Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren (Lebensunterhalt durch eigenes Vermögen)
Normenkette:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Nicht jedweder Wohlstand reicht aus, um eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG sachlich zu rechtfertigen, sondern es darf bezogen auf die voraussichtliche Aufenthaltsdauer keine (nennenswerte) Aufzehrung des Vernmögensstocks zu erwarten sein. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bestimmung der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer − wobei „voraussichtlich“ bedeutet, soweit man diese aufgrund von konkreten objektiven Anhaltspunkten prognostizieren kann − sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung, Aufenthaltserlaubnis, Nicht vom Aufenthaltsgesetz vorgesehener Aufenthaltszweck, Begründeter Fall, Vermögender Ausländer, begründeter Fall, ungeschriebener Aufenthaltszweck, Vermögen, Lebensunterhalt, voraussichtliche Aufenthaltsdauer
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 12.05.2021 – M 25 K 19.2489
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7293
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre vor dem Verwaltungsgericht erfolglose Klage weiter, die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Mai 2019 über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, wobei sie die Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht dahingehend modifiziert hat, dass „die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lediglich um ein Jahr begehrt“ wird.
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1. Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem Zulassungsvorbringen, das allein der rechtlichen Überprüfung durch den Senat unterliegt, ergeben sich die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht.
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a) Insbesondere ist eine Abweichung des erstinstanzlichen Gerichts von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht hinreichend dargelegt und liegt auch nicht vor.
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aa) Die Darlegung einer Divergenz erfordert, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnet wird, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist. Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird. Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2022 -10 ZB 22.2042 – juris Rn. 11 m.w.N.).
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bb) Die Klägerseite trägt hierzu vor, dass das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts von „BayVGH, B.v. 8.11.2019 – 10 CS 19.1798 – juris“ abweiche, und zitiert sodann folgende Passagen (Unterstreichungen d. Klägerseite im Original):
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„Vor diesem Hintergrund erscheint es nach Auffassung des Senats auch als sachgerecht, dass zur Begründung eines besonderen Falles im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gefordert wird, dass das Vermögen so groß ist, dass der Ausländer davon – mit einer gewissen Nachhaltigkeit – seinen Lebensunterhalt bestreiten kann (vgl. VG Freiburg, U.v. 18.7.2018 – 1 K 1083/17 – juris Rn. 32 f. m.w.N.; VG Stuttgart, B.v. 10.6.2010 – 2 K 1260/10 – juris Rn. 8 a.E.). Denn § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangt ebenfalls eine grundsätzlich dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts durch eigenes Einkommen, wobei die Befähigung zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen oder sonstigen verfügbaren Mitteln erwachsen kann (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2009 – 1 C 17.08 – juris Rn. 33; BayVGH, U.v. 1.10.2008 – 10 BV 08.256 – juris Rn. 24; B.v. 12.11.2008 – 19 ZB 08.1943 u.a. – juris Rn. 3 ff.; NdsOVG, B.v. 29.11.2006 – 11 LB 127/06 – juris Rn. 5 f.). Bei der Prognose über die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG muss die Dauerhaftigkeit der Einkommenserzielung bezogen auf den voraussichtlichen Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebiet festgestellt werden (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2008 – 10 BV 08.256 – juris Rn. 22 f.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 24.4.2014 – 11 S 14/12 – juris; siehe auch Nr. 2.3.3 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum AufenthG v. 26.10.2009).“
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„Hiervon ausgehend bleibt es der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob angesichts der von der Antragstellerin dargelegten Vermögens- und Wohnsituation sowie ihrer Altersversorgung die erforderliche Nachhaltigkeit der Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenem Vermögen angenommen bzw. von einer (nennenswerten) Aufzehrung des Vermögensstocks bezogen auf die beabsichtigte Dauer des Aufenthalts ausgegangen werden kann.“
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Im Anschluss daran bemängelt die Klägerseite, dass das Verwaltungsgericht nur auf das Bankguthaben der Klägerin abgestellt und sonstige verfügbare Mittel wie den Miteigentumsanteil an der Münchner Wohnung und den Rückkaufwert der Versicherungspolice außer Acht gelassen habe. Außerdem habe das Verwaltungsgericht nicht auf die voraussichtliche Aufenthaltsdauer, nämlich den beantragten Zeitraum von einem Jahr, abgestellt, sondern auf einen unbestimmten Zeitraum, obwohl die Klägerseite vorgetragen habe, dass eine weitere Verlängerung von Seiten der Klägerin derzeit nicht geplant sei, die erst die Entwicklung ihrer Lebensverhältnisse in Deutschland abwarten wolle, und dass eine bedingte Verlängerungsabsicht nicht in die von dem Senat als erforderlich angesehene voraussichtliche Aufenthaltsdauer einfließen dürfe.
