Titel:
Erfolgreiche Nachbarklage gegen Neubau eines Dorfgemeinschaftshauses
Normenketten:
UmwRG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 6
BauNVO § 5 Abs. 2, § 15 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 37
Leitsätze:
1. Der Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung den Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Frage des „untergeordneten Bezugs“ einer Nutzung zu anderen Nutzungen kommt es nicht auf das Flächenverhältnis, sondern auf die Qualität und Quantität der inmitten stehenden Nutzung an. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dorfgemeinschaftshaus für Veranstaltungen, Nachbar, Gebietserhaltungsanspruch, Unbestimmtheit der Baugenehmigung, Präklusion, Dorfgebiet, Variationsbreite der Nutzungen, untergeordneter Bezug
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 26.01.2022 – Au 4 K 21.618
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7307
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen (§§ 124, 124a Abs. 4 VwGO).
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen des Zulassungsvorbringens keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Senat geht mit dem Erstgericht davon aus, dass die Baugenehmigung vom 24. Februar 2021 für den Neubau eines Dorfgemeinschaftshauses für Veranstaltungen mit Außenanlagen nachbarschützende Vorschriften zu Lasten der Kläger verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht ist von einer Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs der Kläger und der Unbestimmtheit der Baugenehmigung nach Art. 37 BayVwVfG betreffend ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal ausgegangen.
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a) Zunächst rügt die Beigeladene, dass das Erstgericht seine Entscheidung nicht auf diese beiden Gründe hätte stützen dürfen. Aufgrund der hier zu beachtenden Präklusionswirkung des § 6 UmwRG, der den Amtsermittlungsgrundsatz einschränke, hätte das Verwaltungsgericht nicht auf Tatsachen abstellen dürfen, die wie hier nicht bzw. nicht rechtzeitig von der Klagepartei vorgebracht worden seien. Ohnehin hätten die Kläger keine den Anforderungen des § 6 UmwRG entsprechende, insbesondere fristgerechte Klagebegründung eingereicht.
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Dieses Vorbringen der Beigeladenen bleibt erfolglos. Dabei kann es hier dahin gestellt bleiben, ob der Anwendungsbereich des UmwRG eröffnet ist. Dies wäre nur gegeben, wenn es sich bei Baugenehmigungen im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans wie vorliegend um Verwaltungsakte im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG handelt (vgl. zu der Anwendung des UmwRG bei einer Baugenehmigung auf Grundlage von § 30 Abs. 1 BauGB BayVGH, B.v. 11.4.2018 – 2 CS 18.198 – juris; B.v. 10.12.2020 – 9 CS 20.892 – juris). Denn jedenfalls greift im Hinblick auf die Gründe, mit denen das Verwaltungsgericht die inmitten stehende Baugenehmigung aufgehoben hat – Gebietsunverträglichkeit des Vorhabens und Unbestimmtheit der Baugenehmigung –, die Präklusionsregelung des § 6 Satz 1 UmwRG nicht. Denn diese kann nur insoweit Geltung haben, als umweltbezogene Vorschriften berührt sind (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2022, § 6 Rn 23). Dies ist hier nicht der Fall. Daher kommt es auch auf den weiteren Vortrag der Beigeladenen im Zusammenhang mit dem UmwRG nicht an.
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b) Ebenso wenig vermag die Zulassungsschrift die Annahme des Erstgerichts, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen den Gebietserhaltungsanspruch zu Lasten der Kläger verstoße, zu erschüttern.
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Der Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung den Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (vgl. Stühler, BauR 2011, 1576; Decker, JA 2007, 55). Denn die Festsetzungen von Baugebieten durch einen Bebauungsplan haben grundsätzlich nachbarschützende Wirkung zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet (vgl. BVerwG, BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; U.v. 23.8.1996 – 4 C 13/94 – BVerwGE 101, 364; B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – BayVBl 2008, 583; BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – BayVBl 2013).
