Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 31.03.2023 – W 8 E 23.277
Titel:

Stoff NADH: Einzelfall einer unzulässigen lebensmittelrechtlichen Veröffentlichung

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2, Abs. 3
ZPO § 920 Abs. 2
GG Art. 12 Abs. 1, 20 Abs. 3
BGB § 1004
LFGB § 38 Abs. 2a S. 2, § 40 Abs. 1a S. 1 Nr. 2
NemV § 1 Abs. 1
AMG § 2 Abs. 1a
RL 2001/83/EG Art. 1 Nr. 2 lit. b
VO (EU) 178/2002 Art. 2 Abs. 3 lit. d
VO (EU) 2015/2283 Art. 3 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2
VO (EU) 2017/625 Art. 37 Abs. 4 lit. e
LMBG § 2 Abs. 1
VO (EG) 258/97 Art. 1 Abs. 2 lit. f
Leitsätze:
1. Plant die Behörde, amtliche Informationen über einen Unternehmer zu veröffentlichen, liegt der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund regelmäßig vor, denn eine staatliche Veröffentlichung im Internet kann ganz erhebliche negative Konsequenzen haben, die auch bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Liegt ein durch Tatsachen hinreichend begründeter Verdacht eines Verstoßes durch das Vorhandensein eines nicht zugelassenen Stoffes - hier NADH - in einem Produkt nicht vor, so darf der betreffende Unternehmer nicht durch eine amtliche Veröffentlichung öffentlich "an den Pranger" gestellt werden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. In einem solchen Fall steht dem Betroffenen ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch zu, der gerichtlich mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung durchgesetzt werden kann. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilantrag, einstweilige Untersagung der Veröffentlichung einer Beanstandung auf staatlicher Seite, NADH 20 mg &, Q10 100mg für Menschen, Nicotinamid Adenin, Dinukleotid Hydrid, NADH, Nicotinamidadenindinukleotid, Nahrungsergänzungsmittel in Abgrenzung zu Arzneimittel, staatliche Veröffentlichung von lebensmittelrechtlichen Verstößen im Internet, nicht zugelassener oder verbotener Stoff, Novel-Food-Verordnung, nennenswerte Verwendung vor dem 15. Mai 1997 offengelassen, Verwendung als Lebensmittel mit neuer oder gezielt veränderter Molekularstruktur schon vor dem Stichtag bejaht, Lebensmittel, bei dessen Herstellung ein vor dem Stichtag für die Herstellung von Lebensmitteln übliches Verfahren angewandt wurde, Erfordernis einer nennenswerten Verwendungsgeschichte für streitige Kategorien betreffend Molekularstruktur bzw. Herstellungsverfahren nicht erforderlich, kein neuartiges Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Arzneimittel, Veröffentlichung von lebensmittelrechtlichen Verstößen im Internet, lebensmittelrechtliche Veröffentlichung, öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, öffentliche Prangerwirkung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7228

Tenor

I. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, gemäß § 40 Abs 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:

Verantwortliche Behörde

Landratsamt Würzburg

Datum

Einstelldatum:

(Datum der Veröffentlichung)

Probe genommen am:

27.09.2022

Lebensmittelunternehmen

Name …

Strasse Hausnummer …

PLZ Ort …

Kategorie Lebensmitteleinzelhandel

Betroffenes Lebensmittel

Verstoß Nicht zugelassener oder verbotener Stoff

Produkt:

NADH 20 mg …

Los-/Chargennummer:

MHD:

30.06.2024

Stoff:

Nicotinamidadenindinukleotid

Grenzwert:

Analyseergebnis:

