Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 03.01.2023 – AN 17 E 22.50448
Titel:

Nachzug (abgelehnt) von mittlerweile 18-jährigem Asylbewerber in Griechenland zu Verwandtem (Onkel) in Deutschland, Keine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, Voraussetzungen des Sorgenkönnens gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO nicht glaubhaft gemacht

Normenketten:
VwGO § 123
Dublin III-VO Art. 8 Abs. 2
Dublin III-VO Art. 17 Abs. 2
Schlagworte:
Nachzug (abgelehnt) von mittlerweile 18-jährigem Asylbewerber in Griechenland zu Verwandtem (Onkel) in Deutschland, Keine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, Voraussetzungen des Sorgenkönnens gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO nicht glaubhaft gemacht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 652

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller im Ergebnis die Durchführung seines Asylverfahrens in Deutschland.
2
Der am ... August 2004 geborene Antragsteller, syrischer Staatsangehöriger, reiste am 5. Mai 2022 in Griechenland ein und stellte dort am 25. Mai 2022 einen Asylantrag. Der Antragsteller gab an, in Deutschland einen Onkel mütterlicherseits zu besitzen, den 1963 geborenen Herrn …, im Folgenden Onkel. Dieser habe in Deutschland zunächst internationalen Schutz erhalten, besitze aber seit dem 14. Oktober 2021 die deutsche Staatsbürgerschaft.
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Am 22. August 2022 richtete die griechische Dublin-Einheit auf Grundlage des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO ein den Antragsteller betreffendes Aufnahmegesuch an die Antragsgegnerin. Beigefügt waren u.a. ein Best Interests Assessment Form vom 22. Juli 2022, ein Written Consent des Antragstellers zur Familienzusammenführung vom 25. Mai 2022, ein Written Consent zur Familienzusammenführung des Onkels vom 8. August 2022, Kopien des Mietvertrages des Onkels, der Gewerbeummeldung des Onkels vom 19. November 2004, des Personalausweises des Onkels, ausgestellt am 14. Oktober 2021, Kopien des syrischen Ausweises des Antragstellers, des Familienbuches der Familie des Antragstellers und seiner Großeltern mütterlicherseits.
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Mit Schreiben vom 25. August 2022 lehnte die Antragsgegnerin das Aufnahmeersuchen der griechischen Behörden ab, da die Dublin III-VO aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Onkels nicht anwendbar sei.
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Am 14. September 2022 remonstrierten die griechischen Behörden unter Beifügung einer rechtlichen Stellungnahme der International Organization for Migration (IOM) vom 13. September 2022 gegen die Ablehnung des Aufnahmegesuchs und führten aus, dass die deutsche Staatsangehörigkeit des Onkels einer Anwendung von Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO nicht entgegenstehe.
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Mit Schreiben vom selben Tag lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme des Antragstellers unter Bezugnahme auf die bereits ergangene Ablehnung vom 25. August 2022 erneut ab und verwies zudem auf Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung.
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Am 28. September 2022 lehnte die Antragsgegnerin das Aufnahmegesuch nochmals unter Bezugnahme auf die Ablehnung vom 25. August 2022 ab.
8
Mit Schreiben vom 3. Oktober 2022 ersuchte die griechische Dublin-Unit die Antragsgegnerin erneut um nochmalige Überprüfung des Aufnahmegesuchs.
9
Der Bevollmächtigte des Antragstellers ersuchte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19. Oktober 2022 um die Annahme des Aufnahmegesuchs bis 4. November 2022.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 28. November 2022 stellte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Ansbach einen Antrag nach § 123 VwGO und führte u.a. aus, dass der Onkel einen Einzelhandel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen führe und in … mit seiner Ehefrau und seinem jüngsten Sohn (von insgesamt fünf Söhnen) in einem Einfamilienhaus mit unbefristetem Mietvertrag wohne. Die Mutter des Antragstellers und drei Schwestern würden noch in Syrien leben, der ältere Bruder in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Antragsteller und sein Onkel stünden sich sehr nahe und hätten wöchentlich Kontakt. Der Antragsteller habe Anspruch auf Durchführung seines Asylverfahrens in Deutschland gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, insbesondere sei der Antragsteller in dem nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung unbegleiteter Minderjähriger i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO gewesen. Es sei unschädlich, dass der Antragsteller mittlerweile volljährig geworden sei. Die Familienzusammenführung diene dem Kindeswohl. Auch sei der Onkel fähig für den Antragsteller Sorge zu tragen. Hierbei könne neben der umfassenden Übernahme der erzieherischen Verantwortung nur ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Fähigkeit zur Versorgung der minderjährigen Person vorausgesetzt werden. Insofern ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verlangt werde, sei in die Betrachtung einzustellen, dass dem Antragsteller bei einem Aufenthalt in Deutschland im Zweifel Sozialleistungen zustünden, die ihm in jedem Fall ein ausreichendes Einkommen garantieren. Die Inanspruchnahme solcher Leistungen stehe der Annahme, der im ersuchten Staat lebende Angehörige könne für den Minderjährigen sorgen, nicht entgegen, was aus dem primär humanitären Zweck der Vorschrift folge.