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Vorliegend hat das Verwaltungsgericht das Vorhaben in dem durch Bebauungsplan festgesetzten Dorfgebiet als gebietsunverträglich beurteilt, weil es sich in seinem Gesamterscheinungsbild und von seiner Variationsbreite nicht mehr als Anlage für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 einordnen lasse. Dabei hat es, anders als die Beigeladene meint, bei seiner Beurteilung der Gebietsverträglichkeit gerade nicht auf die Geeignetheit der in der Baugenehmigung festgesetzten Auflagen abgestellt, sondern vielmehr ausgeführt, dass es nicht möglich sei, ein typischerweise störendes Vorhaben im Wege von Auflagen gebietsverträglich zu machen (UA S. 11).
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Soweit die Beigeladene behauptet, das Verwaltungsgericht habe unzutreffend die Ansicht vertreten, dass die Qualifizierung als Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 nicht auch private Veranstaltungen zulasse und diese Auffassung von dem in Bezug genommenen Urteil des OVG NW (U.v. 6.9.2011 – 2 A 2249/09 – juris) nicht gedeckt sei, gehen ihre Ausführungen fehl. Denn das Erstgericht hat zur Einordnung als Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 die Möglichkeit von privaten Veranstaltungen nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern vorliegend als maßgeblich erachtet, dass die zugelassenen Nutzungsmöglichkeiten neben kulturell-sozialen Aspekten nicht mehr nur noch einen untergeordneten Bezug zu einem Festhallenbetrieb aufwiesen (UA S. 11).
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Aber auch soweit die Beigeladene versucht, einen untergeordneten Bezug der durch die Baugenehmigung zugelassenen privaten Veranstaltungen zu begründen und somit das Vorhaben in seinem Gesamterscheinungsbild als Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 einzustufen, dringt sie nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass die Variationsbreite der Nutzungen nach dem Betriebskonzept, gerade in Bezug auf die nicht näher eingegrenzten privaten Feierlichkeiten, das charakteristische Nutzungsspektrum des § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO verlassen würde. Nach der Betriebsbeschreibung könnten Veranstaltungen der örtlichen Vereine und Gruppierungen sowie eine Vielzahl verschiedenster privater Veranstaltungen stattfinden. Dazu zählten Geburtstage, Hochzeiten und Ehejubiläen mit ca. 20 Veranstaltungen im Jahr sowie Tauffeiern, Kommunionen, Konfirmationen, Firmungen (4 im Jahr) und eine nicht abschätzbare Anzahl an Beerdigungen (Nr. 2.5 der Betriebsbeschreibung). Darüber hinaus kämen eine gegenüber regelmäßigen Veranstaltungen untergeordnete Anzahl an als außerordentliche Vereinsveranstaltungen deklarierte Ereignisse (Nr. 2.3.14 der Betriebsbeschreibung) hinzu, die der Sache nach aber einen starken Bezug zu privaten Veranstaltungen aufwiesen. In Anbetracht des sehr offen formulierten und weit gefassten Nutzungskonzepts sei diesem nicht zu entnehmen, welche Art von Veranstaltungen bei dieser lediglich beispielhaften Aufzählung konkret zu erwarten sei und in welcher Anzahl. Jedenfalls sei die Anzahl der privaten Veranstaltungen nicht auf seltene und im Einzelnen klar benannte Fälle begrenzt.
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Nach alledem werden entgegen der Auffassung der Beigeladenen durch die Betriebsbeschreibung die privaten Veranstaltungen nicht in ihrer Anzahl dergestalt eingeschränkt und konkretisiert, dass von einem untergeordneten Bezug die Rede sein kann. Vielmehr spricht schon die nach der Betriebsbeschreibung nicht unerheblich mögliche Anzahl an privaten Veranstaltungen für einen mit einem gewerblichen Saalbetrieb vergleichbaren Veranstaltungsraum. Daran ändert auch nichts der zum Teil eingeschränkte Benutzerkreis, dem der Veranstaltungsraum zur Verfügung gestellt wird (Nr. 2.5.1 der Betriebsbeschreibung: Bürger mit Wohnsitz in der Gemeinde und mindestens 5-jähriger Vereinszugehörigkeit), da von diesem noch nicht auf den Charakter der Veranstaltung geschlossen werden kann. Insbesondere vermag diese Einschränkung nicht zwangsläufig einen „kulturellen/sozialen Bezug“ im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 zu schaffen.
