Titel:
Masernimpfpflicht, zuständige Behörde, vorliegend unzuständig, Nachweis ausreichender Masernschutz
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
IfSG § 20 Abs. 9
IfSG § 20 Abs. 12
VwZVG Art. 21a
ZustV § 65 S. 1
ZustV § 65 S. 4
GDG Art. 1 Abs. 1 Nr. 4
GDG Art. 1 Abs. 2
Schlagworte:
Masernimpfpflicht, zuständige Behörde, vorliegend unzuständig, Nachweis ausreichender Masernschutz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7981
Tenor
I. Der Bescheid der Stadt … vom 16. Januar 2023 wird aufgehoben
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Bescheids, mit dem sie zur Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz für ihre minderjährige Tochter aufgefordert wird.
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1. Die Klägerin legte im Rahmen eines Beratungstermins beim Gesundheitsamt … am 27. Oktober 2021 eine ärztliche Bescheinigung über eine Impfunfähigkeit ihrer Tochter vor. Da das Gesundheitsamt Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises hatte, wurde die Klägerin zur Vorlage eines weiteren ärztlichen Attests aufgefordert. Mit Schreiben der Beklagten vom 25. Februar 2022 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass auch der daraufhin vorgelegten weiteren ärztlichen Bescheinigung keine klare und medizinisch nachvollziehbare Kontraindikation für eine Masernimpfung der Tochter der Klägerin entnommen werden könne. Der Klägerin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14. März 2022 gegeben.
3
Mit Bescheid vom 17. Mai 2022 ordnete die Beklagte an, dass die Klägerin für ihre Tochter bis zum 1. Juni 2022 einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz gemäß § 20 Abs. 9 IfSG vorzulegen habe und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld i.H.v. 250,00 EUR an.
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Mit Schreiben vom 14. Juni 2022 stellte die Beklagte das mit Bescheid vom 17. Mai 2022 angedrohte Zwangsgeld fällig.
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Mit Schreiben vom 30. November 2022 stellte die Beklagte das mit Bescheid vom 17. Mai 2022 angedrohte Zwangsgeld erneut fällig und drohte für den Fall weiterer Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR an.
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Am 19. Dezember 2022 übermittelte die C…-Schule der Beklagten einen Impfnachweis über eine Masernschutzimpfung der Tochter der Klägerin. Das Landratsamt … teilte der Beklagten mit, dass gegen den Aussteller des Impfausweises ein Strafverfahren wegen Fälschung von Impfzertifikaten laufe und es daher davon ausgehe, dass auch der von der Klägerin vorgelegte Impfnachweis gefälscht sei. Der Nachweis könne daher nicht anerkannt werden.
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Mit Bescheid vom 16. Januar 2023 ordnete die Beklagte an, dass die Klägerin für ihre Tochter S… … …, geb. … … 2015 bis zum 20. Februar 2023 einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz gemäß § 20 Abs. 9 IfSG vorzulegen habe (1.). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 1 des Bescheides werde ein Zwangsgeld von 250,00 EUR fällig (2.). Die sofortige Vollziehung der Anordnungen Nr. 1 bis 2 wurde angeordnet (3.). Die Kosten des Bescheids betragen 124, 11 EUR. Es wurde eine Gebühr in Höhe von 120,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betragen 4,11 EUR (Nr. 4).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte zum Erlass des Bescheides zuständig sei. Dies ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 GDVG, § 65 Satz 1 ZustV, Art. 3 Abs. 1 Nr- 2 BayVwVfG. Auch wenn sie sich des Gesundheitsamtes des Landratsamtes bediene, bleibe die Zuständigkeit für den Vollzug für das IfSG bei der Stadt als Kreisverwaltungsbehörde. Da die Tochter der Klägerin der Schulpflicht unterliege, müsse gem. § 20 Abs. 9 IfSG der Leitung der Schule vor Beginn der Betreuung ein Nachweis i.S.d. § 22 Abs. 9 IfSG vorgelegt werden. Der Schule der Tochter sei zwar ein Impfnachweis vorgelegt worden, es sei jedoch davon auszugehen, dass dieser gefälscht sei. Das weitere, vorgelegte Attest belege nicht, dass die Tochter aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden könne. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 31, 36 VwZVG. Ohne sie müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Klägerin nicht an die Anordnung halten würden.
