Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 11.01.2023 – Au 9 E 23.50008
Titel:

Dublin-Verfahren (Litauen)

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1, Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 2
Dublin III-VO Art. 25 Abs. 2, Art. 27
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsatz:
Ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen Verstreichens der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 S. 1 AsylG nicht mehr zulässig, entfaltet § 123 Abs. 5 VwGO keine Sperrwirkung für einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO, wenn die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung noch nicht bestandskräftig ist und der Antragsteller seinen Antrag auf Tatsachen oder Beweismittel zur Glaubhaftmachung stützt, die er ohne Verschulden nicht innerhalb der Antragsfrist des § 34a Abs. 2 S. 1 AsylG gerichtlich geltend machen konnte. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irak, Dublin-Verfahren, vollziehbare Abschiebungsanordnung nach Litauen, Abgrenzung § 80 Abs. 5 und § 123 VwGO, keine neuen, innerhalb der Wochenfrist des § 34a AsylG unverschuldet nicht geltend gemachten Umstände, von Geburt an bestehende Herzerkrankung, Litauen, Abschiebungsanordnung, neue Gesichtspunkte
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7365

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Litauen im Rahmen eines Dublin-Verfahrens.
2
Der am ... in, I., geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger. Er reiste am 10. Juli 2022 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete sich asylsuchend. Am 5. September 2022 stellte er einen förmlichen Asylantrag.
3
Nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) liegt für den Antragsteller ein EURODAC-Treffer ... vor, nachdem dieser am 24. August 2021 in Litauen einen Asylantrag gestellt hat.
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Das Bundesamt richtete am 30. August 2022 ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Litauen. Die litauischen Behörden antworteten hierauf nicht.
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Im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 5. September 2022 zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats trug der Antragsteller vor, er habe am 6. Juli 2021 sein Heimatland verlassen und sei über Weißrussland, Litauen und Polen am 12. Juli 2022 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Mit ihm seien zwei Brüder nach Deutschland gekommen. Er sei auf Unterstützung von Familienangehörigen angewiesen, da er Herzprobleme habe. Er habe in Litauen einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden sei.
6
Am 30. September 2022 wurde er zur Zulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG angehört. Er gab an, er sei zusammen mit seinen Brüdern in L. ein Jahr im Gefängnis gewesen, weil sie illegal eingereist seien. Sein Asylantrag sei abgelehnt worden. Er hätte in den Irak abgeschoben werden sollen. Er habe Probleme mit dem Herzen. Die litauischen Behörden hätten sich nicht für seinen Zustand interessiert und er habe auch nicht die richtigen Medikamente bekommen. Einmal sei er ohnmächtig geworden. Es sei ihm verweigert worden, einen Krankenwagen kommen zu lassen, da die Behörden gemeint hätten, dass er flüchten würde. In Litauen sei ihm gesagt worden, dass er Probleme mit den Arterien habe. In Deutschland sei ihm gesagt worden, er brauche eine Operation. Im Irak werde eine solche Operation nicht durchgeführt. Er habe seit seiner Geburt Probleme mit dem Herzen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 13. Oktober 2022 (Gz.: ...) wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids). In Nr. 2 des Bescheids wurde bestimmt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Nr. 3 des Bescheids ordnet die Abschiebung des Antragstellers nach Litauen an. In Nr. 4 des Bescheids wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Asylantrag sei unzulässig, da Litauen aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Da es sich bei Litauen um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union handele, sei aufgrund des normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt sei. Es bestünden auch keine systemischen Mängel, welche die Sicherheitsvermutung widerlegen würden. Asylbewerber würden im Rahmen der allgemeinen Krankenversorgung notwendige medizinische Versorgung erhalten. Vulnerable Antragsteller würden Zugang zu psychologischer Unterstützung erhalten. Der Antragsteller habe Probleme mit dem Herzen vorgetragen, weitere Angaben seien jedoch nicht gemacht worden. Es seien keine gewichtigen Erkrankungen bekannt, die in Litauen nicht behandelt oder nicht weiter behandelt werden könnten. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz sein wieder Gründe vorgetragen worden noch seien diesbezüglich Anhaltspunkte ersichtlich.
