Inhalt

VGH München, Beschluss v. 03.04.2023 – 1 ZB 22.2558
Titel:

Vorbescheid für Wohngebäude - Abgrenzung von Innen- und Außenbereich

Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 2
BayBO Art. 71
Leitsatz:
Ein Grundstück liegt nicht bereits deshalb innerhalb eines Bebauungszusammenhangs, weil es von Bebauung umgeben ist. Erforderlich ist, dass das Grundstück selbst einen Bestandteil dieses Zusammenhangs bildet. Dabei ist die wachsende Größe Indiz dafür, dass ein Bebauungszusammenhang eher zu verneinen ist. Eine ringsum von Bebauung umgebene Freifläche, die so groß ist, dass sich ihre Bebauung nicht mehr als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufdrängt, liegt nicht innerhalb eines Bebauungszusammenhangs iSd § 34 BauGB. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid, Abgrenzung Innen- und Außenbereich, Keine Baulücke, Bebauungszusammenhang, von Bebauung umgebene Freifläche
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 30.06.2022 – M 11 K 19.333
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7288

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 40.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids für den Neubau von zwei Wohngebäuden, die jeweils zwei Wohneinheiten enthalten sollen.
2
Das unbebaute Grundstück, das nach den Angaben im Vorbescheidsantrag mindestens 2540 m² groß ist (nach der Berechnung des Beklagten ergibt sich eine Fläche von ca. 2616 m²) wird derzeit zusammen mit dem nördlich gelegenen Grundstück FlNr. …, das nach der Berechnung des Beklagten ca. 5577 m² beträgt, landwirtschaftlich als Grünfläche genutzt. Weiter nördlich verläuft die B* …straße. Südlich des Vorhabengrundstücks grenzt Wohnbebauung an, ebenso westlich und östlich der Grünfläche. Die östliche Wohnbebauung ist durch eine Wohn straße abgetrennt und weist auf Höhe des Vorhabengrundstücks Lücken auf, so sind dort die Grundstücke FlNr. … und … unbebaut. Westlich grenzen auf Höhe des Vorhabengrundstück ein Kinderspielplatz, ein Wohngrundstück sowie ein Teil des K* …wegs direkt an; der K* …weg erschließt als Ringstraße die weiter nördlich gelegene Wohnbebauung.
3
Die Beigeladene und der Beklagte sind der Auffassung, dass das Vorhaben im Außenbereich liege und bereits aufgrund der Darstellung des Grundstückes im Flächennutzungsplan als Fläche für die Landwirtschaft öffentliche Belange beeinträchtige. Die Beigeladene stellte daher das gemeindliche Einvernehmen nicht her, der Beklagte lehnte den Vorbescheidsantrag mit Bescheid vom 5. Dezember 2018 ab.
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Die erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juni 2022 ab. Der Standort der geplanten Zweifamilienhäuser liege nach den Feststellungen des gerichtlichen Augenscheins nicht mehr innerhalb des von der umliegenden Bebauung gebildeten Bebauungszusammenhangs. Bei der das Vorhabengrundstück im Süden umgebenden Bebauung und insbesondere im Westen handle es sich nicht um eine besonders aufgelockerte Bebauung. Die Bebauung östlich der S* …straße könne nur bedingt als Maßstab herangezogen werden, da sich dort auf Höhe des Vorhabengrundstücks eine Baulücke für zwei Baugrundstücke befinde. Unter Berücksichtigung dieser konkreten örtlichen Gegebenheiten sei die Freifläche sei zu groß, um noch eine bloße Baulücke innerhalb des bestehenden Bebauungszusammenhangs annehmen zu können. Dabei sei nicht allein auf den Vorhabengrundstück abzustellen, sondern es sei auch das nördlich angrenzende Grundstück FlNr. … in die Betrachtung einzubeziehen. Als sonstiges Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB sei das Bauvorhaben nicht zulässig, da es jedenfalls den Darstelllungen des Flächennutzungsplans widerspreche; das Grundstück werde auch tatsächlich als landwirtschaftliche Grünfläche bewirtschaftet.
5
Mit dem Zulassungsantrag macht der Antragsteller geltend, dass Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 4 VwGO beständen. Die Einstufung der Bebauung im Süden und Westen als eine für den ländlichen Raum relativ dichte, kleinteilige und homogene Bebauung sei unzutreffend. Für die Beurteilung des Bebauungszusammenhangs sei auf die Fläche des Vorhabengrundstücks abzustellen; diese sei nicht so groß, dass sie nicht mehr als Baulücke erscheine. Gerade auch die südlich zum Vorhabengrundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücke entsprächen dem, was an Grundstücksgröße und Grundstücksaufteilung im Rahmen des vom Kläger beabsichtigten Bauvorhabens geplant sei. Die Beigeladene habe selbst Planungsüberlegungen hinsichtlich der Freifläche angestellt, so dass der Darstellung im Flächennutzungsplan keine größere Bedeutung zukomme.
6
Der Beklagte und die Beigeladene treten dem Vorbringen entgegen.
7
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
8