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cc) Gemessen an den vorstehenden Anforderungen zeigt das Zulassungsvorbringen eine entscheidungserhebliche Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht auf. Die Klägerseite hat den Sätzen des Senats keine tragenden abweichenden Rechts- oder Tatsachensätze des Verwaltungsgerichts gegenübergestellt. Gegenstand der Ausführungen der Klägerseite ist erkennbar die konkrete Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts. Eine bloße Ergebnisdivergenz oder auch eine unrichtige Anwendung eines Rechtssatzes vermögen eine Divergenzrüge nicht zu begründen (s.o., vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 42 a.E. m.w.N.).
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b) Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nicht hinreichend dargelegt und liegt auch nicht vor.
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aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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bb) Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen eines begründeten Falles gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG abgelehnt, weil es sich bei der Klägerin nicht um eine Person handeln würde, die unter die anerkannte Fallgruppe eines „vermögender Ausländers“ im Sinne von Nr. 7.1.3 VwV-AufenthG fallen würde. Dabei hat sich das Verwaltungsgericht insbesondere aus systematischen Gründen mit Blick auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auf den Standpunkt gestellt, dass der Ausländer über ein so großes Vermögen verfügen müsse, dass dieser seinen Lebensunterhalt mit einer gewissen Nachhaltigkeit beziehungsweise dauerhaft aus den Erträgen seines Vermögens bestreiten könne, ohne den Vermögensstock aufzubrauchen, oder über dauerhafte Erträge aus einem fremden Kapitalstock wie bei einer Rente verfüge (vgl. UA S. 7). Das Verwaltungsgericht hat sodann verwertet, dass die Klägerin, die mietfrei in der ihr und ihrem Ehemann gehörenden Wohnung wohnen könne, über ein Bankguthaben in Höhe von 80.000,- Euro verfüge. Weiter seien Bescheinigungen über verschiedene Rentenversicherungen vorgelegt worden, die erst in mehreren Jahren abliefen. Die Zahlungen für die Altersvorsorge sowie für das mit einer Grundschuld an der Wohnung gesicherte Darlehen leiste allerdings der Ehemann der Klägerin. Da diese erklärt habe, dass sie den Lebensunterhalt von dem Bankguthaben bestreiten würde, würde sie nicht aus den Erträgen ihres Vermögens leben, sondern den Kapitalstock zunehmend aufbrauchen. Der Verzehr des Kapitalstocks könne auch nicht wegen der avisierten Aufenthaltsdauer von zunächst einem Jahr hingenommen werden. Es möge sein, dass die Klägerin bezogen auf ein Jahr ihren Lebensunterhalt von dem Bankguthaben gut bestreiten könne. Da sie jedoch nicht ausgeschlossen habe, nach Ablauf des Jahres eine Verlängerung zu beantragen, so dass ihr über das eine Jahr hinaus eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG auszustellen sei, sei schon jetzt eine längere Aufenthaltsdauer in den Blick zu nehmen. Damit sei im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer ein über das eine Jahr hinausgehender Aufenthalt zu Grunde zu legen, so dass bei einem Verbrauch des Kapitalstocks die Nachhaltigkeit der Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr gegeben sei. Weiter hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt, dass die Klägerin ihr Vermögen ausschließlich von ihrem Ehemann beziehen würde, also von ihm finanziell abhängig wäre, so dass nicht gesichert erscheine, dass die Klägerin stets über das Vermögen verfügen könne und ihr Ehemann auch in Zukunft beispielsweise die Zahlungen für die Altersvorsorge und für das Darlehen für die Wohnung leisten würde (vgl. UA S. 8 f.).
