Titel:
Streitwert bei subjektiver Klageerweiterung - Bestandsschutzklage und unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung
Normenketten:
GKG § 42 Abs. 2, § 45 Abs. 1 S. 3, § 63
AÜG § 9, § 10
BGB § 613a
Leitsätze:
1. Die seit 1.1.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des LAG Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 9.2.2018, NZA 2018, 498). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die subjektive Klageerweiterung gegen den echten oder vermeintlichen Betriebserwerber im Zusammenhang mit einer Bestandsschutzklage gegen den Veräußerer im selben Verfahren führt nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts. Denn es handelt sich hier um eine einheitliche, lediglich das eine klägerische Arbeitsverhältnis betreffende Bestandsstreitigkeit iSv § 42 Abs. 2 S. 1 GKG. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die subjektive Klageerweiterung gegen den echten oder vermeintlichen Betriebserwerber im Zusammenhang mit einer Bestandsschutzklage gegen den Veräußerer im selben Verfahren führt aber dann zu einer Erhöhung des Streitwerts, wenn der Kläger seinen Antrag nicht nur auf einen Betriebsübergang, sondern auch darauf stützt, dass mit dem Erwerber aufgrund unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitsverhältnis nach § 10 AÜG begründet wurde. Es handelt sich nicht nur um den gesetzlich angeordneten Wechsel des Vertragspartners, sondern auch des Vertragsinhalts. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Streitwertkatalog, Gegenstandswert, Subjektive Klageerweiterung, Bestandsschutzklage, Betriebserwerber, Betriebsübergang, Beendigungstatbestand, Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 29.09.2022 – 16 Ca 4499/20
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7103
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägervertreterin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 29.09.2022, Az. 16 Ca 4499/20, abgeändert.
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird auf 49.663,46 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägervertreterin wendet sich mit der Beschwerde vom 05.10.2022 gegen den Streitwertbeschluss vom 29.09.2022, in dem der Wert des Streitgegenstandes für das erstinstanzliche Verfahren auf 24.831,73 Euro festgesetzt worden ist.
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Der Kläger hat erstinstanzlich folgende Anträge gestellt:
1. Es wird festgestellt, dass seit dem 13.10.2017 zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) ein Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen des bis zum 12.10.2017 bestehenden Arbeitsverhältnisses zur W… mbH, besteht.
2. Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten zu 2) vom 29.07.2020 nicht aufgelöst wird.
3. Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endete, sondern über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus unverändert fortbesteht.
4. Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit Klageantrag Ziffer 1 wird beantragt, festzustellen, dass seit dem 09.01.2018 zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) ein Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen des bis zum 08.01.2018 bestehenden Arbeitsverhältnisses zur W… mbH besteht.
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Mit Urteil vom 05.05.2022 (Bl. 519 ff. d.A.) wurde die Klage insgesamt abgewiesen.
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Die hiergegen gerichtete Berufung der Klagepartei ist beim Landesarbeitsgericht unter dem Az. 3 Sa 320/22 anhängig.
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Mit Beschluss vom 29.09.2022 (Bl. 594 d.A.) setzte das Arbeitsgericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit auf eine Vierteljahresvergütung, mithin 24.831,73 Euro fest.
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In ihrer Streitwertbeschwerde macht die Klägervertreterin unter Verweis auf die Begründung in ihrem Schriftsatz vom 09.05.2022 (Bl. 507 d.A.) geltend, dass der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf 49.663,46 Euro anzusetzen sei, da für den Klageantrag zu 1 neben dem Klageantrag zu 2 ebenfalls eine Vierteljahresvergütung anzusetzen sei. Zur Begründung wird ausgeführt, es handle sich bei dem Antrag zu 1 nicht um einen sogenannten Schleppnetzantrag, sondern vielmehr um einen punktuellen Streitgegenstand in Form der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) ab einem bestimmten Zeitpunkt, dem 13.10.2017, zu den Bedingungen des bis zum 12.10.2017 bestehenden genau bestimmten Arbeitsverhältnisses, nämlich mit der W… mbH, bestehe. Ein gesondertes Feststellungsinteresse sei damit gegeben, es handle sich insoweit um die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsüberganges zum 13.10.2017 auf die Beklagte zu 1) übergegangen sei.
