Titel:
Wohngeld, Rücknahme eines Versagungsbescheids, Nachzahlung, zeitliche Grenzen, Verfallklausel, Antragszeitraum, vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben
Normenketten:
SGB X § 44
SGB I § 66 Abs. 1
WoGG § 22
WoGG § 25
Schlagworte:
Wohngeld, Rücknahme eines Versagungsbescheids, Nachzahlung, zeitliche Grenzen, Verfallklausel, Antragszeitraum, vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7977
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
I. Die Parteien streiten über die vom Beklagten abgelehnte Rücknahme der Versagung von Wohngeld wegen fehlender Mitwirkung des Klägers und die Nachzahlung von Wohngeld.
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Der Kläger ist seit dem 1. November 2015 mit einer Wohnung in der K* …S* … …, … D* … in der Gemeinde D* … gemeldet.
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Am 15. Oktober 2018 stellte der Kläger einen formlosen Erstantrag beim Beklagten auf rückwirkende Bewilligung von Leistungen nach dem Wohngeldgesetz. Zur Begründung seines Antrags nahm er Bezug auf einen Bescheid des Jobcenters K* … vom 13. März 2018 über die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab dem 1. Januar 2018 wegen fehlender Mitwirkung nach §§ 61, 66 SGB I.
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Mit Schreiben vom 14. November 2018 forderte der Beklagte den Kläger unter Fristsetzung und Hinweis auf dessen Mitwirkungspflichten nach §§ 60, 61 SGB I zur Übersendung eines ausgefüllten und unterzeichneten Antragsformulars sowie verschiedener weiterer Unterlagen auf. Dem Schreiben lag ein Antragsformblatt für einen Mietzuschuss bei. Ein Antragsformblatt für einen Lastenzuschuss lag nicht bei.
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Am 21. Dezember 2018 ging ein Formblattantrag des Klägers auf Bewilligung von Wohngeld beim Beklagten ein. Unter Ziffer 22 „Angaben zum Wohnraum, für den Wohngeld beantragt wird“ gab der Kläger an, der Antrag beziehe sich auf die Nutzung des Wohnraums als Bewohner von Wohnraum im eigenen Mehrfamilienhaus (Haus mit mehr als zwei Wohnungen). Unter Ziffer 25 ließ der Kläger die Angabe „Miete/das Nutzungsentgelt/der Mietwert“ offen. In den Erläuterungen zu dieser Ziffer heißt es in dem Vordruck: „Wenn Sie eine Wohnung im eigenen Mehrfamilienhaus […] bewohnen, geben Sie bitte als Mietwert den Betrag an, den Sie für vergleichbaren Wohnraum einschließlich Nebenkosten bezahlen müssten.“ In den nachfolgenden Zeilen kreuzte der Kläger an, in der monatlichen Miete seien folgende Kosten/Gebühren enthalten, ohne diese Kosten zu beziffern: Kosten für Heizung und Warmwasser, Kosten der Haushaltsenergie, Garage/Stellplatz/Carport. Belege waren dem Antrag nicht beigefügt.
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Mit Schreiben vom 9. Januar 2019 forderte der Beklagte den Kläger zur Einreichung der folgenden Unterlagen auf:
- ein ausgefülltes Formblatt Nr. 6,
- eine ausgefüllte Mietbescheinigung des Vermieters,
- ggf. Kopien der Lohnabrechnungen für die Monate Oktober 2018 bis Januar 2019,
- ggf. eine Kopie des Arbeitsvertrags des Klägers,
- Nachweise über sämtliches Einkommen der in der Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen,
- ggf. eine Kopie des aktuellen Leistungsbescheids des Jobcenters über Arbeitslosengeld II,
- ggf. eine Kopie des aktuellen Leistungsbescheids des Arbeitsamts über Arbeitslosengeld, Unterhaltsgeld usw.,
- eine Kopie des Mietvertrags,
- einen Nachweis über die Mietzahlungen der letzten zwei Monate,
- Jahresbescheinigungen für 2018 über die Kapitalerträge/Zinseinkünfte aller Konten und Banken aller Haushaltsmitglieder, wenn der jährliche Ertrag 100,00 EUR je Person übersteige, ansonsten kurze schriftliche Erklärung und
- eine schriftliche Aufstellung (Formblatt Nr. 6) der monatlichen Fixausgaben und -einnahmen, mit denen diese Ausgaben bestritten würden.
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Zugleich wurde erneut auf die Mitwirkungspflichten des Klägers nach §§ 60, 61 SGB I hingewiesen und eine Antragsablehnung wegen fehlender Mitwirkung gem. § 66 Abs. 1 SGB I angedroht, wenn die angeforderten Unterlagen nicht bis spätestens 23. Januar 2019 eingehen sollten, ohne Gründe hierfür mitzuteilen.
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Mit Bescheid vom 23. Januar 2019 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf „Gewährung von Mietzuschuss für die Zeit ab 01.10.2018“ ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die beantragten Leistungen wegen fehlender Mitwirkung unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens abzulehnen seien.
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Ebenfalls am 23. Januar 2019 ging ein Schreiben des Klägers vom selben Tag beim Beklagten ein, in dem dieser mitteilte, dass ihm kein Formblatt Nr. 6 vorliege. Diesem Schreiben waren Saldenmitteilungen zweier Banken über den jeweiligen Kontostand des Klägers beigefügt. Hierzu hielt der Beklagte in einem Aktenvermerk vom 25. Januar 2019 fest, dass der Kläger am 23. Januar 2019 Unterlagen eingereicht habe, jedoch nicht die gewünschten. Aus diesem Grund werde die Ablehnung nicht aufgehoben.
10
Am 19. August 2020 gingen beim Beklagten die Kopie eines Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2018 und zwei Grundbuchauszüge, u.a. ein Auszug Band 99 Blatt 1542 vom 19. Mai 2020 ein. Im Anschreiben teilte der Kläger mit, die Vorlage erfolge „nachholend“ zu seinem Wohngeldantrag. Aus dem Grundbuchauszug vom … … 2020 geht hervor, dass seit dem … … 1974 Herr M* … F* … als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …3 der Gemarkung D* …, Lage K* … …, im Grundbuch eingetragen war. Am … … 2020 wurde aufgrund eines Erbscheins vom … … 2018 eine Erbengemeinschaft, zu der u.a. der Kläger gehört, als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.
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Am 3. Dezember 2020 reichte der Kläger vier Grundsteuermessbescheide des Finanzamts Kitzingen vom 16. Januar 2019 beim Beklagten ein. Einer der Bescheide betrifft das Grundstück in D* …, K* …-S* … … Darin wird der Kläger als Miteigentümer bezeichnet.
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Am 4. Januar 2021 beantragte der Kläger beim Beklagten die Überprüfung des Ablehnungsbescheids vom 23. Januar 2019 nach § 44 SGB X. Zur Begründung führte der Kläger aus, sein Antrag sei wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt worden. Es seien indes Nachweise verlangt worden, die er überhaupt nicht habe vorlegen können. Zum Beispiel sei eine Mietbescheinigung als nötig vorausgesetzt worden, obwohl aus dem eingereichten Antragsformular hervorgehe, dass kein Mietvertrag bestehe. Der Beklagte habe auch nicht erklärt, welche Nachweise stattdessen hätten vorgelegt werden müssen.
