Titel:
Keine Verfahrens- bzw. Prozesskostenhilfe zu Gunsten eines Verstorbenen
Normenketten:
ZPO §§ 114 ff.
FamFG §§ 76 ff.
Leitsätze:
1. Verfahrens- bzw. Prozesskostenhilfe zu Gunsten eines verstorbenen Beteiligten bzw. einer verstorbenen Partei darf, auch rückwirkend, nicht bewilligt werden, da hierfür die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des antragstellenden Beteiligten bzw. der antragstellenden Partei entscheidend sind. Sie ist personengebunden und nicht vererblich. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist im Zeitpunkt des Todes eines Beteiligten bzw. einer Partei über ihr Gesuch um Verfahrens- bzw. Prozesskostenhilfe noch nicht entschieden, ist die Bewilligung für den oder die Rechtsnachfolger nur dann möglich, wenn bei ihnen die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen und weiterhin Erfolgsaussicht besteht. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfahrenskostenhilfe, Prozesskostenhilfe, Tod des Antragstellers
Vorinstanz:
AG Regensburg, Beschluss vom 12.08.2022 – XVII 1154/06
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 21.06.2023 – XII ZA 2/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 663
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 12.08.2022, Az. XVII 1154/06, wird zurückgewiesen, die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2 gegen diesen Beschluss wird als unzulässig verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird in Bezug auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1 zugelassen.
Gründe
1
Die am ... 2021 verstorbene Beschwerdeführerin zu 1 stand unter Betreuung. Zuletzt am 4.11.2015 wurde die Betreuung verlängert und die Prüffrist auf den 4.11.2022 festgesetzt.
2
Mit Beschluss vom 25.5.2020 fand mit Einverständnis der Betreuten ein Betreuerwechsel auf den vormaligen Ersatzbetreuer statt.
3
Mit Schriftsatz vom 26.10.21 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte für die Betreute einen Betreuerwechsel nebst Verfahrenskostenhilfe für das Verfahren. Er legte eine Vollmacht der Betreuten nebst ein von der Betreuten unterzeichnetes Schreiben vor, nachdem sie den gewünschten Betreuer bereits kennengelernt habe und mit ihrem alten Betreuer unzufrieden sei.
4
Mit Schreiben vom 2.11.20 nahm der Betreuer Stellung. Er sei mit einem Wechsel einverstanden, aber nicht mit der vorgeschlagenen Person.
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Die Betreuungsbehörde nahm am 19.11.2020 Stellung. Die Betreute habe am Telefon einen Betreuerwechsel gewünscht und erklärt, den aktuellen Betreuer telefonisch nie erreichen zu können.
6
Es bestünden Bedenken gegen einen Wechsel zum nun gewünschten Betreuer. Sollte ein Wechsel weiter gewünscht werden, würde man einen anderen geeigneten Betreuer vorschlagen.
7
Mit Schriftsatz vom 8.12.2020 begründete der Verfahrensbevollmächtigte den Antrag auf Betreuerwechsel weiter. Der Betreuer habe die Beschwerdeführerin in den 8 Monaten der Betreuung höchstens viermal im Heim aufgesucht. Zu einem Arzttermin habe der Betreuer sie nicht begleiten wollen, habe die Sekretärin geschickt und ihr 30 € dafür in Rechnung gestellt. Sie bekomme ihr Taschengeld nicht rechtzeitig. Sie wolle den Betreuer nicht mehr sehen, nichts mehr von ihm wissen.
8
Mit Eingang am 11.1.21 legte der Verfahrensbevollmächtigte die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin zu 1 vor.
9
Am 14.1.2021 nahm der Betreuer weiter Stellung.
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Am 1.4.21 erinnerte der Prozessbevollmächtigte an seinen Antrag auf VKH und bat um Entscheidung.
11
Am 6.4.21 legte der Betreuer ein Schreiben der Betreuten vor: Sie wolle weiter von ihrem derzeitigen Betreuer betreut werden.
12
Am 14.4.21 nahm der Verfahrensbevollmächtigte Stellung dazu, dass eine Verfahrenspflegerbestellung wegen der Prozessvollmacht nicht erforderlich sei. Gleichzeitig nahm er zur letzten Stellungnahme des Betreuers Stellung.
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Am 12.5.21 bat der Verfahrensbevollmächtigte erneut um einen schnellstmöglichen Betreuerwechsel nach § 1908b Abs. 3 BGB. Die Beschwerdeführerin zu 1 sei bei der Unterschrift auf dem Schreiben, wonach sie bei ihrem Betreuer bleiben wolle, im Sterben gelegen und habe einfach nur unterschrieben, vorher aber 2 bis 3 Mal erklärt, dass sie einen neuen Betreuer möchte. Ihr Betreuer sei 73 Jahre alt und solle Platz für einen Jüngeren machen.
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Mit diesem Schriftsatz hat der Verfahrensbevollmächtigte ein Schreiben vom 8.5.21 vorgelegt, wonach sie einen Betreuerwechsel wünsche.
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Am 27.5.21 rief die Beschwerdeführerin zu 1 bei Gericht an und teilte mit, dass der gewünschte Betreuer ihr gesagt habe, sie solle zur Beschleunigung des Betreuerwechsels beim Amtsgericht anrufen.
16
Am 30.6.21 teilte der Betreuer mit, mit einem Wechsel einverstanden zu sein und die Kompetenz des gewünschten Betreuers nicht beurteilen zu können. Er bat um einen baldigen Abschluss, weil der Wunsch nach einer neuen Betreuungsperson sehr stark sei.
17
Die Betreuungsstelle sprach sich am 1.7.21 gegen einen Betreuerwechsel aus und wies auf die krankheitsbedingte Ambivalenz der Betreuten hinsichtlich der Betreuung hin. Sie sei im Pflegeheim sehr isoliert gewesen und wolle möglicherweise Anschluss an die Familie des gewünschten Betreuers, was auch durch die Blumengeschenke an diese deutlich werde.
