Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 14.03.2023 – W 1 E 23.50094
Titel:

Dublin III-Verfahren: Erfolgloser Antrag auf einstweilige Anordnung bei bestandskräftiger Abschiebungsanordnung

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
ZPO § 920
Dublin III-VO Art. 29 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Ist eine Abschiebungsanordnung bestandskräftig geworden, muss der Betroffene in unmittelbarer Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG einen Antrag beim Bundesamt auf Wiederaufgreifen des Verfahrens stellen, wenn er eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage geltend machen will. Die Sicherung dieses Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens kann der Antragsteller im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO beantragen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem ausdifferenzierten Fristenregime für die Überstellung in Art. 29 Dublin III-VO ist nicht zu entnehmen, dass sich eine rechtmäßig verlängerte Überstellungsfrist verändern würde, falls ein zeitweilig flüchtiger Schutzsuchender nach erfolgter Verlängerungsmitteilung wieder auftaucht, und somit eine behördliche Neubestimmung der Überstellungsfrist von Amts wegen erfolgen müsste oder dem Schutzsuchenden gar ein Anspruch auf eine Fristverkürzung zustehen sollte. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweilige Anordnung, Regelungsanordnung, Rechtsschutzbedürfnis, verneint, offenes Kirchenasyl, Auswirkungen des Wiederauftauchens auf Bestimmung der Überstellungsfrist, maßgeblicher Zeitpunkt der Fristverlängerungsentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7215

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt nach der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Abschiebung nach Österreich.
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1. Der am ... 2002 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Eigenen Angaben zufolge verließ er sein Heimatland im Juli 2020 und reiste über die Staaten Iran, Türkei, Griechenland, Nordmazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich am 2. Juli 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 20. Juli 2021 ein Asylgesuch äußerte, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (künftig: Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am selben Tag schriftlich Kenntnis erlangte. Ein förmlicher Asylantrag wurde am 12. August 2021 gestellt.
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Ein EURODAC-Treffer ergab, dass der Antragsteller am 14. Juni 2021 einen Asylantrag in Österreich gestellt hatte, was vom Antragsteller bei seiner Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates und zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages am 12. August 2021 bestätigt wurde.
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Am 17. September 2021 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Österreich gerichtet, das seitens der österreichischen Behörden am 1. Oktober 2021 abgelehnt wurde. Auf ein am selben Tag eingeleitetes Remonstrationsverfahren hin erklärten die österreichischen Behörden mit Schreiben vom 5. Oktober 2021 nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO ihre Zustimmung zu dem Übernahmeersuchen.
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2. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Weiterhin wurde die Abschiebung nach Österreich angeordnet und das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde angeführt, der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Österreich aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Das in Österreich existierende Asylverfahren entspreche in jeder Hinsicht dem Standard der Mitgliedsstaaten. Es bestünden keine Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im österreichischen Asylverfahren. Es bestünden ausweislich der Erkenntnismittel auch keine Zweifel, dass Asylsuchende durch den österreichischen Staat entsprechend dem Standard der Mitgliedsstaaten adäquat versorgt und behandelt würden. Der Vortrag des Antragstellers, dass er in Österreich Fingerabdrücke habe abgeben müssen, führe zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr sei es dem Antragsteller zumutbar und für die spätere Antragstellung erforderlich, dass er mit den Behörden kooperiere. Anhaltspunkte für ein unverhältnismäßiges oder widerrechtliches Handeln der Behörden lägen nicht vor. Auch verfüge der Antragsteller über keine zu berücksichtigenden persönlichen Bindungen in Deutschland. Zwar habe er angegeben, dass ein Bruder, zwei Onkel und zwei Schwestern in Deutschland lebten. Der Beziehung zu den genannten Personen werde jedoch gemäß Art. 2 lit. g) Dublin III-VO kein Schutz beigemessen. Zwar habe der Antragsteller vorgetragen, er leide unter leichten psychischen Erkrankungen. Die hohen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG seien jedoch nicht erfüllt. Ein ärztliches Attest sei nicht vorgelegt worden. Darüber hinaus stehe dem Antragsteller auch in Österreich medizinische Versorgung zur Verfügung.
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3. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 15. Oktober 2021 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erhoben (Az. W 1 K 21.50264) und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung gestellt (Az. W 1 S 21.50265). Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde mit Beschluss vom 4. November 2021 abgelehnt. Mit Urteil vom 30. Dezember 2021 wurde auch die Klage abgewiesen.
