Titel:
Freigabeverfahren bei Unter-pari-Emission
Normenkette:
AktG § 9 Abs. 1, § 53a, § 186 Abs. 3, Abs. 4 S. 2, § 241 Nr. 3 Var. 2, § 246a, § 255 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Weist eine einzubringende Sacheinlage den im Kapitalerhöhungsbeschluss angegebenen Wert nicht auf, liegt darin ein Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission gem. § 9 Abs. 1 AktG, der einen Nichtigkeitsgrund gem. § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG darstellt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Behauptet die Gesellschaft zur Begründung ihres vorrangigen Vollzugsinteresses im Freigabeverfahren, dass ihr die Insolvenz durch Nichtverlängerung eines Darlehens ihrer Muttergesellschaft drohe, muss sie dies glaubhaft machen. Will sich die Geschäftsführung der Muttergesellschaft nicht durch eine eidesstattliche Versicherung binden, geht das zulasten der Gesellschaft. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es fehlt an einem schutzwürdigen Vollzugsinteresse der Gesellschaft, wenn die angefochtene Kapitalerhöhung bereits in sich nicht stimmig begründet wurde. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freigabeverfahren, Kapitalerhöhung, stimmige Begründung, Anfechtung, Sacheinlage, Unter-pari-Emission, Nichtigkeit, Vollzugsinteresse, Insolvenzgefahr, Glaubhaftmachung
Fundstellen:
AG 2023, 707
ZInsO 2023, 1435
BeckRS 2023, 6570
LSK 2023, 6570
Tenor
1. Der Antrag auf Freigabe der Eintragung der zu TOP 9 in der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 30.08.2022 beschlossenen Kapitalerhöhung in das Handelsregister wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1
Die Antragstellerin ist eine partiell börsennotierte Aktiengesellschaft deutschen Rechts. Über ihr Vermögen wurde 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet, dass mit Insolvenzplan 2009 aufgehoben wurde. Ihr Grundkapital wurde in der Folge – zuletzt 2017/18 – auf 1.407.234 €, eingeteilt in nennwertlose Stückaktien derselben Zahl, erhöht. Es handelt sich bei ihr um einen sog. Börsenmantel ohne eigenes operatives Geschäft.
2
Die Antragstellerin hat keine Einnahmen außer aus einem nachrangigen Darlehen der Muttergesellschaft der P. G. GmbH, ihrer Hauptaktionärin (im folgenden: P.). Ihr Fortbestehen ist derzeit aufgrund einer bestehenden Patronatserklärung gesichert, die bis zum 30.06.2023 befristet ist.
3
An der Antragstellerin halten die P. 1.021.500 Aktien (72,59% des Grundkapitals und der Stimmrechte), die Ca. S. A. AG (im Folgenden: Ca.) – nach Abgabe eines Pflichtangebots gemäß WpÜG – 50.580 Aktien (ca. 3,6% des Grundkapitals). Beide Gesellschaften haben am 21.04.2022 eine Vereinbarung über die gemeinsame Stimmausübung der von den beiden Aktionären gehaltenen Aktien der Antragstellerin geschlossen.
4
Die Antragstellerin hat am 20.07.2022 (Anlage A6) zur streitgegenständlichen Hauptversammlung eingeladen, die virtuell stattfinden sollte. Mit Schreiben vom 27.07.2022 hat die P. beantragt, zwei weitere Beschlussvorlagen auf die Tagesordnung zu setzen, zum einen eine Änderung der Satzung, durch die der Unternehmenszweck ausgeweitet werden sollte, zum anderen die streitgegenständliche Sachkapitalerhöhung. Danach soll das Stammkapital um 15,6 Mio € auf 17.007.234 € durch Ausgabe von 15,6 Mio Stückaktien ohne Nennwert erhöht werden. Unter Ausschluss des Bezugsrechts der übrigen Aktionäre wird die Ca. zur Zeichnung gegen Einbringung von 13 Mio Aktion der A. M. Group AG, Z., Schweiz, (im Folgenden als Group AG oder als Holding bezeichnet) – das sind 48,46% des Grundkapitals der Group AG – zugelassen. Zum Wortlaut der Beschlussvorlage wird auf das Ergänzungsverlangen in Anlage A7 Bezug genommen.
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Ausweislich der Angaben im Ergänzungsverlangen sind der Ca. keine Aktionäre an der Group AG bekannt, die mindestens 25% der Aktien an der Group AG halten. Die Group AG – so die Angaben im Ergänzungsverlangen – sei eine reine Holding ohne eigene Mitarbeiter. Sie halte sämtliche Anteile an der A.M. Automotive AG (im Folgenden als A. AG oder als Holding bezeichnet), einer ebenfalls in Z., Schweiz, ansässigen Holding ohne Mitarbeiter. Diese wiederum halte sämtliche Anteile an der R. Inc., einer Gesellschaft nach dem Recht des Bundesstaates Utah, USA. Diese betreibe mit 44 Mitarbeitern den Gebrauchtwagenhandel an mehreren Standorten in Salt Lake City und Umgebung. Der Handel werde überwiegend mit gebrauchten Fahrzeugen nach dem Konzept „Lease-here-pay-here“ (LHPH) an sog. „Subprime“ Kunden, Privatpersonen mit geringer Bonität, betrieben. Die Fahrzeuge würden angekauft, verkauft oder verleast. In dem Verlangen sind (allein) die Planzahlen für 2022 bis 2026 angegeben, nach denen die R. in diesen Jahren ein EBIT beginnend von 12,6 Mio € bis 17,7 Mio € erwarte (nach Zinsen: 10,8 bis 15,1 Mio €; nach Steuern: 9,4 bis 13,1 Mio €). Der Unternehmenswert nach der DCF-Methode betrage 55 Mio €. Daraus ergebe sich für die einzubringenden 48% der Anteile an der Group AG unter Anwendung eines Sicherheitsabschlags von 20% und Aufteilung des sich ergebenden Wertes auf 15,6 Mio Aktien ein errechneter Wert von 1,37 € pro Aktie, der den Wert der festgestellten Börsenpreise der Antragstellerin an der Frankfurter Wertpapierbörse von 0,90 bis 1,16 € deutlich übersteige. Der Bezugsrechtsausschluss wurde damit begründet, dass die Kapitalerhöhung ein deutlich schnelleres Wachstum und attraktive und nachhaltige Gewinne bzw. Dividenden ermögliche. Die Sachkapitalerhöhung setze einen Bezugsrechtsausschluss voraus. Eine Barkapitalerhöhung erscheine wegen der langen Inaktivität der Gesellschaft und der zu erwartenden mangelnden Bereitschaft der Aktionäre zur Teilnahme als nicht geeignet. Der Anteilsverwässerung der bisherigen Aktionäre um rund 90% stehe ein deutlicher Vermögenszuwachs gegenüber. Die Aktionäre nähmen ohne eigene Gegenleistung an einem deutlichen Wertzuwachs je Aktie teil. Außerdem sei der Fortbestand der Antragstellerin gesichert.