18
Mit Beschluss vom 5.7.21 bestellte das Amtsgericht Regensburg einen Verfahrenspfleger. Dieser erstattete am 4.9.21 Bericht und teilte mit, dass die Betreute eine depressive Phase habe und auf die Frage nach ihrem Betreuerwunsch gesagt habe, es sei ihr egal, sie wolle eher den alten Betreuer behalten.
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Dazu nahm der Verfahrensbevollmächtigte am 23.9.21 Stellung. Am 25.11.21 erinnerte er an das VKH-Gesuch.
20
Am ... 21 verstarb die Beschwerdeführerin.
21
Am 21.2.22 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte, den Streitwert festzusetzen und über den VKH-Antrag zu entscheiden. Am 28.4.22 fragte er nach dem Sachstand.
22
Am 12.8.22 setzte das Amtsgericht den Geschäftswert fest und lehnte die VKH ab. Das Verfahren auf Bewilligung von VKH sei mit dem Tod beendet und Verfahrenskostenhilfe könne nicht mehr bewilligt werden. Das gelte auch, wenn das VKH-Verfahren zu Lebzeiten bei unverzögerter Bearbeitung hätte bearbeitet werden können.
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Dagegen legte der Verfahrensbevollmächtigte „auch namens der verstorbenen Betroffenen“ sofortige Beschwerde ein. Nach der Rechtsprechung des BSG sei in dieser Konstellation Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Auch der VGH lehne VKH in seiner Rechtsprechung (10.3.21 – 10 C 20.3043) nur „grundsätzlich“ ab, und hier liege ein Ausnahmefall vor. Es liege ein strafbares Verhalten des Gerichts nahe und deshalb sei ein Sonderfall gegeben. Alle Nachfragen seien grob verfahrenswidrig unbeantwortet geblieben. Es liege eine Rechtsverweigerung vor. Über den Antrag sei sofort zu entscheiden gewesen, und nicht 14 Monate zuzuwarten. Mit Nachreichung der Unterlagen über die persönlichen Verhältnisse sei der Antrag spruchreif gewesen. Die Sachbehandlung durch das Gericht sei willkürlich gewesen. Das Gericht habe durch Einforderung der Mitarbeit zu erkennen gegeben, dass die Bewilligung der VKH nur eine Formsache sei.
24
Die Zulassung der „weiteren Beschwerde“ wurde beantragt, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG.
25
Mit Beschluss vom 28.10.22 half das Amtsgericht der Beschwerde nicht ab und legte die Akten der Kammer vor.
26
Mit Beschluss vom 3.11.22 übertrug der zuständige Einzelrichter der Kammer das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache. Dem war eine telefonische Anhörung des Beschwerdeführers zu 2 vorausgegangen.
27
Auf Hinweis der Kammer vom 17.11.22, wer Erbe nach der Beschwerdeführerin wurde und mit welchem Aufwand versucht wurde diese zu ermitteln, nahm der Beschwerdeführer zu 2 mit Schriftsatz vom 8.12.22 Stellung wie folgt: Die Beschwerdeführerin habe im Oktober 2020 angegeben, dass ihre Familie sich von ihr distanziert habe und kein Kontakt mehr bestünde. Es gebe einen Bruder, dessen Adresse die Verstorbene aber nicht gekannt hätte. Eine Nachfrage beim Seniorenheim vom 7.12.22 habe ergeben, dass sie selten Besuch bekommen habe. Es wäre nur der Betreuer erschienen und Bekannte, aber keine Familienangehörigen. Ihre Habseligkeiten würden im Heim aufbewahrt. Auch der gewünschte Betreuer teilte mit, dass keine Angehörigen die verstorbene Beschwerdeführerin zu 1 besucht hätten. Weitere Ermittlungen wären unzumutbar.
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Am 16.12.22 legte der Beschwerdeführer zu 2 zudem eine Auskunft des Nachlassgerichts vor, wonach mangels Grundstücken oder grundstücksgleichen Rechten und mangels eines die Beerdigungskosten voraussichtlich übersteigenden Vermögens eine Erbenermittlung unterblieben sei.
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Die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten (Beschwerdeführer zu 2) ist unzulässig, die Beschwerde der nach Einlegung verstorbenen Betreuten (Beschwerdeführerin zu 1) ist unbegründet. Zur Entscheidung ist gemäß § 76 Abs. 2 FamFG, § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Kammer berufen.
1. Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2
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Die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten im eigenen Namen ist unzulässig. Der anwaltliche Vertreter ist nicht beschwerdebefugt gegen die Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 10.6.2010 – 3 WF 72/10, BeckRS 2011, 05271; OLG Celle, NJOZ 2012, 2169; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 127 Rn. 12; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2016, 1531 Rn. 4). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts betrifft nur die Verfahrensrechte der Partei und dient nicht daneben auch dem Gebühreninteresse des Rechtsanwaltes (BGHZ 109, 163 = BeckRS 9998, 165423). Durch die Ablehnung der Beiordnung wird deshalb nicht in seine subjektiven Rechte eingegriffen (OLG Celle FamRZ 2012, 1661; BeckOK ZPO/Kratz, 46. Ed. 1.9.2022, ZPO § 127 Rn. 25). Das Risiko, seinen Vergütungsanspruch nicht gegen die eigene Partei durchsetzen zu können, ist der anwaltlichen Beauftragung immanent und vom Rechtsanwalt selbst zu tragen (Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 127 Rn. 57). Eine der Ausnahmen, in denen der Anwalt Beschwerde im eigenen Namen hinsichtlich der Ablehnung der VKH einlegen kann, liegt nicht vor. Diese Ausnahmen betreffen Einschränkungen der Vergütung bei gleichzeitiger Beiordnung. Weshalb dies „zweifelhaft“ sein sollte, wie Landzettel (FamRZ 2011, 345, 346) meint, ist nicht nachvollziehbar. Denn die Prozessvollmacht wirkt transmortal, § 86 ZPO, sodass der Verfahrensbevollmächtigte, wie hier geschehen, im Namen der Betroffenen weiter Beschwerde einlegen konnte und eingelegt hat.