Anmerkungen/unternehmerische Maßnahmen

Diese Untersagung wird unwirksam, wenn die Antragstellerin nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses an ihren Prozessbevollmächtigten ein gerichtliches Hauptsacheverfahren eingeleitet hat oder sich ein anhängig gemachtes Hauptsacheverfahren (durch Zurücknahme oder auf andere Weise) in der Hauptsache ohne Sachentscheidung erledigt oder sich schon vor Klageerhebung das streitgegenständliche Anliegen der Antragstellerin (etwa durch endgültige Abstandnahme des Antragsgegners von der geplanten Veröffentlichung bzw. durch endgültige außergerichtliche Einigung der Beteiligten) in sonstiger Weise erledigt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die vom Antragsgegner (vertreten durch das Landratsamt Würzburg) beabsichtigte Veröffentlichung einer Beanstandung in Bezug auf das von der Antragstellerin vertriebene Produkt „NADH 20 mg * … … … …“ als nicht zugelassener oder verbotener Stoff wegen seiner Einstufung als neuartiges Lebensmittel.
2
1. Im Rahmen einer Probe wurde am 27. September 2022 durch die Lebensmittelüberwachung des Landratsamts Würzburg das Produkt „NADH 20 mg * … … … …“ entnommen. Nach dem Befund/Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 2. Januar 2023 werde die vorgelegte Probe von der Antragstellerin aufgrund ihrer Aufmachung als ein Nahrungsergänzungsmittel und somit als Lebensmittel in den Verkehr gebracht. Nach ihrem derzeitigen Kenntnisstand (Novel Food Recherche) sei Nicotinamidadenindinukleotid nicht vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat verwendet worden. Es handele sich bei Nicotinamidadenindinukleotid um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. i) VO (EU) 2015/2283 (Novel-Food-Verordnung). Derzeit ließen sich für „Nicotinamidadenindinukleotid“ in der Unionsliste für zugelassene neuartige Lebensmittel gemäß Art. 6 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 i.V.m. Art. 8 VO (EU) 2015/2283 keine entsprechenden Einträge finden. Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 dürften nur zugelassene in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach der Maßgabe der in der Unionsliste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden. Nach Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 habe der Lebensmittelunternehmer die Sorgfaltspflicht zu prüfen, ob es sich bei dem Lebensmittel, das er in der Union in Verkehr bringen wolle, möglicherweise um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne dieser Verordnung handele. Zusammenfassend sei daher davon auszugehen, dass die vorliegende Probe unter Mitverarbeitung eines neuartigen Lebensmittels im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. i) VO (EU) 2015/2283 hergestellt worden sei, welches Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 nicht entspreche.
3
Mit Schriftsatz vom 4. Januar 2023 hörte das Landratsamt Würzburg die Antragstellerin gemäß § 40 Abs. 3 Satz 1 LfGB wegen einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LfGB an. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LfGB (nicht zugelassener Stoff oder verbotener Stoff in dem Lebensmittel) lägen vor.
4
Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2023 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten im Wesentlichen vorbringen: Es lägen mehrere Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen vor. NADH (Nicotinamid Adenin Dinukleotid Hydrid) sei tatsächlich vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet worden. Dies zeigten verschiedene Publikationen und Patente. Professor Birkmayer habe schon seit den 1990er Jahren in Deutschland NADH als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht. Darüber hinaus sei die Zutat NADH in einer Positivliste des europäischen Mitgliedstaats Italien ausdrücklich aufgeführt, ebenso in den Positivlisten von Frankreich und Belgien.
5
Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2023 ließ die Antragstellerin mit Bezugnahme auf eine Begutachtung durch den öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen … weiter im Wesentlichen vorbringen: Es handele sich nicht um Novel Food. Darüber hinaus weise der Sachverständige auf den klinisch untersuchten hervorragenden ernährungsmedizinischen Nutzen hin. NADH könne zu einer gesunden Ernährung beitragen. Aus diesem Grund sei das Produkt in der EU auch schon seit langem von großem Interesse, entsprechend wissenschaftlich untersucht und auch verzehrt worden (bereits Anfang der 90er Jahre). Eine Patenteintragung für sich belege mithin bereits immense Vertriebsbemühungen mit Blick auf das patentierte Produkt. Die Erteilung des Patents sei am 10. November 1994 auf internationaler Ebene publiziert worden. Zu dieser Zeit erfolgten auch nach Kenntnis des Sachverständigen intensive Anstrengungen, das Produkt zu vermarkten. In der Anfangsphase sei der Markt für NADH durch den hohen Preis eingeengt gewesen. Später sei der Rohstoffpreis gesunken. Mit der Patentanmeldung sei die Zahl der NADH anbietenden Firmen in Europa stark angestiegen. Spätestens seit dem Jahr 1994 gebe es in Europa ununterbrochen Nahrungsergänzungsmittel mit NADH allein oder in Kombination mit anderen Antioxidantien.
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Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2023 nahm das LGL im Wesentlichen wie folgt Stellung: Nach der vorgelegten Studie hätten insgesamt 205 Probanden NADH entweder oral, intravenös oder intramuskulär verabreicht bekommen. Dies sei eher dem Bereich der Pharmaforschung zuzurechnen. Der Studie lasse sich nicht entnehmen, dass NADH zum damaligen Zeitpunkt in nennenswertem Umfang als Lebensmittel verzehrt worden sei. Auch ein weiter angeführtes Patent beziehe sich auf die Anwendung von NADH als Arzneimittel. Das dritte angeführte Patent vom 24. Januar 1991 (Tag der Anmeldung) betreffe zwar auch die Verwendung von NADH in Lebensmitteln. Daraus lasse sich aber nicht ableiten, dass NADH vor dem Stichtag der Novel-Food-Verordnung in nennenswertem Umfang von Menschen als Lebensmittel verzehrt worden sei. Im Gegenteil: Wäre damals bereits eine flächendeckende Verwendung von NADH in Lebensmitteln erfolgt, wäre diese mangels Neuartigkeit nicht mehr patentierbar gewesen. Unabhängig davon sei NADH gemäß § 2 Abs. 1 LMBG zulassungspflichtig gewesen. Eine solche Zulassung sei aber nicht erteilt worden. Selbst wenn man einen nennenswerten Verzehr annehmen würde, wäre das Lebensmittel infolge der Zulassungspflicht gleichwohl nicht verkehrsfähig gewesen. Aus der Nennung von NADH in einer Liste des Mitgliedstaats Italien ergebe sich keine Verkehrsfähigkeit. Diese und auch weitere Listen seien wenig belastbar. Die im Auftragsgutachten der Antragstellerin erwähnten hohen Ernährungs- und Gesundheitsnutzen seien eine schlichte Aneinanderreihung von unbelegten Tatsachenbehauptungen. Auch aus den weiteren Schilderungen ergebe sich nicht, dass eine solche Forschungschemikalie in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden sei.
7
Mit Schreiben vom 16. Februar 2023 teilte das Landratsamt Würzburg der Antragstellerin die geplante Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB mit. Die Feststellungen und die hierzu getätigten Ausführungen des LGL bestätigten den Verdacht, dass es sich bei der vorliegenden Probe Nicotinamidadenindinukleotid um ein neuartiges Lebensmittel i.S. des Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) Nr. i) VO (EU) Nr. 2015/2283 handele, da es nicht vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat verwendet worden sei. Hieraus ergebe sich, dass ein nicht zugelassener Stoff in einem Lebensmittel vorhanden sei. Eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB sei notwendig.
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2. Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2023 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beantragen,
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, nachfolgende Informationen gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB zu veröffentlichen:

Verantwortliche Behörde

Landratsamt Würzburg

Datum

Einstelldatum:

(Datum der Veröffentlichung)

Probe genommen am:

27.09.2022

Lebensmittelunternehmen

Name … GmbH

Strasse Hausnummer …

PLZ Ort …

Kategorie Lebensmitteleinzelhandel

Betroffenes Lebensmittel

Verstoß Nicht zugelassener oder verbotener Stoff

Produkt:

NADH 20 mg …

Los-/Chargennummer:

MHD:

30.06.2024

Stoff:

Nicotinamidadenindinukleotid

Grenzwert:

Analyseergebnis:

