Titel:
Masernimpfpflicht, zuständige Behörde (vorliegend unzuständig), Nachweis ausreichender Masernschutz
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
IfSG § 20 Abs. 9
IfSG § 20 Abs. 12
VwZVG Art. 21a
ZustV § 65 S. 1
ZustV § 65 S. 4
GDG Art. 1 Abs. 1 Nr. 4
GDG Art. 1 Abs. 2
Schlagworte:
Masernimpfpflicht, zuständige Behörde (vorliegend unzuständig), Nachweis ausreichender Masernschutz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7230
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. Januar 2023 gegen den Bescheid der Stadt … vom 13. Dezember 2022 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die Anordnung, einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz ihres Sohnes vorzulegen sowie die damit verbundene Androhung von Zwangsgeld.
2
1. Am 29. Juli 2022 informierte die Schule des Sohnes der Antragssteller das Landratsamt …, dass der gesetzlich vorgesehene Masernschutz-Nachweis nicht vorliege.
3
Mit Schreiben vom 31. August 2022 lud das Landratsamt … die Antragsteller zu einem Beratungstermin. Die Antragsteller trugen umfangreich vor, weshalb sie eine Masernschutzimpfung ablehnen würden. Im Nachgang erfolgte keine Vorlage des gesetzlich vorgesehenen Masernschutz-Nachweises.
4
Mit Schreiben vom 17. November 2022 hörte die Antragsgegnerin die Antragsteller zur beabsichtigen Abgabe des Vorgangs an die Bußgeldstelle an.
5
Mit Schreiben vom 22. November 2022 erklärten die Antragsteller sowie deren Sohn ausführlich, weshalb sie eine Impfung ablehnen würden.
6
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2022 ordnete die Antragsgegnerin an, dass die Antragsteller für Ihren Sohn … …, geb. … … … bis zum 29. Dezember 2022 einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz gemäß § 20 Abs. 9 IfSG vorzulegen hätten (1.). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 1 des Bescheides werde ein Zwangsgeld von 250,00 EUR fällig (2.). Die sofortige Vollziehung der Anordnungen Nr. 1-2 wurde angeordnet (3.).
7
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragsgegnerin zum Erlass des Bescheides zuständig sei. Dies ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 GDVG, § 65 Satz 1 ZustV, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG. Auch wenn sie sich des Gesundheitsamtes des Landratsamtes bediene, bleibe die Zuständigkeit für den Vollzug für das IfSG bei der Stadt als Kreisverwaltungsbehörde. Da der Sohn der Antragsteller der Schulpflicht unterliege, müsse gem. § 20 Abs. 9 IfSG der Leitung der Schule vor Beginn der Betreuung ein Nachweis i. S. d. § 22 Abs. 9 IfSG vorgelegt werden. Der Sohn der Antragsteller sei weder geimpft noch könne er aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden. Das BVerfG halte die Masern-Impfpflicht für sinnvoll und verfassungskonform. Die Anordnung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 31, 36 VwZVG. Ohne sie müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Antragsteller nicht an die Anordnung halten würden.
8
Am 17. Januar 2023 erhoben die Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 13. Dezember 2022.
9
2. Am 6. Februar 2023 ließen die Antragsteller im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird in Bezug auf Ziff. 1 und 2 des Bescheids vom 13. Dezember 2022 wiederhergestellt.
10
Zur Begründung ließen die Antragsteller im Wesentlichen ausführen, die Nachweispflicht sei verfassungswidrig, soweit schulpflichtige Kinder betroffen seien, da sie für diese keinen Freiheitsraum in Bezug auf die Impfentscheidung lasse. Überdies verpflichte der Bescheid die Antragsteller zu einer Leistung, die ihnen unmöglich sei. Ihr Sohn sei nicht bereit, sich impfen zu lassen. Da er einwilligungsfähig sei, könnten die Antragsteller eine Impfung nicht erzwingen.
11
Mit Schriftsatz 20. Februar 2023 beantragte die Antragsgegnerin:
1. Der Antrag auf Aufhebung des Bescheides vom 13. Dezember 2022 wird abgelehnt.
2. Die Anträge der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage im einstweiligen Rechtschutz werden abgewiesen.