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Der Antragsteller beantragt die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium - Nationales Dublin-Referat für den Asylantrag des Antragstellers für zuständig zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt den Antrag abzulehnen und bezog sich zur Begründung auf die ablehnenden Stellungnahmen gegenüber den griechischen Behörden im Zusammenhang mit dem Aufnahmeersuchen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig (2), aber unbegründet (3). Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung hierüber zuständig (1).
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1. Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach ergibt sich hier aus § 52 Nr. 2 Satz 3, Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 5 VwGO, da sich der Antragsteller in Griechenland aufhält. Die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO: BVerwG, B.v. 2.7.2019 -1 AV 2/19 - juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO und auch § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO greift daher nicht, denn der Antragsteller hat weder i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO seinen Aufenthalt nach den Vorschriften des Asylgesetzes zu nehmen noch verfügt er über einen Wohnsitz im Bundesgebiet (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), weshalb für die örtliche Zuständigkeit nur die Auffangregelung des § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO in Betracht kommt. Danach ist dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der handelnden Behörde abzustellen. Im vorliegenden Fall ist dies das Bundesamt, das seinen Sitz in Nürnberg und mithin nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO im Bezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach hat (zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 6). Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
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2. Der Antrag, zu dessen Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Einzelrichterin berufen ist, ist zulässig.
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Insbesondere ist hinsichtlich des vorliegenden Begehrens der Antragsteller in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Erforderlich ist hierfür die Geltendmachung einer möglichen Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen eine Antragsbefugnis von Familienangehörigen, die aus einem anderen Mitgliedstaat in den zuständigen Staat überstellt werden, jedenfalls nicht ausdrücklich aus; dies legen die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO, Art. 47 GR-Charta sowie Art. 6 GG nahe (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 12). Es erscheint möglich, dass die dem Kindeswohl und dem Schutz der Familie dienenden Vorschriften, Art. 8, 16, 17 Abs. 2 Dublin III-VO, dem in Griechenland befindlichen Antragsteller ein subjektives Recht auf Überstellung nach Deutschland vermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 12 sowie VG Ansbach, B.v. 2.10.2019 - AN 18 E 19.50790, B.v. 26.11.2019 - AN 18 E 19.50958 - ju-ris Rn. 26, VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 21).
18
3. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
19
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 - 6 VR 3/13 - juris Rn. 5,7).
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dem Antragsteller ist es schon nicht gelungen, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.
22
a) Aus Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO ergibt sich vorliegend kein Anspruch auf Übernahme der Zuständigkeit gegen die Antragsgegnerin. Zwar erfolgte das Aufnahmegesuch Griechenlands fristgemäß, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1, 3 Dublin III-VO, so dass nicht bereits hieraus eine Zuständigkeit Griechenlands gegeben ist. Jedoch sind die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO nicht erfüllt. Ist der Antragsteller ein unbegleiteter Minderjähriger, Art. 2 lit. j Dublin III-VO, der einen Verwandten hat, Art. 2 lit. h Dublin III-VO, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, und wurde anhand einer Einzelfallprüfung festgestellt, dass der Verwandte für den Antragsteller sorgen kann, so führt dieser Mitgliedstaat den Minderjährigen und seine Verwandten zusammen und ist der zuständige Mitgliedstaat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient, Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO.
