Titel:
Erfolgreiche Nachbarklage - Unbestimmtheit eines Vorbescheides
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1
BayBO Art. 71
Leitsätze:
1. Bei einem Vorbescheid muss der Inhalt der vorgezogenen Zulässigkeitsprüfung vollständig, klar und eindeutig zum Ausdruck kommen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn ein Bauvorbescheid und die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, so ist der Bauvorbescheid insoweit als nachbarrechtswidrig aufzuheben. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baurecht, Nachbarklage, Vorbescheid, Bindungswirkung im Hinblick auf das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, Geruchsbelastung, schädliche Umwelteinwirkungen, heranrückende Wohnbebauung, Unbestimmtheit wegen Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens ohne Zusatzregelung/Nebenbestimmung zur Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme (hier: Pflicht nur zur Vorlage eines Geruchsgutachtens)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7361
Tenor
I. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird der Vorbescheid vom 7. Oktober 2021, Az. ..., in Ziffer 1 aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen einen der Beigeladenen erteilten Vorbescheid für den Neubau eines Doppelhauses mit zwei Doppelgaragen.
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Der Kläger ist Eigentümer u.a. der Grundstücke Fl.Nrn., ... der Gemarkung, auf denen er eine landwirtschaftliche Hofstelle mit Viehhaltung betreibt. Mit Baubescheid vom 4. Dezember 1958 wurde dort im Bereich des Grundstücks Fl.Nr. ... die Errichtung einer Garage und Maschinenhalle mit Hühnerstall genehmigt. Mit Bescheid vom 13. Dezember 1982 wurde der Umbau und die Erweiterung des landwirtschaftlichen Nebengebäudes mit u.a. der Auflage (Nr. 9), dass der Stall mit einer Zwangsentlüftungsanlage zu entlüften ist, genehmigt. Der Erweiterungsbau befindet sich überwiegend auf Fl.Nr. .... Laut der seinerzeit eingeholten Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) könnten im Erweiterungsbau 10 Mast- und 15 Zuchtrinder untergebracht werden. Nach den genehmigt gestempelten Planunterlagen (Grundriss) sind im Erweiterungsteil fünf Liegeboxen für Rinder (2x), Kälber (1x) und Bullen (2x) vorgesehen. Ferner ist eine Güllegrube eingezeichnet. Der Bestand werde als Futterlager und Traktorgarage genutzt. Am 10. Juni 1986 wurde eine weitere Baugenehmigung für den „Umbau eines landwirtschaftlichen Nebengebäudes“ mit u.a. der Auflage (Nr. 3), dass im Kälber- und Jungviehstall eine separate Entlüftungsanlage einzubauen sei, erteilt. In der insofern vorgelegten Stellungnahme des AELF ist die Rede von einem Jungvieh- und Kälberaufzuchtstall mit Platz für bis zu jeweils acht Jungvieh bzw. Kälber, wodurch sich ein Besatz von „6,4 RGV“ errechne. Laut Bauantrag sind Stahlfenster vorgesehen und in den genehmigt gestempelten Bauunterlagen (Grundriss) im Bereich des Umbaus von Nord nach Süd „Einstellraum, Mistgang, Kälber, Futtertisch, Jungvieh, Mistgang und Werkstatt“ eingezeichnet. In der Ostfassade befinden sich zwei Fenster.
3
Das Vorhabengrundstück der Beigeladenen Fl.Nr. ... grenzt östlich an das Grundstück Fl.Nr. ... an. Mit Formblattantrag vom 15. Januar 2021 beantragte sie die Erteilung eines Vorbescheids für den Neubau eines Doppelhauses mit Doppelgaragen. Laut dem dem Antrag beigefügten Beiblatt sollen im Rahmen der Bauvoranfrage „nachfolgende Fragen zur Prüfung gemäß § 34 BauNVO“ zur Genehmigung gestellt werden:
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„1. Dichte der Bebauung (GRZ und GFZ)
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Die Haupterschließung erfolgt über die ...straße (…)
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Der Grenzabstand zur ...straße (…)
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Dachform (…) flachgeneigtes Satteldach“
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Laut den eingereichten, aber nicht genehmigt gestempelten Planunterlagen beträgt der Grenzabstand an der Westseite zwischen 8,81 m und 8,89 m. Dort befinden sich im Erdgeschoss die Wohn- und Essbereiche sowie eine Terrasse, im 1. OG u.a. Schlafzimmer und Bad.