8
Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde am 17. Oktober 2022 zur Post gegeben.
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Der Antragsteller ließ über seinen Bevollmächtigten gegen den Bescheid am 20. Oktober 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg Klage erheben, über die noch nicht entschieden worden ist (Az.: Au 9 K 22.50270).
10
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2022 begründete der Bevollmächtigte des Antragstellers die Klage und trägt unter Vorlage von ärztlichen Attesten (Überweisungsschein vom 30.8.2022 an die Radiologie, Überweisung an die Kardiologie durch den medizinischen Dienst der Regierung von ... vom 18.8.2022, Attest der ...-Klinik ... vom 12. Oktober 2022 über eine Untersuchung vom 12. Oktober 2022, Überweisungsschein an das ...-... Kardiologie vom 18.10.2022) vor, dass der Antragsteller aufgrund seiner Herzerkrankung eine dringende Vorstellung in einem Zentrum für kongenitale Herzfehler benötige. Der Rückführung nach Litauen stünden systemische Mängel entgegen, da aufgrund der dargelegten, erst seit Mitte Oktober 2022 bekannten medizinischen Problematik eines angeborenen, sofort zu behandelnden Herzfehlers besondere Umstände vorlägen, die zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO führen müssten. Im Falle des Antragstellers bestehe eine durch belastbare Atteste belegte angeborene Herzerkrankung, deren Nichtbehandlung, die in Litauen als sicher anzunehmen sei, zu schweren Folgen bis hin zu einem frühen Tod führen könne.
11
Ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde nicht gestellt.
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Am 27. Oktober 2022 legte die Antragsgegnerin die elektronische Behördenakte vor.
13
Mit Schreiben vom 23. November 2022 nahm die Antragsgegnerin bzw. Beklagte im Verfahren Au 9 K 22.50270 zu den vorgelegten ärztlichen Schreiben Stellung und führte aus, dass dem Bundesamt keine gewichtigen Erkrankungen bekannt seien, die in Litauen nicht behandelt oder weiter behandelt werden könnten. Insbesondere wurde auf die Webseite des litauischen Kardiologiezentrums verwiesen. Im Übrigen wurde darauf hingewiesen, dass Asylbewerber im Rahmen der allgemeinen Krankenversorgung notwendige medizinische Versorgung erhalten würden. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Bundesamts auf Blatt 26-27 der Gerichtsakte im Verfahren Au 9 K 22.50270 verwiesen.
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Am 9. Januar 2023 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO und beantragt,
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der Antragstellerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzugeben, von der Überstellung des Antragstellers vorläufig abzusehen und der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig keine Überstellung nach Litauen erfolgen darf bzw. dass die für den 12. Januar 2023 geplante Überstellung nach Litauen aufgegeben wird.
16
Zur Begründung wurde vorgetragen, die Regierung von ... habe mit Schreiben vom 2. Januar 2023 mitgeteilt, dass die Rücküberstellung des Antragstellers für den 12. Januar 2023 geplant sei. Die Überstellung solle mit Arztbegleitung stattfinden. Aus der ärztlichen Bescheinigung der ...-Kliniken, die am 5. Januar 2023 übermittelt worden sei, ergebe sich eine absolute Reiseunfähigkeit des Antragstellers. Dieser habe sich am 4. Oktober 2022 notfallmäßig in den ...-Kliniken vorgestellt, weil sich die Belastbarkeit in letzter Zeit erheblich verschlechtert habe. Ausweislich des ärztlichen Schreibens vom 5. Januar 2023 bestehe eine zwingende Indikation für eine zeitnahe Vorstellung in einem auf angeborene Herzfehler spezialisierten Zentrum. Ein entsprechender Termin im Herzzentrum ... sei für den 20. Januar 2023 vereinbart. Dort solle eine weitere medikamentöse und gegebenenfalls chirurgische/interventionelle Therapieplanung erfolgen. Bei dem Antragsteller handle sich um eine hoch vulnerable Person, dessen Herzfehler weder im Irak noch während des einjährigen Aufenthalts in einem Flüchtlingslager in Litauen erkannt und spezifisch versorgt worden sei. Die Abschiebung sei unzumutbar, weil mit ihr eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr verbunden sei. Die ...-Kliniken kämen zu dem Ergebnis, dass eine Reisefähigkeit aktuell nicht gegeben und aus Gründen der Lebenserhaltung eine Therapie im Herzzentrum ... zeitnah folgen müsse. Ein Antrag auf Absehen von der Abschiebung sei sowohl vom Bundesamt als auch von der zuständigen Regierung von ... als zentrale Ausländerbehörde abgelehnt worden.