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4. Mit E-Mail vom 17. Dezember 2021 gab die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken dem Bundesamt zur Kenntnis, dass der Antragsteller seit 10. Dezember 2021 untergetaucht sei. Daraufhin zeigte das Bundesamt mit Schreiben vom 21. Dezember 2021 gegenüber Österreich an, dass nunmehr die achtzehnmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO gelte und das neue Ende der Überstellungsfrist auf den 4. Mai 2023 festgesetzt werde, da der Antragsteller flüchtig sei.
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Mit E-Mail vom 20. Juni 2022 übermittelte die E. H., ansässig in der E.-B.-Straße in B., (künftig: Kirchengemeinde) dem Bundesamt ein Schreiben vom 16. Juni 2022, in dem sie bekannt gab, dass sich der Antragsteller seit dem 16. Juni 2022 im Kirchenasyl der Kirchengemeinde befinde und deren Anschrift als ladungsfähige Adresse des Antragstellers diene. Auf den Protokollauszug der Sitzung des Gemeindekirchenrats vom 16. Juni 2022 (Bl. 331 der elektronischen Behördenakte) wird verwiesen. Ausweislich der antragstellerseits vorgelegten Bescheinigung der Kirchengemeinde wird dem Antragsteller erst ab dem 19. Juni 2022 Kirchenasyl gewährt.
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Die Kirchengemeinde wurde mit Schreiben des Bundesamtes vom 21. Juni 2022 aufgefordert bis zum 16. Juli 2022 ein begründetes Härtefalldossier über den zuständigen Kirchenvertreter einzureichen, was mit E-Mail vom 14. Juli 2022 erfolgte. Das Bundesamt kam nach Prüfung des Dossiers zu dem Ergebnis, dass keine besonderen Umstände des Einzelfalls und daraus resultierende Vollzugshindernisse zur Vermeidung von besonderen humanitären Härten zu Gunsten des Antragstellers festgestellt werden könnten, die gegen eine Überstellung nach Österreich sprächen (Vermerk vom 26.7.2022, Bl. 356 der elektronischen Behördenakte).
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5. Mit Schreiben vom 9. Februar 2023 beantragte die Bevollmächtigte des Antragstellers bei der Beklagten den Bescheid des Bundesamts vom 11. Oktober 2022 aufzuheben, da die Überstellungsfrist abgelaufen und damit die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen sei. Zwar sei die Überstellungsfrist zunähst wegen des Untertauchens des Antragstellers auf 18 Monate verlängert worden, jedoch sei der Antragsteller seit dem 19. Juni 2022 wieder bekannten Aufenthalts, so dass jedenfalls ab dann nur noch die sechsmonatige Frist zur Anwendung komme. Denn der Antragsteller befinde sich seit dem 16. Juni 2022 im Kirchenasyl der E. H. in B.
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Mit Schreiben vom 14. Februar 2023 lehnte das Bundesamt den Antrag ab und verwies darauf, dass das Fristende nach wie vor der 4. Mai 2023 sei.
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6. Der Antragsteller, vertreten durch seine Bevollmächtigte, hat am 3. März 2023 einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt. Die Überstellungsfrist sei bereits abgelaufen. Dabei könne offenbleiben, ob die Frist ursprünglich am 21. Dezember 2021 richtigerweise auf 18 Monate verlängert worden sei, da jedenfalls ab dem Zeitpunkt, an dem der Antragsteller wiederaufgetaucht sei, nicht die achtzehnmonatige Frist weiterlaufe. Vielmehr laufe zu diesem Zeitpunkt eine neue Überstellungsfrist von sechs Monaten an. Denn wenn die Überstellungsfrist verlängert worden sei und der Ausländer wieder auftauche, sei die Überstellungsfrist nicht pauschal auf 18 Monate zu verlängern, sondern der von der Dublin III-Verordnung eröffnete Spielraum, der eine Verlängerung auf „höchstens“ 18 Monate vorsehe, sei auszunutzen und die Überstellungsfrist nur insoweit zu verlängern, dass erneut eine zusammenhängende Überstellungsfrist von sechs Monaten zur Verfügung stehe (VG Trier, U.v. 16.11.2018 – 1 K 12434/17.TR – juris Rn. 27). Das bedeute, dass die Frist zum Zeitpunkt, in dem durch das Kirchenasyl der Aufenthaltsort des Antragstellers bekannt geworden sei, die sechsmonatige Frist erneut zu laufen begonnen habe und damit die Überstellungsfrist am 19. Januar 2023 abgelaufen sei. Denn der Antragsteller sei zu dem Zeitpunkt, in dem er sich ins offene Kirchenasyl begeben habe, nicht mehr flüchtig gewesen. Zudem verweist die Bevollmächtigte des Antragstellers auf eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 12.2.2020 – 14 B 19.50010 – BeckRS 2020, 1946), in dem sich dieser mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob ein sich im (offenen) Kirchenasyl befindlicher Asylbewerber flüchtig ist.
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Der Antragsteller, vertreten durch seine Bevollmächtigte, beantragt daher,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht erfolgen.
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Die Antragsgegnerin, vertreten durch das Bundesamt, beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung bezieht sich die Antragsgegnerin auf eine Stellungnahme des zuständigen Dublin-Fachreferats des Bundesamts, wonach der Antragsteller bereits am 21. September 2021 nach unbekannt verzogen gemeldet worden sei. Aufgrund dessen gelte die achtzehnmonatige Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO. Der Antragsteller sei auch dahingehend belehrt worden. Der Antragsteller sei seit dem 18. Juni 2022 im Kirchenasyl. Das Härtefalldossier sei bereits durch das Bundesamt geprüft und abgelehnt worden. An der Fristverlängerung werde weiterhin festgehalten.
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7. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie der Verfahren mit dem Az. W 1 S 21.50265 bzw. dem Az. W 1 K 21.50264 und die dem Gericht vorliegende elektronische Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
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Der Antrag ist nicht zulässig. Zudem ist er in der Sache unbegründet.
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1. Der Antrag ist nicht zulässig, insbesondere ist er als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO nicht statthaft.
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1.1 Grundsätzlich ist vorläufiger Rechtsschutz gegen eine kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 1, § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO), sodass ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht statthaft und damit unzulässig wäre (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Ist die Abschiebungsanordnung jedoch – wie vorliegend – bestandskräftig geworden, muss der Betroffene in unmittelbarer Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG einen Antrag beim Bundesamt auf Wiederaufgreifen des Verfahrens stellen, wenn er eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage geltend machen will (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810 – juris Rn. 5 m.w.N.; VG München, B.v. 27.2.2019 – M 11 E 19.50113 – juris Rn. 10; VG München, B.v. 2.11.2021 – M 5 E 21.50673 – juris Rn. 13; VG Gelsenkirchen, B.v. 13.12.2017 – 12 a L 3499/17.A – juris Rn. 4; VG Greifswald, B.v. 29.6.2017 – 4 B 734/17 As HGW – juris Rn. 17). Die Sicherung dieses Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens kann der Antragsteller im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO beantragen. Der Antragsteller kann beantragen, dass der Bundesrepublik als Rechtsträgerin des Bundesamts aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung und der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung abgeschoben werden darf (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810 – juris Rn. 5 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, B.v. 13.12.2017 – 12 a L 3499/17.A – juris Rn 4).
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Nach derzeitigem Stand fehlt einem solchen Antrag nach § 123 VwGO jedoch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Denn nach Aktenlage hat der Antragsteller bisher bei der Antragsgegnerin keinen neuen Antrag gerichtet auf das Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der vor dem 4. Mai 2023 abgelaufenen Überstellungsfrist und der daraus folgenden eingetretenen asylrechtlichen Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschlands gestellt. Ein solcher Antrag wäre aufgrund der bereits eingetretenen Bestandskraft des Bescheids des Bundesamts vom 11. Oktober 2021 jedoch angezeigt. Daher ist der Antragsteller auf eine erneute Prüfung im Rahmen des Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich nachträglicher Änderungen der Sach- oder Rechtslage durch die Antragsgegnerin zu verweisen.
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Auch kann in Anbetracht der eindeutigen Formulierung des Schreibens vom 9. Februar 2023, in dem die – rechtskundige – Bevollmächtigte des Antragstellers das Bundesamt allein um die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 11. Oktober 2022 ersuchte, da die Überstellungsfrist abgelaufen und damit die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen sei, das darin geäußerte Begehren nicht dahingehend ausgelegt werden, dass hiermit konkludent ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gestellt werden sollte.
