Titel:
Maqui-Beeren-Extrakt als Bestandteil eines Nahrungsergänzungsmittels
Normenketten:
LFGB § 40 Abs. 1a Nr. 2
Novel-Food-VO Art. 3 Abs. 2 lit. a Nr. iv, Art. 6 Abs. 2
Leitsatz:
Das Inverkehrbringen von Maqui-Augen-Kapseln für Menschen verstößt gegen das Lebensmittelrecht, weil in dem Produkt ein Maquibeeren-Extrakt ist, das neuartig ist und in der EU keine entsprechende Zulassung hat. Deshalb ist eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB mit Hinweis auf einen nicht zugelassenen Stoff in einem Lebensmittel zulässig. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilantrag, Maqui-Augen-Kapseln für Menschen, Nahrungsergänzungsmittel mit Maquibeeren-Extrakt, Anthocyangehalt im Extrakt von 60% liegt 283-fach über natürlichem Gehalt, staatliche Veröffentlichung von lebensmittelrechtlichen Verstößen im Internet, nicht zugelassener oder verbotener Stoff, Novel-Food-Verordnung, neuartiges Lebensmittel, produktbezogene Betrachtung, Beweislast, Veröffentlichung nicht unverhältnismäßig, Veröffentlichung unverzüglich
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.05.2023 – 20 CE 23.626
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7239
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die vom Antragsgegner (vertreten durch das Landratsamt W.) beabsichtigte Veröffentlichung einer Beanstandung in Bezug auf das von der Antragstellerin vertriebene Produkt „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“ als nicht zugelassener oder verbotener Stoff.
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Im Rahmen einer Probe wurde am 27. September 2022 durch die Lebensmittelüberwachung des Landratsamts W. das Produkt „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“ entnommen. Nach dem Befund/Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 19. Dezember 2022 werde die vorgelegte Probe von der Antragstellerin aufgrund ihrer Aufmachung offenbar als ein Nahrungsergänzungsmittel und somit als Lebensmittel in den Verkehr gebracht. Die vorliegende Probe enthalte laut Deklaration pro Kapsel unter anderem 60 mg eines Maquibeeren-Extrakts, davon 21 mg Anthocyanin und 15 mg Delphinidin. Der enthaltene Maquibeeren-Extrakt solle somit aufgrund der Kennzeichnung einen Gesamtgehalt an Anthocyanen von 36 mg pro 60 mg oder anders ausgedrückt 60% aufweisen. Dabei handele es sich um wasserlösliche Pflanzenfarbstoffe, die im Zellsaftgehalt aller höherer Pflanzen vorkämen und Blüten und Früchten eine intensive rote, violette oder blaue Färbung verliehen. Maquibeeren seien die Früchte der Pflanze Aristotelia chilensis. Nach derzeitigem Kenntnisstand seien derart hoch angereicherte Extrakte aus Maquibeeren nicht vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union im nennenswerten Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat verwendet worden. Im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission sei ein Eintrag zu „Aristotelia chilensis“ zu finden. Der Novel-Food-Status sei mit „FS“ angegeben. Dieser Status bedeute, dass nach dem derzeitigen Kenntnisstand der verantwortlichen Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten dieses Lebensmittel bzw. die Lebensmittelzutat vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union nur in Nahrungsergänzungsmitteln in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei. Aus dem Eintrag lasse sich jedoch nicht ableiten, dass ein Extrakt, der Anthocyane in den angegebenen hohen Mengen enthalte, mit der Verwendung von Maquibeeren gleichgesetzt werden könne, da Maquibeeren natürlicherweise nur deutlich geringere Mengen an Anthocyanen enthielten. In getrockneten Maquibeeren liege der prozentuale Anteil von Anthocyanen bei rund 0,212%. Der deklarierte Gehalt an Anthocyanen im Extrakt von 60% betrage somit das rund 283-fache des natürlichen Gehalts in Maquibeeren. Bei einer derart hohen Anreicherung eines Stoffes (hier: Anthocyane) sei die Nähe zum Ausgangsprodukt Maquibeere nicht mehr gegeben, so dass der Extrakt als eigenständiges Lebensmittel zu betrachten sei. Es handele sich bei dem vorliegenden Extrakt aus Maquibeeren um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 (Novel-Food-Verordnung). Derzeit ließen sich für „Extrakte aus Maquibeeren“ in der Unionsliste für zugelassene neuartige Lebensmittel gemäß Art. 6 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 i.V.m. Art. 8 VO (EU) 2015/2283 keine entsprechenden Einträge finden. Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 dürften nur zugelassene in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach der Maßgabe der in der Unionsliste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden. Nach Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 habe der Lebensmittelunternehmer die Sorgfaltspflicht zu prüfen, ob es sich bei dem Lebensmittel, dass er in der Union in Verkehr bringen wolle, möglicherweise um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne dieser Verordnung handele. Zusammenfassend sei daher davon auszugehen, dass die vorliegende Probe unter Mitverarbeitung eines neuartigen Lebensmittels im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 hergestellt worden sei, welches Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 nicht entspreche.
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Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2022 hörte das Landratsamt W. die Antragstellerin gemäß § 40 Abs. 3 Satz 1 LfGB wegen einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LfGB an. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LfGB (nicht zugelassener Stoff oder verbotener Stoff in dem Lebensmittel) lägen vor.
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Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2023 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten vorbringen, dass es sich bei dem begutachteten Etikett um eine alte Version handele. Bei der entnommenen Probe handele es sich um einen Altbestand, welcher nicht mehr vertrieben werde. Die Eintragung in dem Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission mit dem Status „FS“ sei ein Indiz dafür, dass es sich nicht um ein neuartiges Lebensmittel handele. Der Stoff Maqui sei bereits in verarbeiteter Form in einem Nahrungsergänzungsmittel vor dem 15. Mai 1997 in Verwendung gewesen. Der Rohstofflieferant habe bestätigt, dass es sich nicht um ein neuartiges Lebensmittel handele. Eine Veröffentlichung sei durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und durch gravierende Eingriffe in die Grundrechte der Antragstellerin beschränkt.
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Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2023 nahm das LGL dahingehend Stellung, dass die Einstufung einer Pflanze als „FS“ nicht bedeute, dass sämtliche Extrakte aus dieser Pflanze in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden dürften, sondern dies beziehe sich ausschließlich auf die in Rede stehende Pflanze als solche. Andernfalls werde es im Beschreibungstext ausdrücklich erwähnt. Der Novel-Food-Katalog habe somit keine Indizwirkung für eine fehlende Neuartigkeit von Maquibeeren-Extrakt in Nahrungsergänzungsmitteln. Das Gegenteil sei der Fall. Es komme auf das konkret erzeugte und zu beurteilende Produkt an. Mithin seien die Zusammensetzung des Endprodukts bzw. damit einhergehend auch etwaige durch das Herstellungsverfahren bewirkte signifikante Änderungen relevant für die Novel-Food-Einstufung. Eine derartige signifikante Änderung der Zusammensetzung des Endprodukts liege hier unzweifelhaft vor. Es sei nicht zu prüfen, ob für die Maquibeeren eine Verzehrgeschichte als Lebensmittel bestehe, sondern für Maquibeeren-Extrakte mit einem Anthocyangehalt von 60%. Eine solche gebe es nicht und habe auch der verantwortliche Unternehmer bis dato nicht nachgewiesen. Nr. iv) enthalte sämtliche Lebensmittel, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestünden oder daraus isoliert oder erzeugt würden, unabhängig von der Neuartigkeit der Ausgangspflanze. Die Bestätigung des Rohstofflieferanten enthalte keine Angaben, wie dieser zu seiner Einschätzung gelange. Dort fänden sich keine Nachweise dafür, dass Maquibeeren-Extrakte mit einem Anthocyangehalt von 60% vor dem Stichtag der Novel-Food-Verordnung in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden seien.
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Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2023 ließ die Antragstellerin gegenüber dem Landratsamt mit Bezug auf ein eingeholtes Gutachten des Diplom-Chemikers und Assessors … … im Wesentlichen weiter vorbringen: Der Gutachter betone mehrfach den außergewöhnlichen Ernährungs- und Gesundheitsnutzen aufgrund des enthaltenen hohen Gehalts an antioxidativ-zellschützenden Pflanzenphenolen. Die Früchte seien für Menschen besonders gesund. Im EU-Mitgliedsland Italien sei eine Positivliste als Rechtsverordnung publiziert. Danach seien Maqui-Früchte und ihre Folgeprodukte wie insbesondere auch Extrakte ohne Mengenbeschränkung in Nahrungsergänzungsmitteln zulässig. Im Novel-Food-Recht gelte der Grundsatz, dass eine Zutat kein Novel-Food mehr sein könne, wenn nur ein einziger Mitgliedstaat den Nicht-Novel-Food-Status anerkannt habe. Die Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung von Lebensmitteln sei bestätigt. Lebensmittelextrakte dienten gerade dazu, wertvolle ernährungsfördernde Lebensmittelinhaltsstoffe auf eine kleine Menge zu verdichten. Selbst bei einem Verhältnis von 283 : 1 gebe es keinen Grund, dem Extrakt den Rechtsstatus eines Nahrungsmittels und damit den „Nicht-Novel-Food-Status“ abzusprechen. Der Extrakt beinhalte das Rohprodukt in verarbeiteter, konzentrierter Form. Es sei wesenstypisch für einen „FS-Eintrag“ und für ein Nahrungsergänzungsmittel, dass ein Stoff in anderer Menge, als noch im Rohprodukt enthalten, Verwendung finde. Die mit dem Nahrungsergänzungsmittel zugeführte Menge an Anthocyaniden könnten auch alternativ mit 10 Gramm Heidelbeeren zugeführt werden oder mit 5 Gramm Aronia-Frischbeeren. Des Weiteren sei das Extrakt-Verhältnis durch das LGL falsch berechnet worden. Die Maquibeeren ähnelten der deutschen Wildkirsche.
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Mit Schreiben vom 1. Februar 2023 nahm das LGL im Wesentlichen dazu wie folgt Stellung: Seit dem Inkrafttreten der VO (EU) 2015/2283 und deren Art. 4 Abs. 1 obliege den Lebensmittelunternehmen die Pflicht zur Prüfung (und mithin auch des Nachweises), ob Lebensmittel, die sie in der Union in Verkehr bringen wollen, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fielen oder nicht. Ernährungsphysiologische Wirkungen eines Lebensmittels seien kein Ausschlussgrund für die Neuartigkeit eines Lebensmittels. Der Verweis auf die Positivliste in Italien für Pflanzen, die in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden dürften, führe zu keinem anderen Ergebnis, da diese ebenfalls nur einen Eintrag für die Früchte der Pflanze Aristotelia chilensis enthalte. Der Liste lasse sich hingegen nicht entnehmen, dass sämtliche Extrakte aus den Beeren nicht neuartig wären. Der Extraktionsvorgang und die damit einhergehende selektive Anreicherung von bestimmten Inhaltsstoffen, während andere weniger wertvolle Inhaltsstoffe abgereichert würden, habe eine signifikante Änderung der Zusammensetzung des Endprodukts zur Folge. Der Lebensmittelunternehmer sei zum Nachweis einer Verzehrgeschichte des Extrakts (und nicht nur der Beeren) verpflichtet. Ein Nachweis sei dem vorgelegten Auftragsgutachten nicht zu entnehmen.
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Mit Schreiben vom 2. Februar 2023 teilte das Landratsamt W. der Antragstellerin die geplante Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB mit. In Bezug auf die Stellungnahme des LGL ergebe sich, dass ein nicht zugelassener Stoff in einem Lebensmittel vorhanden sei. Eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB sei zwingend notwendig und erforderlich. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz werde nicht verletzt, da nach dem Regelungszweck § 40 Abs. 1a LFGB auch negativen Erfolg entfalte, weil gerade hierauf die generalpräventive Wirkung der Veröffentlichung beruhe.
