Titel:
Verlustfeststellung bei einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4, § 124a Abs. 4 S. 4
FreizügG/EU § 6, § 7
Leitsatz:
Eine positive Entscheidung über die Straf(rest)aussetzung zur Bewährung schließt nicht von vornherein aus, dass die Verwaltungsgerichte zu einer von deren Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr gelangen, wobei es hierzu einer substantiierten, mithin eigenständigen Begründung bedarf (vgl. zum Ausweisungsrecht BVerfG BeckRS 2021, 40836 mwN). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung, Verlustfeststellung, Recht auf Einreise und Aufenthalt, Kroatien, Strafrestaussetzung zur Bewährung, Wiederholungsgefahr, Gefahrenprognose, Bewährungsfrist
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 01.12.2022 – M 27 K 21.460
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7294
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf Euro 5.000,-- festgesetzt.
Gründe
1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine vor dem Verwaltungsgericht erfolglose Klage gegen die mit Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2021 erlassene Feststellung weiter, dass er sein Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet verloren hat.
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1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO liegen nicht vor beziehungsweise sind nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
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a) Dies gilt insbesondere für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16).
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bb) Das Zulassungsvorbringen zeigt keine derartigen Zweifel auf.
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Nicht durchdringen kann die Klägerseite insbesondere mit dem gegen die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts gerichteten Einwand, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Haft den Kläger, der sich dort seit dem Jahr 2019 erstmals befunden habe und dann zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden und vorher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, bereits so beeindruckt habe, dass er zukünftig keine Straftaten mehr begehen werde. Unabhängig davon, dass der Einwand pauschal ist, lässt er eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Wiederholungsgefahr vermissen (vgl. UA S. 8 f.).
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Nicht zum Erfolg verhilft der Klägerseite auch der Einwand, dass sich die Prognose der Strafvollstreckungskammer in dem Beschluss vom 17. Juli 2021 über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung bewahrheitet habe, weil der Kläger neue Straftaten und Bewährungsverstöße unterlassen habe und nunmehr ein geordnetes und straffreies Leben führe. Das Verwaltungsgericht hat – neben den Begleitumständen, der Art und Weise sowie den Folgen der Straftat − darauf abgestellt, dass auch nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer bei dem Kläger die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten fortbestehe, wie sich aus der Auferlegung einer dreijährigen Bewährungsfrist und der Unterstellung des Klägers unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers ergebe (vgl. UA S. 8). Außerdem hat es das Wohlverhalten des Klägers unter dem Aspekt des strafbewehrten Legalbewährungsdrucks gewürdigt (vgl. UA S. 9). Abgesehen davon, dass dies in der Sache nicht zu beanstanden ist, setzt sich die Klägerseite mit all dem nicht auseinander. Insofern hilft auch der Verweis der Klägerseite auf „2 BvR 860/21“ nicht weiter. Denn auch nach der genannten Entscheidung der zweiten Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts schließt eine positive Entscheidung über die Straf(rest) aussetzung zur Bewährung es nicht von vornherein aus, dass die Verwaltungsgerichte zu einer von deren Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr gelangen, wobei es hierzu einer substantiierten, mithin eigenständigen Begründung bedarf (vgl. zum Ausweisungsrecht: BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19 m.w.N.). Das Zulassungsvorbringen zeigt jedoch aus genannten Gründen nicht auf, dass das Verwaltungsgericht die wesentliche Bedeutung der genannten Aussetzungsentscheidung verkannt hätte beziehungsweise ohne substantiierte Begründung hiervon abgewichen wäre (s.o. u. i.Ü.: UA S. 8: „wesentliches Indiz“).
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b) Zu den übrigen ebenfalls geltend gemachten Zulassungsgründen nach § 124 Abs. 2 Nrn. 2 und 4 VwGO hat die Klägerseite keine Ausführungen gemacht. Weder ist das Vorliegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten noch das Vorliegen einer Divergenz den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügend dargelegt.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 8.1 des Katalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend.
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.