Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.03.2023 – 16b DS 23.311
Titel:

Disziplinarische Ahndung von Betäubungsmittelvergehen eines Polizeibeamten auf Probe

Normenketten:
BDG § 5 Abs. 3 S. 2, § 13 Abs. 1 S. 2, § 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, § 63 Abs. 2
BBG § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 77 Abs. 1 S. 2
BtMG § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
WaffG § 52 Abs. 3
Leitsätze:
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen im Disziplinarverfahren sind anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung im Aussetzungsverfahren der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Außerdienstliches Fehlverhalten hat disziplinarrechtliche Bedeutung, wenn es sich um Straftaten handelt, deren Strafrahmen bis zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren reicht, und der Unrechtsgehalt der konkreten Tat nicht gering wiegt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Orientierungsrahmen reicht selbst bei mittelschweren Straftaten bis zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, wenn das Dienstvergehen hinreichenden Bezug zum Amt des Beamten aufweist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen und genießen daher in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche Vorsatzstraftaten begehen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die disziplinarrechtliche Reaktion ist bei Betäubungsmittelvergehen davon abhängig, wie sich das zu würdigende Versagen vor dem Hintergrund der Gesamtpersönlichkeit des Beamten darstellt, speziell bei Eigengebrauchsfällen davon, ob eine charakterliche Labilität im Umgang mit Drogen erkennbar geworden ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
6. Etwaige Therapiemaßnahmen können bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme nur mildernd berücksichtigt werden, wenn das Ergebnis der Therapie positiv ausfällt und eine günstige Zukunftsprognose gestellt werden kann. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beamter auf Probe, Vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge, Anbau und Besitz von Cannabis, Führen eines Kfz im öffentl. Straßenverkehr unter Einfluss von Betäubungsmitteln, Dienstantritt unter Einfluss von Betäubungsmitteln nicht vorschriftsmäßige Lagerung der dienstlichen Schusswaffe, Verstoß gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz, Polizeibeamter, Beamtenverhältnis auf Probe, Dienstvergehen, Disziplinarmaßnahme, Strafrahmen, Kürzung der Dienstbezüge, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, vorläufige Dienstenthebung, Einbehaltung der Dienstbezüge, Betäubungsmittelvergehen, Schusswaffe, Milderung, Therapie, Aussetzungsverfahren, Beschwerde, ernstliche Zweifel
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 19.01.2023 – M 19B DA 22.5834
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7299

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

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1. Der Antragsgegner hat den 2000 geborenen Antragsteller, einen Beamten auf Probe bei der Bundespolizei, mit Verfügung vom 8. Juni 2022 vorläufig des Dienstes enthoben und die Einbehaltung von 50% der Dienstbezüge angeordnet. Seinen Antrag auf Aussetzung dieser Maßnahmen hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. Januar 2023 abgelehnt. Es ist aufgrund der seinerzeitigen Aktenlage davon ausgegangen, dass der Antragsteller am 6. April 2022 gegen 8:15 Uhr in seiner Kellerwohnung eine Gesamtmenge von 65,7 Gramm Marihuana, 11 LSD-Trips, diverse Cannabissamen und eine nicht verwiegbare geringe Menge Metamphetamin wissentlich und willentlich ohne die erforderliche Erlaubnis aufbewahrt hat. Ferner habe der Antragsteller unter Einfluss von Betäubungsmitteln ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr geführt und seine dienstliche Schusswaffe nicht vorschriftsmäßig gelagert. Hinzu komme der Dienstantritt unter Betäubungsmitteleinfluss am 6. April 2022 und die Vorwürfe des unerlaubten Besitzes von Waffen, Munition und explosionsgefährlichen Stoffen. Im Hinblick auf die nicht geringe Menge und Auswahl der Betäubungsmittel und der weiteren in den Blick zu nehmenden Taten, insbesondere der waffenrechtlichen Verstöße, sei gegen einen Beamten auf Lebenszeit mindestens die Kürzung der Dienstbezüge nach § 8 BDG auszusprechen. Damit könne die Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Probe unter ordnungsgemäßer Ermessensausübung verfügt werden.