Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 30.03.2023 – W 8 K 23.75
Titel:

Masernimpfpflicht, zuständige Behörde (vorliegend unzuständig), Nachweis ausreichender Masernschutz

Normenketten:
IfSG § 20 Abs. 9
IfSG § 20 Abs. 12
VwZVG Art. 21a
ZustV § 65 S. 1
ZustV § 65 S. 4
GDG Art. 1 Abs. 1 Nr. 4
GDG Art. 1 Abs. 2
Schlagworte:
Masernimpfpflicht, zuständige Behörde (vorliegend unzuständig), Nachweis ausreichender Masernschutz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7982

Tenor

I. Der Bescheid der Stadt … vom 13. Dezember 2022 wird aufgehoben
II.    Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
...

Tatbestand

1
Die Kläger begehren die Aufhebung eines Bescheids, mit dem sie zur Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz für ihren minderjährigen Sohn aufgefordert werden.
2
1. Am 29. Juli 2022 informierte die Schule des Sohnes der Kläger das Landratsamt M., dass der gesetzlich vorgesehene Masernschutz-Nachweis nicht vorliege.
3
Mit Schreiben vom 31. August 2022 lud das Landratsamt M. die Kläger zu einem Beratungstermin. Die Kläger trugen umfangreich vor, weshalb sie eine Masernschutzimpfung ablehnen würden. Im Nachgang erfolgte keine Vorlage des gesetzlich vorgesehenen Masernschutz-Nachweises.
4
Mit Schreiben vom 17. November 2022 wurden die Kläger zur beabsichtigen Abgabe des Vorgangs an die Bußgeldstelle angehört.
5
Mit Schreiben vom 22. November 2022 erklärten die Kläger sowie deren Sohn ausführlich, weshalb sie eine Impfung ablehnen würden.
6
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2022 ordnete die Beklagte an, dass die Kläger für Ihren Sohn G., N., geb. … … 2009 bis zum 29. Dezember 2022 einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz gemäß § 20 Abs. 9 IfSG vorzulegen hätten (1.). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 1 des Bescheides werde ein Zwangsgeld von 250,00 EUR fällig (2.). Die sofortige Vollziehung der Anordnungen Nr. 1 bis 2 wurde angeordnet (3.). Die Kosten des Bescheids betragen 124,11 EUR. Es wurde eine Gebühr in Höhe von 120,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betragen 4,11 EUR (Nr. 4).
7
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte zum Erlass des Bescheides zuständig sei. Dies ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 GDVG, § 65 Satz 1 ZustV, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG. Auch wenn sie sich des Gesundheitsamtes des Landratsamtes bediene, bleibe die Zuständigkeit für den Vollzug für das IfSG bei der Stadt als Kreisverwaltungsbehörde. Da der Sohn der Kläger der Schulpflicht unterliege, müsse gem. § 20 Abs. 9 IfSG der Leitung der Schule vor Beginn der Betreuung ein Nachweis i.S.d. § 22 Abs. 9 IfSG vorgelegt werden. Der Sohn der Kläger sei weder geimpft noch könne er aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden. Das BVerfG halte die Masern-Impfpflicht für sinnvoll und verfassungskonform. Die Anordnung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 31, 36 VwZVG. Ohne sie müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Kläger nicht an die Anordnung halten würden.
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2. Am 17. Januar 2023 erhoben die Kläger gegen den streitgegenständlichen Bescheid Klage und ließen mit Schriftsatz vom 6. Februar 2023 beantragen,
der Bescheid vom 13. Dezember 2022 wird aufgehoben.
9
Zur Begründung ließen sie mit Schriftsatz vom 6. Februar 2023 im Wesentlichen ausführen, die Nachweispflicht sei verfassungswidrig, soweit schulpflichtige Kinder betroffen seien, da sie für diese keinen Freiheitsraum in Bezug auf die Impfentscheidung lasse. Überdies verpflichte der Bescheid sie zu einer Leistung, die ihnen unmöglich sei. Ihr Sohn sei nicht bereit, sich impfen zu lassen. Da er einwilligungsfähig sei, könnten sie eine Impfung nicht erzwingen.
10
Die Beklagte beantragte sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
11