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Am 1. Juli 2021 reichte der Kläger einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 beim Beklagten ein.
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II. Am 31. Dezember 2021 hat der Kläger Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Würzburg erhoben, weil noch nicht über seinen Antrag nach § 44 SGB X entschieden worden war.
15
Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 17. Januar 2022 hat der Beklagte den Antrag des Klägers auf Überprüfung des Bescheids vom 23. Januar 2019 mit Bescheid vom 4. Februar 2022 abgelehnt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch hat die Regierung von Unterfranken mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2022, zugestellt am 4. Juni 2022, zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass die Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X u.a. voraussetze, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Die Versagung des Wohngelds durch den Bescheid vom 23. Januar 2019 wegen fehlender Mittwirkung sei zulässig gewesen, da der Kläger auf diese Folge in den Anforderungsschreiben mehrfach hingewiesen worden sei und er seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb der ihm gesetzten angemessenen Frist und auch nicht bis zum Erlass des Versagungsbescheids nachgekommen sei (§ 66 Abs. 3 SGB I). Da im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Wohngeldbewilligung alle relevanten Größen gem. § 4 WoGG (Haushaltsmitglieder, Miete, Einkommen) unklar gewesen seien, habe die Wohngeldbehörde den Wohngeldantrag wegen fehlender Mitwirkung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens versagen dürfen.
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Mit Schreiben vom 4. Juni 2022, bei Gericht eingegangen am 4. Juli 2022, hat der Kläger – ohne einen ausdrücklichen Klageantrag zu stellen – mitgeteilt, das Verfahren als Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 4. Februar 2022 fortführen zu wollen. Er führt aus, bei Antragstellung keine konkreten Angaben gemacht zu haben. Der Beklagte habe daraufhin von ihm weitere Informationen angefordert. Unter anderem habe er das ihm übersandte Antragsformblatt ausfüllen sollen. Darin habe er angekreuzt, Bewohner von Wohnraum im eigenen Mehrfamilienhaus zu sein. Aus seiner Sicht habe er damit ausreichend deutlich gemacht, dass kein Mietvertrag existiere. Der Beklagte habe aber weiterhin einen Mietvertrag verlangt. Mit der Annahme des Bestehens eines Mietverhältnisses sei der Beklagte von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, was es ermögliche, den bereits bestandskräftigen Bescheid zu überprüfen und aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen die Begründung des Bescheids vom 4. Februar 2022, verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2022 und hebt hervor, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Wohngeldbewilligung ein Antrag auf Mietzuschuss vorgelegen habe und nicht nur die Miete, sondern alle relevanten Größen gem. § 4 WoGG unklar gewesen seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten das Sach- und Streitstands wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 9. März 2023, auf die Gerichts- und Behördenakten, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Streitgegenstand der Klage, über die das Gericht auch in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist das Begehren des Klägers, den Beklagten unter Aufhebung von dessen Bescheid vom 4. Februar 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 31. Mai 2022 zur Aufhebung des Versagungsbescheids vom 23. Januar 2019 und zur nachträglichen Leistung des ihm mit Bescheid vom 23. Januar 2019 versagten Wohngelds zu verpflichten.
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Nicht Streitgegenstand ist hingegen die Frage, ob der Kläger eine ursprünglich fehlende Mitwirkung nach Erlass des Versagungsbescheids vom 23. Januar 2019 nachgeholt hat und ihm daher Wohngeld nachträglich ganz oder teilweise nach § 67 SGB I zu bewilligen ist. Denn der Kläger macht im Rahmen seiner Klage nicht geltend, er habe eine ursprünglich versäumte Handlung nachträglich vorgenommen. Vielmehr beruft er sich darauf, der Versagungsbescheid sei von Anfang an rechtswidrig gewesen und hätte deshalb gar nicht erst erlassen werden dürfen. Im Verwaltungsverfahren hat er dementsprechend ausdrücklich einen Antrag nach § 44 SGB X gestellt, den der Beklagte nach Maßgabe dieser Vorschrift geprüft und verbeschieden hat.
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Die so verstandene Klage ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger, der zunächst eine nach § 75 Satz 1 und 2 VwGO zulässige Untätigkeitsklage erhoben hatte, den nach Klageerhebung ergangenen Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2022 und den Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2022, dem Kläger zugestellt am 4. Juni 2022, mit einem am 4. Juli 2022 bei Gericht eingegangen Schriftsatz wirksam in das Verfahren einbezogen. In diesem Schriftsatz hat der Kläger auf Nachfrage des Gerichts, ob er die Klage unter Einbeziehung des Bescheids vom 4. Februar 2022 und des Widerspruchbescheids vom 31. Mai 2022 fortsetzen wolle, erklärt, er wolle Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten erheben bzw. die Verwaltungsstreitsache fortführen. Dies ist gem. § 88 VwGO in entsprechender Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) so zu verstehen, dass er die in zulässiger Weise erhobene Untätigkeitsklage nunmehr als Verpflichtungsklage fortführen möchte.
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Nachdem der vorgenannte Schriftsatz am 4. Juli 2022 und somit innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO bei Gericht eingegangen ist, kann dahinstehen, ob es in der streitgegenständlichen Konstellation, in der der Kläger nach Ablauf von mehr als drei Monaten nach Antragstellung Untätigkeitsklage erhoben hat und sowohl der ablehnende Bescheid als auch der Widerspruchsbescheid erst nach Erhebung der Untätigkeitsklage ergangen sind, überhaupt fristgebundener förmlicher Verfahrenshandlungen des Klägers zur Einbeziehung des Bescheids vom 4. Februar 2022 und des Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2022 in das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren bedurfte (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 29.7.2021 – 10 B 4/20 – NVwZ 2022, 82 Rn. 8).
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Statthafte Klageart für das Begehren des Klägers ist die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) bzw. die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Verpflichtungsklage zielt auf die Rücknahme des zur Überprüfung gestellten Bescheids vom 23. Januar 2019 und die nachträgliche Leistung von Wohngeld unter Aufhebung des dies ablehnenden Bescheids vom 4. Februar 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 31. Mai 2022. Unerheblich ist, dass der Kläger nicht ausdrücklich beantragt hat, den Bescheid des Beklagten vom 4. Februar 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 31. Mai 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Januar 2019 Wohngeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Denn dem Vorbringen des Klägers lässt sich in entsprechender Heranziehung der für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) der dargestellte Klageantrag konkludent entnehmen. Dies genügt den Anforderungen an die Stellung eines hinreichend bestimmten Antrags im Sinne von § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO, welcher keinen juristisch ausformulierten Antrag verlangt (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 82 Rn. 10). Vielmehr entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 88 VwGO). Es genügt daher, dass sich aus den Schriftsätzen des Klägers im Wege der Auslegung entnehmen lässt, in welchem Umfang er Rechtsschutz begehrt.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Aufhebung des Bescheids vom 23. Januar 2019 und die nachträgliche Erbringung von Wohngeld (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat diese im Ergebnis zu Recht mit Bescheid vom 4. Februar 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 31. Mai 2022 abgelehnt.
