gespräch Ende 2018/Anfang 2019 nachdrücklich gebeten, die Zusendung entsprechender Posts zu unterlassen. Auch in einem Gruppen-Chat mit Kollegen ist er mit einer Nachricht vom 20. März 2020 dem Einstellen anstößiger Posts entgegen getreten. All dies geschah vor Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen ihn und damit aus eigenem Antrieb und eigener Überzeugung. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung glaubhaft bekundet, dass er den Kontakt zu D. und zu V. inzwischen abgebrochen hat, weil er mit deren Einstellung und Äußerungen nicht einverstanden war.
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Weiter offenbaren die vom Beklagten geposteten Bilder und seine Äußerungen in den Chats weder fundiertes Wissen über die Zeit und Umstände des Nationalsozialismus noch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit diesem Thema, sondern beinhalten leicht online zugängliches Material und in erster Linie gedankenlose, wenn auch inakzeptable Äußerungen. Ebenso hat die Auswertung der beschlagnahmten Speichermedien ergeben, dass er sich nicht im rechten Spektrum bei entsprechenden Vereinigungen engagiert oder sonst extremistische Bestrebungen unterstützt hat. Außerdem waren keinerlei Veröffentlichungen mit ausländerfeindlichem, nationalsozialistischem oder antisemitischem Inhalt auf seinen Geräten gespeichert. Zudem machen die vorwerfbaren Chats nur einen sehr geringen Anteil der ausgetauschten Nachrichten aus.
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3.2. Mit der Weitergabe dienstlicher Erkenntnisse hat der Beklagte gegen die Gehorsamspflicht aus § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i.V.m. Nr. 2.7.2 der EDV-Rahmenrichtlinie für die Bayerische Polizei vom 1. März 2001 verstoßen, nach der die Nutzung dienstlicher EDV-Anlagen etc. für private Zwecke und die unbefugte Weitergabe dienstlicher Daten unzulässig sind. Zudem liegt darin ein Verstoß gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit aus § 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG. Soweit sein Verhalten den Straftatbestand der Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht nach § 353b Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt (Vorwurf 5), liegt überdies ein Verstoß gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze aus § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG vor. Die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 153a Abs. 1 StPO ändert hieran nichts. Zudem führt auch dieses Verhalten zu einem Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten aus § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG.
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3.3. Die genannten Pflichtverletzungen wiegen gerade bei dem Beklagten als Polizeibeamten schwer. Polizeibeamte genießen in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung; das zur Ausübung ihres Amtes erforderliche Vertrauen wird daher in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn diese selbst erhebliche Straftaten begehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – juris Ls. 1 und Rn. 35 f.). In gleichem Maße gilt dies für Äußerungen mit ausländerfeindlichem, nationalsozialistischem und antisemitischem Inhalt durch Polizeibeamte. Polizeibeamte sind in besonderer Weise damit betraut, die vom Gesetzgeber auf Grundlage der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erlassenen Normen durchzusetzen. Von ihrem Handeln sind in besonderem Maße auch Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit jüdischem Glauben betroffen, so dass ihr gesamtes Verhalten den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Achtung der Menschenwürde und der Achtung der freien Religionsausübung gerecht zu werden hat und den Eindruck der Unvoreingenommenheit gegenüber allen von ihrer Amtsausübung betroffenen Personen vermitteln muss.
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4. Die Dienstpflichtverletzungen hat der Beklagte teils innerdienstlich, teils außerdienstlich begangen. Auch die außerdienstlich geführten Chats sind vorliegend nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG disziplinarrechtlich relevant.
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4.1. Wie dargestellt liegt eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht, die stets als innerdienstlich einzustufen ist, nicht vor. Da nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG das gesamte Verhalten des Beamten erfasst ist, ist die Treuepflicht als beamtenrechtliche Kernpflicht als solche unteilbar und nicht auf den dienstlichen Bereich beschränkt. Vielmehr wäre auch das außerdienstliche Fehlverhalten mit der Folge erfasst, dass bei einem pflichtwidrigen Verhalten wegen der Dienstbezogenheit stets ein innerdienstliches Dienstvergehen gegeben ist. Damit wären insoweit die besonderen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG für die Qualifizierung eines außerhalb des Dienstes gezeigten Verhaltens als Dienstvergehen nicht maßgeblich (BVerwG, U.v. 2.12.2021 – 2 A 7.21 – juris Rn. 26; BayVGH, U.v. 20.7.2022 – 16a D 20.1464 – juris Rn. 16).
