Titel:
Baugenehmigung für Wohnzwecken dienenden Anbau an bestehendes Wohnhaus
Normenketten:
BauGB § 34
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 45, Art. 59, Art. 68 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine geschlossene Bauweise verlangt den betroffenen Grundstückseigentümern mehr Abstriche hinsichtlich der Licht- und Luftverhältnisse ab. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wer mit einer grenzständigen oder grenznahen Bebauung sein Grundstück intensiv baulich nutzt und nicht unter Wahrung gesetzlicher Grenzabstände selbst für ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorgt, kann im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist grundsätzlich Sache des Bauherrn, sein Gebäude so anzulegen bzw. zu gestalten, dass die für die Belichtung und Belüftung notwendige freie Fläche auf seinem eigenen Grundstück erhalten bleibt. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch auf beantragte Baugenehmigung für Grenzanbau an Wohnhaus, Einfügen insbesondere bzgl. Bauweise, kein Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot trotz Verschattung mehrerer Fenster im benachbarten Wohnhaus, geschlossene Bauweise, Belichtung, Belüftung und Besonnung, Vertrauensschutz, gesunde Wohnverhältnisse, Abstandsflächen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7225
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Januar 2022 verpflichtet, dem Kläger die mit Bauantrag vom 4. März 2021 beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
II. Der Beklagte und die Beigeladenen haben die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen, wobei die Beigeladenen für ihren Kostenanteil gesamtschuldnerisch haften.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für einen Wohnzwecken dienenden Anbau an ein bestehendes Wohnhaus.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …1 der Gemarkung M… … … … … (Baugrundstück). Südlich an das Baugrundstück grenzt das Grundstück der Beigeladenen mit der Fl.Nr. …0 der Gemarkung M… an, das im nordöstlichen Bereich mit einem Wohnhaus, bestehend aus fünf Wohnungen, bebaut ist. Die Nordseite dieses Wohnhauses ist mit einem Abstand von 55 cm zur gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet und 14 Fenster dieses Wohnhauses sind auf der Nordseite zum Baugrundstück vorhanden. Diese bestehen unstreitig seit Jahrzehnten, eine Baugenehmigung liegt für das Wohnhaus der Beigeladenen jedoch nicht vor. Die beiden vorgenannten Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich von M… Mit Antrag vom 4. März 2021 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines zweigeschossigen Anbaus an das bereits bestehende Wohnhaus auf dem Baugrundrundstück mit einer Tiefe von 10,20 m im südlichen Grundstücksbereich, wobei die Zufahrt zum Grundstück durch eine Tordurchfahrt sichergestellt werden soll. Wegen des geplanten Vorhabens im Einzelnen wird auf den Bauantrag samt Planunterlagen Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 8. April 2021 erteilte die Gemeinde M… das gemeindliche Einvernehmen für das Vorhaben unter der Bedingung, dass ergänzende Nachweise zum Einfügen in die Umgebung vorgelegt würden.
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Im weiteren Genehmigungsverfahren äußerte das Landratsamt K… mehrfach Bedenken zu verschiedenen Genehmigungsvoraussetzungen, zu denen der Kläger bzw. seine Bevollmächtigte jeweils Stellung nahm.
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Mit Bescheid des Landratsamts K… vom 4. Januar 2022 wurde der Antrag des Klägers abgelehnt. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass das Vorhaben aus bauplanungsrechtlichen Gründen nicht genehmigungsfähig sei. Das Vorhaben füge sich insbesondere hinsichtlich der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die hier maßgebliche nähere Umgebung ein. Diese sei durch eine gewachsene, atypische Bauweise geprägt, der schmale, aber lange Grundstücke zugrunde lägen. Eine durchgehende Grenzbebauung liege in der maßgeblichen Umgebung nicht vor. Die Belichtung des Wohngebäudes der Beigeladenen erfolge in nicht unerheblicher Weise über die Nordseite. Auf die auf dem Klägergrundstück vorhandene halboffene Bauweise, wie sie sich in der dörflichen Baugeschichte entwickelt habe, hätten die Beigeladenen vertraut. Durch das Vorhaben des Klägers würden zehn Fenster auf der Nordseite des Wohnhauses der Beigeladenen verdeckt, so dass auch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots vorliege bzw. gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht mehr gewahrt wären. Eine Abweichung von den erforderlichen Abstandsflächen zur südlichen Grundstücksgrenze könne unter Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen nicht gewährt werden. Aus diesen Gründen sei der Bauantrag des Klägers abzulehnen gewesen.