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2. Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2023 ließ die Klägerin gegen streitgegenständlichen Bescheid Klage erheben und beantragen,
der Bescheid der Stadt … vom 16. Januar 2023 wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid sei rechtswidrig da die Beklagte ihn auf § 20 Abs. 8, 9, 12 IfSG und damit die falsche Rechtsgrundlage stütze. Einschlägig sei § 20 Abs. 13 IfSG i.V.m den übrigen Absätzen. Auch sei die Grundverfügung in Nr. 1 des Bescheides nicht hinreichend bestimmt. Überdies sei die Nachweispflicht verfassungswidrig, soweit schulpflichtige Kinder betroffen seien, da sie für diese keinen Freiheitsraum in Bezug auf die Impfentscheidung lasse. Außerdem richte sich der Bescheid alleine gegen die Klägerin, obwohl das gemeinsame Sorgerecht mit dem Kindsvater bestehe. Nach § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG könne die Einhaltung der Pflichten § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG daher nur gemeinsam erfolgen. Die Verfügung sei daher auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet und deswegen rechtswidrig bzw. gar nichtig. Die Androhung von Zwangsgeld sei im vorliegenden Fall verfassungswidrig. Nach dem Bundesverwaltungsgericht habe der Gesetzgeber keine mit Zwang durchzusetzende Impfpflicht gegen Masern statuiert, vielmehr solle den Eltern die Impfentscheidung weitgehend belassen bleiben. Damit lasse sich die Androhung von Zwangsgeld nicht vereinbaren.
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Die Beklagte teilte lediglich im Hinblick auf den Hinweis des Gerichts im korrespondierenden Eilverfahren, dass Zweifel an der Zuständigkeit der Beklagten bestünden, mit Schreiben vom 27. Februar 2022 mit, dass sie als nicht zuständige Behörde nicht abhelfen könne.
12
Das Gericht ordnete mit Beschluss vom 9. März 2023 – Az. W 8 S 23.234 -die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid an.
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Die Klägerin verzichtete mit Schriftsatz vom 13. März 2023, die Beklagte mit Erklärung vom 14. März 2023 auf mündliche Verhandlung.
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Mit Beschluss vom 29. März 2023 übertrug das Gericht den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig und begründet.
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Der Bescheid vom 16. Januar 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der streitgegenständliche Bescheid ist bereits formell rechtswidrig. Die Beklagte war für den Erlass des Bescheides nicht sachlich zuständig.
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Gem. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG haben näher bestimmte Personen dem Gesundheitsamt auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Soweit im Infektionsschutzgesetz Aufgaben den Gesundheitsämtern zugewiesen werden, sind gem. § 65 Satz 4 ZustV die unteren Gesundheitsbehörden im Sinn des Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG zuständig. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG sind neben den Landratsämtern die nach Art. 1 Abs. 2 GDG bestimmten Behörden untere Gesundheitsbehörden (Gesundheitsämter). Art. 1 Abs. 2 GDG enthält die Bestimmung der für kreisfreie Städte zuständigen Gesundheitsämter. Obwohl die Beklagte eine kreisfreie Stadt ist, kommt ihr nach Art. 1 Abs. 2 GDG nicht die Aufgabe als untere Gesundheitsbehörde zu. Da sie unter Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 GDG fällt, ist das Landratsamt, dessen Gebiet die Beklagte vollständig umschließt oder den gleichen Namen wie diese trägt, die untere Gesundheitsbehörde.
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Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen ist eine sachliche Zuständigkeit der Beklagten nicht gegeben. Aus dem Umstand, dass ein Verstoß gegen § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG eine Ordnungswidrigkeit darstellt (vgl. § 73 Abs. 1a Nr. 7d IfSG), ergibt sich nichts Abweichendes. Allgemeinen Befugnisse als Sicherheitsbehörde sind gegenüber den spezialgesetzlichen Regelungen des IfSG nachrangig.
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Es kann vorliegend dahinstehen, ob die unzuständige Beklagte befugt wäre, den eigenen Bescheid aufzuheben.
22
Nachdem die Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, erweist sich auch die hierauf bezogene, akzessorische Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des Bescheids als auch die Kostenentscheidung in Nr. 4 des Bescheids als rechtswidrig.
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Nach alledem hat die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.