Titel:
Entzug der Gemeinschaftslizenz für den gewerblichen Güterkraftverkehr
Normenketten:
VO (EG) Nr. 1072/2009 Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 2
VO (EG) Nr. 1071/2009 Art. 3, Art. 6 Abs. 1
GüKG § 3 Abs. 5
GüKGrKabotageV § 1 Abs. 1
GBZugV § 2
Leitsätze:
Zahlreiche Verstöße gegen die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten lassen darauf schließen, dass die Geschäftsführer und Verkehrsleiter, deren Verhalten sich die juristische Person als Lizenzinhaberin zurechnen lassen muss, entweder entsprechende Verstöße durch zu enge zeitliche Vorgaben bewusst in Kauf genommen oder aber zumindest ihre Aufsichtspflicht verletzt und keine hinreichenden Vorkehrungen zur Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten getroffen haben. Dies rechtfertigt die Prognose, dass die Kl’in auch in Zukunft keine Gewähr dafür bietet, das Transportunternehmen in Zukunft ordnungsgemäß zu führen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Entzug der Gemeinschaftslizenz für den gewerblichen Güterkraftverkehr wegen fehlender Zuverlässigkeit ist rechtmäßig, wenn es zu erheblichen Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten, zur Verfälschung der Daten im Fahrtenschreiber und zur Verwendung einer Fahrerkarte durch einen anderen Fahrer gekommen ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entzug der Gemeinschaftslizenz für den gewerblichen Güterkraftverkehr, fehlende Zuverlässigkeit des Unternehmers wegen Verstößen u.a. gegen Lenk- und Ruhezeiten, maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage, Fahrerkarte, Güterkraftverkehr, Fahrtenschreiber
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 16.02.2022 – M 23 K 20.604
Fundstellen:
LSK 2023, 7296
GewA 2023, 262
BeckRS 2023, 7296
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen den Entzug einer Lizenz für den grenzüberschreitenden gewerblichen Güterkraftverkehr.
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Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, betreibt eine Spedition. Mit Bescheid vom 7. März 2013 erteilte die Landeshauptstadt München ihr eine bis zum 13. März 2023 gültige Gemeinschaftslizenz für den gewerblichen Güterkraftverkehr. Nachdem die Klägerin ihren Betriebssitz in den Landkreis München verlegt hatte, schrieb das Landratsamt München die Lizenz unter dem 28. Februar 2017 um.
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Im August 2018 wurde dem Landratsamt bekannt, dass die Behörden in Großbritannien im Jahr 2018 eine Reihe von Geldbußen gegen die Klägerin wegen Verstößen gegen die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten verhängt hatten. Diese werden in der Verkehrsunternehmerdatei des Bundesamts für Güterverkehr in zwei Fällen als sehr schwerwiegende und in vier Fällen als schwerwiegende Rechtsverletzungen eingestuft. Hinzu kam ein Verbot wegen einer als schwerste Rechtsverletzung eingestuften Verwendung einer Fahrerkarte durch einen Fahrer, der nicht ihr Inhaber war.
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Auf die nachfolgende Anhörung zum Entzug hin mahnte die Klägerin zwei ihrer Fahrer wegen der genannten Verstöße ab. Zudem beschlossen die Gesellschafter am 2. Januar 2019, Herrn M* …, einen der beiden Geschäftsführer, der gleichzeitig als Verkehrsleiter benannt war, von beiden Positionen abzuberufen und den verbleibenden alleinigen Geschäftsführer, Herrn V* …, als Verkehrsleiter zu bestellen.