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er verweist in erster Linie darauf, dass die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Besitz und Anbau der Betäubungsmittel ausweislich des (nicht rechtskräftigen) Urteils des Amtsgerichts Bayreuth vom 31. Januar 2023 unrichtig seien. Im Übrigen sei das Fahren unter Betäubungsmitteleinfluss lediglich eine Ordnungswidrigkeit; die nicht vorschriftsmäßige Lagerung der dienstlichen Schusswaffe sei als Nachlässigkeitshandlung zu bewerten. Der Antragsteller habe im Hinblick auf die Fahrt unter Drogeneinfluss bereits entsprechende Konsequenzen gezogen. Er lebe seit dem Vorfall drogenfrei und unterziehe sich ständiger überwachter Drogenkontrollen. Die Screenings seien bislang alle negativ geblieben. Es sei streitig, ob tatsächlich alle Drogen, sowie die verbotenen Waffen dem Antragsteller zugerechnet werden könnten. Dies müsse nun in einer erneuten Tatsachenverhandlung vor dem Landgericht Bayreuth entschieden werden.
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2. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Die zur Begründung dargelegten Gründe, die allein der Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 67 Abs. 3 BDG, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Es bestehen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (BVerwG, B.v. 28.11.2019 – 2 VR 3.19 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 4.12.2019 – 16a DS 19.2159 – juris Rn. 20) auf der Grundlage der aktuell vorliegenden Erkenntnismittel – für eine eingehende Beweisaufnahme ist nach der gesetzlichen Regelung kein Raum (BVerwG, B.v. 19.1.2006 – 2 WBD 6.05 – juris Rn. 24) – keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 63 Abs. 2 BDG an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen.
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Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, 1. Alt. BDG kann die Disziplinarbehörde einen Beamten auf Probe gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn voraussichtlich eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 BDG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG erfolgen wird. Unter denselben Voraussetzungen kann die Behörde gemäß § 38 Abs. 2 S. 1 BDG gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden.
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Das Merkmal „voraussichtlich“ verlangt nicht, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgesprochen werden wird. Auch ist es nicht erforderlich, dass das dem Beamten vorgeworfene Dienstvergehen in vollem Umfang nachgewiesen oder aufgeklärt ist. Notwendig ist, dass das Gericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme erkennen wird (Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Aufl. 2017, § 38 Rn. 17 m.w.N.; Weiß in GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Stand: Januar 2023, § 38 Rn. 51 und 71 m.w.N.; zum bayerischen Landesrecht: Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: August 2022, Art. 61 Rn. 6).
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„Ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen im Sinne von § 63 Abs. 2 BDG sind anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit der Anordnung nach § 38 BDG sprechenden Gründe überwiegen; der Erfolg des Antrags muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Es reicht aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (BVerwG, B.v. 28.11.2019 – 2 VR 3.19 – juris Rn. 22 m.w.N.).
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Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Bayreuth vom 31. Januar 2023 ist hinsichtlich der betäubungsmittelrechtlichen Verstößen nunmehr folgender Sachverhalt zu Grunde legen:
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„Am 6.4.2022 gegen 8:15 Uhr bewahrte der Antragsteller in seiner Kellerwohnung im Anwesen … drei mittelgroße Cannabispflanzen, 44 Gramm getrocknete Cannabisblätter, 0,7 Gramm Marihuana und 11 LSD-Trips wissentlich und willentlich auf. Von den drei Cannabispflanzen konnten im Rahmen der Ermittlungen 21 Gramm Cannabispflanzen abgeerntet werden… Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.“
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Aus dem Urteil ergibt sich auch, dass von deutlich unter den regelmäßig festgestellten Wirkstoffgehalten liegenden Wirkstoffgehalten ausgegangen worden ist. Ferner hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Antragsteller am 6. April 2022 in seiner Wohnung die tatsächliche Gewalt über neun Wurfsterne mit eingestanzten Hakenkreuzen, ein Butterfly-Messer, einen Revolver Reck Single Action Modell R 30, Kaliber 4 mm, 80 Patronen Munition, sowie 0,22 Gramm Schwarzpulver ausübte, obwohl er hierfür nicht die erforderliche Erlaubnis besaß, was ihm bekannt war.
