Titel:
Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung
Normenketten:
VVG § 203 Abs. 5
BGB § 195, § 199 Abs. 1, § 280, § 812
ZPO § 142 Abs. 1, § 256 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für eine Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung bedarf der Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Prämienneufestsetzung veranlasst hat, nicht aber der Angabe der konkreten Höhe der Veränderung oder der Überschreitung eines bestimmten Schwellenwerts (Anschluss an BGH BeckRS 2021, 37439). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Rückforderung der nach einer Prämienerhöhung (angeblich) zu Unrecht geleisteten Beiträge trägt der Versicherungsnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Die Tatsache, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Prämienfestsetzung steht, rechtfertigt keine Umkehr dieser Darlegungs- und Beweislastverteilung. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die dreijährige Verjährungsfrist für Prämienrückforderungsansprüche beginnt mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in welchem dem Versicherungsnehmer die Mitteilung über die Prämienerhöhung zugegangen ist (Anschluss an BGH BeckRS 2021, 37439). (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Beitragserhöhung, Wirksamkeitsvoraussetzungen, Rechnungsgrundlage, Schwellenwert, Rückforderung, Verjährung, Darlegungs- und Beweislast
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7427
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 20.676,94 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten mit der Versicherungsscheinnummer 513/026354510 privat krankenversichert. Die Beklagte nahm Beitragsanpassungen im Tarif CV3A1 zum 01.01.2014, 01.01.2016, 01.01.2018, 01.01.2019, 01.01.2020 und 01.01.2021 vor. Im Vorfeld der Prämienanpassungen informierte die Beklagte den Kläger jeweils schriftlich über die bevorstehenden Erhöhungen. Sie übersandte jeweils ein Anschreiben mit einem Nachtrag zum Versicherungsschein. Der Kläger zahlte jeweils den angepassten Beitrag.
3
Der Kläger behauptet, dass die Beklagte darüber hinaus auch zum 01.01.2017 eine Beitragsanpassung im Tarif CV3A1 vorgenommen habe.
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Der Kläger vertritt die Rechtsauffassung, dass die angegriffenen Prämienanpassungen mangels ordnungsgemäßer Begründung im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG formell rechtswidrig seien. Nachdem der Kläger zunächst nur die „Unvollständigkeit der Prüfunterlagen“ geltend gemacht hatte (Bl. 7/16 d.A.), stellte er mit Schriftsatz vom 31.01.2023, dort Seite 6, „hilfsweise die mathematische Berechnung der vorgenommenen Beitragsanpassungen streitig“ (Bl. 119 d.A.).
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Mit seiner Klage vom 23.02.2022 hat der Kläger zunächst neben den o.g. Beitragsanpassungen auch eine Beitragsanpassung im Tarif KTNA42 zum 01.01.2014 sowie eine Beitragsanpassung im Tarif KNA500 für Ines Christina Beham angegriffen (Bl. 1/3 d.A.).
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Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Es wird festgestellt, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer 513/026354510 unwirksam waren:
a) in den Tarifen für Stefan Beham aa) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3A1 1.250,00 zum 01.01.2014 in Höhe von 0,66 €
bb) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3A1 1.250,00 zum 01.01.2016 in Höhe von 23,53 €
cc) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3A1 1.250,00 zum 01.01.2017 in Höhe von 11,07 €
dd) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3A1 1.250,00 zum 01.01.2018 in Höhe von 19,84 €
ee) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3A1 zum 01.01.2019 in Höhe von 61,49 €
ff) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3A1 1.250,00 zum 01.01.2020 in Höhe von 87,31 €
gg) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3A1 1.250,00 zum 01.01.2021 in Höhe von 38,40 € und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 5.158,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerseite hinsichtlich der außergerichtlichen anwaltlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 520,03 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, dass alle Beitragsanpassungen formell und materiell rechtmäßig seien.