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In der Folgezeit erfuhr das Landratsamt, dass die Behörden in Großbritannien gegen die Klägerin weitere Sanktionen wegen Verstößen im Zeitraum Mai 2019 bis September 2019 verhängt hatten, die bei der Kontrolle von drei verschiedenen Fahrzeugen festgestellt worden waren. Dabei handelt es sich um unzureichende Ruhezeiten, die in der Verkehrsunternehmerdatei des Bundesamts für Güterverkehr in vier Fällen als sehr schwerwiegende und in vier Fällen als schwerwiegende Rechtsverletzungen eingestuft wurden. Hinzu kamen Überschreitungen der Lenkzeit, die in drei Fällen als sehr schwerwiegende und in einem Fall – angesichts einer Überschreitung der täglichen Lenkzeit von 10 Stunden um mindestens 50% am 10. September 2019 – als schwerste Rechtsverletzung eingestuft wurden. Schließlich wurde noch eine Verfälschung, Verschleierung, Unterdrückung oder Vernichtung der auf dem Schaublatt aufgezeichneten Daten oder der im Fahrtenschreiber und/oder auf der Fahrerkarte gespeicherten oder von diesen heruntergeladenen Daten sanktioniert, die als schwerste Rechtsverletzung eingestuft war.
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Mit Bescheid vom 10. Januar 2020 entzog das Landratsamt der Klägerin nach erneuter Anhörung die vorgenannte Gemeinschaftslizenz für den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr samt beglaubigter Kopien und verpflichtete sie unter Androhung eines Zwangsgelds zur Einstellung des gewerblichen Güterkraftverkehrs sowie zur Rückgabe der Lizenzurkunde mit den beglaubigten Kopien. Angesichts drei schwerster und 18 schwerwiegender bzw. sehr schwerwiegender Verstöße gegen Unionsvorschriften im gewerblichen Güterverkehr sei die Klägerin unzuverlässig, so dass die Lizenz gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 zu entziehen sei. Der Wechsel in Geschäftsführung sowie Verkehrsleitung im Jahr 2018 habe zu keiner Verhaltensänderung geführt, so dass auch für die Zukunft von einer nicht ordnungsgemäßen Ausübung des Gewerbes ausgegangen werden müsse.
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Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 16. Februar 2022 abgewiesen. Das Landratsamt habe zutreffend festgestellt, dass die Klägerin nicht zuverlässig sei. Von den für sie tätigen Fahrern sei sowohl unter dem früheren als auch unter dem neuen Verkehrsleiter und Geschäftsführer eine Vielzahl von Verstößen gegen Unionsvorschriften im gewerblichen Güterverkehr begangen worden, die zumeist mit Bußgeld geahndet worden seien. Drei davon seien im Anhang IV zur Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 als schwerste Verstöße gelistet und schlössen gemäß § 2 Abs. 2 GBZugV im Regelfall schon einzeln betrachtet die Zuverlässigkeit aus, sofern ein deswegen ergangener Bußgeldbescheid – wie hier – unanfechtbar geworden sei. Dies seien die Verwendung einer Fahrerkarte durch einen anderen Fahrer, die Überschreitung der täglichen Lenkzeit von 10 Stunden um mindestens 50% am 10. September 2019 sowie die Verfälschung, Verschleierung, Unterdrückung oder Vernichtung der auf dem Schaublatt aufgezeichneten Daten oder der im Fahrtenschreiber und/oder auf der Fahrerkarte gespeicherten oder von diesen heruntergeladenen Daten. Dies sowie die weiteren Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten rechtfertigten prognostisch ohne Weiteres die Annahme, dass im Unternehmen der Klägerin auch zukünftig gegen einschlägige Rechtsvorschriften verstoßen werde. Insbesondere hätten etwaige Maßnahmen des neuen Geschäftsführers und Verkehrsleiters nicht dazu geführt, dass die Regelverletzungen abgestellt worden seien.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und einen Verfahrensmangel geltend.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist ungeachtet der Frage, ob sich der Bescheid nicht mit dem Ablauf der Gültigkeit der in Rede stehenden Gemeinschaftslizenz mit dem 13. März 2023 erledigt hat, zulässig, da eine Erledigung der Hauptsache zwischen den Instanzen die Beschwer nicht entfallen lässt. Wer als Beteiligter – wie hier die Klägerin – durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist, kann ein Rechtsmittel allein zu dem Zweck einlegen und fortführen, damit in dem Rechtsmittel die prozessualen Folgerungen aus einer inzwischen eingetretenen Erledigung der Hauptsache gezogen werden können (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.2014 – 6 B 3.14 – MMR 2014, 780 = juris Rn. 15 f. zur Nichtzulassungsbeschwerde; BayVGH, B.v. 6.12.2022 – 11 ZB 22.1662 – juris Rn. 17m.w.N.; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 337 f.).