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1.2 Auch kann unter Berücksichtigung der klaren Formulierung des bei Gericht gestellten Antrags dieser nicht entsprechend §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend ausgelegt werden, dass der Antragsteller in der Sache einen Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO verfolgen möchte. Auch ein solcher Antrag wäre im Übrigen unzulässig, da ein Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zwar ohne Frist jedoch nur bis zur Unanfechtbarkeit des angegriffenen, sofort vollziehbaren Verwaltungsakts gestellt werden kann (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Werkstand: 43. EL August 2022, § 80 Rn. 577). Der Bescheid des Bundesamtes vom 11. Oktober 2021 wurde indes durch das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg mit Urteil vom 30. Dezember 2021 (W 1 K 21.50264) bestandskräftig und ist somit unanfechtbar.
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2. Der Antrag ist zudem unbegründet.
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2.1 Er ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 VwGO zu qualifizieren. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, d.h. eines materiellen Anspruchs, der durch die einstweilige Anordnung gesichert werden soll, und eines Anordnungsgrunds, d.h. die drohende Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs.
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2.2 Der Antragsteller hat zwar das Vorliegen eines Anordnungsgrundes gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO glaubhaft gemacht, nachdem er vollziehbar ausreisepflichtig ist und trotz des Aufenthalts im Kirchenasyl jederzeit mit der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen rechnen muss (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2020 – 14 B 19.50010 – BeckRS 2020, 1946 Rn. 21).
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2.3 Es fehlt jedoch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO.
27
2.3.1 Zwar ist es dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt, sich auch nach Eintritt der Bestandskraft des die Abschiebungsanordnung verfügenden Bescheids auf den Ablauf der Überstellungsfrist zu berufen. Denn die Antragsgegnerin ist von Amts wegen verpflichtet, den Zuständigkeitsübergang zu berücksichtigen und der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, von der angeordneten Abschiebung – hier nach Österreich – abzusehen. Denn ist die Überstellungsfrist nach dem Erlass einer Abschiebungsanordnung abgelaufen, so darf die Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat von Gesetzes wegen nicht mehr erfolgen. Vielmehr sind die Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats verpflichtet, von Amts wegen die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die auf sie übergegangene Zuständigkeit anzuerkennen und unverzüglich mit der Prüfung des vom Betroffenen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu beginnen (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – juris).
28
Der Betroffene hat flankierend hierzu grundsätzlich auch einen subjektiv-öffentlichen Anspruch darauf, dass die objektive durch die Dublin III-VO begründete Zuständigkeitsordnung eingehalten und ein durch das Fristenregime des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO bewirkter Zuständigkeitsübergang beachtet wird. Insbesondere ist Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO dahin auszulegen, dass im Rahmen eines gegen eine Überstellungsentscheidung gerichteten Verfahrens die betreffende Person sich auf Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO berufen und geltend machen kann, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist abgelaufen sei, weil sie nicht flüchtig gewesen sei (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17, Jawo – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 26.1.2021 – 1 C 42.20 – NVwZ 2021, 875 Rn. 28; BVerwG, U.v. 17.8.2021 – 1 C 51/20 – BeckRS 2021, 35406 Rn. 33).
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2.3.2 Die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylgesuchs des Antragstellers ist vorliegend jedoch noch nicht infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, so dass der Antragsteller dementsprechend auch keinen Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin auf Durchführung seines Asylverfahrens geltend machen kann.
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Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (Alt. 1) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (Alt. 2). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme der betreffenden Person verpflichtet, und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über (Satz 1). Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist (Satz 2). Verzögert sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung oder weil sich der Antragsteller der Überstellung entzogen hat, ist der zuständige Mitgliedstaat hierüber unverzüglich zu unterrichten (Art. 9 Abs. 1 Dublin-DVO). Für eine Verlängerung der Überstellungsfrist bedarf es keiner Abstimmung zwischen dem ersuchenden und dem ersuchten Mitgliedstaat, sondern es genügt, dass der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist darüber informiert, dass die betreffende Person flüchtig ist, und zugleich die neue Überstellungsfrist benennt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17, Jawo – juris Rn. 72, 75).
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Gemessen daran wurde hier die sechsmonatige Überstellungsfrist mit Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Österreich am 5. Oktober 2021 in Gang gesetzt. Sie endete zunächst am 5. April 2022. Der beim Verwaltungsgericht Würzburg eingereichte Eilantrag vom 15. Oktober 2021 führte zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 Dublin III-VO; nachdem der Eilantrag mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. November 2021 unanfechtbar abgelehnt worden war, wurde die Überstellungsfrist von der Antragsgegnerin nunmehr auf den 4. Mai 2022 festgesetzt.