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Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 2. Februar 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ der Kläger gegen den vorgenannten Bescheid Klage erheben und beantragen,
1. Der Bescheid des Landratsamts K… vom 4. Januar 2022 (Az. …) wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, die Baugenehmigung auf Grundlage des Bauantrags des Klägers vom 4. März 2021 zu erteilen;
hilfsweise: der Beklagte wird verpflichtet, über den Bauantrag des Klägers vom 4. März 2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Begründet wurde die Klage im Wesentlichen damit, dass der Bescheid des Landratsamts rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze, da dieser einen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung habe. Die bauplanungsrechtlichen Anforderungen würden eingehalten. Insbesondere füge sich das Vorhaben hinsichtlich der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche in die nähere Umgebung ein. Denn die nähere Umgebung werde durch eine überwiegend geschlossene Bauweise geprägt. Selbst wenn man von einer regellosen Bebauung ausginge, fügte sich das Vorhaben des Klägers ein. Gleiches gelte hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche, da auf einer ganzen Reihe anderer Grundstücke in der näheren Umgebung die Bebauung noch dichter sei.
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Auch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sei vorliegend zu verneinen. Zwar würden durch das Vorhaben zehn Fenster auf der Nordseite des Wohnhauses der Beigeladenen in nicht unerheblicher Weise verschattet, da dann nur noch ein Bereich von 55 cm zur Südwand des geplanten Vorhabens frei von Bebauung wäre. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei jedoch anerkannt, dass derjenige, der mit einem Grenzanbau sein Grundstück intensiv baulich nutze und nicht unter Wahrung gesetzlich vorgeschriebener Grenzabstände selbst für ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorge, im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht auch noch die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen könne. Diese regelhafte Interessengewichtung sei allerdings offen für Sonderfälle, in denen ein besonderer Vertrauensschutz des Nachbarn begründet worden sei oder bodenrechtlich absolut unhaltbare Zustände durch den zahlreiche Fenster verschattenden Grenzanbau ausgelöst würden. Die Grundsätze dieser Rechtsprechung seien auf den vorliegenden Fall anwendbar. Für einen Vertrauenstatbestand zugunsten der Beigeladenen sei angesichts der Tatsache, dass die Fenster auf der Nordseite möglicherweise seit Jahrzehnten bestehen, aber niemals genehmigt worden seien, nicht erkennbar. Auch unhaltbare Zustände durch den geplanten Grenzanbau seien nicht zu befürchten. Eine Belüftung sei nach wie vor möglich. Eine mögliche Beeinträchtigung der Belichtung in einzelnen Aufenthaltsräumen sei jedenfalls durch eine entsprechende Umgestaltung der betroffenen Wohnungen möglich. Aus diesen Gründen sei ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ebenso zu verneinen wie ein Verstoß gegen gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse.
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Auch sonstige Vorgaben, die im vorliegenden Genehmigungsverfahren zu prüfen seien, stünden dem Vorhaben nicht entgegen. Aufgrund der regellosen Bebauung, die es dem Kläger erlaube, auch auf die seitlichen Grundstücksgrenzen zu bauen, seien mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO auch keine Abstandsflächen einzuhalten. Demgemäß habe der Kläger gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung.
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Das Landratsamt beantragt mit Schriftsatz vom 28. Februar 2022,
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Wegen der Begründung wurde zunächst auf die Gründe im angefochtenen Bescheid vom 4. Januar 2022 Bezug genommen. Ergänzend führte das Landratsamt aus, dass das Vorhaben jedenfalls das Rücksichtnahmegebot verletze, da das Wohngebäude der Beigeladenen auf dem südlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstück auf eine Belichtung von Norden angewiesen sei.
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Mit Schriftsatz vom 9. November 2022 beantragen die Beigeladenen ebenfalls,
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Zur Begründung wurde zunächst auf die Argumentation des Landratsamts K… verwiesen. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich der Bauweise nicht in die nähere Umgebung ein. Die aktuelle Bebauung vor Ort sei historisch gewachsen, worauf die Beigeladenen als Nachbarn vertrauen durften. Des Weiteren liege ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor, da durch das Vorhaben in unzumutbarer Weise die Belichtung ihres Wohnhauses beeinträchtigt würde.