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Der Kläger erhob mit Schreiben vom 7. Februar 2021 gegen das Vorhaben Einwendungen. Er bewirtschafte in unmittelbarer Nähe einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Viehhaltung mit bis zu 35 Jungrindern, Kühen und Bullen sowie drei Ponys. Hinzu kämen noch das Fahrsilo, eine Güllegrube und der Auslaufbereich für Hühner und Enten. 2020 seien Bauvoranfragen für eine beabsichtigte Betriebserweiterung bei der Beklagten eingereicht worden. Der geschätzte Abstand von rund 11,5 m zwischen dem Stall und dem Wohnhaus sei zu gering.
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In den Stellungnahmen vom 10. März und 19. Mai 2021 führte der fachliche Immissionsschutz aus, dass der zulässige Genehmigungsumfang für den Tierhaltungsbetrieb nicht bekannt sei und zur Verträglichkeit der heranrückenden Wohnbebauung die Einholung eines Geruchsgutachtens empfohlen werde. Die Einhaltung der zulässigen Lärmwerte sei ebenfalls zu gewährleisten. Bei einer ggf. nach Nr. 5 GIRL erforderlichen Einzelfallprüfung sei zu berücksichtigen, dass die Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet sein könne, v.a. wenn einer emittierenden Anlage Bestandsschutz zukomme. Bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen sei zu prüfen, ob die dem Stand der Technik nach gegebenen Möglichkeiten zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen ausgeschöpft seien. Der Stand der Technik müsse mit dem AELF bestimmt werden. Zusammenfassend sei zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des Bestandsschutzes für die Rinderhaltung auch ein höherer Wert als 0,15 an der beantragten Wohnnutzung zulässig sein könne, oder ob im Falle der Überschreitung der als zulässig erachteten Werte die Möglichkeit der Belüftung bestehe, oder, falls eine ausreichende Belüftung nicht möglich sei, die Lüftung der Rinderhaltung dem Stand der Technik entspreche bzw. ggf. nachzurüsten sei.
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Daraufhin erteilte die Beklagte der Beigeladenen am 7. Oktober 2021 einen Vorbescheid, wonach die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens festgestellt wird (Ziff. 1), im Rahmen des Bauantrags das vom Landratsamt ... angeforderte Geruchsgutachten vorzulegen ist (Ziff. 2) und die Fragen der Voranfrage positiv beantwortet werden (Ziff. 3a. bis 3e.). Laut „Hinweise“ erstrecke sich die Prüfung des Vorbescheids lediglich auf die beantworteten Fragen sowie die Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des geplanten Vorhabens. Alle sonstigen baurechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vorschriften seien zu beachten. Weitere Hinweise, Bedingungen und Auflagen, die sich im noch erforderlichen Baugenehmigungsverfahren ergäben, blieben deshalb ausdrücklich vorbehalten. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Das Rücksichtnahmegebot werde eingehalten und die Erschließung sei gesichert. Im Rahmen eines anderen Bauverfahrens habe die Beigeladene ein Geruchsgutachten vorgelegt, welches bauliche Maßnahmen zum Schutz vor Geruchsimmissionen vorgeschlagen habe. Gegenüber der ursprünglichen Planung rücke das aktuelle Vorhaben von der Stallseite ab. Es sei damit nicht davon auszugehen, dass die Geruchsprognose, welche im Bauverfahren vorzulegen sei, von der bisherigen Prognose abweiche. Eine mögliche Erweiterung der Landwirtschaft müsse sich an der gesamten Umgebungsbebauung ausrichten. Auch insofern gelte das Gebot der Rücksichtnahme.
