Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 30.01.2023 – 8 W 3449/22
Titel:

Voraussetzungen der Beiordnung eines Notanwalts

Normenketten:
ZPO § 78b, § 571 Abs. 2
BRAO § 1
BORA § 1, § 11
Leitsätze:
1. Ein Antrag nach § 78b Abs. 1 ZPO setzt voraus, dass der Antragsteller einen hinreichend substantiierten Sachverhalt geordnet vorträgt, der es dem Gericht erlaubt, die Erfolgsaussichten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht summarisch zu beurteilen. (Rn. 9)
2. Die konkrete Anzahl der darüber hinaus anzugebenden erfolglos kontaktierenden Rechtsanwälte richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. In einem großstädtischen Gerichtsbezirk und ohne Vorliegen besonderer Eilbedürftigkeit erscheint es unbedenklich, die Benennung von mindestens zehn Rechtsanwälten zu verlangen. (Rn. 11)
Hatte der einen Notanwalt beantragende Antragsteller einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt bereits gefunden und mandatiert und wurde das Mandat anschließend beendet, kommt die Bestellung eines Notanwalts nur in Betracht, wenn die Partei die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hat. Dies hat sie substantiiert darzulegen und nachzuweisen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Notanwalt, Beendigung eines Mandats, Vertretenmüssen, Darlegungs- und Beweislast
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 02.12.2022 – 11 OH 6710/22
Fundstellen:
BRAK-Mitt 2023, 124
VersR 2023, 672
FamRZ 2023, 972
BeckRS 2023, 675
LSK 2023, 675
NJW-RR 2023, 495
NJW 2023, 1230

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 02.12.2022, Az. 11 OH 6710/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Die Beschwerdeführerin begehrt die Beiordnung eines Notanwalts für eine beabsichtigte Klage.
2
Mit einem am 30.11.2022 per Telefax beim Landgericht Nürnberg-Fürth eingegangenen Schreiben (Bl. 1 ff. d.A. - LG) erläuterte die Antragstellerin, dass sie weitergehende Ansprüche aus zwei privaten Unfallversicherungen geltend machen wolle, die ihr am ... 12.2021 verstorbener Vater bei der Antragsgegnerin unterhielt. Hintergrund ist ein Unfallereignis vom 28.11.2018, dessen Folgen streitig sind und das die Antragsgegnerin vorgerichtlich auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 14% sowie durch Zahlung des vereinbarten Krankenhaustagegeldes reguliert hat. Die Antragstellerin ist Mitglied der Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen Versicherungsnehmer. Sie behauptet, der unfallbedingte Invaliditätsgrad habe mindestens 50% betragen, so dass insbesondere die vereinbarte monatliche Unfallrente zu zahlen gewesen sei.
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Mit Beschluss vom 02.12.2022 hat das Landgericht den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zurückgewiesen (Bl. 26 ff. d.A. - LG). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass schon nicht hinreichend dargelegt worden sei, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht aussichtslos sei. Ferner habe die Antragstellerin nicht aufgezeigt, mindestens zehn Rechtsanwälte trotz gehöriger Information und Mitteilung der von ihrer Rechtsschutzversicherung bereits erteilten Deckungszusage erfolglos kontaktiert zu haben. Auch die konkreten Gründe für die Mandatsablehnung seien nicht vorgetragen worden.
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Dieser Beschluss ist der Antragstellerin am 07.12.2022 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ging am 08.12.2022 per Telefax beim Oberlandesgericht Nürnberg ein (Bl. 31 ff. d.A.).
5
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 14.12.2022 nicht abgeholfen und die Sache erneut dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 176 ff. d.A. - LG).
II.
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1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft gemäß §§ 78b Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Sie wurde auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 und 2 ZPO). Das im Original mit einer Unterschrift versehene Telefax vom 08.12.2022 entspricht der geforderten Schriftform (vgl. MüKo-ZPO/Hamdorf, 6. Aufl., § 569 Rn. 14 m.w.N.). Anwaltszwang besteht selbstverständlich nicht (vgl. OLG München, BeckRS 2001, 30200075).
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2. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 78b ZPO (sog. „Notanwalt“) zu Recht abgelehnt.
8
a) Zutreffend hat die Vorinstanz herausgearbeitet, dass die Beiordnung zum einen davon abhängt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung weder mutwillig noch aussichtslos erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29.06.2006 - IX ZR 163/05, BeckRS 2006, 8544 Rn. 1 und vom 14.12.2017 - I ZR 195/15, juris Rn. 11). Diese Einschränkung soll den Rechtsanwalt vor einer ihm nicht zumutbaren Vertretung in einer von vornherein keinerlei Erfolg versprechenden Sache bewahren. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2011 - V ZA 14/11, NJW-RR 2012, 84 Rn. 4 m.w.N.). Hieran sind aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen zu stellen. Es darf keiner Partei verwehrt werden, eine auch nur geringe Chance auf einen Prozesserfolg wahrzunehmen.
9
Auch unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist von dem Antragsteller zu verlangen, dass er einen hinreichend substantiierten Sachverhalt geordnet vorträgt, der es dem Gericht erlaubt, die Erfolgsaussichten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht summarisch zu beurteilen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.06.2021 - 4 EK 7/21, juris Rn. 5 f.; OLG München, Beschluss vom 03.03.1993 - 1 W 1014/93, juris Rn. 5 ff.). Dies ist einem Laien ohne anwaltliche Vertretung auch zumutbar. Hieran fehlte es der Antragsschrift vom 28.11.2022 jedoch, wie das Landgericht im angefochtenen Beschluss fehlerfrei festgestellt hat. Die bloße Vorlage der Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers genügte diesem Erfordernis nicht.
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Mit der Beschwerdeschrift hat die Antragstellerin im Rahmen des § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergänzend zur Sache vorgetragen bzw. weitere Unterlagen vorgelegt. Dies betrifft insbesondere den Unfallbericht vom 13.01.2019, diverse Behandlungsberichte und die vorgerichtliche Korrespondenz mit der Antragsgegnerin nebst ärztlichen Gutachten. Danach lässt sich die völlige Aussichtslosigkeit der Durchsetzung eines Anspruchs aus § 178 Abs. 1 VVG, § 1922 Abs. 1 BGB nicht feststellen.
11
b) § 78b Abs. 1 ZPO setzt weiter voraus, dass die Antragstellerin darlegt und glaubhaft macht, dass sie im Rahmen zumutbarer Anstrengungen eine gewisse Anzahl von Rechtsanwälten vergeblich um die Übernahme eines Mandats ersucht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27.04.1995 - III ZB 4/95, NJW-RR 1995, 1016). Die konkrete Anzahl der zu kontaktierenden Anwälte richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BeckOK-ZPO/Piekenbrock, § 78b Rn. 5 [Stand: 01.12.2022]; Smid/Hartmann in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 78b Rn. 5). Im Großraum Nürnberg als Sitz des beabsichtigten Prozessgerichts sind - wie der Senat aus öffentlichen Quellen ermittelt hat - allein 45 Fachanwälte für Versicherungsrecht zugelassen. Eine Vielzahl hiervon käme in Betracht, wollte man auf die wohnortnahe Landeshauptstadt München abstellen. Die vom Landgericht hier geforderte Mindestzahl von zehn Rechtsanwälten begegnet daher keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. auch Burgermeister in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 78b Rn. 3 m.w.N.). Es bestand auch keine gesteigerte Eilbedürftigkeit. Die abschließende Abrechnung der aus Sicht des Versicherers geschuldeten Leistungen und die Ablehnung weitergehender Ansprüche erfolgten im März 2020. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Verjährung gehemmt (§ 15 VVG), abgesehen davon, dass die Fälligkeit dieser Ansprüche erst mit Abschluss der notwendigen Erhebungen des Versicherers im Januar 2020 gegeben war (§ 14 Abs. 1 VVG). Verjährung kann daher frühestens am 31.12.2023 eintreten (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB).
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Mit der Antragstellung sind außerdem die jeweiligen Ablehnungsgründe anzugeben und zu belegen (vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.2004 - IV ZR 290/03, NJW-RR 2004, 864). Letzteres ist jedenfalls mit der Beschwerdeschrift und soweit möglich erfolgt. Allerdings hat die Antragstellerin nur acht von ihr kontaktierte Rechtsanwälte namentlich benannt.