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Der Vorstand veranlasste am 29.07.2022 (Anlage A8) die Veröffentlichung des Ergänzungsverlangens, die am 02.08.2022 im Bundesanzeige erfolgte (Anlage A9). Der Vorstand und der Aufsichtsrat veröffentlichten auf der Homepage der Antragstellerin eine Stellungnahme zum Ergänzungsverlangen, in dem sie weitestgehend die Angaben im Ergänzungsverlangen, insbesondere zum Wert der Sacheinlage und zum Bezugsrechtsausschluss, übernahmen. Beide Gremien erklärten, sie hätten das Ergänzungsverlangen und dessen Begründung geprüft und empfählen die Annahme der Beschlussvorlage (Anlage A10, S. 1, 3. Absatz). Der Vorstand führte aus (Anlage A10, S. 3, 2. Absatz), er habe die von der Hauptaktionärin erhaltenen Informationen plausibilisiert. Zu näheren Einzelheiten wird auf die Anlage A10 Bezug genommen.
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In der virtuellen Hauptversammlung blieb eine Vielzahl von Fragen der Aktionäre unter Hinweis darauf, dass dem Vorstand diese Informationen nicht vorlägen, unbeantwortet. Es wurden weder Jahresabschlüsse der Holdings noch der R. Inc. vorgelegt.
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Die Hauptversammlung stimmte der Beschlussvorlage mit 1.233.216 gegen 9.721 Stimmen zu. Die Antragsgegner widersprachen der Beschlussfassung.
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Eine ähnliche Sachkapitalerhöhung durch Einbringung von Aktien an der Group AG war bereits in der Hauptversammlung vom 08.01.2021 beschlossen worden. In der Einladung dort war der Unternehmenswert – ebenfalls basierend auf Planzahlen – mit 40 Mio € angegeben worden. Zu weiteren Details der Angaben zu Unternehmenswerten wird auf die Anlage K4 zur Klageschrift der Kläger zu 4 und 5 (der Antragsgegner zu 3 und 4 des hiesigen Verfahrens) Bezug genommen. Die Anfechtungsklage gegen diesen Beschluss endete mit Anerkenntnisurteil der Antragstellerin.
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Die Antragstellerin hält die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen den streitgegenständlichen Beschluss für offensichtlich unbegründet, jedenfalls sei das Vollzugsinteresse der Antragstellerin vorrangig, sodass Freigabe zu erteilen sei. Ohne Freigabe bestehe das ganz konkrete Risiko (Antragsschrift, S. 18), dass die Hauptaktionärin bzw. deren Muttergesellschaft ihre finanzielle Unterstützung über den zugesagten Zeitpunkt nicht verlängerten mit der Folge einer (erneuten) Insolvenz der Antragstellerin und eines Totalausfalls sämtlicher Aktionäre. Mittel zur Glaubhaftmachung legt sie diesbezüglich nicht vor. Den Aktionären drohe demgegenüber eine Sanktionslosigkeit etwaiger Verfahrensfehler in der Hauptversammlung und eine Stimmrechts- und Beteiligungsquotenverschiebung. Heute sei die Beteiligung der Aktionäre praktisch wertlos. Es handele sich um Kleinaktionäre mit 1.000 bis 2.000 Aktien, deren Anteilsverwässerung für die Abwägung unbeachtlich sei. Die Eintragung führe demgegenüber zu einer deutlichen Werterhöhung der Beteiligung. Auch seien die Kosten einer drohenden Wiederholung der Hauptversammlung zu berücksichtigen. Die Abwägung falle somit zugunsten der Antragstellerin aus. Ein Wertgutachten liege bei Konstellationen wie der vorliegenden regelmäßig noch nicht vor. Dies dürfe nicht dazu führen, dass Aktionäre jahrelang eine Sachkapitalerhöhung verhindern könnten, zumal die Werthaltigkeit der Sacheinlage im Registerverfahren geprüft werde. In der mündlichen Verhandlung führte der Vertreter der Antragstellerin ergänzend an, die Antragstellerin habe nicht die Mittel, einen Hauptsacheprozess durchzuführen.
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Die Antragstellerin stellt den Antrag:
1. Es wird festgestellt, dass die Erhebung der beim Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 5 HK O 11839/22 rechtshängigen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen der Antragsgegner zu 1. bis 5. gegen den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 30. August 2022 zu Tagesordnungspunkt 9:
„Das Grundkapital der Gesellschaft von EUR 1.407.234,00 wird um EUR 15.600.000,00 auf EUR 17.007.234,00 mit Ausgabe von 15.600.000 neuen Inhaber-Stückaktien („Neue Aktien“) gegen Sacheinlage erhöht („Sachkapitalerhöhung“). Das Bezugsrecht der Aktionäre wird ausgeschlossen. Zur Zeichnung der Neuen Aktien wird die Ca. S. A. AG, B., Schweiz, gegen Einbringung von 13.000.000 Aktien der A.M. Group AG, Z., Schweiz, zugelassen. Der Ausgabebetrag pro Neuer Aktie beträgt EUR 1,00. Ein den Ausgabebetrag der Sacheinlage übersteigender Betrag wird als Zuzahlung nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebucht. Die Neuen Aktien sind ab dem 1. Januar 2022 gewinnanteilsberechtigt. Die Sachkapitalerhöhung wird unwirksam, wenn diese nicht spätestens bis zum 28. Februar 2023 in das Handelsregister eingetragen wird. Die Frist verlängert sich im Fall einer Anfechtung des Beschlusses um die Dauer des entsprechenden gerichtlichen Verfahrens.“
der Eintragung dieses Beschlusses in das Handelsregister nicht entgegensteht und
2. dass Mängel des im Antrag zu Ziffer 1. bezeichneten Sachkapitalerhöhungsbeschlusses die Wirkung der Eintragung dieses Beschlusses in das Handelsregister unberührt lassen.
