Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 16.02.2023 – W 3 K 22.1539
Titel:

Zulassung der Kündigung während Elternzeit, Kein besonderer Fall, Darlegungs- und Beweislast des Klägers, Kein Nachweis, Strafverfahren eingestellt, Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung, Aufforderung, wieder zur Arbeit zu erscheinen

Normenketten:
BEEG § 18 Abs. 1 S. 4
StPO § 153
StPO § 153a
Schlagworte:
Zulassung der Kündigung während Elternzeit, Kein besonderer Fall, Darlegungs- und Beweislast des Klägers, Kein Nachweis, Strafverfahren eingestellt, Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung, Aufforderung, wieder zur Arbeit zu erscheinen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6685

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
I. Der Kläger betreibt die Patisserie und Chocolaterie … mit mehreren Filialen.
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Frau … (im Folgenden: die Beigeladene) ist dort laut Arbeitsvertrag seit dem 16. März 2017 als Servicekraft in leitender Position angestellt und war zuletzt in der Filiale in … eingesetzt.
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Sie entband am ... 2019 ihr erstes Kind und befand sich bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres ihres ersten Kindes am ... Dezember 2022 in Elternzeit.
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Nachdem der Kläger der Beigeladenen mit Schreiben vom 18. Juni 2019 das mit ihr bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31. Juli 2019, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin kündigen wollte, wandte sich die Beigeladene unter Berufung auf den sich aus ihrer Schwangerschaft ergebenden Sonderkündigungsschutz an das zuständige Arbeitsgericht.
5
Am 8. Juli 2019 beantragte der Kläger beim Beklagten die Zulassung der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung der Beigeladenen während der Mutterschutzfristen.
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Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, die Beigeladene habe am 13. Juni 2019 in drei Fällen Waren an Kunden herausgegeben, den Kaufpreis entgegengenommen und anschließend den bereits in der Kasse erfassten Verkaufsvorgang wieder storniert. Der Kläger habe am Abend des 13. Juni 2019 die Kasse gezählt und einen Überschuss in Höhe von 163,10 EUR festgestellt. Der Kläger gehe davon aus, dass die Beigeladene beabsichtigt habe, sich den durch ihre Stornierungen ergebenden Überschuss einzuverleiben. Überdies vermute der Kläger, dass es noch weitere gleichgelagerte Fälle gebe. Die diesbezüglichen Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Es sei nicht mehr zumutbar, die Beigeladene zu beschäftigen.
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Im Anschluss an den Gütetermin vor dem Arbeitsgericht vom 6. August 2019 forderte der Kläger die Beigeladene mit Schreiben vom selben Tage auf, am 9. August 2019 wieder zur Arbeit in der Filiale … zu erscheinen.
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Die Beigeladene beantragte beim Beklagten, den Antrag abzulehnen. Der Kündigungsgrund sei vorgeschoben. Die Beigeladene habe sich nicht strafbar gemacht. Korrekt sei, dass oftmals Fehlbuchungen und Stornierungen im Kassensystem des Klägers aufträten. Die Gründe lägen im Wesentlichen in der Organisationsstruktur des klägerischen Betriebs. Grund dafür sei, dass der Kläger sowohl Inhouse- als auch Außerhausgeschäfte mache, die unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen unterlägen. Bei Schichtbeginn melde sich ein Mitarbeiter an der Kasse an und bleibe bis zum Schichtende dort angemeldet. Dies gelte auch dann, wenn eine andere Kasse bedient werde oder andere Arbeiten verrichtet würden. Die behaupteten Vorfälle könne die Beigeladene nicht mehr nachvollziehen, ihr lägen auch keine Unterlagen vor. Entnahmen zulasten des Klägers lägen nicht vor. Der Kläger könne nicht belegen, dass die Beigeladene die Stornierungen vorgenommen habe. Zudem sei keine Abmahnung erteilt worden. Überdies habe der Kläger die Beigeladene am 6. August 2019 dazu aufgefordert, ihre Arbeit wieder anzutreten. Der Kläger habe damit selbst deutlich gemacht, dass für ihn eine Weiterbeschäftigung der Beigeladenen zumutbar sei.
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Hierauf erwiderte der Kläger, er habe wegen der Vorfälle zwischenzeitlich Strafanzeige erstattet. Zusätzlich habe er weitere Vorfälle ermittelt. Am 4. Juni 2019 habe der Kläger vor Ladenöffnung 50,00 EUR aus der Ladenkasse der besagten Filiale entnommen, ohne diese Einnahme zu buchen. Er habe damit das Verhalten der Mitarbeiterin testen wollen, die abends die Kasse zähle, wenn der Fehlbetrag von 50,00 EUR bemerkt werde. Dieser sei laut schriftlicher Kassenanweisung unverzüglich telefonisch zu melden. Die Beigeladene habe nach Ladenschluss die Kassen gezählt und einen Überstand von 0,58 EUR ermittelt. Am 5. Juni 2019 habe der Kläger vor Ladenöffnung 60,00 EUR in die Kasse der besagten Filiale eingelegt, da er prüfen habe wollen, ob der Überstand gemeldet werde, was ebenfalls nach der Kassenanweisung erfolgen müsse. Die Beigeladene habe nach Ladenschluss einen Überstand in Höhe von 0,90 EUR ermittelt, obwohl es eigentlich einen Überstand in Höhe von 60,00 EUR hätte geben müssen. Am 6. Juni 2019 habe der Kläger vor der Ladenöffnung 38,00 EUR aus der Ladenkasse entnommen, um das Verhalten der Person zu testen, die den Kassenbestand nach Ladenschluss zähle. Die Beigeladene habe bei der Zählung des Kassenbestandes einen Überstand von 0,47 EUR ermittelt. Bei Auswertung der Buchungen und Fehlbuchungen der verschiedenen Mitarbeiter an den darauffolgenden Tagen habe der Kläger festgestellt, dass es generell unter dem Namen der Beigeladenen sehr viele Fehlbuchungen gebe. Darüber hinaus habe der Kläger am 13. Juni 2019 eine Vielzahl an Stornierungen durch die Beigeladene feststellen können, in Summe habe sie Vorgänge in Höhe von 68,25 EUR storniert. Der Kläger habe in der Folgezeit versucht, mithilfe eines Kassenprogramms und unter Zuhilfenahme von Videoaufzeichnungen die Vorfälle zu rekonstruieren. Dabei hätten sich seine Vermutungen bestätigt. Die Ausführungen der Beigeladenen zu den Inhouse- und Außerhausgeschäften seien völlig irrelevant. Zutreffend sei, dass es im Betrieb ab und an zu Stornierungen komme, was allerdings in jedem Laden mit einer Barkasse üblich sei. Der Kläger habe dies durch klare Kassenanweisung geregelt. Die Beigeladene sei zudem nur deswegen dazu aufgefordert worden, wieder zur Arbeit zu erscheinen, weil die zuvor erteilte Kündigung unwirksam gewesen sei. Daraus sei aber nicht zu schließen, dass dem Kläger eine Weiterbeschäftigung der Beigeladenen zumutbar sei. Sie wäre vielmehr bei ihrer Tätigkeit genauestens beobachtet worden und hätte keinesfalls die Befugnis erhalten, erneut die Kasse zu zählen. Ein Zusammenhang der Kündigungsgründe mit der Schwangerschaft der Beigeladenen bestehe nicht.