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Der Kläger ließ hiergegen am 8. November 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben. Für ihn ist zuletzt beantragt,
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den Vorbescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2021 in dessen Ziffer 1 aufzuheben.
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Mit Beschluss vom 9. November 2021 wurde die Bauherrin zu dem Verfahren beigeladen.
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Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2022 ließ der Kläger zur Begründung seiner Klage vortragen, dass der angegriffene Bescheid im Tenor widersprüchlich sei, weil einerseits – uneingeschränkt – die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens festgestellt werde, andererseits die Vorlage eines Geruchsgutachtens erst für das Bauverfahren verlangt werde. Die Prüfung des sich aus dem Begriff des Einfügens ergebenden Rücksichtnahmegebots sei aber maßgeblicher Bestandteil der Prüfung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens. Es sei davon auszugehen, dass die landwirtschaftliche Nutzung einen weiteren Abstand erforderlich mache. Zu berücksichtigen sei ferner die beabsichtigte Erweiterung des landwirtschaftlichen Betriebs gemäß Antrag von 2021. Die im Parallelverfahren eingeholte Standortanalyse gebe nicht den aktuellen Viehbestand bzw. die Genehmigungslage seines landwirtschaftlichen Betriebs wieder.
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Am 17. Januar 2022 fand in diesem Verfahren sowie in dem Parallelverfahren Au 4 K 20.2554, in dem die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für ihr auf dem Vorhabengrundstück ursprünglich geplantes Mehrfamilienhaus begehrt, ein Ortstermin statt. Hinsichtlich des Ergebnisses des Ortstermins wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
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Am 24. Januar 2022 legte die Beklagte die Bestandsakten für den klägerischen Betrieb vor und führte aus, dass die Baugenehmigungen keine Anzahl der Vieheinheiten enthielten. In diversen Stellungnahme des AELF, der Baukontrolle und des Klägers sei die Rede von bis zu 36 Stellplätzen für die Rinderhaltung.
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Die Beigeladene nahm unter dem 28. Februar 2022 zur Klage Stellung. Sie lässt vortragen, dass ausweislich der Bauunterlagen aufgrund des Bauantrags vom 14. Oktober 1982 allenfalls ein Bestand von 10 Mastrindern und 15 Zuchtrindern genehmigt sei. Auf das im Parallelverfahren vorgelegte Geruchsgutachten werde Bezug genommen. Die klägerseits avisierten Betriebserweiterungen seien aufgrund der durchgehenden Wohnbebauung in der Nachbarschaft nicht realisierbar.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten, auch aus dem Parallelverfahren Au 4 K 20.2554, sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 29. März 2023 verwiesen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seine ursprünglich auf Aufhebung des gesamten Vorbescheids gerichtete Klage auf Aufhebung von Ziffer 1 beschränkt.
Entscheidungsgründe
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1. Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat (bezogen auf Ziff. 2 und 3 des Vorbescheids), ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
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2. Die im Übrigen aufrechterhaltene Klage ist zulässig und begründet. Der Vorbescheid vom 7. Oktober 2021 ist in dessen Ziffer 1 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Gemäß Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Erteilung des Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen, in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erteilt werden, der während seiner regelmäßigen Geltungsdauer von drei Jahren (Art. 71 Satz 2 BayBO) Bindungswirkung für ein nachfolgendes Baugenehmigungsverfahren entfaltet. In der Baugenehmigung ist nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO insbesondere über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach §§ 29 bis 38 BauGB zu entscheiden.
