Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 02.03.2023 – 203 VAs 495/22
Titel:

Zulässigkeitsanforderungen an einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen Justizverwaltungsakt

Normenkette:
GVG § 23, § 24, § 26 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die Zulässigkeit eines Antrags nach § 23 EGGVG muss innerhalb der Frist von § 26 EGGVG ein Sachverhalt vorgetragen werden, der eine Rechtsverletzung durch die angefochtene Maßnahme in der Gestalt des Beschwerdebescheides zumindest möglich erscheinen lässt. Für die Fristwahrung genügt es nicht, dass sich der Betroffene in der Antragsschrift einen weiteren Sachvortrag vorbehält. (Rn. 3)
2. Wird ein Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag gestellt, muss dem Antrag zu entnehmen sein, weshalb der Betroffene meint, einen Rechtsanspruch auf die abgelehnte oder unterlassene Maßnahme zu haben. Stand der Behörde bei Erlass des Justizverwaltungsakts ein Ermessensspielraum zur Verfügung, muss der Antragsteller behaupten, es liege ein Ermessensmissbrauch vor oder die Behörde habe von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht oder den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 3 GG verletzt. Eine bloße Beeinträchtigung von persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen gibt noch kein Antragsrecht. (Rn. 4)
Schlagworte:
Justizverwaltungsakt, Zulässigkeit, Anfechtungsantrag, Verpflichtungsantrag, Ermessen, Frist, Vollstreckungsplan, Einweisung, Krankenhaus
Fundstellen:
BeckRS 2023, 7005
LSK 2023, 7005
StV 2024, 465

Tenor

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft N. vom 21. Oktober 2022 wird auf Kosten der Betroffenen unter Festsetzung eines Geschäftswerts von 5.000 € als unzulässig verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Betroffene wendet sich mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Abweichung vom Vollstreckungsplan und Einweisung in die Bezirkskrankenhäuser (BKH) Pa. oder R. und begehrt den Ausspruch der Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die gegen sie angeordnete Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in einem dieser Bezirkskrankenhäuser antreten zu dürfen, hilfsweise eine Neubescheidung ihres Antrags. Mit Urteil vom 13. Dezember 2021 des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist sie zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten unter gleichzeitiger Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verurteilt worden. Am 31. Mai 2022 hat die Antragstellerin bei der für ihre Strafvollstreckung zuständigen Staatsanwaltschaft N./F. beantragt, in Abweichung zum Vollstreckungsplan in das BKH Pa. eingewiesen zu werden. Nachdem sich das BKH Pa. auf Anfrage der Staatsanwaltschaft gegen eine Aufnahme der Betroffenen ausgesprochen hatte, hat die Staatsanwaltschaft am 8. Juli 2022 die Einweisung der Betroffenen in das nach dem Vollstreckungsplan zuständige BKH T. angeordnet. Mit Schreiben vom 24. Juli 2022 hat die Betroffene beantragt, die Therapie im BKH R. antreten zu dürfen. Ihre Anträge auf Einweisung in die Bezirkskrankenhäuser Pa. oder R. hat sie am 23. September 2022 wiederholt und weiter ausgeführt, während das Bezirksklinikum R. Einwände gegen ihre Aufnahme geltend gemacht hat. Am 11. Oktober 2022 hat sie über ihren Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde gegen die Einweisung in das BKH T. eingelegt. Mit Verfügung vom 18. Oktober 2022 hat die Staatsanwaltschaft N./F. unter Hinweis auf die fehlende Aufnahmebereitschaft der Bezirkskrankenhäuser R. und Pa. die Anträge auf eine vom Vollstreckungsplan abweichende Einweisung abgelehnt und eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin vom 11. Oktober 2022 gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft hat die Generalstaatsanwaltschaft N. mit Bescheid vom 21. Oktober 2022, zugestellt am 26. Oktober 2022, zurückgewiesen. Mit Antrag vom 24. November 2022 hat der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen unter Bezugnahme auf vormalige Schriftsätze beantragt, den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft aufzuheben und die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, die Betroffene in das BKH R. oder Pa. einzuweisen, hilfsweise die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, den Antrag neu zu bescheiden. Die Generalstaatsanwaltschaft M. hat am 6. Dezember 2022 beantragt, den Antrag als unbegründet zu verwerfen. Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 22. Dezember 2022 hat die Antragstellerin dem Senat den Sachverhalt dargelegt und ihren Antrag näher ausgeführt. Die Staatsanwaltschaft habe über den Antrag auf Abweichung vom Vollstreckungsplan nicht ermessenfehlerfrei entschieden und ihre Ansprüche aus Art. 6 GG und auf Resozialisierung nicht berücksichtigt. Nunmehr befinde sie sich seit dem 1. November 2022 im Bezirkskrankenhaus T.. Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 10. Dezember 2022 hat sie ergänzend die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 24. Januar 2023 ist die Betroffene auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit ihres Antrages hingewiesen worden. Eine Stellungnahme ist innerhalb der ihr dafür gesetzten Frist nicht erfolgt.