Anmerkungen/unternehmerische Maßnahmen

9
Zur Antragsbegründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen ausführen: Das streitgegenständliche Produkt stelle tatsächlich kein neuartiges Lebensmittel dar. Dem Landratsamt sei substantiiert aufgezeigt worden, dass NADH tatsächlich bereits vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei. Dies zeigten schon verschiedene Publikationen und Patente. Professor Birkmayer habe schon in den 90er Jahren NADH in Deutschland als Nahrungsmittel in Verkehr gebracht. Zudem gebe es Positivlisten in europäischen Mitgliedstaaten. Der Gutachter habe mehrfach den hohen Ernährungs- und Gesundheitsnutzen betont. Aus diesem Grund sei das Produkt in der EU auch schon seit langem von großem Interesse, entsprechend wissenschaftlich untersucht und auch verzehrt worden sei. Bereits Anfang der 90er Jahre sei der Stoff als besonders wirksame und lagerstabile antioxidative Nahrungsergänzung entwickelt worden. Im Jahr 1993 sei zudem eine gegen den Magensaft resistente Kapsel entwickelt worden, die eine Zerstörung des NADH durch Magen-Salzsäure verhindere. Diese technische Besonderheit sei sogar wie aufgezeigt patentiert worden. Eine Patenteintragung belege immense Vertriebsbemühungen. Das Patent sei am 10. November 1994 auf internationaler Ebene publiziert worden. Zu dieser Zeit seien etliche Veranstaltungen erfolgt, das Produkt zu vermarkten. Gleichzeitig seien Vertriebsfirmen unter Vertrag genommen worden, auch in Deutschland. Spätestens seit dem Jahr 1994 gebe es in Europa ununterbrochen Nahrungsergänzungsmittel mit NADH, allein oder in Kombination mit anderen. Das eine Patent betreffe die Kapselhülle, welche ein Novum bei der Verabreichung des Stoffes darstelle, und nicht den Stoff selbst, der gerade auch in Bezug auf Lebensmittel schon entwickelt und vermarktet worden sei. Professor Birkmayer habe wie belegt ausgeführt, dass sie seit 1995 NADH-Ergänzung hergestellt hätten. Tatsächlich seien sie die Ersten gewesen, die sich NADH als Ergänzung auch hätten patentieren lassen, produziert seit 1995, hergestellt in Deutschland.
10
Die Antragstellerin ließ ihr Vorbringen mit Schriftsätzen vom 6. und 8. März 2023 sowie durch den neuen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21. März 2023 weiter vertiefen.
11
Auf richterlichen Hinweis mit Schreiben vom 22. März 2023 ließ die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27. März 2023 im Wesentlichen weiter vorbringen: Bei dem streitigen Produkt handele es sich nicht um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 AMG. Auch der Antragsgegner und das LGL beurteilten das Produkt nicht als Funktionsarzneimittel. Das Urteil des VG Göttingen vom 19. September 1995 sei aufgrund alter Rechtslage ergangen und befasse sich nicht mit einer Einstufung von NADH als Funktionsarzneimittel nach heutigen Rechtsgrundlagen. Ebenso sei es mit der Publikation des Ernährungsphysiologen. Auch in der Schweiz werde NADH als Coenzym bezeichnet und sei ausdrücklich als zulässiger Bestandteil von Nahrungsergänzungsmitteln bis zu einer Höchstmenge von 20 mg NADH wie hier zugelassen. Dies bestätige gleichzeitig die gesundheitliche Unbedenklichkeit einer solchen Dosierung. Daraus folge weiter, dass dies auch nicht als pharmakologische Wirkung eines Arzneimittels eingestuft werde. Heute müsse objektiv eine bestimmte Wirkung nachgewiesen werden. Es gehe um das streitige Produkt in seiner konkreten Zusammensetzung und Dosierung. Auch aus irgendwelchen Werbeaussagen sei die objektive Wirkung des konkreten streitigen Produkts nicht zu entnehmen. Vielmehr müsse die pharmakologische Wirkung objektiv nachgewiesen sein. Jedes Nahrungsergänzungsmittel habe eine „Nutzwirkung“. Diese sei aber nicht mit einer pharmakologischen Wirkung gleichzusetzen. Der Antragsgegner sei beweispflichtig, dass alle Tatbestandsmerkmale eines Funktionsarzneimittels vorlägen. Im Ergebnis scheide eine Einstufung als Arzneimittel aus. Des Weiteren habe der Antragsgegner bisher nicht nachgewiesen, dass die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsgrundlagen erfüllt seien. Die vom Antragsgegner angekündigte Veröffentlichung beziehe sich auf bloße Spekulationen. Dies wäre nach den strengen Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichts nicht korrekt. Es bleibe dabei, dass das Produkt kein Lebensmittel sei, das eine neue oder gezielte veränderte Molekularstruktur aufweise.
12
Mit Schriftsatz vom 29. März 2023 ließ die Antragstellerin ergänzend im Wesentlichen noch vorbringen: Für was NADH beworben werde, spiele für die Frage der Einstufung als Arznei- oder Lebensmittel keine Rolle. Tierexperimente seien nicht auf den Menschen übertragbar, geschweige denn in der streitigen Dosierung. Bei Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) Nr. i) VO (EU) 2015/2283 handele es sich nicht um einen Ausnahmetatbestand, sondern um ein zwingendes Tatbestandsmerkmal. Art. 2 Abs. 1 LMBG habe keine europaweite Geltung. Es sei nicht ersichtlich, dass NADH außerhalb Europas rechtswidrig verwendet worden sein sollte. Es reiche aus, wenn die Molekularstruktur vor dem Stichtag vorhanden gewesen sei. Auf einen nennenswerten Umfang komme es nicht an. Der Rückgriff auf Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) Nr. vii) VO (EU) 2015/2283 sei prozesstaktisch und beliebig, da er während des ganzen Verfahrens bislang nicht erwähnt worden sei. Das LGL räume selbst ein, dass es das Verfahren nicht kenne. Das Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen würden nicht dargelegt, geschweige denn mit Quellen belegt. Es liege nur eine schlichte Behauptung ins Blaue hinein vor.
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3. Das Landratsamt Würzburg beantragte für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 14. März 2023:
14
Der Antrag wird abgewiesen.
15