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cc) Gemessen an den vorstehenden Maßstäben zeigt das Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auf.
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(1) Nicht durchdringen kann die Klägerseite insbesondere mit dem Einwand, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach der Ausländer über ein so großes Vermögen verfügen müsse, dass er seinen Lebensunterhalt mit einer gewissen Nachhaltigkeit beziehungsweise dauerhaft aus den laufenden Erträgen seines Vermögens bestreiten könne, ohne den Vermögensstock aufzubrauchen, sei verfehlt. So verlange § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine grundsätzlich dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts durch eigenes Einkommen, wobei die Befähigung zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen oder sonstigen verfügbaren Mitteln erwachsen könne (unter Verweis auf: BayVGH, B.v. 8.11.2019 – 10 CS 19.1798 – juris).
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Nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG kann „in begründeten Fällen“ eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Hierbei ist unter Berücksichtigung der für und gegen den Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet sprechenden schutzwürdigen Individualinteressen des Ausländers und öffentlichen Interessen zu entscheiden (vgl. Nr. 7.1.3 Satz 6 VwV-AufenthG). Anerkannt ist hierbei die Fallgruppe des vermögenden Ausländers, der sich in Deutschland niederlassen möchte, um hier von seinem Vermögen zu leben (vgl. Nr. 7.1.3 Satz 3 VwV-AufenthG). Nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie aus Gründen der Systematik reicht nicht jedweder Wohlstand aus, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG sachlich zu rechtfertigen (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 14. Auflage, 2022, § 7 Rn. 16: „Millionärsregelung“). Zum einen ergibt sich dies daraus, dass die eigenständige Rechtsgrundlage des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auf Tatbestandsseite im Hinblick auf die im Aufenthaltsgesetz (ausdrücklich) vorgesehenen Aufenthaltszwecke eine gewisse Wertigkeit aufweisen muss („in begründeten Fällen“ u. „auch“). Zum anderen folgt dies, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, aus dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, das als allgemeine Erteilungsvoraussetzung im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG Anwendung findet. Danach ist zu prognostizieren, ob der Ausländer auch in Zukunft den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel erbringen kann (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2013 − 10 CS 13.1449, 10 C 13.1451 − juris Rn. 20 u. 25). In der Fallgruppe des „vermögenden Ausländers“ in § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG muss das erforderliche Vermögen daher über die bloße Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehen, weil die Tatbestandsvoraussetzung eines „begründeten Falls“ nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG wegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sonst in dieser Konstellation keinen eigenständigen Regelungsgehalt hätte. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich demgemäß, dass bei einer Person, die gestützt auf privates Vermögen einen begründeten Fall im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geltend macht, bezogen auf die voraussichtliche Aufenthaltsdauer keine (nennenswerte) Aufzehrung des Vermögensstocks zu erwarten sein darf (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2019 – 10 CS 19.1798 – juris Rn. 20; vgl. ebenfalls: VG Karlsruhe, U.v. 23.11.2021 – 1 K 3409/20 − juris Rn. 47 a.E.; VG Freiburg, U.v. 18.7.2018 – 1 K 1083/17 – juris Rn. 32 ff. m.w.N.).
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Mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu dem insoweit einschlägigen Maßstab (vgl. UA S. 7 f.) sowie der Rechtsprechung des Senats hierzu (s.o.) setzt sich die Klägerseite nicht substantiiert auseinander. Ob es in diesem Zusammenhang einer wirtschaftlichen inländischen Kosten-Nutzen-Analyse bedarf, wie der Vertreter des öffentlichen Interesses argumentiert, kann dahinstehen. Soweit die Klägerseite sich auf die Definition des dauerhaft gesicherten Lebensunterhalts des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG beruft, geht dies an der Sache vorbei, weil sich aus dieser anwendbaren allgemeinen Erteilungsvoraussetzung vielmehr gerade ergibt, dass das nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erforderliche Vermögen als Unterfall der besonderen Erteilungsvoraussetzung des „begründeten Falls“ über die bloße Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehen muss (s.o.). Gleiches gilt für Verweise der Klägerseite auf nicht einschlägige und damit allein hypothetische Fallkonstellationen im Zusammenhang mit einem Millionär als Betroffenen.
