Inhalt

BayObLG, Urteil v. 23.03.2023 – 206 StRR 11/23
Titel:

Berufungsbeschränkung beim wiederholten Zuwiderhandeln gegen räumliche Beschränkung nach dem Aufenthaltsgesetz; Konkurrenzen beim gleichzeitigen Betäubungsmittel- und Arzneimittelhandel

Normenketten:
AufenthG § 95 Abs. 1
BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AMG § 95 Abs. 1 Nr. 4
StGB § 52
Leitsätze:
1. Zur Berufungsbeschränkung auf die Rechtsfolgen der Tat bei einer Verurteilung wegen wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts. (Rn. 6 – 15)
2. Das (verbotene) Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Tabletten kann tateinheitlich auch den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erfüllen. (Rn. 20 – 24)
Ein wiederholtes Zuwiderhandeln nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG liegt nur dann vor, wenn der Ausländer den Bereich der gleichen Beschränkung verlassen hat. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungsbeschränkung, Aufenthaltsgesetz, räumliche Beschränkung des Aufenthalts, wiederholtes Zuwiderhandeln, Betäubungsmittelhandel, Arzneimittelhandel, Konkurrenzen, Tateinheit
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 26.09.2022 – 9 Ns 301 Js 117798/19 (2)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7973

Tenor

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 26. September 2022 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Schuldspruch wie folgt berichtigt wird:
Der Angeklagte ist schuldig des wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 AufenthG in vier Fällen sowie des Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.
Die Liste der angewendeten Strafvorschriften lautet wie folgt:
§§ 95 Abs. 1 Nr. 7. 61 Abs. 1c AufenthG, §§ 95 Abs. 1 Nr. 4, 43 Abs. 1 Satz 2 AMG i.V.M. Anl. 1 zu § 1 AMVV, § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG i.V.m.
Anl. III zu § 1 Abs. 1 BtMG, § 1 Abs. 1 BtMVV, §§ 52, 53, 64 StGB.
II. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Amtsgericht Augsburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 12. Februar 2021 wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Tatmehrheit mit vier tatmehrheitlichen Fällen des wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte B1. eingelegt, wobei er diese hinsichtlich der vier Verstöße gegen die räumliche Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Das Landgericht Augsburg hat mit Urteil vom 26. September 2022 über die Frage der Schuld betreffend die Verstöße gegen das AufenthG nicht mehr in der Sache entschieden und die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass neben der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde.
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Gegen das Berufungsurteil wendet sich der Angeklagte mit dem am 4. Oktober 2022 eingegangenen Rechtsmittel der Revision. Diese ist nach Zustellung des Urteils am 7. November 2022 mit am 5. Dezember 2022 eingegangenem Schreiben des Verteidigers mit der nicht ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet worden. Der Angeklagte beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückzuverweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, das Urteil des Landgerichts Augsburg hinsichtlich der Verurteilung wegen vier tatmehrheitlicher Fälle des Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 7, 61 Abs. 1c AufenthG nebst der gebildeten Gesamtstrafe aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückzuverweisen, den Tenor des Urteils im Übrigen dahin zu berichtigen, dass sich der Angeklagte des vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Hydromorphon und Oxazepam) in Tateinheit mit vorsätzlichem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (Tramal) strafbar gemacht hat, und im Übrigen die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft führt aus, dass die Beschränkung der Berufung des Angeklagten wegen insoweit unzureichender Feststellungen im Urteil des Ausgangsgerichts nicht wirksam gewesen sei. Der Schuldspruch zum Tatkomplex des Handeltreibens mit Tabletten sei aus rechtlichen Gründen zu korrigieren. Im Übrigen weise das angegriffene Urteil keine Rechtsfehler auf.
II.
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Der zulässigen Revision bleibt der Erfolg versagt. Mit Ausnahme der aus dem Urteilstenor ersichtlichen Korrektur des Schuldspruchs hat die revisionsgerichtliche Überprüfung keine durchgreifenden Rechtsfehler, § 337 Abs. 1 StPO, aufgedeckt.