Zur Begründung der Antragserwiderung ist unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des LGL im Wesentlichen ausgeführt: Sie schlössen sich den Ausführungen des LGL vollumfänglich an. Zusammenfassend reichten die vorgebrachten Argumente nicht aus, die durch das LGL erfolgte Beanstandung substantiiert anzugreifen, geschweige denn zu erschüttern. Bis zur Zulassung sei die Verwendung nicht zugelassener Stoffe untersagt. Dazu gehörten auch neuartige Lebensmittel. Die Darlegungslast dafür, dass das Produkt in nennenswertem Umfang in der Gemeinschaft als Lebensmittel im Verkehr gewesen sei, trage wie bereits bisher gemäß Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 der Inverkehrbringer. Unter Bezugnahme auf das LGL lägen die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 1a LFGB vor, weshalb zwingend eine unverzügliche Information der Öffentlichkeit vorzunehmen sei. Ein Ansehensverlust für den Lebensmittelbetrieb unterliege bei Vorliegen eines hinreichend begründeten Verdachts, dass ein nicht zugelassenes oder ein verbotener Stoff in einem Lebensmittel vorhanden sei, jedoch dem hohen Gut des Verbraucherschutzes. Die Antragstellerin habe bis zum heutigen Tag keine Maßnahmen getroffen, um künftige Verstöße zu vermeiden. Vielmehr würden die lebensmittelrechtlichen Beanstandungen bestritten und Maßnahmen diesbezüglich konkludent abgelehnt.
16
In der beigefügten Stellungnahme des LGL vom 13. März 2023 ist im Wesentlichen ausgeführt: Aus der vorgelegten Studie lasse sich nicht entnehmen, dass NADH zum damaligen Zeitpunkt in nennenswertem Umfang als Lebensmittel verzehrt worden sei, ebenso nicht aus den Patenten. Es sei zu betonen, dass eine einzige Firma, die NADHhaltige Nahrungsergänzungsmittel vertreibe, nicht zwangsläufig als Nachweis eines nennenswerten Verzehrs genüge. Es sei erforderlich, dass das jeweilige Lebensmittel über einen Zeitraum von mehreren Jahren dem Verbraucher zugänglich gewesen sei. Selbst wenn ein NADHhaltiges Lebensmittel in einem anderen Mitgliedstaat unbeanstandet in Verkehr sein sollte, so bedeute dies nicht, dass dieses Produkt auch in Deutschland verkehrsfähig wäre. Aus dem angeführten Patent lasse sich kein nennenswerter Verzehr von NADH als Lebensmittel erkennen. Zum Umfang des Vertriebs von NADHhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln seien keine Quellen vorgelegt worden. Auch der Verweis auf das angeblich in Deutschland hergestellte Nahrungsergänzungsmittel der Firma Professor Birkmayer Laboratorium sei nicht geeignet, einen nennenswerten Verzehr nachzuweisen.
17
Zur weiteren Begründung der Antragserwiderung nahm das Landratsamt Würzburg für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 28. März 2023 auf eine Stellungnahme des LGL vom selben Tag Bezug und brachte unter anderem noch vor, dass an der geplanten Veröffentlichung festgehalten werde.
18
Das LGL führte in seiner Stellungnahme – mit Bezug auf den richterlichen Hinweis des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. März 2023 – unter anderem im Wesentlichen noch aus: NADH sei im Stoffwechsel ein zentrales wasserstoffübertragendes Coenzym. NADH werde oft als energie- und leistungssteigernd, stimmungsaufhellend und immunstärkend beworben. Studien zur Eigenschaft von NADH gebe es nur wenige. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage der Übertragbarkeit von tierexperimentellen Studien auf Menschen sei diese in keinem Fall gegeben, wenn die verabreichten Dosen so stark wie in den hier beschriebenen Fällen abwichen. In einer Studie bei Patienten mit Alzheimer habe eine orale Gabe von 10 mg NADH zu keiner signifikanten Besserung dieser Funktionen geführt. Eigenschaften eines Funktionsarzneimittels nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG sähen sie für das hier streitgegenständliche Produkt daher nicht. Zur Neuartigkeit werde wie schon dargelegt betont, dass der Zusatz von NADH zu Lebensmitteln zulassungspflichtig gewesen wäre. Eine Zulassung von NADH als Zusatzstoff habe zur damaligen Zeit nicht vorgelegen und sei auch später nicht erteilt worden. Im Zusammenhang mit der Prüfung eines nennenswerten Verzehrs betone die Europäische Kommission, dass ausschließlich rechtskonform in den Verkehr gebrachte Lebensmittel zu berücksichtigen seien. Die Verwendung eines nichtverkehrsfähigen Inhaltsstoffs in einem Lebensmittel könne daher insbesondere unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der VO (EU) 2015/2283 nicht die Anwendung des Ausnahmetatbestands des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. i) (EU) 2015/2283 begründen. Selbst wenn man eine Einstufung als neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. i) VO (EU) 2015/2283 verneinen wollte, wären ebenfalls die Tatbestandsmerkmale des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. vii) VO (EU) 2015/2283 erfüllt, wonach Lebensmittel als neuartig gälten, bei deren Herstellung ein vor dem 15. Mai 1997 in der Union für die Herstellung von Lebensmitteln nicht übliches Verfahren angewandt worden sei, das bedeutende Veränderungen in der Zusammensetzung oder Struktur eines Lebensmittel bewirke, die seinen Nährwert, seine Verstoffwechselung oder seinen Gehalt an unerwünschten Stoffen beeinflussten. Wie genau das in den streitgegenständlichen Produkten enthaltene NADH hergestellt worden sei, sei nicht bekannt und lasse sich mit den derzeit zur Verfügung stehenden Methoden auch analytisch nicht klären. Grundsätzlich könnten zur Herstellung von NADH jedoch nur chemisch-synthetische oder biotechnologische Verfahren verwendet werden. Beide Arten von Verfahren seien vor dem 15. Mai 1997 in der Union keine für die Herstellung von Lebensmitteln üblichen Verfahren gewesen und seien es bis heute nicht. Zudem wirkten sich beide Herstellungsverfahren signifikant auf die Zusammensetzung oder Struktur des Lebensmittels (hier: NADH) aus, da es Ziel der Herstellungsverfahren jeweils sei, die eingesetzten Ausgangsstoffe (sog. Edukte) derart in der Molekularstruktur zu modifizieren, dass am Ende des Prozesses aus anderen Stoffen NADH entstehe. Derartige grundlegende Veränderungen führten logischerweise auch dazu, dass sich die ernährungsphysiologischen Eigenschaften änderten und damit auch die Verstoffwechslung des erzeugten Lebensmittels.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
20
Der Antrag ist zulässig und – wie tenoriert – begründet.
21