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(2) Nicht durchdringen kann die Klägerseite des Weiteren mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht von einer Aufenthaltsdauer über den ausdrücklich beantragten Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis von einem Jahr ausgehen dürfen. Bei der Bestimmung der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer − wobei „voraussichtlich“ bedeutet, soweit man diese aufgrund von konkreten objektiven Anhaltspunkten prognostizieren kann (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/voraussichtlich) − sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Klägerin weist im Zusammenhang mit ihrer im Bundesgebiet lebenden Tochter seit dem Jahr 2013 Voraufenthaltszeiten im Bundesgebiet auf (vgl. UA S. 2). Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, welche die Klägerseite nicht angreift, bezog sich der ursprüngliche Verlängerungsantrag der Klägerin vom 23. Juli 2018 auf den Zeitraum „für die nächsten zwei Jahre“ (vgl. UA S. 3 u. S. 4). Erst in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerseite den schriftsätzlich angekündigten Klageantrag mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Mai 2019 über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, dahingehend modifiziert, dass „die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lediglich um ein Jahr begehrt“ wird (vgl. UA S. 5). Es ist daher ohne Weiteres schlüssig und nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin ausdrücklich nicht ausgeschlossen hat, nach Ablauf des Jahres eine weitere Verlängerung nach § 8 AufenthG zu beantragen, von einer längeren Aufenthaltsdauer ausgegangen ist. Diese Annahme zieht die Klägerseite auch nicht in Zweifel, indem sie darauf verweist, dass bereits nach ihrem Vortrag in erster Instanz eine Verlängerung „derzeit nicht geplant“ sei und die Klägerin „erst die Entwicklung ihrer Lebensverhältnisse abwarten“ wolle, wobei „gegebenenfalls eine Verlängerung für noch ein Jahr in Betracht“ komme, letzteres aber nicht in den „voraussichtlichen Zeitraum des Aufenthalts“ miteinzubeziehen, weil „voraussichtlich“ etwas „Sicheres“ oder „Wahrscheinliches“ verlange. Der von der Klägerin angegebene Zweck, sich in Deutschland niederzulassen, „um hier zu leben“ (vgl. UA S. 3), ist kein solcher, der typischerweise zeitlich begrenzt wäre. Die im Zulassungsverfahren wiederholte Absicht der Klägerin, die Entwicklung der weiteren Lebensverhältnisse abwarten zu wollen, ist vage und pauschal, gleichzeitig hat sie sich ausdrücklich eine weitere Verlängerung vorbehalten. Angesichts all dessen ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Prognose von einem voraussichtlich längeren Zeitraum ausgegangen ist.
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Auch verfängt der Einwand der Klägerseite nicht, das Verwaltungsgericht habe bei der Bestimmung der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer nicht darauf abstellen dürfen, dass der Klägerin im Falle eines Verlängerungsantrags eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG auszustellen sei, weil die Ausländerbehörde einen solchen Antrag schon am Tag des Erlasses verbescheiden könne, so dass bei Fehlen der Voraussetzungen für die Verlängerung überhaupt keine Fiktionsbescheinigung auszustellen sei beziehungsweise allenfalls ein oder zwei Monate zusätzlich anzusetzen seien. Zwar entfällt die Fortgeltungsfiktionswirkung der zu verlängernden Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG bis zu der Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde über den gestellten Antrag. Die Argumentation der Klägerseite berücksichtigt jedoch zum einen nicht die zeitlichen Abläufe bei ordnungsgemäßem behördlichen Geschäftsgang (vgl. § 75 VwGO), zum anderen kann der Betroffene bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes über den Aufschub des Vollzugs der Ausreisepflicht seinen Aufenthalt letztlich bis zu der Bestandskraft der Entscheidung ausdehnen (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 81 Rn. 49 m.w.N.)