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1. Die Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf die Rechtsfolgenbestimmung, soweit er wegen Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 7, 61 Abs. 1c AufenthG schuldig gesprochen worden ist, war, was das Revisionsgericht auf die Sachrüge von Amts wegen zu überprüfen hatte (BGH, Beschluss vom 30. November 1976, 1 StR 319/76, NJW 1977, 442; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 327 Rn. 9), gemäß § 318 StPO wirksam. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen geben zwar, wie die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Stellungnahme vom 27. Dezember 2022 ausführlich dargelegt hat, aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit zu erheblichen rechtlichen Bedenken Anlass. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe können sie aber noch als ausreichend angesehen werden.
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a) Gemäß § 318 S. 1 StPO kann die Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Bei wirksamer Beschränkung erwächst der nicht angegriffene Teil des Ersturteils in Teilrechtskraft, § 316 Abs. 1 StPO (BGH, Beschluss vom 27. April 2017, 4 StR 547/16, NJW 2017, 2482 Rn. 18); die insoweit getroffenen Feststellungen entfalten innerprozessuale Bindungswirkung.
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Berufungsbeschränkungen sind im Hinblick auf diese weitreichende Wirkung nicht uneingeschränkt zulässig. Voraussetzung ist stets, dass der angegriffene Entscheidungsteil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden kann, ohne dass eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig wird, sog. Trennbarkeit (st. Rspr.; BGH NJW 2017, 2482 Rn. 19). Danach ist eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich vom Schuldausspruch trennbar und damit wirksam (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 318 Rn. 16).
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Voraussetzung ist jedoch, dass die zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen eine tragfähige Grundlage für die vom Berufungsgericht eigenständig unter Berücksichtigung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat festzusetzenden Rechtsfolgen darstellen. Daran fehlt es, wenn die dem nicht angefochtenen Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art so mangelhaft, insbesondere unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie Art und Umfang der Schuld nicht hinreichend erkennen lassen und keine taugliche Grundlage für die Bestimmung der Rechtsfolgen bieten, oder wenn unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (st. Rspr.; vgl. BGH NJW 2017, 2482 Rn. 20; Paul in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2022, § 318 Rn. 7a).
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b) Bei einer Überprüfung des Ersturteils nach diesen Maßstäben erweist sich, dass die, wenngleich dürftigen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts gerade noch belegen, dass sich der Angeklagte in den vier nach Datum, Zeit und Ort konkret bezeichneten Fällen seiner Anwesenheit in der Stadt Augsburg jeweils eines wiederholten Verstoßes gegen die räumliche Beschränkung des Aufenthalts strafbar gemacht hat, denn sein Aufenthalt war auf den Landkreis Augsburg beschränkt. Diesem gehört, was zwar das Amtsgericht nicht festgestellt hat, was aber jedenfalls im hiesigen Gerichtsbezirk offenkundig ist, die kreisfreie Stadt Augsburg nicht an.
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aa) Die Strafnorm des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG setzt tatbestandlich zunächst voraus, dass der Aufenthalt des Täters beschränkt war, wobei vorliegend lediglich eine Beschränkung nach § 61 Abs. 1c AufenthG für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer in Betracht kommt. Bei der Beschränkung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der von der zuständigen Ausländerbehörde erlassen wird. Nach dem Grundsatz der Verwaltungsaktsakzessorietät muss die Aufenthaltsbeschränkung wirksam angeordnet und vollziehbar sein, während die materielle Richtigkeit, abgesehen vom Fall der Nichtigkeit, von den Strafgerichten nicht zu überprüfen ist (Hohoff in BeckOK Ausländerrecht, 35. Ed., Stand 01.07.2022, § 95 AufenthG Rn. 64; vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2005, 2 StR 457/04, NJW 2005, 2095, 2096).