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Ebenso wenig vermag der Einwand der Beigeladenen zu überzeugen, dass aufgrund der geringen Größe von ca. 60 m² und einer Maximalbelegung von 59 Personen der Veranstaltungsraum gar nicht über die Voraussetzungen für einen allgemeinen Festbetrieb verfüge. Denn es handelt sich hierbei um auch in der Gastronomie nicht unübliche Saalgröße. Ferner wendet die Beigeladene ein, dass der größte Teil der Vorhabenflächen der Freiwilligen Feuerwehr und dem Schützenverein vorbehalten sei und lediglich im ersten Obergeschoss private Veranstaltungen stattfinden dürften, so dass sich diese Nutzung nur als Annex darstelle. Hierzu ist anzumerken, dass es hier für die Frage des „untergeordneten Bezugs“ zu anderen Nutzungen nicht auf das Verhältnis der Gesamtvorhabenfläche und Veranstaltungsraumfläche ankommt, sondern auf die Qualität und Quantität der inmitten stehenden Nutzung.
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Schließlich sind die in diesem Zusammenhang von der Beigeladenen herangezogenen Entscheidungen mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. In dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Dezember 2010 (Az. 9 CS 10.2514 – juris) sah die dort streitgegenständliche Baugenehmigung eine Beschränkung sämtlicher Nutzungen und damit auch eventueller Veranstaltungen auf die Tageszeit vor. In dem dem Urteil des OVG NW vom 6. September 2011 (Az. 2 A 2249/09 – juris) zugrunde liegenden Fall waren die Veranstaltungen auf maximal 10 im Jahr beschränkt. Auch ist die weitere, von der Beigeladenen zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 28.1.1999 – 2 ZS 98.2829 – juris) vorliegend nicht weiterführend, da dort die Gebietsverträglichkeit nur unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme in Frage stand.
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Ob das Vorhaben daneben auch gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO verstößt, ist hier nicht mehr entscheidungserheblich.
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c) Ferner kommt es in Anbetracht der obigen Ausführungen auf den Vortrag der Beigeladenen, der sich gegen die weitere, kumulative Annahme des Erstgerichts, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung darüber hinaus auch nicht den Bestimmtheitsanforderungen nach Art. 37 BayVwVfG genügt, nicht an.
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2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), denn sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigenden Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2000 – 23 ZB 00.643 – juris). Die Beigeladene sieht vorliegend insbesondere rechtliche Schwierigkeiten in Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Regelung des § 6 UmwRG. Diese sind aber wie unter Ziffer 1 ausgeführt schon nicht entscheidungserheblich. Insoweit wird auf die dortigen Darlegungen verwiesen.
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3. Ebenso wenig kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.
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Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, diese höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2010 – 14 ZB 09.1289 – juris).
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Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam die Frage,
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ob das Verwaltungsgericht trotz Versäumnis der Klagebegründungsfrist gemäß § 6 UmwRG seine Entscheidung auf tatsächliche und rechtliche Erkenntnisse stützen darf, welche das Gericht offensichtlich allein aus den verwaltungsgerichtlichen Akten bezogen hat.
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Die Fragestellung war weder für das Erstgericht entscheidungserheblich noch wäre sie es für die Berufungsinstanz. Das Verwaltungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen auf keine tatsächlichen oder rechtlichen Erkenntnisse abgestellt, die von der Präklusionswirkung des § 6 UmwRG erfasst sein können. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 1 verwiesen. Dementsprechend hat das Erstgericht in seinem Urteil ausgeführt, dass es auf die aufgeworfene Frage der Präklusionswirkung des § 6 UmwRG nicht entscheidungserheblich mehr ankomme (UA S. 17).
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4. Schließlich liegt die vom Kläger behauptete Divergenz im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht vor. Die Divergenzrüge im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO führt nur dann zur Zulassung der Berufung, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Divergenzgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die von der Beigeladenen angeführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichthofes vom 10. Dezember 2020 – 9 CS 20.892 – und 12. April 2021 – 8 A 19.40009 – befassen sich mit Fragenstellungen der Reichweite der Präklusionswirkung nach § 6 UmwRG. Nach den obigen Ausführungen ist diese Regelung vorliegend nicht entscheidungserheblich, so dass die angegriffene Entscheidung schon nicht auf der behaupteten Abweichung beruhen kann.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG