Titel:
Privatrechtlicher Unterlassungsanspruch, Verweisung an die Zivilgerichtsbarkeit
Normenketten:
GVG § 17a Abs. 2
GVG § 13
VwGO § 40
Schlagworte:
Privatrechtlicher Unterlassungsanspruch, Verweisung an die Zivilgerichtsbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6677
Tenor
I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht München verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Amtsgerichts München vorbehalten.
Gründe
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Mit Schreiben vom 2. und 10. September 2019 hat die Mutter der Klägerin in Vertretung derselben gegen die Beklagte zum Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erhoben mit den – im jüngsten Schriftsatz vom 30. Januar 2023 wiederholten – Anträgen, die Beklagte zu verpflichten, anzuerkennen, dass bei der Klägerin von Geburt an Intersexualität vorlag und dass sie von Geburt an weiblichen Geschlechts ist, sowie es zu unterlassen, zu behaupten, dass die Klägerin als Junge zur Welt kam. Zugrunde liegt diesem Begehren ein Schreiben der Beklagten vom 20. Juni 2018 an die Mutter der Klägerin, in dem die Beklagte als Versicherer des die Klägerin behandelnden Diakonissenkrankenhauses D* … einen umstrittenen medizinrechtlichen Sachverhalt aus dem Jahre 1993 dahingehend zusammenfasste, dass die Klägerin als Junge geboren worden sei und dass zum damaligen Zeitpunkt Hinweise auf die Intersexualität der Klägerin nicht vorgelegen hätten.
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Auf die Anhörung der Parteien durch das Gericht zu einer beabsichtigten Verweisung erklärte die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht München, auch die Klägerin stimmte dem zumindest konkludent zu.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht eröffnet, da es sich vorliegend nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Vielmehr ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist die Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen auszusprechen und der Rechtsstreit an das zuständige Zivilgericht zu verweisen.
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Maßgebend für die Abgrenzung ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag der Klägerin darstellt (vgl. BGH, U.v. 5. Februar 1993 – V ZR 62/91 – juris Rn. 10 m.w.N.). Hier begehrt die Klägerin von der Beklagten die Unterlassung der Behauptung, dass die Klägerin als Junge zur Welt kam bzw. positiv gewendet die Anerkennung, dass bei der Klägerin von Geburt an Intersexualität vorlag und dass sie von Geburt an weiblichen Geschlechts sei. Der damit geltend gemachte Unterlassungsanspruch sowie der damit korrespondierende Anspruch auf „Anerkennung“, dass ein bestimmter Sachverhalt sich so und nicht anders darstellt, ist zivilrechtlicher Natur und beruht auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB. Zwar können die genannten Normen in (ggfs. doppelt) analoger Anwendung auch einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch begründen, allerdings müsste hierfür ein öffentlich-rechtliches Verhältnis betroffen sein (vgl. BayVGH, B.v. 13. Oktober 2009 – 4 C 09.2144 – juris Rn. 10 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Beklagten nur privatrechtlicher Natur sind.
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Aus dem vorgelegten Schreiben der Beklagten vom 20. Juni 2018 an die Mutter der Klägerin, in dem die Beklagte die umstrittenen Äußerungen getätigt hat, ergibt sich nämlich, dass die Beklagte als Versicherer des die Klägerin behandelnden Diakonissenkrankenhauses D* … (vermeintliche) Schadenersatzansprüche der Klägerin gegen das Krankenhaus als Versicherungsnehmer abwehrt. In diesem Rahmen wurden die umstrittenen Äußerungen gemacht, sie dienten dazu, aufzuzeigen, dass ein (privatrechtlicher) Schadensersatzanspruch nach Auffassung der Beklagten nicht bestehe. Damit liegt dem Streit zwischen den Beteiligten aber jedenfalls ein privatrechtliches Rechtsverhältnis zugrunde, auch wenn die Beklagte – im Wesentlichen durch die historische Entwicklung begründet – eine Anstalt des öffentlichen Rechts ist.
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Gemäß § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG ist das Amtsgericht sachlich zuständig. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist nicht vermögensrechtlicher Natur. Auch wenn § 48 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) den Streitwert in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten ohne Nennung eines Regelstreitwertes von allen Umständen des Einzelfalls abhängig macht, erscheint es gerechtfertigt, die Bemessung des Streitwertes für diese Fälle an dem in § 23 Abs. 3 S. 2 HS. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) genannten Betrag von 5.000,- EUR zu orientieren (vgl. zur damaligen Rechtslage VG München, B.v. 18.3.2013 – M 7 K 12.5841 –)
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Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts München ergibt sich aus § 17 Abs. 1 ZPO i.V.m. Art. 4 Nr. 14, Art. 5 Nr. 47 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern (GerOrgG). Hiernach ist der Sitz der Beklagten als juristischer Person, welcher München ist, als allgemeiner Gerichtsstand maßgeblich. Ob daneben auch wahlweise der besondere Gerichtstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO gegeben wäre, kann offenbleiben, weil die Klägerin ihr Wahlrecht jedenfalls nicht ausgeübt hat.
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Die Kostenentscheidung bleibt gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17b GVG der Endentscheidung des Amtsgerichts München vorbehalten.