Der Antragstellerin steht ein (durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu sichernder) Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung gegenüber dem Antragsgegner zu, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB bei summarischer Prüfung nicht vorliegen. Denn nach Überzeugung des Gerichts steht mangels Neuartigkeit nicht fest, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt mit NADH um einen nicht zugelassenen oder verbotenen Stoff in einem Lebensmittel handelt.
22
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Dies ist dann der Fall, wenn aufgrund einer im Verfahren des Eilrechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung ein Anordnungsgrund, also ein Grund für die erhöhte Eilbedürftigkeit der Entscheidung besteht und eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht wird (vgl. § 920 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 123 Abs. 3 VwGO).
23
Die begehrte einstweilige Anordnung würde zudem – jedenfalls teil- bzw. zeitweise – die Hauptsache vorwegnehmen. Eine solche eingeschränkte Vorwegnahme der Hauptsache ist im Hinblick auf den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 Abs. 1 VwGO nur dann zulässig, wenn eine bestimmte Regelung zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn sonst die zu erwartenden Nachteile unzumutbar wären und eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache besteht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 28. Aufl. 2022, Rn. 13 und 14).
24
Da die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB unverzüglich zu erfolgen hat und diese nach § 40 Abs. 4a LFGB nach sechs Monaten wieder zu löschen ist, findet ein Hauptsacheverfahren, in dem die Rechtmäßig der Veröffentlichung umfassend geprüft wird, oftmals nicht statt, so dass der gerichtliche Rechtsschutz regelmäßig in das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verlagert wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 20 CE 19.1634 – juris Rn. 20).
25
Die dargestellten Voraussetzungen sind erfüllt, da die Antragstellerin in der gegebenenfalls noch einzuleitenden (siehe Tenor Nr. I Satz 2) Hauptsache nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts voraussichtlich obsiegen wird. Die Antragstellerin hat vorliegend sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
26
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn es liegt auf der Hand, dass die geplante staatliche Veröffentlichung im Internet für die Antragstellerin ganz erhebliche negative Konsequenzen haben kann, die auch bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Das Verwaltungshandeln durch amtliche Informationen ist irreversibel. Bei Fehlinformationen ändern daran auch spätere Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts, da die faktischen Wirkungen von Informationen regelmäßig nicht mehr eingefangen und umfassend beseitigt werden können. Eine Verbraucherinformation zu angeblichen Rechtsverstößen eines Unternehmens kann für dieses existenzgefährdend oder sogar existenzvernichtend sein. Der Antragstellerin kann nicht zugemutet werden, die Bekanntgabe des Kontrollergebnisses zum Vorhandensein eines nicht zugelassenen Stoffes in dem Lebensmittel im Internet bis zu einer Klärung der streitigen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren hinzunehmen (vgl. VG Würzburg, B.v. 16.11.2021 – W 8 E 21.1399 – juris Rn 18 mit Bezug auf VGH BW, B.v. 28.11.2019 – 9 S 2662/19 – juris; B.v. 21.5.2019 – 9 S 584/19 – LMuR 2019, 170; HessVGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – ZLR 2019, 281). Der Antragsgegner hat die geplante Veröffentlichung angekündigt und ausdrücklich daran festgehalten.
27
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch, den materiell-rechtlichen Anspruch auf die begehrte Leistung, glaubhaft gemacht. Der Antragstellerin steht – ungeachtet seiner dogmatischen Herleitung – ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen den Antragsgegner zur Seite, weil ein rechtswidriger Eingriff in die Rechte der Antragstellerin vorliegt. Denn die geplante Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB wäre nach dem im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutz zu erlangenden Erkenntnisstand rechtswidrig und würde ungerechtfertigt in die Grundrechte der Antragstellerin, insbesondere in das Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2020 – 20 CE 20.286 – juris Rn. 5 f. sowie OVG Bremen, B.v. 25.2.2022 – 1 B 482/21 – juris Rn. 15; VGH BW, B.v. 21.5.2019 – 9 S 584/19 – LMuR 2019, 170; HessVGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – ZLR 2019, 281).
28
§ 40 Abs. 1a LFGB ist grundsätzlich anwendbar.
29
Bei dem streitgegenständlichen NADHhaltigen Produkt handelt es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 NemV und damit auch um ein Lebensmittel im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 178/2002.
30
Nach den vorliegenden Erkenntnissen handelt es sich bei dem konkreten NADHhaltigen Produkt nicht um ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 1a AMG i.V.m. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) RL 2001/83/EG in der Fassung der RL 2004/27/EG und Art. 2 Abs. 3 Buchst. d) VO (EU) 178/2002. Denn nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten hat das NADHhaltige Produkt vorliegend nicht die Eigenschaft eines Funktionsarzneimittels, weil es keine belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine pharmakologische Wirkung des streitgegenständlichen Produkts gibt (vgl. allgemein Rathke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 184. EL, Juli 2022, EG-Lebensmittel-BasisVO, Art. 2 Rn. 102 ff., auch zum Nachfolgenden m.w.N.). Wie die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27. März 2023 plausibel ausgeführt hat, beziehen sich die vereinzelten Stimmen (vgl. VG Göttingen, U.v. 19.9.1995 -- BeckRS 1995, 31216922) sowie eine pauschale Aussage in einer kritischen Stellungnahme von Prof. … vom 20. September 2000 (https://www. …*) zum einen schon auf einen möglicherweise veralteten Rechtsstand. Zum anderen ist diesen Aussagen nicht zu entnehmen, welcher Stoff konkret zugrunde lag. Denn bei der Eistufung eines Arzneimittels ist auf die konkrete Darreichungsform sowie auf die konkrete Wirkstoffdosierung bei normalem Gebrauch abzustellen. Hier handelt es sich