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Die Antragsgegner beantragen die Zurückweisung des Antrags.
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Die Antragsgegner halten den Hauptversammlungsbeschluss aus einer Vielzahl von Gründen für rechtsfehlerhaft und damit für nichtig bzw. anfechtbar. Im Mittelpunkt steht die schriftsätzlich näher ausgeführte Rüge, die Sacheinlage sei nicht oder jedenfalls nicht hinreichend werthaltig. Es wird überdies bezweifelt, dass die Holdings tatsächlich über die Anteile an der R. verfügten. Die Wertangaben seien unplausibel. In der mangelnden Werthaltigkeit liege ein Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission und ein unzulässiger Sondervorteil der Inferentin. Fragen insbesondere zu diesem Komplex seien nicht beantwortet worden. Der Vorstand könne sich nicht darauf zurückziehen, dass ihm Informationen nicht vorlägen; er hätte sich erkundigen müssen. Auch der Bezugsrechtsausschluss sei weder formell noch materiell gerechtfertigt. Gerügt wird ferner der Umstand, dass die Hauptversammlung virtuell stattfand, ohne dass noch eine effektive Pandemielage bestand. Es wird bezweifelt, dass das Ergänzungsverlangen der Hauptaktionärin ordnungsgemäß war und dass diese ihre Stimmrechte ausüben durfte. Schon bei der Hauptversammlung hätten der Einbringungsvertrag und ein Wertgutachten vorliegen müssen (§ 52 AktG analog). Die Group AG verfüge über keine LEI-Nummer (Legal Entity Identifier); Anteile an ihr könnten daher überhaupt nicht übertragen werden.
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Es drohe eine erhebliche Verwässerung der Anteile; es könne nicht sein, dass die Antragstellerin den Aktionären keinerlei Informationen zur Verfügung stelle, gleichwohl aber Freigabe begehre.
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Der Senat hat über den Antrag am 15.03.2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift und die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
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1. Dem Antrag ist nicht deshalb stattzugeben, weil die Antragsgegner das in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG genannte Quorum einer Beteiligung von mindestens 1.000 € seit Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung nicht nachgewiesen hätten. Hinsichtlich der Beteiligung der Antragsgegner zu 1 bis 3 erhebt auch die Antragstellerin keine Bedenken. Schon deshalb kann der – einheitlich zu verbescheidende – Freigabeantrag nicht auf diesen Freigabegrund gestützt werden. Im Übrigen hat auch der Antragsgegner zu 4 sein Quorum binnen der gesetzlich vorgesehenen Wochenfrist, gerechnet ab Zustellung der Antragsschrift mittels Postzustellungsurkunde, nachgewiesen. Schließlich teilt der Senat nicht die allein auf das Vorliegen nur einer Unterschrift bei der Bankbestätigung gestützten Bedenken gegen die Echtheit der vom Antragsgegner zu 5 eingereichten Bestätigung, zumal der Antragsgegner unstreitig zur Hauptversammlung zugelassen war. Demnach haben alle Antragsgegner das Quorum fristgerecht nachgewiesen.
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2. Die von den Antragsgegnern erhobenen Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsklagen sind auch nicht unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
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2.1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klagen erhebt die Antragstellerin nur hinsichtlich des Antragsgegners zu 4, da dieser – selbst Rechtsanwalt – die Klageschrift gemeinsam mit dem Antragsgegner zu 3 über dessen besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) eingereicht hat. Diese Bedenken können im Freigabeverfahren dahinstehen, da der Antragsgegner zu 4 aufgrund der gemeinsamen Klageschrift im Hauptsacheverfahren wirksam dieselben Anfechtungsgründe wie der Antragsgegner zu 3 erhoben hat.
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2.2. Die Klagen sind nicht offensichtlich unbegründet. Von einer offensichtlichen Unbegründetheit ist nur auszugehen, wenn das Gericht bei Prüfung des gesamten Sachverhalts und der glaubhaft gemachten Tatsachen eine andere Beurteilung für nicht oder kaum vertretbar hält. Von einer derartigen offensichtlichen Unbegründetheit kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
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2.2.1. Von einer Begründetheit der Klagen wäre jedenfalls dann auszugehen, wenn die einzubringende Sacheinlage den im angefochtenen Beschluss angegebenen Wert von 15,6 Millionen € nicht aufweist und damit ein Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission gemäß § 9 Abs. 1 AktG vorliegt, der nach zutreffender herrschender Ansicht (vor Eintragung in das Handelsregister) einen Nichtigkeitsgrund gemäß § 241 Nr. 3 Var. 2 AktG wegen Verstoß gegen Gläubigerschutzvorschriften darstellt, wie die Wertung der Vorschriften der § 38 Abs. 2 S. 2, § 184 Abs. 3 Satz 1 AktG zeigt (vgl. Koch, AktG, 16. Aufl., § 9 Rn. 3f., 7; Heider in MüKo AktG, 5. Aufl., § 9 Rn. 14, 19, 22, 29; kritisch: Vatter in BeckOGK AktG, § 9 Rn. 19 [Stand: 01.01.2023]; enger: BGH, Urteil vom 16.02.1959 – II ZR 170/57: nur bei grobem, offensichtlichen Verstoß gegen gesunde kaufmännische Grundsätze). Weist die Sacheinlage den angegebenen Wert nicht auf, so könnte darin zugleich eine unzulässige Verwässerung der Anteile der Altaktionäre und damit ein Verstoß gegen die auf die Sachkapitalerhöhung analog anzuwendende Vorschrift des § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG, die Gewährung eines Sondervorteils an die Inferentin (§ 53a AktG) und ein materiell ungerechtfertigter und damit unzulässiger Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 3 AktG) liegen.
