Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.03.2023 – 8 ZB 22.990
Titel:

Luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit

Normenkette:
LuftSiG § 7
Leitsatz:
Wegen des beim Luftverkehr hohen Gefährdungspotenzials und der Hochrangigkeit der zu schützenden Rechtsgüter ist bei der Prüfung der Zuverlässigkeit ein strenger Maßstab anzulegen sei, sodass die Zuverlässigkeit bereits bei geringen Zweifeln zu verneinen ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), Luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit, Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen Steuerhinterziehung, Strafbefehl
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 17.03.2022 – M 24 K 21.3834
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7323

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Feststellung seiner luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit.
2
Seit 2001 ist der Kläger alleiniger Geschäftsführer und über eine Beteiligungsgesellschaft auch Mehrheitsgesellschafter der im gleichen Jahr gegründeten M* … … … GmbH, die Dienst- und Werkleistungen im Bereich der Luftfahrzeugwartung (Instandhaltung, Instandsetzung) in einer Wartungshalle im Sicherheitsbereich des Flughafens Münchens durchführt.
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Seit August 2003 stellte die Regierung von Oberbayern – Luftamt Südbayern mehrfach die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) für den Kläger fest. Zuletzt hat der Kläger am 4. November 2020 die erneute Feststellung seiner luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit beantragt.
4
Das Amtsgericht Landshut verurteilte den Kläger mit Strafbefehl vom 7. Januar 2020 rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 250,- EUR wegen vier sachlich zusammentreffender Vergehen der Steuerhinterziehung.
5
Mit Bescheid vom 6. Juli 2021 lehnte das Luftamt Südbayern den Antrag des Klägers auf erneute Feststellung der persönlichen Zuverlässigkeit nach § 7 LuftSiG ab (Nr. 1), entzog dem Kläger die Zutrittsberechtigung zum Sicherheitsbereich des Flughafens Münchens (Nr. 2) und forderte ihn auf, den Flughafenausweis innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids an die Ausweisstelle der F. M. GmbH zurückzugeben (Nr. 3).
6
Die Klage des Klägers, den Beklagten zu verpflichten, seine persönliche Zuverlässigkeit unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 6. Juli 2021 festzustellen, hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 17. März 2022 abgewiesen.
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Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Verpflichtungsbegehren weiter.
II.
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
9
1. Die Berufung ist nicht wegen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
10
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 15). Bei der Beurteilung ist nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung abzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – NVwZ 2021, 325 = juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).
11
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dem Kläger fehle die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit nach § 7 LuftSiG, begegnet keinen ernstlichen Zweifeln.
12
Nach § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 LuftSiG fehlt es in der Regel an der erforderlichen Zuverlässigkeit, wenn die betroffene Person u.a. wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verurteilt worden ist, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Die gesetzlichen Regelbeispiele in § 7 Abs. 1a Satz 2 LuftSiG sollen eine Orientierung für die Konkretisierung des Begriffs der Unzuverlässigkeit geben. Es handelt sich nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bunderegierung um typisierte Fallgruppen, die keinesfalls abschließenden oder ausschließenden Charakter haben (vgl. BT-Drs. 18/9752 S. 53).
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Diesen Regeltatbestand hat das Verwaltungsgericht aufgrund der Verurteilung des Klägers zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen einer vorsätzlichen Straftat zutreffend bejaht (vgl. Urteilsabdruck, UA Rn. 39). Welche Rückschlüsse aus einem rechtskräftigen Strafurteil gegen den Betroffenen gezogen werden dürfen, ist eine Frage der Sachverhalts- und Beweiswürdigung nach § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2017 – 8 ZB 16.1841 – juris Rn. 6; B.v. 9.1.2019 – 8 ZB 18.122 – juris Rn. 10).