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Der Antragsteller ist ein unbegleiteter Minderjähriger, Art. 2 lit. j Dublin III-VO. Zwar ist der am … 2004 geborene Antragsteller mittlerweile volljährig geworden. Zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Asylantragstellung, § 7 Abs. 2 Dublin III-VO, in Griechenland am 25. Mai 2022 war er allerdings minderjährig (zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt hinsichtlich der Minderjährigkeit: EuGH, U.v.12.04.2018 - C-550/16 - juris Rn. 64, U.v. 1.8.2022 - C-19/21 - juris Rn. 25; VG Ansbach, Beschluss vom 13.08.2020 - AN 17 E 20.50216 - juris Rn. 30, B.v. 16.6.2020 - AN 17 E 20.50200 - juris Rn. 20). Der Antragsteller ist gemäß Art. 2 Buchst. j Dublin III-VO auch unbegleitet, da er nach seinen durch die Antragsgegnerin nicht widerlegten Angaben ohne Begleitung eines für ihn nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaates verantwortlichen Erwachsenen nach Griechenland eingereist ist und sich derzeit auch nicht in Obhut eines solchen Erwachsenen befindet. Der in Deutschland lebende Onkel des Antragstellers ist als Onkel mütterlicherseits des Antragstellers dessen Verwandter im Sinne der Art. 8 Abs. 2, Art. 2 lit. h Dublin III-VO. Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Antragsteller (Neffe) und seinem Onkel ist nach Überzeugung des Gerichts durch die vorgelegten Kopien des Familienbuchs der Familie des Antragstellers, seiner Großeltern mütterlicherseits und den Kopien des syrischen Ausweises des Antragstellers und des deutschen Personalausweises des Onkels hinreichend glaubhaft gemacht.
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Auch verfügt der Onkel als deutscher Staatsbürger über einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus in Deutschland. Anders als die Antragsgegnerin ausführt, ist Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO auch dann anwendbar, wenn es sich bei der in Deutschland lebenden Referenzperson um einen deutschen Staatsangehörigen handelt (vgl. Vogt/Mendez de Vigo, Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland und Familienzusammenführung durch die Dublin III-VO, JAmt 2019, 122). Die Auffassung der Antragsgegnerin, dass die Dublin III-VO nicht die Familienzusammenführung zu einem deutschen Staatsangehörigen umfasse, findet in der Verordnung keine Grundlage. Die Dublin III-VO regelt die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, Art. 1 Dublin III-VO. Es muss sich also nur bei dem Antragsteller um einen Drittstaatsangehörigen bzw. Staatenlosen handeln. Auch Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO fordert nicht die Drittstaatsangehörigkeit oder Staatenlosigkeit bzw. einen Zusammenhang mit erfolgter Asylantragstellung/Schutzgewährung der Referenzperson, zu der zugezogen werden soll. Im Gegensatz dazu ist anderer Stelle wie etwa bei Art. 9, 10 Dublin III-VO eine Asylantragstellung/Schutzgewährung der Referenzperson durchaus Anspruchsvoraussetzung. Diese Differenzierung in den verschiedenen Zuständigkeitsnormen lässt sich mit dem hohen Stellenwert des Kindeswohles bei unbegleiteten Minderjährigen erklären. Das Kriterium des rechtmäßigen Aufenthalts bei Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO wiederum dient dem Kindeswohl. Damit soll sichergestellt werden, dass der Aufenthalt des Familienangehörigen, zu dem zugezogen werden soll, jedenfalls von einiger Dauer gesichert ist. Ausgehend hiervon vermittelt die Staatsangehörigkeit die stärkste Form eines rechtmäßigen Aufenthaltes (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 17.8.2020 - AN 17 E 20.50269 - juris Rn. 8; VG Stuttgart, B.v. 14. August 2019 - A 3 K 2257/19 - juris Rn. 12; VG Münster, B.v. 2.9.2021 - 2 L 515/21.A; VG Berlin, B.v. 22.11.2021 - VG 23 L 689/21 A Ob die Zusammenführung dem Kindeswohl dient und ob dies nachzuweisen ist oder im Regelfall vermutet werden kann, kann offenbleiben, denn jedenfalls wurde die weitere Tatbestandsvoraussetzung des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, dass der Verwandte für den Antragsteller sorgen kann, nicht glaubhaft gemacht.