26
Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Rücknahme ist § 44 SGB X. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X gilt dies nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Wird ein rechtswidriger nicht begünstigender Wohngeldbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, modifiziert § 31 Satz 1 WoGG, § 37 Satz 1 SGB I diese zeitliche Grenze dahingehend, dass die Wohngeldbehörde längstens für zwei Jahre vor der Rücknahme Wohngeld leisten muss. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).
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Gemessen hieran hat der Kläger schon deshalb keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 23. Januar 2019 und nachträgliche Leistungserbringung, weil er den Antrag auf Rücknahme dieses Bescheids erst am 4. Januar 2021 gestellt hat. Mit vorherigen Schreiben reichte er lediglich verschiedene Unterlagen nach. Diese Schreiben könnten daher – was im vorliegenden Verfahren nicht Streitgegenstand ist – allenfalls als konkludente Anträge nach § 67 SGB I zu verstehen sein, nicht aber als Anträge nach § 44 SGB X. Aufgrund der Antragstellung im Januar 2021 ist nach § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 31 WoGG eine Leistungserbringung für Zeiträume vor dem 1. Januar 2019 ausgeschlossen.
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§ 31 WoGG, § 44 Abs. 4 SGB X regeln nach ihrem Wortlaut zwar nur zeitliche Grenzen der nachträglichen Leistungserbringung. Von der Leistungserbringung sind die der Leistungserbringung zugrundeliegende Bewilligung und die Rücknahme einer Leistungsversagung zu unterscheiden. Auch das Gesetz unterscheidet systematisch zwischen der Korrektur des Verfügungssatzes von Verwaltungsakten einerseits (§§ 44 bis 49 SGB X) und dem Vollzug der Korrektur in finanzieller Hinsicht andererseits (§ 44 Abs. 4, § 50 SGB X). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist jedoch nach Ablauf der Frist des § 44 Abs. 4 SGB X schon eine Rücknahmeentscheidung nicht mehr zu treffen (z.B. BSG, U.v. 31.3.1992 – 9b Rar 17/90 – BeckRS 1992, 31040656; U.v. 13.2.2014 – B 4 AS 19/13 R – BeckRS 2014, 70967 Rn. 16; U.v. 12.10.2016 – B 4 AS 37/15 R – BeckRS 2016, 115112 Rn. 16; U.v. 28.2.2013 – B 8 SO 4/12 R – NZS 2013, 518 Rn. 12). Dem dargestellten systematischen Konzept entspreche es, die Korrektur des Verfügungssatzes jeweils unmittelbar mit dem finanziellen Ausgleich zu verkoppeln und eine nochmalige Prüfung der Aufhebungsvoraussetzungen bei der finanziellen Korrektur auszuschließen (BSG, U.v. 13.2.2014 – B 4 AS 19/13 R – BeckRS 2014, 70967 Rn. 18). Nach dieser Rechtsprechung steht die nicht mehr vorhandene Möglichkeit einer rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen bei Eingreifen der „Verfallklausel“ des § 44 Abs. 4 SGB X auch einer isolierten Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X entgegen (BSG, U.v. 6.3.1991 – 9b RAr 7/90 – juris Rn. 12; B.v. 26.10.1994 – 8 BH (Kn) 1/94 – juris Rn. 14; U.v. 23.2.2017 – B 4 AS 57/15 R – BeckRS 2017, 113629 Rn. 23; vgl. auch BVerwG, B.v. 1.2.1993 – 11 B 91/92 – juris Rn. 9; VGH BW, U.v. 11.3.1997 – 7 S 2237/96 – juris Rn. 24). Die Rücknahme steht demnach unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs. 4 SGB X noch zu erbringen sind (BSG, U.v. 23.2.2017 – B 4 AS 57/15 R – BeckRS 2017, 113629 Rn. 23).
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Dem schließt sich das erkennende Gericht für den Bereich des Wohngeldrechts an. Die Verwaltung hat schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 2 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn und soweit der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme begehrt wird, Leistungen für eine Zeit betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallfrist liegen. Ein Rücknahme- und Ersetzungsakt ist nicht mehr zu erlassen, wenn er nach § 44 Abs. 4 SGB X nicht ausgeführt werden darf. An einer Rücknahme und einer zusprechenden Entscheidung, die wegen der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X von vornherein niemals vollzogen werden darf, kann kein berechtigtes Interesse bestehen. Ein solcher Rücknahme- und Ersetzungsakt wäre letztlich wirkungslos. Von der Verwaltung darf aber keine – im Hinblick auf die dargestellten fehlenden Auswirkungen – unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden, die hier auch die – mitunter recht schwierige und aufwendige – Prüfung auf eine Unrichtigkeit einbezöge (BSG, U.v. 6.3.1991 – 9b RAr 7/90 – juris Rn. 13).
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Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist ein Anspruch des Klägers auf Wohngeldnachzahlungen nach § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 31 WoGG und damit auch ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 23. Januar 2019 für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ausgeschlossen. Denn streitgegenständlich sind allein Wohngeldleistungen für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2018, erst ab 1. Januar 2019 käme aber nach der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 31 WoGG eine Nachzahlung überhaupt in Betracht.
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Dass streitgegenständlich allein Wohngeldleistungen für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2018 sind, ergibt sich daraus, dass der Kläger bei verständiger Würdigung seines Vorbringens unter entsprechender Heranziehung der §§ 133, 157 BGB eine vollständige Rücknahme des Versagungsbescheids vom 23. Januar 2019 begehrt. Hieraus wird deutlich, dass der Kläger eine Nachzahlung für den Zeitraum begehrt, für den er am 15. Oktober 2018 die Bewilligung von Wohngeld beantragt hatte, in Bezug auf den ihm aber mit dem Bescheid vom 23. Januar 2019 Wohngeld versagt worden sind. Mit dieser zeitlichen Eingrenzung der von ihm begehrten Nachzahlungen trägt der Kläger dem Umstand Rechnung, dass Gegenstand von Nachzahlungen nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X nur solche Sozialleistungen sein können, die aufgrund eines zurückgenommenen rechtswidrigen Verwaltungsakts nicht erbracht worden sind. Dies sind im streitgegenständlichen Fall Leistungen, die aufgrund des Bescheids vom 23. Januar 2019 nicht erbracht worden sind, also im zeitlichen Umfang vom 1. Januar 2018 bis maximal zum 31. Dezember 2018.