um NADH 20 mg mit einer Verzehrempfehlung von einer Kapsel pro Tag. Des Weiteren hat die Antragstellerin selbst dargelegt, dass mögliche ernährungsphysiologische Nutzwirkungen, die auch der Werbung dienen sollen, nicht mit einer hier erforderlichen pharmakologischen Wirkung gleichgesetzt werden können. Das LGL hat für den Antragsgegner mit seiner Stellungnahme vom 28. März 2023 zudem plausibel darauf hingewiesen, dass es Studien mit Mäusen und Ratten gebe und dass sich diese Tierexperimentellen Studien und die dort verabreichten viel höheren Dosen nicht auf die hier bestehende Fallkonstellation übertragen ließen. Eine Studie mit Patienten mit Alzheimererkrankung hat jedenfalls zu keiner signifikanten Verbesserung kognitiver Funktionen geführt. Insofern fehlt es gesamtbetrachtet an stichhaltigen Anhaltspunkten, geschweige denn an belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen für eine pharmakologische Wirkung des konkreten NADHhaltigen Produkts, selbst wenn seitens der Antragstellerin bzw. ihres Geschäftsführers krankheitsbezogene Werbeaussagen getroffen werden. Insoweit ist die vorliegende Fallgestaltung auch nicht mit anderen Zweifelsfällen vergleichbar (vgl. etwa BayVGH, B.v. 27.2.2023 – 20 CS 22.2652, 20 CS 22.2654 – juris zu CBD-Öl bzw. B.v. 2.4.2020 – 20 CE 20.286 – juris zu Pepsin).
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Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB sind nicht erfüllt.
32
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB liegen nicht vor, weil das streitgegenständliche NADH-Produkt kein nichtzugelassener oder verbotener Stoff in einem Lebensmittel ist, weil er nicht neuartig im Siine von Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 ist.
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Nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Falle von Proben nach § 38 Abs. 2a Satz 2 LFGB auf der Grundlage von mindestens zwei Untersuchungen durch eine Stelle nach Art. 37 Abs. 4 Buchst. e) der Verordnung (EU) Nr. 2017/625, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass ein nach Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht zugelassener oder verbotener Stoff in dem Lebensmittel oder Futtermittel vorhanden ist.
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Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, verstößt § 40 Abs. 1a LFGB – in der heute geltenden Fassung mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Befristung von sechs Monaten – nicht gegen das Grundgesetz (siehe BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40). Die Vorschrift ist auch mit dem Europäischen Unionsrecht vereinbar (VGH BW, B.v. 28.11.2019 – 9 S 2662/19 – juris).
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Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB liegen nicht vor, weil das streitgegenständliche NADH-Produkt kein nichtzugelassener oder verbotener Stoff in einem Lebensmittel ist, weil es nicht neuartig im Sinne von Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 ist.
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Ein durch Tatsachen hinreichend begründeter Verdacht eines Verstoßes durch das Vorhandensein eines nicht zugelassenen Stoffes, hier NADH, im streitigen Produkt liegt nicht vor. Erforderlich sind konkrete tatsächliche Anhaltspunkte, dass die jeweiligen Voraussetzungen des Gesetzesverstoßes erfüllt sind, wobei bloße Vermutungen oder theoretische Überlegungen nicht ausreichen (vgl. Boch, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, 8. Online-Auflage 2019, § 40 LFGB Rn. 39 ff.). Die Begründung des Verdachts, also die Feststellung der für den Verdacht maßgeblichen Tatsachen, muss hinreichend sein; es muss also durch tatsächliche Feststellungen hinreichend begründet werden, dass der Verdacht eines Verstoßes besteht, wobei eine Einzelfallabwägung vorzunehmen ist (Rathke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 184. EL, Juli 2022, § 40 LFGB Rn. 92).
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Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 dürfen nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in den Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden.
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Die Antragstellerin verstößt durch das Inverkehrbringen des NADHhaltigen Produkts „NADH 20 mg und Q10 100mg für Menschen“ nicht gegen das Lebensmittelrecht, weil dieses NADH nicht neuartig im Sinne Art. 3 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 ist.
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Ein Lebensmittel ist neuartig, wenn es vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde und in mindestens eine der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nrn. i) bis x) VO (EU) 2015/2283 genannten Kategorien fällt.
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Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 enthält eine eigenständige Definition für den Begriff neuartige Lebensmittel, die verbindlich ist. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) Nr. 2015/2283 enthält zwei Voraussetzungen: Das betreffende Erzeugnis muss erstens vor dem 15. Mai 1997 unabhängig von dem Zeitpunkt der beitretenden Mitgliedstaaten zur Europäischen Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sein und zweitens muss es in mindestens in einer der Kategorien der Nrn. i) bis x) der Vorschrift einzuordnen sein. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Andernfalls ist das Lebensmittel nicht neuartig und kann ohne Zulassung in den Verkehr gebracht werden (Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 184. EL, Juli 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 3 f., 12 ff.; vgl. auch schon VG Würzburg, B.v. 16.3.2023 – W 8 E 23.186 – BA S. 25 f).
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In dem Zusammenhang ist zu betonen, dass es sich bei der Tatbestandsvoraussetzung des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. i) VO (EU) 2015/2283 nicht um einen „Ausnahmetatbestand“ handelt, wie das LGL offensichtlich meint. Vielmehr sind die Kategorien in den Nrn. i) bis x) normale Tatbestandsvoraussetzungen, die in jedem Fall neben der weiteren Tatbestandsvoraussetzung des Einleitungssatzes erfüllt sein müssen, um zu einer Einstufung als neuartig nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 zu gelangen.