Im korrespondierenden Eilverfahren – Az. W 8 S 23.151 – führte sie im Wesentlichen aus, der Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie sei für den Erlass der Anordnung sachlich und örtlich zuständig. Als kreisfreie Gemeinde sei sie Kreisverwaltungsbehörde und damit nach § 65 Satz 1 ZustV sachlich zuständig. Gem. Art. 3 BayVwVfG sei sie örtlich zuständig. Auch wenn sie sich des Gesundheitsamtes des Landratsamtes bediene, bleibe die Zuständigkeit für den Vollzug des IfSG bei ihr als Kreisverwaltungsbehörde. Hierfür spreche auch die Formulierung in Art. 1 Abs. 4 GDG, wonach die kreisfreien Gemeinden die Aufgaben der Gesundheitsämter im übertragenen Wirkungskreis erfüllen würden. Rechtsgrundlage für die Aufforderung zur Nachweisvorlage sei § 20 Abs. 13 IfSG. Da die Nachweise nach § 20 Abs. 9 IfSG nicht erbracht worden seien, habe die Vorlage des Nachweises per Bescheid gefordert werden können. Die Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder sei nicht verfassungswidrig.
12
Im Hinblick auf den Hinweis des Gerichts im korrespondierenden Eilverfahren, dass Zweifel an der Zuständigkeit der Beklagten bestünden, teilte diese mit Schreiben vom 27. Februar 2022 mit, als nicht zuständige Behörde könne sie nicht abhelfen.
13
Das Gericht ordnete mit Beschluss vom 3. März 2023 – Az. W 8 S 23.151 -die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid an.
14
Die Beklagte verzichtete mit Schriftsatz vom 14. März 2023, die Kläger mit Erklärung vom 15. März 2023 auf mündliche Verhandlung.
15
Mit Beschluss vom 29. März 2023 übertrug das Gericht den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung.
16
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig und begründet.
18
Der Bescheid vom 13. Dezember 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19
Der streitgegenständliche Bescheid ist bereits formell rechtswidrig. Die Beklagte war für den Erlass des Bescheides nicht sachlich zuständig.
20
Gem. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG haben näher bestimmte Personen dem Gesundheitsamt auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Soweit im Infektionsschutzgesetz Aufgaben den Gesundheitsämtern zugewiesen werden, sind gem. § 65 Satz 4 ZustV die unteren Gesundheitsbehörden im Sinn des Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG zuständig. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG sind neben den Landratsämtern die nach Art. 1 Abs. 2 GDG bestimmten Behörden untere Gesundheitsbehörden (Gesundheitsämter). Art. 1 Abs. 2 GDG enthält die Bestimmung der für kreisfreie Städte zuständigen Gesundheitsämter. Obwohl die Beklagte eine kreisfreie Stadt ist, kommt ihr nach Art. 1 Abs. 2 GDG nicht die Aufgabe als untere Gesundheitsbehörde zu. Da sie unter Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 GDG fällt, ist das Landratsamt, dessen Gebiet die Beklagte vollständig umschließt oder den gleichen Namen wie diese trägt, die untere Gesundheitsbehörde.
21
Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen ist eine sachliche Zuständigkeit der Beklagten nicht gegeben. Aus dem Umstand, dass ein Verstoß gegen § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG eine Ordnungswidrigkeit darstellt (vgl. § 73 Abs. 1a Nr. 7 d IfSG), ergibt sich nichts Abweichendes. Allgemeinen Befugnisse als Sicherheitsbehörde sind gegenüber den spezialgesetzlichen Regelungen des IfSG nachrangig.
22
Da die Beklagte bereits keine untere Gesundheitsbehörde und daher sachlich unzuständig ist, kann offenbleiben, welche Gesundheitsbehörde vorliegend örtlich zuständig wäre.
23
Es kann vorliegend dahinstehen, ob die unzuständige Beklagte befugt wäre, den eigenen Bescheid aufzuheben.
24
Nachdem die Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, erweist sich auch die hierauf bezogene, akzessorische Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des Bescheids als auch die Kostenentscheidung in Nr. 4 des Bescheids als rechtswidrig.
25
Nach alledem hat die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.
26
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.