13
Ferner hatte die Antragstellerin bereits einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden und entsprechend mandatiert. Rechtsanwalt H. war zur Übernahme des Auftrags bereit, sagte die Ausarbeitung einer Klageschrift zu und übermittelte der Antragstellerin eine Vollmachtsurkunde, welche diese unterzeichnete. Für die Prozessvertretung in erster Instanz besteht eine Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers der Antragstellerin. Später wurde das Mandat seitens des Rechtsanwalts jedoch beendet. In einer solchen Konstellation kommt die Bestellung eines Notanwalts nur dann in Betracht, wenn die Partei die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hat. Dies hat sie substantiiert darzulegen und nachzuweisen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29.09.2016 - III ZR 102/16, BeckRS 2016, 19301 Rn. 6 und vom 02.02.2017 - IX ZR 113/16, BeckRS 2017, 104309 Rn. 4 jeweils m.w.N.).
14
Hieran fehlt es vorliegend. Im Schreiben vom 12.09.2022 teilte Rechtsanwalt H. gegenüber der Antragstellerin mit, dass er das Mandat mit sofortiger Wirkung niederlege (Bl. 24/25 d.A. - LG). Die Antragstellerin habe gegen anwaltlichen Rat Weisung zur Klageerhebung gegeben. Insbesondere im Hinblick auf das Schreiben der Antragstellerin vom 01.09.2022 sei eine vertrauensvolle Fortführung des Mandats nicht mehr angezeigt. Jenes mit der Beschwerde vorgelegte Schreiben vom 01.09.2022 (Bl. 47 d.A. - LG) nimmt Bezug auf die Schreiben der Antragstellerin vom 04.08.2022 und 05.08.2022. Es konstatiert, dass seit der letzten Weisung weitere vier Wochen „fruchtlos verstrichen“ seien und endet mit dem ultimativen Verlangen nach „pflichtgemäßer Vorlage des Entwurfs der Klageschrift“ binnen acht Tagen. Am 04.08.2022 hatte sich die Antragstellerin schriftlich an Rechtsanwalt H. gewandt (Bl. 19 ff. d.A. - LG). Dort wirft die Antragstellerin dem Anwalt in belehrendem Tonfall u.a. vor, dass seine Vorgehensweise „rechtlich nicht tragfähig“ sei und stellt eine beharrliche Missachtung bzw. Verweigerung ihrer Weisungen in den Raum. Die Empfehlung des Rechtsanwalts sei im Hinblick auf eindeutige Judikatur „rechtsfehlerhaft“ und entspreche nicht den „Gesetzen der Denklogik“. Das genannte Schreiben endet mit der hervorgehobenen Aufforderung, der Rechtsanwalt solle unverzüglich signalisieren, dass er „den anwaltsberuflichen Pflichten“ gemäß den erteilten Weisungen nachkommen werde.
15
Zwar obliegen einem Rechtsanwalt bei der Bearbeitung eines Mandats u.a. die in § 11 BORA geregelten Berufspflichten. Auch darf der Mandant dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt grundsätzlich Weisungen erteilen (§ 665 BGB; vgl. Hamm, Beck'sches Rechtsanwalts-Handbuch, 12. Aufl., § 53 Rn. 48). Jedoch bleibt der Rechtsanwalt ein - auch vom Mandanten - unabhängiges und selbstbestimmtes Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO, § 1 Abs. 1 und 3 BORA). Mit dieser Stellung ist ein über vermeintlich bessere Rechtskenntnis belehrender und beständig zur Erfüllung beruflicher Pflichten des Rechtsanwalts ermahnender Mandant nur schwerlich vereinbar. Vor diesem Hintergrund genügt es den zuvor genannten Anforderungen an die Darlegungslast nicht, dass die Antragstellerin lediglich vorträgt, die Kündigung des Mandats sei aus „offenkundig nur vorgeschobenen“ Gründen geschehen (vgl. auch LG Bonn, Beschluss vom 16.08.2021 - 15 O 387/20, juris Rn. 9).
16
c) Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob nicht der Rechtsschutzversicherer der Antragstellerin aufgrund der bereits erteilten Deckungszusage vertraglich verpflichtet wäre, seiner Versicherungsnehmerin auf deren Antrag hin einen konkreten zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu vermitteln (vgl. § 17 Abs. 3 lit. a der Musterbedingungen ARB).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Im Gegensatz zum gebührenfreien erstinstanzlichen Verfahren fällt im Beschwerderechtszug eine Gebühr nach Nr. 1812 KV GKG an.
18
4. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 574 Abs. 2 und 3 ZPO).