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Mit Verfügung vom 02.02.2023 erteilte das Gericht dem Kläger einen Hinweis auf die Erforderlichkeit der Konkretisierung seines Angriffs auf die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen (Bl. 122/124 d.A.) und stellte mit Beschluss vom 09.02.2023 klar, dass diese Konkretisierung Voraussetzung für eine gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zur Unterlagenvorlage gemäß § 142 ZPO ist (Bl. 140/R d.A.). Das Gericht hat in der öffentlichen Sitzung vom 14.02.2023 mündlich teilweise via Videokonferenz verhandelt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und des Verfahrensgangs wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I aus §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und die örtliche Zuständigkeit aus § 17 Abs. 1 ZPO.
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II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
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1. Der Feststellungsantrag Ziffer 1 ist unbegründet.
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a) Die Beitragsanpassungen im Tarif CV3A1 waren ordnungsgemäß begründet i.S.d. § 203 Abs. 5 VVG und damit formell wirksam.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes besteht die Mitteilung der maßgeblichen Gründe im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG ausschließlich in der Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20, NJW 2022, 389, Rn. 19, beck-online). Hingegen ist es nicht erforderlich, die konkrete Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage anzugeben. Ebenfalls nicht erforderlich ist die Angabe, dass die Veränderung der Rechnungsgrundlage einen bestimmten Schwellenwert überschritten hat (vgl. OLG München vom 30.01.2023, Az. 25 U 2454/22). Wie groß die Überschreitung des Schwellenwertes ist, ist ohne Bedeutung (vgl. OLG Celle, Az. 8 U 57/18, VersR 2018, 1179, Rn. 88 ff.). Abstrakt gehaltene, gänzlich allgemeine Ausführungen reichen zwar nicht aus. Es ist aber nicht erforderlich, dass die Gründe den Versicherungsnehmer in die Lage versetzen, eine Plausibilitätsprüfung der vorgenommenen Beitragsanpassung vorzunehmen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 27). Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungshistorie, wonach der Gesetzgeber mit der Änderung des § 203 Abs. 5 VVG zum 01.01.2008 keine grundsätzlich andere Neuausrichtung der Mitteilungsanforderungen bezweckt hat (vgl. BGH a.a.O. Rn. 23). bb) Diesen Vorgaben genügte die Beitragsanpassung zum 01.01.2021.
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Im Beiblatt zur Beitragsanpassung zum 01.01.2021 (Anlage „Info_2021“) finden sich die folgenden Angaben:
„Warum überprüfen wir die Beiträge jährlich? Damit wir Ihnen die Leistungen garantieren können, müssen die Beiträge Ihres Tarifs dauerhaft den Ausgaben entsprechen. Der Gesetzgeber schreibt uns vor, jährlich für jeden Tarif die ausgezahlten Versicherungsleistungen mit denjenigen zu vergleichen, die im Beitrag einkalkuliert sind.
Wann genau kommt es zu Beitragsanpassungen? Wenn in einem Tarif die tatsächlichen Ausgaben um einen bestimmten Prozentsatz über den kalkulierten Einnahmen liegen oder die Lebenserwartung deutlich steigt, müssen wir die Beitragskalkulation nach einem genau geregelten Verfahren überprüfen. Wir sind gesetzlich verpflichtet, die Beiträge neu zu berechnen, wenn die festgestellte Abweichung nicht nur vorübergehend ist. In diesem Fall müssen wir neben den Leistungsausgaben und der Lebenserwartung auch alle anderen Rechnungsgrundlagen (z.B. den Rechnungszins) aktualisieren. Dadurch ändert sich der Beitrag.
Ein unabhängiger Treuhänder prüft die Anpassung der Beiträge und genehmigt sie, wenn die gesetzlichen Anforderungen vorliegen. Zusätzlich informieren wir die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
2021: Aus welchem Grund steigen Ihre Beiträge im kommenden Jahr?