Für die Zulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung wird auf das gerichtliche Schreiben vom 16. Januar 2023 Bezug genommen. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Soweit er auf § 124 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 4 VwGO gestützt wird, fehlt es bereits an einer entsprechenden Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
9
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Grundstück des Antragstellers im Außenbereich liegt und das geplante Wohnbauvorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35 Abs. 2, 3 BauGB).
10
Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Grundlage und Ausgangspunkt einer solchen wertenden und bewertenden Beurteilung sind die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie ggf. auch topografische Verhältnisse wie etwa Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67 m.w.N.). Auch Straßen oder Wege können in dieser Hinsicht von Bedeutung sein (vgl. BVerwG, B.v. 4.1.1995 – 4 B 273.94 – juris Rn. 3). Ein Grundstück liegt nicht bereits deshalb innerhalb eines Bebauungszusammenhangs, weil es von Bebauung umgeben ist. Erforderlich ist vielmehr, dass das Grundstück selbst einen Bestandteil dieses Zusammenhangs bildet. Dabei ist die wachsende Größe ein Indiz dafür, dass ein Bebauungszusammenhang eher zu verneinen ist. Eine ringsum von Bebauung umgebene Freifläche, die so groß ist, dass sich ihre Bebauung nicht mehr als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufdrängt und die deshalb nicht als Baulücke erscheint, liegt nicht innerhalb eines Bebauungszusammenhangs im Sinn des § 34 BauG (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – NVwZ 2012, 1631; B.v. 15.9.2005 – 4 BN 37.05 – BauR 2006, 348; B.v. 12.3.1999 – 4 B 112.98 – NVwZ 1999, 763). Dabei kann es auch auf die Siedlungsstruktur ankommen. Unbebaute Flächen unterbrechen den Bebauungszusammenhang nicht, wenn sie als Bestandteile einer aufgelockerten Bebauung in Erscheinung treten (vgl. BVerwG, B.v. 13.9.2012 – 4 C 4.12 – DVBl 2012, 1375).
11
Nach diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der im Rahmen einer Ortseinsicht getroffenen Feststellungen nachvollziehbar davon ausgegangen, dass die Fläche, auf der das Vorhaben realisiert werden soll, nicht mehr durch die umliegende Bebauung geprägt wird. Es hat die notwendige Gesamtbetrachtung angestellt und sowohl die Fläche des Vorhabengrundstücks als auch die gesamte Freifläche in den Blick genommen; weiter hat es zutreffend auf die vorhandene Bebauung in der Umgebung abgestellt. Soweit der Antragsteller auf einen Bebauungszusammenhang im Bereich des Vorhabengrundstücks abstellen möchte, besteht die auch hier notwendige räumliche Verklammerung (vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 15.84 – BVerwGE 75, 34) nicht. Lediglich im Süden grenzt unmittelbar Wohnbebauung an, von Westen nach Osten stellt sich das Bauvorhaben hingegen nicht als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung dar. So grenzt im Westen nur ein kleineres Wohngrundstück an, im Übrigen ein Kinderspielplatz und eine Straßenfläche. Die östliche Wohnbebauung, die durch die S* …straße getrennt ist, weist gerade im Bereich des Vorhabengrundstücks zwei unbebaute Grundstücke auf. Die Beurteilung des Vorhabengrundstücks als Außenbereichsfläche dürfte sich allerdings auch bei einer künftigen Bebauung der Grundstücke FlNr. … und … nicht ändern. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass die kleinteilige Bebauung in der Zeile südlich des K* …wegs keinen Bebauungszusammenhang für die vorgesehene Bebauung auf dem Vorhabengrundstück herstellen kann. So grenzt das Grundstück FlNr. … nur zu etwas mehr als einem Drittel an die westliche Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstücks an. Soweit der Antragsteller auf die im Süden anschließende Bebauung abstellen will, kann diese als letzte Bebauung bis zur entfernt liegenden B* …straße keine Baulücke schließen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich das Vorhabengrundstück nach den Feststellungen vor Ort zusammen mit dem Grundstück FlNr. … als eine große Freifläche darstellt, ist auch nach den Bildaufnahmen in der Behördenakte schlüssig.
12
Soweit der Antragsteller den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB nicht beeinträchtigt sieht, weil die Beigeladene in der Vergangenheit selbst Überlegungen zu einer Überplanung dieser und vergleichbarer Flächen angestellt habe, ist es Aufgabe der Bauleitplanung, die städtebauliche Entwicklung zu ordnen und zu lenken. Erst unter den Voraussetzungen des § 33 BauGB kann ein Bauleitplanverfahren positive Rechtswirkungen entfalten.
13
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.1.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
14
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).