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2. Aus dem Vorbringen der Klägerin, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne nähere Prüfung beantworten lässt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – BayVBl 2022, 493 Rn. 11; OVG NW, B.v. 1.10.2020 – 1 A 2433/20 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 8.12.2019 – 6 A 740/19 – juris Rn. 3; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16 f.; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 9). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
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a) Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Entzugs der Gemeinschaftslizenz für den grenzüberschreitenden Güterverkehr ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2011 – 11 CS 11.37 – juris Rn. 18 f.; OVG NW, B.v. 12.4.2013 – 13 B 255/13 – juris Rn. 11; VG Hamburg, B.v. 4.12.2019 – 15 E 4685/19 – juris Rn. 44 ff.). Abzustellen ist danach hier auf den Erlass des Bescheids vom 10. Januar 2020.
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Rechtsgrundlage für den angegriffenen Entzug der Gemeinschaftslizenz ist Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (ABl EU Nr. L 300 S. 72), die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 517/213 des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl EU Nr. L 158 S. 1) geändert worden ist, i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr und den Kabotageverkehr (GüKGrKabotageV) vom 28. Dezember 2011 (BGBl 2012 I S. 42), die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt durch Verordnung vom 19. Dezember 2016 (BGBl I S. 2920) geändert worden ist, sowie § 3 Abs. 5 Satz 2 des Güterkraftverkehrsgesetzes (GüKG) vom 22. Juni 1998 (BGBl I S. 1485), das zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt durch Gesetz vom 20. November 2019 (BGBl I S. 1626) geändert worden ist. Danach ist eine Gemeinschaftslizenz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen auftreten, auf Grund derer der Inhaber der Gemeinschaftslizenz die in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 genannten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. In diesem Fall ist die Entziehung zwingend, ohne dass der Behörde ein Ermessensspielraum zukäme (vgl. OVG NW, B.v. 27.3.2018 – 13 B 184/18 – juris Rn. 3; B.v. 12.4.2013 – 13 B 255/13 – juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 23.6.2016 – 7 ME 54/16 – juris Rn. 7).
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Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 wird eine Gemeinschaftslizenz erteilt, wenn der gewerbliche Güterkraftverkehrsunternehmer in dem Niederlassungsmitgliedstaat gemäß den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und den innerstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats über den Zugang zum Beruf des Verkehrsunternehmers zur Durchführung des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs berechtigt ist. Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der RL 96/26/EG des Rates (ABl EU Nr. L 300 S. 51), die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt mit Verordnung (EU) Nr. 517/2013 des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl EU Nr. L 158 S. 1) geändert worden ist, müssen Unternehmen, die den Beruf des Kraftverkehrsunternehmers ausüben, u.a. zuverlässig sein.
