Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 09.03.2023 – W 8 S 23.234
Titel:

Masernimpfpflicht, zuständige Behörde, vorliegend unzuständig, Nachweis ausreichender Masernschutz

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
IfSG § 20 Abs. 9
IfSG § 20 Abs. 12
VwZVG Art. 21a
ZustV § 65 S. 1
ZustV § 65 S. 4
GDG Art. 1 Abs. 1 Nr. 4
GDG Art. 1 Abs. 2
Schlagworte:
Masernimpfpflicht, zuständige Behörde, vorliegend unzuständig, Nachweis ausreichender Masernschutz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7232

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. Januar 2023 gegen den Bescheid der Stadt … vom 16. Januar 2023 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antragstellerin wird sowohl für das vorliegende Sofortverfahren als auch für das Klageverfahren W 8 K 23.233 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … … … … … …, beigeordnet.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die mit einer Zwangsgeldandrohung verbundene behördliche Aufforderung zur Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz für ihre minderjährige Tochter.
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1. Die Antragstellerin legte im Rahmen eines Beratungstermins beim Gesundheitsamt … am 27. Oktober 2021 eine ärztliche Bescheinigung über eine Impfunfähigkeit ihrer Tochter vor. Da das Gesundheitsamt Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises hatte, wurde die Antragstellerin zur Vorlage eines weiteren ärztlichen Attests aufgefordert. Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2022 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass auch der daraufhin vorgelegten weiteren ärztlichen Bescheinigung keine klare und medizinisch nachvollziehbare Kontraindikation für eine Masernimpfung der Tochter der Antragstellerin entnommen werden könne. Der Antragstellerin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14. März 2022 gegeben.
3
Mit Bescheid vom 17. Mai 2022 ordnete die Antragsgegnerin an, dass die Antragstellerin für ihre Tochter bis zum 1. Juni 2022 einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz gemäß § 20 Abs. 9 IfSG vorzulegen habe und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld i. H. v. 250,00 EUR an.
4
Mit Schreiben vom 14. Juni 2022 stellte die Antragsgegnerin das mit Bescheid vom 17. Mai 2022 angedrohte Zwangsgeld fällig.
5
Mit Schreiben vom 30. November 2022 stellte die Antragsgegnerin das mit Bescheid vom 17. Mai 2022 angedrohte Zwangsgeld erneut fällig und drohte für den Fall weiterer Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR an.
6
Am 19. Dezember 2022 übermittelte die … der Antragsgegnerin einen Impfnachweis über eine Masernschutzimpfung der Tochter der Antragstellerin. Das Landratsamt … teilte der Antragsgegnerin mit, dass gegen den Aussteller des Impfausweises ein Strafverfahren wegen Fälschung von Impfzertifikaten laufe und es daher davon ausgehe, dass auch der von der Antragstellerin vorgelegte Impfnachweis gefälscht sei. Der Nachweis könne daher nicht anerkannt werden.
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Mit Bescheid vom 16. Januar 2023 ordnete die Antragsgegnerin an, dass die Antragstellerin für ihre Tochter … … … … … … … bis zum 20. Februar 2023 einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz gemäß § 20 Abs. 9 IfSG vorzulegen habe (1.). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 1 des Bescheides werde ein Zwangsgeld von 250,00 EUR fällig (2.).
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragsgegnerin zum Erlass des Bescheides zuständig sei. Dies ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 GDVG, § 65 Satz 1 ZustV, Art. 3 Abs. 1 Nr- 2 BayVwVfG. Auch wenn sie sich des Gesundheitsamtes des Landratsamtes bediene, bleibe die Zuständigkeit für den Vollzug für das IfSG bei der Stadt als Kreisverwaltungsbehörde. Da die Tochter der Antragstellerin der Schulpflicht unterliege, müsse gem. § 20 Abs. 9 IfSG der Leitung der Schule vor Beginn der Betreuung ein Nachweis i. S. d. § 22 Abs. 9 IfSG vorgelegt werden. Der Schule der Tochter sei zwar ein Impfnachweis vorgelegt worden, es sei jedoch davon auszugehen, dass dieser gefälscht sei. Das weitere, vorgelegte Attest belege nicht, dass die Tochter aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden könne. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 31, 36 VwZVG. Ohne sie müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Antragsteller nicht an die Anordnung halten würden.
9
2. Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2023 erhob die Antragstellerin im Verfahren W 8 K 23.233 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Sofortverfahren:
10
Die aufschiebende Wirkung der mit diesem Schriftsatz erhobenen Klage gegen den Bescheid der Stadt Aschaffenburg vom 16. Januar 2023 wird angeordnet.
11