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4.2. Infolge der Verneinung eines Verstoßes gegen die Verfassungstreuepflicht kommt es jedoch auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG an. Diese liegen hier im Hinblick auf die dem Beklagten vorgeworfenen Chats vor. Damit kann offen bleiben, ob und welche Chatbeiträge er während der Dienstzeit versandt oder erhalten hat.
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Nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG ist ein Verhalten außerhalb des Dienstes nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Diese Eignung liegt bei den von den Vorwürfen 1, 2, 8 und 9 erfassten Chats vor. Wie dargestellt ist ein Beamter im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verpflichtete Beamtenschaft gehalten zu vermeiden, dass er durch sein öffentliches außerdienstliches Verhalten in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise den Anschein setzt, sich mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren oder auch nur mit ihm zu sympathisieren. Denn im Interesse der Akzeptanz und der Legitimation staatlichen Handelns ist er verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat diametral entgegengesetzten Gedankengut und mit Vereinigungen zu vermeiden, die sich zu einem solchen Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Dies ist ausnahmsweise, ohne Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Unschuldsvermutung dann möglich, wenn das den „bösen Schein“ begründende außerdienstliche Verhalten – wie hier – in besonderer Weise geeignet ist, die Akzeptanz oder Legitimation staatlichen Handelns in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen (BVerwG, B.v. 17.5.2001 – 1 DB 15.01 – juris Rn. 36; im gleichen Sinn B.v. 21.12.2010 – 2B 29.10 – juris Rn. 5 und 7; VG Greifswald, U.v. 26.9.2022 – 11 A 1077/HGW – juris Rn. 24 f.).
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Zudem muss sich ein Polizeibeamter insbesondere dann in seinem privaten Verhalten mäßigen, wenn dabei ein besonderer Bezug zu seiner Dienstausübung, das heißt zu seinem polizeilichen Auftrag, zu seinen Kollegen oder zur Polizei als Institution besteht (ebenso BVerwG, U.v. 13.1.2022 – 2 WD 4.21 – juris Rn. 40; U.v.18.6.2020 – 2 WD 17.19 – juris Rn. 23 jeweils zum Kontext der Bundeswehr). Dieser Bereich ist hier betroffen. Die Äußerungen des Beklagten und seiner Chat-Partner in den Chats sind in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in seine berufliche Integrität und die Polizei als Institution zu erschüttern. Unerheblich ist dabei, ob vorliegend Strafbarkeit der Äußerungen, etwa wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB oder Beleidigung nach § 185 StGB, vorliegt (BVerwG, U.v. 13.1.2022 – 2 WD 4.21 – juris Rn. 40) und dass gegen den Beklagten insoweit keine strafrechtliche Sanktion verhängt wurde.
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4.3. Die von der Weitergabe dienstlich erlangter Erkenntnisse betroffenen Pflichten hat der Beklagte innerdienstlich verletzt, weil Ausgangspunkt und Grundlage für die Pflichtverletzung seine dienstliche Stellung als Polizeibeamter ist.
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5. Der Beklagte hat schuldhaft, nämlich vorsätzlich gehandelt. Sämtliche Nachrichten erfolgten mit seinem Wissen und Wollen.
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6. Der Beklagte hat eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung begangen. Infolge eines noch bestehenden Restvertrauens in eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des Beklagten sieht das Gericht nicht die vom Kläger beantragte Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, sondern die zweitschärfste Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um zwei Stufen in das Eingangsamt (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayDG) als angemessene Disziplinarmaßnahme an.
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6.1. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 20.10.2022 – 16a D 21.2136 – juris Rn. 32). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 20.9.2021 – 16b D 19.1302 – juris Rn. 27).
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Fallen einem Beamten – wie hier – mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 26.10.2022 – 16a D 21.1836 – juris Rn. 23). Diese liegt hier im Versand und Empfang ausländerfeindlicher, nationalsozialistischer und antisemitischer Äußerungen in mehreren WhatsApp-Chats.
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6.2. Der Beklagte hat hierdurch ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen. Insgesamt ist hierfür der Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung eröffnet.