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Die Feststellungen ergeben auch noch, dass der Angeklagte vollziehbar ausreisepflichtig war. Er ist abgelehnter Asylbewerber, wenn auch das Amtsgerichts nichts dazu festgestellt hat, wann sein Antrag bestandskräftig abgelehnt wurde; ferner ist er im Besitz einer Duldung. Eine solche wird einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer erteilt, dessen Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, § 60a Abs. 2 AufenthG. Die räumliche Aufenthaltsbeschränkung stellt regelmäßig eine Nebenbestimmung gemäß Art. 36 BayVwVfG zur erteilten Duldung dar, und ist an diese gebunden. Das Amtsgericht teilt zwar weder das Datum des maßgeblichen Bescheids noch die erlassende Behörde mit. Bei lebensnaher Betrachtung kann aber zugrunde gelegt werden, dass die Duldung nebst aufenthaltsbeschränkendem Zusatz von der zuständigen Ausländerbehörde erlassen und bestandskräftig oder jedenfalls vollstreckbar geworden war; gegenteilige Anhaltspunkte ergeben sich nicht. Der Senat geht entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft insoweit geäußerten Bedenken auch davon aus, dass die Beschränkung durch Bekanntgabe an den Angeklagten gem. Art. 43 Abs. 1 VwVfG wirksam geworden ist. Der Angeklagte hat selbst eingeräumt, die räumliche Beschränkung gekannt und gewusst zu haben, dass sein Aufenthalt in der Stadt Augsburg nicht erlaubt war (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011, 3 StR 87/11, NStZ 2012, 216, der eine entsprechende Feststellung hat ausreichen lassen). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass er diese Kenntnis nur zufällig außerhalb einer durch die zuständige Verwaltungsbehörde gem. Art. 41 BayVwVfG an ihn als Adressaten gerichtete Bekanntgabe erlangt haben könnte. Einer förmlichen Bekanntgabe bedarf es weder für die Duldung noch für die räumliche Beschränkung. Der Senat geht als lebensnah davon aus, dass sich der Angeklagte schon im eigenen Interesse jeweils um die Ausstellung bzw. Verlängerung seiner Duldung – die grundsätzlich alle drei Monate zu erfolgen hat, § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG – sowie um die Aushändigung der entsprechenden Bescheinigung bemüht hat und ihm auf diesem Weg auch die Anordnung der räumlichen Beschränkung bekannt gegeben worden ist. Entsprechendes gilt für deren Vollziehbarkeit. Es deutet, auch insoweit unter besonderer Berücksichtigung des abgegebenen Geständnisses, nichts darauf hin, dass diese noch nicht eingetreten gewesen sein könnte.
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bb) Die Feststellungen belegen, dass sich der Angeklagte in vier Fällen, nämlich am 30. März, 7. April, 8. April und 9. April 2020 jeweils aufgrund eines neuen Tatentschlusses in der Stadt Augsburg und damit außerhalb der räumlichen Beschränkung seiner Duldung aufgehalten hat.
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cc) Die weitere Voraussetzung des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, dass es sich dabei um „wiederholte“ Verstöße gehandelt haben muss, ist zwar in dem Abschnitt des amtsgerichtlichen Urteils über die tatsächlichen Feststellungen nicht mit hinreichender Klarheit dargetan. Es ist ausgeführt, dass sich der Angeklagte „zuvor bereits am 25.02.2019 sowie am 13.08.2019 außerhalb des ihm zugewiesenen Bezirks aufgehalten“ habe und er hierfür zwischenzeitlich auch rechtskräftig verurteilt worden sei (UA S. 6). Ein wiederholtes Zuwiderhandeln liegt aber nur dann vor, wenn der Ausländer den Bereich der gleichen Beschränkung verlassen hat (Stephan in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 95 AufenthG Rn. 79; OLG Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2007, 1 Ss 79/07, BeckRS 2008, 4869 Rn. 8). Unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Urteilsgründe vermag der Senat gleichwohl festzustellen, dass diese Voraussetzung vorlag. Zum einen deutet die Formulierung des Amtsgerichts, der Angeklagte habe schon zuvor den Bereich „des ihm zugewiesenen Bezirks“ verlassen (UA S. 6), semantisch darauf hin, dass damit der zuvor in den Gründen bezeichnete genannte Bereich des Landkreises Augsburg gemeint war. Zudem ergibt sich aus der im Urteil mitgeteilten Strafliste, dass der Angeklagte, beginnend mit Februar 2018, insgesamt fünf Mal vom Amtsgericht Augsburg verurteilt worden ist, darunter auch mit Urteil vom 10. Februar 2020 wegen wiederholten Verstoßes gegen eine Aufenthaltsbeschränkung (Tatzeit 13. August 2019). Der Senat schließt daraus, dass der Angeklagte spätestens seit Beginn des Jahres 2018 im Bereich Augsburg aufhältig war. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte kann als lebensnah davon ausgegangen werden, dass die ihm erteilte Duldung bei der Tat am 13. August 2019 keine andere Beschränkung enthielt als diejenige, die er bei den gegenständlichen Taten innehatte.