31
Keine Rolle spielt hier nach Ansicht der Kammer, ob das Amtsgericht willkürlich (oder gar rechtsbeugend) gehandelt hat. Sollte dies ausnahmsweise der Fall sein und der Beschwerdeführer zu 2 dadurch einen Schaden erleiden, müsste er sich gegebenenfalls im Wege der Amtshaftung schadlos halten – wobei die Kammer nicht geprüft hat, ob die verzögerungsfreie Bewilligung von PKH überhaupt eine Amtspflicht auch gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten darstellt.
2. Beschwerde der verstorbenen Beschwerdeführerin zu 1
32
Die zulässige sofortige Beschwerde der verstorbenen Beschwerdeführerin zu 1 ist unbegründet.
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Die Beschwerde ist zulässig. Sie konnte für den oder die Rechtsnachfolger eingelegt werden, weil die Prozessvollmacht nach § 86 ZPO transmortal wirkt (RGZ 68, 390; RG JW 1936, 810 Nr. 23; BGH Urt. v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, BeckRS 1958, 31372605).
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Die Beschwerde ist auch für die Zwecke des VKH-Verfahrens hinreichend bestimmt. Selbst für eine Klage (§ 253 ZPO) ist anerkannt, dass unter Umständen eine genauere Bezeichnung der Erben unterbleiben kann.
„Wenn es auch grundsätzlich wünschenswert ist, dass die Partei eines Rechtsstreits namentlich, so wie es in § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gefordert wird, bezeichnet wird, so ist dies nicht unbedingt erforderlich in Fällen, in denen die Bezeichnung mit unüberwindlichen oder nur schwer zu beseitigenden Schwierigkeiten verknüpft ist. Dann kann von der Namhaftmachung abgesehen werden, wenn die Identität der Partei sonst gesichert ist.“ (BGH Urt. v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, BeckRS 1958, 31372605; a.A. für das PKH-Verfahren (LAG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 3.1.2022 – 10 TaBV 1629/21, BeckRS 2022, 8981 Rn. 11)
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Das ist hier der Fall. Weder das Nachlassgericht noch der Beschwerdeführer zu 2 oder das Heim, in dem die Verstorbene lebte, wissen, wer Erbe ist. Die Anschrift und Name des als gesetzlichen Erben in Frage kommenden Bruders oder dessen Abkömmlingen ist unbekannt. Weitere Ermittlungsansätze sind nicht konkret vorhanden und sind angesichts der Bedeutung der Sache dem Beschwerdeführer zu 2 auch nicht zumutbar. Die Erben sind aber trotzdem ausreichend identifizierbar.
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Insbesondere für die Zwecke des VKH-Bewilligungsverfahrens ist es jedenfalls für die Rechtskraft nicht notwendig, die Erben genau zu kennen. Die Bewilligung der VKH führt zum Auszahlungsanspruch des Anwalts gegen die Staatskasse und dazu, dass die Gerichtskosten nicht eingefordert werden können. Jedenfalls für die Zulässigkeit des Antrags im Bewilligungsverfahren und daher für die Zulässigkeit der Beschwerde ist die Kenntnis der Erben für die VKH in diesen Verfahren für die Auslegung des Antrags nicht nötig. Ob es für die Frage der Leistungsfähigkeit auf die Erben oder den Nachlass oder die verstorbene Beschwerdeführerin ankommt ist eine Frage der Begründetheit des Antrags.
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Die namens der Beschwerdeführerin zu 1 eingelegte Beschwerde ist demnach zulässig. Die Beschwerde ist aber unbegründet.
a) Erledigung des Verfahrens ohne Einfluss
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Das Verfahren über den Betreuerwechsel hat sich nach dem Tod der Beschwerdeführerin zu 1 erledigt, und es bestehen daher nach aktuellem Stand keine Erfolgsaussichten mehr. Darauf kommt es aber nicht an, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des VKH-Antrags.
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Die Erledigung vermag daher die Ablehnung der VKH nicht zu begründen. Denn bei einer verzögerten Erledigung der Bewilligung oder Ablehnung der VKH ist die Bewilligung nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nach dem Verfahrensstand zu prüfen, in dem erstmals Entscheidungsreife bestand:
„Erledigt sich das Verfahren, bevor über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden wurde, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs (vgl. BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 14.4.2010 – 1 BvR 362/10, BeckRS 2010, 49486 Rn. 14; vgl. zur Änderung in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife eintreten auch BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 4.10.2017 – 2 BvR 496/17, BeckRS 2017, 130787 Rn. 14; [1. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 5.12.2018 – 2 BvR 2257/17, BeckRS 2018, 33439 Rn. 15; vgl. aus der Rechtsprechung der Fachgerichte zum für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt im Fall der Erledigung BGH NJW 1982, 446; BVerwG, Beschluss vom 19.4.2011 – 1 PKH 7/11, BeckRS 2011, 142425 Rn. 1; LSG Nordrhein-Westfalen NZS 2019, 200 Rn. 29 mwN; VGH München, Beschluss vom 23.6.2017 – 9 C 17.760, BeckRS 2017, 114843 Rn. 6; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3.3.2015 – OVG 11 M 43.14, BeckRS 2015, 43109; OVG Schleswig, Beschluss vom 10.12.2014 – 3 O 40/14, BeckRS 2015, 41095; LSG Bayern, Beschluss vom 14.11.2014 – L 16 AS 499/14 B PKH, BeckRS 2014, 74240; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.1.2014 – L 19 AS 2600/13 B PKH, BeckRS 2014, 65824). Durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe soll die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend angeglichen werden. Dem liefe es zuwider, wenn im Fall eines bewilligungsreifen Prozesskostenhilfeantrags bei der Prüfung der Erfolgsaussichten des Verfahrens eine Erledigung ohne Weiteres zulasten der Ast. berücksichtigt würde. Würde Prozesskostenhilfe im Fall der Erledigung trotz Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags und trotz im Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichender Erfolgsaussicht nicht gewährt, stünden Unbemittelte stets vor dem Risiko, wegen einer für sie nicht sicher vorhersehbaren Erledigung Kosten eines bis dahin an und für sich hinreichend erfolgversprechenden Verfahrens tragen zu müssen. Kostenerstattungsansprüche vermögen dieses Risiko nicht hinreichend zuverlässig auszuschließen. Dieses Kostenrisiko erschwerte Unbemittelten im Vergleich zu Bemittelten den Zugang zum Rechtsschutz und verstieße gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsschutzgleichheit.“ (BVerfG NVwZ-RR 2020, 137 Rn. 25)
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Der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des VKH-Antrags war hier der Zeitpunkt des Eingangs der ordnungsgemäß erteilten Auskunft über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 8.1.21, also der 11.1.2021. Daher kann die Ablehnung des VKH-Antrags nicht mit der späteren Erledigung durch den Tod der Antragstellerin begründet werden.