12
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Antragsteller nicht in ihren Rechten. Sie sei für den Erlass der Anordnung sachlich und örtlich zuständig. Als kreisfreie Gemeinde sei sie Kreisverwaltungsbehörde und damit nach § 65 Satz 1 ZustV sachlich zuständig. Gem. Art. 3 BayVwVfG sei sie örtlich zuständig. Auch wenn sie sich des Gesundheitsamtes des Landratsamtes bediene, bleibe die Zuständigkeit für den Vollzug des IfSG bei ihr als Kreisverwaltungsbehörde. Hierfür spreche auch die Formulierung in Art. 1 Abs. 4 GDG, wonach die kreisfreien Gemeinden die Aufgaben der Gesundheitsämter im übertragenen Wirkungskreis erfüllen würden. Rechtsgrundlage für die Aufforderung zur Nachweisvorlage sei § 20 Abs. 13 IfSG. Da die Nachweise nach § 20 Abs. 9 IfSG nicht erbracht worden seien, habe die Vorlage des Nachweises per Bescheid gefordert werden können. Die Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder sei nicht verfassungswidrig.
13
Im Hinblick auf den Hinweis des Gerichts, dass Zweifel an der Zuständigkeit der Antragsgegnerin bestünden, teilte diese mit Schreiben vom 27. Februar 2022 mit, sie könne als nicht zuständige Behörde nicht abhelfen.
14
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
15
Der Antrag ist zulässig und begründet.
16
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der anwaltlich vertretenen Antragsteller (§ 122 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 88 VwGO) ist ihr Antragsbegehren dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Nr. 1 des Bescheides gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO begehren, da diese vorliegend bereits kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG entfällt. Denn die mit Bescheid vom 13. Dezember 2022 angeordnete Nachweispflicht findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 und Abs. 13 IfSG. Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG hat die Anfechtungsklage gegen eine nach § 20 Abs. 12 Satz 1 oder Satz 2 IfSG erlassene Anordnung keine aufschiebende Wirkung.
17
Da die Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides, die Zwangsgeldandrohung, ebenfalls kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V. m. Art. 21a VwZVG), ist der Antrag der Antragsteller bei verständiger Würdigung (§ 122 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 88 VwGO) ebenfalls dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO gegen die Nr. 2 des Bescheids begehren.
18
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung der Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz gemäß § 20 Abs. 9 IfSG sowie die Zwangsgeldandrohung ist begründet.
19
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3a VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft eine eigene Abwägungsentscheidung. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragsteller auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
20
Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geboten, aber auch ausreichend ist, ergibt, dass die Klage der Antragsteller Erfolg haben wird. Die getroffenen Regelungen sind voraussichtlich rechtswidrig und verletzen die Antragsteller in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21
Der Bescheid vom 13. Dezember 2022 ist bereits formell rechtswidrig. Die Antragsgegnerin war für den Erlass des Bescheides nicht sachlich zuständig.
22
Gem. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG haben näher bestimmte Personen dem Gesundheitsamt auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Soweit im Infektionsschutzgesetz Aufgaben den Gesundheitsämtern zugewiesen werden, sind gem. § 65 Satz 4 ZustV die unteren Gesundheitsbehörden im Sinn des Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG zuständig. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG sind neben den Landratsämtern die nach Art. 1 Abs. 2 GDG bestimmten Behörden untere Gesundheitsbehörden (Gesundheitsämter). Art. 1 Abs. 2 GDG enthält die Bestimmung der für kreisfreie Städte zuständigen Gesundheitsämter. Obwohl die Antragsgegnerin eine kreisfreie Stadt ist, kommt ihr nach Art. 1 Abs. 2 GDG nicht die Aufgabe als untere Gesundheitsbehörde zu. Da sie unter Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 GDG fällt, ist das Landratsamt, dessen Gebiet die Antragsgegnerin vollständig umschließt oder den gleichen Namen wie diese trägt, die untere Gesundheitsbehörde.
23
Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen ist eine sachliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht gegeben. Aus dem Umstand, dass ein Verstoß gegen § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG eine Ordnungswidrigkeit darstellt (vgl. § 73 Abs. 1a Nr. 7 d IfSG), ergibt sich nichts Abweichendes. Allgemeinen Befugnisse als Sicherheitsbehörde sind gegenüber den spezialgesetzlichen Regelungen des IfSG nachrangig.
24
Da die Antragstellerin bereits keine untere Gesundheitsbehörde und daher sachlich unzuständig ist, kann offenbleiben, welche Gesundheitsbehörde vorliegend örtlich zuständig wäre.
25
Ob die unzuständige Antragsgegnerin befugt wäre, den eigenen Bescheid aufzuheben, kann ebenfalls dahinstehen.
26
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 13. Dezember 2022, die kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a VwZVG), ist die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit ebenfalls anzuordnen. Es fehlt neben der Zuständigkeit jedenfalls (nunmehr) ebenfalls an der sofortigen Vollziehbarkeit der in Nr. 1 getroffenen Anordnung, auf die sich die Zwangsgeldandrohung bezieht (vgl. Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG).
27
Nach alledem hat der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.
28
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. In Ermangelung anderweitiger Angaben, war vom Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,00 EUR auszugehen. Dieser Streitwert war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war.