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Aufgrund Beschlusses vom 14. September 2022 hat die Kammer am 27. Oktober 2022 einen Augenschein über die örtlichen und baulichen Verhältnisse im Bereich des Grundstücks Fl.Nr. …1 der Gemarkung M… durchgeführt. Auf das entsprechende Protokoll und die im Augenscheintermin angefertigten Lichtbilder wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierauf im Rahmen des Augenscheintermins verzichtet haben (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
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Die vorliegende Klage ist zulässig und begründet. Der ablehnende Bescheid des Landratsamts K… vom 4. Januar 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da dieser einen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Das hier geplante Bauvorhaben ist genehmigungspflichtig.
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Gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von baulichen Anlagen grundsätzlich der Baugenehmigung. Eine Genehmigungspflicht ist beim klägerischen Vorhaben daher zweifelsfrei gegeben.
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Das Vorhaben des Klägers ist auch genehmigungsfähig.
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Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Da es sich vorliegend nicht um einen Sonderbau handelt, ist vorliegend das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchzuführen. Öffentlichrechtliche Vorschriften, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, stehen dem Vorhaben nicht entgegen.
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Das Vorhaben stimmt mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1a) BayBO) überein.
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Maßgeblich für die bauplanungsrechtliche Beurteilung ist hier § 34 BauGB, da das Baugrundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles liegt, ein Bebauungsplan aber nicht vorliegt. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles zulässig, wenn es sich hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich hinsichtlich dieser vier Kriterien innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben kann ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn es trotz der Überschreitung keine städtebaulichen Spannungen hervorruft (vgl. hierzu etwa BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369 ff.).
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Als nähere Umgebung i.S. des § 34 Abs. 1 BauGB ist dabei der Bereich anzusehen, innerhalb dessen sich einerseits das Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirkt (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369 ff.; BayVGH, U.v. 24.11.2010 – 9 B 10.363 – juris m.w.N.). Die Grenzen sind dabei nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen, dabei ist die nähere Umgebung für jedes der Merkmale des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesondert zu ermitteln, weil die wechselseitige Prägung unterschiedlich weit reichen kann.
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Hinsichtlich der näheren Umgebung ist unter Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort und entsprechender Übersichtspläne (z.B. BayernAtlasplus) bezüglich aller hier relevanten Merkmale des § 34 BauGB auf den Bereich beidseitig der H…straße von M … abzustellen, der im Norden durch die S…traße (nördlich des Grundstücks H…straße …) und im Süden durch den M…weg (südlich H…straße … und ..) begrenzt wird. Denn in diesem Bereich stellt sich die nähere Umgebung als klassisches f. Straßendorf mit relativ schmalen, dafür aber relativ langen Grundstücken dar. Innerhalb dieses Bereichs kann sich das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung auswirken und wirkt sich andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend aus.
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Unter Berücksichtigung dieser näheren Umgebung vor Ort, wie sie das Gericht im Rahmen des Augenscheins (vgl. die Lichtbilder auf Seite 92 – 94 GA) vorgefunden hat, fügt sich das Vorhaben ohne Weiteres hinsichtlich der Bauweise (vgl. § 22 BauNVO) ein.
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Denn die nähere Umgebung ist geprägt durch eine Vielzahl von Grundstücken, bei denen eine geschlossene Bauweise vorzufinden ist, die darauf befindlichen (nicht untergeordneten) Gebäude also ohne seitlichen Grenzabstand errichtet wurden. Dies gilt etwa für die Grundstücke mit den Fl.Nrn. …9/1, …0, …1, …4, …7, …8, 30 (Grundstück der Beigeladenen), …2, 38, 40, …5, …6, 80, 81, 92, 04, jeweils Gemarkung M… (vgl. hierzu die Übersicht im BayernAtlasplus). Die maßgebliche nähere Umgebung ist dabei als regellos einzustufen, wobei eine geschlossene Bauweise nach dem vorhandenen Rahmen zulässig ist.
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Entgegen der Ansicht des Landratsamts K… und der Beigeladenen fügt sich das Vorhaben daher hinsichtlich der Bauweise in die nähere Umgebung ein.
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Gleiches gilt hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll. Denn insoweit finden sich in der näheren Umgebung eine ganze Reihe von Grundstücken, die genauso oder sogar in noch größerem Umfang als das Baugrundstück nach dem geplanten Vorhaben des Klägers überbaut sind (vgl. etwa im BayernAtlasplus die Grundstücke Fl.Nr. …2, …8, …4, …5, …1, 74, 76 der Gemarkung M …).