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Es ist gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO anhand einer Einzelfallprüfung festzustellen, ob der Verwandte (hier der Onkel) für den Antragsteller sorgen kann. Dies konnte der Antragsteller nicht glaubhaft machen. Die Fähigkeit zur Sorge muss positiv bejaht werden (vgl. OVG Bremen, B.v. 7.10.2019 - 1 LA 213/19 - juris Rn. 15; Vogt/Méndez de Vigo, JAmt 2019, 122, 125: keine Regelvermutung). Zwar kann es, dies ist dem Antragsteller zuzugestehen, nicht zu Lasten des Antragstellers gehen, wenn das Bundesamt, wie hier vorliegend, die erforderliche Einzelfallprüfung unterlässt, weshalb das Vorliegen dieser Voraussetzung noch im Gerichtsverfahren glaubhaft gemacht werden kann. Hieran fehlt es jedoch. Der Begriff des „Sorgens“ gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO ist in der Verordnung nicht näher definiert, jedenfalls ist davon die Personensorge im Sinne des § 1631 Abs. 1 BGB umfasst, also die Pflicht (und das Recht), das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen (vgl. Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 13. Ed. 5.10.2022, Art. 8 Dublin III-VO Rn. 17) . Mit „Pflege“ sind auch die Unterbringung, die Verpflegung, Bekleidung und die Gesundheitssorge gemeint (vgl. Veit in Hau/Poseck, BeckOK BGB, 63. Ed. 1.5.2022, § 1631 Rn. 3). Neben einer Verantwortungsbereitschaft und -fähigkeit auf Seiten des Verwandten werden daher auch entsprechende materielle und finanzielle Mittel des Verwandten vorausgesetzt (vgl. OVG Bremen, B.v. 7.10.2019 - 1 LA 213/19 - juris Rn. 15).
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Hinsichtlich des Aspektes der Unterbringung ist das Vorhandensein von Wohnraum glaubhaft zu machen, der wenigstens bestimmten Mindestanforderungen unter dem Aspekt des Kindeswohls genügen muss; es darf insbesondere nicht zu einer sozialunverträglichen Überbelegung von Wohnraum kommen (vgl. VG Freiburg, B.v. 5.2.2020 - A 13 K 4642/19 - juris Rn. 29).
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Im Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des aufnehmenden Verwandten, die zumindest für die Dauer des Asylverfahrens gegeben sein muss, wird zum Teil vertreten, dass Ansprüche des Minderjährigen auf Sozialleistungen zu berücksichtigen sind (vgl. VG Freiburg, B.v. 5.2.2020 - A 13 K 4642/19 - juris Rn. 29, VG Bremen, B.v. 7.2.2020 - 5 V 2557/19 - juris Rn. 36; Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 13. Ed. 5.10.2022, Art. 8 Dublin III-VO Rn. 17). Diese Ansicht wird vom Gericht nicht geteilt (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 18.12.2020 - AN 17 E 20.50359 - juris). Zwar dient die Vorschrift des Art. 8 Dublin III-VO dem Kindeswohl, jedoch wird sehr wohl differenziert, ob eine Zusammenführung zu Familienangehörigen oder Geschwistern des unbegleitet Minderjährigen erfolgt, Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO, oder ob es sich „nur“ um Verwandte handelt, Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO. Während bei ersteren die Tatbestandsvoraussetzung des „Sorgenkönnen“ nicht existiert, verlangt Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO bei Verwandten ausdrücklich ein im Einzelfall festzustellendes Sorgenkönnen. Weiter ist widersprüchlich hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des aufnehmenden Verwandten auf die möglichen Sozialleistungen des Antragstellers zu verweisen, andererseits aber ausreichend Wohnraum zu fordern, den dann der Verwandte aber nachweisen soll (vgl. VG Freiburg, B.v. 5.2.2020 - A 13 K 4642/19 - juris Rn. 29, 36).