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Die Werthaltigkeit der einzubringenden Sacheinlage – nämlich der von der Ca. einzubringenden 48% der Anteile an der Group AG, deren (einzig) werthaltiges Asset die von ihr mittelbar über die Automotive AG gehaltene, im US-Bundesstaat Utah ansässige R. Inc. sein soll – ist bislang, wie auch die Antragstellerin einräumt, offen. Die Werthaltigkeit bildet den Gegenstand einer vom Registergericht München gemäß § 183 Abs. 3 beauftragten Prüfung, deren Ergebnis noch nicht vorliegt. Auch sonstige Wertgutachten – etwa eines Wirtschaftsprüfers – liegen nicht vor. Schon daraus ergibt sich, dass die Aktionärsklagen derzeit nicht offensichtlich unbegründet sind.
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Vorliegend zeigen die Antragsgegner, insbesondere der Antragsgegner zu 3, sogar erhebliche Indizien auf, die nachhaltige Zweifel an einer hinreichenden Werthaltigkeit der Sacheinlage begründen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Antragstellerin bei ihrer Bewertung einen Sicherheitsabschlag von 20% vorgenommen hat und sich ein weiterer „Sicherheitspuffer“ dadurch ergibt, dass die Antragstellerin für die Sacheinlage einen Wert von 1,37 € – und nicht bloß 1,00 € – errechnet hat. Die Indizien stellen sich dabei wie folgt dar:
24
2.2.1.1. Insb. der Antragsgegner zu 3 bezweifelt bereits, dass die Anteile an der R. Inc. überhaupt in die A. AG eingebracht wurden bzw. dort immer noch eingebracht sind.
25
Richtig ist, dass die Antragstellerin im Freigabeverfahren die – teilweise überaus nachlässig verfassten – Einbringungsverträge vorgelegt hat, mit denen die R. zunächst in die A. AG, dann die Anteile an ihr in die Group AG eingebracht wurden.
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Nach den vorgelegten Unterlagen hat in einem ersten Schritt am 09.05.2016 der unstreitige Alteigentümer der R., Herr M., per Share Exchange Agreement (Anlage A17) sämtliche Aktien an die A. AG verkauft und dafür 18 Mio Aktien an ihr erhalten. Der Vertrag ist – darin ist dem Antragsgegner beizupflichten – äußerst nachlässig abgefasst. So ist in dem Vertrag von 1.300 Aktien ohne Nennwert die Rede, in der Bilanz der R. (Anlage A24) sind jedoch 1.000 Aktien à 1,30 US$ ausgewiesen. Unterzeichnet hat Herr M. nicht für sich persönlich, sondern als „Shareholder of ... Solutions Inc.“ unterschrieben; der Grund bleibt ungeklärt. Er hat gleichzeitig für die A. AG gezeichnet, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte, es existierte nur eine GmbH; für sie zeichnungsberechtigt war er zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht.
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Des weiteren hat die Antragstellerin die notariellen Verträge (A25f) vorgelegt, durch die die Einbringung der Anteile in die Holdings nachvollzogen werden kann.
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Schließlich hat die Antragstellerin eidesstattliche Versicherungen von Verwaltungsräten der A. AG (Anlagen A36f.) vorgelegt. Es fällt allerdings auf, dass dort gerade nicht unumwunden an Eides Statt versichert wird, dass die Holding 100% der Anteile an der R. halte, sondern dass die Erklärenden „nach bestem Wissen und Gewissen kein Dokument oder eine Transaktion erkennen [können], die darauf hindeuten würde, dass 100% von R. am 6. Juni 2016 nicht ordnungsgemäß eingebracht wurden oder seit diesem Datum nicht ununterbrochen von der Gesellschaft gehalten wurden oder dass diese Beteiligung in der Zwischenzeit in irgendeiner Weise beeinträchtigt wurden.“ Eine eidesstattliche Versicherung von Herrn M. wurde nicht vorgelegt.
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Auch wenn dieser Vortrag die Behauptung der Antragstellerin nachhaltig stützt, konnten die Antragsgegner doch Umstände aufzeigen, die zumindest Restzweifel an der Darstellung der Antragstellerin wecken:
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Die Antragstellerin konnte insbesondere nicht erklären, mit welchem Recht sich Herr M. auf der Homepage . www. … als deren „Owner“ bezeichnet. Dass M. Auto synonym für die R. Inc. steht, ergibt sich u.a. aus deren im Freigabeverfahren vorgelegten Bilanzen (Anlagen A 22-24), bei denen in der Überschrift steht „d/b/a [=doing business as, Anm. des Senats] M. Auto“. Mag man der Argumentation der Antragstellerin noch folgen, wonach sich Herr M. bis 2021 als mittelbarer Eigentümer bezeichnen konnte, weil er bei der Einbringung der Anteile an der A. in die Group AG 20.000.000 Mio Aktien an dieser (von 26.800.000 Aktien, vgl. Anlage A11) erhielt, gilt das nicht für das Jahr 2022, in dem er bei der Group AG bloßer Minderheitsaktionär mit weniger als 25% der Anteile war (die Ca. hielt 48%).
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Die Einbringung der Anteile an der R. Inc. in schweizerische Holdings passt – jedenfalls nach dem Sachstand im Freigabeverfahren – nicht zu dem Umstand, dass die R. Inc. sich in den USA als sog. S-Corporation besteuern ließ (was zu einer Versteuerung der Gewinne auf der Ebene des Aktionärs führt). Die Antragstellerin konnte nicht schlüssig erklären, dass diese Behandlung mit dem seinem Wortlaut nach immer noch gültigen 26 U.S. Code § 1361 in Einklang steht, wonach die R. Inc. steuerrechtlich als S-Corporation nur behandelt werden darf, wenn ihre Aktionäre natürliche Personen aus den USA sind. Die Richtigkeit dieser steuerrechtlichen Annahme stellt ein Indiz dafür dar (zumal die Abschlüsse geprüft sind), dass Herr M. weiterhin Aktionär der R. ist. Das vorgelegte Privatgutachten (Anlagen A33 und A38) zum US-Steuerrecht erschöpft sich in der Behauptung, die Gegenseite verstehe das US-Steuerrecht nicht. Es lässt jedoch jedwede konkrete Angabe vermissen, durch welche vorrangige Norm die zitierte Vorschrift geändert oder verdrängt worden sei oder aber dass sich zumindest die steuerliche Verwaltungspraxis durch die Finanzbehörden geändert habe.
32
Ebenso muss sich die Antragstellerin fragen lassen, warum sie weder Aktien noch Aktienregister vorlegen kann. Die Begründung, dass es derartiges nicht geben müsse, verfängt vorliegend nicht. Im Schedule 6 zum Share Exchange Agreement (Anlage A17) ist deren Übergabe vereinbart.