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6.2.1. Bei einer Verletzung der Verfassungstreuepflicht wäre ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses lassen es nicht zu, Personen mit der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt zu betrauen, die die freiheitliche demokratische Verfassungsordnung ablehnen (BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 91). Eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht liegt hier jedoch nicht vor. Ansonsten gibt es im Zusammenhang mit vorwerfbaren Chats keine disziplinarrechtliche Regelmaßnahme. Die Handlungsbreite, in der Verletzungen der Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten denkbar sind, ist zu groß, als dass schematisch einheitliche Regeln aufgestellt werden können. Zu betrachten sind stets die Umstände des Einzelfalls. Insgesamt sind hier Disziplinarmaßnahmen aus dem gesamten Maßnahmenkatalog denkbar (vgl. etwa die Darstellung bei VG Münster, U.v. 26.2.2018 – 13 K 768/17.O – juris Rn. 106 ff.). Jedenfalls ist der erstmalige Verstoß eines Beamten gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten, der nicht gleichzeitig eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht darstellt, nicht mit der Höchstmaßnahme zu ahnden (BVerwG, B.v. 17.5.2001 – 1 DB 15.01 – juris Rn. 38; VG Greifswald, U.v. 26.9.2022 – 11 A 1077/21 HGW – juris Rn. 37 f.; U.v. 28.1.2022 – 11 A2175/20 HGW – juris Rn. 43 ff.). Im Hinblick auf die hier vorliegende gravierende Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten scheiden im vorliegenden Fall jedoch die nicht statusberührenden Disziplinarmaßnahmen des Verweises, der Geldbuße und der Kürzung der Dienstbezüge aus und kommt damit nur die statusberührende Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung in Betracht, die nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayDG höchstens bis in das jeweilige Eingangsamt erfolgen kann.
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6.2.2. Im gleichen Sinn hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. etwa U.v. 13.1.2022 – 2 WD 4.21 – juris Rn. 57 ff.; U.v. 4.11.2021 – 2 WD 25.20 – juris Rn. 30 ff.; U.v. 18.6.2020 – 2 WD 17.19 – juris Rn. 43 ff.) in jüngster Zeit auch im Wehrbereich klare Vorgaben für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im Fall vorwerfbarer Chat-Beiträge gemacht. Dieser Rechtsprechung kommt auch für den Bereich des Beamtenrechts Bedeutung zu, weil sich die Verhaltenspflichten der Angehörigen beider Berufsgruppen bereits grundsätzlich ähneln (BayVGH, U.v. 11.8.2010 – 16a D 09.1161 – juris Rn. 91) und zwischen Soldaten und Polizeibeamten wegen ihres Privilegs, eine Waffe zu tragen, eine zusätzliche Parallele besteht.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Wehrbereich ist bei der Verletzung der politischen Treuepflicht – diese nimmt das Bundesverwaltungsgericht hier auch an, wenn nicht die Pflicht zur Anerkennung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach § 8 Alt. 1 SG, sondern (nur) die Pflicht zum Eintreten hierfür nach § 8 Alt. 2 SG verletzt ist – von der Höchstmaßnahme auszugehen, wenn das zugrunde liegende Verhalten zugleich Ausdruck einer nationalsozialistischen oder sonst verfassungsfeindlichen Gesinnung ist. Liegt dem Verhalten dagegen keine verfassungsfeindliche Einstellung zu Grunde, ist bei einem irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit dem Nationalsozialismus eine Zurückstufung Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Bei niedrigschwelligem, bagatellisierendem Verhalten von einigem Gewicht sieht das Bundesverwaltungsgericht im Soldatenbereich ein Beförderungsverbot als angemessene Disziplinarmaßnahme an, wobei allerdings wegen der Bandbreite der möglichen Verfehlungen eine Typisierung nur eingeschränkt möglich sei (vgl. etwa U.v. 13.1.2022 – 2 WD 4.21 – juris Rn. 57 ff.; U.v. 4.11.2021 – 2 WD 25.20 – juris Rn. 30 ff.; U.v. 18.6.2020 – 2 WD 17.19 – juris Rn. 43 ff.).