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Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 legen die Mitgliedstaaten die Anforderungen der Zuverlässigkeit fest. Die von einem Unternehmen zu erfüllenden Mindestvoraussetzungen ergeben sich dabei aus Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Verordnung. Im Übrigen ist es den Mitgliedstaaten unbenommen, strengere Anforderungen zu stellen. Nach § 2 Abs. 1 der Berufszugangsverordnung für den Güterkraftverkehr vom 21. Dezember 2011 – GBZugV – (BGBl I S. 3120), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 5. November 2013 (BGBl I S. 3920), sind der Unternehmer und der Verkehrsleiter zuverlässig, wenn keine Tatsachen dafür vorliegen, dass (1.) bei der Führung des Unternehmens gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen oder (2.) bei dem Betrieb des Unternehmens die Allgemeinheit geschädigt oder gefährdet wird. Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen sie nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GBZugV in der Regel nicht, wenn sie wegen eines schwersten Verstoßes gegen Gemeinschaftsvorschriften im Sinne des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 rechtskräftig verurteilt sind oder ein gegen sie ergangener Bußgeldbescheid unanfechtbar geworden ist. Darüber hinaus können sie auch wegen unterhalb dieser Schwelle liegender Verstöße unzuverlässig sein, u.a. bei schweren Verstößen gegen arbeits- und sozialrechtliche Pflichten (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b GBZugV). Allerdings bedarf es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht nur unerheblicher und vereinzelter Rechtsverstöße oder Gefährdungen (vgl. OVG NW, B.v. 27.3.2018 – 13 B 184/18 – juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 23.6.2016 – 7 ME 54/16 – juris Rn. 8; vgl. zu alldem auch BayVGH, B.v. 28.2.2018 – 11 CE 17.1056 – juris Rn. 16).
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Zu den schwersten Verstößen gegen Gemeinschaftsvorschriften im Sinne des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 gehören u.a. die Überschreitung der maximalen Tageslenkzeit um 50% oder mehr ohne Pause oder ohne unterbrochene Ruhezeit von mindestens 4,5 Stunden während der täglichen Arbeitszeit (Nr. 1 Buchst. b), die Fälschung der Schaublätter oder der vom Fahrtenschreiber und/oder von der Fahrerkarte heruntergeladenen Daten (Nr. 2) sowie die Verwendung einer Fahrerkarte eines anderen Fahrers (Nr. 6). Eine Liste schwerwiegender Verstöße, die zusätzlich zu den in Anhang IV der genannten Verordnung aufgeführten Verstößen zur Aberkennung der Zuverlässigkeit des Kraftverkehrsunternehmens oder des Verkehrsleiters führen können, findet sich in der auf Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 gestützten Verordnung (EU) 2016/403 der Kommission vom 18. März 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Einstufung schwerwiegender Verstöße gegen die Unionsvorschriften, die zur Aberkennung der Zuverlässigkeit der Kraftverkehrsunternehmer führen können, sowie zur Änderung von Anhang III der RL 2006/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl L 74 S. 8). Diese enthält u.a. „schwerste Verstöße“ (MSI), die den schwersten Verstößen gegen Gemeinschaftsvorschriften im Sinne des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 ersichtlich gleichgestellt sind, so dass schon eine derartige Verfehlung grundsätzlich auf die Unzuverlässigkeit schließen lassen kann (vgl. dazu Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, Stand 2. Ergänzungslieferung 2022, T 215 Art. 6 Verordnung [EG] Nr. 1071/2009 Rn. 8 f., 4 ff.). Dazu gehört u.a. die Verfälschung, Verschleierung, Unterdrückung oder Vernichtung der auf dem Schaublatt aufgezeichneten Daten oder der im Fahrtenschreiber und/oder auf der Fahrerkarte gespeicherten oder von diesen heruntergeladenen Daten (Anhang I, Gruppen von Verstößen gegen die Verordnung [EU] Nr. 165/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates [Fahrtenschreiber], Nr. 10).
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b) Davon ausgehend stellt der Antrag auf Zulassung der Berufung die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klägerin sei als unzuverlässig anzusehen, nicht ernstlich in Frage.