b) Erfolgsaussichten bestehen
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Auch lagen Erfolgsaussichten zu jenem Zeitpunkt vor. Hier wären aus den vorgenannten Gründen, für die Frage der Erfolgsaussicht nicht, wie vom Amtsgericht geschehen, die späteren Äußerungen der Betroffenen in die Entscheidung einzustellen, sondern nur die Äußerungen vor Eingang des Formulars über die persönlichen Verhältnisse vom 8.1.21. Zu diesem Zeitpunkt aber wünschte die Betroffene noch einen Betreuerwechsel, und das Amtsgericht hätte eine Ermessensentscheidung nach § 1908b Abs. 3 BGB treffen müssen. Dabei war angesichts der Umstände des Falles auch ein Erfolg des Antrags jedenfalls zumindest möglich.
„An die Prüfung der Erfolgsaussichten sind keine überspannten Anforderungen zu stellen. Hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht bereits dann, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Partei, die um Prozesskostenhilfe nachsucht, für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (BGH NJW 1994, 1160). Entscheidend ist, ob das in der Sache selbst verfolgte materiell-rechtliche Begehren Erfolg verspricht, sodass nicht allein auf den bloß vorläufigen Erfolg eines Rechtsmittels abgestellt werden darf (BGH BeckRS 2017, 119118). Der für die Erfolgsaussicht anzulegende Prüfungsmaßstab ist summarischer Natur, so dass sich eine Beweisaufnahme über entscheidungserhebliches Tatsachenvorbringen im Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahren regelmäßig verbietet (OLG Stuttgart VersR 2008, 1373).“ (BeckOK ZPO/Reichling, 46. Ed. 1.9.2022, ZPO § 114 Rn. 28)
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Bei dieser summarischen Prüfung bestanden hier hinreichende Erfolgsaussichten, denn der Wunsch der Beschwerdeführerin zu 1 wäre in die in § 1908b Abs. 3 BGB vorgesehene Ermessensausübung grundsätzlich mit besonderem Gewicht einzustellen gewesen, sodass der Standpunkt der Betreuten jedenfalls vertretbar war.
„Auch wenn dieser Wunsch des Betroffenen nicht schlechthin verbindlich ist, hat das Gericht bei der Ausübung seines Ermessens zu berücksichtigen, dass Wünschen des Betroffenen bezüglich der Person des Betreuers besonderes Gewicht zukommt (BayObLG, FamRZ1998, 1259 [1260 f.] und FamRZ1994, 322; OLG Schleswig, FGPrax2005, 214 [215]; OLG Düsseldorf, FamRZ1995, 1234 [1235]), andererseits ein Betreuerwechsel – auch unter dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der Konstanz einer Betreuung und der Abwehr von Einflussnahmen interessierter Dritter – dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderlaufen darf. Tragfähige Feststellungen, aus denen sich ergeben könnte, dass Rechtsanwalt J als Betreuer für den Betroffenen wegen der konkreten Gefahr von Interessenkonflikten nicht geeignet sein könnte, hat das BeschwGer. nicht getroffen.“ (BGH NJW 2014, 935 Rn. 11)
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Wie auch bei der Betreuerauswahl bei Erstbestellung und Verlängerungsentscheidung, kommt es dabei nicht darauf an, ob der Betreuerwunsch ernsthaft, eigenständig gebildet und dauerhaft ist (anders BayObLG BtPrax 2003, 270 und Teile der Kommentarliteratur). Es genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden; weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit müssen vorliegen (unter ausdrücklicher Ablehnung der strengeren Anforderungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts: BGH NJW 2011, 925, FamRZ 2011, 880, NJW-RR 2015, 450, NJW 2018, 1878, jeweils zu § 1897 Abs. 4; vgl. auch Müller-Engels in: BeckOK BGB, 54. Edition, Stand 01.05.2020, Rz. 15 zu § 1897). Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich relevanter Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird auch bei § 1908 b Abs. 3 BGB – wie bei § 1897 Abs. 4 BGB – hinreichend durch die Pflicht zur Beachtung des Wohls des Betroffenen begegnet (vgl. BGH FamRZ 2019, 1356 zu § 1897 Abs. 4 BGB).
44
Demnach wird es zwar bei der Ermessensausübung Berücksichtigung finden, wenn mit ständig wechselnden Wünschen des Betreuten zu rechnen ist, dies war hier aber jedenfalls bis zum maßgeblichen Zeitpunkt (siehe oben) nicht der Fall.
c) Antrag nicht mutwillig
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Der Antrag auf Betreuerwechsel unter Einschaltung eines Anwalts war auch nicht mutwillig. Die Person des Betreuers ist von essentieller Bedeutung für die Betreuten, sodass begüterte Personen sich für einen solchen Antrag eines Anwalts bedienen würden. Angesichts der von der Betreuten wohl aufgrund der Beratung durch den gewünschten Betreuer antizipierten Ablehnung des gewünschten Betreuers durch die Betreuungsbehörde musste sich die Betreute nicht ohne Anwalt in das Verfahren auf Betreuerwechsel begeben. Dabei ist auch zu sehen, dass Betreute ohnehin in der Erledigung ihrer rechtlichen Angelegenheiten Unterstützung bedürfen, was auch die Einschaltung eines Rechtsanwalts nahelegt.