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Das – hier – inner- und außerdienstliche Verhalten des Antragstellers ist disziplinarwürdig (a.), der Orientierungsrahmen reicht bis zur Höchstmaßnahme (b.) und es ist nach Überzeugung des Senats überwiegend wahrscheinlich, dass das Verhalten des Antragstellers im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG; c.).
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a. Das Fehlverhalten des Antragstellers besteht aus inner- und außerdienstlichen Pflichtverletzungen.
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Wegen des unmittelbaren Dienstbezugs stellen die Fahrt zum Dienst und der anschließende Dienstantritt (jeweils) unter Einfluss von Betäubungsmitteln am 6. April 2022 sowie die vorschriftswidrige Aufbewahrung der Dienstwaffe innerdienstliche Pflichtverletzungen dar. Jeder der Vorwürfe überschreitet die Bagatellgrenze für die Ahndung von Dienstvergehen, da ihnen ein disziplinarrechtlicher Unrechtsgehalt innewohnt, der über eine bloße „Unkorrektheit“ hinausgeht.
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Die Betäubungsmittel- und waffenrechtlichen Straftaten begründen außerdienstliche Pflichtverletzungen, weil sie nicht in das Amt des Antragstellers und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden waren. Das außerdienstliche Fehlverhalten hat nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG disziplinarrechtliche Bedeutung, weil es sich um Straftaten handelt, deren Strafrahmen bis zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren reicht und der daran angemessene Unrechtsgehalt der konkreten Tat nicht gering wiegt (BVerwG, B.v. 18.6.2014 – 2 B 55.13 – juris Rn. 11). Hier sieht § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren für den Anbau und Besitz von Betäubungsmitteln vor. Nach § 52 Abs. 3 WaffG sind Verstöße gegen das Waffengesetz mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht. Außerdem weisen die außerdienstlich begangenen Taten einen hinreichenden Bezug zum Amt des Antragstellers als Polizeibeamter auf. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen und genießen daher in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche Vorsatzstraftaten begehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – juris Rn. 35 f.). Dem Antragsteller kommt darüber hinaus als Lehrkraft am Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum Bamberg eine besondere Vorbildfunktion zu.
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b. Maßgebend für die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG die Schwere des Dienstvergehens, die richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2018 – 2 B 48.17 – juris Rn. 10).
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Die Ausschöpfung des maßgeblich in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens ist nur angezeigt, wenn dies auch dem Schweregehalt des vom Beamten konkret begangenen Dienstvergehens entspricht (vgl. OVG NRW, U.v. 30.3.2022 – 31 A 1572/21.O – juris Rn. 118). Dabei kommt der im konkreten Fall ausgesprochenen Strafe eine weitergehende, die disziplinare Maßnahmebemessung begrenzende Indizwirkung angesichts der unterschiedlichen Zwecke von Straf- und Disziplinarrecht nicht zu. Während die konkrete Strafzumessung strafrechtlichen Kriterien folgt, wird die disziplinarrechtliche Maßnahmebemessung nach § 13 BDG insbesondere durch den Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit bestimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10.2019 – 2 C 3.18 – juris Rn. 34). Es ist entscheidend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z. B. Kern- oder Nebenpflichtverletzung, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z. B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (z. B. materieller Schaden) bestimmend sein (vgl. BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 2 C 12.04 – juris Rn. 24; B.v. 30.3.2022 – 2 B 46.21 – juris Rn. 12 m.w.N.).