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Damit erscheint es dem Senat jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen, dass ein wirtschaftlicher Totalausfall der Sacheinlage droht. Dass die Ca. in der Lage wäre, eine Ausfalldeckung zu übernehmen, ist nicht einmal behauptet.
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2.2.1.2. Dessen ungeachtet bestehen zumindest erhebliche Zweifel an der Werthaltigkeit der Einlage in der angegebenen Höhe, wie mit den Parteivertretern in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert.
35
Die Angaben, die zum Wert des Unternehmens gemacht worden sind, sind – hochgradig – widersprüchlich, ohne dass dies seitens der Antragstellerin erklärt würde.
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So wird der Unternehmenswert der R. Inc. anlässlich der (gescheiterten) Kapitalerhöhung im Januar 2021 mit 40 Mio € beziffert (Anlage K4 zur Klageschrift der hiesigen Antragsgegner zu 3 und 4). Nunmehr beträgt der Wert angabegemäß 55 Mio €. Eine Erklärung fehlt.
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Auch die angegebenen Planzahlen, aus denen der Unternehmenswert abgeleitet sein soll, unterscheiden sich fundamental. Sowohl in den Angaben für die Hauptversammlung 2021 als auch für diejenige im Jahr 2022 werden jeweils Planzahlen für die Jahre 2022 bis 2025 genannt (vgl. S. 54 der Klageschrift der hiesigen Antragsgegner zu 3 und 4, auf die der Antragsgegner zu 3 im Freigabeverfahren ergänzend Bezug genommen hat, vgl. seine Antragserwiderung vom 19.01.2023, dort S. 11, Bl. 66 d.A. iVm Anlagen K1 [=Anlage A9 des hiesigen Verfahrens] und K4 seiner Klageschrift). So sind die 2021 für die Jahre 2022 bis 2025 prognostizierten Umsätze (aus dem Verkauf von Autos und aus Leasing) höher als die in der Hauptversammlung 2022 für dieselben Jahre prognostizierten (2022: 46,672 Mio € gegenüber 45,429 Mio €; 2025: 75,656 Mio € gegenüber 59,091 Mio €) – die erwarteten Gewinne fallen jedoch weniger als halb so hoch aus (2022: 3,2 Mio € gegenüber 9,4 Mio €; 2025: 5,7 Mio € gegenüber 12,2 Mio €). Dies erstaunt umso mehr, als die im Jahr 2021 erstellte Planrechnung auf der Basis von nur drei Standorten der R. bei geplanter Erweiterung um 3 Standorte fußt, die im Jahr 2022 erstellte Planrechnung aber bereits von fünf Standorten – so die Antwort auf Fragen der Aktionäre in der Hauptversammlung 2022 – ausgeht (bei unverändert 44 Mitarbeitern und ebenfalls mit geplanter Erweiterung um 3 Standorte); trotz dieser Standortvermehrung geht die 2022 vorgelegte Planung von geringeren Umsätzen aus. All das findet keine Erklärung in den Schriftsätzen der Antragstellerin oder in der mündlichen Verhandlung. Auch der Vorstand setzt sich in seinem Bericht mit diesen offenkundigen Widersprüchlichkeiten nicht auseinander, obwohl er für sich in Anspruch nimmt, die Werte plausibilisiert zu haben.
38
An einer solchen Plausibilisierung fehlte es jedoch schon deshalb, weil es an jedweder Unterfütterung der Planzahlen mit Ist-Zahlen seitens des Vorstandes mangelte. Bloße Planzahlen stellen jedoch bloße Behauptungen dar, wenn sie nicht aus Ist-Zahlen nachvollziehbar abgeleitet werden. Auch das Aktienrecht geht von der Notwendigkeit einer Unterfütterung mit Ist-Zahlen aus. So verlangt das Gesetz im Rahmen einer Gründungsprüfung bei Einbringung eines Unternehmens in § 32 Abs. 2 Nr. 3 AktG die Angabe der Betriebserträge der letzten beiden Geschäftsjahre. Der Senat verkennt nicht, dass die Vorschrift keine unmittelbare Anwendung auf Kapitalerhöhungen findet; der Rechtsgedanke der Norm zeigt jedoch – was auch betriebswirtschaftlich zwingend erscheint –, dass bloße Planzahlen nicht genügen können. Dass der Vorstand aber über keine Ist-Zahlen verfügte, räumte er – so der Sachstand im vorliegenden Verfahren – in der Hauptverhandlung letztlich selbst ein, da er keinerlei Bilanzen vorlegen und auch sonst keine stichhaltigen Angaben zu Zahlen des zu erwerbenden Unternehmens machen konnte, sondern insoweit darauf verwies, dass entsprechende Informationen nicht vorlägen (vgl. Klageschrift des Antragsgegners zu 3, S. 20f., wonach der Vorstand in der Hauptversammlung auf entsprechende Frage erklärte, er habe die geprüften Jahresabschlüsse der Holdings und der R. noch nicht erhalten).
39
Im Freigabeverfahren wurden Bilanzen der R. Inc. für die Jahre 2019 bis 2021 vorgelegt (Anlagen A22-24). Vergleicht man die dort enthaltenen Angaben mit den Planzahlen aus der Hauptversammlung 2022, fällt auf, dass der tatsächlich realisierte Gewinn 2021 (knapp 5,4 Mio US$ ohne Abzug von Steuern) sich 2022 (ungefähr) verdoppeln müsste, um die in der Planrechnung angegebene Zahl für 2022 (10,8 Mio € ohne Abzug von Steuern) zu erreichen.
40
Des Weiteren wurden in der Hauptversammlung keinerlei Bilanzen zu den Holdings vorgelegt wurden (im Freigabeverfahren lediglich die Jahresrechnung 2022 für die A. AG, Anlage A32). Die Begründung, es komme doch nur auf die Planwerte der R. an, trifft jedenfalls nicht zu: eingebracht werden die Anteile an der Group AG. Ihre Werthaltigkeit ist zu beurteilen. Dass dafür wirtschaftlich allein die Bewertung der R. Inc. maßgeblich sei, weil diese das einzig werthaltige Asset sei, mag zutreffen, ändert aber an einem legitimen Interesse, das „Einlageobjekt“ zu kennen, nichts. Des Weiteren fehlen Informationen zu einer weiteren im schweizerischen Handelsregisterauszug der Group AG eingetragenen und nicht gelöschten Beteiligung (O.R. Holding Inc., vgl. Anlage A11). Im Freigabeverfahren blieb unwidersprochen, dass das Delisting der Group AG von der W. Börse auf eine Kündigung durch die Börse zurückzuführen ist, ferner dass die Aktie der Group AG dort zuletzt mit 0,10 € gehandelt wurde – nunmehr soll die Aktie ausweislich des Vorstandsberichts einen Wert von 1,37 € verkörpern.