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Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2023, dem Gericht übermittelt am 15. Februar 2023, ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beantragen:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, nachfolgende Informationen gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB zu veröffentlichen:
Verantwortliche Behörde
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Landratsamt W.
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Datum
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Einstelldatum:
(Datum der Veröffentlichung)
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Probe genommen am:
27.09.2022
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Lebensmittelunternehmen
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Name …
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Strasse Hausnummer …
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PLZ Ort …
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Kategorie Lebensmitteleinzelhandel
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Betroffenes Lebensmittel
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Verstoß Nicht zugelassener oder verbotener Stoff
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Produkt:
Maqui-Augen-Kapseln für Menschen
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Los-/Chargennummer:
…
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MHD:
21.01.2024
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Stoff:
Extrakt aus Maquibeeren
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Grenzwert:
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Analyseergebnis:
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Anmerkungen/unternehmerische Maßnahmen
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Zur Antragsbegründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen ausführen: Das streitgegenständliche Produkt stelle tatsächlich kein neuartiges Lebensmittel dar. Der Gutachter, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für diätetische Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Sportlernahrungen, Diplom-Chemiker und Assessor d.L. … …, habe mehrfach den außergewöhnlichen Ernährungs- und Gesundheitsnutzen des Produkts betont und auch auf die Positivliste in Italien hingewiesen. Danach seien die Maqui-Früchte ohne Mengenbeschränkung in Nahrungsergänzungsmitteln zulässig und damit auch unweigerlich deren Folgeprodukte wie insbesondere auch Extrakte. Vor Aufnahme der entsprechenden Pflanzen in die italienische Positivliste sei eine intensive Überprüfung auf deren Sicherheit erfolgt. Auch die „EFSA“, die EU-Lebensmittelbehörde, müsse die Feststellung des italienischen Gesundheitsministers anerkennen. Obendrein sei der Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Europäischen Union zu beachten, Art. 34 AEUV. Es bestehe der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Lebensmitteln, die in einem anderen europäischen Mitgliedstaat als verkehrsfähig erachtet würden. Die EU-Richtlinie für Nahrungsergänzungsmittel habe die Forderung aufgestellt, dass Nahrungsergänzungsmittel ernährungsfördernde Zutaten in möglichst kleinem Volumen bereitstellen und auf kleine Mengen verdichten sollten. Derweil sei selbstverständlich, dass weniger wertvolle Inhaltsstoffe abgereichert oder entfernt würden. Eine Definitionsobergrenze beim Droge-Extrakt-Verhältnis gebe es weder in technologischer noch in lebensmittelrechtlicher Hinsicht. Insofern gebe es selbst bei einem Verhältnis von 283 : 1 keinen Grund, dem Extrakt den Rechtsstatus eines Nahrungsergänzungsmittels und damit den Nicht-Novel-Food-Status abzusprechen. Wesenstypisch für eine „FS-Eintragung für Nahrungsergänzungsmittel“ sei, dass ein Stoff in anderer Menge, als noch im Rohprodukt enthalten, Verwendung finde. Aus der FS-Kennzeichnung ergebe sich die Verwendung des Stoffes Maqui bereits in verarbeiteter Form, nämlich als oder in Nahrungsergänzungsmitteln vor dem 15. Mai 1997 und damit die Indizwirkung für eine fehlende Neuartigkeit. Nach der Definition als Nahrungsergänzungsmittel beinhalte dieses gerade das Rohprodukt in verarbeiteter konzentrierter Form. Wenn ein Stoff eine FS-Kennzeichnung ausweise, dann bestehe damit die Indizwirkung dafür, dass der Stoff bereits vor dem 15. Mai 1997 in konzentrierter, dosierter Form als Nahrungsergänzungsmittel Verwendung gefunden habe. Die Höhe der Dosis des Inhalts des Stoffes sei kein relevantes Kriterium. Beeren und Folgeprodukte wie Maqui-Wein seien seit langer Zeit auch in Europa als Lebensmittel anerkannt. Art. 4 VO (EU) 2015/2283 enthalte keine prozessualen Erwägungen zur Darlegungs- oder Beweislast. Es bestehe der Grundsatz, dass der Behörde die Darlegung und der Beweis der negativen Tatsache obliege, dass es sich bei dem beanstandeten Produkt um ein Lebensmittel handele, das vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei. Den Lebensmittelunternehmer treffe eine sekundäre Darlegungslast. Hinzu komme die Indizwirkung des FS-Eintrages, den die Behörde widerlegen müsse. Die Behörde sei hier ihrer Beweislast nicht nachgekommen. Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel dürften zulassungsfrei verkauft werden, wenn nicht eine Ausnahme vorliege. Wenn die Behörde in den Vertrieb eingreifen möchte, habe sie die Voraussetzungen für die Ausnahme substantiiert darzulegen und zu beweisen. Zwingend logisch könne ein FS-Eintrag „Extrakt-von-Beere“ nicht mehr sein als ein FS-Eintrag „Beere“. Es sei nicht haltbar, aus dem Eintrag zur Maquibeere abzuleiten, dass ein Extrakt der Beere nicht umfasst sein solle, nur weil in dem Beitrag nicht explizit der Begriff „Extrakt“ verwendet werde. Die Haltung des LGL sei grob sinnwidrig, da Nahrungsergänzungsmittel den Stoff per Definitionem in konzentrierter Form enthielten. Eine konkrete Nähe zum Ausgangsprodukt könne nicht definiert werden. Der Antragsgegner begründe auch nicht, weshalb eine solche Nähe ein Bewertungskriterium sein solle. Hier gehe es gerade um ein Nahrungsergänzungsmittel, welches die Maquibeere in konzentrierter Form enthalte und daher unter den FS-Eintrag falle. Die Argumentation, ein Extrakt würde das Ausgangsprodukt verändern und, da auf das konkrete Produkt abzustellen sei, müsse gegenläufig belegt werden, dass das Produkt nicht neu sei, sei ein Zirkelschluss. Die Antragstellerin habe eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung des Gutachters Dr. … Die Nahrungsergänzung mit dem verwendeten Extrakt liege im Bereich eines normalen Beerenkonsums. Die Menge an Anthocyaniden könne alternativ auch mit 10 Gramm Heidelbeeren zugeführt werden oder auch mit weniger als 5 Gramm Aronia-Frischbeeren. Die Unbedenklichkeit sei bereits durch die italienischen Behörden bestätigt. Die Nichtneuartigkeit sei belegt. Jedenfalls sei die Indizwirkung nicht widerlegt. Wie der Rechtsprechung des BGH zu entnehmen sei, habe im Rahmen ihrer primären Darlegungs- und Beweislast die beanstandende Stelle daher unter Heranziehung des konkreten Produkts in dessen konkreten Zusammensetzung zunächst zu belegen, dass das Produkt neuartig sei. Der Lebensmittelunternehmer könne sich also zunächst auf die generelle Indizwirkung des FS-Eintrags berufen. Dieser müsse sich logischerweise auf sämtliche Konzentrationen in Nahrungsergänzungsmitteln beziehen. Die Indizwirkung bestehe generell für alle Produkte. Wenn wie hier also von einem Indiz dahingehend auszugehen sei, dass die Beere bereits in verarbeiteter konzentrierter Form (Nahrungsergänzungsmittel) verwendet worden sei, so müsse der Antragsgegner zu dem konkret beanstandeten Produkt in seiner konkreten Zusammensetzung den gegenläufigen, das Indiz widerlegenden Nachweis bringen. Der FS-Eintrag enthalte hier keine einschränkenden Zusätze. Da es hier nicht um einen zivilrechtlichen Verein wie in der BGH-Entscheidung, sondern um eine staatliche Behörde gehe, seien die Anforderungen der Beanstandung noch höher anzusetzen, wenn es um ein Verwaltungsverfahren gehe. Maßnahmen nach § 40 Abs. 1a LFGB setzten einen hinreichend begründeten Verdacht voraus. Diesen hohen Anforderungen an die Tatsachengrundlage würden die Ausführungen des Antragsgegners nicht gerecht. Die Aussagen, dass die Click- und Followerzahlen des Y.-Kanals der Antragstellerin nicht eingebrochen seien, lasse eine grob ermessensfehlerhafte Entscheidung erkennen. Eine Veröffentlichung von nicht endgültig festgestellten Rechtsverstößen könne zu einem erheblichen Verlust des Ansehens und zu Umsatzeinbußen bis zur Existenzvernichtung führen.
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Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2023 ließ die Antragstellerin ergänzende Ausführungen ihres Sachverständigen … vorlegen und weiter vorbringen: Die LGL habe augenscheinlich nur oberflächlich in einzelne Quellen geblickt und diese nicht mit der gebotenen Sorgfalt ausgewertet.
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Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2023 ließ die Antragstellerin eine weitere Stellungnahme ihres Sachverständigen … vorlegen, wonach die Behauptung des LGL mit einem 60%igen Anteil von Anthocyanen falsch berechnet sei und es nur 35% seien.
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Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2023 ließ die Antragstellerin unter Bezugnahme auf weitere Gutachten des Sachverständigen … vorbringen, dass das LGL die Produktkonzentration 283 : 1 offensichtlich falsch berechnet habe. Der Sachverständige komme auf ein Droge-Extrakt-Verhältnis im Bereich 11 : 1 bis 15 : 1.
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Mit Schriftsätzen vom 8. März 2023 ließ die Antragstellerin unter Vorlage diverser Unterlagen im Wesentlichen noch weiter ausführen: Eine Vielzahl von Mitbewerbern der Antragstellerin vertreibe ebenfalls Maquihaltige Produkte. Der Antragsgegner lasse die Indizwirkung des FS-Eintrags unkommentiert. Dieser habe Auswirkungen auf die Beweislast. Das Landratsamt habe sachfremde Erwägungen in die Abwägung mit einbezogen, indem es auf die Follower-Zahlen des Y.-Kanals abgestellt habe. Insofern sei der Bescheid ermessensfehlerhaft (Ermessensfehlgebrauch). Die Antragstellerin habe eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung eingeholt sowie nach Beanstandung ein zusätzliches Sachverständigengutachten. Ein Verdacht allein genüge nicht. Der Antragsgegner stütze sich auf eine durch keine einzige Quellenangabe gestützte Meinungsäußerung eines einzelnen Chemikers, der zudem als offensichtlich befangener Kritiker der Lebensmittelindustrie Geld zu verdienen versuche. Ein unaufgeklärter Verdacht genüge nicht. Vielmehr müsse der Verdacht durch Tatsachen hinreichend begründet sein. Der Gesetzgeber habe die Behörde praktisch zur abschließenden Ermittlung der Tatsachen verpflichtet. Demgegenüber habe die Antragstellerin substantiiert nachgewiesen, dass es sich um ein nicht neuartiges Lebensmittel handele. Bloße Vermutungen oder theoretische Überlegungen reichten nicht. Hierbei sei festzustellen, dass es für die Einstufung eines neuartigen Lebensmittels nicht darauf ankomme, wie ein Produkt gekennzeichnet sei, sondern was tatsächlich in dem Produkt enthalten sei. Analyseergebnisse lägen durch das LGL diesbezüglich überhaupt nicht vor. Der Chemiker habe nicht festgestellt, welche Mengen an Anthocyanen tatsächlich in dem Produkt enthalten seien. Dies wäre leicht messbar gewesen. Eine solche Messung sei jedoch nicht durchgeführt worden. Die validierten Thesen des Chemikers seien zudem falsch. Das Extrakt beinhalte nicht 60% Anthocyanin, sondern lediglich 35%. Die Europäische Kommission stufe in dem Novel-Food-Katalog Maquibeeren gerade in Nahrungsergänzungsmitteln nicht als neuartig ein. Der Chemiker vertrete nun seine rechtlich nicht haltbare Auffassung, dass hiervon ein Extrakt nicht erfasst sei. Dies sei nicht nachvollziehbar. Der Novel-Food-Eintrag der Europäischen Kommission schließe Extrakte nicht aus. Nahrungsergänzungsmittel seien zwingend von Lebensmitteln des Alltags abzugrenzen. Bei einem Nahrungsergänzungsmittel handele es sich um ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen. Die Kategorie Nahrungsergänzungsmittel setze zwingend eine deutlich höhere Konzentration von Inhaltsstoffen in dem Produkt voraus als in dem Ausgangslebensmittel, hier der Maquibeere als solche. Wenn die Europäische Kommission und der Europäische Mitgliedstaat Italien davon ausgingen, dass die Verwendung der Maquibeere in Nahrungsergänzungsmitteln kein neuartiges Lebensmittel darstelle, begründe dies somit nicht nur ein Indiz für die Verwendung der Beere als solche vor Mai 1997, sondern gerade auch für die Verwendung eines Extraktes in konzentrierter Form gegenüber dem Ausgangslebensmittel. Die Eintragung müsse sich aber auf ein Extrakt wie hier beziehen. Die Neuartigkeit beziehe sich nicht auf die konzentrierte Verwendung als Extrakt in einem Nahrungsergänzungsmittel.