d) Kein Antrag der Erben möglich
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Im Betreuungsverfahren kommt ein Antrag der Erben auf Bewilligung von VKH unter Fortführung des Verfahrens nicht in Betracht, weil sie das Verfahren nicht aufnehmen können. Zum Schutz vor Haftung ist es ebenfalls nicht notwendig dies zu ermöglichen, weil mit der Ausschlagung der Erbschaft, der Nachlassinsolvenz und der beschränkten Erbenhaftung genügend Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Kosten als Erbe nicht tragen zu müssen.
e) Vorwürfe gegen das Amtsgericht unerheblich
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Keine Rolle spielt auch hier, ob das Amtsgericht willkürlich (oder gar rechtsbeugend) gehandelt hat. Sollte dies ausnahmsweise der Fall sein und die Beschwerdeführerin zu 1 dadurch einen Schaden erlitten haben, müsste sie sich gegebenenfalls im Wege der Amtshaftung schadlos halten.
f) VKH für Verstorbene unmöglich
48
Entscheidend für die Frage, ob hier VKH zu bewilligen ist, ist daher nach Ansicht der Kammer die grundsätzliche Frage, ob Verstorbenen überhaupt noch VKH bewilligt werden kann.
49
Die oben unter a) dargelegte Rechtsprechung des BVerfG bezieht sich nur auf die Prüfung der Erfolgsaussichten und nicht auf die Frage des zwischenzeitlichen Todes des Antragsstellers. Die Verfahrenslage ist nicht etwa insgesamt in den im Zeitpunkt der frühesten Entscheidungsreife gegebenen Stand „zurückzuversetzen“, sondern nur hinsichtlich der Erfolgsaussichten. So würde etwa eine verbesserte wirtschaftliche Lage zur Versagung der VKH führen, weil es für die Beurteilung der Bedürftigkeit es auf den letzten Erkenntnisstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage 2022, Rz. 15 zu § 127; BGH FamRZ 2010, 1324 Tz 28; BGH FamRZ 2006, 548; BayVGH vom 6.8.1996 NVwZ-RR 1997,501; vom 3.2.2012
Az. 11 C 12.32 <juris>; OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.1.2012 Az. 18 E 1327/11 <juris>; Hess VGH vom 27.1.2010 ESVGH 60, 179; OVG Hamburg vom 6.8.2003 NordÖR 2004, 201; Bayer.
LSG vom 19.3.2009 Az. L 7 AS 52/09 B PKH <juris> RdNr. 10; BGH vom 10.1.2006 NJW 2006, 1068; vom 5.5.2010 NJW-RR 2011, 3/5; VGH München Beschluss vom 20.6.2012 – 8 C 12.653, BeckRS 2012, 54099 Rn. 8).
50
aa. Die herrschende Meinung in der Literatur sowie die ständige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (zuletzt OLG Düsseldorf Beschluss vom 5.4.2016 – 24 W 14/16, BeckRS 2016, 9635 Rn. 5), der Oberverwaltungsgerichte (zuletzt VGH München Beschluss vom 10.3.2021 – 10 C 20.3043, BeckRS 2021, 6069) und einiger Landessozialgerichte und Landesarbeitsgerichte (zuletzt LAG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 3.1.2022 – 10 TaBV 1629/21, BeckRS 2022, 8981 Rn. 17) geht davon aus, dass Verfahrenskostenhilfe für Verstorbene nicht bewilligt werden kann.
„Ist im Zeitpunkt des Todes der Partei über ihr Gesuch um PKH noch nicht entschieden, ist die Bewilligung von PKH für den oder die Rechtsnachfolger nur dann möglich, wenn bei ihnen die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH vorliegen und weiterhin Erfolgsaussicht besteht. Der verstorbenen Partei kann PKH nicht mehr bewilligt werden, auch wenn das Gericht bei zügiger Bearbeitung des Antrags über diesen zu ihren Lebzeiten entschieden hätte.“ (MüKoZPO/Wache, 6. Aufl. 2020, ZPO § 114 Rn. 42)
51
Das ist der Literatur fast einhellige Meinung (Frank, Rpfleger 2003, 637; MüKoZPO/Wache, 6. Aufl. 2020, ZPO § 114 Rn. 42; Musielak/Voit/Fischer, 19. Aufl. 2022, ZPO § 119 Rn. 15; Poller/Härtl/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, ZPO § 114 Rn. 57; BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt, 57. Ed. 1.9.2022, RVG § 48 Rn. 46; Eyermann/Happ, 16. Aufl. 2022, VwGO § 166 Rn. 41a; Wysk/Wysk, 3. Aufl. 2020, VwGO § 166 Rn. 19; zweifelnd aber Landzettel, FamRZ 2011, 345)
„Prozesskostenhilfe zu Gunsten eines verstorbenen Beteiligten darf, auch rückwirkend, nicht bewilligt werden, da hierfür nach §§ 114 ff. ZPO die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der antragstellenden Partei entscheidend sind; sie ist deshalb personengebunden und nach allgemeiner Meinung nicht vererblich (an Stelle vieler VGH München, Beschluss vom 22. 2. 2007 – 5 C 06.1826, BeckRS 2007, 29280 m. w. Nachw.; OVG Bautzen, NVwZ 2002, 492 = NJW 2002, 1667 L; OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. 5. 2011 – 13 W 20/11, BeckRS 2011, 14287; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27. 1. 2010 – 8 W 4/10, BeckRS 2010, 03508; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1996, 776; Zöller/Geimer, 29. Aufl. [2012], § 114 Rdnr. 12). Etwas anderes kommt hier auch nicht deshalb in Betracht, weil nach Ansicht des Prozessbevollmächtigten des früheren Kl. das VG noch zu dessen Lebzeiten über den Prozesskostenhilfeantrag hätte entscheiden müssen. Denn eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt auch dann nicht ausnahmsweise in Betracht, wenn das erstinstanzliche Gericht den Antrag verzögert bearbeitet haben sollte (so VGH München, Beschluss vom 22. 2. 2007 – 5 C 06.1826, BeckRS 2007, 29280 m. w. Nachw.; OVG Bautzen, NVwZ 2002, 492 = NJW 2002, 1667 L; OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. 5. 2011 – 13 W 20/11, BeckRS 2011, 14287; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27. 1. 2010 – 8 W 4/10, BeckRS 2010, 03508 m. w. Nachw.; offengelassen von BSG, Beschluss vom 2. 12. 1987 – 1 RA 25/87, BeckRS 1987, 04650) . Dies liefe dem Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe zuwider, weil sie ihre zentrale Funktion, der hilfebedürftigen Partei die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu ermöglichen, nicht mehr erreichen könnte. Sie käme in einem solchen Fall nicht dem gesetzlichen Adressaten zugute, sondern den Erben oder dem Rechtsanwalt und würde dadurch ihre gesetzliche Bestimmung verfehlen (OVG Bautzen, NVwZ 2002, 492 = NJW 2002, 1667 L). Die Prozesskostenhilfe dient immer nur der prozessführenden Partei, die sie beantragt hat. Auf ihre Verhältnisse ist abzustellen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass der Erbe, soweit er den Prozess weiterführen will und bedürftig ist, einen neuen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei dem erstinstanzlichen Gericht stellen und seine eigenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darlegen muss. Dagegen kann er das Verfahren des verstorbenen Kl. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, das auf dessen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen beruht, nicht fortführen.“
(OVG Berlin-Brandenburg, NJW 2012, 3739)
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Auch die Streichung des § 122 ZPO a.F., nach dem das Armenrecht mit dem Tod endete, führt nicht dazu, dass nunmehr VKH/PKH über den Tod hinaus bewilligt werden kann.