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a) Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Verhalten und Persönlichkeit des Beklagten einen atypischen Fall, der die gesetzliche Wertung des hier erfüllten Regeltatbestandes entfallen ließe, als im vorliegenden Fall nicht gegeben angesehen. Der Kläger habe den durch die Verurteilung hervorgerufenen begründeten Zweifeln an der Zuverlässigkeit keine gewichtigen Gründe entgegensetzen können, die dazu führen würden, dass sämtliche Zweifel ausgeräumt worden wären (vgl. UA Rn. 42 f.). Die klägerische Rüge, das Verwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung eine Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung von Umständen zugunsten des Klägers fehlerhaft nicht vorgenommen, ist daher nicht berechtigt. Das Erstgericht hat die aus Klägersicht günstigen Aspekte – wie den angeblich fehlenden wesentlichen Tatbeitrag aufgrund der Beauftragung von Steuerberatern sowie die widersprüchliche Ahndung der Taten von Kläger und dessen Ehefrau – in seine Erwägungen einbezogen, ist allerdings zu einer anderen rechtlichen Beurteilung als der Kläger gekommen.
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aa) So erschöpft sich nach Einschätzung des Verwaltungsgerichts das als Straftat abgeurteilte Verhalten des Klägers nicht allein in einer fehlerhaften Bearbeitung durch die Mitarbeiter der ihn vertretenden Steuerberatungskanzlei. Es wäre vielmehr Sache des Klägers wie jedes steuerpflichtigen Bürgers in Deutschland gewesen, die korrekte steuerliche Behandlung seiner Mieteinnahmen im Blick zu haben (vgl. UA Rn. 43). In diesem Zusammenhang würdigt das Verwaltungsgericht in seinen Erwägungen auch die Mieteinnahmen der zweiten Wohnung, die der Kläger zu seinem Nachteil versteuert habe.
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bb) Im Hinblick auf die klägerische Anregung, bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung das gegen Geldauflage eingestellte Strafverfahren seiner Ehefrau zu berücksichtigen und die auf ihn und seine Ehefrau gemeinsam entfallenden Tagessätze hälftig zu verteilen, hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass sich ein solches „Strafensplitting“ schon deshalb verbiete, weil die strafrechtlichen Entscheidungen jeweils die individuelle strafrechtliche Schuld berücksichtigten und sich nicht auf dritte Personen übertragen ließen (vgl. UA Rn. 40). Das Verwaltungsgericht setzt sich – entgegen dem klägerischen Einwand – auch zutreffend damit auseinander, dass sich keine gewichtigen Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des Strafbefehls des Amtsgerichts aufgrund Rechtsirrtums oder Fehlerhaftigkeit des Sachverhalts in Bezug auf die abgeurteilte Straftat aufdrängten (vgl. UA Rn. 40).
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cc) Das Erstgericht geht des Weiteren auf die Belange der Luftsicherheit ein, indem es prüft, ob die strafrechtliche Verurteilung und das darin geahndete Verhalten auf eine persönliche Schwäche bzw. einen Charaktermangel des Betroffenen hinweist, der von luftsicherheitsrechtlicher Relevanz ist (vgl. UA Rn. 42 f.). Das Verwaltungsgericht hat dabei zugrunde gelegt, dass wegen des gerade beim Luftverkehr hohen Gefährdungspotenzials und der Hochrangigkeit der zu schützenden Rechtsgüter bei der Prüfung ein strenger Maßstab anzulegen sei, sodass die Zuverlässigkeit bereits bei geringen Zweifeln zu verneinen sei (vgl. UA Rn. 35; BVerwG, U.v. 15.7.2004 – 3 C 33.03 – BVerwGE 121, 257 = juris Rn. 21 zu § 29d LuftVG a.F.; BayVGH, B.v. 23.10.2020 – 8 ZB 20.1520 – juris Rn. 14 m.w.N.).