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Bei einer Versagung von Wohngeld wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I wird zwar keine Regelung über den materiell-rechtlichen Anspruch getroffen. Jedoch handelt es sich um eine negative Entscheidung über einen Leistungsantrag des Antragstellers. Sie wirkt zum einen auf zurückliegende, vom Leistungsantrag umfasste Zeiträume, zum anderen in die Zukunft, auch insoweit allerdings begrenzt auf den vom Leistungsantrag umfassten Zeitraum (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.1985 – 5 C 133/81 – NVwZ 1985, 490). Denn Wohngeld wird nur auf Antrag geleistet (§ 22 Abs. 1 WoGG), so dass die Behörde über nicht vom Antrag umfasste Zeiträume keine Entscheidung treffen darf. Zudem hängen Inhalt und Umfang der Mitwirkung, zu der der Antragsteller nach § 60 SGB I verpflichtet ist, auch von dem Zeitraum, für den Wohngeld beantragt wird, ab. Denn der Entscheidung über den Wohngeldantrag sind die Verhältnisse im Bewilligungszeitraum zugrunde zu legen, die im Zeitpunkt der Antragstellung zu erwarten sind (§ 24 Abs. 2 Satz 2 WoGG). Dementsprechend besteht eine Pflicht des Antragstellers zur Mitwirkung an der Ermittlung dieser Verhältnisse nur in Bezug auf eben diesen Zeitraum. Folglich kann sich auch eine Versagung wegen fehlender Mitwirkung bis zur Nachholung der Mitwirkung nur auf den Bewilligungszeitraum beziehen, der Gegenstand des Wohngeldantrags war. Nur insoweit kann es an einer Erfüllung von Mitwirkungspflichten fehlen.
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Gegenstand des Wohngeldantrags des Klägers ist der Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2018 beantragte der Kläger Wohngeld allein für diesen Zeitraum. Zwar bezeichnet der Kläger in seinem Schreiben vom 12. Oktober 2018 den Zeitraum, für den er Wohngeld beantragt, nicht ausdrücklich. Jedoch nimmt er in seinem Antrag Bezug auf einen Bescheid des Jobcenters K* …, mit welchem ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab dem 1. Januar 2018 nach § 66 SGB I versagt worden sind. Wörtlich beantragte er „rückwirkend Leistungen nach WoGG, wegen Versagens von Leistungen nach SGB II“. Unter Heranziehung der für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) ist dies so zu verstehen, dass der Kläger für den seinerzeit laufenden Bewilligungszeitraum nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, in dem ihm Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch versagt wurden, nunmehr – gewissermaßen stattdessen – Wohngeld erhalten wollte. Ausgehend davon, dass der Bewilligungszeitraum im Bereich des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch grundsätzlich ein Jahr beträgt (§ 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II), bedeutet dies, dass der Kläger Wohngeld ab dem 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2018 erhalten wollte.
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Eine solche rückwirkende Antragstellung und Bewilligung ist nach § 25 Abs. 3 WoGG zulässig, wenn der Wohngeldantrag vor Ablauf des Kalendermonats gestellt wird, der auf die Kenntnis der Ablehnung folgt. Wird diese Frist nicht eingehalten, beginnt der Bewilligungszeitraum hingegen grundsätzlich erst am Ersten des Monats, in dem der Wohngeldantrag gestellt worden ist (§ 25 Abs. 2 Satz 1 WoGG). Bei dieser Antragsfrist handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist (BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 38/95 – NJW 1997, 2966, 2967 f.). Wann der Versagungsbescheid des Jobcenters vom 13. März 2018 dem Kläger bekanntgegeben worden ist, ist unklar. Sollte der Kläger den Wohngeldantrag rechtzeitig, d.h. innerhalb der Frist des § 25 Abs. 3 WoGG, gestellt haben, decken sich Antrags- und Bewilligungszeitraum und umfassen den Zeitraum 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018. Andernfalls, bei verspäteter Antragstellung, würde der Bewilligungszeitraum gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 WoGG am 1. Oktober 2018 beginnen. An dem Zeitraum, für den Wohngeld beantragt worden ist, dem Antragszeitraum, würde dies indes nichts ändern. Antrags- und Bewilligungszeitraum müssen nicht identisch sein. Begehrt ein Antragsteller für außerhalb des Bewilligungszeitraums liegende Zeiträume Leistungen, ist dem durch die Behörde dadurch Rechnung zu tragen, dass der Wohngeldantrag für diese Zeiträume abgelehnt wird.
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Da es sich beim Wohngeld um eine antragsgebundene Leistung handelt (§ 22 Abs. 1 WoGG), kann zudem nicht über den Antragszeitraum – hier also über den 31. Dezember 2018 – hinaus Wohngeld gewährt werden, auch wenn die gesetzliche Regelung des Bewilligungszeitraums in § 25 WoGG für sich allein eine über den Antragszeitraum hinausgehende Leistungsgewährung zulassen würde. Will die Behörde in einem solchen Fall für den gesamten an sich nach § 25 WoGG möglichen Bewilligungszeitraum Wohngeld gewähren, muss sie im Rahmen ihrer Beratung des Antragstellers nach §§ 14, 16 Abs. 3 SGB I auf eine entsprechende Änderung des Wohngeldantrags hinwirken.
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Dieser Auslegung des Wohngeldantrags des Klägers durch das Gericht steht nicht entgegen, dass der Beklagte in seinem Bescheid vom 23. Januar 2019 dem bloßen Wortlaut nach die Gewährung eines Mietzuschusses für die Zeit ab dem 1. Oktober 2018 versagt hat. Denn das Gericht ist nicht an die Auslegung des Antrags durch den Beklagten gebunden, sondern hat diese vielmehr zu überprüfen. Unabhängig hiervon geht das Gericht zudem davon aus, dass mit der Nennung des 1. Oktober 2018 im Bescheidtenor auf den Beginn des Bewilligungszeitraums und nicht des Antragszeitraums Bezug genommen werden sollte. Für vor dem 1. Oktober 2018 liegende Zeiträume ist damit konkludent eine Leistungsbewilligung wegen Versäumung der Antragsfrist nach § 25 Abs. 3 WoGG abgelehnt worden. Ob eine solche Ablehnung ohne Kenntnis des Bekanntgabedatums des Bescheids des Jobcenters rechtmäßig war, kann an dieser Stelle dahinstehen. Dies hat keine Bedeutung für die dargestellte Auslegung des Antrags des Klägers vom 12. Oktober 2018 und des Bescheids vom 23. Januar 2019.