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Der Antragsgegner stützt sich zunächst auf Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. i) VO (EU) 2015/2283, wonach Lebensmittel mit neuer oder gezielt veränderter Molekularstruktur erfasst werden, soweit diese Struktur in der Union vor dem 15. Mai 1997 nicht in Lebensmitten oder als Lebensmittel verwendet wurde. Die Nr. i) setzt aber im Gegensatz zum Einleitungssatz des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 die Verwendung in einer bestimmten Menge bzw. in einem nennenswerten Umfang vor dem Stichtag des 15. Mai 1997 gerade nicht voraus. Vielmehr genügt allein, dass die Molekularstruktur bereits vor dem Stichtag in Lebensmitteln vorhanden war (Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 184. EL, Juli 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 56).
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Das Tatbestandsmerkmal des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. i) VO (EU) 2015/2283 reduziert sich damit schlicht auf die Frage: War NADH mit seiner Molekularstruktur schon vor dem 15. Mai 1997 in Lebensmitteln da oder nicht? Die Antwort ist eindeutig: Ja. NADH hat schon vorher in Lebensmitteln existiert.
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In den gesamten vorliegenden Stellungnahmen des LGL und des Antragsgegners ist immer nur davon die Rede, dass nicht nachgewiesen sei, dass NADH in nennenswertem Umfang vor dem Stichtag innerhalb der EU verwendet worden ist bzw. verzehrt worden ist. Darauf kommt es aber nicht an. Denn anders als die Bedingung im Einleitungssatz des Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a VO (EU) Nr. 2015/2283 musste ihre Verwendung insbesondere nicht in nennenswertem Umfang erfolgt sein. Es ist mithin möglich, dass ein Lebensmittel zwar im Sinne dieses Einleitungssatzes nicht in nennenswertem Umfang vor dem 15. Mai 1997 für den menschlichen Verzehr verwendet wurde, dieses gleichwohl nicht als neuartig einzustufen ist, weil seine Molekularstruktur bereits (in geringerem Umfang) vor dem Stichtag in Lebensmitteln vorhanden war und diese daher nicht als neu im Sinne der Kategorie Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. i) VO (EU) Nr. 2015/2283 gilt (Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 184. EL, Juli 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 56).
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Dass die Molekularstruktur von NADH vor dem 15. Mai 1997 noch überhaupt nicht in Lebensmitteln vorhanden war, ist den Ausführungen des Antragsgegners nicht zu entnehmen. Vielmehr spricht der Umstand der von der Antragstellerin benannten Publikationen und Patente, unter anderem ein Patent vom 24. Januar 1991, das sich ausdrücklich auf Lebensmittel bezieht, für das Vorhandensein dieser Molekularstruktur in NADHhaltigen Lebensmitteln schon weit vor dem Stichtag. Ein weiteres Patent vom 10. November 1994 betrifft die Verkapselung von NADH, aber nicht NADH selbst, und spricht gerade für eine vorherige Existenz von NADH auch in einem Lebensmittel. Ob eine Vermarktung erfolgreich verlaufen ist, spielt keine Rolle. Gleichermaßen kommt es für die Einstufung als neuartig nicht darauf an, dass das NADH in Deutschland zugelassen war, weil die VO (EU) Nr. 2015/2283 nur darauf abstellt, dass die streitgegenständliche Molekularstruktur – innerhalb der Europäischen Union – in Lebensmitteln oder als Lebensmittel verwendet wurde, sodass auch die nur auf Deutschland bezogene Regelung des § 2 Abs. 1 LMBG von vorneherein irrelevant ist. Nach den unwidersprochenen Darlegungen der Antragstellerin war die Vermarktung von NADH zudem auch vor dem 15. Mai 1997 nicht auf Deutschland beschränkt und erfasste offensichtlich auch das deutschsprachige und nichtdeutschsprachige europäische Ausland.
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Auch die erstmals im Schriftsatz vom 28. März 2023 geäußerte Ansicht, dass auch eine Einstufung als neuartiges Lebensmittel i.S. von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. vii) VO (EU) 2015/2283 erfüllt wäre, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Erfasst werden danach Lebensmittel, bei deren Herstellung ein vor dem 15. Mai 1997 in der Union für die Herstellung von Lebensmitteln nicht übliches Verfahren angewandt worden ist, das bedeutende Veränderungen der Zusammensetzung oder Struktur eines Lebensmittels bewirkt, die seinen Nährwert, seine Verstoffwechselung oder seinen Gehalt an unerwünschten Stoffen beeinflussen. Denn auch Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. vii) VO (EU) 2015/2283 verlangt „nur“ ein Lebensmittel, bei dessen Herstellung ein vor dem 15. Mai 1997 in der Union für die Herstellung von Lebensmitteln nicht übliches Verfahren angewandt worden ist, das bestimmte Veränderungen bewirkt. Maßgeblicher Bezugspunkt ist also hier nicht die stoffliche Beschaffenheit von Lebensmitteln, sondern der Herstellungsvorgang, also nach dem Wortsinn ein Vorgang, der zur Erzeugung des betreffenden Lebensmittels zum Einsatz gelangt ist. Dabei muss das Verfahren vor dem 15. Mai 1997 „nicht üblich“ sein (vgl. zum Ganzen Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 184. EL, Juli 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 116 ff.). Diese Formulierung ist aber nicht entsprechend des allgemeinen Sprachgebrauchs zu verstehen wie etwa: alltäglich, bekannt, bewährt, gängig, gebräuchlich, geläufig, gewohnt, herkömmlich usw. (vgl. nur Duden: Synonyme zu „üblich“ https://www.duden.de/synonyme/ueblich).