Der maßgebliche Grund für die Neuberechnung Ihrer Beiträge zum
1. Januar 2021 sind höhere Ausgaben für Leistungen.“
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Im Nachtrag zum Versicherungsschein (Anlagenkonvolut KGR 1) ist der Tarif CV3A1 mit einem Sternchen-Symbol (*) hervorgehoben. Dieses ist auf derselben Seite unter der Überschrift „Wichtige Hinweise zu Ihrem Vertragsstand“ wie folgt erläutert: „Tarife mit Beitragsanpassungen sind mit „*“ gekennzeichnet.“
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Diesen Angaben kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne Weiteres entnehmen, dass die Beitragsanpassung in seinem konkreten Tarif durch eine nicht nur vorübergehende Änderung der Versicherungsleistungen ausgelöst wurde.
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cc) Auch die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 war formell rechtmäßig gemäß § 203 Abs. 5 VVG.
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Im Beiblatt zur Beitragsanpassung zum 01.01.2020 (Anlage „Info_2020“) finden sich die folgenden Angaben:
„Gesetzlich geregelt: jährliche Prüfung Jedes Jahr prüfen wir neu, ob die tatsächlichen Ausgaben denen entsprechen, die der Beitragskalkulation zugrunde liegen. Wir gleichen dabei auch ab, ob sich die durchschnittlichen Lebenserwartungen geändert haben.
Wenn in einem Tarif die Ausgaben für Leistungen von den kalkulierten deutlich abweichen und diese Änderung nicht vorübergehend ist, müssen wir die Beiträge anpassen. Auch die Prüfung der Lebenserwartungen kann zu einer Beitragsänderung führen. Das ist gesetzlich so geregelt. In diesem Jahr ist der maßgebliche Grund für die Beitragsanpassung die Abweichung in den Leistungsausgaben.“
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Im Nachtrag zum Versicherungsschein (Anlagenkonvolut KGR 1) ist der Tarif CV3A1 mit einem Sternchen-Symbol (*) hervorgehoben. Dieses ist auf derselben Seite unter der Überschrift „Wichtige Hinweise zu Ihrem Vertragsstand“ wie folgt erläutert: „Tarife mit Beitragsanpassungen sind mit „*“ gekennzeichnet.“
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Diesen Angaben kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne Weiteres entnehmen, dass die Beitragsanpassung in seinem konkreten Tarif durch eine nicht nur vorübergehende Änderung der Versicherungsleistungen ausgelöst wurde.
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dd) Die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 war ebenfalls formell rechtmäßig gemäß § 203 Abs. 5 VVG.
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Im Beiblatt zur Beitragsanpassung zum 01.01.2019 (Anlage „Info_2019“) finden sich die folgenden Angaben:
„Gesetzlich geregelt: jährliche Prüfung Jedes Jahr prüfen wir neu, ob die tatsächlichen Ausgaben denen entsprechen, die der Beitragskalkulation zugrunde liegen. Wir gleichen dabei auch ab, ob sich die durchschnittlichen Lebenserwartungen geändert haben.
Wenn in einem Tarif die Ausgaben für Leistungen von den kalkulierten deutlich abweichen und diese Änderung nicht vorübergehend ist, müssen wir die Beiträge anpassen. Auch die Prüfung der Lebenserwartungen kann zu einer Beitragsänderung führen. Das ist gesetzlich so geregelt. In diesem Jahr ist der maßgebliche Grund für die Beitragsanpassung die Abweichung in den Leistungsausgaben.“
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Bereits diesen Angaben kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne Weiteres entnehmen, dass die Beitragsanpassung in seinem konkreten Tarif durch eine nicht nur vorübergehende Änderung der Versicherungsleistungen ausgelöst wurde.
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b) Die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen hat der Kläger – trotz gerichtlichen Hinweises – lediglich prozessual unbeachtlich „ins Blaue hinein“ in Frage gestellt.
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aa) Nach allgemeinen systematischen Grundsätzen trägt bei einer auf §§ 812 ff. BGB (Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung) bzw. § 280 BGB (Pflichtverletzung aus dem Versicherungsvertrag) gestützten (Rück-)Zahlungsklage derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der sich auf das Fehlen eines Rechtsgrunds für seine eigene vorbehaltlose Zahlung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB) bzw. die Pflichtverletzung des anderen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) beruft, mithin der auf (Rück-)Zahlung klagende Versicherungsnehmer (so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.05.2019, Az. 11 U 119/17).