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Im Wege eines Ortstermins beim Kläger übergab dieser dem Beklagten Videoaufzeichnungen seines Betriebs vom 12. Juni und 13. Juni 2019.
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Die Beigeladene trug auf Nachfrage des Beklagten vor, dass im Normalfall die zuerst durchgeführte Anmeldung des ersten Mitarbeiters an der Kasse über den ganzen Tag verbleibe. Soweit ausgeführt werde, die Beigeladene habe im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen relativ viele Stornierungen, liege das daran, dass die Beigeladene als Filialleitung tätig gewesen sei. Sie habe oftmals auf Bitten ihrer Kolleginnen und Kollegen die Kasse berichtigt. Von Seiten des Klägers habe es auch immer wieder unterschiedliche Anweisungen beim Umgang mit der Kasse gegeben. Erst nachdem der Kläger gegen die Beigeladene eine außerordentlich fristlose Kündigung ausgesprochen habe, habe es eine Personalversammlung gegeben, in der die Handhabung der Kasse richtig erklärt worden sei. Vorher habe es weder eine korrekte Handlungsanweisung zur Kasse noch sonstige Unterweisungen gegeben. Der Kläger habe zuvor stets den Überblick über die Kasse und die vorgenommenen Buchungen gehabt. Er habe individuelle Weisungen erteilt, wie etwas zu verbuchen sei. Die Beigeladene habe sich stets an die Weisungen des Klägers gehalten. Eine Vermögensschädigung durch die Beigeladene zulasten des Klägers habe es nie gegeben.
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Der Kläger teilte auf entsprechende Nachfrage des Beklagten im Wesentlichen mit, dass es die Beigeladene als Filialleiterin selbst bestimmen habe können, wer die Kassen zähle, dies jedenfalls dann, wenn sie Spätdienst gehabt habe.
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Gegen die Verwendung der klägerischen Videoaufzeichnungen erhob die Beigeladene im Weiteren datenschutzrechtliche Einwände. Die Aufzeichnungen seien unverwertbar. Sie wies zudem darauf hin, dass in dem betreffenden Zeitraum noch drei weitere neue Kolleginnen und Kollegen auf die Bediennummer der Beigeladenen gebucht hätten.
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Der Kläger wies die Einwände gegen die Verwertbarkeit des Videomaterials zurück. Auch werde der Beigeladenen nicht vorgeworfen, dass sie Korrekturen aufgrund falschen Verbuchens vorgenommen habe.
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Die Beigeladene führte nach erfolgter Akteneinsicht in die Verwaltungsakte des Beklagten aus, dass aus dem bei der Akte befindlichen Videomaterial nur ersichtlich sei, dass die Kasse bedient worden sei, dies ungeachtet der Verwertbarkeit des Videomaterials. Geldentnahmen aus der Kasse seien zu keinem Zeitpunkt mit der Ausnahme der Entnahme von Wechselgeld zur Rückgabe an Kunden festzustellen. Die Beigeladene habe auch nicht darüber bestimmen können, wer die Kassenabrechnung mache. Das sei jeweils täglich mit den Kolleginnen und Kollegen nach Schließung der Filiale abgestimmt worden. Keineswegs sei bereits tagsüber bekannt gewesen, wer abends die Kasse mache. Ebenfalls sei es unrichtig, dass die Beigeladene immer in den letzten Monaten vor den besagten Vorfällen die Kasse selbst gezählt habe, wenn sie Spätdienst gehabt habe. Soweit der Kläger mutmaße, dass die Beigeladene Waren im Wert von 122,39 EUR storniert habe, sei dies unzutreffend. Die durch den Kläger in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen seien nicht nachvollziehbar. Überdies seien diesen auch nicht zu entnehmen, wer diese Vorgänge tatsächlich durchgeführt habe und aus welchem Grund diese erfolgt seien. Die Beigeladene räume ein, dass die Kassenlade oft nicht direkt geschlossen worden sei.
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Mit Schreiben vom 18. Dezember 2019 beantragte die Beigeladene beim Kläger die Gewährung von Elternzeit bis zum vollendeten dritten Lebensjahr ihres am 14. Dezember 2019 geborenen Kindes.
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Im Weiteren trug Kläger im Wesentlichen vor, dass sich mit Hilfe der Kassendaten zweifelsfrei belegen lasse, was die Beigeladene zu welcher Zeit genau in die Kasse getippt habe. Zudem habe die Beigeladene im Regelfall die Kasse alleine gezählt. Der Antrag sei auch nicht verfristet. So habe der Kläger am 3. Juli 2019 die Beigeladene letztmalig um Klärung der Angelegenheit gebeten, dies jedoch auch erfolglos. Erst dann sei der Sachverhalt ausermittelt gewesen.
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Am 9. Januar 2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zulassung einer noch auszusprechenden außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung der Beigeladenen während der Elternzeit bis zum vollendeten dritten Lebensjahr ihres am 14. Dezember 2019 geborenen Kindes.
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Mit Bescheid vom 31. Januar 2020 lehnte die Beklagte den klägerischen Antrag ab. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass ein besonderer Fall, der zur Erteilung der Zustimmung im Sinne des § 17 Abs. 2 MuSchG und § 18 Abs. 1 BEEG notwendig sei, nicht vorliege. Nachgewiesen sei lediglich, dass die Beigeladene mehrfach Artikel storniert habe, die von Kunden entgegengenommen und bezahlt worden seien. Dass die Beigeladene das Geld unterschlagen habe, sei nicht nachgewiesen worden. Überdies wäre eine Abmahnung das mildere Mittel gewesen. Zudem sei es dem Arbeitgeber zumutbar, das Arbeitsverhältnis mit der Beigeladenen bis zum Ablauf des gesetzlichen Kündigungsverbots aufrechtzuerhalten. So sei die Beigeladene im Nachgang zu einem arbeitsgerichtlichen Gütetermin aufgefordert worden, die Arbeit wiederaufzunehmen. Um eine solche Unzumutbarkeit zu belegen, hätte die Beigeladene nach Auffassung der Beklagten von der Arbeit freigestellt werden müssen. Weiter sei die Ursachenforschung durch den Kläger für die besagten Vorfälle nicht zeitnah erfolgt. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.
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Am 27. Februar 2020 erhob der Kläger im Verfahren W 3 K 20.355 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg und beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zuzulassen. Die Klage wurde im Wesentlichen damit begründet, dass jedenfalls die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung zwingend erteilt hätte werden müssen. Die Beigeladene sei inoffiziell als Filialleiterin der Filiale in … beschäftigt gewesen. Sie habe die „Kassengewalt“ gehabt und regelmäßig nach Ladenschließung die Kasse in einem Raum gezählt, der nicht videoüberwacht sei. Der Beklagte habe überhöhte Anforderungen zum Nachweis eines „besonderen Falles“ gestellt und den Sacherhalt nicht korrekt ermittelt. Er hätte im vorliegenden Fall bereits aufgrund der Kassenmanipulation durch die Beigeladene deren Kündigung zulassen müssen. Überdies differenziere der Beklagte nicht zwischen der außerordentlichen und der ordentlichen Kündigung. Zudem habe er das Schweigen der Beigeladenen nicht berücksichtigt. Die Aufforderung an die Beigeladene, wieder zur Arbeit zu erscheinen, sei kein Indiz dafür, dass dem Kläger ihre Weiterbeschäftigung zumutbar wäre. Er habe lediglich Annahmeverzugslohnansprüche vermeiden wollen. Überdies hätte er der Beigeladenen in diesem Fall keine Kassier- und Kassenbefugnisse eingeräumt und ihr im Rahmen des Direktionsrechts Aufgaben zugewiesen, bei welchem ein Zugriff auf Kasse und Gelder des Klägers nicht möglich gewesen wären. Eine Weiterbeschäftigung der Beigeladenen sei für den Kläger nicht mehr zumutbar. Auch wenn der Kläger die Beigeladene nicht auf frischer Tat ertappt habe, sprächen alle gesamten Umstände dafür, dass sie es beabsichtigt habe, sich den durch die Stornierungen ergebenden Kassenüberstand abends nach der Kassenzählung einzuverleiben. Eine Abmahnung stelle keine hinreichende Sanktion für diese massiven Pflichtverletzungen dar und sei dazu auch nicht geeignet, das verlorene Vertrauen wiederherzustellen.