32
Die Antragsgegnerin hat die Überstellungsfrist im Weiteren wirksam auf 18 Monate verlängert, weil der Antragsteller zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Fristverlängerung am 21. Dezember 2021 im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO tatsächlich „flüchtig“ war (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2021 – 1 C 42.20 – ZAR 2021, 345/346 Rn. 24, siehe auch die Anmerkung dazu von Pfersich in ZAR 2021, 345/347).
33
Denn es entspricht zwar der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein Asylbewerber nicht als flüchtig gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO angesehen und deswegen die Frist zur Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nicht auf 18 Monate verlängert werden darf, wenn dem Bundesamt der Aufenthaltsort eines Asylbewerbers, der sich im sogenannten offenen Kirchenasyl befindet, bekannt ist. Dies gilt auch dann, wenn sich der Antragsteller innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist zunächst in einem verdeckten Kirchenasyl befunden hat, dem Bundesamt aber vor Ergehen der Fristverlängerungsentscheidung dessen Aufenthaltsort bekannt geworden ist (ausführlich hierzu: BVerwG, U.v. 26.1.2021 – 1 C 42.20 – NVwZ 2021, 875 Rn. 26 f.; U.v. 17.8.2021 – 1 C 51/20 – BeckRS 2021, 35406 Rn. 28; BayVGH, U.v. 12.2.2020 – 14 B 19.50010 – BeckRS 2020, 1946 Rn. 20).
34
Vorliegend war der Antragsteller jedoch in dem Zeitraum vom 10. Dezember 2021 bis mindestens zum 20. Juni 2022, als das Bundesamt durch die per E-Mail übermittelte Mitteilung der Kirchengemeinde vom 16. Juni 2022 Kenntnis von dem offenen Kirchenasyl und damit dem Aufenthaltsort des Antragstellers erhielt, tatsächlich flüchtig, mithin auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamts über die Fristverlängerung am 21. Dezember 2021. Erst im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Kirchenasyls am 20. Juni 2022 tauchte der bis dahin flüchtige Antragsteller somit wieder auf.
35
In einem solchen Fall des „Wiederauftauchens“ eines zunächst flüchtig gewesenen Schutzsuchenden ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die erkennende Einzelrichterin anschließt, nach einer bereits erfolgten Verlängerungsmitteilung an den zuständigen Mitgliedstaat und unter Benennung der neuen Überstellungsfrist die Zeitdauer der Überstellungsfrist gerade nicht nachträglich auf sechs Monate begrenzt oder zu begrenzen. Denn dem ausdifferenzierten Fristenregime für die Überstellung in Art. 29 Dublin III-VO ist nicht zu entnehmen, dass sich eine rechtmäßig verlängerte Überstellungsfrist verändern würde, falls ein zeitweilig flüchtiger Schutzsuchender nach erfolgter Verlängerungsmitteilung wieder auftaucht, und somit eine behördliche Neubestimmung der Überstellungsfrist von Amts wegen erfolgen müsste oder dem Schutzsuchenden gar ein Anspruch auf eine Fristverkürzung zustehen sollte (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 2.12.2019 – 1 B 75/19 – juris Rn. 15 ff.).
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Auch die von der Bevollmächtigten des Antragstellers im vorliegenden Verfahren aufgeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Trier (U.v. 16.11.2018 – 1 K 12434/17.TR – juris) gibt keinen Anlass zu einer hiervon abweichenden rechtlichen Beurteilung.