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bb) Im Bereich der Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung wird zwar teilweise – und insbesondere auch durch den hiesigen Kläger – eine Umkehr dieser allgemeinen Darlegungs- und Beweislast mit dem Argument befürwortet, dass der Versicherungsnehmer ohne Kenntnis bzw. mangels eigener versicherungsmathematischer Kenntnisse selbst bei Kenntnis der Kalkulationsunterlagen des beklagten Versicherers nicht in der Lage sei, zur aktuariellen (Un-)Rechtsmäßigkeit der Beitragsanpassungen substantiiert vorzutragen.
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Eine derartige, (bloß) von der materiell-rechtlichen Einbettung einer auf §§ 812 ff. BGB bzw. § 280 BGB gestützten (Rück-)Zahlungsklage in den Bereich der Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung abhängigen Annahme einer „Ausnahme“ von den allgemeinen systematischen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislastverteilung überzeugt jedoch nicht. Die Tatsache, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Versicherungsprämienfestsetzung steht, rechtfertigt – auch unter dem Grundsatz der Waffengleichheit – keine Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung (so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.05.2019, Az. 11 U 119/17):
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Denn eine derartige Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung, mithin die Annahme einer (primären) Darlegungslast und Beweislast des beklagten Versicherers würde zu dem Ergebnis führen, dass bereits auf die bloße unsubstantiierte, durch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte gestützte und somit „ins Blaue hinein“ bzw. „aufs Geratewohl“ aufgestellte klägerische Behauptung einer materiellen Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen hin der beklagte Versicherer zahlreiche geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufwendig zusammenstellen und sodann (im Verfahren gemäß §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG) offenlegen und das vom Gericht in Auftrag zu gebende, diese Unterlagen überprüfende versicherungsmathematische Sachverständigengutachten (siehe BGH, Urteil vom 16.06.2004, Az. IV ZR 117/02; Urteil vom 09.12.2015, Az. IV ZR 272/15, NJW-RR 2016, 606) auch noch durch einen Kostenvorschuss gemäß §§ 402, 379 ZPO vorfinanzieren müsste.
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Einem derartigen Ergebnis stünde bereits die Überlegung entgegen, dass gerade die – regelmäßig jahrelange – vorbehaltlose Zahlung der Erhöhungsbeiträge durch den Versicherungsnehmer eine ihm und nicht dem Versicherer obliegende Darlegungs- und Beweislast normativ rechtfertigt.
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Eine derartige Annahme einer Pflicht der beklagten Partei zur Offenlegung geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen bei „Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte“ (siehe BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, 3722 f.) widerspräche darüber hinaus dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, eine – im Ergebnis dann vorliegende – bloße „Ausforschung“ als unzulässig und prozessordnungswidrig zu verhindern [siehe Bundestagsdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO)].
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Ferner widerspräche eine derartige Annahme einer Offenlegungs- und Vorschusspflicht des beklagten Versicherers den Zielen des Schuldnerschutzes und würde nicht nur zur unbilligen Behandlung auch eines sich stets redlich verhaltenden Versicherers führen, sondern auch zwangsläufig zu Lasten der Gesamtheit der Versicherten gehen (so auch OLG Köln, Beschluss vom 18.05.2022, Az. 20 U 91/21, Rn. 29 ff. bei juris mit Verweis auf Grüneberg/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 81. Auflage, Überbl v § 194 Rn. 8).