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Weitere Wohngeldanträge für andere, nach dem 31. Dezember 2018 liegende Zeiträume hat der Kläger nicht gestellt. Die Stellung zusätzlicher Anträge war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts daraus, dass ein erfolglos gebliebener Antragsteller seinen Anspruch auf Wohngeld im Rechtsmittelverfahren verfolgt, auf die Entbehrlichkeit späterer neuer Anträge geschlossen werden kann, solange der Antragsteller damit rechnen muss, dass erneuten Anträgen dieselben Ablehnungsgründe entgegengehalten werden (BVerwG, U.v. 10.3.1966 – VIII C 338/63 – NJW 1966, 1723, 1724; U.v. 2.5.1984 – 8 C 94/82 – NVwZ 1985, 35, 36; U.v. 30.11.1972 – VIII C 81.71 – BeckRS 1972, 30425536). Diese Rechtsprechung ist auf den streitgegenständlichen Fall nicht übertragbar, da der Kläger seinen Wohngeldanspruch nicht in einem Rechtsmittelverfahren verfolgt hat. Er hat den Versagungsbescheid bestandskräftig werden lassen und erst am 4. Januar 2021 einen Antrag nach § 44 SGB X gestellt. Er kann sein Versäumnis, einen Antrag auf Wohngeld für weitere Zeiträume zu stellen, nicht nachträglich durch „Wiedereröffnung“ des früheren Verfahrens über § 44 SGB X wettmachen. Die Vorschrift des § 44 SGB X erlaubt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung einer Rechtsmittelfrist, sondern stellt eine eigenständige Regelungsgrundlage mit besonderen Tatbestandsvoraussetzungen zur Überprüfung und ggf. Aufhebung und Änderung von bereits erlassenen Verwaltungsakten dar (vgl. Heße in BeckOK SozR, 67. Ed. 1.12.2022, § 44 SGB X Rn. 4).
38
Infolge des dargestellten Ausschlusses von Nachzahlungen für das Jahr 2018 scheidet auch ein Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 23. Januar 2019 aus, weil diese keine materiellen Wirkungen mehr entfalten könnte; eine Überprüfung des Versagungsbescheids muss insoweit nicht mehr erfolgen (vgl. Winkler in BeckOK SozR, 67. Ed. 1.12.2022, § 31 WoGG Rn. 9).
39
Selbst wenn man entgegen der vorstehenden Ausführungen davon ausgehen würde, dass sich der streitgegenständliche Zeitraum nicht nach dem Inhalt des ursprünglich gestellten Wohngeldantrags vom 12. Oktober 2018 richtet, sondern allein nach dem nach § 25 WoGG zu bestimmenden Bewilligungszeitraum, bestünde kein Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Bescheids vom 23. Januar 2019 und nachträgliche Leistungserbringung. Bei diesem Verständnis des Klagegegenstands wäre davon auszugehen, dass streitgegenständlicher Zeitraum, für den eine Nachzahlung von Wohngeld begehrt wird, bei Antragstellung innerhalb der Frist des § 25 Abs. 3 WoGG der Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018, bei nicht fristgemäßer Antragstellung hingegen der Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis 30. September 2019 wäre.
40
Im erstgenannten Fall wäre der Anspruch des Klägers wie bereits ausgeführt insgesamt nach § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 31 WoGG ausgeschlossen. In der zweitgenannten Konstellation wäre zwischen Zeiträumen vor dem 1. Januar 2019 und Zeiträumen ab dem 1. Januar 2019 zu unterscheiden:
41
Für den Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2018 wäre ein Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Bescheids vom 23. Januar 2019 und nachträgliche Leistungserbringung nach § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 31 WoGG ausgeschlossen. Für Zeiträume nach dem 1. Januar 2019 würde der Ausschluss nicht greifen. Dennoch bestünde auch insoweit kein Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Bescheids vom 23. Januar 2019 und Nachzahlung, da nicht dargetan oder sonst ersichtlich ist, dass in diesem Zeitraum Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Entsprechendes würde im Übrigen auch für den Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2018 gelten, wenn die Verfallklausel des § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 31 WoGG nicht greifen würde. Auch für diesen Zeitraum ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Dies ist indes nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X – neben der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts – Voraussetzung für eine Aufhebung eines Verwaltungsakts.
42
Nur bei Anwendung des § 44 Abs. 2 SGB X würde die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts für sich allein für dessen zwingende Rücknahme für die Zukunft und eine – dann im Ermessen der Behörde stehende – Rücknahme für die Vergangenheit genügen. § 44 Abs. 2 SGB X findet in der streitgegenständlichen Konstellation jedoch keine Anwendung. Anwendbar ist vielmehr die speziellere Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. LSG MV, U.v. 29.11.2018 – L 8 AS 354/16 – juris Rn. 35 f.; Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017 Stand 23.2.2022, § 44 Rn. 64.2; Heße in BeckOK SozR, SGB X, Stand 1.12.2022, § 44 Rn. 17; Trenk-Hinterberger in LPK-SGB I, 4. Aufl. 2020, SGB I § 66 Rn. 25). Diese Vorschrift enthält im Unterschied zur Grundregelung des § 44 Abs. 2 SGB X einen Sondertatbestand für rechtswidrige, nicht begünstigende Verwaltungsakte, durch die „Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht“ oder – was hier nicht einschlägig ist – „Beiträge zu Unrecht erhoben“ worden sind.
43
Dafür reicht es zwar nicht aus, dass der bestandskräftige Bescheid lediglich im weiteren Sinne mit Sozialleistungen zusammenhängt. Voraussetzung ist vielmehr ein unmittelbarer Bezug zur Erbringung von Sozialleistungen (LSG MV, U.v. 29.11.2018 – L 8 AS 354/16 – juris Rn. 35 m.w.N.). Dieser notwendige unmittelbare Bezug zur Erbringung von Sozialleistungen ist indes bei dem zu überprüfenden Versagungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I gegeben. Zwar wird mit dem Bescheid nicht unmittelbar über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch selbst entschieden (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.1985 – 5 C 133/81 – NVwZ 1985, 490; Spellbrink in BeckOGK, SGB I, Stand 1.8.2019, § 66 Rn. 43). Dementsprechend prüft das Gericht nur die Versagungsgründe, mangels einer Sachentscheidung der Verwaltung über das Leistungsbegehren jedoch nicht die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Wohngeldanspruchs, wenn eine (Anfechtungs-) Klage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) gegen einen solchen Versagungsbescheid erhoben wird (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.1985 – 5 C 133/81 – NVwZ 1985, 490; BayVGH, B.v. 16.5.2002 – 12 C 02.856 – juris Rn. 9). Voraussetzung für eine Versagung ist gerade, dass eine Entscheidung über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch ohne die geforderte Mitwirkungshandlung nicht möglich ist. Jedoch trifft die Behörde auch bereits mit einem Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 SGB I eine unmittelbare Entscheidung, dass eine bestimmte Sozialleistung „versagt“, d.h. – zumindest bis zu einer Nachholung der Mitwirkung – nicht erbracht wird. Wertungsmäßig besteht insoweit kein Unterschied zwischen einer rechtwidrigen Leistungsablehnung und einer rechtswidrigen (bloßen) Leistungsversagung. Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung von schlussendlich in beiden Konstellationen sozialleistungsbezogenen Überprüfungsverfahren ist nicht ersichtlich (vgl. LSG MV, U.v. 29.11.2018 – L 8 AS 354/16 – juris Rn. 35-37 zur Rücknahme einer Versagung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch; ferner LSG BW, U.v. 25.9.2014 – L 10 U 1507/12 – juris Rn. 19; U.v. 27.9.2018 – L 6 U 2078/18 – juris Rn. 23 jeweils zur Rücknahme einer bestandskräftigen Ablehnung der Anerkennung eines Versicherungsfalls im Recht der Unfallversicherung). Die Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf Fälle der Versagung einer Sozialleistung nach § 66 Abs. 1 SGB I wird auch vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt, welche auf das „Nichterbringen“ von Sozialleistungen abstellt, ohne hierbei zwischen den Gründen für die Nichterbringung (Versagung wegen fehlender Mitwirkung oder Ablehnung wegen Fehlens materiell-rechtlicher Voraussetzungen) zu differenzieren.