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Das Landratsamt W. beantragte für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 1. März 2023:
Der Antrag wird abgewiesen.
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Zur Begründung der Antragserwiderung ist unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des LGL im Wesentlichen ausgeführt: Sie schlössen sich den Ausführungen des LGL vollumfänglich an. Zusammenfassend reichten die vorgebrachten Argumente nicht aus, die durch das LGL erfolgte Beanstandung substantiiert anzugreifen, geschweige denn zu erschüttern. Bis zur Zulassung sei die Verwendung nicht zugelassener Stoffe untersagt. Dazu gehörten auch neuartige Lebensmittel. Die Darlegungslast dafür, dass das Produkt in nennenswertem Umfang in der Gemeinschaft als Lebensmittel im Verkehr gewesen sei, trage wie bereits bisher auch gemäß Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 der Inverkehrbringer. Unter Bezugnahme auf das LGL lägen die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 1a LFGB vor, weshalb zwingend eine unverzügliche Information der Öffentlichkeit vorzunehmen sei. Ein Ansehensverlust für den Lebensmittelbetrieb unterliege bei Vorliegen eines hinreichend begründeten Verdachts, dass ein nicht zugelassenes oder ein verbotener Stoff in einem Lebensmittel vorhanden sei, jedoch dem hohen Gut des Verbraucherschutzes. Die Antragstellerin habe bis zum heutigen Tag keine Maßnahmen getroffen, um künftige Verstöße zu vermeiden. Vielmehr würden die lebensmittelrechtlichen Beanstandungen bestritten und Maßnahmen diesbezüglich konkludent abgelehnt.
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In der beigefügten Stellungnahme des LGL vom 27. Februar 2023 ist im Wesentlichen ausgeführt: Sofern die Antragstellerin unter Verweis auf die BGH-Rechtsprechung vortrage, dass es primär der beanstandenden Stelle obliege, die durch den FS-Eintrag bestehende Indizwirkung zu widerlegen, bevor dem Lebensmittelunternehmer eine sekundäre Darlegungslast aufgebürdet werden könne, werde darauf hingewiesen, dass dieser Rechtsstand schlichtweg veraltet sei. Seit Inkrafttreten der VO (EU) 2015/2283 und deren Art. 4 Abs. 1 obliege den Lebensmittelunternehmern die Pflicht zur Prüfung (und mithin auch des Nachweises), ob Lebensmittel unter den Anwendungsbereich dieser Verordnung fielen oder nicht. Zudem übersehe die Antragstellerin, dass es sich vorliegend im Gegensatz zu dem vom BGH streitgegenständlichen Fall nicht um einen Zivilprozess handele, so dass die Darlegungserfordernisse nicht Eins zu Eins auf den hier strittigen Sachverhalt übertragen werden könnten. In der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sei anerkannt, dass die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat nicht neuartig sei, von demjenigen zu tragen sei, der das Lebensmittel in den Verkehr bringen wolle. Bei dem in Rede stehenden Extrakt handele es sich um ein Erzeugnis eigener Art, für den der Eintrag zu Maquibeeren im EU-Novel-Food-Katalog schlicht nicht einschlägig sei. Die Ausführungen im Auftragsgutachten zum Ernährungs- und Gesundheitsnutzen seien für die Bewertung des Sachverhalts nicht relevant, weil (behauptete) positive ernährungsphysiologische Wirkungen eines Lebensmittels grundsätzlich kein Ausschlusskriterium für die Neuartigkeit eines Lebensmittels seien. Auch der Verweis auf die Positivliste des Mitgliedstaats Italien führe zu keinem anderen Ergebnis, da diese nur einen Eintrag für die Früchte der Pflanze Aristotelia chilensis, das heiße die Maquibeeren als solche enthalte. Der Liste lasse sich hingegen nicht entnehmen, dass auch sämtliche Extrakte aus den Beeren nicht neuartig wären. Auch auf der Internetseite des Italienischen Gesundheitsministeriums finde sich ein entsprechender Hinweis, dass bei Extrakten aus den in der Liste aufgeführten Pflanzen separat zu prüfen sei, ob diese gegebenenfalls neuartige Lebensmittel darstellten oder nicht. Die italienische Liste gelte nur für die in der Liste aufgeführten Pflanzen/Pflanzenteile und/oder Derivate (z.B. Extrakte oder andere Zubereitungen) mit einer signifikanten Verzehrgeschichte als Lebensmittel vor 1997. Es bleibe dabei, dass Substanzen, Präparate und Extrakte, die aus den aufgelisteten Pflanzen gewonnen würden, aber nicht die erwähnte Verzehrgeschichte aufwiesen, neuartige Lebensmittel im Sinne der VO (EU) 2015/2283 seien und daher nicht ohne vorherige EU-Zulassung verwendet werden dürften. Auch die Aussage, dass eine Zutat kein Novel-Food mehr sein könne, wenn ein einziger Mitgliedstaat einen gegenteiligen Status anerkannt habe, sei schlichtweg unzutreffend. Tatsächlich seien laut der Begriffsbestimmung des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 alle Lebensmittel neuartig, die vor dem 15. Mai 1997 unabhängig von den Zeitpunkten der Beitritte der Mitgliedstaaten zur Union nicht in nennenswertem Umfang verwendet worden seien und in mindestens eine der dortigen Kategorien fielen. Entscheidungserheblich für die Frage der Neuartigkeit sei damit ausschließlich der Nachweis einer nennenswerten Verzehrgeschichte in mindestens einem Mitgliedstaat. Auch aus der Liste des Mitgliedstaates Italiens ergebe sich nicht, dass Extrakte aus Maquibeeren nicht neuartig wären. Zudem werde darauf hingewiesen, dass sich die EFSA ausschließlich mit der Sicherheitsbewertung von neuartigen Lebensmitteln im Rahmen von deren Zulassungsverfahren befasse. Zu einem anderen Ergebnis führe auch nicht der Verweis auf Art. 34a EUV. Das bedeute, dass der freie Warenverkehr nicht durch nationale Vorschriften beeinträchtigt werden dürfe. Vorliegend handele es sich aber ausschließlich um Normen aus dem Unionsrecht (insbesondere Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283). Und selbst in dem Fall, dass ein Maquibeeren-Extrakthaltiges und gegen die VO (EU) 2015/2283 verstoßendes Lebensmittel in einem anderen Mitgliedstaat unbeanstandet im Verkehr sein sollte, so bedeute dies nicht, dass dieses Produkt auch in Deutschland verkehrsfähig wäre. Vielmehr wäre in diesem Fall der andere Mitgliedstaat gehalten, das Inverkehrbringen des Produkts auf seinem Territorium wegen Verstoßes gegen europarechtliche Vorschriften zu unterbinden. Soweit die Antragstellerin auf das Merkmal der „kleinen Menge“ verweise, werde verkannt, dass der Extraktionsvorgang und die damit einhergehende selektive Anreicherung von bestimmten Inhaltsstoffen, während andere weniger wertvolle Inhaltsstoffe abgereichert würden, eine signifikante Änderung der Zusammensetzung des Endprodukts zur Folge habe. Die Einstufung eines Lebensmittels als neuartiges Lebensmittel sei für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Merkmale des Lebensmittels und des Herstellungsverfahrens zu treffen, da nicht auszuschließen sei, dass der Herstellungsvorgang in der Struktur eines Lebensmittels zur physikalischen, chemischen und biologischen Änderung der verwendeten Zutaten mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die öffentliche Gesundheit führen könne. Im vorliegenden Fall liege offenbar unstreitig eine signifikante Änderung der Zusammensetzung des Endprodukts vor. Nachweise dafür, dass Maquibeeren-Extrakte mit einem Anthocyangehalt von 60% in der EU vor dem Stichtag in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden seien, seien bisher nicht vorgelegt worden. Die FS-Einstufung im Novel-Food-Katalog der EU beschränke sich tatsächlich darauf, dass der jeweilige Stoff nur in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden dürfe. Eine Verwendung in anderen Lebensmitteln wäre hingegen als neuartig einzustufen. Die Einstufung einer Pflanze als „FS“ bedeute hingegen nicht, dass damit automatisch auch sämtliche Extrakte aus dieser Pflanze in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden dürften, sondern sie beziehe sich ausschließlich auf die in Rede stehende Pflanze als solche. Sofern der Eintrag stattdessen auch bestimmte Extrakte einschließe, würden diese im Beschreibungstext ausdrücklich erwähnt. Würden auch immer alle Extrakte aus der jeweiligen Pflanze umfasst, wären derartige Präzisierungen im Rahmen der Beschreibungstexte überflüssig. Aus dem EU-Novel-Food-Katalog ergebe sich somit keine Indizwirkung für eine fehlende Neuartigkeit. Dem Eintrag lasse sich gerade nicht entnehmen, dass Extrakte aus Maquibeeren vor dem Stichtag in der EU in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden seien. Auch der Hinweis auf die Definition des Nahrungsergänzungsmittels führe zu keiner anderen Beurteilung, da im Nahrungsergänzungsmittelrecht an keiner Stelle begründet sei, dass die in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzten Extrakte aufgrund ihrer Verwendung innerhalb dieser Produktgruppe nicht der VO (EU) 2015/2283 unterlägen. Auch dem Geschäftsführer der Antragstellerin sei offenbar bewusst, dass üblicherweise nur Maquibeerenpulver in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt würde und keine Extrakte daraus. Auch aus den weiteren Ausführungen der Auftragsgutachten ergebe sich nicht, dass Maquibeeren-Extrakte mit einem Anthocyangehalt von 60% in der EU vor dem Stichtag in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden seien. Dessen Ausführungen sei auch nicht zu entnehmen, dass Maquibeeren in Europa seit langer Zeit als Lebensmittel anerkannt wären. Stattdessen heiße es dort ausschließlich, dass die Beeren in C. als Delikatesse gälten. Wie schon ausgeführt, könne ein FS-Eintrag im Novel-Food-Katalog nicht automatisch damit gleichgesetzt werden, dass auch sämtlich Extrakte aus der genannten Pflanze eine nennenswerte Verzehrgeschichte hätten. Vielmehr sei bei Pflanzen und Pflanzenteilen sowie den Extrakten daraus separat zu prüfen, ob hierfür eine nennenswerte Verzehrgeschichte als Lebensmittel bestehe. Eine Extraktion sei auch nicht mit den Vorgängen Trocknen, Einkochen oder Gefriertrocknen gleichzusetzen. Bei einer Extraktion würden einzelne Inhaltsstoffe gezielt angereichert. Somit erfolge eine signifikante Änderung der Zusammensetzung des Lebensmittels. Das zitierte EuGH-Urteil betreffe ein Nahrungsergänzungsmittel aus verschiedenen pflanzlichen Zutaten, für die an sich eine Verzehrgeschichte als Lebensmittel bestanden habe, jedoch nicht in der konkreten Kombination und der konkreten Verarbeitung, weswegen das Produkt als neuartig eingestuft worden sei. Der konkrete Eintrag zur Pflanze Aristotelia chilensis beziehe sich unzweifelhaft ausschließlich auf die Beeren als solche. Dass auch Extrakte aus den Beeren eine signifikante Verzehrgeschichte als Lebensmittel hätten, lasse sich dem Eintrag nicht entnehmen. Aus dem Eintrag ergebe sich somit auch keine diesbezügliche Indizwirkung, die durch die Behörde zu widerlegen wäre. Zubereitungen aus anderen Teilen der Pflanze sowie Extrakte aus den Beeren seien damit als neuartig einzustufen. Aus dem Statement des Rohstofflieferanten könne nicht der Schluss abgeleitet