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6.2.3. Nach diesen Maßstäben ist Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung hier die Zurückstufung. Bei Betrachtung der konkreten Tat ergibt sich, dass diese auch im vorliegenden Fall die angemessene Disziplinarmaßnahme darstellt. Der Beklagte hat die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG in schwerwiegendem Maße verletzt. Er hat eine beträchtliche Anzahl von Äußerungen in Chats mit unterschiedlichen Personen über einen langen Zeitraum getätigt und empfangen, die die Grenze des Zulässigen teilweise weit überschreiten. Die Chat-Beiträge gingen zu einem nicht unerheblichen Teil von ihm selbst aus. Sie bezogen sich auch auf unter seinem Personenschutz stehende Personen, so dass ein enger dienstlicher Kontext bestand. Allerdings waren sämtliche Chat-Beiträge in eine sich aufschaukelnde Konversation mit unbedachten und auf kurzfristige Lacher gerichteten Äußerungen eingebettet und lag seinem Verhalten keine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Einstellung zugrunde. Zudem liegen die im Schwerpunkt vorwerfbaren Beiträge zu einem beachtlichen Teil über acht Jahre zurück (Okt./Nov. 2014) und fielen diese nur in 1/1 Chats und damit in einem weitgehend geschützten Rahmen, so dass nicht die Gefahr bestand, dass die Äußerungen einem größeren Personenkreis zu Gehör kommen oder in die Öffentlichkeit dringen (vgl. BVerwG, U.v. 13.1.2022 – 2 WD 4.21 – juris Rn. 56).
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6.3. Erschwerend wirkt die Weitergabe dienstlicher Erkenntnisse an Dritte unter Verstoß gegen die dienstliche Geheimhaltungspflicht. Insoweit hat der Beklagte zwischen 21. September 2015 und 15. Mai 2019 – also in etwa dreieinhalb Jahren – in vier Fällen Erkenntnisse aus der polizeilichen Ermittlungstätigkeit in unbefugter Weise und ohne dienstlichen Anlass an Dritte weitergegeben, in einem Fall unter Verwirklichung des Straftatbestandes des § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB. Diesen Taten kommt disziplinarrechtlich allenfalls mittelschweres Gewicht zu. Die zum Fußballspieler … weitergegebenen Erkenntnisse waren nicht besonders sensibel. Über die Erkenntnisse zum … … wurde ohnehin zeitnah in einer großen Tageszeitung berichtet. Die Weitergabe von Umständen zu ihrem Sohn an eine Tante erfolgte im engsten Familienkreis. Bei der Übersendung eines Screenshots aus einer Polizeiakte an eine Staatsanwältin wurde der polizeiliche/staatsanwaltschaftliche Ermittlungsapparat nicht verlassen.
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6.4. Zugunsten des Beklagten ist in die Gesamtwürdigung einzustellen, dass er nach den im Disziplinarverfahren eingeholten vier Persönlichkeitsbildern gute dienstliche Leistungen gezeigt hat und straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist. Daneben hat er sich bei den Ermittlungen kooperativ gezeigt. Zudem liegen Reue und Entschuldigung vor, dies bereits während des Disziplinarverfahrens, aber auch in der mündlichen Verhandlung. Zu seinen Gunsten spricht weiter, dass er den Kontakt zu seinem ehemaligen Freund D. abgebrochen hat, weil er dessen Einstellung letztlich nicht teilt, und am 20. März 2020 – und damit vor Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen ihn – im Rahmen eines weiteren Gruppen-Chats zu Besonnenheit und Mäßigung aufgerufen hat. All diese Umstände führen zu dem Eindruck, dass er in Zukunft beanstandungsfrei seinen Dienst versehen wird.
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7. Im Rahmen der Gesamtschau der den Beklagten be- und entlastenden Umstände ist eine deutliche Pflichtenmahnung in Form der Zurückstufung um zwei Stufen in das Eingangsamt geboten (vgl. Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Im Hinblick auf die Vielzahl und den in hohem Maße vorwerfbaren Inhalt der Äußerungen in Chats mit mehreren Personen über einen langen Zeitraum bedarf es einer einschneidenden Disziplinarmaßnahme. Die Zurückstufung in das Eingangsamt ist schuldangemessen und wegen des in den Beklagten verbliebenen Restvertrauens auf zukünftige ordnungsgemäße Dienstverrichtung statt der beantragten Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verhältnismäßig. Eine Zurückstufung nur um eine Stufe erscheint nicht ausreichend, um disziplinarrechtlich auf die in besonderem Maße zu missbilligenden Äußerungen zu reagieren.
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8. Obwohl das Strafverfahren im Hinblick auf Vorwurf 5 nach Zahlung eines Geldbetrags an die Organisation Condrobs nach § 153a StPO eingestellt wurde, steht Art. 15 Abs. 1 BayDG der ausgesprochenen Zurückstufung nicht entgegen. Diese Vorschrift greift nicht bei statusberührenden Disziplinarmaßnahmen.
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9. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG. Der Beklagte, gegen den im Disziplinarverfahren auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde, trägt die Kosten des Verfahrens.