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dd) Trotz der festgestellten, auch von der Generalstaatsanwaltschaft beanstandeten Defizite der amtsgerichtlichen Feststellungen lassen diese die Verwirklichung des angenommenen Straftatbestandes, wenigstens in groben Zügen, noch erkennen. Im Hinblick auf die einfache Fallgestaltung und das glaubhafte Geständnis des Angeklagten (vgl. auch BayObLG, 203 StRR 51/20, Beschluss vom 23. März 2020 – nicht veröffentlicht), sieht der Senat die insoweit erklärte Beschränkung der Berufung des Angeklagten als wirksam an. Der Schuldspruch ist (teil-)rechtskräftig geworden. Das Landgericht hat ohne Verstoß gegen seine umfassende Kognitionspflicht insoweit nur noch über die zu verhängende Rechtsfolge befunden.
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2. Den Schuldspruch wegen der Tat vom 15. April 2019 (Handeltreiben mit 128 Stück Tabletten) hat der Senat wie aus dem Tenor ersichtlich korrigiert; im Übrigen hat die revisionsgerichtliche Prüfung weder im Schuldspruch noch in der Beweiswürdigung des Landgerichts Rechtsfehler aufgedeckt.
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a) Die zur Tat vom 14. April 2019 getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte in Augsburg 70 Stück des verschreibungspflichtigen Medikaments Tramal (200mg), 56 Stück Tabletten Hydromorphon (8 mg) sowie zwei Stück Tabletten Oxazepam in der Absicht mit sich führte, diese gewinnbringend zu verkaufen, werden von der ausführlichen und rechtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung getragen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 27. Dezember 2022 Folgendes ausgeführt:
„Es ist allein Aufgabe des Tatrichters, den Sachverhalt festzustellen und die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu würdigen. Er hat insoweit ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu überprüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Tathergang überzeugen kann oder nicht (vgl. BGH, NJW 1979, 2318). Allein in seinen Verantwortungsbereich fällt, mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen und zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Überzeugung kommt. Die Beweiswürdigung ist der Überprüfung durch das Revisionsgericht nur dann zugänglich, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder allgemein gültige, zwingende Regeln der Lebenserfahrung verstößt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Landgericht hat in nachvollziehbarer und widerspruchsfreier Weise dargelegt, wie es zu der Schlussfolgerung gelangt ist, dass der Angeklagte die fraglichen Arzneimittel mit Veräußerungsabsicht bei sich geführt hat (UA LG Blatt 6/7). Insbesondere sprach für eine solche Annahme die bereits vorgenommene Portionierung der Arzneimittel sowie auch der Umstand, dass der Angeklagte kein Bargeld mit sich führte, mit dem er das für seinen täglichen Konsum benötigte Heroin sonst erwerben hätte können.“
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Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.
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b) Der Generalstaatsanwaltschaft ist auch darin zu folgen, dass der Angeklagte auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen neben der Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG, Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, tateinheitlich diejenige des § 29 Abs. 1 BtMG, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, verwirklicht hat.
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aa) Bei sämtlichen Tabletten handelt es sich, wie das Landgericht richtig eingeordnet hat, um verschreibungspflichtige Medikamente, die nur von Apotheken abgegeben und nur von diesen gehandelt werden dürfen, § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 AMG. Für die Tabletten Tramal folgt dies aus § 1 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) i.V.m. Anlage 1 zu § 1 AMVV. Die Verschreibungspflichtigkeit der Tabletten Hydromorphon und Oxazepam ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) i.V.m. Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG. Gleichzeitig folgt aus der Aufnahme der genannten Substanzen in diese Anlage III, dass es sich dabei gem. § 1 Abs. 1 BtMG um Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes handelt.