41
Nur am Rande sei erwähnt, dass der Senat zur Kenntnis genommen hat, dass die Inferentin – die Ca. – weder Angaben zu dem von ihr gezahlten Kaufpreis für die nunmehr einzubringenden Aktien (aus der Angebotsunterlage nach dem WpÜG, Anlage MN3, S. 16, ist zu entnehmen, dass sie die Aktien auf der Basis einer Option erworben hat) noch Angaben zu Art und Ergebnis der Prüfung der Werthaltigkeit der Einlage gemacht hat, obwohl bei einem Investitionsvolumen in der streitgegenständlichen Größenordnung schwerlich vorstellbar ist, dass die Ca. die Investition ohne eine eigene Werthaltigkeitsprüfung vorgenommen hat.
42
2.2.2. Der Senat muss vor diesem Hintergrund zu den übrigen geltend gemachten Anfechtungsgründen nicht abschließend Stellung nehmen. Er verhehlt allerdings nicht, dass gerade mit Blick auf die aufgezeigten Unstimmigkeiten, die dem Vorstand bekannt waren oder zumindest sein mussten, erhebliche Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit des Vorstandsberichts zum Bezugsrechtsausschluss bestehen, da in diesem der Ausgabebetrag der Aktien zu erläutern ist, § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 AktG, und zwar in einer Weise, die der Hauptversammlung eine sachgerechte Entscheidung ermöglicht und gleichzeitig die Grundlage für eine gerichtliche Prüfung im Anfechtungsprozess bildet. Ebenfalls nur am Rande sei erwähnt: Der deutlich oberflächlichere Detaillierungsgrad dieses Berichts zum Bezugsrechtsausschluss im Vergleich zum entsprechenden Bericht für die Kapitalerhöhung 2021 fällt auf (vgl. Anlagen K1 und K4 zur Klageschrift der hiesigen Antragsgegner zu 3 und 4). Ferner erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Fragerecht der Aktionäre verletzt ist, wenn es der Vorstand unterlässt, Informationen für Antworten auf naheliegende Fragen einzuholen (oder die Verweigerung von Informationen mitzuteilen), zumal davon ausgegangen werden kann, dass dem Vorstand ähnliche Fragen in der Hauptversammlung am 08.01.2021 gestellt worden sind und er Grund zu der Annahme hatte, dass dieselben Fragen wieder gestellt würden.
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3. Die Freigabe ist schließlich nicht deshalb zu erteilen, weil das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint und die vom Antragsteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für die Antragsgegner überwiegen (§ 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG). Die Antragstellerin hat wesentliche Nachteile nicht hinreichend substantiiert dargelegt, jedenfalls nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
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Der Antragstellerin ist es nämlich nicht gelungen, wesentliche Nachteile für sie glaubhaft zu machen; im Übrigen ist ein Vollzugsinteresse nicht anzuerkennen (zu der Anforderung, Nachteile substantiiert vorzulegen und glaubhaft zu machen: Vatter in BeckOGK, AktG, § 246a AktG Rn. 33 [Stand: 01.06.2021]; Ehmann in Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 246a AktG Rn. 8). In diesem Fall kommt eine Freigabe – unabhängig von Darlegung und Gewicht der Nachteile für den Antragsgegner – nicht in Betracht (so schon Senat, Beschluss vom 14.12.2011 – 7 AktG 3/11, juris-Rn. 60; ebenso: Drescher in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl., § 246a Rn. 8b; wohl auch: Schäfer in MüKo AktG, 5. Aufl., § 246a AktG Rn. 26; ebenfalls grundsätzlich für das Erfordernis einer qualifizierten Darlegung und Glaubhaftmachung: KG, Beschluss vom 25.03.2021 – 12 AktG 1/21, juris-Rn. 64, allerdings bei gleichzeitiger Betonung des regelmäßigen Vorrangs der Interessen der antragstellenden Gesellschaft).
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Selbst wenn man von der Darlegung und Glaubhaftmachung von Nachteilen der Antragstellerin ausgehen wollte, hätten diese aufgrund der vorliegenden Umstände des Einzelfalls kein vorrangiges Gewicht gegenüber der drohenden wirtschaftlichen Verwässerung der Anteile der Minderheitsaktionäre von 90%. Im Einzelnen:
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3.1. Die Antragstellerin behauptet in der Antragsschrift, sie sei von Zahlungsunfähigkeit und damit von Insolvenz bedroht. Hintergrund ist, dass die Mutter- bzw. Großmuttergesellschaft sich bei der Antragstellerin mit einem Nachrangdarlehen über 400.000 € und eine bis zum 30.06.2023 befristeten Patronatserklärung engagiert. Insoweit bestehe – so der bestrittene Vortrag der Antragstellerin – „das ganz konkrete Risiko“ (Bl. 18 d.A.), dass die Mütter ihre finanzielle Unterstützung nicht über den zugesagten Zeitpunkt verlängerten. Dieser Vortrag, der sich keineswegs von selbst versteht – das Scheitern der versuchten Kapitalerhöhung 2021 wurde nicht zum Anlass genommen, sich zurückzuziehen –, wurde trotz Bestreitens nicht glaubhaft gemacht. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, die entsprechende Behauptung durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen zu untermauern. Dass es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelt, wie der Antragstellervertreter in der Sitzung ausführt, ist ebenso richtig wie unbehelflich, denn dieser Umstand hindert eine Glaubhaftmachung nicht. An der prozesstaktischen Entscheidung der Antragstellerin bzw. der die Kapitalerhöhung betreibenden Mehrheitsgesellschafterin, sich unternehmerisch gerade nicht durch eine eidesstattliche Versicherung binden zu wollen, müssen sich diese festhalten lassen.