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Vielmehr enthält die VO (EU) 2015/2283 wie schon ausgeführt eigenständige europarechtliche Begriffsbestimmungen. Die Formulierung „nicht übliches Verfahren“ ist so zu verstehen, dass nicht auf eine bestimmte Üblichkeit abzustellen ist, sondern überhaupt nur auf die Anwendung des Herstellungsverfahrens als solches. Entsprechend kommt bei dieser Kategorie dem Tatbestandsmerkmal „nicht üblich“ keine quantitative Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, ob das betreffende Verfahren technisch so weit etabliert war, dass dieses eingesetzt wurde. Was ein (nicht) übliches Verfahren ist, bestimmt die VO (EU) 2015/2283 nicht explizit. Zudem ist fraglich, welche Bedeutung dieser Begriff neben dem zeitlichen und räumlichen Bezugspunkt des Einleitungssatzes „vor dem 15. Mai 1997 in der Union“ haben soll. Es liegt daher nahe, das Tatbestandsmerkmal der fehlenden Üblichkeit als Überbleibsel aus der Vorgängerverordnung unter Art. 1 Abs. 2 Buchst. f) VO (EG) Nr. 258/97, die ihrerseits weder Zeit noch Territorium konkretisierte, einzuordnen. Diese Annahme verdichtet sich zur Erkenntnis, wenn man die weiteren Sprachfassungen der aktuellen VO (EU) 2015/2283 berücksichtigt, die für die Rechtsauslegung gleichermaßen verbindlich sind. So heißt es etwa zum Beispiel im Englischen: „food resulting from a production process not used for food production within the Union before 15 May 1997”. Die französische Fassung lautet: “denrées alimentaires résultant „d'un procédé de production qui n'était pas utilisé pour la production de denrées alimentaires dans l'Union avant le 15 mai 1997”. Gleichermaßen Italienisch: „gli alimenti risultanti da un nuovo processo di produzione non usato per la produzione di alimenti nell'Unione prima del 15 maggio 1997“. Oder spanisch: „alimento que resulte de un nuevo proceso de producción no utilizado para la producción alimentaria en la Unión antes del 15 de mayo de 1997“. Auf Deutsch übersetzt bedeuten die Formulierungen alle einfach: Lebensmittel, die aus einem Produktionsprozess stammen, der vor dem 15. Mai 1997 nicht zur Herstellung von Lebensmitteln in der Union verwendet wurde (das Gleiche gilt für weitere Fassungen, etwa polnisch oder dänisch usw., von deren Abdruck abgesehen wird). Für diese Kategorie reicht danach schlicht aus, dass das konkrete Herstellungsverfahren schon vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union für die Herstellung von Lebensmitteln (nicht) angewendet wurde. Ebenso wie bei der vorhergehenden Kategorie Nr. i) ist auch bei dieser Kategorie nur der Einsatz vor dem Stichtag in der Europäischen Union für die Beurteilung der Verfahrenshistorie relevant (vgl. zum Ganzen Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 184. EL, Juli 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 116 ff., 122 f. mit dem Hinweis, dass ein Einsatz des Verfahrens allein bei Arzneimitteln nicht ausreicht; so noch OLG Frankfurt/Main, U.v. 4.12.2014 – 6 U 112/14 – juris Rn. 14, zur Vorgängerregelung).
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Das Tatbestandsmerkmal des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. vii) VO (EU) 2015/2283 reduziert sich damit ebenfalls schlicht auf die Frage: War das Herstellungsverfahren für NADH als oder in einem Lebensmittel schon vor dem 15. Mai 1997 da oder nicht? Die Antwort ist eindeutig: Ja. Das Herstellungsverfahren für NADH als oder in einem Lebensmittel hat schon vorher existiert.
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Im Ergebnis gelten hier dieselben Erwägungen wie oben, weil aufgrund des Vorbringens der Antragstellerin mit Verweis auf die Publikationen und Patente und auch bezogen auf Lebensmittel alles dafürspricht, dass das Herstellungsverfahren schon vor dem Stichtag des 15. Mai 1997 angewendet wurde, um NADH (mit seiner spezifischen Molekularstruktur) auch für Lebensmittel zu produzieren.
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Die vom LGL getätigte Anmerkung, dass es kein für die Herstellung von Lebensmitteln übliches Verfahren gewesen sei und bis heute nicht sei, berücksichtigt nicht die vorstehend zitierte europarechtlich determinierte Auslegung von „nicht üblich“ schlicht im Sinne von „nicht verwendet“. Der Antragsgegner behauptet zudem selbst nicht, dass das heute eingesetzte Verfahren ein anderes als vor dem 15. Mai 1997 wäre, geschweige denn, dass er dafür irgendwelche Belege benennt. Auch die weiten Ausführungen zu den vermeintlichen Veränderungswirkungen, auf die es zudem nicht mehr entscheidungserheblich ankommt, scheinen sich mangels greifbarer Anhaltspunkte eher im Bereich von Spekulationen zu bewegen.
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Infolgedessen spricht alles dafür, dass nicht sämtliche für die Einstufung des streitgegenständlichen NADH-Produktes als neuartig erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Nr. a VO (EU) 2015/2283 erfüllt sind.
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Nach alledem war dem Antrag stattzugeben, ohne dass es noch entscheidungserheblich auf die weiteren umfangreichen streitigen Ausführungen der Beteiligten, zum menschlichen Verzehr in der Union vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang nach dem Einleitungssatz des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 ankommt.
53
Wie sich aus der Tenorierung ergibt, verliert diese vorläufige Regelung ihre Gültigkeit, wenn nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses an den Prozessbevollmächtigten ein gerichtliches Hauptsacheverfahren eingeleitet wird (sofern nicht eine sonstige Erledigung eintritt, etwa durch endgültige Abstandnahme des Antragsgegners von der geplanten Veröffentlichung durch eine sonstige außergerichtliche Einigung der Beteiligten).
54
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
55
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Sie richtet sich nach dem Auffangstreitwert, weil die wirtschaftlichen Auswirkungen der Veröffentlichung nicht im Einzelnen beziffert werden können (vgl. Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs). Der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war. Auch wenn teilweise eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegt, hält das Gericht eine Halbierung für sachgerecht, weil das Gericht ausweislich des Tenors bewusst eine nur vorläufige Regelung getroffen hat (vgl. ebenso BayVGH, B.v. 27.2.2023 – 20 CS 22.2652, 20 CS 22.2654 – juris Rn. 19; anders aber BayVGH, B.v. 2.4.2020 – 20 CE 20.286 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 20 CE 19.1634 – juris Rn. 40).