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Die Begriffe Betäubungsmittel und Arzneimittel ergänzen und überschneiden sich demnach (vgl. Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl. 2022, § 1 BtMG Rn. 12). Nach § 81 AMG bleiben bei Anwendbarkeit des AMG die Vorschriften des Betäubungsmittelrechts unberührt.
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bb) Unter Handeltreiben nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist jedes eigennützige Bemühen zu verstehen, das darauf gerichtet ist, den Umsatz mit Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern, auch, wenn dieser sich nur als gelegentlich oder einmalig darstellt (Patzak a.a.O., § 29 BtMG Rn. 225 m.w.N.). Es ist nicht erforderlich, dass der Täter berufs- oder gewerbsmäßig handelt, bereits ein einmaliges Handeln reicht aus. Schon mit dem ersten Teilakt des Handeltreibens ist der objektive Tatbestand vollendet. Dient der Besitz des Betäubungsmittels der gewinnbringenden Weiterveräußerung, ist der Tatbestand des Handeltreibens gegeben, der gleichzeitig verwirklichte Besitz tritt als Auffangtatbestand dahinter zurück (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2022, 5 StR 200/22, BeckRS 2022, 26050 Rn. 6). Für den Begriff des Handeltreibens i.S.d. § 95 AMG gilt Entsprechendes (BGH, Urteil vom 3. Juli 2003, 1 StR 453/02, NStZ 2004, 457 Rn. 7).
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cc) Nach den Urteilsgründen wollte der Angeklagte die Tabletten, die er in seinem Besitz hatte, gewinnbringend veräußern. Er handelte daher mit der nötigen Gewinnerzielungsabsicht (UA Blatt 5). Dies genügt für das Tatbestandsmerkmal des Handeltreibens sowohl i.S.d. Betäubungsmittel-, als auch des Arzneimittelrechts. Der Angeklagte hat demnach den Tatbestand des Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG (hinsichtlich aller Tabletten) und in Tateinheit hierzu denjenigen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 BtMG (hinsichtlich der Tabletten Hydromorphon und Oxazepam) erfüllt. Letzteres hat das Landgericht übersehen.
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dd) Der Senat berichtigt den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2016, 5 StR 94/16, BeckRS 2016, 7517).
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Der neue Schuldspruch beschwert den Angeklagten zwar; von der Möglichkeit, von der Korrektur aus diesem Grunde abzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1957, 4 StR 5/57, NJW 1957, 1604, 1605) macht der Senat jedoch keinen Gebrauch. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO schützt den Angeklagten lediglich vor einer Verschlechterung des Rechtsfolgenausspruchs. Eine solche ist trotz des höheren Strafrahmens des § 29 Abs. 1 BtMG ausgeschlossen, da lediglich der Angeklagte R1. eingelegt hat. Der Senat ist an der Berichtigung auch nicht durch § 265 StPO gehindert, denn der Angeklagte hätte sich nicht anders als geschehen verteidigen können.
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Der Senat weist zudem darauf hin, dass der vom Amtsgericht gewählte Zusatz vorsätzlichen Handelns nicht erforderlich ist. Dass die Tat vorsätzlich begangen wurde, ergibt sich als Regelfall aus § 15 StGB und bedarf regelmäßig nicht der Aufnahme in den Tenor (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 1992, 3 StR 61/92, NStZ 1992, 546).
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3. Die Rechtsfolgenbestimmung des Landgerichts gibt zu keinen rechtlichen Beanstandungen Anlass.
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a) Dies gilt zunächst für die festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe.
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aa) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Allein seine Aufgabe ist es, auf der Grundlage der bindenden Feststellungen zur Tat und des in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnenen Eindrucks die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Die tatrichterliche Ermessensentscheidung ist vom Revisionsgericht in Zweifelsfällen zu respektieren (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 337 Rn. 34 m.w.N.).