Zur Begründung führt der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin im Wesentlichen aus, der Bescheid sei rechtswidrig da die Antragsgegnerin ihn auf § 20 Abs. 8, 9, 12 IfSG und damit die falsche Rechtsgrundlage stütze. Einschlägig sei § 20 Abs. 13 IfSG i.V.m den übrigen Absätzen. Auch sei die Grundverfügung in Nr. 1 des Bescheides nicht hinreichend bestimmt. Überdies sei die Nachweispflicht verfassungswidrig, soweit schulpflichtige Kinder betroffen seien, da sie für diese keinen Freiheitsraum in Bezug auf die Impfentscheidung lasse. Außerdem richte sich der Bescheid alleine gegen die Antragstellerin, obwohl das gemeinsame Sorgerecht mit dem Kindsvater bestehe. Nach § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG könne die Einhaltung der Pflichten § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG daher nur gemeinsam erfolgen. Die Verfügung sei daher auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet und deswegen rechtswidrig bzw. gar nichtig. Die Androhung von Zwangsgeld sei im vorliegenden Fall verfassungswidrig. Nach dem Bundesverwaltungsgericht habe der Gesetzgeber keine mit Zwang durchzusetzende Impfpflicht gegen Masern statuiert, vielmehr solle den Eltern die Impfentscheidung weitgehend belassen bleiben. Damit lasse sich die Androhung von Zwangsgeld nicht vereinbaren.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
14
Statthaft ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der im Hauptsacheverfahren W 8 K 23.233 erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO. Die mit Bescheid vom 16. Januar 2023 angeordnete Nachweispflicht findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 und Abs. 13 IfSG. Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG hat die Anfechtungsklage gegen eine nach § 20 Abs. 12 Satz 1 oder Satz 2 IfSG erlassene Anordnung keine aufschiebende Wirkung. Die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Zwangsgeldandrohung ist ebenfalls kraft Gesetzes sofort vollziehbar, § 80 Abs. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Art. 21a VwZVG. Die von der Antragstellerin am 17. Februar 2023 im Verfahren W 8 K 23.233 erhobene Klage entfaltet damit gemäß § 80 Abs. 3 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
15
Der zulässige Antrag ist begründet.
16
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3a VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft eine eigene Abwägungsentscheidung. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
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Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geboten, aber auch ausreichend ist, ergibt, dass die Klage der Antragstellerin Erfolg haben wird. Die getroffenen Regelungen sind voraussichtlich rechtswidrig und verletzen die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18
Der Bescheid vom 16. Januar 2023 ist bereits formell rechtswidrig. Die Antragsgegnerin war für den Erlass des Bescheides nicht sachlich zuständig.
19
Gem. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG haben näher bestimmte Personen dem Gesundheitsamt auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Soweit im Infektionsschutzgesetz Aufgaben den Gesundheitsämtern zugewiesen werden, sind gem. § 65 Satz 4 ZustV die unteren Gesundheitsbehörden im Sinn des Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG zuständig. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG sind neben den Landratsämtern die nach Art. 1 Abs. 2 GDG bestimmten Behörden untere Gesundheitsbehörden (Gesundheitsämter). Art. 1 Abs. 2 GDG enthält die Bestimmung der für kreisfreie Städte zuständigen Gesundheitsämter. Obwohl die Antragsgegnerin eine kreisfreie Stadt ist, kommt ihr nach Art. 1 Abs. 2 GDG nicht die Aufgabe als untere Gesundheitsbehörde zu. Da sie unter Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 GDG fällt, ist das Landratsamt, dessen Gebiet die Antragsgegnerin vollständig umschließt oder den gleichen Namen wie diese trägt, die untere Gesundheitsbehörde.
20
Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen ist eine sachliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht gegeben. Aus dem Umstand, dass ein Verstoß gegen § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG eine Ordnungswidrigkeit darstellt (vgl. § 73 Abs. 1a Nr. 7 d IfSG), ergibt sich nichts Abweichendes. Allgemeine Befugnisse als Sicherheitsbehörde sind gegenüber den spezialgesetzlichen Regelungen des IfSG nachrangig.
21
Es kann vorliegend dahinstehen, ob die unzuständige Antragsgegnerin befugt wäre, selbst den eigenen Bescheid aufzuheben.
22
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. Januar 2023, die kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a VwZVG), ist die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit ebenfalls anzuordnen. Es fehlt neben der Zuständigkeit jedenfalls (nunmehr) ebenfalls an der sofortigen Vollziehbarkeit der in Nr. 1 getroffenen Anordnung, auf die sich die Zwangsgeldandrohung bezieht (vgl. Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG).
23
Nach alledem hat der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.
24
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. In Ermangelung anderweitiger Angaben, war vom Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,00 EUR auszugehen. Dieser Streitwert war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war.
25
Der Antragstellerin war im vorliegenden als auch im korrespondierenden Klageverfahren – W 8 K 23.233 – Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Aus den vorgenannten Gründen ergibt sich, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO i.V.m. § 115 ZPO). Auch die Voraussetzungen des § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO zur Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin sind gegeben.