„Aus der Streichung dieser Vorschrift, die – wie ausgeführt – lediglich eine Rechtsfolge aussprach, die sich schon unmittelbar aus Sinn und Wortlaut des § 114 ZPO (in alter und neuer Fassung) ergibt, kann nicht im Wege des argumentum e contrario gefolgert werden, dass die Prozesskostenhilfe auf den Erben der hilfsbedürftigen Partei übergeht. Anders als bei der Streichung des § 121a. F. ZPO, soweit dieser die Entziehung des Armenrechts bei nachträglicher Verbesserung der Vermögensverhältnisse der armen Partei ermöglichte (vgl. dazu Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, Vorb. § 114 Anm. 1 A; Schneider, MDR 1981, 799, OLG München, JurBüro 1982, 928 einerseits; OLG Saarbrücken, NJW 1983, 1068 und OLG Koblenz, Rpfleger 1984, 159 andererseits), ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Prozesskostenhilfe-Gesetzes kein Anhaltspunkt dafür, dass mit der Streichung des § 122a. F. ZPO eine Änderung der bisherigen Rechtslage beabsichtigt war. Der Regierungsentwurf vom 18. 4. 1979 (BT-Dr 8/3068) sah in § 123 eine dem bisherigen § 122 entsprechende Bestimmung vor. In der Stellungnahme des Bundesrats dazu wurde der vorgesehene § 123 überhaupt nicht erwähnt. In dem vom Rechtsausschuss des Bundestages geänderten Gesetzentwurf (BT-Dr 8/3694) wurde die im Regierungsentwurf in § 123 vorgesehene Regelung – Erlöschen der Prozesskostenhilfe mit dem Tode – ersatzlos gestrichen, als § 123 wurde eine andere, im Regierungsentwurf als § 120 Abs. 3 enthaltene Regelung verselbstständigt. Die Berichterstatter des Rechtsausschusses begründen lediglich die Überführung des § 120 Abs. 3 in § 123, gehen aber mit keinem Wort auf die Streichung der ursprünglich in § 123 vorgesehenen Regelung ein. Die Begründung des Bundesrats für die Anrufung des Vermittlungsausschusses befasst sich weder mit der im Regierungsentwurf in § 123 vorgesehenen noch mit der vom Rechtsausschuss stattdessen in § 123 aufgenommenen Regelung (BT-Dr 8/3858).“ (OLG Frankfurt NJW 1985, 751)
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Dieser einheitlichen Meinung in der Literatur und Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und der ordentlichen Gerichte steht die Rechtsprechung einiger Landessozialgerichte (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Februar 2010 – L 9 B 28/09 SO PKH –, juris; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 21. September 2004 – L 6 RJ 964/02 –, juris; LSG Hessen Beschluss vom 4.4.1997 – L 13 B 85/96, BeckRS 2008, 55073), des BSG (BSG Beschluss vom 2.12.1987 – 1 RA 25/87, BeckRS 1987, 4650) und des LAG Hamm (Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Beschluss vom 25. November 2002 – 4 Ta 180/02 –, juris) entgegen:
„Nach § 122 der Zivilprozessordnung (ZPO) in seiner bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung (= aF) ist das damals noch so bezeichnete „Armenrecht“ mit dem Tode der Person erloschen, der es bewilligt worden ist. Die ab 1. Januar 1981 geltenden und im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren (§ 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) Vorschriften über die Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff ZPO) in der am 1. Januar 1981 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes über die Prozesskostenhilfe vom 13. Juni 1980 (BGBl I S. 677) enthalten eine dem § 122 ZPO aF entsprechende Regelung nicht mehr. Dennoch gilt sie der Sache nach fort mit der Folge, daß die Prozesskostenhilfe als eine an die spezielle Situation des Begünstigten geknüpfte höchstpersönliche Berechtigung mit dem Tode des hilfsbedürftigen Beteiligten endet (vgl OLG-Frankfurt NJW 1985, 751 = MDR 1985, 238; Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl 1987, § 119, Anm. 1 b; Zöller-Schneider, ZPO, 15. Aufl 1987, § 119, RdNr. 15; Deppe-Hilgenberg in Alternativkommentar zur ZPO, 1987, § 119 RdNr. 9). Hieraus wird weitgehend übereinstimmend unter Berufung auf einen Beschluss des OLG Hamm vom 7. Dezember 1976 (MDR 1977, 409) gefolgert, daß nach dem Tode des Antragstellers ihm Prozesskostenhilfe nicht mehr bewilligt werden kann (Zöller-Schneider, aaO; Thomas/Putzo, aaO, § 119, Anm. 1 a; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 45. Aufl 1987, § 122, Anm. 1 B e). Der beschließende Senat tritt dieser Rechtsauffassung grundsätzlich bei. Zu berücksichtigen ist allerdings folgendes: Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wirkt im Regelfall nicht zurück. Maßgebend ist der Zugang des Beschlusses, durch welchen dem antragstellenden Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt und gegebenenfalls ein Rechtsanwalt beigeordnet wird (BGH NJW 1985, 921; weitergehend Zöller-Schneider, aaO, § 119, RdNr. 17, nach dessen Ansicht bei Fehlen einer besonderen Datierung im Beschluss die Bewilligung regelmäßig auf den Zeitpunkt des Eingangs eines bewilligungsfähigen Antrages zurückwirkt). Das kann jedoch nur dann gelten, wenn das Gericht auch bei einem ordnungsgemäßen, unverzüglichen Geschäftsgang die Prozeßkostenhilfe nicht zu einem früheren Zeitpunkt hätte bewilligen können. Ist dies hingegen der Fall, so muß die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe auf den Zeitpunkt zurückwirken, zu dem ein bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang erlassener Bewilligungsbeschluss dem antragstellenden Beteiligten hätte zugehen können (so Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 122 Anm. 1 B a; weitergehend BGH NJW 1985, 921, 922, wonach in derartigen Fällen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückwirken soll). Dies kann möglicherweise auch dann gelten, wenn ein Beteiligter nach Beantragung von Prozesskostenhilfe verstorben ist und im Zeitpunkt seines Todes noch nicht über seinen Antrag entschieden war. Hätte das Gericht bei ordnungsgemäßer und unverzüglicher Bearbeitung des Prozesskostenhilfeantrages zu einem früheren Zeitpunkt und noch zu Lebzeiten des Antragstellers entscheiden und seinen Beschluss dem Antragsteller zugehen lassen können, so wäre zu erwägen, ob dem oder für den Beteiligten jedenfalls für den Zeitraum zwischen dem möglichen Zugang des Bewilligungsbeschlusses und seinem (des Antragstellers) Ableben nachträglich Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.“ (BSG Beschluss vom 2.12.1987 – 1 RA 25/87, BeckRS 1987, 4650 Rn. 3-5, beck-online)
„In Fallgestaltungen, in denen der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe Rückwirkung für Zeiten vor dem Tode des Antragstellers zukommt, steht demgegenüber weder der Charakter der Prozesskostenhilfe als höchstpersönliche Berechtigung, noch die Vorschrift die § 122 ZPO a. F. bzw. der Tod als Beendigungsgrund einer nachträglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe entgegen. Dies folgt zum einen aus dem Rechtsgedanken des § 847 Abs. 2 Satz 1 BGB und zum anderen aus dem Charakter der Prozesskostenhilfe, die materiell-rechtlich ein (in das Verfahrensrecht eingebundenes) soziales Recht beinhaltet.“ (LSG Hessen Beschluss vom 4.4.1997 – L 13 B 85/96, BeckRS 2008, 55073)
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Auch in der Sozialgerichtsbarkeit wird aber die Frage teilweise gegen die Bewilligung von PKH entschieden (z.B. LSG Bayern Beschluss vom 8.4.2015 – L 3 SB 2/15 B PKH, BeckRS 2015, 68298)
55
bb. Die Kammer schließt sich der ständigen Rechtsprechung der OLGe und der OVGe an. Es handelt sich bei Verfahrenskostenhilfe um einen höchstpersönlichen Anspruch, der nach dem Tod (zu Gunsten des Nachlasses) nicht bewilligt werden kann.
56
Entgegen der Ansicht des Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu 1 geht auch der BayVGH nicht davon aus, dass hier eine Ausnahme vom Grundsatz vorliegt. Denn in der auch vom Prozessbevollmächtigten zitierten Entscheidung hat der BayVGH genau diesen Fall entschieden:
„Der Meinung, dass dieser Grundsatz dann eine Ausnahme erfährt und eine rückwirkende Bewilligung in Betracht kommt, wenn das angerufene Gericht den – vollständigen und auch sonst ordnungsgemäßen – Prozesskostenhilfeantrag des verstorbenen Verfahrensbeteiligten verzögerlich oder nicht ordnungsgemäß bearbeitet hatte (LSG MV, B.v. 14.8.2018 – L 6 P 12/18 B PKH – juris Rn. 8; Wysk in Wysk, VwGO, § 166 Rn. 20) folgt der Senat nicht. Eine derartige Ausnahme würde dem Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe zuwiderlaufen. Denn sie kann die zentrale Funktion, der hilfebedürftigen Partei die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu ermöglichen, nicht mehr erreichen; die Prozesskostenhilfe käme nicht mehr dem gesetzlichen Adressaten zu Gute, sondern den Erben oder dem Rechtsanwalt, und würde dadurch ihre gesetzliche Bestimmung verlieren (BayVGH, B.v. 22.2.2007 – 5 C 06.1826 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 12 CE 03.2604 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 31.8.2020 – 12 E 27/20 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 18.3.2019 – 12 E 958/17 – juris Rn. 3; BayLSG, B.v. 8.4.2015 – L 3 SB 2/15 B PKH – juris Rn. 12; LSG NW, B. 29.3.2017 – L 9 SO 53/17 B – juris Rn. 6 ff.; OLG Koblenz, B.v. 26.1.2016 – 9 WF 1261/15 – juris Rn. 6; LSG BW, B.v. 29.8.2018 – L 7 SO 2855/18 B – juris Rn. 3; OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.12.2012 – 10 M 20/12 – juris Rn. 3). Die Prozesskostenhilfe dient immer nur der prozessführenden Partei, die sie beantragt hat und auf deren Verhältnisse abzustellen ist. Soweit ein Erbe den Prozess weiterführen will und seinerseits bedürftig ist, muss er einen neuen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei dem erstinstanzlichen Gericht stellen und seine eigenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darlegen (OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.12.2012 – 10 M 20/12 – juris Rn. 3). (VGH München Beschluss vom 10.3.2021 – 10 C 20.3043, BeckRS 2021, 6069 Rn. 5) “
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Nach Ansicht der Kammer gilt der Rechtsgedanke des § 122 ZPO a.F. fort, sodass die Bewilligung mit dem Tod aufzuheben wäre. Dann aber kann sie auch nach dem Tod nicht mehr bewilligt werden. Dagegen spricht nicht, dass der Verfahrensanwalt dann keinen solventen Schuldner mehr hat. Das ist sein Risiko und kann nicht zur Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe führen.