18
Ausgehend von den Feststellungen des Strafbefehls deutet die abgeurteilte vorsätzlich begangene Straftat auf eine mangelhafte Einstellung des Klägers gegenüber der Rechtsordnung insgesamt hin und begründet, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist, Zweifel daran, dass der Kläger stets für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften eintritt und die innerliche Stärke aufweist, in allen Lebensphasen stets deren Einhaltung zu garantieren (vgl. UA Rn. 43). Dem setzt das Zulassungsvorbringen substantiiert nichts Tragfähiges entgegen. Insbesondere ergibt sich aus der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 15.7.2004 – 3 C 33.03 – BVerwGE 121, 257 = juris Rn. 28 f.) keine Änderung in der Form, dass als maßgeblichen Bezugszeitpunkt auf den aktuellen Zeitpunkt abzustellen wäre. Im Gegenteil ist der Entscheidung zu entnehmen, dass für die Beurteilung der Zuverlässigkeit auch Handlungen jenseits des damals geltenden 10-Jahres-Zeitraums zu berücksichtigen sind. Zudem enthält der eindeutige Wortlaut des § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 LuftSiG ausdrücklich eine Fünfjahresfrist seit Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung.
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dd) Soweit der Kläger beanstandet, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass er seit 35 Jahren in der Luftfahrt im Bereich der Instandhaltung und Instandsetzung von Luftfahrzeugen tätig sei, ist dies nicht ernstlich zweifelhaft. Vergangene Zuverlässigkeitsüberprüfungen oder Lizenzen aus anderen Bereichen können bestehende Zweifel an der Zuverlässigkeit einer Person ebenso wenig ausräumen wie die Tatsache, dass die Person strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2018 – 8 CS 18.21 – juris Rn. 18; OVG NRW, B.1.3.2018 – 20 B 1340/17 – juris Rn. 30). Der Sachverhalt in der vom Kläger angeführten Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 15.7.2004 – 3 C 33.03) ist nicht vergleichbar mit dem vorliegenden Fall, da dort im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung nicht auf eine rechtskräftige Verurteilung abgestellt wurde, sondern allein auf eine über 10 Jahre zurückliegende Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Eine vorsätzlich begangene Straftat belegt demgegenüber aus sich heraus eine mangelhafte Einstellung des Täters gegenüber der Rechtsordnung. Zudem ist es bei einer wegen einer Straftat verhängten Geldstrafe von mehr als 60 Tagessätzen für gewöhnlich ausgeschlossen, dass es sich bei einer entsprechend sanktionierten Straftat um ein Bagatelldelikt handelt (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2018 – 8 CS 18.21 – juris Rn. 15; OVG NRW, B.v. 1.3.2018 – 20 B 1340/17 – juris Rn. 41). Im Übrigen lässt auch eine strafgerichtliche Verurteilung wegen eines Vermögensdelikts einen ausreichenden Rückschluss auf charakterliche Unzulänglichkeiten und damit weiter für die Unzuverlässigkeit zu (vgl. BVerwG, B.v. 30.4.1992 – 1 B 64.92 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 21.2.2020 – 24 ZB 19.2526 – juris Rn. 5 jeweils zu § 5 Abs. 2 WaffG).
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b) Soweit der Kläger die Mitwirkung von zwei unterschiedlichen Steuerkanzleien im Gegensatz zur erstinstanzlichen Beurteilung als entlastenden Indiz wertet und seine Fehler in den Steuererklärungen für die Jahre 2013 bis 2015 jeweils als Folgefehler darstellt, wendet sich die Klägerseite gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.
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Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen einer fehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nur dann gegeben, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind (vgl. BVerwG, B.v.16.12.2019 – 6 B 58.19 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 4.2.2022 – 8 B 21.1781 – juris Rn. 16; B.v. 9.1.2019 – 8 ZB 18.122 – juris Rn. 13 m.w.N.). Entsprechende Mängel lassen sich dem Zulassungsvortrag nicht entnehmen. Allein die vorgetragene Möglichkeit einer anderen Bewertung rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 26.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).