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Darüber hinaus würde eine derartige Annahme einer Pflicht des Gerichts zur Durchführung einer oben dargestellten Beweisaufnahme zur materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen (siehe BGH, Urteil vom 16.06.2004, Az. IV ZR 117/02; Urteil vom 09.12.2015, Az. IV ZR 272/15, NJW-RR 2016, 606) auch das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG und den Rechtsfrieden beeinträchtigen:
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Denn im Unterschied zur formellen Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen, die durch den Tatrichter selbstständig zu beurteilen ist (siehe BGH, Urteil vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20, NJW 2022, 389, 390, Rn. 24, beck-online) und deren Prüfung daher mit zumutbarem (Zeit-)Aufwand verbunden ist, erfordert dagegen eine Beweisaufnahme zur materiellen Rechtmäßigkeit die Einholung eines Gutachtens eines neutralen versicherungsmathematischen Sachverständigen (siehe BGH, Urteil vom 16.06.2004, Az. IV ZR 117/02; Urteil vom 09.12.2015, Az. IV ZR 272/15, NJW-RR 2016, 606). Die bundesweite Anzahl derartiger Sachverständige ist enorm gering; entsprechend sind die wenigen in Betracht kommenden Sachverständigen seit Jahren und absehbar für viele weitere Jahre bereits mit gerichtlichen Gutachtenaufträgen überlastet. Die gerichtliche Einholung eines Sachverständigengutachtens zur materiellen Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen ist entsprechend mit enormem Zeitaufwand und einer enormen Verzögerung des Zeitpunktes einer gerichtlichen Entscheidung und somit auch des Zeitpunktes des Eintritts von Rechtsfrieden verbunden (so auch OLG Köln a.a.O. mit Verweis auf Grüneberg/Ellenberger a.a.O. Rn. 9).
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Vor diesem in einer Gesamtschau zu betrachtenden Hintergrund widerspräche die Annahme einer Pflicht des Gerichts zur Durchführung einer oben dargestellten Beweisaufnahme zur materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen auch dem Verbot rechtsmissbräuchlichen Handelns aus § 242 BGB. Insoweit sind wegen der Vergleichbarkeit der (prozessualen) Interessenlagen die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den sogenannten „Diesel-Fällen“ heranzuziehen (siehe BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, 3722 f.):
„Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen (stRspr, vgl. nur BGH NJW 2021, 1593 = NZBau 2021, 316 = BauR 2021, 1183 Rn. 43; NJW-RR 2021, 147 = NZBau 2021, 178 = BauR 2021, 593 Rn. 14; BauR 2017, 306 Rn. 22, jew. mwN). Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (vgl. BVerfG WM 2012, 492 Rn. 16; BGH NZV 2021, 525 = WM 2021, 1609 Rn. 20; NJW-RR 2021, 886 = MDR 2021, 871 Rn. 19; NJW 2020, 1740 = ZIP 2020, 486 Rn. 7, jew. mwN).
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Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat (vgl. BGH NZV 2021, 525 = WM 2021, 1609 Rn. 21; NJW 2020, 1740 = ZIP 2020, 486 Rn. 8; NJW 1995, 1160 = VersR 1995, 433 Rn. 17). Gemäß § 403 ZPO hat die Partei, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen will, die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch dazu äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in die Sachkenntnis des Sachverständigen gestellten Behauptung habe (BGH NJW 2020, 1679 = VersR 2020, 1069 Rn. 8).
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Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen (vgl. BGH NZV 2021, 525 = WM 2021, 1609 Rn. 22; NJW 2020, 1740 = ZIP 2020, 486 Rn. 8; BauR 2014, 1023 = BeckRS 2014, 5632 Rn. 26; BGHZ 121, 210 = NJW 1993, 2674 Rn. 26). Insoweit ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte die Annahme eines Rechtsmissbrauchs rechtfertigen können (vgl. BGH NZV 2021, 525 = WM 2021, 1609 Rn. 22; NJW 2020, 1740 = ZIP 2020, 486 Rn. 8; BGHZ 121, 210 = NJW 1993, 2674 Rn. 26).