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Erwägenswert wäre in diesem Zusammenhang ein anderes Ergebnis aus Gründen der Chancengleichheit auf Rechtsschutz für die mittellose Partei nur dann, wenn man davon ausgeht, dass eine alte und todkranke mittellose Partei keinen Rechtsanwalt mehr fände. Das allerdings ist nicht anzunehmen, da sich die Partei für den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe keines Anwalts bedienen muss und spätestens nach der Bewilligung des Antrags der Anwalt tätig werden würde.
59
Für die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte spricht auch ein Vergleich mit sonstigen Sozialleistungen.
60
Für das ALG II gilt: „Wegen ihres höchstpersönlichen Zweckes gehen die Leistungsansprüche vielmehr in diesem Falle mit dem Tode unter, sofern nicht – ausnahmsweise – ein Dritter in Vorleistung getreten ist, weil das Jobcenter nicht rechtzeitig tätig geworden ist oder Leistungen zu Unrecht abgelehnt hat: In diesem Fall können die Erben die Leistungsansprüche (weiter) geltend machen, um daraus die gegenüber dem Dritten bestehenden Schulden auszugleichen (vgl. zur entspr. Problematik im Recht der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung BSG Urt. v. 23.7.2014 – B 8 SO 14/13 R, BSGE116, 210, Rn. 12, im Anschluss an die entspr. Rspr. des BVerwGUrt. v. 5.5.1994 – 5 C 43/91, BVerwGE96, 18).“ (BeckOGK/Kallert, 1.8.2021, SGB II § 40 Rn. 129a)
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Selbst wenn man diese Rechtsprechung auf das Recht der Verfahrenskostenhilfe anwenden würde, käme daher allenfalls ein Anspruch der Erben bei eigenem Antrag auf VKH in Betracht. Vorliegend könnte aber nicht, wie vom BSG für dieses Antragsrecht der Erben gefordert, behauptet werden, der Prozessbevollmächtigte wäre tätig geworden, weil das Amtsgericht die VKH nicht (rechtzeitig) bewilligt hat. Vielmehr ist er aufgrund eines bereits vor dem Antrag auf VKH vereinbarten Mandatsvertrags tätig geworden.
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g) Nach all dem kann die Kammer hier offen lassen, ob die Beschwerdeführerin zu 1 bedürftig war.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
64
Die Rechtsbeschwerde ist in dem in Ziffer 2. des Tenors ausgesprochenen Umfang zuzulassen, § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 FamFG.
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Es kann offenbleiben, ob sich die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 70 FamFG – so (vielleicht unreflektiert, weil die Beschwerde zugelassen war, BGH FamRZ 2010, 1425) oder nach § 574 ZPO (vgl. BGH FGPrax 2010, 154) richtet. Denn sie in keinem Fall zulassungsfrei, weil der Betreuerwechsel kein Fall des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ist.
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Es liegt ein Fall des § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG sowie des § 574 Abs. 2 Nr. 1 vor, die Rechtsbeschwerde ist daher zuzulassen. Die Bestimmungen sind identisch auszulegen.
„Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist regelmäßig dann gegeben, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen denkbar ist (BGH BeckRS 2018, 25625; BT-Drs. 16/6308, 209) und die deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH NJW-RR 2013, 404 Rn. 4).“
(BeckOK FamFG/Obermann, 44. Ed. 1.10.2022, FamFG § 70 Rn. 14)
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Das ist hier der Fall. Die Frage der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für verstorbene Parteien bei verzögerter Sachbehandlung durch das Gericht tritt, wie die oben zitierte Rechtsprechung zeigt, sehr häufig auf. Sie ist auch klärungsbedürftig.
„Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch das Berufungsurteil aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen unter anderem dann, wenn die Rechtsfrage vom BGH bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Derartige Unklarheiten bestehen nicht, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind (BGH, NJW-RR 2010, 1047 = ZIP 2010, 985).“
(BGH NJW-RR 2016, 1529 Rn. 16, beck-online)
68
Zwar entscheiden die OLGe in dieser Sache einheitlich. Allerdings liegt eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu nicht vor, und es besteht eine abweichende Rechtsprechung in Form eines obiter dictum des BSG und tragend einiger LSGe und des LAG Hamm. Eine Klärung durch den Bundesgerichtshof ist daher geboten, es handelt sich nicht um eine vereinzelte Literaturmeinung, sondern immerhin um eine Rechtsmeinung eines Bundesgerichts, der Landessozialgerichte und Landesarbeitsgerichte gefolgt sind. Da hinsichtlich der Anforderungen von PKH/VKH für alle Rechtswege eine grundsätzlich gleiche Auslegung des Rechts geboten ist, ist daher irrelevant, dass es sich nicht um Zivil-, Betreuungs- oder Familiengerichte handelt, die abweichend entscheiden. Vielmehr handelt es sich um eine Frage, die im Zweifel vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu entscheiden wäre. Zwar besteht aktuell kein Divergenzfall nach § 2 RsprEinhG, weil das BSG nur in einem obiter dictum entschieden hat (vgl. BGH NJW 2002, 1207). Allerdings könnte ohne eine Entscheidung des BGH das BSG für den Fall eines Festhaltens an seiner Rechtsprechung in einem entscheidungserheblichen Fall wiederum selbst den Gemeinsamen Senat nicht anrufen. Eines der zuständigen Bundesgerichte muss daher zunächst mit der Frage befasst sein, damit der Gemeinsame Senat angerufen werden kann.