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aa) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Unternehmen der Klägerin sowohl vor als auch nach Abberufung des Herrn M* … als Geschäftsführer und Verkehrsleiter eine Vielzahl schwerwiegender Verstöße gegen Unionsvorschriften im gewerblichen Güterverkehr begangen wurden. Die im Jahr 2018 erfolgte Verwendung der Fahrerkarte eines anderen Fahrers ist ohne Weiteres als schwerster Verstoß im Sinne der Nr. 6 des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 einzustufen. Die Überschreitung der maximalen Tageslenkzeit von 10 Stunden um 50% oder mehr ohne Pause oder ohne ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 4,5 Stunden am 10. September 2019 stellt einen schwersten Verstoß im Sinne der Nr. 1 Buchst. b des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 dar. Die Verfälschung, Verschleierung, Unterdrückung oder Vernichtung der auf dem Schaublatt aufgezeichneten Daten oder der im Fahrtenschreiber und/oder auf der Fahrerkarte gespeicherten oder von diesen heruntergeladenen Daten vom selben Tage ist entweder als schwerster Verstoß im Sinne der Nr. 2 des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 oder zumindest als gleichgestellter schwerster Verstoß im Sinne der Nr. 10 des Anhangs I zur Verordnung (EU) 2016/403, Gruppen von Verstößen gegen die Verordnung (EU) Nr. 165/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates (Fahrtenschreiber), einzuordnen. Konkrete Umstände des Einzelfalls, die die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit entkräften (vgl. dazu BayVGH, B.v. 28.2.2018 – 11 CE 17.1056 – juris Rn. 20; Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, T 215 Art. 6 Verordnung [EG] Nr. 1071/2009 Rn. 4 f.), sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Hinzu kommen weitere zahlreiche Verstöße gegen die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten. Das lässt darauf schließen, dass die Geschäftsführer und Verkehrsleiter, deren Verhalten die Klägerin sich zurechnen lassen muss, entweder entsprechende Verstöße durch zu enge zeitliche Vorgaben bewusst in Kauf genommen oder aber zumindest ihre Aufsichtspflicht verletzt und keine hinreichenden Vorkehrungen zur Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten getroffen haben (vgl. dazu NdsOVG, B.v. 23.6.2016 – 7 ME 54/16 – juris Rn. 13 ff.). Dies rechtfertigte die Prognose, dass die Klägerin auch in Zukunft keine Gewähr dafür bietet, das Transportunternehmen in Zukunft ordnungsgemäß zu führen.
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bb) Wenn die Klägerin geltend macht, die Verstöße stammten aus den Jahren 2018 und 2019, während für die Folgejahre keine entsprechenden Vorkommnisse dokumentiert seien, vermag sie damit nicht durchzudringen. Dass die Vorfälle aus den Jahren 2018 und 2019 bei Bescheiderlass in zeitlicher Hinsicht nicht mehr verwertbar gewesen wären, ist weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Im Übrigen kommt es, wie der Beklagte zutreffend geltend gemacht hat, nach den vorgenannten Maßstäben für die Rechtmäßigkeit des Entzugs auf die Sach- und Rechtslage bei Bescheiderlass an und können danach liegende Entwicklungen allenfalls in einem Verfahren zur Neuerteilung einer Gemeinschaftslizenz Berücksichtigung finden.
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3. Schließlich liegt auch der gerügte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht vor.
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Wenn die Klägerin beanstandet, das Gericht hätte eruieren müssen, ob nach dem letzten festgestellten Verstoß aus dem September 2019 weitere Verstöße begangen worden seien und wie sich die Lage aktuell darstelle, zielt das auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
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Da das Verwaltungsgericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 101 Abs. 2 VwGO) und die Klägerin nach dem Verzicht auf die mündliche Verhandlung schriftsätzlich keinen Beweisantrag gestellt hat (vgl. dazu BVerwG, U.v. 30.5.1989 – 1 C 57.87 – BVerwGE 82, 117 = juris Rn. 12), könnte das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht allein dann verletzt haben, wenn sich ihm von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus eine weitere Ermittlung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – Buchholz 310 § 133 (nF) VwGO Nr. 4 = juris Rn. 9; B.v. 15.1.2008 – 9 B 7.07 – NVwZ 2008, 675 = juris Rn. 3; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 191). Dies ist hier bereits nicht dargelegt, aber auch nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat ersichtlich – in Einklang mit den vorgenannten Grundsätzen – auf die Sachlage zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses abgestellt.
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4. Als unterlegene Rechtsmittelführerin hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 47.1 des Streitwertkatalogs 2013.
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6. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).