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Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift besteht kein Raum, denn der Verordnungsgeber hat trotz seines erklärten Ziels, die subjektiven Rechte der Asylsuchenden und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Rechte von Familien und unbegleiteten Minderjähriger mit der Dublin III-VO stärker zu schützen, dennoch die Tatbestandsvoraussetzung des Sorgenkönnens in Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO aufgenommen. Er hat damit klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Familienzusammenführung zu Verwandten, Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, von weiteren Tatbestandsvoraussetzungen abhängt. Der bloße Hinweis auf den humanitären Gedanken des Art. 8 Dublin III-VO wird dem Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO nicht gerecht, denn folgt man dieser Ansicht, hätte es der Aufnahme des Tatbestandsmerkmals des „Sorgenkönnen“ gar nicht bedurft. Auch der Umstand, dass sowohl Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO als auch Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO auf den rechtmäßigen Aufenthalt des Familienangehörigen/Verwandten abstellen, stützt die hier vertretene Meinung, dass der Aspekt Kindeswohl/Familienzusammenführung allein zur Bejahung des Art. 8 Dublin III-VO nicht ausreicht, sondern durchaus noch weitere Voraussetzungen vorliegen müssen, an denen die Familienzusammenführung auch scheitern kann. Im Übrigen ist auch die Fristenregelung in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO aufgrund des eindeutigen Wortlauts dieser Vorschrift nach überzeugender Meinung auch zu Lasten des Antragstellers zu berücksichtigen (s. hierzu im einzelnen VG Ansbach, B.v. 10.7.2019 - AN 18 E 19.50571 - juris, B.v. 19.7.2019 - AN 18 K 19.50355), was ebenso zeigt, dass bei Anwendung der Art. 8 ff. Dublin III-VO der Aspekt Kindeswohl/Familienzusammenführung nicht allein maßgeblich ist. Zwar sind die Aspekte Kindeswohl, Achtung des Familienlebens und Familieneinheit vorrangige Erwägungen der Dublin III-VO, wie sich aus den Erwägungsgründen 13 bis 17 entnehmen lässt. Dies bedeutet aber nicht, dass diesen Erwägungen im Konfliktfall stets über den Wortlaut der Verordnung hinaus der Vorrang einzuräumen wäre, zumal der Verordnungsgeber für solche Konfliktfälle gerade die Regelung des Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO vorgesehen hat, so dass auch kein Bedürfnis für eine solche eingeschränkte Anwendung des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO besteht. Durch die humanitäre Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, der letztlich die Umsetzung des Erwägungsgrundes 17 der Dublin III-VO ist, wird sichergestellt, dass atypischen Fällen und insbesondere den Kindeswohlbelangen sowie dem Aspekt Familienzusammenführung hinreichend Rechnung getragen wird. Das dem ersuchten Mitgliedstaat im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zustehende Ermessen kann sich im Einzelfall derart zu einem Anspruch des Einzelnen verdichten, dass die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, sich für die Bearbeitung der Asylanträge der Antragsteller für zuständig zu erklären (sog. Ermessensreduzierung auf Null).
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Die mit der Antragsschrift vorgelegten untergerichtlichen Entscheidungen ändern an der Auffassung des Gerichts nichts. In der Entscheidung des VG Magdeburg (B.v. 11.5.2020 - 4 B 227/20 MD) wird schon gar nicht dargelegt, warum Sozialleistungen einzubeziehen sind, bei der Entscheidung des VG Gelsenkirchen wiederum prüft das Gericht in dem antragstellerseits zitierten Beschluss vom 19. April 2021 (18a L 459/21.A) sehr wohl, ob eine hinreichende wirtschaftliche Grundlage zur Übernahme der Sorge vorliegt, ohne auf den möglichen Bezug von Sozialleistungen abzustellen. Nichts anderes gilt hinsichtlich der weiteren vorgelegten Beschlüsse (VG Münster, B.v. 2.9.2021 - 2 L 515/21.A; VG Berlin, B.v. 22.11.2021 - VG 23 L 689/21.A).
30
Nach alledem wurde das Sorgenkönnen hier nicht glaubhaft gemacht, insbesondere reicht die vorgelegte Gewerbeummeldung keinesfalls hierfür aus. Es ist Sache des Antragstellers die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit glaubhaft zu machen. Die vorgelegte Gewerbeummeldung des Onkels aus 2004 genügt hierfür nicht. Selbst wenn man unterstellt, dass der Onkel immer noch einen Handel mit Gebrauchtwagen betreibt, was aufgrund des Alters der Gewerbeummeldung, die aus 2004 datiert, nicht offensichtlich ist, so ist damit in keinster Weise dargelegt, ob der Onkel über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, um für den Antragsteller zu sorgen. Erforderlich sind materielle Nachweise“ wie Angaben zur finanziellen Lage und Berufstätigkeit (so auch: VG Freiburg, B.v. 5.2.2020 - A 13 K 4642/19 - juris Rn. 29 mit Verweis auf das Standardblatt für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten nach Anhang VIII der Dublin III-VO), an denen es hier fehlt. Zwar gilt auch im einstweiligen Rechtsschutz der Amtsermittlungsgrundsatz und ist eine Beweiserhebung grundsätzlich, soweit es die Eilbedürftigkeit zulässt, zulässig, gleichwohl steht es im Ermessen des Gerichts, ob und welche Beweismittel es erhebt (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 123 Rn. 24, 32). Denn umgekehrt kommt gerade im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den Mitwirkungspflichten des Antragstellers eine besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2001 - 10 ZE 01.320 - NVwZ-RR 2001, 477). Auch ist das Gericht im Eilverfahren grundsätzlich nicht zu weiteren Ermittlungen und Hinweisen verpflichtet, mit Blick auf die Eilbedürftigkeit ergeht die Entscheidung aufgrund der innerhalb angemessener Zeit verfügbaren präsenten Beweismittel und von glaubhaft gemachten Tatsachen (vgl. HessVGH, B.v. 18.9.2015 - 3 B 1518/15 - NVwZ 2016, 88 Rn. 3; Kuhla in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 63. Ed. 1.7.2022, § 123 Rn. 68).