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Schließlich fügt sich das Vorhaben des Klägers auch hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Zweifel hieran haben weder das Landratsamt noch die Beigeladenen geltend gemacht. Solche sind unter Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort auch nicht erkennbar.
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Das Vorhaben verstößt schließlich auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot.
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris).
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Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Antragsteller aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 35 Rn. 78). Ob dies der Fall ist, hängt ganz wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab.
34
Bei Anwendung dieser Grundsätze und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles erweist sich das Bauvorhaben des Klägers in seinen Auswirkungen auf das Nachbargrundstück der Beigeladenen nicht als rücksichtslos.
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Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770, BayVBl 2009, 751 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, das geplante Vorhaben wird in etwa die gleiche Firsthöhe haben wie das Gebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen (vgl. hierzu die Planunterlagen, S. 188 der elektr. BA).
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Darüber hinaus gibt das Gebot der Rücksichtnahme den Nachbarn auch nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Insoweit gilt es vorliegend weiter zu berücksichtigen, dass die hier maßgebliche nähere Umgebung durch eine regellose, häufig sogar geschlossene Bauweise geprägt ist. Eine geschlossene Bauweise verlangt jedoch den betroffenen Grundstückseigentümern auch mehr Abstriche hinsichtlich der Licht- und Luftverhältnisse ab (vgl. hierzu auch OVG Hamburg, B.v. 16.8.2011 – 2 Bs 132/11 – BeckRS 2011, 55152, wonach die Festsetzung der geschlossenen Bauweise aufgrund ihres Zwecks nachbarliche Ansprüche auf ungehinderte Belichtung einer derartigen Grenzwand oder des grenznahen, von der Festsetzung erfassten Grundstücksbereichs sogar ausschließen soll).
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Das Vorhaben des Klägers verstößt aber auch insofern nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, als durch das Vorhaben des Klägers zehn Fenster auf der Nordseite des Wohnhauses der Beigeladenen weitestgehend verdeckt und verschattet werden, wie sich aus der hier anzustellenden Interessenabwägung ergibt:
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Diesbezüglich gilt es zunächst zu beachten, dass die Beigeladenen ihr Grundstück selbst intensiv ausnutzen, und ihr Wohngebäude entlang der Hauptstraße im Süden selbst bis an die Grenze gebaut wurde und im Norden, zum Baugrundstück hin, lediglich 55 cm zur Grundstücksgrenze einhält. Darüber hinaus wurden auf dem Grundstück der Beigeladenen (Fl.Nr. …0) an der nördlichen Grundstücksgrenze auf über 60m jedenfalls grenznahe Gebäude errichtet (vgl. hierzu den Auszug aus dem Liegenschaftskataster, Blatt 14 der elektr. BA, oder eine entsprechende Übersicht im BayernAtlasplus). Auch an der südlichen Grundstücksgrenze steht nicht nur das Wohnhaus der Beigeladenen unmittelbar an der Grenze, sondern im westlichen Teil des Grundstücks wurde ein weiteres Gebäude auf einer Länge von knapp 30 m grenznah errichtet (vgl. Liegenschaftskataster sowie BayernAtlasplus a.a.O.). Die Beigeladenen haben somit ihr Grundstück selbst in ganz erheblichem Umfang grenzständig oder grenznah bebaut.
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Wer aber selbst mit einer grenzständigen oder grenznahen Bebauung sein Grundstück intensiv baulich nutzt und nicht unter Wahrung gesetzlicher Grenzabstände selbst für ausreichende Belichtung und Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorgt, kann im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht auch noch die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 22.10.2002 – 26 ZB 00.2571 – juris Rn. 14; U.v. 24.4.1970 – 16 I 70 – BayVBl. 1970, 366; B.v. 19.4.1994 – 2 CS 94.755 – BayVBl. 1995, 22/23). Dies gilt vorliegend umso mehr, als die grenznahe Bebauung des Wohnhauses der Beigeladenen in seiner Tiefe deutlich über die des geplanten Vorhabens des Klägers hinausgeht (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 22.10.2002 – 26 ZB 00.2571 – juris Rn. 14; B.v. 15.12.1975 – 185 I 75 – BayVBl. 1976, 147).