44
§ 44 Abs. 2 SGB X ist auch nicht etwa wegen der Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X anzuwenden. Die Rückausnahme des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist im streitgegenständlichen Fall nicht erfüllt. Danach gilt Satz 1 der Vorschrift nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Bescheid vom 23. Januar 2019 beruht nicht auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
45
Es fehlt bereits an unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Klägers, auf welchen der Bescheid vom 23. Januar 2019 im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X beruht. Aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergibt sich, dass der Verwaltungsakt auf den in wesentlicher Beziehung unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen beruhen muss. Dies soll sicherstellen, dass eine zwingende Verpflichtung der Behörde zur Aufhebung und Abänderung eines Bescheids, dem ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde gelegt worden ist, nur dann besteht, wenn der Betroffene die falsche Tatsachengrundlage nicht zu vertreten hat (BT-Drs. 8/2034, S. 34). Eine ähnliche Regelung findet sich in § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Bundes-VwVfG und den diesem entsprechenden landesrechtlichen Verwaltungsverfahrensvorschriften. Danach kann sich bei Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts auf Vertrauensschutz nicht berufen, wer den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Diese Regelung beruht auf der Erwägung, dass die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ihre Ursache nicht in der Sphäre der Verwaltung, sondern (zumindest auch) in derjenigen des Bürgers hat (BT-Drs. 7/910, S. 70). Dies entspricht dem dargestellten Sinn und Zweck des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Der darin geforderte Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen oder unvollständigen Angaben einerseits und dem Verwaltungsakt andererseits ist daher so zu verstehen, dass der Betroffene die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts aufgrund seiner unrichtigen oder unvollständigen Angaben zumindest auch zu vertreten hat. Es muss also nicht der Verwaltungsakt an sich, sondern dessen Rechtswidrigkeit auf den vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen beruhen. Hieran fehlt es, wenn der Betroffene seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und die zuständige Behörde daraufhin einen Versagungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung erlässt. Dieser Verwaltungsakt beruht dann zwar auf fehlenden und insoweit – jedenfalls dem Wortsinn nach – „unvollständigen“ Angaben des Betroffenen. Die Rechtswidrigkeit eines Versagungsbescheids kann hierauf jedoch nicht beruhen, da gerade die durch die Unvollständigkeit begründete Verletzung der Mitwirkungspflicht Voraussetzung für eine rechtmäßige Versagung von Leistungen ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Dem steht nicht entgegen, dass im Falle der fehlenden Mitwirkung die Nichterbringung der Sozialleistung in diesem Fall auf dem Verhalten des Betroffenen, d.h. seinen unvollständigen Angaben, beruht. Denn § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X fordert seinem Wortlaut nach einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Verwaltungsakt, genauer gesagt dessen Rechtswidrigkeit, und den fehlerhaften Angaben des Betroffenen, nicht aber zwischen diesen und der Nichterbringung der Leistung.
46
Jedenfalls für die streitgegenständliche Konstellation ist daher der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts darin zu folgen, dass das Unterlassen einschließlich der Verweigerung von Angaben für die Erfüllung des Tatbestands des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht ausreicht (BSG, U.v. 31.5.1988 – 2/9b RU 8/87 – juris Rn. 15; vgl. ferner HessLSG, U.v. 20.5.2011 – L 7 SO 92/10 – juris Rn. 32; Fichte in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann (Hrsg.), Kommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl. 2021, § 48 SGB X Rn. 18; Winkler in BeckOK SozR, 67. Ed. Stand 1.12.2022, § 31 WoGG Rn. 8).
47
Im Übrigen lägen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X selbst dann nicht vor, wenn man für ihre Erfüllung ein Unterlassen genügen lassen würde. Denn dem Kläger ist ein Vorsatz nicht nachzuweisen.
48
Für die Annahme von Vorsatz genügt es nicht, wenn der Betroffene die Fehlerhaftigkeit zu vertreten hat, sondern er muss wissen oder zumindest billigend in Kauf nehmen, dass seine Angaben falsch oder unvollständig sind und die Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit von der Behörde nicht erkannt und seine Angaben deshalb der Entscheidung zu Grunde gelegt werden (Fichte in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann (Hrsg.), Kommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl. 2021, § 48 SGB X Rn. 18; Winkler in BeckOK SozR, 67. Ed. 1.12.2022, § 31 WoGG Rn. 8). Ein Irrtum schließt Vorsatz aus. Dabei muss sich der Vorsatz des Betroffenen nur auf die Unrichtigkeit der Angaben beziehen und nicht die daraus folgende Rechtswidrigkeit mit einschließen (HessLSG, U.v. 20.5.2011 – L 7 SO 92/10 – juris Rn. 33; Fichte in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann (Hrsg.), Kommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl. 2021, § 48 SGB X Rn. 18).
49
Gemessen hieran ist davon auszugehen, dass der Kläger nicht vorsätzlich gehandelt hat. Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er bewusst unvollständige Angaben gemacht hat oder dies billigend in Kauf genommen hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er irrtümlich von der Vollständigkeit seiner Angaben ausging.