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Da die Antragsgegnerin das Übernahmeersuchen vom 22. August 2022 rechtzeitig innerhalb von zwei Monaten und zwar bereits am 25. August 2022 beantwortet hat, wurde sie auch nicht aufgrund der Regelung des Art. 22 Abs. 7, 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig.
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Unschädlich ist, dass die Antragsgegnerin das erneute Schreiben der griechischen Behörden vom 3. Oktober 2022 nicht mehr beantwortet hat. Einer Antwort bedurfte es nicht. Das erste Remonstrationsschreiben der griechischen Behörden vom 14. September 2022 beantwortete die Antragsgegnerin fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Antwortfrist, Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-Durchführungsverordnung, so dass das Remonstrationsverfahren damit abgeschlossen war. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes schließt der Ablauf der Frist des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Durchführungsverordnung das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung (Remonstrationsverfahren) endgültig ab und zwar unabhängig davon, ob der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb dieser Frist auf das Ersuchen um neuerliche Prüfung geantwortet hat oder nicht, so dass der ersuchende Staat nach Ablauf dieser Frist als für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig anzusehen ist, es sei denn ihm steht noch die für die Stellung eines erneuten Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme innerhalb der dazu in Art. 21 Abs. 1 bzw. Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen zwingenden Fristen erforderliche Zeit zur Verfügung (vgl. EuGH, U.v. 13.11.2018 - C-47/17, C-48/17 - juris Rn. 86 ff.). Die Ablehnung des Aufnahmegesuchs erfolgte auch nicht rechtswidrig (vgl. zu solchen Konstellationen: VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 - AN 17 E 20.50216 - juris), sondern war gerade rechtmäßig.
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b) Ein Anspruch auf Zuständigkeitsübernahme folgt nicht aus Art. 16 Dublin III-VO, denn Onkel und Neffe unterfallen schon nicht dem mit dieser Vorschrift geschützten Personenkreis.
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c) Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich auch nicht aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO.
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Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO kann derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betreffenden Personen müssen dem schriftlich zustimmen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO.
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Unschädlich ist, dass kein explizit auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an die Bundesrepublik Deutschland vorliegt. Auch ist noch keine Erstentscheidung über den Asylantrag des Antragstellers in Griechenland gemäß Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ergangen und es liegt die schriftliche Zustimmung des Antragstellers und seines Onkels nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO vor. Der Antragsteller und sein Onkel sind, wie bereits ausgeführt, auch verwandt.
37
Es ist indes zweifelhaft, ob das bloße Vorliegen der verwandtschaftlichen Beziehung zwischen Neffe und Onkel bereits als humanitärer Grund i.S.d. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gesehen werden kann oder ob es nicht vielmehr hierfür eines besonderen Nähe- oder Abhängigkeitsverhältnisses bedarf wie es regelmäßig etwa zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern besteht (vgl. im Einzelnen: VG Ansbach, B.v. 2. Juli 2019 - AN 18 E 19.50571, AN 18 E 19.50573 - juris). Doch selbst bei Bejahung eines humanitären Grundes sind die persönlichen Umstände des Antragstellers gleichwohl nicht ausreichend, um das im Hinblick auf eine Zuständigerklärung der Antragsgegnerin bestehende weite Ermessen (so zur Vorgängernorm: EuGH, U.v. 6. 11. 2012 - C-245/11 - NVwZ-RR 2013, 69 Rn. 27) zugunsten des Antragstellers auf Null zu reduzieren.