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Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 28.10.2022 nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor. Das Arbeitsgericht begründete die Nichtabhilfeentscheidung wie folgt:
„Eine Bestandsschutzklage gegen den (etwaigen) Betriebsveräußerer und eine Feststellungs- bzw. Bestandsschutzklage in demselben Verfahren gegen den (etwaigen) Betriebserwerber seien trotz subjektiver Klagehäufung wegen wirtschaftlicher Identität (streitiger Betriebsübergang) als ein Beendigungstatbestand mit dem Vierteljahresverdienst zu bewerten. Beide Anträge, wenn sie auch gegen verschiedene Parteien gerichtet sind, hätten das Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Gegenstand. Zu berücksichtigen sei dabei das Ziel, das sich letztlich hinter dem Rechtsschutzbegehren verbirgt. Ziel der Klage sei hier, dass der Kläger die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses begehrte, mit der Folge, dass nur ein Streitgegenstand vorliege. Der allgemeine Feststellungsantrag zu 3) erhöhe den Streitwert nicht. Der hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit Klageantrag zu 1) gestellte Klageantrag zu 4) sei zur Entscheidung angefallen. Da die Klageanträge zu 1) und 4) denselben Streitgegenstand beträfen, sei gemäß § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur der höhere Wert anzusetzen, sodass sich der Klageantrag zu 4) neben dem Klageantrag zu 1) nicht streitwerterhöhend auswirke.“
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Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten mit Schreiben vom 27.02.2022 Gelegenheit zur Stellungnahme bis 10.03.2023. Die Klägervertreterin hielt mit Schriftsatz vom 06.03.2023 an ihrer Rechtsauffassung fest (Blatt 16 ff der Akte).
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I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 – 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 – 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
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II. Die Beschwerde ist begründet. Es kann offenbleiben, ob der Antrag zu 1 im Hinblick auf den drei Jahre zurückliegenden behaupteten Betriebsübergang zusätzlich zu bewerten wäre. Dem Antrag war jedenfalls deshalb ein eigener Wert beizumessen, weil er hilfsweise auch auf eine verbotene Arbeitnehmerüberlassung gestützt wurde, die zu einem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 1) kraft Gesetzes geführt habe. Dies hat die Klägervertreterin in ihrer Beschwerdebegründung zwar nicht erwähnt. Es ergibt sich jedoch aus Tatbestand und Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils.
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1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
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2. Dem Arbeitsgericht ist aber grundsätzlich darin recht zu geben, dass allein die subjektive Klageerweiterung gegen den echten oder vermeintlichen Betriebserwerber im Zusammenhang mit einer Bestandsschutzklage gegen den Veräußerer im selben Verfahren nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts führt. Denn es handelt sich hier um eine einheitliche, lediglich das eine klägerische Arbeitsverhältnis betreffende Bestandsstreitigkeit im Sinne von § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG. Es ist daher – auch bei subjektiver Klagehäufung – jedenfalls beim Vorliegen lediglich eines relevanten Beendigungstatbestands für die Bestandsfrage insgesamt nur einmal das Vierteljahreseinkommen im Sinne des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG in Ansatz zu bringen (vgl. I. Nr. 13 Streitwertkatalog). Dadurch wird vorliegend zugleich der aus § 42 Abs. 2 S. 1 GKG ersichtlichen gesetzgeberischen Absicht zur Begrenzung des Gebührenstreitwerts bei das Arbeitsverhältnis betreffenden Bestandsstreitigkeiten aus sozialpolitischen