17
Dem Antrag beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung der ...-Kliniken ... vom 5. Januar 2023, beruhend auf einer Behandlung vom 4. Oktober bzw. 12. Oktober 2022 (Blatt 11-13 der Gerichtsakte), auf deren Einzelheiten verwiesen wird.
18
Die Antragsgegnerin äußerte sich bis Beschlussfassung nicht.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowohl des Klageverfahrens (Au 9 K 22.50270) als auch des vorliegenden Eilverfahrens und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
20
Der auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes des Antragstellers hat keinen Erfolg.
21
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
22
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft. Der Zulässigkeit steht § 123 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO, § 34a Abs. 2 AsylG nichts entgegen. Zwar war gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 13. Oktober 2022 zunächst (ausschließliche) einstweiliger Rechtsschutz nach Maßgabe des § 80 Abs. 5 VwGO eröffnet. Von dieser Möglichkeit hat der Antragsteller keinen Gebrauch gemacht. Er hat lediglich in der Hauptsache Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen Au 9 K 22.50270 nach wie vor anhängig ist. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war gemäß § 123 Abs. 5 VwGO daher zunächst unstatthaft.
23
Ist jedoch einstweiliger Rechtsschutz – wie hier – nach Maßgabe des § 80 Abs. 5 VwGO nicht mehr eröffnet, weil die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG bereits verstrichen ist, vermag die Regelung in § 123 Abs. 5 VwGO den Zugang zum einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO dann nicht mehr zu sperren, wenn die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung noch nicht bestandskräftig ist und der Antragsteller seinen Antrag auf Tatsachen oder Beweismittel zur Glaubhaftmachung stützt, die er ohne Verschulden nicht innerhalb der Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gerichtlich geltend machen konnte (vgl. VG Münster, B.v. 28.7.2020 – 8 L 523/20.A – juris Rn. 6 f.; VG Berlin, B.v. 20.8.2020 – 32 L 173/20 A – juris Rn. 4).
24
Diese Ausnahme gebieten das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG und das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel nach Art. 27 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 – Dublin III-VO. Denn den Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes müssen die Gerichte auch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz Rechnung tragen, weil dieser in besonderer Weise der Sicherung grundrechtlicher Freiheit dient (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – juris Rn. 17). Dem Antragsteller wäre ansonsten keine Möglichkeit zur vorläufigen Sicherung eigener Rechte eröffnet, deren Durchsetzung er im Hauptsacheverfahren mit seiner Klage verfolgt. Einen Antrag auf Wiederaufgreifen, der ohne weiteres mit einem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO flankiert werden könnte, kann der Antragsteller nicht stellen, solange der zugrundeliegende Bescheid nicht bestandskräftig geworden ist (vgl. § 51 Abs. 1 VwVfG, der einen unanfechtbaren Verwaltungsakt voraussetzt). Aus Gründen der Verfahrensökonomie kann vom Antragsteller schließlich auch nicht verlangt werden, dass dieser seine Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid zurücknimmt, mit der Folge, dass der Bescheid bestandskräftig wird, um anschließend einen Wiederaufgreifensantrag zu stellen, verbunden mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO.
25
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Der Antragsteller hat zwar die Eilbedürftigkeit für eine gerichtliche Entscheidung (Anordnungsgrund), jedoch nach den rechtlichen Maßgaben des hier ausnahmsweise statthaften Rechtsbehelfs nicht die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
26
a) Da ausweislich des Schreibens der Regierung von ... vom 2. Januar 2023 die Überstellung des Antragstellers am 12. Januar 2023 durchgeführt werden soll, liegt eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsanspruch) vor.