II.
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1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG vom 24. November 2022, bei Gericht eingegangen am 25. November 2022, genügt nicht den Mindestanforderungen von §§ 24, 26 EGGVG. Er ist daher als unzulässig zu verwerfen.
3
a) Gemäß § 24 Abs. 1 EGGVG ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung muss für die Zulässigkeit eines Antrags nach § 23 EGGVG innerhalb der Frist von § 26 EGGVG ein Sachverhalt vorgetragen werden, der eine Rechtsverletzung durch die angefochtene Maßnahme in der Gestalt des Beschwerdebescheides zumindest möglich erscheinen lässt (vgl. MüKoStPO/Ellbogen, 1. Aufl. 2018, EGGVG § 26 Rn. 12; Böttcher in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 26 Rn. 1; KG Berlin, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 VAs 6/13 –, juris Rn. 1; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 2011 – III-1 VAs 16/11 –, juris Rn. 7 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. März 2005 – 3 VAs 1/05 –, juris Rn. 6 ff.; OLG Hamm MDR 1983, 602); ob darüber hinaus die Rechtsverletzung schlüssig darzulegen ist, ist streitig (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18. November 2020 – 101 VA 136/20 –, juris Rn. 29 m.w.N.). Für die Fristwahrung genügt keinesfalls, dass sich der Betroffene in der Antragschrift einen weiteren Sachvortrag vorbehält (MüKoStPO/Ellbogen, a.a.O.).
4
b) Wird, wie hier, ein Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag gestellt, muss dem Antrag zu entnehmen sein, weshalb der Betroffene meint, einen Rechtsanspruch auf die abgelehnte oder unterlassene Maßnahme zu haben. Stand der Behörde bei Erlass des Justizverwaltungsakts ein Ermessensspielraum zur Verfügung, muss der Antragsteller behaupten, es liege ein Ermessensmissbrauch vor oder die Behörde habe von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht oder den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 3 GG verletzt. Eine bloße Beeinträchtigung von persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen gibt noch kein Antragsrecht.
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c) Dieser Sachvortrag wurde innerhalb der Frist von § 26 EGGVG nicht einmal ansatzweise geleistet. Aus dem Antrag vom 24. November 2022 ergibt sich lediglich, dass die Antragstellerin eine Aufnahme in ein anderes Bezirkskrankenhaus begehrt und sich gegen die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft vom 21. Oktober 2022 wendet. Der Antragsschrift ist jedoch nicht zu entnehmen, welche Inhalte die Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft N.-F. und die Beschwerdeentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft haben, auf welchen Erwägungen sie beruhen und worin die Antragstellerin bezüglich des Bescheids der Generalstaatsanwaltschaft eine Rechtsverletzung besorgt. Auch eine aus sich heraus verständliche Sachverhaltsschilderung, anhand derer der bisherige Vollstreckungsverlauf und die persönliche Situation der Antragstellerin nachvollzogen werden könnten, ist nicht im Ansatz enthalten. Soweit die Betroffene in der Rechtfertigungsschrift auf ihre Schreiben vom 23. September und 11. Oktober 2022 Bezug nimmt, ersetzt ein Verweis auf Schriftstücke jedenfalls dann nicht den erforderlichen Sachvortrag, wenn die Schreiben dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht beigefügt sind. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich durch die Beiziehung und die Auswertung von Akten oder sonstigen Unterlagen selbst erst die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18. November 2020 – 101 VA 136/20 –, juris Rn. 30 m.w.N; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. August 2016 – 2 VAs 25/16 –, juris Rn. 2; KG Berlin, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 VAs 6/13 –, juris Rn. 5). Die Antragsschrift vom 24. November 2022 ist somit nicht geeignet, eine mögliche Rechtsverletzung durch die ablehnenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft darzulegen. Das Schreiben vom 22. Dezember 2022 ist erst nach Fristablauf eingegangen. Es kann vom Senat nicht herangezogen werden, um die Begründungsdefizite der Antragsschrift zu kompensieren.