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Der Beklagte beantragte im Verfahren W 3 K 20.355, die Klage abzuweisen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Beklagte über beide Anträge des Klägers entschieden habe. Dies ergebe sich aus der Tenorierung und aus den Gründen des Bescheides. Die auf Zulassung der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beigeladenen während der Mutterschutzfristen gerichtete Verpflichtungsklage sei bereits unzulässig, da die nachgeburtliche Mutterschutzfrist am 14. April 2020 geendet habe. Für die Klage bestehe insoweit kein Rechtsschutzinteresse mehr. Zudem wäre sie auch unbegründet, da der Kläger mangels Vorliegens eines „besonderen Falles“ im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 MuSchG keinen Anspruch auf die begehrte Kündigungszulassung habe. Sofern der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehre, die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beigeladenen gemäß § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG zuzulassen, sei die Klage unbegründet. Der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe keinen besonderen Fall dargelegt. Der Beklagte habe auch den Sachverhalt umfassend ermittelt. Wie der Kläger selbst einräume, seien die strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Beigeladene nicht bewiesen. Insbesondere zeigten die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Videoaufnahmen gerade nicht, dass die Beigeladene Geld an sich genommen habe. Dass durch die Stornierungen dem Kläger ein Schaden entstanden wäre, sei nicht nachgewiesen. Soweit die fehlerhaften Stornierungen einen Verstoß gegen sogenannte Hausregeln des Klägers darstellten, sei eine Abmahnung vorranging. Es sei auch nach wie vor nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger am 4. und am 5. Juni 2019 die Beigeladene durch vorherige Entnahme von 50,00 EUR bzw. Einlegen von 60,00 EUR getestet haben wolle und trotz des danach von ihm ermittelten insoweit nicht stimmigen Kassenbestands mit einem Überstand von 0,58 EUR bzw. 0,90 EUR der Beigeladenen am 5. Juni 2019 noch eine Gehaltserhöhung gewährt habe. Die diesbezüglichen Einlassungen des Klägers seien widersprüchlich. Insbesondere erkläre sich nicht, wieso der Kläger die Beigeladene testen habe wollen, wenn sie doch sein volles Vertrauen genossen habe. Der Beklagte habe erhebliche Zweifel daran, ob die angeblichen Tests und Vorfälle am 4. und am 5. Juni 2019 überhaupt stattgefunden hätten. Es dränge sich vielmehr der Eindruck auf, dass es dem Kläger darum gehe, die Beigeladene loszuwerden, nachdem sie ihre Schwangerschaft bekannt gegeben habe. Auch liege nach den Ausführungen des Klägers selbst eine Beschäftigungsmöglichkeit für die Beigeladene vor. Selbst wenn die zuständige Behörde zu dem Ergebnis gelange, dass ein besonderer Fall gegeben sei, habe sie im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden, ob das Interesse des Arbeitgebers an einer Kündigung während der Elternzeit so erheblich überwiege, dass ausnahmsweise die vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung für zulässig zu erklären sei. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine Reduktion des Ermessens zugunsten des Klägers. Die Spruchreife im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO scheide mithin aus.
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Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 28. Februar 2020 wurde die Beigeladene zum Verfahren W 3 K 20.355 beigeladenen.
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Die Beigeladene beantragte im Verfahren W 3 K 20.3055, die Klage abzuweisen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, es sei unzutreffend, dass die Beigeladene als Filialleiterin eingesetzt gewesen wäre. Ebenso unzutreffend sei, dass die Beigeladene eine „Kassengewalt“ gehabt habe. Die Beigeladene habe lediglich wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Möglichkeit und Befugnis gehabt, die Kassenabrechnung zu tätigen. Auch die Behauptung des Klägers, die Beigeladene habe einzelne Vorgänge manipulativ storniert, sei falsch und werde bestritten. Die Sachverhaltsdarstellung durch den Kläger sowohl hinsichtlich der Einlagen bzw. Entnahmen des Klägers als auch der Kassenbestände bestreite die Beigeladene mit Nichtwissen. Entsprechendes gelte für die einzelnen Verkaufsvorgänge. Angesichts der vielen Kundenvorgänge an einem Tag könne sich die Beigeladene nicht an die einzelnen Vorgänge erinnern. Die Behauptungen des Klägers zu den einzelnen Vorgängen seien nicht belegt. Es seien lediglich etwaige Ausdrucke zugänglich, die nur nachwiesen, dass auf den Namen der Beigeladenen Vorgänge erfasst oder storniert worden seien. Es belege aber keineswegs, dass die Beigeladene die Vorgänge selbst erledigt habe. Zudem seien die durch die Klägerseite angeführten Videoaufnahmen allesamt unzulässig und nicht zu verwerten. Die erforderlichen Voraussetzungen, ausnahmsweise dem Antrag des Klägers auf Zustimmung zu entsprechen, lägen nicht vor. Insbesondere habe sich die Beigeladene nicht strafbar gemacht. Auch sei der Verdacht einer strafbaren Handlung nicht zu belegen. Überdies könne der Kläger keineswegs ausschließen, dass nicht andere Personen Fehler gemacht hätten, indem sie beispielsweise fehlerhaft herausgegeben hätten. Sofern der Kläger tatsächlich vor Öffnung der besagten Filiale Geld in die Kasse eingelegt habe und abends eine Differenz festgestellt habe, bestünden zahlreiche Möglichkeiten für das gesamte Personal, Fehler zu machen. Diesbezüglich habe sich der Kläger nicht geäußert. Darüber hinaus habe der Kläger die Beigeladene nach Ende des arbeitsgerichtlichen Gütetermins wieder aufgefordert, bei ihm zu arbeiten. Der Beklagte habe sowohl über die Zulassung der ordentlichen als auch über die Zulassung der außerordentlichen Kündigung entschieden. Ermessensfehler seien dabei nicht festzustellen.
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Mit Schreiben vom 14. Mai 2020 führte der Kläger aus, dass es die Beigeladene jedenfalls gewusst hätte, dass sie an den Tagen abends die Kasse zählen werde, an denen sie die Waren wieder storniert habe. Die klägerischen Videoaufzeichnungen seien verwertbar. Auch könne ausgeschlossen werden, dass andere Personen Fehler gemacht hätten. Anhand der Videoaufzeichnungen und Kassenausdrucke lasse sich nur feststellen, dass ausschließlich die Beigeladene die massiven Pflichtverletzungen begangen habe. Zudem habe der Kläger die Beigeladene nur aufgefordert, zur Arbeit zu erscheinen, da sich der Kläger nahezu sicher gewesen sei, dass sie nicht erscheinen werde. Falls sie zur Arbeit erschienen wäre, sei nochmals daraufhin zu weisen, dass der Beigeladenen keine Tätigkeit mit Kassier- oder Kassenbefugnis zugewiesen worden wäre. Möglicherweise hätte sich der Kläger jedoch auch dafür entschieden, dass er ihr mitgeteilt hätte, dass sie nicht erscheinen dürfe. Durch das Verhalten der Beigeladenen sei dem Kläger ein Schaden entstanden. Dies habe er dem Beklagten gegenüber auch dargelegt. Im Zuge der Stornierungen der Beigeladenen sei die Buchhaltung des Klägers und die Umsatzvorsteueranmeldung für Juni 2019 nicht korrekt. Er habe einen Vermögensschaden in Höhe von 739,59 EUR. Der Kläger sei sich aber darüber im Klaren, dass er die Verantwortlichkeit der Beigeladenen nicht vollumfänglich beweisen können werde. Das Vorliegen eines materiellen Schadens sei jedoch völlig irrelevant, es komme alleine darauf an, dass die Beigeladene zumindest in massiver Weise mehrfach und vorsätzlich ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt habe. Das Ergebnis des Strafverfahrens bleibe abzuwarten, eine Versuchsstrafbarkeit müsse jedenfalls vorliegen. Die Beigeladene habe gewusst, dass die Kassen videoüberwacht seien und sie daher kein Bargeld einstecken könne. Durch ihr Handeln habe sie eine Entnahme des Bargeldes bei der abendlichen Kassenzählung ermöglichen wollen. Diese finde in einem Raum statt, der nicht videoüberwacht sei. Das Verhalten des Klägers sei auch nicht widersprüchlich, der Test am 4. Juni 2019 sei routinemäßig erfolgt. Der Test am 5. Juni 2019 sei erfolgt, weil am Vortag keine Differenz gemeldet worden sei. Entsprechendes gelte für den Test vom 6. Juni 2019. An besagtem Tag habe der Kläger erstmals Verdacht geschöpft. Im Übrigen lasse sich nicht nachvollziehen, dass die Beklagte die Auffassung vertrete, eine Abmahnung wäre ausreichend gewesen. Nach klägerische Auffassung sei das Verwaltungsermessen auf Null reduziert.
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Hierauf erwiderte die Beigeladene, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beim Kläger hätten erst abends untereinander abgestimmt, wer die Kassenabrechnung tätige. Dies sei keineswegs vorher bekannt gewesen. Die nunmehr durch den Kläger vorgelegte Kassenanweisung sei der Beigeladenen nicht bekannt. Der Kläger habe erst nach Ausspruch der Kündigung der Beigeladenen und während des Laufs des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu einem Personalmeeting eingeladen und zum ersten Mal den richtigen Umgang mit der Kasse allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erklärt. Sofern der Kläger vortrage, dass er die Beigeladene ohne Kassier- oder Kassenbefugnis beschäftigt hätte, genüge dies dafür, dass eine Unzumutbarkeit zur Beschäftigung der Beigeladenen nach eigenen Angaben des Klägers nicht gegeben sei. Selbst wenn man eine Verwertbarkeit der Videoaufnahmen des Klägers annehmen wollte, sei darauf kein strafbares Verhalten zu erkennen.
26
Der Kläger ließ daraufhin vortragen, dass die Beigeladene durch ihre Position als Filialleiterin stets alleine entscheiden habe können, wer die Kasse zählen solle. Der Kläger sei allein gegenüber der Beigeladenen weisungsbefugt gewesen. Überdies habe die Beigeladene die Kassenanweisung am 8. Januar 2019 unterschrieben. Aufgrund ihres Verhaltens habe sie mehrfach gegen die Vorgaben der Kassenanweisung verstoßen. Auch wenn die Beigeladene im Strafverfahren schweigen dürfe, müsse sie sich im vorliegenden Verfahren zu ihren Beweggründen erklären. Wenn die Beigeladene weiterhin schweige, möge das Gericht dies entsprechend würdigen.
27
Der Beklagte nahm dahingehend Stellung, dass bei Verstößen gegen die Kassenanweisung die Abmahnung das mildere Mittel im Verhältnis zu der beabsichtigten Kündigung sei.
28
Zwischenzeitlich wurde die Beigeladene wieder schwanger und informierte den Kläger entsprechend.
29
Zwischenzeitlich erließ das Amtsgericht Aschaffenburg am 23. Dezember 2020 einen Strafbefehl betreffend die Vorwürfe vom 12. und 13. Juni 2019, gegen den die Beigeladene Einspruch einlegte.
30
Am 18. Januar 2021 beantragte der Kläger beim Beklagten erneut die Zulassung der fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung des mit der Beigeladenen bestehenden Arbeitsverhältnisses gemäß § 17 MuSchG und § 18 BEEG während der voraussichtlich ab 17. Februar 2021 beginnenden Mutterschutzfrist vor der Entbindung des zweiten Kindes der Beigeladenen sowie einer sich daran anschließenden Elternzeit. Dies wurde im Wesentlichen mit dem identischen Sachverhalt begründet wie der klägerische Antrag vom 8. Juli 2019.
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Die Beigeladene beantragte, den Antrag abzulehnen, dies im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den Vortrag im vorherigen Antragsverfahren sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter dem Aktenzeichen W 3 K 20.355.
32
Am 14. März 2021 entband die Beigeladene ihr zweites Kind und beantragte im Weiteren die Gewährung von Elternzeit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres dieses Kindes.
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Mit Bescheid vom 14. April 2021 lehnte der Beklagte den klägerischen Antrag vom 18. Januar 2021 ab und ließ die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen nicht zu. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Beigeladene nicht rechtskräftig verurteilt sei. Die vorgetragenen Verfehlungen seien noch immer unbewiesene Vermutungen des Klägers. Ein besonderer Fall liege daher auch unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Bescheid vom 31. Januar 2020 nicht vor.
34
Mit Verfügung vom 15. April 2021 stellte die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg das Ermittlungsverfahren gegen die Beigeladene betreffend die Vorwürfe vom 4., 5. und 6. Juni 2019 gemäß § 154 Abs. 1 StPO ein.
35
Mit Beschluss vom 20. April 2021 ordnete das Gericht das Ruhen des Verfahrens W 3 K 20.355 bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen die Beigeladene unter dem Aktenzeichen 304 Cs 145 Js 12977/19 geführten Strafverfahrens an.
36
II. Am 14. Mai 2021 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg mit dem Begehren, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beigeladenen während der Mutterschutzfristen für zulässig zu erklären und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beigeladenen während der Elternzeit zuzulassen und den Bescheid vom 14. April 2021 insoweit aufzuheben.
37
Mit Beschluss vom 16. Februar 2023 trennte das Gericht vom Verfahren W 3 K 22.1539 das Begehren, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beigeladenen während der Mutterschutzfristen für zulässig zu erklären und den Bescheid vom 14. April 2021 insoweit aufzuheben, ab und führte es unter dem Aktenzeichen W 3 K 23.218 fort.
38
Der Kläger beantragte im vorliegenden Verfahren W 3 K 22.1539 zuletzt,
den Beklagten zu verpflichten, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beigeladenen während der Elternzeit zuzulassen und den Bescheid vom 14. April 2021 insoweit aufzuheben.