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Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Beigeladenen für ihr hier betroffenes Wohngebäude keine Baugenehmigungen vorweisen können, wie der Beigeladenenvertreter mit Schriftsatz vom 6. August 2022 ausdrücklich einräumt (vgl. Blatt 73 BA). Das heißt, dass u.a. weder die Fenster auf der Nordseite noch die aktuell im Gebäude eingerichteten fünf Wohnungen (vgl. hierzu Grundrisse auf Blatt 33 ff. GA) Bestandsschutz genießen. Dies mindert die Schutzwürdigkeit der Beigeladenen in nicht unerheblichem Umfang.
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Zwar berufen sich die Beigeladenen im Hinblick auf ihre in der Vergangenheit getätigten Investitionen in dieses Wohngebäude auf Vertrauensschutz (vgl. hierzu etwa der Schriftsatz des Beigeladenenvertreters vom 26.4.22, Blatt 54 GA). Allerdings ist für das Gericht nicht erkennbar, inwiefern sich die Beigeladenen hier zu recht auf Vertrauensschutz berufen können sollen. Jedenfalls allein der Umstand, dass auf dem Baugrundstück des Klägers bislang nur eine halboffene Bauweise bestand, ist kein rechtlich geschützter Vertrauenstatbestand, zumal eine geschlossene Bauweise, wie der Augenschein zweifelsfrei ergeben hat, dort zulässig ist. Einen öffentlich-rechtlichen (vgl. Art. 68 Abs. 5 BayBO) Anspruch auf Freihaltung ihrer grenznahen nördlichen Gebäudewand haben die Beigeladenen jedenfalls nicht (vgl. hierzu etwa BayVGH, U.v. 24.4.1970 – 16 I 70 – BayVBl. 1970, 366; U.v. 8.12.75 – 246 I 72 – BayVBl. 1976, 146). Hierfür ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Allein der Umstand, dass ein Grundstück bislang noch nicht (in vollem Umfang) bebaut ist, obwohl eine (derartige) Bebauung rechtlich möglich ist, vermag einen entsprechenden Vertrauensschutz jedenfalls nicht zu begründen.
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Der Kläger hat demgegenüber ein nachvollziehbares Interesse, sein Grundstück im Rahmen der insoweit geltenden rechtlichen Vorgaben zu nutzen. Eine geschlossene Bauweise ist nach der maßgeblichen näheren Umgebung vor Ort zulässig. Eine geschlossene Bauweise, wie sie in Altorten häufig anzutreffen ist, verlangt den Grundstückseigentümern in solchen Gebieten mehr Abstriche hinsichtlich der Licht- und Luftverhältnisse ab. Dies gilt dabei nicht nur für die Beigeladenen, sondern auch für den Kläger selbst, der infolge dessen sein Vorhaben mit Blick auf die südliche Abschlusswand mit einer fensterlosen Brandwand ausgestalten muss (vgl. hierzu Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 8 Satz 1 BayBO). Auch die südlichen Nachbarn der Beigeladenen (Fl.Nr. …8) müssen durch das Wohngebäude der Beigeladenen entsprechende Licht- und Belüftungseinbußen hinnehmen (vgl. hierzu das Bild auf Seite 3 der Klageschrift, Blatt 3 GA).
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Darüber hinaus ist vorliegend zu berücksichtigen, dass durch das Vorhaben des Klägers zwar zehn Fenster im Gebäude der Beigeladenen verschattet werden. Zu unzumutbaren baurechtlichen Zuständen führt dies aber nicht.
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Im Erdgeschoss des Gebäudes der Beigeladenen verfügt die Küche in der nordöstlichen Gebäudeecke zur Ostseite noch über ein weiteres Fenster, so dass insoweit eine ausreichende Belichtung sichergestellt ist, zumal der auf dem Grundstück des Klägers dort aktuell befindliche Carport schon derzeit nur wenig zusätzliches Licht über die Nordfenster der Küche zulässt (vgl. hierzu das obere Bild auf Blatt 95 GA). Das nunmehr nach Westen verschobene Bad (vgl. den Grundriss auf Blatt 76 GA) ist kein Aufenthaltsraum im Sinne des Art. 2 Abs. 5 BayBO, so dass dort eine Belichtung mit Tageslicht nicht erforderlich ist (vgl. Art. 45 Abs. 2 Satz 1 BayBO). Betroffen von der heranrückenden Bebauung ist im Erdgeschoss alleine das Kinderzimmer, das sich westlich an das Bad anschließt. Dort besteht allerdings die Möglichkeit, das dort vorhandene Fenster zu versetzen oder zu vergrößern, um eine ausreichende Belichtung gem. Art. 45 Abs. 2 Satz 1 BayBO zu sichern bzw. um gesunde Wohnverhältnisse zu gewährleisten (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB).