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Der Nachbar kann den Vorbescheid mit dem Ziel der Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn er rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen sind, sondern gerade dem Schutz eines von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises, namentlich des betroffenen Nachbarn zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ist der Fall, wenn er in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist (st. Rspr. zur Baugenehmigung, vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – BVerwGE 89, 69; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Hinzu kommt, dass ein Verstoß nur gegen solche Vorschriften in Betracht kommt, zu denen der Vorbescheid rechtliche Aussagen bzw. Feststellungen trifft, weil nur insoweit eine Bindungswirkung für das spätere Baugenehmigungsverfahren eintritt (vgl. Laser in Schwarzer/König, BayBO, 5. Aufl. 2022, Art. 71 Rn. 17). Diese bestimmt letztlich der Bauherr durch die seinem Vorbescheidsantrag zugrunde gelegte Fragestellung.
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a) Wegen dieser Bindungswirkung ist der Vorbescheid ein Verwaltungsakt und muss als solcher inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Diesem Erfordernis ist genügt, wenn die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und damit einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich ist (BVerwG, U.v. 22.1.1993 – 8 C 57.91 – juris). Bei einem Vorbescheid muss der Inhalt der vorgezogenen Zulässigkeitsprüfung vollständig, klar und eindeutig zum Ausdruck kommen (vgl. VG Ansbach, U.v. 8.8.2018 – AN 3 K 17.02090 – juris Rn. 71 m.w.N.). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt allerdings nur vor, wenn eine Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (vgl. zur Baugenehmigung BayVGH, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris; B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris m.w.N.; OVG Hamburg, B.v. 2.9.2011 – 2 Bs 136/11 – juris). Verbleiben Abgrenzungsunschärfen im Hinblick auf die Reichweite und die Art der zugelassenen Nutzung, ist im Zweifel ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris).
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b) Gemessen hieran erweist sich der Vorbescheid in den Ziffern 1 mit 2 als unbestimmt, denn er weist im Tenor Widersprüche in Bezug auf das von der Beklagten angewandte Prüfprogram und den Umfang der Bindungswirkung des Vorbescheids für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren auf. Ziffer 1 besagt, dass das Vorhaben der Beigeladenen „planungsrechtlich zulässig“ ist. Nach Ziffer 2 ist indes im „Rahmen eines Bauantrags“ ein „Geruchsgutachten vorzulegen“. Betrachtet man den Tenor (Ziff. 1) insoweit für sich alleine, geht daraus hervor, dass sich das Vorhaben einfügt im Sinne des § 34 BauGB und damit die erforderliche Rücksicht auf die Umgebungsbebauung nimmt. Die Frage nach der grundsätzlichen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit nach § 34 BauGB bezieht sich dabei auf das jeweils abgefragte Kriterium des § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB und umfasst regelmäßig auch das Gebot der Rücksichtnahme. Zwar ist umstritten, ob aus der Frage, ob ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, die Beachtung des Rücksichtnahmegebots ausgeklammert werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 3.3.2021 – 15 B 20.2075 – juris Rn. 64 m.w.N.; B.v. 18.2.2020 – 9 ZB 17.1284 – juris Rn. 7; B.v. 18.8.2016 – 15 B 14.1625 – juris Rn. 14 f.; OVG NW, U.v. 31.10.2012 – 10 A 912/11 – juris Rn. 23 m.w.N.). Gegen die Annahme, dass mit dem Vorbescheidsantrag auch die Frage der Rücksichtnahme geklärt werden sollte, spricht zwar, dass die von der Beigeladenen gestellten Fragen beschränkt sind auf die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich der dort im Einzelnen gestellten Fragen betreffend die „Dichte der Bebauung (GRZ und GFZ)“, „Geschossigkeit“, „Art der Bebauung“ im Hinblick auf die (Haupt) Erschließung über die...straße, den Grenzabstand zur K.