39
Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass zwischenzeitlich aufgrund der Vorwürfe vom 12. und 13. Juni 2019 ein Strafbefehl gegen die Beigeladene erlassen worden sei. Die Beigeladene habe zudem stets zu den Vorwürfen geschwiegen beziehungsweise sie bestritten. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso der Kläger sich stets erklären müsse, die Beigeladene hingegen nicht aufgefordert worden sei, ihre Handlungen zu erläutern. Gerade die Tatsache, dass die Beigeladene bis dato ihre Stornierungshandlungen nicht erklärt habe, müsse Grund genug für den Beklagten sein, die Kündigung zuzulassen. Erneut sei auch darauf hinzuweisen, dass die Beigeladene als Filialleiterin unabhängig von einer etwaigen Strafbarkeit ihrer Handlungen durch die zahlreichen Stornierungen in massiver Weise ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt habe, da sie die Kasse dadurch manipuliert habe. Darauf sei der Beklagte überhaupt nicht eingegangen.
40
Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
41
Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass einzig neu sei, dass inzwischen ein nicht rechtskräftiger Strafbefehl gegen die Beigeladene vorliege. Der Kläger habe keine neuen Vorwürfe erhoben oder zusätzliche Nachweise vorgelegt, um seine alten Vorwürfe zu untermauern. Er könne insbesondere nicht belegen, dass sich die Beigeladene einen Kassenüberstand angeeignet habe. Überdies sei es sehr zweifelhaft, ob die klägerischen Tests vom 4., 5. und 6. Juni 2019 überhaupt stattgefunden hätten.
42
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 17. Mai 2021 wurde die Beigeladene zum Verfahren W 3 K 21.645 beigeladenen.
43
Die Beigeladene beantragte,
die Klage abzuweisen.
44
Diesbezüglich wurde im Wesentlichen auf den Vortrag im Verfahren W 3 K 20.355 Bezug genommen. Überdies gelte für die Beigeladene weiterhin die Unschuldsvermutung.
45
Am 6. September 2021 wurde die Beigeladene in erster Instanz dahingehend verurteilt, dass sie der Untreue und der versuchten Untreue schuldig ist. Gegen dieses Urteil legte die Beigeladene Berufung ein.
46
Unter Berufung dieses Urteil beantragte der Kläger mit Schreiben vom 7. September 2021 erneut die Zulassung der außerordentlichen fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung der Beigeladenen nach § 18 BEEG.
47
Mit Beschluss vom 19. Oktober 2021 ordnete das Gericht das Ruhen des vorliegenden Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen die Beigeladene unter dem Aktenzeichen 304 Cs 145 Js 12977/19 geführten Strafverfahrens an.
48
Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurde das gegen die Beigeladene geführte Strafverfahren gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 500,00 EUR endgültig eingestellt.
49
Das Gericht nahm daraufhin die Verfahren unter dem Aktenzeichen W 3 K 20.355 und W 3 K 21.645 wieder auf und führte sie unter den neuen Aktenzeichen W 3 K 22.1540 und W 3 K 22.1539 fort.
50
Der Kläger ließ daraufhin mehrfach im Wesentlichen vortragen, die Beigeladene sei in erster Instanz verurteilt worden. Im Berufungsverfahren sei sie nicht freigesprochen worden. Das Verfahren sei aus Gründen der Verfahrensökonomie gegen Zahlung von 500,00 EUR gemäß § 153a StPO eingestellt worden. Aus der Höhe der Geldauflage ergebe sich, dass sich das erstinstanzliche Urteil im Falle der Durchführung der Hauptverhandlung bestätigt hätte. Auch seien die Vorwürfe vom 4., 5. und 6. Juni 2019 nicht ungesühnt geblieben, da das Ermittlungsverfahren nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden sei.
51
Die Beigeladene ließ daraufhin vortragen, dass das Verfahren am Landgericht Aschaffenburg völlig ergebnisoffen gewesen sei. Die Beigeladene bestreite weiterhin die gegen sie gerichteten Vorwürfe.
52
Der Beklagte erwiderte darauf hin, aus keiner der erfolgten Verfahrenseinstellungen ließen sich neue Erkenntnisse oder gar ein Tatnachweis ableiten. Mit einer Einstellungsverfügung dürfe aufgrund der Unschuldsvermutung keine Feststellung zur Schuld der Beigeladenen getroffen werden.
53
Im Übrigen wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023, auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien, auf den Inhalt der Gerichtsakte im Verfahren W 3 K 22.1540 und W 3 K 23.218 sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Beklagten, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren des Klägers, den Beklagten zu verpflichten, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beigeladenen während der Elternzeit gemäß § 18 Abs. 1 Satz 4 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Januar 2015 (BGBl. I S. 33), zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2510) – BEEG – zuzulassen und den Bescheid vom 14. April 2021 insoweit aufzuheben.
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Dies folgt daraus, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023 seine ursprüngliche Klage vom 14. Mai 2021 in Bezug auf das Begehren des Klägers, den Beklagten zu verpflichten, die Kündigung während der Schutzfristen vor und nach der Geburt des zweiten Kindes der Beigeladenen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Mutterschutzgesetz vom 23. Mai 2017 (BGBl. I S. 1228), zuletzt geändert durch Artikel 57 Absatz 8 Gesetz vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652) – MuSchG – zuzulassen und den Bescheid vom 14. April 2021 insoweit aufzuheben, für erledigt erklärt hat.
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die begehrte Zulassung der Kündigung der Beigeladenen während ihrer Elternzeit ist § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG.
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Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 BEEG darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist und während der Dauer der Elternzeit nicht kündigen. Nach § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG kann in besonderen Fällen ausnahmsweise eine Kündigung für zulässig erklärt werden.
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Diesbezüglich prüft die zuständige Behörde zunächst, ob ein besonderer Fall vorliegt. Bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ist zum einen zu beachten, dass eine Kündigung nur in Ausnahmen zulässig ist. Zum anderen muss der Begriff des „besonderen Falls“, der nicht näher umschrieben wird, unter Bezugnahme auf Sinn und Zweck der Vorschrift verstanden werden und ist dabei nicht mit dem wichtigen Grund in § 626 Abs. 1 BGB gleichzusetzen. Nach der Gesetzesbegründung und dem erkennbaren Zweck der Ausnahmevorschrift liegt ein solcher nur dann vor, wenn es außergewöhnliche Umstände gebieten, das als vorrangig angesehene Interesse des Arbeitnehmers ausnahmsweise hinter das Interesse des Arbeitgebers zurücktreten zu lassen. Eine Zulässigkeitserklärung scheidet aus, wenn eine „wesens- und sinngerechte Fortsetzung der Rechtsbeziehungen“ noch möglich ist. Dies dürfte im vollständig ruhenden Arbeitsverhältnis während der Elternzeit fast immer festzustellen sein. Mit anderen Worten muss ein besonders schwerer Vertragsverstoß des Arbeitnehmers gegen arbeitsvertragliche Pflichten zur Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses führen. Das kommt in Betracht bei der Leistung von Teilzeitarbeit, ebenso aber auch, wenn die fortbestehenden Nebenpflichten schwerwiegend verletzt werden. Beispielsweise können die Voraussetzungen vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer während der Elternzeit ohne die Zustimmung seines bisherigen Arbeitgebers bei einem anderen Arbeitgeber eine Teilzeittätigkeit aufnimmt, wenn er den Arbeitgeber und dessen Ehefrau in massiver und ordinärer Weise beleidigt oder wenn er rufschädigende öffentliche Äußerungen über seinen Arbeitsgeber verbreitet. Strafbare Handlungen vermögen ebenfalls regelmäßig einen besonderen Fall darzustellen, in der Regel jedoch nicht der Verdacht einer strafbaren Handlung. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines besonderen Falles trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. (Rancke in Rancke/Pepping, Mutterschutz, Elterngeld, Elternzeit, Betreuungsgeld, 6. Aufl. 2022, § 18 BEEG Rn. 33 m.w.N.; Schneider in Brose/Weth/Volk, Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 9. Aufl. 2020, § 18 BEEG Rn. 27, 30 m.w.N.; Gallner in Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 23. Aufl. 2023, § 18 Rn. 11, 13 m.w.N.; Velikova in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2022, § 18 BEEG Rn. 14 m.w.N.; Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Aufl. 2021, § 18 BEEG Rn. 34 m.w.N.).
