Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 32236; BeckRS 2023, 3168; OLG München BeckRS 2022, 24992; BeckRS 2022, 36082; OLG Nürnberg BeckRS 2021, 52232; OLG Koblenz BeckRS 2022, 25180; BeckRS 2022, 25178; BeckRS 2022, 25176; BeckRS 2022, 25174; BeckRS 2022, 25157; BeckRS 2022, 25155; BeckRS 2022, 25138; BeckRS 2022, 25151; BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass der Motor EA 288 mit einer grenzwertrelevanten Prüfstanderkennung ausgestattet ist. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von einer vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typgenehmigung oder auch nur herstellerseitig fahrlässigen Fehleinschätzung kann nicht ausgegangen werden, wenn das KBA als zuständige Behörde nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typengenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da für den Motor EA 288 zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsbeschränkung bzw. -untersagung drohte, bestand für einen Käufer bei verständiger Würdigung gerade keine Situation, welche den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig erscheinen ließe, so dass für den Käufer auch kein Schaden zu erkennen ist. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Prüfstandserkennungssoftware, Schlussanträge des Generalanwaltes, KBA, Kenntnis, (keine) Betriebsbeschränkung, (kein) Schaden
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 13.07.2022 – 074 O 168/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 754
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13.07.2022, Az. 074 O 168/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 26.453,17 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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Wie der Senat bereits in zahlreichen Parallelverfahren aufgezeigt hat, hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Hieran ändern auch die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 nichts.
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1. Zum einen sind zwischenzeitlich verschiedenste Fahrzeugmodelle mit Motoren des Typs EA 288 (sowohl EU 5 als auch EU 6) vom KBA untersucht worden. In keinem Fall hat das KBA eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt (Rückrufe erfolgten allenfalls wegen einer Konformitätsabweichung). Dem Senat sind darüber hinaus zahlreiche von ihm selbst eingeholte gleichlautende Auskünfte des KBA aus anderen Verfahren bekannt. Insbesondere liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass der streitgegenständliche Motor mit einer grenzwertrelevanten Prüfstanderkennung ausgestattet ist.
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2. Die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 allein genügt darüber hinaus nicht für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit (z.B. BGH, Beschluss vom 21.03.2022, Az. VIa ZR 334/21, juris, Rn. 19: „…Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz emissionsbeeinflussender Einrichtungen im Verhältnis zum Kläger als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt…“).
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Von einer vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typgenehmigung kann auch nicht ausgegangen werden, wenn das KBA als zuständige Behörde nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typengenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen. Unter diesen Voraussetzungen ist der Beklagten letztlich nicht einmal ein fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen, da ihr eine andere Einschätzung als die, zu der die zuständigen Typengenehmigungsbehörde nach eigener Prüfung gelangt ist, nicht abverlangt werden kann (OLG Bamberg, Beschluss vom 25.08.2022, Az. 6 U 26/22, juris, Rn. 49ff).
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3. Überdies bliebe die Klage auch dann ohne Erfolg, falls eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, der Beklagten Fahrlässigkeit zur Last läge und der Senat der Auffassung des Generalanwalts R. in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 folgen würde:
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a) Nach Auffassung des Generalanwalts schützt die RL 2007/46 auch die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Er legt seiner Argumentation jedoch eine fehlende Offenlegung gegenüber der Genehmigungsbehörde zugrunde. Vorliegend kann - gerade auch vor dem Hintergrund, dass wegen des Thermofensters keine verpflichtenden Rückrufe erfolgt sind - allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass das KBA die maßgeblichen Umstände nicht kannte bzw. in Kenntnis weiterer Details keine Typengenehmigung erteilt hätte (OLG München, Hinweisbeschluss vom 14.06.2022, Az. 36 U 141/22; OLG Bamberg, Beschluss vom 29.07.2022, Az. 11 U 48/22 und Beschluss vom 25.08.2022, Az. 6 U 26/22).
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b) Im Übrigen ist es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Sache des nationalen Rechts, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Das Unionsrecht verlangt lediglich, dass die nationalen Rechtsvorschriften das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigen. Ureigene Aufgabe der Mitgliedstaaten ist es, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung dieses Rechts gewährleistet werden kann. Die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 sind daher für die Frage, ob auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nicht entscheidungserheblich. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die fahrlässige Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.08.2022, Az. 11 U 144/20, OLG Dresden, Urteil vom 08.09.2022, Az. 18a U 2463/21 und OLG Bamberg, Beschluss vom 17.06.2022, Az. 5 U 37/22).
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c) Letztlich ist aber auch ein Schaden nicht ersichtlich. Die Bejahung eines Vermögensschadens setzt voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris, Rn. 46 m.w.N.). Der Erfahrungssatz, ein Verbraucher kaufe generell kein stilllegungsgefährdetes Fahrzeug, fußt auf der ex post erkannten und dann ex ante zugrunde gelegten Annahme, die im Fahrzeug enthaltene Abschalteinrichtung trage das konkrete Potential in sich, zu einer Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung zu führen. In den Fällen des EA 189 leitet sich diese Annahme aus dem Wissen eines späteren Rückrufs sämtlicher Fahrzeuge durch das KBA mit nachfolgendem Versuch der Beklagten ab, eine Stilllegung der Fahrzeuge durch Updates zu verhindern. Im vorliegenden Fall liegen - anders als in den Fällen des EA 189 - aber gerade nicht ansatzweise Anhaltspunkte für einen drohenden Rückruf seitens des hierfür allein zuständigen KBA vor. Eine Betriebsbeschränkung bzw. -untersagung droht nicht.
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Für die Klagepartei hat damit bei verständiger Würdigung gerade keine Situation bestanden, welche den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig erscheinen ließe. Ein Schaden der Klageparte ist auch aus der zugrunde zu legenden ex-ante-Betrachtung nicht zu erkennen (so zutreffend OLG Bamberg, Beschluss vom 25.08.2022, Az. 6 U 26/22, juris, Rn. 53 unter Hinweis auf OLG München, Urteil vom 14.04.2021, Az. 15 U 3584/20, OLG Schleswig, Urteil vom 13.08.2021, Az. 17 U 9/21).
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4. Der Senat empfiehlt daher aus Kostengründen dringend die Rücknahme der Berufung. Im Fall der Rücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).