40
Nach den oben dargestellten und auch im hier vorliegenden Fall einer durch einen Versicherungsnehmer erhobenen Klage auf Rückzahlung geleisteter Beiträge zur privaten Krankenversicherung heranzuziehenden, höchstrichterlichen Grundsätzen stellt sich eine nicht auf „tatsächliche[ ] Anhaltspunkte“ gestützte und damit „ins Blaue hinein“ bzw. „aufs Geratewohl“ getätigte klägerische Einforderung einer mit den oben aufgezeigten Konsequenzen verbundenen gerichtlichen Beweisaufnahme zur materiellen Rechtmäßigkeit der den Kläger betreffenden Beitragsanpassungen als rechtsmissbräuchliches Handeln ohne prozessuale Beachtlichkeit dar.
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cc) Durch die allgemeine Darlegungs- und Beweislastverteilung ist der auf (Rück-)Zahlung klagende Versicherungsnehmer auch keineswegs prozessual unangemessen benachteiligt oder gar rechtsschutzlos gestellt. Die allgemeine Darlegungs- und Beweislastverteilung stellt den auf Rückzahlung klagenden Versicherungsnehmer nicht vor unzumutbare Herausforderungen:
42
Zwar muss sich der auf Rückzahlung klagende Versicherungsnehmer von dem durch den Bundesgerichtshof genannten „Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte“ für die materielle Rechtswidrigkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen abgrenzen, um die prozessuale Beachtlichkeit seines diesbezüglichen Vortrags und eine darauf gestützte Beweisaufnahme zu bewirken. Ihn trifft demnach eine Pflicht zur Konkretisierung seines Vortrags in Bezug auf die materielle (Un-)Rechtmäßigkeit der durch ihn angegriffenen Beitragsanpassungen.
43
Allerdings vermag der Tatsache, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Versicherungsprämienfestsetzung steht, bereits die allgemeine, oben dargestellte Systematik der Darlegungs- und Beweislastregeln durch eine sekundäre Darlegungslast des beklagten Versicherers Rechnung zu tragen (so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.05.2019, Az. 11 U 119/17).
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Anknüpfend an diese sekundäre Darlegungslast des beklagten Versicherers kann das Gericht den Versicherer gemäß § 142 Abs. 1 ZPO zur Offenlegung seiner geheimhaltungsbedürftigen Kalkulationsunterlagen (im Verfahren gemäß §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG) verpflichten. Allerdings ist eine derartige sekundäre Darlegungslast des Versicherers erst dann aktiviert und somit eine den beklagten Versicherer zur Offenlegung seiner geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen verpflichtende gerichtliche Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO erst dann zulässig, wenn der klagende Versicherungsnehmer seiner vorangehenden Konkretisierungspflicht entsprochen und einen „schlüssigen Vortrag“ als „Grundlage“ für eine richterliche Unterlagenvorlageanordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO vorgebracht hat, da andernfalls eine vom Gesetzgeber als unzulässig erachtete Ausforschung stattfände [siehe Bundestagdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO)].
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dd) Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.06.2022, Az. IV ZR 193/20, steht der Anwendung der oben dargestellten, allgemeinen Systematik der Darlegungs- und Beweislastregeln nicht entgegen. Denn in diesem ging der Bundesgerichtshof lediglich auf die dort aufgeworfene Frage ein, ob der Versicherungsnehmer dem Verjährungsfristbeginn gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB seine Unkenntnis von den versicherungsmathematischen Berechnungsgrundlagen entgegenhalten könne. Durch das Ablehnen dieses vom Versicherungsnehmer gegen den Verjährungsfristbeginn erhobenen Einwands ließ der Bundesgerichtshof die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen und Grundsätze, an denen sich eine Klage messen lassen muss, unberührt (so auch OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.08.2022, Az. 12 U 159/18). Dies gilt insbesondere für die oben dargestellte prozessuale Unbeachtlichkeit von „ins Blaue hinein“ bzw. „aufs Geratewohl“ getätigtem Vortrag und für die Grenze des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB. Eine gänzliche Befreiung einer gegen die materielle Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen gerichteten (Rück-)Zahlungsklage eines Versicherungsnehmers von diesen weiteren gesetzlichen Maßstäben und prozessualen Grundsätzen wurde durch den Bundesgerichtshof in dem o.g. Urteil nicht bestimmt.