werden, dass es sich bei dem in Rede stehenden Extrakt nicht um ein neuartiges Lebensmittel handeln würde. Die vorgelegte Bestätigung des Rohstofflieferanten enthalte keinerlei Angaben dazu, wie diese zu der Einschätzung gelange. Sie sei lediglich als unbelegte Tatsachenbehauptung einzustufen und somit unbeachtlich. Auch aus der Verkehrsfähigkeitsbescheinigung des Gutachters Dr. … lasse sich nichts dafür entnehmen, dass eine Prüfung auf das Vorhandensein neuartiger Lebensmittel überhaupt stattgefunden habe, noch fänden sich darin Nachweise dafür, dass Maquibeeren-Extrakte mit einem Anthocyangehalt von 60% vor dem Stichtag der VO (EU) 2015/2283 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden sei. Auch bei der Angabe der Antragstellerseite, dass die angeblich empfohlene Menge der Nährstoffaufnahme 21 mg Anthocyanin betrage, die auch über andere Beeren aufgenommen werden könne, handele es sich schon um eine unbelegte Tatsachenbehauptung. Im Übrigen sei nicht entscheidungserheblich, über den Verzehr welcher Lebensmittelmengen der in dem in Rede stehenden Nahrungsergänzungsmittel enthaltene Stoff ebenfalls zugeführt werden könnte, sondern nur die Frage, ob die Maquibeeren-Extrakte mit einem Anthocyangehalt von 60% in der EU vor dem Stichtag in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden seien. Darüber hinaus seien die vom Sachverständigen … errechneten Lebensmittelmengen unzutreffend. Auch eine eventuelle Unbedenklichkeit sei irrelevant, denn die gesundheitliche Unbedenklichkeit werde erst im Rahmen des Zulassungsverfahrens abschließend bewertet. In dem zitierten BGH-Urteil werde festgestellt, dass es nicht auf die Verzehrgeschichte der Ausgangspflanze ankäme, sondern auf den streitgegenständlichen weiterverarbeiteten Extrakt. Im Ergebnis habe der BGH geurteilt, dass der dort streitgegenständliche Kudzu-Extrakt ein nicht zugelassenes neuartiges Lebensmittel sei. Anhand der nachgereichten Quellenangaben lasse sich feststellen, dass die Berechnungen des Gutachters zur Aufnahme gleicher Mengen von Anthocyanen durch den Verzehr von Beeren unzutreffend seien und sich auf andere Beeren bezögen. Zudem seien für die Gehalte anderer Beeren keinen Quellen geliefert. Im Übrigen komme es allein auf die Frage an, ob Maquibeeren-Extrakte mit einem Anthocyangehalt von 60% in der EU vor dem Stichtag der VO (EU) 2015/2283 in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden seien und nicht darauf, ob und über den Verzehr welcher Lebensmittel man die in Rede stehenden Nahrungsmittelinhaltsstoffe ebenfalls zuführen könne. Die Behauptung in dem Gutachten, dass das streitgegenständliche Extrakt nicht 60%, sondern nur 35% Anthocyanen enthalte, sei mit Blick auf die Produktkennzeichnung offensichtlich unzutreffend. Dies gelte auch für die Angaben zu den Aronjabeeren. Sofern unter Verweis auf weitere Studien abweichende Anthocyangehalte in Maquibeeren postuliert würden, unterstreiche dies lediglich, dass ein Anthocyangehalt von 60%, wie im beanstandeten Extrakt, keinesfalls dem natürlichen Gehalt in den Beeren entspreche und 60% im Extrakt signifikant über den natürlichen Gehalt in der Maquibeere liege. Auch die weiteren Berechnungen zu den Droge-Extrakt-Verhältnissen seien fehlerhaft. Bei dem erwähnten Faktor von 283 gehe es zudem nicht um ein Droge-Extrakt-Verhältnis, sondern es handele sich um ein Konzentrationsverhältnis, für das die Konzentration im Extrakt durch die Konzentration in der Ausgangspflanze dividiert werde.
18
Zur weiteren Begründung der Antragserwiderung nahm das Landratsamt W. für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 14. März 2023 auf eine Stellungnahme des LGL vom selben Tag Bezug und brachte unter anderem noch vor: Die Staatsanwaltschaft Würzburg habe auch betreffend das streitgegenständliche Produkt einen Strafbefehl erlassen.
19
Das LGL führte in seiner Stellungnahme – auch unter Verweis auf die Rechtsprechung des VG Würzburg – unter anderem im Wesentlichen noch aus: Dem Untersuchungsgrundsatz gemäß Art. 24 BayVwVfG sei Genüge getan; der Antragsgegner habe sich mit den vorgebrachten Erwägungen der Antragstellerin ausführlich auseinandergesetzt. Das Fehlen einschlägiger Quellen zum Verzehr sei bei neuartigen Lebensmitteln systemimmanent. Die von der Antragstellerseite erwähnten Belege bezögen sich nur auf Maquibeeren und deren Verwendung in Nahrungsergänzungsmitteln, jedoch nicht auf Extrakte daraus. Extrakte könnten nicht mit den jeweiligen Ausgangspflanzen gleichgesetzt werden. Der Anthocyangehalt des Maquibeeren-Extrakts auch in Abgrenzung zu Anthocyangehalt des im Produkt ebenfalls enthaltenen Traubenextrakts sei mangels geeigneter validierter und akkreditierter Verfahren nicht analytisch zu verifizieren gewesen, da es sich gerade um einen neuartigen Stoff handele, für den entsprechende Verfahren nicht zur Verfügung stünden. Abgesehen davon spreche die intensive schwarz-blaue Farbe des Kapselinhalts für einen hohen Anthocyangehalt. Die Antragstellerin behaupte selbst nicht, dass sie wissentlich und vorsätzlich deutlich höhere Anthocyangehalte ihrer Produkte in der Kennzeichnung auslobe, als tatsächlich darin enthalten seien. Auch auf die Frage, ob der Anthocyangehalt im Produkt 35% oder 60% betrage, komme es nicht an, weil der Anthocyangehalt auch dann immer noch deutlich über den natürlichen Anthocyangehalt der Maquibeere läge. Eine Verzehrgeschichte von Extrakten aus der Maquibeere sei weder bei der Europäischen Kommission noch in einem Mitgliedsstaat nachgewiesen, auch nicht in Deutschland.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
21
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
22
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Dies ist dann der Fall, wenn aufgrund einer im Verfahren des Eilrechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung ein Anordnungsgrund, also ein Grund für die erhöhte Eilbedürftigkeit der Entscheidung besteht und eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht wird (vgl. § 920 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 123 Abs. 3 VwGO).
23
Die begehrte einstweilige Anordnung würde zudem – jedenfalls teil- bzw. zeitweise – die Hauptsache vorwegnehmen. Eine solche eingeschränkte Vorwegnahme der Hauptsache ist im Hinblick auf den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 Abs. 1 VwGO nur dann zulässig, wenn eine bestimmte Regelung zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn sonst die zu erwartenden Nachteile unzumutbar wären und eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache besteht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 28. Aufl. 2022, Rn. 13 und 14).
24
Letztgenannte Voraussetzung ist nicht erfüllt, da die Antragstellerin in der Hauptsache nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts voraussichtlich nicht obsiegen wird.
25
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn es liegt auf der Hand, dass die geplante Veröffentlichung im Internet für die Antragstellerin ganz erhebliche negative Konsequenzen haben kann, die auch bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Das Verwaltungshandeln durch amtliche Informationen ist irreversibel. Bei Fehlinformationen ändern daran auch spätere Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts, da die faktischen Wirkungen von Informationen regelmäßig nicht mehr eingefangen und umfassend beseitigt werden können. Eine Verbraucherinformation zu angeblichen Rechtsverstößen eines Unternehmens kann für dieses existenzgefährdend oder sogar existenzvernichtend sein. Der Antragstellerin kann nicht zugemutet werden, die Bekanntgabe des Kontrollergebnisses zum Vorhandensein eines nicht zugelassenen Stoffes in dem Lebensmittel im Internet bis zu einer Klärung der streitigen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren hinzunehmen (vgl. VG Würzburg, B.v. 16.11.2021 – W 8 E 21.1399 – juris Rn 18 mit Bezug auf VGH BW, B.v. 28.11.2019 – 9 S 2662/19 – juris; B.v. 21.5.2019 – 9 S 584/19 – LMuR 2019, 170; HessVGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – ZLR 2019, 281). Der Antragsgegner hat die unmittelbar beabsichtigte Veröffentlichung angekündigt und ausdrücklich bestätigt.
26
Die Antragstellerin hat jedoch einen Anordnungsanspruch, den materiell-rechtlichen Anspruch auf die begehrte Leistung, nicht glaubhaft gemacht. Es ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner Informationen zu dem streitgegenständlichen Produkt und dessen Beanstandung auf die Internetseiten des LGL einstellen will. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt – ungeachtet seiner dogmatischen Herleitung – jedenfalls einen rechtswidrigen Eingriff in ein Recht der Antragstellerin, etwa in das Grundrecht der Berufsfreiheit, voraus (vgl. OVG Bremen, B.v. 25.2.2022 – 1 B 482/21 – juris Rn. 15; VGH BW, B.v. 21.5.2019 – 9 S 584/19 – LMuR 2019, 170; HessVGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – ZLR 2019, 281). Daran mangelt es hier, denn die beabsichtigte Veröffentlichung ist von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB gedeckt.
27
Nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Falle von Proben nach § 38 Abs. 2a Satz 2 LFGB auf der Grundlage von mindestens zwei Untersuchungen durch eine Stelle nach Art. 37 Abs. 4 Buchst. e) der Verordnung (EU) Nr. 2017/625, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass ein nach Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht zugelassener oder verbotener Stoff in dem Lebensmittel oder Futtermittel vorhanden ist.
28
Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, verstößt § 40 Abs. 1a LFGB – in der heute geltenden Fassung mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Befristung von sechs Monaten – nicht gegen das Grundgesetz (siehe BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40). Die Vorschrift ist auch mit dem Europäischen Unionsrecht vereinbar (VGH BW, B.v. 28.11.2019 – 9 S 2662/19 – juris).
29
Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB sind erfüllt.
30
Ein durch Tatsachen hinreichend begründeter Verdacht eines Verstoßes durch das Vorhandensein eines nicht zugelassenen Stoffes, hier Maquibeeren-Extrakt, im streitigen Produkt liegt vor. Dafür genügen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte, dass die jeweiligen Voraussetzungen des Gesetzesverstoßes erfüllt sind, wobei bloße Vermutungen oder theoretische Überlegungen nicht ausreichen (vgl. Boch, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, 8. Online-Auflage 2019, § 40 LFGB Rn. 39 ff.). Die Begründung des Verdachts, also die Feststellung der für den Verdacht maßgeblichen Tatsachen, muss hinreichend sein; es muss also durch tatsächliche Feststellungen hinreichend begründet werden, dass der Verdacht eines Verstoßes besteht, wobei eine Einzelfallabwägung vorzunehmen ist (Rathke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 184. EL, Juli 2022, § 40 LFGB Rn. 92). Die Voraussetzungen sind hier erfüllt.