45
Die soeben gemachten Ausführungen gelten für das erste Obergeschoss des Wohngebäudes der Beigeladenen entsprechend (vgl. hierzu den entsprechenden Grundriss auf Blatt 35 bzw. 74 GA). Die Küche in der nordöstlichen Gebäudeecke, die zu Wohnung 2 gehört, wird ebenfalls durch ein weiteres Fenster auf der Ostseite belichtet. Die Bäder von Wohnung 2 und 3 bedürfen, wie bereits ausgeführt, keiner Tageslichtquelle. Für das betroffene Kinderzimmer in der Wohnung 3 besteht ebenfalls die Möglichkeit, das dort vorhandene Fenster zu versetzen oder zu vergrößern, um auch dort eine ausreichende Belichtung zu sicherzustellen.
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Im zweiten Obergeschoss (vgl. den Grundriss auf Blatt 33 bzw. 75 GA) gilt hinsichtlich des in Wohnung 4 betroffenen, nördlichen Küchenfensters und des westlich davon gelegenen Badfensters das für das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss bereits Ausgeführte entsprechend. Für das in Wohnung 5 betroffene Schlafzimmerfenster scheidet nach den Planunterlagen eine Versetzung oder Vergrößerung des dort betroffenen Fensters dagegen aus, um eine ausreichende Belichtung zu erzielen. Allerdings ist es den Beigeladenen mangels gesicherter Rechtsposition – eine Baugenehmigung liegt nicht vor – zumutbar, durch eine Umgestaltung der Wohnung für ausreichend Belichtung zu sorgen. Dies gilt umso mehr, als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in ähnlich gelagerten Fällen notwendige Umbaumaßnahmen aufgrund eines Grenzanbaus des Nachbarn selbst bei genehmigten und damit bestandsgeschützten Gebäuden bzw. Gebäudeteilen für den Eigentümer für zumutbar hält (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2002 – 26 ZB 00.2571 – juris Rn. 16 a.E.), da es grundsätzlich die Sache des Bauherrn ist, sein Gebäude grundsätzlich so anzulegen bzw. zu gestalten, dass die für die Belichtung und Belüftung notwendige freie Fläche auf seinem eigenen Grundstück erhalten bleibt (vgl. BayVGH, U.v. 24.4.1970 – 16 I 70 – BayVBl. 1970, 366).
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Eine andere Sichtweise hätte das hier wertungsmäßig nicht nachvollziehbare Ergebnis zur Folge, dass der Kläger allein wegen des faktischen Vorhandenseins grenznaher Fenster und des faktischen, konkreten Zuschnitts der Wohnungen im Wohngebäude der Beigeladenen sein Grundstück nicht weitergehend nutzen könnte, obwohl sich das von ihm geplante Vorhaben insbesondere auch hinsichtlich der Bauweise einfügt und obwohl die Beigeladenen keine Baugenehmigung und damit keine (besonders) schutzwürdige Position besitzen, auch wenn das Gebäude der Beigeladenen an sich und die konkrete Anordnung der Fenster schon seit Jahrzehnten so vorhanden sein mögen. Ein solches Ergebnis vermag vorliegend nicht zu überzeugen.
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Dieses Abwägungsergebnis wird zudem durch die bereits zitierte ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestätigt. Etwas Anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Oktober 2002 (Az.: 26 ZB 00.2471 – juris). Dabei gilt es nämlich zunächst zu berücksichtigen, dass sich der dort zugrundeliegende Sachverhalt vom vorliegenden in zwei zentralen Punkten unterscheidet: Zum einen konnten sich die Kläger im damaligen Verfahren auf eine Baugenehmigung berufen (vgl. BayVGH a.a.O. – juris Rn. 2). Zum anderen war dem Bauherren und Beigeladenen im damaligen Fall erst im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO (i.d.F. vom 4. August 1997, gültig vom 1.1.1998 bis 31.13.2007) gestattet worden, an die Grenze zu bauen. Im vorliegenden Fall darf der Kläger unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen nähren Umgebung, wie bereits ausgeführt, aber gerade an die Grenze bauen.