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Dieses hat die Antragsgegnerin nicht pflichtgemäß ausgeübt, da in allen ablehnenden Entscheidungen der Antragsgegnerin und auch im Gerichtsverfahren keine (brauchbaren) Erwägungen zu Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO angestellt wurden. Jedoch führt ein Antrag nach § 123 VwGO, hier in Form einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, nicht schon dann zum Erfolg, wenn ein Ermessensfehler der Behörde vorliegt, sondern nach überzeugender Ansicht erst und nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null glaubhaft gemacht wird (BayVGH, B.v. 3.6.2002 - 7 CE 02.637 - NVwZ-RR 2002, 839). Dies glaubhaft zu machen gelingt dem Antragsteller hier nicht.
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Während also bereits die Existenz eines - unter welchen Gesichtspunkten auch immer anzuerkennenden - humanitären Grundes den Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO eröffnet, sind an eine Reduktion des in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden behördlichen Ermessens erhöhte Anforderungen zu stellen. Es müssen in Bezug auf den minderjährigen Antragsteller über das bloße Interesse an der Familienzusammenführung hinausgehende Umstände vorliegen, welche ausnahmsweise die Annahme eines Härtefalls begründen und jede andere Entscheidung unvertretbar erscheinen lassen. Eine derartige Ermessensreduktion kann nach der Konzeption der Vorschrift nur in besonders gelagerten Fallkonstellationen in Betracht kommen. Dafür reicht die Existenz eines humanitären Grundes noch nicht aus. Zu fordern ist namentlich eine besondere Verdichtung von humanitären Umständen, die unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls einen Härtefall begründen können, der jede andere Entscheidung unvertretbar erscheinen lässt (vgl. VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 32; ähnlich zu Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO BayVGH, U.v. 3.12.2015 - 13a B 15.50124 - juris Rn. 22).
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Überdies ist im Rahmen des Ermessens auch dem Charakter des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO als Auffangvorschrift Rechnung zu tragen. Der Verordnungsgeber hat im Interesse eines geordneten und funktionsfähigen Asylsystems mit der Dublin III-VO ein System zur schnellen und klaren Zuweisung von Zuständigkeiten geschaffen und bereits innerhalb dieses Zuweisungssystems der Einhaltung grundrechtlicher Belange Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund soll Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in erster Linie Härtefälle erfassen, bei denen, würde man dem Interesse an der Zuständigkeit den Vorrang einräumen, grundrechtliche Positionen des Antragstellers in nicht gerechtfertigter Weise beeinträchtigt wären. Dem ist hier aber nicht so. Insbesondere können weder die verwandtschaftlichen Beziehungen noch der Umstand der jedenfalls zum Zeitpunkt der Asylantragstellung und des Übernahmeersuchens vorliegenden Minderjährigkeit des Antragstellers für sich alleine zur Begründung eines Härtefalls herangezogen werden. So stellt etwa die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Rahmen der - hier gleichermaßen einschlägigen - Prüfung des Kindeswohls auf verschiedene Faktoren ab, die dann jeweils die Annahme einer höheren bzw. niedrigeren Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen rechtfertigen. Herangezogen werden u.a. das Alter des Kindes, die Bindungen des Kindes zu seinen Familienmitgliedern im Herkunftsstaat sowie der Umstand, dass das Kind unabhängig von seiner Familie eingereist ist (vgl. EGMR, U.v. 30.7.2013 - Nr. 948/12 - BeckRS 2014, 80974 Rn. 56 [engl.]). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Schutzwürdigkeit eines minderjährigen Kindes aufgrund seines Lebensalters sowie die Frage, wie lange dieses in einem anderen Staat als seine Familienangehörigen gelebt hat, zu werten, wobei der EuGH in diesem Zusammenhang eine Altersgrenze von zwölf Jahren gebilligt hat (EuGH, U.v. 27.6.2006 - C-540/03 - NVwZ 2006, 1033 Rn. 73-75, allerdings zur Familienzusammenführungs-RL 2003/86/EG).