31
Die Antragstellerin verstößt durch das Inverkehrbringen ihrer Maqui-Augen-Kapseln für Menschen gegen das Lebensmittelrecht, weil in dem Produkt ein Maquibeeren-Extrakt vorhanden ist, welches neuartig ist und in der EU keine entsprechende Zulassung hat.
32
Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 dürfen jedoch nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in den Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden.
33
Bei dem streitgegenständlichen Produkt „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“ handelt es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel i.S. von § 1 Abs. 1 NemV und damit auch um ein Lebensmittel i.S. des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 178/2002.
34
Das streitgegenständliche Produkt ist des Weiteren neuartig im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283.
35
Die Neuartigkeit des streitgegenständlichen Produkts hat der Antragsgegner zur Überzeugung des Gerichts dargelegt. Er hat insbesondere mit Bezug auf den Befund/das Gutachten des LGL vom 19. Dezember 2022 und die nachfolgenden Stellungnahmen des LGL, die auch im Tatbestand referiert sind (siehe dort unter I. 1. und I. 3.), dargelegt. Auf die aktenkundigen Stellungnahmen kann Bezug genommen werden. Denn im Lebensmittelrecht ist es zulässig und üblich, sich auf Gutachten der jeweiligen Fachstelle zu stützen. Es ist nicht nur möglich, sich auf die Fachgutachten zu stützen, sondern dies ist ausdrücklich vorgesehen. Das LGL ist die zentrale Fachbehörde des Freistaats Bayern für Lebensmittelsicherheit, Gesundheit, Veterinärwesen sowie Arbeitsschutz und Produktsicherheit (vgl. Art. 4 GVVG i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 2 GesVSV) sowie Laboratorium im Sinne des Art. 37 VO (EU) 2017/625. Das in Bayern für Lebensmittelkontrollen zuständige LGL beschäftigt unter anderem Ärzte, Tierärzte, Lebensmittelchemiker, Apotheker, Juristen und Fachkontrolleure. Das LGL führt primär wissenschaftliche Untersuchungen durch und erstattet für die Kreisverwaltungsbehörden Gutachten (vgl. Streinz/Lamers in Streinz/Kraus, Lebensmittelrecht-Handbuch, Werkstand 41. EL Juli 2020; IV. Aufbau, Vollzug und Praxis, Lebensmittelüberwachung, Rn. 30). Die Landesuntersuchungsämter unterstützen dabei nicht nur die lokale Lebensmittelüberwachung vor Ort. Sie untersuchen die vorgelegten Proben und Gutachten, die ihnen von den lokalen Behörden unterbreiteten Sachverhalte sowohl rechtlich als auch tatsächlich, z.B. durch analytische Untersuchungen oder Prüfung der ordnungsgemäßen Kennzeichnung (vgl. schon VG Würzburg, B.v. 16.12.2020 – W 8 S 20.1841 – juris Rn. 37 mit Bezug auf Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl., § 6 Rn. 44). Den Äußerungen des LGL als kraft Gesetzes eingesetzter zentraler Fachstelle kommt – unter Berücksichtigung weiterer, gegebenenfalls auch gegenteiliger sachverständiger Stellungnahmen (wie etwa von Antragstellerseite vorgelegt) – besonderes Gewicht zu.
36
Des Weiteren ist anzumerken, dass die Darlegungs- und Beweislast, dass das streitgegenständliche Produkt in der Europäischen Union schon vor dem Stichtag des 15. Mai 1997 eine nennenswerte menschliche Verzehrgeschichte aufweist, primär beim Lebensmittelunternehmer liegt. Denn die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast stellt sich im Gegensatz zum Vorbringen der Antragstellerseite, die wiederholt auf die BGH-Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH, U.v.. 16.4.2015 – I ZR 27/14 – juris Rn. 22) verweist, im Verwaltungsverfahren anders dar als im Zivilprozess (vgl. auch Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 184. EL, Juli 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 40). Denn nunmehr ist gemäß Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 ausdrücklich festgelegt, dass der Lebensmittelunternehmer für die Prüfung verantwortlich ist, ob es sich bei einem Lebensmittel um ein neuartiges Produkt handelt (siehe Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl. 2019, § 14 Rn. 12), weil er auch die erforderlichen Informationen über die Verwendung eines Lebensmittels vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang zu liefern hat. Damit trägt der Lebensmittelunternehmer die Darlegungslast, dass das Produkt in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union als Lebensmittel in Verkehr war. Er trägt das Bewertungsrisiko (vgl. Streinz/Lamers in Streinz/Kraus, Lebensmittelrechtshandbuch, Werkstand: 44. EL November 2022, 2. Grundlage des Lebensmittelrechts Rn. 510 und 515). Auch wenn die Vollzugsbehörde nach allgemeinen Grundsätzen zur Amtsermittlung verpflichtet ist (Art. 24 BayVwVfG), verbleibt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat nicht neuartig ist, bei dem, der das Lebensmittel in den Verkehr bringen will (VG Freiburg, B.v. 14.12.2022 – 1 K 3219/22 – juris Rn. 31; VGH BW, B.v. 22.6.2022 – 9 S 1003/22 – juris Rn. 15; vgl. zur Beweislast auch schon VGH BW, B.v. 8.2.2021 – 9 S 3951/20 – juris Rn. 16; Nds.OVG, B.v. 12.12.2019 – 13 ME 220/19 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 12.5.2009 – 9 B 09.199 – juris Rn. 19 ff.; jeweils m.w.N.). Dem Untersuchungsgrundsatz gemäß Art. 24 BayVwVfG ist zudem seitens des Antragsgegners Genüge getan, wenn er sich mit den vorliegenden Erkenntnissen sowie den vorgebrachten Erwägungen der Antragstellerin wie hier ausführlich auseinandersetzt, zumal das Fehlen einschlägiger Quellen zum Verzehr bei neuartigen Lebensmitteln – anders als bei Lebensmitteln, die schon in Verwendung waren – in der Natur der Sache liegt.
37
Die beweisbelastete Antragstellerin hat vorliegend nicht den Nachweis geführt, dass das von ihr konkret vertriebene Produkt, gerade mit dem Stoff Maquibeeren-Extrakt, bereits vor dem 15. Mai 1997 im nennenswerten Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist.
38
Ein Lebensmittel ist neuartig, wenn es vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde und in mindestens eine der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nrn. i) bis x) VO (EU) 2015/2283 genannten Kategorien fällt. Nach dem Gutachten des LGL vom 19. Dezember 2022 – vertiefend erläutert in den nachfolgenden Stellungnahmen vom 26. Januar 2023, vom 1. Februar 2023, vom 27. Februar 2023 und vom 14. März 2023 – ist davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Produkt einen Maquibeeren-Extrakt mit einem Anteil vom 60 mg aufweist, der 60% Anthocyanen enthält und als solcher nicht vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat Verwendung gefunden hat. Das Produkt gehört damit der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) Nr. 2015/2283 genannten Kategorie an. Diese Kategorie erfasst Lebensmittel, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehen oder daraus isoliert wurden, ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat und das Lebensmittel aus einer Pflanze oder einer Sorte derselben Pflanzenart besteht oder daraus isoliert oder erzeugt wurde, die ihrerseits gewonnen wurde mithilfe von Vermehrungsverfahren, die im Einzelnen genannte Anforderungen erfüllen.
39
Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 enthält eine eigenständige Definition für den Begriff neuartige Lebensmittel, die verbindlich ist. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) Nr. 2015/2283 enthält zwei Voraussetzungen: Das betreffende Erzeugnis muss erstens vor dem 15. Mai 1997 unabhängig von dem Zeitpunkt der beitretenden Mitgliedstaaten zur Europäischen Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sein und zweitens muss es in mindestens in einer der Kategorien der Nrn. i) bis x) der Vorschrift einzuordnen sein. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Die relevanten und zu berücksichtigenden Umstände müssen sich auf das Lebensmittel selbst beziehen und nicht auf ein ähnliches oder vergleichbares Lebensmittel. Denn selbst gering erscheinende Abweichungen könnten ernstzunehmende Folgen haben. Die Betrachtung hat sich auf das Lebensmittel bzw. diejenige Lebensmittelzutat zu beziehen, deren Neuartigkeit konkret in Rede steht. Abzustellen ist damit auf das konkrete streitgegenständliche Erzeugnis. Dabei machen neue Rezepturen oder Formen der Verarbeitung für sich aus einem nicht neuartigen Lebensmittel nicht ein neuartiges Lebensmittel, soweit und solange das Ausgangslebensmittel in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt. Bei Pflanzenextrakten kann die Abgrenzung schwierig sein. Entscheidend ist in solchen Fällen, inwieweit der Extrakt die wesentlichen Eigenschaften des Ausgangslebensmittels besitzt und welche Auswirkungen Veränderungen auf den Verzehr des Lebensmittels haben. Es ist mithin ein Vergleich zwischen dem Ausgangsmaterial auf der einen Seite und dem Extrakt auf der anderen Seite vorzunehmen, wobei insbesondere die Aufnahme der Extraktbestandteile zu bewerten ist. Das konkrete Lebensmittel, also das Extrakt, muss eine Verwendungsgeschichte vor 15. Mai 1997 aufweisen. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 nimmt hinsichtlich der eingesetzten Pflanzengattung, Pflanzenart und Pflanzensorte keine Eingrenzung vor. Im Ausgangspunkt ist vielmehr jedes aus einer Pflanze bestehende oder gewonnene Lebensmittel potentiell neuartig. Relevant ist dies insbesondere für verarbeitete Pflanzenerzeugnisse, wie Extrakte und Konzentrate. Neuartig sind Stoffe aus Pflanzen oder Pflanzenteilen, die in Bezug auf einen in der Pflanze enthaltenen Stoff zu einem hohen Grad aufgereinigt wurden. Der Umstand, dass das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union haben muss, führt dabei zwangsläufig zu dem Schluss, dass dieses nicht mit dem Lebensmittel identisch sein kann, dessen Neuartigkeit konkret in Rede steht. Der Verordnungsgeber der VO (EU) 2015/2283 nimmt nicht die konkrete Lebensmittelzutat in Bezug, sondern das Erzeugnis im Ganzen. Mit Blick auf den Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 ist also zu fragen, ob das Lebensmittel, das aus einer Pflanze und ihren Teilen besteht bzw. einen hieraus gewonnenen Bestandteil enthält, eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel hat (Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 184. EL, Juli 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 3 f., 12 ff., 32, 33, 35, 79, 85, 91). Bei der Beurteilung ist die Frage zu prüfen, ob gewisse Varietäten von herkömmlichen Lebensmitteln als neuartig einzustufen sind. Die Frage stellt sich auch bei der Verarbeitung von herkömmlichen Lebensmitteln, so z.B. bei Extrakten aus Pflanzen, die ihrerseits vor dem Stichtag in nennenswertem Umfang verzehrt wurden. Dabei ist auf eine „Nämlichkeit“ bzw. zumindest „hohe Ähnlichkeit“ abzustellen. Die Vermarktung eines hoch angereicherten Extrakts aus herkömmlichen Lebensmitteln ist als neuartig anzusehen, wenn dieser Extrakt nicht bereits vor dem Stichtag in nennenswerten Umfang eine Vermarktungsgeschichte hatte. Von der Ausnahme des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 sind auch – aber auch nur – „nahe Verwandte“ des betreffenden Lebensmittels erfasst (Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl. 2019, § 14 Rn. 10 und 20).