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Unabhängig davon liegen hier keine Umstände vor, die einen Sonderfall zugunsten der Beigeladenen darstellen würden (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2002 – 26 ZB 00.2471 – juris Rn. 14 a.E.) und die es rechtfertigen könnten, dem Kläger die Baugenehmigung mit Blick auf das bauplanungsrechtlich Rücksichtnahmegebot zu versagen.
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Ein besonderer Vertrauensschutz für die Beigeladenen besteht, wie bereits dargelegt, nicht. Bodenrechtlich unhaltbare Zustände durch das klägerische Vorhaben werden nicht ausgelöst, da bis auf die drei betroffenen Schlafzimmer im Wohngebäude der Beigeladenen eine ausreichende Tagesbelichtung auch so besteht bzw. in den betroffenen Bädern nicht notwendig ist. Mangels Baugenehmigung und damit mangels (ausreichend) schutzwürdiger Rechtsposition ist es den Beigeladenen darüber hinaus nach Abwägung der in Streit stehenden Interessen zuzumuten (vgl. hierzu nochmals vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2002 – 26 ZB 00.2571 – juris Rn. 16 a.E), in den drei betroffenen Schlafzimmern für ausreichend Belichtung zu sorgen, was jedenfalls im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss durch eine entsprechende Fensterversetzung oder -vergrößerung ohne allzu großen Aufwand möglich sein sollte. Im Übrigen kann durch eine räumliche Umgestaltung der Wohnung 5 eine ausreichende Belichtung aller Aufenthaltsräume im Sinne von Art. 45 Abs. 2 Satz 1 BayBO bzw. können gesunde Wohnverhältnisse im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB hergestellt werden. Auf Bestandsschutz der Wohnungen und der Fenster, wie sie sich aktuell darstellen, können sich die Beigeladenen mangels entsprechender Baugenehmigung jedenfalls nicht berufen.
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Nach dem Vorstehenden verstößt das Vorhaben des Klägers unter Berücksichtigung der konkreten Umstände vor Ort nach Abwägung der hier widerstreitenden Interessen nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, selbst wenn dadurch zehn Fenster auf der Nordseite des Wohnhauses der Beigeladenen weitestgehend verschattet werden. Eine ausreichende Belüftung ist durch die betroffenen Fenster im Wohngebäude der Beigeladenen aufgrund des Abstandes von 55 cm zur südlichen Abschlusswand des geplanten Vorhabens ohnehin weiter möglich.
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Dem Bauvorhaben des Klägers steht somit auch nicht das Rücksichtnahmegebot entgegen.
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Aus den gleichen Gründen und insbesondere aufgrund der Möglichkeit der Beigeladenen, eine ausreichende Belichtung jedenfalls durch entsprechende Umbaumaßnahmen zu gewährleisten, wahrt das Vorhaben auch gesunde Arbeits- und Wohnverhältnisse i.S. des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, zumal diesem Merkmal gegenüber dem Rücksichtnahmegebot nur Auffangcharakter zukommt (vgl. hierzu etwa Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 34 Rn. 66).
54
Das Vorhaben des Klägers stimmt des Weiteren auch mit den Vorschriften über die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1b) BayBO) überein.
55
Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf.
56
Nach den oben gemachten Ausführungen zur prägenden Bauweise vor Ort ist die nähere Umgebung durch eine insoweit regellose Bebauung gekennzeichnet, so dass der Kläger nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften an die seitlichen Baugrenzen bauen darf und es somit nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO keiner Abstandsflächen bedarf.
57
Sonstige Vorgaben, die im hier einschlägigen vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1c) sowie Nrn. 2 und 3 BayBO), stehen dem Vorhaben ebenfalls nicht entgegen. Auch sonst sind keine öffentlich-rechtlichen Vorgaben erkennbar, die dem Vorhaben des Klägers entgegengehalten werden könnten. Solche wurden auch weder seitens des Landratsamts noch der Beigeladenen vorgetragen.
58
Nach alledem war der Bescheid des Landratsamts vom 4. Januar 2022 aufzuheben und der Beklagte zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung zu verpflichten. Da bereits der Hauptantrag des Klägers erfolgreich war, bedurfte es keiner Entscheidung über den Hilfsantrag.
59
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i.V.m. § 159 Sätze 1 und 2 VwGO. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m.§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.