31
bb) Die Einzelfreiheitsstrafen für die Taten des wiederholten Verstoßes gegen die räumliche Beschränkung hat das Landgericht zutreffend aus dem Strafrahmen des § 95 Abs. 1 AufenthG entnommen. Es hat alle bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte berücksichtigt (UA S. 9), sich insbesondere ausführlich mit den Voraussetzungen der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gem. § 47 Abs. 1 StGB auseinandergesetzt und diese in vertretbarer, rechtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht (UA S. 10 f.).
32
cc) Der Einzelfreiheitsstrafe für die Tat vom 15. April 2019 hat das Landgericht den Strafrahmen des § 95 Abs. 1 AMG zugrundegelegt, der eine Obergrenze von drei Jahren Freiheitssstrafe vorsieht; dass – fehlerhaft – nicht von dem bis zu fünf Jahren reichenden Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG ausgegangen wurde, wirkt sich nicht zum Nachteil des Angeklagten aus.
33
Die Voraussetzungen des §§ 20, 21 StGB hat das Landgericht mit rechtsfehlerfreier Begründung verneint (UA S. 8 f.)
34
Bei der Bestimmung der Einzelstrafe hat das Landgericht alle bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte berücksichtigt, darunter auch den Umstand, dass die Tat zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung bereits längere Zeit zurücklag (UA S. 9).
35
Zur Strafbemessung hinsichtlich dieser Einzelstrafe nimmt der Senat ergänzend auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft (S. 9 f. der Stellungnahme vom 27. Dezember 2022) Bezug.
36
dd) Die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr entspricht den gesetzlichen Vorgaben des § 54 StGB und ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ein Härteausgleich im Hinblick darauf, dass wegen der zwischenzeitlichen vollständigen Vollstreckung einer Geldstrafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11. Februar 2020 mit der Folge, dass diese Strafe nicht gem. § 55 StGB in eine nachträgliche Gesamtstrafe einbezogen werden konnte, wurde gewährt.
37
ee) Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung ist ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen einer positiven Sozialprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB begründet. Dabei hat das Landgericht eine Gesamtwürdigung der Person des Angeklagten und seiner Taten vorgenommen, und dabei insbesondere auch die zwischenzeitliche Hafterfahrung des Angeklagten ausdrücklich einbezogen (UA S. 12) . Die Entscheidung des Tatgerichts, die keine Ermessensfehler aufweist, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Es ist ihm versagt, eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Tatgerichts zu setzen.
38
b) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB weist ebenfalls keine Rechtsfehler auf.
39
aa) Der Anordnung steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte B2. gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt hatte. Gemäß § 331 Abs. 2 StPO gilt insoweit nicht das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO.
40
bb) Die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel sind vom Landgericht ohne Rechtsfehler dargelegt worden.
41
Die Generalstaatsanwaltschaft München führt hierzu wie folgt aus:
„Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen dieses die Voraussetzungen nach § 64 StGB bejaht hat, begegnen keiner Beanstandung.
Insbesondere ist gegen die Annahme eines „Hangs“ im Sinne des § 64 StGB in rechtlicher Hinsicht nichts einzuwenden. Für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB reicht es aus, dass der Rauschmittelmissbrauch den Grad einer psychischen (seelischen) Abhängigkeit erreicht hat (van Gemmeren in MüKo StGB, 4. Aufl. 2020, § 64 Rn. 23). Eine körperliche Abhängigkeit ist daher nicht erforderlich. Mithin ist nicht zu beanstanden, dass das sachverständig beratene Landgericht trotz der derzeitigen, vom Angeklagten vorgetragenen Abstinenz weiterhin das Vorliegen eines Hangs auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 26.09.2022 bejaht hat. Aufgrund der beim Angeklagten bereits frühzeitig im Alter von 12 Jahren begründeten und über einen langen Zeitraum von insgesamt über 25 Jahren bestehenden Abhängigkeit ist der Schluss des Gerichts, es bestehe bei diesem auch trotz derzeitiger Abstinenz noch immer eine eingewurzelte, auf Grund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, überaus nachvollziehbar.“
42
Dem schließt sich der Senat an.
43
4. Die Revision des Angeklagten bleibt damit insgesamt ohne Erfolg.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.