40
Die Neuartigkeit eines Lebensmittels muss anhand aller Merkmale dieses Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs beurteilt werden (vgl. EuGH, U.v. 15.1.2009 – C-383/07 – juris Rn. 26 f.). Für die Frage der Neuartigkeit eines Lebensmittels kommt es nicht auf den Ausgangsstoff, sondern auf das daraus erzeugte zu beurteilende Produkt an (VG Düsseldorf, U.v. 17.7.2012 – 16 K 4137/11 – juris Rn. 17). Der Umstand allein, dass alle Zutaten, aus denen ein Lebensmittel besteht, in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr in der Gemeinschaft verwendet worden sein mögen, reicht hierbei nicht dafür aus, das Lebensmittel-Enderzeugnis nicht als neuartiges Lebensmittel im Sinne der Novel-Food-Verordnung anzusehen, da nicht ausgeschlossen ist, dass der Herstellungsvorgang in der Struktur eines Lebensmittels zu physikalischen, chemischen oder biologischen Änderungen der verwendeten Zutaten mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die öffentliche Gesundheit führen kann (EuGH U.v. 15.1.2009 – C-383/07 – juris Rn. 27). Auch kommt es nicht darauf an, ob ein nennenswerter Verzehr der Pflanze oder von Produkten, die die Pflanze enthalten, erfolgt ist (BGH, U.v. 16.4.2015 – I ZR 27/14 – juris Rn. 26). Die Neuartigkeit ist somit produktbezogen zu prüfen. Geboten ist eine wertende produktorientierte Entscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände, Merkmale der Lebensmittel und der Herstellungsverfahren. Maßgeblich sind qualitative und quantitative Kriterien. Es kommt auf das Endprodukt an. Bei einem Extrakt aus einer Pflanze ist unerheblich, ob bei der Pflanze selbst bereits ein Verzehr in nennenswertem Umfang erfolgt ist (Streinz/Lamers in Streinz/Kraus, Lebensmittelrecht-Handbuch, Werkstand 44. EL November 2022, II. Grundlagen des Lebensmittelrechts Rn. 510 mit Bezug auf VG Würzburg, B.v. 27.7.2018 – W 8 S 18.904 – juris Rn. 48). Entscheidungserheblich ist allein, ob das hier relevante Endprodukt die Merkmale eines neuartigen Lebensmittels erfüllt (VG Potsdam, B.v. 11.7.2022 – 6 L 831/20 – juris Rn. 86 f.; VGH BW, B.v. 22.6.2022 – 9 S 1003/22 – juris Rn. 18 f.; LG Düsseldorf, U.v. 10.6.2022 – 38 O 46/20 – juris Rn. 28; VG Bayreuth, B.v. 11.4.2022 – B 7 S 22.244 – juris Rn. 73; VG Trier, U.v. 11.3.2022 – 6 K 3630/21.TR – juris Rn. 25 f.; VG Mainz, B.v. 23.3.2021 – 1 L 85/21.MZ – juris Rn. 63. Kritisch Meyer/Ciric, ZLR 2022, 686, wonach zum einen im Rahmen der Nr. iv) der Herstellungsvorgang nicht zu berücksichtigen ist und zum andern auf den einzelnen Stoff abzustellen ist; siehe dazu aber auch den Hinweis auf einen möglichen Interessenkonflikt des einen Autors gemäß der Sternchenfußnote; vgl. auch VG Hannover, B.v. 18.11.2019 – 15 B 3035/19 – juris Rn. 24; VG Cottbus, B.v. 8.1.2020 – 3 L 230/19 – juris Rn. 18, 25).
41
Eine gewisse Indizwirkung für die Annahme eines neuartigen Lebensmittels kommt dem sogenannten Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission zu, auch wenn dieser als solcher keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet (BGH, U.v. 16.4.2015 – I ZR 27/14 – juris Rn. 33; VG Hannover, B.v. 18.11.2019 – 15 B 3035/19 – juris Rn. 26; VG München, B.v. 6.10.2021 – M 26a S 21.4118 – juris Rn. 45; Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 184. EL Juli 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 42). In die Einträge des Katalogs, der von einer Arbeitsgruppe der Europäischen Gemeinschaft als Orientierungshilfe im Hinblick auf die Verordnung (EG) Nr. 258/97 erarbeitet wurde, fließen die Erkenntnisse der Europäischen Kommission sowie der für neuartige Lebensmittel zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten ein. Nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 ist die Europäische Kommission verpflichtet, den Katalog auf dem neuesten Stand zu halten (VG Cottbus, B.v. 8.1.2020 – 3 L 230/19 – juris Rn. 19).
42
Die Voraussetzungen der Ausnahme zu Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 liegen ausgehend von der vorstehend dargelegten Rechtslage nach summarischer Prüfung nicht vor. Das streitgegenständliche Produkt Maqui-Augen-Kapseln für Menschen ist wegen des dort enthaltenen Stoffes Maquibeeren-Extrakt mit einem Gehalt an Anthocyanen von 36 mg (21 mg plus 15 mg) pro 60 mg, und damit 60%, als neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 zu klassifizieren. Das Produkt, das Maquibeeren-Extrakt, wurde vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet.
43
Durchgreifende gegenteilige Gründe für eine Bewertung des streitgegenständlichen Lebensmittels als nicht neuartig bestehen auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Ausführungen der Antragstellerin nicht. Die Antragstellerin konnte im Ergebnis die plausiblen Ausführungen des Antragsgegners, gestützt auf das Gutachten des LGL vom 19. Dezember 2022 und dessen nachfolgenden Stellungnahmen nicht erschüttern. Die Antragstellerin konnte insbesondere nicht nachweisen, dass das konkrete Produkt, speziell mit Blick auf das streitgegenständliche Maquibeeren-Extrakt, nicht neu ist.
44
Die diversen Stellungnahmen des von der Antragstellerin beauftragten Gutachters sowie die Ausführungen des Bevollmächtigten der Antragstellerin rechtfertigen im Ergebnis keine andere Beurteilung. Das LGL hat überzeugend dargelegt, dass ein Maquibeeren-Extrakt mit 60% Anthocyanen nicht vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel verwendet wurde.
45
Soweit die Antragstellerseite behauptet, es seien nur 35% Anthocyanin enthalten und nicht 60% ist ihre Berechnung unter Ausklammerung der 25% Delphinidin (15 mg) entgegen der auf dem streitgegenständlichen Produkt angegeben Werte nicht nachvollziehbar. Aber selbst, wenn der Anthocyangehalt des Maquibeere-Extrakts nur 35% statt 60% betrüge, läge der Anthocyangehalt immer noch deutlich über den natürlichen Anthocyangehalt der Maquibeere und würde an der Einstufung als neuartig nichts ändern.
46
Des Weiteren hat das LGL plausibel hergeleitet und erläutert, dass der deklarierte Gehalt an Anthocyanen im streitgegenständlichen Extrakt das 283-fache des natürlichen Gehalts in Maquibeeren beträgt. Es hat in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2023 ergänzend angemerkt, dass der Anthocyan-Gehalt von 60% im beanstandeten Extrakt bei weitem nicht dem natürlichen Gehalt in den Maquibeeren entspricht, sondern signifikant darüber liegt, selbst wenn man differierende Angaben zum natürlichen Gehalt zugrunde legt. Zudem handelt es sich bei dem Faktor von 283 nicht um ein Droge-Extrakt-Verhältnis, sondern um ein Konzentrationsverhältnis, bei dem die Konzentration im Extrakt durch die Konzentration in der Ausgangspflanze dividiert wird.
47
Soweit die Antragstellerin dem LGL weiter vorwirft, es habe sich auf die Angaben der Antragstellerin zu dem Produkt bezogen, aber keine eigenständige Analyse der Inhaltsstoffe des streitgegenständlichen Produkts erstellt, ist ihr entgegenzuhalten, dass das LGL von den ausdrücklichen Angaben der Antragstellerin ausgehen konnte, zumal diese selbst keinerlei Beleg dafür vorgelegt hat, dass das Maquibeeren-Extrakt und konkret der Anteil der betreffenden Anthocyane im streitgegenständlichen Produkt – entgegen ihrer eigenen Angaben auf dem Produkt – geringer sein sollte. Zudem hat das LGL in seiner Stellungnahme vom 14. März 2023 plausibel angemerkt: Der Anthocyangehalt des Maquibeeren-Extrakts auch in Abgrenzung zu Anthocyangehalt des im Produkt ebenfalls enthaltenen Traubenextrakts sei mangels geeigneter validierter und akkreditierter Verfahren nicht analytisch zu verifizieren gewesen, da es sich gerade um einen neuartigen Stoff handele, für den entsprechende Verfahren nicht zur Verfügung stünden. Abgesehen davon spreche die intensive schwarz-blaue Farbe des Kapselinhalts für einen hohen Anthocyangehalt. Die Antragstellerin behaupte selbst nicht, dass sie wissentlich und vorsätzlich deutlich höhere Anthocyangehalte ihrer Produkte in der Kennzeichnung auslobe, als tatsächlich darin enthalten seien.
48
Soweit die Antragstellerin auf den Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission verweist mit dem Status „FS“, der bedeutet, dass das betroffene Produkt nur in Nahrungsergänzungsmitteln in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist, bezieht sich dieser Eintrag auf die Pflanze Aristotelia chilensis und nicht auf das streitgegenständliche Maquibeeren-Extrakt. Insoweit kann die Indizwirkung der Liste nur so weit gehen, als sie ein konkretes Produkt betrifft. Die Aussagekraft der Liste beschränkt sich auf den konkreten Eintrag und erfasst nicht gleichsam alle Nahrungsergänzungsmittel, in denen Aristotelia chillensis zu finden ist. Wie schon ausgeführt, ist auf das Endprodukt und auf das konkrete Erzeugnis abzustellen.
49
Das Maquibeeren-Extrakt mit dem hohen Anteil an Anthocyanen ist ein Erzeugnis eigener Art, also ein Aliud im Vergleich zu den im Novel-Food-Katalog der EU aufgeführten Maquibeeren. Der Bedeutungsgehalt der Einstufung einer Pflanze als „FS“, d.h. als nicht neuartig in Nahrungsergänzungsmitteln im Novel-Food-Katalog der EU, beschränkt sich darauf, dass der jeweilige Stoff nur in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden darf. Die Einstufung der Maquibeere als „FS“ bedeutet aber nicht, dass damit automatisch auch sämtliche Extrakte aus dieser Pflanze in Nahrungsergänzungsmitteln ohne weiteres verwendet werden dürfen, sondern bezieht sich nur auf die konkrete Ausgangspflanze. Dass auch das streitgegenständliche Maquibeeren-Extrakt nicht neuartig wäre, lässt sich dem Eintrag nicht entnehmen und stünde auch nicht in Einklang mit den Vorgaben, dass auf das konkrete Endprodukt abzustellen ist. Infolgedessen kann der Novel-Food-Katalog schon keine Indizwirkung für eine fehlende Neuartigkeit von Maquibeeren-Extrakten in Nahrungsergänzungsmitteln zukommen. Im Gegenteil ist eher umgekehrt davon auszugehen, dass mangels Aufnahme des Maquibeeren-Extrakts in die Novel-Food-Liste von einer Neuartigkeit auszugehen ist. Dass die Maquibeere bzw. Maquibeerenpulver in Nahrungsmitteln eingesetzt wurden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, dass auch Maquibeeren-Extrakte in der streitgegenständlichen Dosierung schon in der Vergangenheit bzw. vor dem 15. Mai 1997 in Nahrungsmitteln eingesetzt waren und eine Verzehrgeschichte aufweisen. Einträge als FS-Einträge, bezogen auf eine Beere bzw. Konzentrate davon, sind gerade nicht identisch mit Extrakten daraus. Nahrungsergänzungsmittel, die nicht extrahierte Pflanzenteile enthalten, etwa Pulver, sind etwas Anderes als spezielle Extrakte. Vielmehr ist bei Pflanzen und Pflanzenteilen sowie den Extrakten daraus separat zu prüfen, ob hierfür eine nennenswerte Verzehrgeschichte als Lebensmittel besteht. Das LGL hat in dem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2023 zudem nachvollziehbar darauf verwiesen, dass eine Extraktion auch nicht mit Vorgängen wie Trocknen, Einkochen oder Gefriertrocknen gleichzusetzen ist. Streitgegenständlich ist ein Extrakt, dessen Gehalt an Anthocyanen das Vielfache – laut LGL mit einem Verhältnis von 283 : 1 – der natürlichen Vorkommnisse als Konzentration beträgt. Der FS-Eintrag im Novel-Food-Katalog der EU bezieht sich ausschließlich auf die Maquibeeren als solche und nicht gleichsam auch auf alle erdenklichen Extrakte daraus.