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Das Vorliegen eines „besonderen Falls“ ist generell Voraussetzung für die Zulassung einer jeglichen Kündigung und ist daher losgelöst von der jeweils angestrebten Kündigungsart zu beurteilen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass sich keine Anhaltspunkte dafür bieten, dass das Vorliegen eines „besonderen Falls“ für die außerordentliche Kündigung anders zu beurteilen wäre als für die ordentliche Kündigung. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG, der nur von „Kündigung“ spricht. Auch ergibt sich dies aus dem Vergleich der Systematik der Kündigungsschutzvorschriften aus § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG und den §§ 168, 174 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234), zuletzt geändert durch Artikel 4 Gesetz vom 20. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2560) – SGB IX. So trifft § 174 SGB IX ausdrückliche Regelungen für die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigungen für Menschen mit Behinderung, wohingegen § 168 SGB IX alle anderen Kündigungen umfasst. Auch kann die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 174 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden und ist gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 SGB IX innerhalb von weiteren zwei Wochen zu verbescheiden. Für den Fall der ordentlichen Kündigung gibt der Gesetzgeber in § 171 Abs. 1 SGB IX als Orientierungshilfe, dass über die Kündigung innerhalb eines Monats vom Tag des Eingangs des Antrages an entschieden werden muss. Der Gesetzgeber hat daher in den §§ 168, 174 SGB IX ein in Bezug auf die jeweiligen Kündigungsarten ausdifferenziertes System geschaffen. Ein solches fehlt in § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG. Damit ergibt sich auch aus dem dargelegten Rechtsvergleich, dass für das Vorliegen eines „besonderen Falls“ sowohl für die ordentliche als auch für die außerordentliche Kündigung einheitliche Maßstäbe gelten. Der Beklagte durfte nach alledem über den klägerischen Antrag in einem einzigen Bescheid entscheiden. Im Übrigen ist im vorliegenden Verfahren der durch den Kläger geltend gemachte Anspruch allein Streitgegenstand. Es ist dabei ohne Belang, ob der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 14. April 2021 rechtmäßig ergangen ist (Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 411 m.w.N.). Nach alledem ist damit der Vortrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023, der Beklagte vermenge die ordentliche und außerordentliche Kündigung, für die vorliegende Entscheidung ohne Bedeutung.
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Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist festzustellen, dass kein besonderer Fall im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG vorliegt.
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Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Kläger seine Vorwürfe nicht nachgewiesen, aufgrund derer er die Zulassung der Kündigung begehrt.
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Der Kläger wirft der Beigeladenen im Kern vor, dass sie durch die Stornierungen einen nicht verbuchten Kassenüberstand erzielen und die dadurch nicht erfassten Gelder später bei der Kassenzählung entnehmen und für sich behalten wollte.
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Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger es nicht darlegen und beweisen konnte, dass die Beigeladene tatsächlich Gelder aus seiner Kasse entnommen hat. Ausgehend von seinem eigenen Vortrag haben weder der Kläger noch andere Zeuginnen und Zeugen die Beigeladene bei einer Entnahme von Geldern beobachtet. Dies ergibt sich auch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023. So erklärt der Kläger insbesondere, er habe die Beigeladene nicht auf frischer Tat ertappt.
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Selbst wenn man den vom Kläger vorgetragenen Inhalt der Videoaufzeichnungen des Klägers als wahr unterstellt, ergibt sich nichts Anderes. Der Kläger hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023 erklärt, die Kameras seien auf die Kassen ausgerichtet gewesen, um zu überwachen, ob Geld entnommen werde. Der Kläger kann nach seinen Worten durch die Videoaufzeichnungen und das Kassenprogramm lediglich rekonstruieren, dass die Beigeladene einzelne Kassiervorgänge durchgeführt hat. Nach den Ausführungen des Klägers ist auf dem vorgelegten Videomaterial nicht aufgezeichnet, dass sich die Beigeladene Gelder aus der Kasse angeeignet hat. Damit können die streitigen Vorwürfe bereits nach den Aussagen des Klägers mit diesen Videoaufzeichnungen nicht nachgewiesen werden. Die zwischen den Beteiligten streitige Verwertbarkeit dieser Videoaufzeichnungen kann daher dahinstehen.
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Die insoweit streitigen klägerischen Ausführungen dahingehend, die Beigeladene habe die Filiale in … geleitet und stets allein bestimmen können, wer die Kasse am Ende des Geschäftstages jeweils zähle, sind ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn man diesen Vortrag als wahr unterstellt, kann daraus weder ein Nachweis für eine Bereicherung der Beigeladenen zulasten des Klägers noch für eine dementsprechende Absicht der Beigeladenen geführt werden.
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Eine andere Bewertung der Sach- und Rechtslage ergibt sich auch nicht aus den durch den Kläger angeführten Verhaltenstests seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom 4., 5. und 6. Juni 2019. Der Kläger hat dabei nach seinen Angaben zweimal Gelder aus der Kasse entnommen und einmal in die Kasse eingelegt, ohne dies im Kassensystem zu verbuchen. Im Rahmen der Kassenzählung hätte sich ein dementsprechend niedriger oder erhöhter Kassenstand ergeben müssen, der wiederum dem Kläger zu melden gewesen wäre. Tatsächlich meldete die Beigeladene, die an diesen Tagen die Kasse gezählt hatte, jeweils einen Kassentand mit einem geringen Überstand. Der Kläger vermutet, die Beigeladene habe die Kasse jeweils zu einem unauffälligen Überstand angepasst, um ihr bisheriges Handeln vor dem Kläger zu verschleiern. Diesbezüglich ist festzustellen, dass der Kläger nach der Überzeugung des Gerichts weder seine Veränderung des Kassenstandes vor Ladenöffnung noch die nachfolgenden Anpassungen durch die Beigeladene belegen kann. Gerade auch vor dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023 erscheint es nicht nachvollziehbar, dass der Kläger anlasslos Ehrlichkeitstests vornimmt. Insbesondere habe er zur Beigeladenen großes Vertrauen gehabt und ihr sogar noch eine Gehaltserhöhung gewährt. Für das Einlegen beziehungsweise Entnehmen der Gelder aus der Kasse vor Ladenöffnung kann der Kläger zudem keine Zeugen oder anderweitige Beweismittel vorlegen. Im Übrigen ist zu beachten, dass der Kläger seinen Zulassungsantrag vom 8. Juli 2019 auf die Ereignisse vom 13. Juni 2019 gestützt hat. Erst mit Schreiben vom 23. August 2019 hat der Kläger Strafanzeige erstattet und die Ehrlichkeitstests vom 4., 5. und 6. Juni 2019 in das Zulassungsverfahren eingeführt. In diesem Kontext ist es nicht nachvollziehbar, wieso der Kläger derart lange mit seiner Strafanzeige gegen die Beigeladene gewartet hat, nachdem die hierfür maßgeblichen Umstände bereits nach Abschluss der Ehrlichkeitstests bekannt waren. Der Kläger hätte vor diesem Hintergrund auch keine umfangreichen Ermittlungen mehr durchführen müssen, sodass er diese Verzögerung auch nicht mit seiner berufsbedingten Belastung erklären kann. Sofern der Kläger tatsächlich Verdachtsmomente gegen die Beigeladene gehegt hat, ist es für das Gericht überdies nicht nachvollziehbar, wieso der Kläger die Beigeladene nicht direkt nach den Ehrlichkeitstests von der Befugnis, die Kasse zu zählen, entbunden hat oder ihr zumindest eine weitere Person bei der Zählung an die Seite gestellt hat. Stattdessen durfte die Beigeladene weiterhin, so auch am 13. Juni 2019, die Kasse allein zählen.