27
b) Der Antragsteller hat jedoch unter Berücksichtigung der hier maßgeblichen, besonderen rechtlichen Vorgaben keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Aufgrund der besonderen Verfahrenskonstellation ist der Antragsteller auf die Geltendmachung veränderter oder im ursprünglichen Verfahren unverschuldet nicht geltend gemachter Umstände beschränkt (vgl. BVerfG, B.v. 23.10.2007 – 2 BvR 542/07 – juris Rn. 16). Solche liegen jedoch auch unter Berücksichtigung der vom Bevollmächtigten vorgelegten ärztlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2023 nicht vor, da diese insoweit keine neuen Gesichtspunkte enthält, die nicht bereits im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb der zu beachtenden Wochenfrist nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG hätten geltend gemacht werden können und müssen.
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Zur Begründung seines Anordnungsanspruchs beruft sich der Antragsteller auf einen bereits seit Geburt bestehenden Herzfehler, der dringend behandlungsbedürftig sei. Dem Antragsteller ist zwar zuzugeben, dass dem Bundesamt bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids die im Klage- und Antragsverfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen nicht zur Verfügung standen. Jedoch waren der mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2022 eingereichten Klagebegründung die medizinischen Diagnosen, insbesondere die Ergebnisse und ärztliche Bewertung der aufgrund einer Notfalleinweisung vom 4. Oktober 2022 durchgeführten Untersuchung der ...-Kliniken vom 12. Oktober 2022 beigefügt. Es wäre also möglich gewesen, die Umstände der Herzerkrankung des Antragstellers innerhalb der noch offenen Antragsfrist nach § 34a Abs. 2 AsylG des am 17. Oktober 2022 versandten Bescheids im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO geltend zu machen. Es handelt sich daher nicht um neue bzw. unverschuldet nicht vorgetragene Umstände, die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens Berücksichtigung finden können.
29
Nichts anderes gilt im Hinblick auf die im Antragsverfahren vorgelegten ärztliche Stellungnahme vom 5. Januar 2023. Diese stellt lediglich eine ausführlichere Zusammenstellung der gesundheitlichen Situation des Antragstellers dar, die auf einer Notfallsituation vom 4. Oktober 2022 beruhte und bereits Gegenstand der ärztlichen Stellungnahme der ...-Kliniken vom 12. Oktober 2022 war. Neue Gesichtspunkte, die im Rahmen der noch offenen Antragsfrist nach § 34 a Abs. 2 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO noch nicht hätten berücksichtigt werden können, sind der ärztlichen Bescheinigung vom 5. Januar 2023 nicht zu entnehmen. Eine absolute Reiseunfähigkeit des Antragstellers, wie vom Bevollmächtigten des Antragstellers angenommen, wird in dieser Stellungnahme im Übrigen nicht bescheinigt. Auch die Einschätzung, dass eine Überstellung in ein anderes EU-Land, insbesondere die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer vitalen Gefährdung des Patienten führt, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Insoweit handelt es sich um eine einer ärztlichen Stellungnahme nicht zugänglichen Bewertung der Bedingungen für Geflüchtete in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Neue medizinische Erkenntnisse, die nicht bereits hätten geltend gemacht werden können, sind auch schon deswegen nicht erkennbar, weil seit dem 4. Oktober 2022 offenbar keine weitere Behandlung des Antragstellers erfolgte.
30
Den medizinischen Besonderheiten und Anforderungen des Antragstellers wird die Ausländerbehörde bei der Überstellung nach Litauen Rechnung zu tragen haben. Dies ist auch zu erwarten, nachdem die Ausländerbehörde nach eigener Angaben des Antragstellers eine Überstellung in ärztlicher Begleitung vornimmt. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass dem Antragsteller nach eigenen Angaben in Litauen offensichtlich eine medizinische Notfallversorgung zugänglich war.
31
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO.
32
Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.