50
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Positivliste aus Italien, da sich der dortige Eintrag ebenfalls nur auf die Früchte der Pflanze Aristotelia chilensis, also die Maquibeeren, bezieht und nicht auf sämtliche Extrakte aus den Beeren. Vielmehr befindet sich laut LGL auf der Internetseite des Italienischen Gesundheitsministeriums ein entsprechender Hinweis, dass bei Extrakten aus den in der Liste aufgeführten Pflanzen separat zu prüfen ist, ob diese gegebenenfalls neuartige Lebensmittel darstellen. Die italienische Liste gilt nur für die in der Liste aufgeführten Pflanzen/Pflanzenteile und/oder deren Derivate (z.B. Extrakte oder andere Zubereitungen) mit einer signifikanten Verzehrgeschichte als Lebensmittel vor Mai 1997. Es bleibt aber nach den ausdrücklichen Angaben auf der italienischen Internetseite dabei, dass Substanzen, Präparate und Extrakte, die aus den aufgelisteten Pflanzen gewonnen werden, aber nicht die erwähnte Verzehrgeschichte aufweisen, neuartige Lebensmittel im Sinne der VO (EU) 2015/2283 sind und daher nicht ohne vorherige Zulassung verwendet werden dürfen. Auch insoweit ist festzuhalten, dass die in der Positivliste erwähnten Maquibeeren nicht identisch mit dem streitgegenständlichen Extrakt sind, sondern vielmehr davon zu unterscheiden sind, sodass der Positivliste insoweit kein Beweiswert zukommen kann (vgl. allgemein auch VG Bayreuth, GB v. 28.11.2022 – B 7 K 22.245 – juris Rn. 90; siehe auch VGH BW, B.v. 22.6.2022 – 9 S 1003/22 – juris Rn. 21 m.w.N.).
51
Zudem ist es nach der Systematik der Novel-Food-Regelung unbeachtlich, wenn ein bestimmtes Lebensmittel in einem anderen EU-Staat tatsächlich in Verkehr wäre, weil entscheidungserheblich für die Frage der Neuartigkeit ausschließlich der Nachweis einer nennenswerten Verzehrgeschichte in diesem Mitgliedstaat vor 15. Mai 1997 wäre. Aus der Liste Italiens ergibt sich gerade nicht, dass Extrakte aus Maquibeeren diese Verzehrgeschichte aufweisen.
52
Gleichermaßen ist unerheblich, dass Maquibeeren-Extrakte in Deutschland in Verkehr sind und – wie von Antragstellerseite ausgeführt – von Mitbewerbern der Antragstellerin vertrieben werden. Denn rechtlich relevant ist nicht der aktuelle Vertrieb von Maquibeeren-Extrakt in Deutschland, sondern die Frage, ob dieses Produkt auch schon vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde.
53
Auch der Hinweis auf Art. 34a EUV rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil Warenverkehr gerade nicht durch nationale Vorschriften, die ausschließlich auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates Anwendung finden, beeinträchtigt würde, sondern weil vielmehr ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 inmitten steht, den es zu unterbinden gilt. Selbst wenn in einem anderen EU-Mitgliedstaat ein Lebensmittel unter Verstoß gegen EU-Vorschriften in Verkehr wäre, könne die Antragstellerin nichts für sich daraus herleiten, insbesondere nicht verlangen, dass auch in Deutschland unter Verstoß gegen EU-Recht dieses Lebensmittel zugelassen würde („keine Gleichbehandlung im Unrecht“).
54
Der weitere Hinweis der Antragstellerseite, dass eine „kleine Menge“ in Nahrungsergänzungsmitteln typisch sei, ändert nichts daran, dass es an einem Nachweis fehlt, dass das konkrete Maquibeeren-Extrakt schon vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in den Nahrungsergänzungsmitteln enthalten war.
55
Ebenso kann die allgemeine Aussage, dass Maquibeeren bzw. chilenische Weinbeeren in Europa seit langem bekannt und anerkannt wären, für sich nicht zu einem anderen Ergebnis führen, zumal auch dafür konkrete Nachweise fehlen. Im Gegenteil hat das LGL darauf verwiesen, dass die Beeren – außerhalb Europas – in C. als Delikatesse gälten. Auch für Folgeprodukte wie Maqui-Wein fehlt für Europa ein entsprechender Nachweis einer Verzehrgeschichte. Abgesehen davon genügt eine Aussage zu den Beeren, die von dem daraus gewonnenen streitgegenständlichen Extrakt wie ausgeführt zu unterscheiden sind, ohnehin nicht.
56
Schließlich ergibt sich weder aus dem Statement des Rohstofflieferanten noch aus der vorgelegten Verkehrsfähigkeitsbescheinigung etwas Stichhaltiges für die fehlende Neuartigkeit des streitgegenständlichen Extraktes, geschweige denn belastbare Nachweise (vgl. auch VGH BW, B.v. 22.6.2022 – 9 S 1003/22 – juris Rn. 32).
57
Handelt es sich nach alledem bei dem konkret streitgegenständlichen Produkt „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“, der ein Maquibeeren-Extrakt mit einem Anteil von 60% Anthocyanen enthält, um ein neuartiges Lebensmittel, das jedoch noch nicht zugelassen und als solches weder auf der Unionsliste noch auf der Positivliste aus Italien aufgeführt ist, bestand und besteht auch ein Verbot, dieses als solches in den Verkehr zu bringen und als Lebensmittel zu verwenden (Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283), sodass die Tatbestandsvoraussetzungen von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB erfüllt sind.
58
Eine Gesundheitsgefahr bzw. ein Gesundheitsrisiko bzw. umgekehrt positive gesundheitliche Effekte sind weder Voraussetzung für die fehlende bzw. gegebene Neuartigkeit eines Lebensmittels noch für die Annahme eines Rechtsverstoßes. Sie sind damit auch nicht relevant für eine darauf bezogene Information nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB (vgl. schon VG Würzburg, B.v. 16.11.2021 – W 8 E 21.1399 – juris Rn 43 mit Bezug auf OVG NRW, B.v. 14.3.2019 – 13 B 67/19 – LMuR 2019, 178).
59
Die Überschreitung einer Erheblichkeitsschwelle ist kein Tatbestandsmerkmal des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Erforderlichkeit von besonders nachteiligen Folgen für den einzelnen Verbraucher (BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – juris Rn. 54) beziehen sich auf § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB in der Fassung vom 3. Juni 2013.
60
Weiter steht auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Veröffentlichung nicht entgegen. § 40 Abs. 1a LFGB verpflichtet die zuständige Behörde – im Gegensatz zu § 40 Abs. 1 LFGB – zwingend zu einer Veröffentlichung von nach dieser Norm festgestellten Verstößen. Mit § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB wird klargestellt, dass nicht nur bei überschrittenen Grenzwerten, sondern auch – und erst recht – beim Nachweis verbotener oder nicht zugelassener Stoffe eine Verpflichtung zur Veröffentlichung besteht (vgl. die Bayerischen Vollzugshinweise zur Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1 LFGB, BayMBl. 2021, Nr. 614 vom 1.9.2021). Mangels eingeräumten Ermessens ist auch ein eventueller Ermessensfehler von vornherein ausgeschlossen.
61
Wegen der erheblichen Grundrechtsrelevanz einer derartigen Veröffentlichung wird diese zwingende Verpflichtung durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt (vgl. Rathke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 184. EL Juli 2022, § 40 LFGB Rn. 81). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde vorliegend aber nicht verletzt. Zunächst ist der Grundrechtseingriff hier bereits von vorneherein dadurch relativiert, dass die Antragstellerin negative Öffentlichkeitsinformationen durch ihr rechtswidriges Verhalten selbst veranlasst hat, umgekehrt also den Eingriff durch rechtstreues Verhalten hätte verhindern können, und dass ihr Fehlverhalten angesichts der Konsequenzen für die Verbraucherinnen und Verbraucher einen Öffentlichkeitsbezug aufweist (BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – NJW 2018, 2109 Rn. 36). Weiterhin stellt sich die Veröffentlichung auch im Hinblick auf eine Beeinträchtigung von Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG als angemessen dar. Die geplante Veröffentlichung greift lediglich in die Art und Weise der Berufsausübung ein, die durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden kann (st. Rspr. seit BVerfG, U.v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377). Solche Allgemeinwohlerwägungen liegen hier im öffentlichen Interesse der Verbraucher an der Information über Verstöße gegen das Lebensmittelrecht – auch im Hinblick auf die Ermöglichung eigenverantwortlicher Konsumentscheidungen – vor. Die Information nach § 40 Abs. 1a LFGB hat auch einen generalpräventiven Zweck (Rathke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 184. EL Juli 2022, § 40 LFGB Rn. 123). Für ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung spricht zudem das Haltbarkeitsdatum bis 21. Januar 2024, weil davon auszugehen ist, dass nicht bereits sämtliche veräußerten Produkte von den Erwerbern vollständig verbraucht worden sind (vgl. zum umgekehrten Fall OVG NRW, B.v. 15.1.2019 – 13 B 1587/18 – ZLR 2019, 287). Für die Veröffentlichung ist – wie bereits ausgeführt – ferner nicht nötig, dass eine Gesundheitsgefahr von dem fraglichen Produkt ausgeht (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – juris Rn. 49).
62
Des Weiteren verdeutlicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 21. März 2018 – 1 BvF 1/13 – (juris) nicht, dass die Veröffentlichung ohne Vorliegen von Gesundheitsrisiken unverhältnismäßig ist (vgl. VG Würzburg, B.v. 6.11.2021 – W 8 E 21.1399 – juris Rn. 46).
63
Schließlich bestehen gegen die Art und Weise der geplanten Veröffentlichung keine Bedenken.
64
Die Veröffentlichung erfordert vorliegend keinen Hinweis zur Mängelbeseitigung gemäß § 40 Abs. 4 Satz 2 LFGB. Denn der Verstoß besteht fort. Abgesehen davon, dass das streitgegenständliche Produkt weiterhin auf der Internetseite der Antragstellerin zum Verkauf angeboten wird (https:/ …, abgerufen am 16.3.2023), kann nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche Produkte von den Erwerbern bereits vollständig verbraucht sind. Ein Nachweis für die Mängelbeseitigung, der vom betroffenen Lebensmittelunternehmer zu erbringen ist (vgl. Rathke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 184. EL Juli 2022, § 40 LFGB Rn. 77), fehlt vorliegend jedoch. Selbst wenn die Verstöße schon beseitigt wären, stünde einer Veröffentlichung nichts entgegen, weil diese geeignet ist, zur Transparenz am Markt beizutragen und auch eine rechtliche Unzuverlässigkeit des Unternehmers in der Vergangenheit für Konsumentscheidungen des Verbrauchers in der Gegenwart und Zukunft relevant sind. Nach dem Gesetz soll dem Verbraucher überlassen werden, welche Schlüsse er aus den Verstößen gegen das Lebensmittelrecht zieht. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den generalpräventiven Zweck. Die Publikation – selbst behobener Verstöße – erhöht die abschreckende Wirkung der Informationsregelung und fördert damit die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften (NdsOVG, B.v. 15.11.2022 – 14 ME 339/22 – juris Rn. 6 mit Bezug auf BVerfG, B.v. 21.8.2018 – 1 BvF 1/13 – juris Rn. 38 sowie auf VG Würzburg, B.v. 31.8.2021 – W 8 E 21.1045 – juris Rn. 55).
