Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 20.03.2023 – AN 4 S 23.30306
Titel:

Erfolgreicher Eilantrag einer aus der Republik Moldau stammenden, zuletzt über mehrere Jahre in der Ukraine lebenden Asylbewerberin

Normenkette:
AsylG § 32
Leitsätze:
1. Das Offensichtlichkeitsurteil nach § 30 Abs. 2 AsylG erfordert eine vollständige Erforschung des Sachverhalts. Die qualifizierte Ablehnung ist nur dann zulässig, wenn neben dem aufgezeigten Aufenthaltsmotiv keine asylrechtlich relevanten Aspekte vorgetragen oder ersichtlich sind; insoweit ist nicht allein auf den Vortrag, sondern auf die objektive Lage abzustellen. (Rn. 11) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Nach dem BMI-Schreiben vom 14.3.2022 zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4.3.2022 kommt bei drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Ukrainern ein Anspruch auf Gewährung eines Aufenthaltsrechts grundsätzlich in Betracht, da das Schreiben - anders als bei sonstigen Drittstaatsangehörigen - bei Familienangehörigen von Ukrainern nicht auf das Herkunftsland verweist. (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Familienangehörige von Ukrainern mit doppelter Staatsangehörigkeit, wirtschaftliche Gründe, moldawische Staatsangehörige, Ukraine, Ukrainekrieg, Familienangehörige eines Ukrainers, offensichtlich unbegründeter Asylantrag, vorläufiger Rechtsschutz, Fluchtmotivation
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7673

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der am 16. März 2023 erhobenen Klage gegen die im Bescheid vom 7. März 2023 unter Ziffer 5 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller sind Staatsangehörige der Republik Moldau, vom Volk der Russen und christlich-orthodoxen Glaubens. Sie reisten am 23. Mai 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 25. Juli 2022 ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
2
Im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. September 2022 verweist die Antragstellerin zu 1) für die Asylgründe der Antragsteller im Wesentlichen auf den Krieg in der Ukraine, wo sie die letzten neun Jahre gelebt haben. Die Antragsteller seien 2013 aus Moldau in die Ukraine gezogen, da ihr Lebensgefährte Staatsangehöriger der Ukraine sei. Die Ukraine haben sie am 29. April 2022 verlassen. Die Situation sei aufgrund des Krieges unerträglich geworden. Bis zum 20. Mai 2022 waren sie in der Republik Moldau in einem Flüchtlingscamp. Dort sei ihnen von Freiwilligen geholfen worden und sie wurden mit Essen versorgt. Die Antragstellerin zu 1) wolle ihre Kinder nicht mit der Armut in Moldau quälen und habe bereits in der Ukraine beschlossen nach Deutschland zu ziehen.
3
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 7. März 2023 wurde der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffer 1) und der Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffer 2). In Ziffer 3 wurde der subsidiäre Schutzstatus als offensichtlich unbegründet abgelehnt und in Ziffer 4 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. In Ziffer 5 wurden die Antragsteller aufgefordert, Deutschland binnen einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und ihr die Abschiebung in die Republik Moldau angedroht. In Ziffer 6 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen.
4
Die Antragsteller lassen durch ihren anwaltlichen Vertreter am 17. März 2023 Verpflichtungsklage erheben und zugleich beantragen die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
5
Zur Begründung wird zunächst auf den Vortrag beim Bundesamt Bezug genommen. Weiter wird ergänzt, dass sich die Lage in der Republik Moldau in den letzten Tagen deutlich verschlimmert habe. In Transnistrien gebe es russische Truppen in Alarmbereitschaft. Es bestehe die Gefahr, dass sich der russisch-ukrainische Krieg ausweitet. In Moldau sei die Lage zwischen der Polizei und der pro-russichen Opposition angespannt.
6
Die Antragsgegnerin erwidert mit Schreiben vom 20. März 2023 und beantragt den Antrag abzulehnen.
7
Zur Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
9
Der zulässige Antrag ist im Ergebnis begründet. Daher war die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 7. März 2023 anzuordnen.
10
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. März 2023 gegen die im angefochtenen Bescheid vom 7. März 2023 erteilte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Unabhängig von der Motivlage der Antragsteller ist das Gericht unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte des Einzelfalles zu der Überzeugung gelangt, dass ernstliche Zweifel an dem getroffenen Offensichtlichkeitsurteil nach § 30 Abs. 2 AsylG bestehen.
11
Nach § 30 Abs. 2 AsylG ist ein Asylantrag insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält. Der Gesetzgeber nennt damit Regelbeispiele für eindeutig aussichtslose Asylverfahren, bei denen er an die Motivation des Asylsuchenden anknüpft. Obwohl der der Gesetzgeber damit auf normativer Ebene eine Wertung vorgenommen hat, erfordert das Offensichtlichkeitsurteil nach § 30 Abs. 2 AsylG eine vollständige Erforschung des Sachverhalts. Die qualifizierte Ablehnung ist nur dann zulässig, wenn neben dem aufgezeigten Aufenthaltsmotiv keine asylrechtlich relevanten Aspekte vorgetragen oder ersichtlich sind. Insoweit ist nicht allein auf den Vortrag, sondern auf die objektive Lage abzustellen (Heusch in BeckOK AuslR, 36. Ed. 1.1.2023, AsylG § 30 Rn. 27 f.).
12
Das Offensichtlichkeitsurteil erscheint in der Gesamtschau übermäßig. Die Antragsteller sind nach unbestrittenen Vortrag initial vor den Kriegshandlungen aus der Ukraine geflohen, in der sie zuvor neun Jahre gelebt haben. Asylrechtlich können sie zwar als Staatsangehörige der Republik Moldau ohne weiteres auf dieses Herkunftsland (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) verwiesen werden. Das initiale Migrationsmotiv wird aber ausländerrechtlich mit der Möglichkeit einer Aufenthaltsgewährung nach § 24 AufenthG i.V.m. dem BMI-Schreiben vom 14. März 2022 zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der RL 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes (ABl. L 71 vom 4. März 2022, S. 1) behandelt. Nach dem Umsetzungsschreiben käme bei den Antragstellern insoweit ein Anspruch zumindest in Betracht, ohne dass das vorliegend näher zu prüfen ist, da das Schreiben bei Familienangehörigen von Ukrainern, anders als bei Drittstaatsangehörigen, soweit ersichtlich nicht auf ein Herkunftsland verweist. Aus Sicht des Gerichts begründet dieses normative Auseinanderfallen zwischen bedingungsloser Schutzgewährung einerseits und Offensichtlichkeitsurteil andererseits ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips.
13
Daher war die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides antragsgemäß anzuordnen.
14
Damit war dem Antrag stattzugeben. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 83b AsylG, § 154 Abs. 1 VwGO.
15
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.