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Darüber hinaus kann sich der Kläger auch nicht auf die gegen die Beigeladene betriebenen Strafverfahren beziehen, um seine geltend gemachten Kündigungsgründe zu beweisen.
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So wurde das Strafverfahren in Bezug auf die Vorwürfe vom 4. Juni, 5. Juni und 6. Juni 2019 nach § 153 Abs. 1 StPO mit Zustimmung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts eingestellt. Danach kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand hat, die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Dabei bleibt die Frage, ob sich die Beigeladene wirklich schuldig gemacht hat, offen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt dabei nur eine hypothetische Schuldbeurteilung. Dabei wird der Sachverhalt so, wie er sich im jeweiligen Verfahrensstadium abzeichnet, daraufhin zu übergeprüft, ob die Schuld des Angeklagten gering wäre, wenn die Feststellungen in einer Hauptverhandlung diesem Bild entsprächen. Die strafrechtliche Relevanz darf nicht nach Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld festgestellt, sondern lediglich unterstellt werden. Mit der Regelung des § 153 Abs. 1 StPO wäre es unvereinbar, die Staatsanwaltschaft verpflichtet zu sehen, weitere Ermittlungen zum Schuldumfang, etwa mit dem Ziel einer völligen Entlastung des Beschuldigten, durchzuführen. Andererseits ist es auch nicht erforderlich, die Ermittlungen so lange zu führen, bis ein Freispruch des Beschuldigten als unwahrscheinlich erachtet werden kann (Diemer in Hannich, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 153 Rn. 5 m.w.N.; Peters in Münchener Kommentar zur stopp, 1. Aufl. 2016, § 153 Rn. 16). Nachdem einerseits die Schuldbeurteilung nur rein hypothetisch für den Fall der Erweislichkeit der Vorwürfe in der Hauptverhandlung erfolgt und andererseits der Verlauf der Hauptverhandlung aufgrund der prozessökonomischen Bedeutung von § 153 Abs. 1 StPO nicht vorhergesagt werden kann, vermag der Kläger aus dem Umstand der erfolgten Verfahrenseinstellung weder eine Sanktionierung, Sühnewirkung oder gar einen Tatnachweis abzuleiten. Entsprechendes gilt für den klägerischen Einwand, dass das Gericht das Verfahren nicht nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat.
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Das Strafverfahren gegen die Beigeladene wurde in Bezug auf die Vorwürfe vom 12. Juni und 13. Juni 2019 im Rahmen der Berufungsverhandlung nach § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung von einer Auflage in Höhe von 500,00 EUR eingestellt, nachdem gegen die Beigeladene zunächst ein Strafbefehl erlassen worden und sie im anschließenden Gerichtsverfahren in erster Instanz verurteilt worden war. Unter Bezugnahme auf die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2023 hat die Beigeladene nach den Ausführungen ihres Bevollmächtigten die maßgeblichen Vorwürfe bis zuletzt bestritten und der Verfahrenseinstellung allein aus prozessökonomischen Gründen zugestimmt. Nach § 153a Abs. 1 Satz 1 StPO kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Nach § 153a Abs. 2 StPO kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten Aauflagen und Weisungen erteilen, wenn die Klage bereits erhoben ist. Sofern der Beschuldigte beziehungsweise der Angeschuldigte die jeweiligen Auflagen und Weisungen erfüllt, kann die Tat nach § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO beziehungsweise nach §§ 153a Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 5 StPO nicht mehr als Vergehen verfolgt werden. In der Konsequenz wurde die Beigeladene nicht rechtskräftig verurteilt, sodass die Unschuldsvermutung in Bezug auf alle der Beigeladenen zur Last gelegten Vorwürfe gilt. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass in der nach § 153a StPO erforderlichen Zustimmung der Beigeladenen kein Schuldeingeständnis zu sehen ist. Entsprechendes gilt für die Höhe der Geldauflage. Da zugunsten der Klägerin weiterhin die Unschuldsvermutung gilt, kann auch in der Art und Weise der Einstellung der Strafverfahren weder eine Sühnewirkung noch eine Vorhersage über den Ausgang der Berufungsverhandlung getroffen werden (Peters in Knauer/Kudlich/Schneider, Münchner Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016 § 153a Rn. 22, 99 m.w.N.).
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Nach alledem kann der Kläger mit dem Verlauf und dem Ausgang der Strafverfahren sowie allgemeinen Ausführungen zur gerichtlichen Praxis zu Verfahrenseinstellungen nach § 153a Abs. 2 StPO keinen Nachweis für seine gegen die Beigeladene erhobenen Vorwürfe führen.
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Zudem ist nicht erkennbar, dass sich aus dem Inhalt der Akten der jeweiligen Strafverfahren etwas Anderes ergeben könnte. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass insbesondere eine Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO einer eigenständigen Würdigung und Bewertung der strafgerichtlichen Verfahrensakten in einem verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht entgegensteht (BVerfG, B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – NJW 1991, 1530 – 1532 (1532)). Allerdings hat die Beigeladene die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht eingeräumt. Auch hat der Kläger nach seinen Ausführungen seine Strafanzeigen mit denselben Unterlagen begründet, die er im hiesigen Zulassungsverfahren vorgelegt hat. In Bezug auf den Strafbefehl und die darauffolgende erstinstanzliche Verurteilung der Beigeladenen hat der Kläger gerade nicht vorgetragen, dass sich dabei weitere Beweismittel als die bereits bekannten Unterlagen ergeben hätten.
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Sofern der Kläger in diesem Kontext Rechtswirkungen daraus ableiten möchte, dass die Beigeladene die ihr zur Last gelegten Vorwürfe bislang bestritten hat, ist unter Bezugnahme auf die vorherigen Ausführungen festzustellen, dass die Beigeladene für die Zugehörigkeit zum von § 18 BEEG geschützten Personenkreis und der Kläger als Arbeitgeber für das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG und damit auch für das Vorliegen eines besonderen Falles darlegungs- und beweisbelastet ist. Dem Kläger wird auch keine Beweiserleichterung dadurch zu teil, dass sich die Beigeladene bislang nach klägerischer Auffassung nicht hinreichend zu seinen Vorwürfen eingelassen beziehungsweise sie bestritten und im Übrigen dazu geschwiegen hat. Derartige Beweiserleichterungen oder eine auf Indizien begründbare Vermutungswirkung vergleichbar § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Art. 4 Gesetz vom 19. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2510) – AGG – liegen nicht vor. Überdies würden derartige Regelungen den Normzweck von § 18 BEEG konterkarieren. So verfolgt dieser den Zweck, mit einem grundsätzlich absoluten Kündigungsschutz einen größtmöglichen Bestand eines Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers während der Dauer der Elternzeit zu gewährleisten. Diesen wieder mittels Beweiserleichterungen zugunsten des Arbeitgebers zu untergraben, wäre damit nicht vereinbar (BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 12 ZB 19.1222 – NZA-RR, 74-77 (74); BayVGH, B.v. 7.10.2015 – 12 ZB 15.239 – BeckRS 2015, 53812 Rn. 17)).