Gründen entsprochen. Denn trotz der Inanspruchnahme einer Mehrheit von Parteien auf der Arbeitgeberseite geht es in dieser Konstellation letztlich um den Fortbestand des einen gekündigten Arbeitsverhältnisses in ein und demselben Betrieb zu den bisher vereinbarten bzw. auf der Grundlage kollektiver Rechtsnormen bestimmten Bedingungen. Das Arbeitsverhältnis kann, den Klageerfolg unterstellt, notwendig nur mit einer Passivpartei fortbestehen. Es ist deshalb vertragsrechtlich wie wirtschaftlich betrachtet von einem einheitlichen Klageinteresse auszugehen, was nach dem Rechtsgedanken des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG einen doppelten Ansatz insoweit ausschließt. Denn der klagende Arbeitnehmer will und kann den Fortbestand des streitigen Rechtsverhältnisses nur einmal und mit einem der beiden parallel verklagten Arbeitgeber sichern. Selbiges muss der geschilderten gesetzgeberischen Intention wegen auf den Gebührenstreitwert durchschlagen und diesen nach den gesetzlichen Vorgaben der §§ 42 Abs. 2 S. 1, 45 Abs. 1 S. 3 GKG auf höchstens einmal das Vierteljahreseinkommen begrenzen (LAG Hamm 21.01.2022 – 8 Ta 186/21). Ob dies auch gilt, wenn zwischen dem behaupteten Übergang des Arbeitsverhältnisses im Wege des Betriebsübergangs und dem angegriffenen Beendigungstatbestand überhaupt kein Zusammenhang besteht, kann hier aus den unter 3. genannten Gründen aber offenbleiben.
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3. Der Kläger hat den Antrag zu 1 nicht nur auf einen Betriebsübergang, sondern auch darauf gestützt, dass mit der Beklagten zu 1) seit 13.10.2017 ein Arbeitsverhältnis nach § 10 AÜG begründet wurde, da ab diesem Zeitpunkt eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung an die Beklagte zu 1) erfolgt sei. Damit macht der Kläger einen Beendigungstatbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Rechtsvorgängerin des Beklagten zu 2), der W… GmbH, geltend.
14
Nach der gesetzlichen Konzeption der §§ 9, 10 AÜG tritt der Entleiher gerade nicht an die Stelle des Verleihers. Vielmehr ist der Arbeitsvertrag mit dem Verleiher unwirksam. Mit dem Entleiher wird ein gesetzliches Arbeitsverhältnis fingiert, dessen Inhalt sich im Gegensatz zu § 613a BGB nicht nach dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher, sondern grundsätzlich nach den beim Entleiher herrschenden Arbeitsbedingungen richtet (§ 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG). Es handelt sich nicht nur um den gesetzlich angeordneten Wechsel des Vertragspartners, sondern in der Regel auch des Vertragsinhalts. Es wird ein anderer neuer Arbeitsvertrag gesetzlich begründet und nicht – wie bei § 613a BGB – der alte Arbeitsvertrag fortgeführt, auch wenn ein Arbeitsverhältnis nur entweder mit dem Verleiher oder dem Entleiher bestehen kann.
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4. Im vorliegenden Fall ist daher nicht nur ein Beendigungstatbestand des Arbeitsverhältnisses streitgegenständlich, nämlich die vom Beklagten zu 2 ausgesprochene Kündigung (Antrag zu 2), sondern auch das behauptete Ende des Arbeitsvertrags im Jahre 2017, durch dessen Unwirksamwerden. Da beide Beendigungstatbestände mehr als ein Vierteljahr auseinanderliegen, ist der Streitwert entsprechend I. Nr. 21.3 des Streitwertkatalogs um ein Vierteljahreseinkommen zu erhöhen.
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5. Weitere Einwendungen gegen die Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts sind nicht erhoben und auch sonst nicht ersichtlich. Die Anträge zu 3 und 4 sind nicht gesondert zu bewerten. Dies sieht auch die Klägervertreterin so. Der Streitwert war daher insgesamt auf zwei Vierteljahresvergütungen festzusetzen.
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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
18
Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.