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c. Die aufgrund der vorstehenden Vorwürfe zu treffende Bemessungsentscheidung (Die Möglichkeit der Einbeziehung insbesondere auch der waffen- und sprengstoffrechtlichen Verfehlungen bei der Entscheidung über die Aussetzung ist von der Beschwerde nicht in Frage gestellt worden) würde bei einem Lebenszeitbeamten voraussichtlich jedenfalls zu einer Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 BDG) führen.
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aa. Für die vom Antragsteller verwirklichten Taten des vorsätzlichen Anbaus und Besitzes von Betäubungsmitteln reicht der Orientierungsrahmen für mögliche Disziplinarmaßnahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Angesichts des gesetzlichen Strafrahmens von Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren handelt es sich bei den vom Antragsteller verübten Delikten nicht mehr „nur“ um mittelschwere Straftaten. Als solche sind Taten zu betrachten, für die eine Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe gilt (vgl. BVerwG, U.v. 18.6.2015 a.a.O., Rn. 33). Im Übrigen würde selbst bei mittelschweren Straftaten der Orientierungsrahmen bis zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis reichen, wenn das Dienstvergehen – wie hier – hinreichenden Bezug zum Amt des Beamten aufweist (vgl. BVerwG, U.v. 18.6.2015 a.a.O., Rn. 33 m.w.N.).
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Das Betäubungsmittelgesetz enthält in § 29 ein generelles strafbewehrtes Cannabisverbot. Einheitliche Disziplinarmaßgrundsätze für Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz fehlen. Für die disziplinare Einstufung von Verstößen ist zunächst – objektiv – leitend, dass ein Zuwiderhandeln gegen die mit dem Betäubungsmittelgesetz verfolgten staatlichen Schutzziele eine „grob sozialschädliche Haltung“ (BVerwG, U.v. 14.5.1997 – 1 D 58.96 – juris Rn. 32) offenbart, weshalb das Anliegen des Gesetzgebers, „mit dem Betäubungsmittelgesetz den schädlichen Auswirkungen des zunehmenden Rauschgiftkonsums vorzubeugen und so Gefahren von dem Einzelnen, aber auch von der Allgemeinheit, insbesondere von der Jugend, abzuwehren, für die disziplinare Relevanz einschlägigen Fehlverhaltens von erheblicher Bedeutung ist“ (BVerwG, U.v. 14.5.1997 a.a.O.) Indes wird das disziplinare Gewicht eines solchen einschlägigen Fehlverhaltens „angesichts der Variationsbreite möglicher Verwirklichungsformen pflichtwidrigen Verhaltens in diesem Bereich von den besonderen Umständen des Einzelfalls bestimmt“ (BVerwG, U.v. 14.5.1997 a.a.O. Rn. 46). Dies zumal in Fällen, wenn das Betäubungsmittelvergehen nicht in Ausübung oder bei Gelegenheit des Dienstes geschah; „die Vielfalt der in Betracht kommenden Möglichkeiten lässt es ebenso wenig wie das Gebot der Einzelfallgerechtigkeit zu, in einem solchen Versagensbereich vom konkreten Fall weitgehend losgelöste Regeln für das Disziplinarmaß aufzustellen“ (BVerwG, U.v. 10.12.1985 – 1 D 76.85 – juris Rn. 17 zum Erwerb und Konsum von Haschisch ohne dienstliche Auswirkungen). Die disziplinarrechtliche Reaktion ist damit auch – insoweit subjektiv bezogen – davon abhängig, wie sich das zu würdigende Versagen vor dem Hintergrund der Gesamtpersönlichkeit des Beamten darstellt, speziell bei Eigengebrauchsfällen davon, ob eine charakterliche Labilität im Umgang mit Drogen erkennbar geworden ist (BVerwG, U.v.7.5.1996 – 1 D 82.95 – juris Rn. 14; U.v. 12.10.2010 – 2 WD 44.09 – juris Rn. 33). Eine andere Zumessungsleitlinie geht dahin, das tatbestandsmäßiger Eigenverbrauch größeren Umfangs, auch der „weichen“ Droge Haschisch, mindestens eine dem förmlichen Disziplinarverfahren vorbehaltene Disziplinarmaßnahme erfordert, bei erschwerenden Umständen auch die Höchstmaßnahme (BVerwG, B.v. 10.12.1987 – 1 DB 29.87 – juris Rn. 9).