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Nicht zum Erfolg führt des Weiteren der Einwand der Klägerseite, das Verwaltungsgericht habe nicht von einer zeitlich unbegrenzten Aufenthaltsdauer ausgehen dürfen, weil die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG stets von Gesetzes wegen zu befristen sei und weil die Vorgehensweise, einerseits die Aufenthaltserlaubnis auf ein Jahr, höchstens zwei Jahre zu beschränken, und andererseits Vermögen für eine darüber hinaus gehende Dauer zu verlangen, gesetzeswidrig, jedenfalls rechtsmissbräuchlich und willkürlich sei. Der von Klägerseite insofern vorausgesetzte Gleichlauf existiert nicht. Dass für den Aufenthaltszweck eines Betroffenen allein eine nach § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu befristende Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommt, hindert die Verwaltungsgerichte nicht daran, bei der erforderlichen Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu dem Ergebnis zu kommen, dieser wolle sich tatsächlich – auch mithilfe von notwendigen Verlängerungen – über den beantragten Zeitraum hinaus im Bundesgebiet niederlassen.
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(3) Schließlich führt auch der Einwand der Klägerseite nicht zum Erfolg, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht bei der Bestimmung des Vermögens der Klägerin nur das Bankguthaben in Betracht gezogen, aber den Miteigentumsanteil der Klägerin an der Münchener Wohnung mit einem Wert in Höhe von 238.000,- bis zu 263.000,- Euro sowie den Rückkaufswert von Versicherungspolicen in Höhe von 42.000,- Euro außer Acht gelassen, weil es ohne Anhaltspunkte angenommen habe, dass der Ehemann der Klägerin sie finanziell nicht mehr unterstützen werde, wobei das Bankguthaben und der Miteigentumsanteil auch ohne Unterstützung des Ehemanns ausreichten, um für die beantragte Dauer in Deutschland zu leben. Das Zulassungsvorbringen insoweit ist nicht hinreichend substantiiert. Eine Person, die gestützt auf privates Vermögen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG begehrt, muss darüber grundsätzlich frei, also unabhängig von Dritten aus eigenem Recht, verfügen können. Die von Klägerseite angeführte Vermögensposition des Miteigentumsanteils der Klägerin an der Münchener Wohnung ist – abgesehen davon, dass die Wohnung durch die Klägerin selbst genutzt werden soll − für diese erkennbar nicht ohne Weiteres verfügbar. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (vgl. UA S. 9) ist es der Ehemann der Klägerin, welcher aus seinem Vermögen den Zahlungspflichten aus dem Darlehen nachkommt, das mit einer Grundschuld zugunsten des Darlehensgläubigers an der Wohnung gesichert ist. Wenn die monatliche Rate, üblicherweise bestehend aus Zins und Tilgung, nicht mehr bedient wird, droht die Kündigung des Darlehensvertrags, und der Gläubiger kann die Grundschuld verwerten, mithin die Immobilie zwangsversteigern. Insofern wäre es an der Klägerseite gewesen, Unsicherheiten hinsichtlich der Verfügbarkeit beziehungsweise Verwertbarkeit auszuräumen und die Unmöglichkeit eines solchen Zahlungsausfalls näher plausibel darzutun. Gleiches gilt für die von Klägerseite angeführte Vermögensposition des Rückkaufswerts der Versicherungspolicen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (vgl. UA S. 9), ist es auch hier der Ehemann der Klägerin, welcher aus seinem Vermögen den Zahlungspflichten aus dem Versicherungsverträgen nachkommt. Die Klägerseite hat den Rückkaufswert, insbesondere den geltend gemachten Betrag, nicht erläutert (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 130: „Versicherungen befinden sich in einem ungekündigten … Zustand“). Ob im Fall eines Zahlungsausfalls beziehungsweise einer Kündigung die Beiträge an den Ehemann der Klägerin oder an die Klägerin selbst ausgekehrt werden, geht aus dem klägerischen Vorbringen und den vorgelegten Unterlagen jedoch ebenfalls nicht zweifelsfrei hervor. Auch hier wäre es an der Klägerseite gewesen, Unsicherheiten hinsichtlich der Verfügbarkeit beziehungsweise Verwertbarkeit auszuräumen und die Unmöglichkeit eines solchen Zahlungsausfalls beziehungsweise einer Kündigung beziehungsweise die Folgen hieraus näher plausibel darzutun.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 8.1 des Katalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.