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Nach alledem ist für das Gericht insbesondere unter Bezugnahme auf die Einlassungen der Beteiligten aus der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023 lediglich klar erkennbar, dass auf den Namen der Beigeladenen viele Fehlbuchungen und Stornierungen im Kassenprogramm gespeichert sind. Zudem hat die Beigeladene zugestanden, dass sie die Kassenlade nach Abschluss des Kassiervorgangs mehrfach nicht geschlossen hat.
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In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass bereits nach den Ausführungen des Klägers Fehlbuchungen beziehungsweise entsprechende Korrekturmaßnahmen in jedem Betrieb mit einer Barkasse üblich sind. Im Übrigen handelt es sich bei der Beigeladenen – egal, ob sie nun als Filialleitung oder aber als „Servicekraft in leitender Position“ angestellt ist – um eine Person, die nach den Worten des Klägers mit dem Umgang der Kasse vertraut ist und daher für andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf deren Bitten Buchungskorrekturen vorgenommen hat. Auch ist der Kläger dem nicht entgegengetreten, dass es in der Regel bei der ersten am Tag erfolgten Kassenanmeldung verbleibt. Mit anderen Worten wird das zuerst angemeldete Buchungskonto einer Person an einer Kasse im Lauf des Geschäftstages von vielen unterschiedlichen Personen verwendet. Zwar liegt auf der Hand, dass die Beigeladene immer wieder Stornierungen in der Kasse vorgenommen hat; dies hat sie selbst erläutert. Allerdings ist nicht erkennbar, dass die Beigeladene sämtliche Stornierungen, die ihr der Kläger vorwirft, auch tatsächlich vorgenommen hat, dass die Beigeladene im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen wirklich „sehr viele“ Fehlbuchungen vorgenommen hat und ob dies mit wechselnden Umsatzsteuersätzen zusammenhängen kann.
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Wie viele Stornierungen die Beigeladene tatsächlich vorgenommen hat und ob der Beigeladenen einzelne Stornierungen und Fehlbuchungen beziehungsweise diese in Summe vorwerfbar sind und ob sie dadurch, dass die Kassenlade mehrmals nicht geschlossen worden ist, gegen eine etwaige Kassenanweisung des Klägers verstoßen haben könnte, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich.
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Denn selbst wenn dies so wäre, so wäre dieses Verhalten nicht geeignet, einen besonderen Fall im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG zu rechtfertigen, dies deshalb, weil das betreffende Verhalten bereits nach dem klägerischen Vortrag nicht derart gravierend ist, dass es ihm unzumutbar wäre, die Beigeladene bis zum Ablauf der Schutzfrist weiter zu beschäftigten.
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Dass dem Kläger im vorliegenden Fall eine Weiterbeschäftigung zumutbar ist, hat er dadurch gezeigt, dass er die Beigeladene in Kenntnis seiner Vorwürfe und während des beim Beklagten laufenden Zulassungsverfahrens mit anwaltlichem Schreiben vom 6. August 2019 aufgefordert hat, am 9. August 2019 wieder zur Arbeit zu erscheinen.
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Sofern der Kläger ausführt, sich nur deswegen so verhalten zu haben, weil die erste Kündigung nach der Einschätzung des Arbeitsgerichts unwirksam gewesen wäre und der Kläger Annahmeverzugslohnansprüche der Beigeladenen vermeiden wollte, führt dies zu keiner anderen Bewertung des Erklärungsinhalts seines Schreibens vom 6. August 2019. So setzt der Annahmeverzugslohnanspruch aus § 615 Satz 1 BGB ein erfüllbares Arbeitsverhältnis voraus. Dem Arbeitgeber muss dabei die Beschäftigung des jeweiligen Arbeitnehmers zumutbar sein, da er ansonsten folgenlos die angebotene Arbeitsleistung ablehnen darf (Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 23. Aufl. 2023, § 615 Rn. 9, 10, 62 je m.w.N.).
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Die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung der Beigeladenen zeigt sich auch dadurch, dass es dem Kläger nach eigenen Worten möglich gewesen wäre, die Beigeladene in Bereichen zu beschäftigten, in denen keine Gefahr für die aus seiner Sicht zu schützenden Rechtsgüter bestanden hätte. So wäre die Beigeladene nach dem mehrfachen Vortrag des Klägers bei einer Rückkehr in den Betrieb des Arbeitgebers genauestens beobachtet worden und hätte keine Befugnis zum Kassieren oder zur Verwaltung der Kasse erhalten.
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Dass der Kläger dabei – wie er auch in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023 bekräftigt hat – davon ausgegangen ist, dass die Beigeladene gar nicht erscheinen werde, vermag vor dem Hintergrund des zuvor erläuterten Erklärungsgehalts seiner Aufforderung vom 6. August 2019 zu keiner anderweitigen Bewertung führen. Überdies handelt es sich dabei nach der Überzeugung des Gerichts um eine einseitige Vermutung des Klägers und seines Bevollmächtigten. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass der Kläger die Beigeladene vielleicht wieder weggeschickt hätte, wenn sie erschienen wäre. Überdies würde dieses klägerische Verhalten seine zuvor geäußerte Absicht, Annahmeverzugslohnansprüche der Beigeladenen zu vermeiden, konterkarieren. Der Kläger müsste in diesem Fall erst recht Annahmeverzugslohnansprüche der Beigeladenen befürchten, da ihn seine Erklärungen binden. Dies gilt selbst dann, wenn sie allein aus taktischen Gründen erfolgen.
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Nach alledem hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts bereits keine Zulassungsgründe im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG dargelegt und bewiesen, sodass ihm der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht. Das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne der Vorschrift ist für das Gericht nicht erkennbar. Die Klage ist daher diesbezüglich unbegründet.
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Für eine Verpflichtung des Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag des Klägers vom 9. Januar 2020 im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu entscheiden, bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte. Zwar hat der Kläger keinen gesonderten Bescheidungsantrag gestellt, allerdings ist dieser als Minus in seinem Verpflichtungsantrag immer enthalten (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 51 m.w.N.).
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So ist unter Bezugnahme auf die vorherigen Ausführungen festzustellen, dass nach der Überzeugung des Gerichts bereits kein „besonderer Fall“ im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 4 BEEG vorliegt und damit dem Beklagten das Ermessen nicht eröffnet ist.
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Nach alledem hat der Kläger in Bezug auf den Bescheid vom 14. April 2021 auch keinen Aufhebungsanspruch, sodass auch der Bescheidungsantrag nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erfolglos bleibt.
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Aus all diesen Gründen ist die Klage insgesamt unbegründet und daher abzuweisen.
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Da der Kläger mit seinem Begehren nicht obsiegen konnte, hat er nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Kostenentscheidung bezüglich der Beigeladenen beruht auf § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.