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Im Falle des Antragstellers ist zur Überzeugung des Senats jedenfalls eine charakterliche Labilität im Umgang mit Drogen erkennbar geworden. Die Menge der aufgefundenen Drogen, wenngleich mit geringen Wirkstoffgehalt, deutet darauf hin, dass der Antragsteller regelmäßig Drogen konsumiert, u.a. auch LSD, ein halbsynthetisches Halluzinogen und eine der wirkungsstärksten Drogen überhaupt (vgl. https://www.emcdda.europa.eu/publications/drug-profiles/lsd_de; zuletzt besucht am 20.3.2023). Sowohl das Führen seines Kfz im öffentlichen Straßenverkehr als auch der Dienstantritt unter Drogeneinfluss sprechen ebenfalls für die charakterliche Labilität im Umgang mit Drogen.
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bb. Die Verstöße gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz (§ 52 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 WaffG i.V.m. § 2 Abs. 2, Abs. 3 WaffG, Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.3, Nr. 1.4.3, Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 zum WaffG, § 40 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 SprengG) sind als schwerwiegend anzusehen. Auch diese Vorkommnisse offenbaren einen erheblichen Mangel an Verantwortungsbewusstsein in einem sicherheitsrelevanten Bereich. Der Staat, der das Gewaltmonopol besitzt, kann es nicht dulden, dass es im Umgang mit Waffen bei Polizeibeamten zu ernsthaften Unregelmäßigkeiten kommt. Ebenso ist es nicht hinnehmbar, dass ein Bundespolizist gerade die Rechtsvorschriften verletzt, zu deren Schutz er berufen ist.
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cc. Hinzukommt der fehlerhafte Umgang mit der Dienstwaffe. Der Antragsteller hat damit zwar keine Kernpflicht verletzt, gleichwohl sind die Dienstpflichten der hohen Verantwortung bei Umgang mit Waffen entsprechend besonders bedeutsam (BVerwG, U.v. 5.7.2006 – 1 D 5.05 – juris Rn. 40).
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dd. Bei einer zusammenfassenden Betrachtung der Dienstpflichtverletzungen des Antragstellers wäre bei einem Lebenszeitbeamten jedenfalls die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge verwirkt, zumal sich aus den dem Senat vorliegenden Akten keine entlastenden Umstände von erheblichem Gewicht ergeben, die dazu führen könnten, dass von einer förmlichen Disziplinarmaßnahme abzusehen wäre. Der Antragsteller lässt zwar schriftsätzlich vortragen, dass durch einen entsprechenden Nachweis der Drogenfreiheit sowie weitergehender Rehabilitationsmaßnahmen ein weiteres Fehlverhalten für die Zukunft ausgeschlossen werden könne, etwaige Therapiemaßnahmen können jedoch bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme nur mildernd berücksichtigt werden, wenn das Ergebnis der Therapie positiv ausfällt und eine günstige Zukunftsprognose gestellt werden kann (BVerwG, B.v. 22.3.2016 – 2 B 43.15 – juris Rn. 7 m.w.N.). Darüber ist dem Senat nichts bekannt.
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Die Entscheidung über die Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge des betroffenen Beamten steht nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BDG im Ermessen der für die Erhebung des Disziplinarklage zuständigen Behörde. Ausgehend von den dem Gericht derzeit vorliegenden Unterlagen erweist sich die Entscheidung nicht als ermessensfehlerhaft. Auch der Antragsteller hat sich nicht gegen die Höhe des Einbehalts gewendet.
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3. Im Falle veränderter Umstände hat der Antragsteller die Möglichkeit, ein gerichtliches Abänderungsverfahren zu beantragen (§ 63 Abs. 2 BDG; § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO).
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 3 BDG i.V.m. § 152 VwGO).