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Es ist im Übrigen auch nicht naheliegend, zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf die Kapitalerhöhung zu verzichten und die Antragstellerin insolvent gehen zu lassen: Damit wäre das Nachrangdarlehen endgültig verloren. Sollte überdies das vom Registergericht auf Veranlassung der Antragstellerin beauftragte Werthaltigkeitsgutachten die Angaben der Antragstellerin bestätigen, wären damit wesentliche Einwendungen der Antragsgegnerseite entkräftet.
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3.2. Soweit die Kosten einer erneuten Vornahme der Hauptversammlung erwähnt wurden, kann auch dieser Aspekt in der vorliegenden Konstellation kein schutzwürdiges Vollzugsinteresse begründen.
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Der Senat nimmt zur Kenntnis, dass der Gesetzgeber die Kosten einer Wiederholung der Hauptversammlung im Freigabeverfahren grundsätzlich als berücksichtigungsfähig ansieht (BT-Drs. 16/13098, S. 42; mit beachtlichen Argumenten kritisch: Schatz in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 246a AktG Rn. 62; Schwab in K.Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 246a Rn. 30; ebenso: Ehmann in Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 246a AktG Rn. 8). Der Senat muss nicht vertiefen, ob dies auch denn gelten kann, wenn – was nach dem Sachstand im Freigabeverfahren naheliegt – die Aktionärsrechte nachhaltig und systematisch verkürzt worden sein sollten, indem ihnen sowohl im von Gesetzes wegen vorgeschriebenen Vorstandsbericht als auch im Rahmen der Beantwortung von Fragen in der Hauptverhandlung schlicht jedwede valide Information zu den Zielgesellschaften (den Holdings und der R.) vorenthalten wurden, ohne dass belastbar dargelegt wäre, dass und welche Anstrengungen der Vorstand unternommen hätte, entsprechende Informationen zu erhalten.
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Darauf kommt es letztlich nicht an: Vorliegend fehlt es bereits an Angaben zu den Kosten für eine erneute Hauptversammlung, die in die Abwägung eingestellt werden könnten. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass eine erneute Beschlussfassung – vorzugsweise nach Vorliegen des ohnehin in Auftrag gegebenen Werthaltigkeitsgutachtens – im Rahmen einer ohnehin zeitnah anstehenden Jahreshauptversammlung erfolgen könnte.
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Dasselbe gilt für die Kosten des Hauptsacheverfahrens. Auch hier sind Kosten weder benannt noch glaubhaft gemacht, zumal im Erfolgsfalle – nur dann ist die Antragstellerin schutzwürdig – ein Kostenerstattungsanspruch besteht und im Prozess grundsätzlich die hiesigen Antragsgegner die Darlegungs- und Beweislast für Anfechtungsgründe tragen. Im Übrigen können nicht kumulativ die Kosten für eine Wiederholung der Hauptversammlung und von Kosten des Hauptsacheverfahrens angesetzt werden.
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3.3. Schließlich fehlt es an einem schutzwürdigen Vollzugsinteresse, wenn die Kapitalerhöhung, so wie sie dem Senat zur Entscheidung unterbreitet wurde, nicht einmal in sich stimmig begründet ist.
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Zwar trifft im Ausgangspunkt zu, dass eine Kapitalgesellschaft im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung von Gesetzes wegen grundsätzlich (vorbehaltlich einer im Hauptsacheverfahren zu erörternden analogen Anwendung des § 52 AktG auf Sachkapitalerhöhungen nach Altmantelverwendung; instruktiv dazu: DNotI-Report, 2001, 45, 46f.) nicht gehalten ist, ein gerichtlich erholtes Wertgutachten vor dem Hauptversammlungsbeschluss einzuholen, sondern ein solches erst für die Eintragung der Kapitalerhöhung vorliegen muss (vgl. § 184 Abs. 2 iVm § 183 Abs. 3, § 33 Abs. 3 Satz 2 AktG). Da von Gesetzes wegen das Freigabeverfahren unterschiedslos auf alle Maßnahmen der Kapitalbeschaffung (§ 246a Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG) und damit auch auf die Sachkapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss Anwendung findet, kann man daraus ableiten, dass eine Freigabe grundsätzlich auch möglich ist, wenn noch kein Bericht der gerichtlich bestellten Prüfer vorliegt. Davon zu trennen ist die Frage, ob eine Freigabe – wie die Antragstellerin meint – auch möglich ist, wenn für die Werthaltigkeit der Sacheinlage, obwohl nachhaltig und substantiiert bezweifelt, keinerlei Belege, etwa in Form von Attesten von Wirtschaftsprüfern, vorgelegt werden. Im Falle der Sachkapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss droht den Aktionären nämlich eine dauerhafte Verwässerung ihrer Anteile, ohne dass sie durch ein (auf Kapitalerhöhungen nicht anwendbares) Spruchverfahren wirtschaftlich geschützt sind; auch Schadensersatzansprüche (§ 246a Abs. 4 AktG) dürften sich oftmals als unzulänglich erweisen. Der Senat muss diese Frage jedoch nicht entscheiden.
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Jedenfalls dann, wenn offenkundige und gravierende Widersprüche in den Angaben zur Bewertung auftreten und überdies jedwede stichhaltige Plausibilisierung unterlassen wurde, kann der Kapitalerhöhung kein schützenswertes Vollzugsinteresse zugebilligt werden. So liegt der Fall, wie gezeigt. Die Angaben zur Bewertung des Zielunternehmens schwanken erheblich, wie der Vergleich der Angaben im Januar 2021 und im August 2022 zeigen (Unternehmenswert von 40 Mio € zu 55 Mio €); die ohnehin nur prognostischen Angaben zu Umsatz und daraus abgeleitetem Gewinn sind nicht in Übereinstimmung zu bringen. Es fehlt jedwede Fundierung der Planzahlen durch Ist-Zahlen aus Vergangenheit und Gegenwart. Eine solche Fundierung ist nicht nur betriebswirtschaftlich geboten, sondern, wie oben gezeigt, auch im Aktienrecht selbst angelegt.