-straße und die Bauform des Daches. Insofern gehen allerdings der Tenor in Ziffern 1 und 2 sowie die Hinweise bzw. die Begründung hierzu über die Fragestellung hinaus und stellen insgesamt positiv die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens fest. So wird in den Gründen ausgeführt, dass das Rücksichtnahmegebot eingehalten werde. An anderer Stelle wird dargelegt, dass die bauplanungsrechtlichen Kriterien erfüllt seien und damit das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung gegeben sei. Auch der Nachbar unterliege dem Rücksichtnahmegebot und eine Bebauung auf dem Vorhabengrundstück könne nicht komplett eingeschränkt werden. Der streitgegenständliche Vorbescheid stellt in Ziffer 1 die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ohne inhaltliche Zusatzregelung bzw. Nebenbestimmung fest, so dass demzufolge die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens und damit auch dessen Vereinbarkeit mit dem Rücksichtnahmegebot (auch in Bezug auf die Geruchsbelastung) vollumfänglich mit bindender Wirkung für das Baugenehmigungsverfahren feststehen könnte. Eine entsprechende Einschränkung im vorgenannten Sinne könnte aus Ziffer 2 abzuleiten sein, denn danach soll im Baugenehmigungsverfahren das vom fachlichen Immissionsschutz angeforderte Geruchsgutachten vorgelegt werden. Allerdings könnte sich die bloße Vorlagepflicht als zu offen bzw. ungeeignet erweisen, um der Beigeladenen im späteren Genehmigungsverfahren die Berufung auf die Bindungswirkung des Vorbescheids in Bezug auf die Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit abzuschneiden. Entsprechendes gilt auch unter Berücksichtigung der im Vorbescheid enthaltenen Hinweise, wonach „weitere Hinweise, Bedingungen und Auflagen“, sofern sie sonstige baurechtliche und öffentlich-rechtliche Vorschriften betreffen, „ausdrücklich vorbehalten“ bleiben. Andererseits wird einleitend ausgeführt, dass sich die Prüfung des Vorbescheids auf die beantworteten Fragen „sowie auf die Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit“ erstrecke.
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c) Bei einer Überprüfung von Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids anhand von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergibt sich aber, dass die von der Beigeladenen vorgelegten Planunterlagen in Bezug auf das nachbarliche Rücksichtnahmegebot unvollständig sind. Sie lassen nicht erkennen, ob der Kläger im Gebot der Rücksichtnahme verletzt sein könnte. Das Gebot der Rücksichtnahme enthält dabei ein dem § 15 Abs. 1 BauNVO entsprechendes Prüfprogramm (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 34 Rn. 48). Eine heranrückende Bebauung verletzt gegenüber einem bestehenden emittierenden Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betrieb durch die hinzutretende Bebauung mit nachträglichen Auflagen rechnen muss (BayVGH, B.v. 9.6.2020 – 15 CS 30.901 – juris Rn. 27; B.v. 17.8.2022 – 2 CS 22.1585 – Rn. 4 n.v.). Eine Beurteilung, ob das Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, ist jedoch anhand der vorgelegten Unterlagen nicht möglich. Zur Beurteilung dieser Frage wäre ein Geruchsgutachten erforderlich gewesen, aus dem die Geruchsbelastung vom emittierenden landwirtschaftlichen Viehhaltungsbetrieb für das geplante Wohnhaus hervorgeht. Ein solches liegt jedoch nicht vor. Ungeachtet dessen, dass das im Verfahren Au 4 K 20.2554 vorgelegte Geruchsgutachten nicht Bestandteil des vorliegenden Bauvorbescheids ist, befasst sich dieses mit einem anderen Vorhaben (Mehrfamilienhaus mit 8 Wohneinheiten und Tiefgarage), das zudem auf dem Baugrundstück auch anders situiert ist als die hier zur Rede stehende Planung.
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Damit erweist sich der Vorbescheid insoweit als unbestimmt. Wenn der Bauvorbescheid und die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, so ist der Bauvorbescheid insoweit als nachbarrechtswidrig aufzuheben (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris; OVG RhPf, U.v. 2.5.2013 -1 A 11021/12 – juris).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, sind die Kosten von ihm zu tragen (§ 155 Abs. 2 VwGO). Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und nach § 154 Abs. 3 VwGO kein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.