50
Dem Vorbringen des Klägers ist zu entnehmen, dass er überzeugt davon ist, dass er alle seinerseits notwendigen Mitwirkungshandlungen vorgenommen hat. Eben deshalb meint er, der Bescheid vom 23. Januar 2019 sei zu Unrecht ergangen. Der Beklagte hat den Kläger zwar unter anderem mit Schreiben vom 9. Januar 2019 darauf hingewiesen, dass noch Angaben zu machen und Unterlagen vorzulegen seien. Hieraus hätte der Kläger zwar grundsätzlich erkennen können, dass noch Handlungen seinerseits ausstehen. Jedenfalls in der streitgegenständlichen Fallkonstellation reicht dies jedoch zur Bejahung von Vorsatz nicht aus. Denn der Kläger hat den Beklagten innerhalb der ihm mit dem vorgenannten Schreiben des Beklagten gesetzten Frist mit Schreiben vom 23. Januar 2019 darauf hingewiesen, dass ihm ein vom Beklagten angefordertes Formblatt, welches ihm mit dem Schreiben vom 9. Januar 2019 übersandt worden sein soll, nicht vorliege, und ergänzende Angaben zu seinem Vermögen gemacht. Der Beklagte hat indes bereits vor Fristablauf, nämlich am 23. Januar 2019, einen Versagungsbescheid erlassen. Ausweislich eines Aktenvermerks vom 25. Januar 2019 wurde hierbei das klägerische Schreiben vom 23. Januar 2019, welches am selben Tag einging, nicht berücksichtigt. Ob dies durch die im Aktenvermerk enthaltene Prüfung nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden ist, kann an dieser Stelle dahinstehen. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass auch die Stellung eines Antrags auf Mietzuschuss statt auf Lastenzuschuss nicht, jedenfalls nicht allein vom Kläger zu vertreten ist. Dieser stellte am 12. Oktober 2018 zunächst einen formlosen Wohngeldantrag, ohne zwischen Mietzuschuss und Lastenzuschuss zu differenzieren. Der Beklagte legte diesen ohne beim Kläger nachzufragen als Antrag auf Mietzuschuss aus und übersandte diesem ein Formular für die Beantragung eines Mietzuschusses mit der Bitte, dieses auszufüllen und zurückzusenden. Dieser Bitte kam der Kläger nach. Dass dem Kläger, der – soweit ersichtlich – erstmals einen Wohngeldantrag stellte, in diesem Moment bewusst war, dass zwischen Miet- und Lastenzuschuss zu unterscheiden war, hierfür unterschiedliche Formulare existierten und ihm der Beklagte lediglich aufgrund des von ihm missverstandenen formlosen Antrags vom 12. Oktober 2018 das falsche Formular zugesandt hatte, ist nicht ersichtlich. Auch nachdem der Kläger keine Angaben zur Miethöhe gemacht, dafür aber auf dem ihm zugesandten Antragsformular angekreuzt hatte, dass er ein eigenes Mehrfamilienhaus bewohne, erfolgte insoweit keine Nachfrage des Beklagten, der nach § 16 Abs. 3 SGB I verpflichtet gewesen wäre, darauf hinzuwirken, dass klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden.
51
Ebenso wenig ist ersichtlich, dass dem Kläger bewusst war, dass für den Beklagten die Anzahl der Haushaltsmitglieder unklar war. Ein Vorsatz ließe sich insoweit nur dann bejahen, wenn man diesen daraus herleitet, dass der Kläger die Frage nach dem Familienstand auf dem Antragsformular nicht beantwortet hat. Diese Frage könnte jedoch auch fahrlässig übersehen worden sein. Zudem sagt der Familienstand nicht zwingend etwas über die Wohnsituation und die Anzahl der Haushaltsmitglieder aus. Die Felder des Antragsformulars zu weiteren Haushaltsmitgliedern (Ziffer 4 des Formulars) wurden freigelassen. Ein Kästchen für die ausdrückliche Angabe, dass keine weiteren Haushaltsmitglieder existieren, enthält das Formular nicht. Auch die Formulierung der Anforderungsschreiben des Beklagten lässt für den objektiven Empfänger nicht eindeutig erkennen, ob der Beklagte davon ausging, dass diese Frage noch offen war. Dies geht insbesondere auch nicht hinreichend eindeutig aus dem Schreiben vom 9. Januar 2019 hervor. Darin hat der Beklagte lediglich Nachweise über sämtliches Einkommen „der in der Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen“ angefordert und darauf hingewiesen, dass „sämtliche Einkommensverhältnisse auch für den Ehegatten und aller zum Haushalt rechnenden Angehörigen, soweit sie über eigenes Einkommen verfügen, zu erbringen sind“. Diese Formulierungen könnten aus objektivem Empfängerhorizont auch schlicht darauf zurückzuführen sein, dass es sich bei dem Schreiben um ein textbausteinartiges Schreiben handelt, in dem die nachzureichenden Unterlagen durch Ankreuzen der in dem Vordruck angegebenen Möglichkeiten bezeichnet werden, so dass die Formulierungen allgemein gehalten sind, um auf eine Vielzahl denkbarer Fallkonstellationen Anwendung finden zu können.
52
Schließlich ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger vorsätzlich keine hinreichenden Angaben zu seinem Einkommen gemacht hat. Aus dem Schreiben vom 9. Januar 2019 geht zwar hervor, dass der Kläger insbesondere auch eine schriftliche Aufstellung der monatlichen Fixausgaben und der monatlichen Fixeinnahmen des klägerischen Haushalts unter Vorlage entsprechender Belege einzureichen hat, um die vom Kläger angegeben Einkommensverhältnisse prüfen zu können. Hierbei wurde indes auf ein Formblatt (Nr. 6) Bezug genommen, welches dem Kläger nach dessen Angaben nicht vorlag. Ob ihm angesichts dieser Umstände bewusst war, dass die mit Schreiben vom 23. Januar 2019 vorgelegten Vermögensnachweise und die bereits zuvor getätigten Angaben zu seinem Einkommen nicht ausreichten, ist unklar. Sein Hinweis im Schreiben vom 23. Januar 2019, dass ihm das Formblatt nicht vorliege, kann zudem auch so zu verstehen sein, dass er zur Abgabe weiterer Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen bereit ist, er hierzu jedoch das Formblatt benötigt, um die noch fehlenden Angaben erkennen und in der vom Beklagten gewünschten Form abgeben zu können.
53
Ob der Kläger bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass seine Angaben jedenfalls in Bezug auf seine Einkommensverhältnisse sowie die von ihm zu tragenden Lasten nicht vollständig sind, bedarf keiner Entscheidung, da dies keinen Vorsatz, sondern allenfalls Fahrlässigkeit zu begründen vermag.
54
Somit bleibt es bei der Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Voraussetzung für die Aufhebung eines Verwaltungsakts nach dieser Vorschrift ist, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
55
Gegen den Versagungsbescheid vom 23. Januar 2019 bestehen rechtliche Bedenken, weil der Versagungsbescheid am 23. Januar 2019 und somit vor Ablauf der dem Kläger mit Schreiben vom 9. Januar 2019 gesetzten Frist, welche erst mit Ablauf des 23. Januar 2019 endete, erlassen worden ist. Dies ist nach § 66 Abs. 3 SGB I unzulässig. Dieser Fehler ist indes durch Nachholung in Form einer erneuten, ergebnisoffenen Prüfung nach Fristablauf und unter Einbeziehung des bei Bescheiderlass nicht berücksichtigten klägerischen Schreibens vom 23. Januar 2019, festgehalten in einem Aktenvermerk vom 25. Januar 2018, geheilt worden. Für eine solche Heilungsmöglichkeit jedenfalls in Fällen, in denen – wie hier – ein Hinweis nach § 66 Abs. 3 SGB I ergangen und „nur“ die zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht gesetzte Frist nicht abgewartet worden ist, spricht die Wertung des die Heilung von Anhörungsfehlern regelnden § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X. Denn die in § 66 Abs. 3 SGB I bestimmten formellen Voraussetzungen stellen eine besondere Ausprägung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar (BSG, U.v. 22.2.1995 – 4 RA 44/94 – juris Rn. 24; U.v. 12.10.2018 – B 9 SB 1/17 R – juris Rn. 28; Spellbrink in BeckOGK, Stand 1.8.2019, § 66 SGB I Rn. 25). Es wäre übertriebene Förmelei, in einer Konstellation wie der streitgegenständlichen eine Aufhebung des rechtswidrig zustande gekommenen Bescheids und den zeitgleich möglichen Erlass eines Verwaltungsakts gleichen Inhalts zu verlangen.