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Diese Unstimmigkeiten können nicht durch den Verweis der Antragstellerin auf die (bereits eingeleitete) Einholung eines Wertgutachtens durch das Registergericht überspielt werden. Zum einen ist Prüfungsmaßstab für den Senat das Vollzugsinteresse im Zeitpunkt seiner Entscheidung; zu diesem Zeitpunkt ergibt sich das Bild einer Kapitalerhöhung auf Basis widersprüchlicher Zahlen. Zum anderen ist nicht zu verkennen, dass die registergerichtliche Prüfung den Minderheitsaktionären zwar einen gewissen Schutz bietet, auch wenn sich dieser aus einem bloßen Rechtsreflex ergibt, denn die registergerichtliche Prüfung erfolgt im Interesse des Gläubigerschutzes, nicht der Aktionäre (Schürnbrand/Verse, MüKo AktG, 5. Aufl., § 183 Rn. 4). Dieser Schutz ist auch inhaltlich nicht vollständig gleichwertig mit dem Schutz der Aktionäre in einem Hauptsacheverfahren. Dies zeigt sich schon daran, dass das registergerichtliche Verfahren jenseits der Einholung des Werthaltigkeitsgutachtens nach § 183 Abs. 3 Satz 2 iVm § 33 Abs. 3 Satz 2 AktG die Beweisaufnahme in das Ermessen des Gerichts stellt (§§ 26, 29 FamFG) und gerade kein Beweisantragsrecht kennt, wie es das Zivilverfahrensrecht den Parteien zubilligt, das die Ablehnung von Anträgen (außerhalb des Anwendungsbereichs des § 287 ZPO) nur in Anlehnung an die Ablehnungsgründe in § 244 Abs. 3-5 StPO zulässt (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl., Vor § 284 Rn. 8b). Das Registergericht „kann“ die Eintragung ablehnen, § 184 Abs. 3 Satz 1 AktG, wenn der Wert der Sacheinlage nicht unwesentlich hinter dem geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien zurückbleibt; dies gibt dem Registergericht jedenfalls in der Praxis einen gewissen Spielraum, auch wenn die Vorschrift nach herrschender Auffassung dem Registergericht kein echtes Ermessen einräumt (im einzelnen streitig; vgl. etwa T. Busch/D. Busch in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 5. Aufl., Ordentliche Kapitalerhöhung gegen Einlagen, Rn. 44.112, die aufgrund der Schwierigkeit der Sacheinlageprüfung eine Plausibilitätsprüfung für erforderlich, aber auch ausreichend erachten; vgl. auch Servatius in BeckOGK AktG, § 183 Rn. 63 [Stand: 01.10.2022]; strenger: Koch, AktG, 16. Aufl., § 184 Rn. 6a mwN). Die Entscheidung des Registerrichters, die Eintragung vorzunehmen, ist unanfechtbar (Koch, AktG, 16. Aufl., § 181 Rn. 18 iVm § 184 Rn. 7; vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.1988 – II ZB 69/87, juris-Rn. 7). Vorliegend kommt hinzu, dass es die Aktionäre nicht in der Hand haben, darauf Einfluss zu nehmen, ob der – von der Antragstellerin vorgeschlagene und vom Gericht bestellte – Werthaltigkeitsprüfer den seitens der Antragsgegner aufgezeigten Anhaltspunkten für eine fehlerhafte Bewertung in der Tiefe nachgeht, wie dies die Aktionäre in einem Hauptsacheverfahren durch ihr Beweisantragsrecht, die Stellung von Ergänzungsfragen und die Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen (§ 411 Abs. 3 und 4 ZPO) erzwingen können. Dies gilt namentlich in Fällen, in dem sich die Bewertung, wie vorliegend, als äußerst komplex darstellt, da es – durch zwei (Holding-)Gesellschaften hindurch – um die Bewertung einer Gesellschaft mit Sitz in Utah geht. Solange offenkundige Unstimmigkeiten bei der Bewertung der Sacheinlage bestehen, für die keine plausible Erklärung vorliegt, kann den Minderheitsaktionären nicht angesonnen werden, sich auf dieses, nicht gleichwertig ausgestaltete Verfahren verweisen zu lassen.
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3.4. Demnach hat die Antragstellerin kein schutzwürdiges Vollzugsinteresse an der Eintragung der Kapitalerhöhung dargelegt bzw. glaubhaft gemacht.
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3.5. Selbst wenn man ein – dann aber nur geringes – Vollzugsinteresse an der nicht plausibilisierten Kapitalerhöhung annimmt, stehen diesem die Nachteile der Minderheitsaktionäre gegenüber. Diese müssen nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich eine Anteilsverwässerung von bis zu 90% fürchten, da unklar ist, ob und in welchem Umfang die Sacheinlage werthaltig ist. Der Sache nach wird ihr Anteil bei ungeklärten wirtschaftlichen Verhältnissen von knapp 25% auf unter 2,5% gedrückt; für die Antragstellerin sind sie damit faktisch kaum mehr existent. Dieser Nachteil ist aufgrund des Bezugsrechtsausschlusses dauerhaft. Richtig ist, dass es sich um Kleinaktionäre handelt. Dass aber der Wert ihrer Beteiligung faktisch 0 sei, kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil zum einen einem börsennotierten Mantel ein Wert zukommt, zum anderen weil der Börsenkurs der Aktie, mag sie auch wenig gehandelt worden sein, in der zweiten Jahreshälfte 2022 durchweg um 1 € schwankte (Anlage A34). Es mag sein, dass das geringere wirtschaftliche Interesse der Kleinaktionäre regelmäßig gegenüber dem Vollzugsinteresse der Gesellschaft und der übrigen Aktionäre zurücktreten muss. Es darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass auch ihr Aktienanteil an der Antragstellerin den verfassungsrechtlich verbürgten Schutz des Eigentumsrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) genießt; der – für die Abwägung zu unterstellende – Nachteil für ihr Eigentum und den darin verkörperten wirtschaftlichen Wert, mag er auch absolut gering sein, ist im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung jedenfalls mindestens gleichrangig, wenn nicht sogar vorrangig zu gewichten gegenüber einer nicht ansatzweise plausibilisierten, vielmehr auf sich widersprechenden Tatsachenangaben basierenden, nicht belastbar unterfütterten Sachkapitalerhöhung bei der Antragstellerin, der es auch im Übrigen nicht gelingt (vgl. die Ausführungen unter Ziff. 3.1 und 3.2), konkrete wirtschaftliche Nachteile ohne alsbaldigen Vollzug der Kapitalerhöhung ausreichend darzulegen und glaubhaft zu machen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.