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d) Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen sind weder offenkundig noch aktenkundig. Namentlich sind Gründe, welche die Antragstellerin gehindert haben könnten, bereits in ihrer Antragsschrift vom 24. November 2022 den Antrag formgerecht zu begründen, nicht erkennbar. Etwaiges Verschulden ihres Bevollmächtigten müsste sie sich zurechnen lassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Mai 2021 – 101 VA 44/21 –, juris Rn. 33; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Februar 2018 – III-1 VAs 116/17 –, juris; Böttcher a.a.O. § 26 Rn. 9; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 26 EGGVG Rn. 15).
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2. Darauf, dass auch unter Berücksichtigung des nach Fristablauf nachgeholten Vortrags Bedenken gegen die Statthaftigkeit des Antrags bestehen, kommt es daher nicht mehr maßgeblich an. Die Bedenken gründen darauf, dass die Antragstellerin das von ihr geltend gemachte rechtliche Begehren, die Therapie in Abweichung vom Vollstreckungsplan in einer der von ihr benannten Einrichtungen antreten zu dürfen, mit der von ihr begehrten Entscheidung des Senats mittlerweile nicht mehr erreichen kann. Denn die Betroffene wurde bereits auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft N./F. zur Aufnahme der Therapie in die nach dem Vollstreckungsplan zuständige Einrichtung in T. eingewiesen. Die Maßregel wird somit bereits vollstreckt. Die Therapie ist in der zuständigen Anstalt bereits eingeleitet worden.
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Damit wäre die Staatsanwaltschaft N./F. für den etwaigen Wunsch der Betroffenen, sie nunmehr in Abweichung vom Vollstreckungsplan (Art. 45 Abs. 3 BayMRVG) aus persönlichen Gründen nach Pa. oder R. zu verlegen, nach Art. 45 Abs. 4 BayMRVG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 BayStVollzG nicht mehr vorrangig zuständig (vgl. Trenckmann in: Kammeier/Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, 4. Aufl. 2018, L. Vollstreckungsrecht der freiheitsentziehenden Maßregeln nach § 63 und § 64 StGB L 62; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – III-1 VAs 71/18 –, juris Rn. 8; OLG Koblenz, Beschluss vom 06. März 2018 zu 2 VAs 3/18, juris Rn. 16 m.w.N.; OLG München, Beschluss vom 8. September 2014 – 4a Ws 28/14 –, juris Rn. 25 ff. jeweils zum Strafvollzug). Nach der Aufnahme der Antragstellerin in die Maßregeleinrichtung obliegt die Entscheidung, ob vom Vollstreckungsplan abzuweichen ist und ob die Antragstellerin aus persönlichen Gründen in eine andere Einrichtung zu verlegen ist, nach Art. 45 Abs. 4 BayMRVG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 BayStVollzG dem abgebenden Bezirk im Einvernehmen mit dem aufnehmenden Bezirk. Das Rechtsschutzziel eines Therapiebeginns in einer anderen Anstalt könnte mittels des von der Betroffenen gestellten und weiterverfolgten Antrags auf gerichtliche Entscheidung (§§ 23 ff. EGGVG) und einer erneuten Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht mehr erreicht werden. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des OLG Celle vom 27. Main 2008 (Beschluss vom 27. Mai 2008 – 1 Ws 203/08 –, juris; vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 4. Oktober 2021 – 3 Ws 208/21 (MVollz) –, juris; differenzierend OLG Frankfurt, Beschluss vom 18. Mai 2006 – 3 VAs 19/06 –, juris Rn. 3). Denn sie ist zu einem abweichenden Sachverhalt ergangen. In dem dort entschiedenen Fall hat der Antragsteller geltend gemacht, die Justizvollzugsanstalt, in die ihn die Vollstreckungsbehörde eingewiesen hätte, wäre für seinen Vollzug von Anfang an nicht zuständig gewesen. Es ging also um die Frage, ob der Antragsteller in diejenige Justizvollzugsanstalt eingewiesen worden ist, die nach dem Vollstreckungsplan zuständig war. Im vorliegenden Fall ist das BKH T. jedoch auch nach dem Vortrag der Antragstellerin für den Vollzug der Maßregel zuständig gewesen.
III.
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1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 GNotKG.
10
2. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 36 Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 19 GNotKG.
11
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 10. Dezember 2022 war nach § 29 Abs. 4 EGGVG, §§ 114, 117 ZPO zurückzuweisen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung – wie oben ausgeführt – keine Aussicht auf Erfolg bietet.
12
4. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 29 Abs. 1 EGGVG). Klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich – wie oben dargelegt – nicht.