56
Auf die Frage, ob Verletzungen der Anhörungspflicht, welche bei rechtzeitiger Einlegung von Rechtsbehelfen im Widerspruchs- und Gerichtsverfahren hätten korrigiert werden können, generell im Rahmen des § 44 SGB X außer Betracht zu bleiben haben (st.Rspr. BSG, z.B. U.v. 28.5.1997 – 14/10 RKg 25/95 – juris Rn. 23; U.v. 3.5.2018 – B 11 AL 3/17 R – juris Rn. 18; U.v. 3.2.2022 – B 5 R 26/21 – juris Rn. 26) und inwieweit ein sich auf das Abwarten des Fristablaufs beschränkender Verstoß gegen § 66 Abs. 3 SGB I hierunter fällt, kommt es daher im streitgegenständlichen Fall nicht an.
57
Der Versagungsbescheid vom 23. Januar 2019 ist jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte im Rahmen der Versagungsentscheidung nicht alle relevanten Umstände des Einzelfalls in seine Ermessenserwägungen einbezogen hat und das Ermessen nicht auf Null reduziert war. Insbesondere wäre im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen gewesen, dass die Verwendung des Antragsformulars für einen Mietzuschuss statt eines Lastenzuschusses zumindest auch dem Beklagten zuzurechnen ist. Es stellt sich die Frage, ob der Beklagte seiner Beratungspflicht bei der Antragstellung nach § 14 Abs. 1, § 16 Abs. 3 SGB I hinreichend nachgekommen ist und ob und wie etwaige Beratungsmängel bei Erlass des Versagungsbescheids berücksichtigt worden sind. Soweit der Kläger innerhalb der ihm mit Schreiben vom 9. Januar 2019 gesetzten Frist darauf hingewiesen hat, dass ihm das Formblatt Nr. 6 nicht vorliege, hätte zumindest erwogen werden müssen, ob ihm dieses Formblatt nicht zur Verfügung gestellt werden kann und ihm eine Nachfrist zu dessen Einreichung gesetzt wird oder ob allein das Fehlen anderer Angaben bereits zum seinerzeitigen Zeitpunkt eine Versagung wegen fehlender Mitwirkung rechtfertigte. Allerdings ist weder schlüssig dargetan noch sonst ersichtlich, dass Wohngeld materiell zu Unrecht nicht geleistet worden ist, was § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Annahme eines Rücknahmeanspruchs kumulativ neben der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts voraussetzt. Es liegen keine ausreichenden Angaben vor, um einen Wohngeldanspruch bejahen zu können.
58
Hierauf hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung, zu der der Kläger unentschuldigt nicht erschienen ist, im Rahmen der Erörterung der Voraussetzungen des § 44 SGB X explizit hingewiesen. Unabhängig hiervon war für den Kläger bereits aus dem Bescheid vom 4. Februar 2022 und dem Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2022 erkennbar, dass seine Angaben nach wie vor nicht ausreichen, um einen Wohngeldanspruch prüfen (und bejahen) zu können. So heißt es im Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2022, dass die Mitwirkungspflicht „offensichtlich“ auch nicht im Widerspruchsverfahren im Rahmen der Überprüfung nach § 44 SGB X entsprechend nachgeholt worden sei. Folglich war das Gericht nicht durch den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) daran gehindert, trotz Fernbleibens des Klägers von der mündlichen Verhandlung zu verhandeln und zu entscheiden. Denn eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO kommt nur dann in Betracht, wenn der Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung eine unvorhergesehene Wendung nimmt, mit der der abwesende Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hätte rechnen müssen und die dazu führt, dass das Gericht seine Entscheidung auf bisher unerörtert gebliebene rechtliche oder tatsächliche Aspekte stützt (BVerwG, U.v. 13.11.1980 – 5 C 18.79 – juris Rn. 18; B.v. 20.12.2000 – 8 B 238.00 – NJW 2001, 1151; Riese in Schoch/Schneider (Hrsg.), VwGO, 43. EL August 2022, § 102 Rn. 22a). Dies ist nicht der Fall.
59
Nach Erlass des versagenden Bescheids legte der Kläger zwar am 19. August 2020 bzw. am 1. Juli 2021 einen Einkommensteuerbescheid für 2018 sowie einen Einkommensteuerbescheid für 2019 vor. Jedoch sind die Angaben aus den Einkommensteuerbescheiden nicht ausreichend, um einen Wohngeldanspruch prüfen zu können, weil sich aus ihnen die Zusammensetzung der Ein- und Ausgaben nicht hinreichend detailliert ergibt. Anhand der vorliegenden Angaben ist nicht einmal eine Plausibilitätsprüfung der vom Kläger angegebenen Einkommensverhältnisse möglich. Der Kläger hat zwar im Verwaltungsverfahren vorgetragen, kein Einkommen zu haben. Er hat dies jedoch nicht plausibilisiert, indem er dargelegt hat, wovon er dann eigentlich lebt und wie er seine Ausgaben bestreitet, zumal ihm ausweislich des Bescheids des Jobcenters vom 13. März 2018 jedenfalls für das Jahr 2018 auch keine Sozialleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zur Verfügung standen und der in der Behördenakte auszugsweise enthaltene Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 123 EUR ausweist. Ferner ist er Miteigentümer verschiedener Grundstücke, bei denen nicht bekannt ist, inwieweit sich hieraus Einkünfte ergeben. Auf dieser Grundlage können die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Wohngeldanspruchs nicht geprüft werden, weil diesem Vorbringen nachvollziehbare Angaben über die dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum zur Verfügung stehenden Geldquellen nicht zu entnehmen sind.
60
Nachdem der Kläger nach Unanfechtbarkeit des Versagungsbescheids, dessen Aufhebung er begehrt, die objektive Beweislast für den von ihm geltend gemachten Wohngeldanspruch trägt, geht es zu seinen Lasten, dass die Voraussetzungen für das Bestehen eines Wohngeldanspruchs aufgrund der nach wie vor fehlenden Angaben zum Einkommen des Klägers und seinen Ausgaben nebst Belegen nicht festgestellt werden können. Auch aus diesem Grund kann die Klage keinen Erfolg haben.
61
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Ein Fall des § 161 Abs. 3 VwGO liegt nicht vor. Denn der Kläger hat den Rechtsstreit nach Ergehen der ihm ungünstigen Behördenentscheidung unter deren Einbeziehung fortgeführt, so dass die ohne zureichenden Grund verzögerte Bescheidung durch den Beklagten, welche maßgebliche gesetzgeberische Motivation für die Schaffung der in § 161 Abs. 3 VwGO vorgesehenen Kostenverteilung zulasten des Beklagten ist, nicht mehr kausal für den nach dem Erlass des Verwaltungsakts sich fortsetzenden Prozess ist (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.1991 – 3 C 56/90 – NVwZ 1991, 1180, 1182).
62
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.