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ee) An dieser den klagenden Versicherungsnehmer treffenden Konkretisierungspflicht ändert auch nichts, dass der Kläger neben seinem auf (Rück-)Zahlung gerichteten Leistungsantrag zugleich einen in die Zukunft gerichteten Antrag auf Feststellung einer zukünftig herabgesetzten Prämienhöhe stellt.
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Zwar wird teilweise vertreten, dass ein derartiger in die Zukunft gerichteter Antrag auf Feststellung einer zukünftig herabgesetzten Beitragshöhe (ausschließlich) als negative Feststellungsklage aufzufassen sei und folglich insoweit den die zukünftigen Beiträge erhebenden Versicherer die primäre Darlegungslast und Beweislast treffe. Eine derartig pauschale Betrachtung überzeugt jedoch nicht, da sie insbesondere nicht die „Doppelrelevanz“ der Beitragsanpassungswirksamkeit als gleichzeitigen Rechtsgrund für vergangene und für zukünftige Beitragszahlungen berücksichtigt:
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Denn ein in die Zukunft gerichteter Antrag auf Feststellung einer zukünftig herabgesetzten Prämienhöhe setzt zwingend die Unwirksamkeit zumindest der „jüngsten“ in der Vergangenheit liegenden Beitragsanpassung voraus. Umgekehrt umfasst ein Antrag auf Feststellung der (behaupteten) Unwirksamkeit der „jüngsten“ in der Vergangenheit liegenden Beitragsanpassung zwangsläufig auch eine Feststellung bezüglich der zukünftig durch den Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer geschuldeten Prämienhöhe. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass eine wirksame Beitragsanpassung eine vollständige (Gesamt-)Neufestsetzung der Prämie in dem jeweiligen Tarif bewirkt (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19, r+s 2021, 95, Rn. 54): Ist die „jüngste“ Beitragsanpassung wirksam, betrifft dies nicht nur die Höhe des auf die Vergangenheit bezogenen (Rück-)Zahlungsantrags, sondern zwangsläufig zugleich auch die zukünftig geschuldete Prämienhöhe.
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Aus diesem Grund bringt ein auf die (Un-)Wirksamkeit einer Beitragsanpassung gerichteter Feststellungsantrag stets auch eine zivilprozessuale Vorgreiflichkeit im Sinne einer Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO als Vorfrage für den (Rück) Zahlungsantrag mit sich (so auch BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19, NJW 2021, 378, 379 f., Rn. 19 f.). Feststellungs- und Zahlungsantrag stehen mithin nicht gleichrangig nebeneinander, sondern in einem Vorgreiflichkeitsverhältnis zueinander.
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Dieser Charakter des Feststellungsantrags als vorgreifliche Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO gebietet dann aber konsequenterweise nicht die Anwendung der für eine – davon zu unterscheidende – „reine“ negative Feststellungsklage, sondern eben der für eine solche Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO geltenden zivilprozessualen Grundsätze:
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Die Beweislastverteilung im Rahmen der Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO folgt der Beweislastverteilung im Rahmen der Hauptsacheklage; dies hat seinen Grund in Zweck und Natur der Zwischenfeststellungsklage (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.1994, Az. VIII ZR 165/93, NJW 1994, 1353, 1354; beck-online). Denn für die Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO gilt insbesondere das Verbot eines Widerspruchs zwischen Hauptsacheentscheidung und Zwischenfeststellung (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, § 256 Rn. 31).
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Die Gefahr eines solchen verbotenen Widerspruchs zwischen Hauptsacheentscheidung und Zwischenfeststellung läge aber im Zivilverfahren über Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung – aufgrund der oben dargestellten „Doppelrelevanz“ der Beitragsanpassungswirksamkeit sowohl für den Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 2 ZPO als auch für den (Rück-)Zahlungsantrag – dann vor, wenn die (oben dargestellte) Verteilung der primären Darlegungslast und Beweislast „je nach Antrag aufgespalten“, mithin für den vorgreiflichen Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 2 ZPO anders als für den (Rück-)Zahlungsantrag beurteilt werden würde und das Gericht bei fehlender Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zurückgreifen müsste.