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Die Einzelrichterin schließt sich auch insoweit den folgenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in dessen Beschluss vom 2. Dezember 2019 (1 B 75/19 – juris Rn. 16-18) an, in dem es sich u.a. ausdrücklich mit der Ansicht des Verwaltungsgerichts Trier auseinandergesetzt hat, wonach nach Verlängerung der Überstellungsfrist wegen der „Flüchtigkeit“ des Betroffenen auf 18 Monate im Falle des Wiederauftauchens zum regulären, dann erneut sechsmonatigen, Fristenlauf des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO zurückgekehrt werden muss, sofern die achtzehnmonatige (Höchst-)Frist nicht zuvor ausläuft (U.v. 16.11.2018 – 1 K 12434/17.TR – juris Rn. 28), und diese aber für nicht durchgreifend befunden hat:
„Die Dublin III-VO enthält im Kapitel VI für das Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren (Art. 21 f., 23 ff.) sowie die Überstellung (Art. 29) ein ausdifferenziertes Fristenregime, regelt die Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der Fristen und enthält Verfahrensgarantien für die Betroffenen (Art. 26, 27). Dem Wortlaut dieser detaillierten Regelungen ist nichts dafür zu entnehmen, dass eine – rechtmäßig – nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO verlängerte Überstellungsfrist eo ipso sich dann veränderte, wenn ein zeitweilig flüchtiger Schutzsuchender nach der Verlängerungsmitteilung wieder auftaucht, die Behörde dann die Überstellungsfrist von Amts wegen erneut zu bestimmen hätte (und zwar auf höchstens sechs Monate nach dem Wiederauftauchen) oder dem Schutzsuchenden ein Anspruch auf Fristverkürzung zustehen könnte; der DurchführungsVO (EG) Nr. 1560/2003 lässt sich insoweit ebenfalls nichts entnehmen. Auch das Urteil des EuGH vom 19. März 2019 (C-163/17), das auf Vorlage des Berufungsgerichts im vorliegenden Verfahren ergangen ist, enthält keinen Hinweis auf die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit der nachträglichen Verkürzung – sei es automatisch, sei es durch behördliche Entscheidung – einer einmal rechtmäßig mitgeteilten Verlängerung der Überstellungsfrist, obwohl dem EuGH bewusst war, dass der Kläger bereits am Tage der Verlängerungsmitteilung „wiederaufgetaucht“ war (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – Rn. 32). Die Regelüberstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO) findet in den Fällen des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO gerade keine direkte Anwendung. Der Rückgriff auf den Rechtsgedanken bzw. das Ziel dieser Regelung (VG Trier, Urteil vom 16. November 2018 – 1 K 12434/17.TR – juris Rn. 31 ff.), dass den Mitgliedstaaten nach erfolgter Klärung der internationalen Zuständigkeiten auch eine zügige Überstellung abzuverlangen ist, für deren Organisation und Durchführung ein zusammenhängender Zeitraum von sechs Monaten zur Verfügung zu stehen hat (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 [ECLI:ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian – Rn. 43 ff.; BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 – 1 C 15.15 – Buchholz 451.902 Europ. Ausländeru. Asylrecht Nr. 83), vernachlässigt bereits im Ansatz, dass der Verordnungsgeber hieran für die Fristverlängerung nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO gerade nicht angeknüpft und auch nicht bestimmt hat, dass in Fällen des „Wiederauftauchens“ flüchtig gewesener Schutzsuchender erneut eine auf sechs Monate begrenzte Überstellungsfrist in Lauf gesetzt wird. Damit hat der Verordnungsgeber, der auch sonst keine ausdrückliche Regelung für diese Fallgruppe getroffen hat, obwohl die Fristverlängerungsmöglichkeit erkennbar davon ausgeht, dass im Regelfall mit einem „Wiederauftauchen“ des Schutzsuchenden binnen der verlängerten Frist zu rechnen ist (VG Trier, Urteil vom 27. August 2019 – 7 K 178/18.TR – juris Rn. 71), sich gegen eine entsprechende Anwendung der Frist des Satzes 1 in diesen Fällen entschieden. Für eine Korrektur der Fristen des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO durch eine analoge Anwendung der Frist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke (VG Aachen, Beschluss vom 30. April 2019 – 9 L 420/19.A – juris Rn. 23; VG Cottbus, Beschluss vom 23. August 2019 – 5 L 319/19.A – juris Rn. 6). Aus denselben Gründen scheidet auch eine teleologisch reduzierende Auslegung aus (s.a. VG Greifswald, Urteil vom 15. November 2017 – 3 A 2051/16 As HGW – juris; VG Trier, Urteil vom 27. August 2019 – 7 K 178/18.TR – juris; VG Bremen, Beschluss vom 28. Juni 2019 – 6 V 860/19 – AuAS 2019, 178). Gegen eine Übertragung der Regelüberstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Fälle des § 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO spricht zudem, dass Fälle, in denen die Regelüberstellungsfrist (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO) wegen der Flucht des Schutzsuchenden nicht gewahrt werden musste, mit dem Regelfall gerade nicht vergleichbar sind.“
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Gemessen daran ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin nach Bekanntwerden des Flüchtigseins des Antragstellers am 21. Dezember 2021 die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert hat und diese folgerichtig erst am 4. Mai 2023 ablaufen wird, mit der Konsequenz, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (noch) keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 11. Oktober 2021 gegenüber der Antragsgegnerin geltend machen kann.
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3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).