65
Des Weiteren bestehen auch keine rechtlichen Bedenken, dass die beabsichtigte Veröffentlichung nicht unverzüglich im Sinne von § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB erfolgt. Anhaltspunkte für ein „schuldhaftes Zögern“ (vgl. § 121 Abs. 1 BGB) seitens des Antragsgegners sind nicht ersichtlich (vgl. NdsOVG, B.v. 20.10.2022 – 14 ME 304/22 – juris Rn. 21 ff.).
66
Auch wenn man dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069 – juris) folgt, dass das Wort „unverzüglich“ bedeutet, dass eine Verzögerung auf sachlichen Gründen beruht und es auf ein zurechenbares Verschulden nicht ankommt (a.A. VGH BW, B.v. 9.11.2020 – 9 S 2421/20 – juris), so dass auch eine überlange Verfahrensdauer im Vorfeld einer Veröffentlichung dazu führen kann, dass der Zweck der Information in der Öffentlichkeit nicht mehr erreicht werden kann und die Veröffentlichung deshalb gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt, weil die betroffenen Unternehmer Interessen aus Art. 12 Abs. 1 GG unangemessen benachteiligt sind, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat unter Rückgriff auf Entstehungsgeschichte und den Gesetzeszweck dargelegt, dass es sich bei dem Begriff „unverzüglich“ nicht um eine nach subjektiven, sondern einen nach objektiven Kriterien zu bemessende Zeitspanne zwischen dem festgestellten Verstoß und seiner Veröffentlichung handelt. Eine Veröffentlichung ist nur dann unverzüglich, wenn die Verzögerung auf sachlich gerechtfertigten Gründen beruht. Denn die Behörde ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB vorliegen und die notwendigen Ermittlungen abgeschlossen sind, zur Information der Öffentlichkeit verpflichtet, ohne dass Ermessen eröffnet ist. Die Gründe, die nach Abschluss der notwendigen Ermittlungen zu einer Verzögerung im Verfahren führen, sind angesichts des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit nach dem Zweck und der Entstehungsgeschichte der Norm unbeachtlich. Zur Bestimmung des Zeitkorridors zieht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als Orientierung die Wertung des § 5 Abs. 2 VIG heran, wonach die Behörde binnen eines Monats bzw. zwei Monaten über den Anspruch auf Information entscheiden soll. Abzustellen ist aber auf die Umstände des Einzelfalles, wie die behördlich notwendige Dauer bis zur Vorlage der Untersuchungsergebnisse, die erforderliche Anhörung des Betroffenen. Unschädlich dürfte des Weiteren das Eilrechtsschutzverfahren sein und auch sonstige Verfahrensverzögerungen, die nicht der Sphäre der Behörde, sondern derjenigen des Lebensmittelunternehmers zuzurechnen sind.
67
Zwar erscheint der Rückgriff auf § 5 Abs. 2 VIG nicht zwingend (vgl. auch Riemer, LMuR 2023/89 S. 93 f., der den Verweis auf § 5 Abs. 2 VIG für nachvollziehbar hält), weil die Interessenkonstellation dort eine andere als bei § 40 Abs. 1a LFGB ist. Beim VIG begehrt der Bürger als Verbraucher eine Information seitens des Staates, etwa über vorhandene Erkenntnisse über lebensmittelrechtliche Verstöße eines Lebensmittelunternehmens, während sich im Fall des § 40 Abs. 1a LFGB das Lebensmittelunternehmen gerade gegen eine Veröffentlichung seiner lebensmittelrechtlichen Verstöße seitens des Staates wehrt. Zudem ist eine Missachtung der Frist des § 5 Abs. 2 VIG nicht unmittelbar sanktioniert (Heinicke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 184. EL Juli 2022, § 5 VIG Rn. 9); der Anspruch auf Erteilung der Information bleibt bestehen und ist gerade auch noch nach Fristablauf zu erfüllen. Des Weiteren enthält § 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e) VIG eine Fünfjahresfrist, deren Ablauf erst einen Anspruch auf Informationserteilung im Regelfall ausschließt. Bis dahin geht der VIG-Gesetzgeber von einem bestehenden überwiegenden Informationsinteresse des Verbrauchers auch zur Ermöglichung eigenverantwortlicher Konsumentscheidungen aus, ohne dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder Grundrechte des betroffenen Lebensmittelunternehmens entgegenstünden, selbst wenn eine Veröffentlichung auf einer Internetplattform erfolgt (vgl. VG Würzburg; U.v. 14.9.2020 – W 8 K 19. 1375 – juris Rn. 41. ff. mit Bezug auf BVerwG, U.v. 29.8.2019 – 7 C 29/ 17 – juris Rn. 41. ff, 47 sowie mit noch weiteren Nachweisen).
68
Letztlich geht es aber bei § 40 Abs. 1a LFGB – im Lichte der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – um den verhältnismäßigen Interessenausgleich zwischen Veröffentlichungspflicht des Verstoßes als gesetzlicher Auftrag einerseits und der Wahrung der Grundrechte des Lebensmittelunternehmens andererseits. Die Behörde muss den Spagat schaffen, zum einen rechtliches Gehör vor der Veröffentlichung zu gewähren, gleichzeitig aber zum anderen nicht auf jedes Argument eingehen zu müssen, weil sie letztlich zur unverzüglichen Veröffentlichung verpflichtet ist (vgl. Riemer, LMuR 2023/89 S. 93 f.; vgl. aber auch kritisch Roffael/Wallau, ZLR 2023, 123, die auch Fristverlängerungen aus der Sphäre des Lebensmittelunternehmens infolge der Ausblendung jeglicher „Schuld“ normativ korrigieren wollen).
69
Ausgehend davon ist nach Überzeugung des Gerichts die Unverzüglichkeit gewahrt. Auch wenn die Probeentnahme am 27. September 2022 erfolgte, dauerte die nachfolgende Untersuchung bis 2. Dezember 2022. Das Gutachten des LGL datiert auf den 19. Dezember 2022. Durch die gesetzliche Vorgabe der „unverzüglichen“ Veröffentlichung ist die zuständige Vollzugsbehörde nach der abschließenden Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet, die erforderliche Veröffentlichung ohne Zeitverzug vorzunehmen (vgl. BT-Drs. 19/8349, S. 19). Abzustellen ist damit auf den 19. Dezember 2022 als Zeitpunkt der – erstmaligen – Feststellung des Verstoßes, hier des Vorliegens eines neuartigen Lebensmittels. Die Anhörung der Antragstellerin erfolgte am 19. Dezember 2022; deren Stellungnahme datiert auf den 13. Januar 2023. Am 26. Januar 2023 nahm das LGL dazu Stellung. Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2023 ließ die Antragstellerin unter Vorlage einer von ihr eingeholten gutachtlichen Stellungahme weitere Ausführungen des Prozessbevollmächtigten zur Thematik der Neuartigkeit des Lebensmittels machen, zu der sich das LGL seinerseits am 1. Februar 2023 äußerte. Am 2. Februar 2023 teilte das Landratsamt W. der Antragstellerin mit, dass die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB nunmehr beabsichtigt sei. Der betreffende Antragsschriftsatz ging – wohl infolge eines Fehlers bei der Übermittlung seitens des Prozessbevollmächtigten – bei Gericht erst am 14. bzw. 15. Februar 2023 ein. In der Folgezeit ließ die Antragstellerin weitere Stellungnahmen des von ihr beauftragten Gutachtens vorlegen und bat schließlich auch noch um Fristverlängerung, nachdem das LGL seinerseits mit Datum vom 27. Februar 2023 Stellung genommen hatte. Auf den Anwaltsschriftsatz vom 8. März 2023 erwiderte der Antragsgegner schließlich am 14. März 2023.
70
Die vorstehend skizzierten Abläufe verletzen nicht das Gebot der Unverzüglichkeit, da sie auf sachlichen Gründen beruhen (notwendige Dauer bis zur Vorlage von Untersuchungsergebnissen, Gewährleistung der Verfahrensrechte des Betroffenen im behördlichen sowie auch im gerichtlichen Verfahren, wechselseitige Würdigung des umfangreichen Vorbringens der Gegenseite; vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069 – juris Rn. 24). Zudem dient die Veröffentlichung trotz des Zeitablaufs weiterhin den Verbraucherschutzinteressen. Zum einen datiert das Mindesthaltbarkeitsdatum auf den 21. Januar 2024, das selbst unter Einbeziehung der halbjährlichen Veröffentlichungsdauer noch bei weitem nicht erreicht wird. Zum anderen hat die Antragstellerin vom Vertrieb keinen Abstand genommen, sondern bietet das entsprechende Produkt mit dem Maquibeeren-Extrakt laut ihrer Internetseite weiterhin an (https:/ …, abgerufen am 16.3.2023). Es geht somit nicht um einen abgeschlossenen Verstoß in der Vergangenheit, aus dem sich immer weniger auf die aktuelle Situation schließen ließe. Vielmehr handelt es sich um einen andauernden Verstoß, der sich bis heute ohne Unterbrechung fortgesetzt verwirklicht. Infolgedessen ist Veröffentlichung weiterhin geboten und auch unverzüglich möglich, weil der objektive Informationswert mit Blick auf die Steuerung des Konsumverhaltens des Verbrauchers und auf die Transparenz am Markt fortbesteht.
71
Infolgedessen besteht weiterhin ein vom Regelungszweck des § 40 Abs. 1a LFGB gedeckter Informationswert im vorliegenden konkreten Einzelfall, sowohl jetzt bei Erlass des vorliegenden Beschlusses als auch noch für einige Zeit in die Zukunft (vgl. OVG Bremen, B.v. 25.2.2022 – 1 B 487/21 – juris Rn. 30).
72
Schließlich bestehen gegen die Art und Weise der geplanten Veröffentlichung keine Bedenken. Der Inhalt der Veröffentlichung ist nicht einheitlich vorgegeben. Die Information nach § 40 Abs. 1a LFGB wird einschließlich zusätzlicher Informationen sechs Monate nach der Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 4a LFGB automatisch entfernt. Im Übrigen hat der Gesetzgeber außer der Bezeichnung des Lebensmittels und der Nennung des Lebensmittelunternehmens keine weiteren konkreten Vorgaben gemacht, so dass die Ausgestaltung der Darstellung im Wesentlichen dem Antragsgegner obliegt. Eine Veröffentlichung ist nicht zu beanstanden, wenn sie inhaltlich richtig ist und möglichst schonend für den Betroffenen erfolgt sowie dem Zweck der Vorschrift dient. Einzelne Normen müssen nicht zwingend bezeichnet werden (vgl. NdsOVG, B.v. 16.1.2020 – 13 ME 394/19 – juris; VGH BW, B.v. 28.11.2019 – 9 S 2662/19 – juris; BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 20 CE 19.1995 – juris; VG Freiburg, B.v. 30.4.2019 – 4 K 168/19 – juris; vgl. auch BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40). Die Umschreibung des Verstoßes mit der am Gesetzeswortlaut angelehnten Formulierung „nicht zugelassener oder verbotener Stoff“ ist auch für den juristischen Laien hinreichend verständlich (vgl. VG Würzburg, B.v. 16.11.2021 – W 8 E 21.1399 – juris Rn. 51 mit Verweis auf OVG NRW, B.v. 14.3.2019 – 13 B 67/19 – LMuR 2019, 178).
73
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
74
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
75
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Sie richtet sich nach dem Auffangstreitwert, weil die wirtschaftlichen Auswirkungen der Veröffentlichung nicht im Einzelnen beziffert werden können (vgl. Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs). Der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war.