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Demnach ist nach allgemeingültigen zivilprozessualen Grundsätzen (gerade) im Zivilverfahren über Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung die primäre Darlegungslast und Beweislast einheitlich dem klagenden Versicherungsnehmer auferlegt. Somit trifft den klagenden Versicherungsnehmer auch hinsichtlich seines in die Zukunft gerichteten Antrags auf Feststellung einer zukünftig herabgesetzten Prämienhöhe die (oben dargestellte) Pflicht zur Konkretisierung seines Angriffs auf die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen.
54
Zu diesem Ergebnis führt auch die Kontrollüberlegung, dass andernfalls – aufgrund der oben dargestellten „Doppelrelevanz“ der in Streit stehenden Beitragsanpassungen sowohl als Rechtsgrund der vergangenen als auch der zukünftigen Prämienzahlungen – die oben dargestellten zivilprozessualen Grundsätze und der Wille des Gesetzgebers hinsichtlich des Verbots der Ausforschung unterwandert werden würden.
55
ff) Diesen o.g. prozessualen Voraussetzungen hat der Kläger trotz gerichtlicher Hinweise und gewährter Gelegenheit zur Stellungnahme bewusst nicht entsprochen, sondern diesen lediglich eine eigene Rechtsauffassung gegenübergestellt (siehe zuletzt Schriftsatz vom 07.03.2023).
56
c) Demnach bilden die o.g. wirksamen Beitragsanpassungen jeweils die Rechtsgrundlage für die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung der ungekürzten Beiträge im nichtverjährten Zeitraum ab 01.01.2019 (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19, r+s 2021, 95, Rn. 54, beck online). Davor liegende klägerische Ansprüche aus Beitragszahlungen bis einschließlich 31.12.2018 sind verjährt, sodass hinsichtlich der davor liegenden Beitragsanpassungen auch kein für den diesbezüglichen Feststellungsantrag Ziffer 1 erforderliches Rechtsschutzbedürfnis besteht.
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Denn die Verjährungsfrist für bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Rückforderung von Beiträgen beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre und beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in welchem dem Versicherungsnehmer die Mitteilung über die Beitragserhöhung zugegangen ist und er mithin von ihrem Inhalt Kenntnis hat (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20, VerR 2022, 97; Urteil vom 19.12.2018; Az. IV ZR 255/17; OLG Köln, Urteil vom 22.09.2020, Az. 9 U 237/19; Urteil vom 07.04.2017; Az. 20 U 128/16). Die Mitteilung versetzt den Versicherungsnehmer in die Lage zu beurteilen, ob die Mitteilung formell ausreichend ist und in welcher Höhe künftig Beiträge von ihm verlangt werden. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die Verjährung hier wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage ausnahmsweise hinausgeschoben worden wäre. Denn eine Rechtslage ist nicht schon dann unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Eine einer Klageerhebung entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung gab es nicht (vgl. BGH a.a.O.).
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2. Entsprechend besteht auch kein mit dem Klageantrag Ziffer 2 geltend gemachter klägerischer Zahlungsanspruch gegen die Beklagte und kein dazu akzessorischer Zinsanspruch; (gerade) wegen der oben dargestellten Vorgreiflichkeit des oben behandelten Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 2 ZPO bezüglich des Zahlungsantrags Ziffer 2 kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.
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3. Gleiches gilt für den Antrag Ziffer 3 auf Feststellung einer Pflicht der Beklagten zu der Herausgabe von Nutzungen nebst Zinsen.
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4. Ein mit dem Klageantrag Ziffer 4 geltend gemachter Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten scheidet mangels Hauptsacheanspruchs aus.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
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Der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit liegt § 709 ZPO zugrunde.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 39, 40, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3, 4, 5, 9 ZPO (analog). Die Anträge Ziffer 3 und 4 bleiben gemäß § 4 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 43 Abs. 1 GKG als Nebenforderungen bei der Streitwertbemessung außer Betracht.