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Diesen Maßstab zugrunde gelegt kann für den Antragsteller nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ausgegangen werden. Der Antragsteller war zum Zeitpunkt der Asylantragstellung und auch zum Zeitpunkt der Stellung des Übernahmegesuchs Griechenlands an Deutschland am 22. August 2022 17 Jahre alt, heute ist er bereits 18 Jahre alt. Die sog. Versteinerungsklausel des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO greift nicht. Die Vorschrift betrifft - wie sich bereits aus ihrem Wortlaut ergibt „Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaates…“ - die Zuständigkeitsregelungen des Kapitels III der Dublin III-VO. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ist wiederum in Kapitel IV der Dublin III-VO angesiedelt. Auch aus der Regelungssystematik der besonderen Zuständigkeitskriterien, die gerade entweder ausdrücklich an einen anderen maßgeblichen Zeitpunkt anknüpfen (so etwa bei Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist) oder auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Mitgliedsstaats abstellen (so etwa das sog. Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1) ergibt sich, dass die besonderen Zuständigkeitsvorschriften außerhalb des Kapitels III von der Vorschrift nicht umfasst sind, es sei denn, es ist ausdrücklich geregelt (vgl. Thomann in BeckOK, Dublin III-VO, 13. Ed. 15.10.22, Art. 7 Rn. 3). Somit ist der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Griechenland für die Frage des Alters des Antragstellers nicht relevant. Offenbleiben kann, ob stattdessen auf das Alter des Antragstellers zum Zeitpunkt des Übernahmeersuchens (17 Jahre alt) oder zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) - 18 Jahre alt - abzustellen ist.
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Egal, ob man auf ein Alter von 17 oder 18 Jahren abstellt, ist der Antragsteller aufgrund seines Alters nicht mehr in besonderem Maße schutzwürdig. Zu bedenken ist auch, dass hier der Nachzug zu seinem Onkel mütterlicherseits begehrt wird, also nicht zu einem Familienmitglied im engeren Sinne, wo eine enge Verbundenheit eher anzunehmen ist. Zudem befindet sich der Onkel nach Antragstellerangaben seit rund 30 Jahren in Deutschland. Zwar habe er sich auch von Deutschland aus um seine im Heimatland verbliebene Schwester und deren Familie gekümmert, habe mit ihnen telefoniert und Geld geschickt. Nach Angaben des Antragstellers hätten auch Besuche des Onkels in Syrien stattgefunden bzw. habe jedenfalls ein Besuch in Syrien stattgefunden als er der Antragsteller noch ein kleines Kind gewesen sei. Diesbezüglich wurden auf Fotos vorgelegt. Derzeit bestehe einmal in der Woche telefonischer Kontakt bzw. Kontakt per Videoanruf. Diesen Vortrag zugrundegelegt mag das Verhältnis zwischen Antragsteller und Onkel gut sein, besteht und bestand aber nur auf räumliche Distanz.
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Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Antragsteller seine Flucht ohne Begleitung durch Familienangehörige gemeistert hat und von der Psychologin im Best Interest Assessment Form als erwachsen, kooperativ, intelligent, freundlich und ehrgeizig beschrieben wird. Wenn der Antragsteller ausführt, dass er in Griechenland keine Freunde gefunden habe, er nicht wisse, wie man alleine lebe, er allein an Deutschstunden Interesse habe und den Rest seiner Zeit damit verbringe mit seiner Familie zu sprechen sowie außerdem nicht mit Fremden in einer Asylunterkunft leben wolle und Angst habe, so ist dies nach Überzeugung des Gerichts vor allem dem Umstand geschuldet, dass der Antragsteller sich angesichts seiner Erwartung, nach Deutschland zu seinem Onkel überstellt zu werden, noch nicht darum bemüht hat, in Griechenland Fuß zu fassen und sich den Herausforderungen vor Ort zu stellen. Überdies schreibt auch die Psychologin im Best Interest Assessment Form, dass die Angst des Antragstellers an seiner unsicheren rechtlichen Lage liege.
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Nicht zuletzt dient Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht dazu, in einem Mitgliedstaat etwaig bestehende systemische Mängel auszugleichen. Der humanitären Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO kommt, wie bereits ausgeführt, nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers, wie es sich auch aus dem 17. Erwägungsgrund ergibt, die Aufgabe zu, Familienangehörige zusammenzuführen, obwohl sie bei strenger Anwendung der Kriterien getrennt würden (so ausdrücklich Bericht der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems vom 6. Juni 2007, KOM/2007/0299 endg. 2.3.1 - juris), hat also eine andere Zielrichtung.
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Eine Ermessensreduktion auf Null ist vorliegend nach alledem nicht gegeben. Dass die Hoffnung bestanden hat, bald mit dem Onkel in Deutschland zusammengeführt zu werden, ändert hieran nichts. Dem Antragsteller kann die Trennung von seinem Onkel weiter zugemutet werden.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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5. Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 80 AsylG.