Titel:
Zur leistungsbefreienden Wirkung der Regulierung des KFZ-Haftpflichtversicherers gegenüber dem Besitzer/Leasingnehmer nach § 851 BGB
Normenketten:
BGB § 851 , § 932 Abs. 2
ZPO § 138 Abs. 2, Abs. 4
Leitsätze:
1. Zur leistungsbefreienden Wirkung der Regulierung des KFZ-Haftpflichtversicherers gegenüber dem Besitzer/Leasingnehmer nach § 851 BGB: (Rn. 77 – 96)
2. Der Anwendungsbereich des § 851 BGB ist nicht eröffnet, wenn die Leistung an einen Berechtigten erfolgt. (Rn. 79)
3. Der Begriff der Gutgläubigkeit (Kenntnis vom Recht des Dritten bzw. Unkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit) des § 851 BGB ist inhaltlich mit dem des § 932 Abs. 2 BGB (gutgläubiger Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten) identisch. (Rn. 84)
4. Für eine gutgläubige Regulierung i.S.d. § 851 BGB ist der KFZ-Haftpflichtversicherer nicht gehalten, vom Anspruchsteller die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II zu verlangen. (Rn. 91)
5. Zur Vermeidung des Vorwurfs grob fahrlässiger Unkenntnis des Eigentums am beschädigten Fahrzeug ist der KFZ-Haftpflichtversicherer auch ohne erkennbare Anhaltspunkte gegen die Eigentümerstellung des Besitzers am unfallbeschädigten Fahrzeug gehalten, diesen zu einer eindeutigen Erklärung über die Eigentumsverhältnisse aufzufordern. (Rn. 94)
Schlagworte:
Kfz-Haftpflichtversicherung, gutgläubige Regulierung, leistungsbefreiende Wirkung, Besitzer, Eigentumsnachweis, grobe Fahrlässigkeit
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 11.06.2024 – 14 U 203/23
Fundstellen:
LSK 2023, 645
BeckRS 2023, 645
r+s 2023, 541
ZfS 2023, 319
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.333,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.10.2021 sowie weitere 1.021,00 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.11.2021 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 17.333,56 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
2
Die Klägerin betreibt ein Fahrzeug-Leasingunternehmen. Die Beklagte ist ein Kfz-Haftpflichtversicherer, bei der am 07.05.2021 das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … haftpflichtversichert war.
3
Die Beklagte regulierte mit Abrechnungsschreiben vom 10.06.2021 (Anlage K2) auf Betreiben einer (nicht von der Klägerin beauftragten) Anwaltskanzlei zugunsten einer Fa. R GmbH für einen „Schaden vom 07.05.2021“ an dem Fahrzeug BMW mit dem amtlichen Kennzeichen YYY (im Folgenden: Fahrzeug) einschließlich Rechtsanwaltsgebühren einen Gesamtbetrag in Höhe von 17.888,05 € (Reparaturkosten 13.143,50 €; Wertminderung 1550 €; Kostenpauschale 20,00 €; Sachverständigenkosten 2.153,55 € Rechtsanwaltsgebühren 1.021,00 €). Mit Schreiben vom 30.06.2022 regulierte die Beklagte eine Nachzahlung auf Reparaturkosten in Höhe von 1.878,51 € und auf die Wertminderung in Höhe von 741,55 €, sowie weitere vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 67,60 €. Mit Schreiben vom 21.10.2021 (Anlage K4) wies die Beklagte die sodann von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche in der streitgegenständlichen Höhe zurück.
4
Die Klägerin behauptet, am 07.05.2021 Eigentümerin des beschädigten Fahrzeugs gewesen zu sein. Für das Fahrzeug habe zu dieser Zeit mit einer Firma R GmbH i.Gr. ein Leasingvertrag bestanden. Das Fahrzeug sei am 07.05.2021 in der Kstraße in Nürnberg ordnungsgemäß geparkt gewesen und durch ein bei der Beklagten kfz-haftpflichtversichertes Fahrzeug beschädigt worden; es habe sich hierbei nicht um einen vorgetäuschten Verkehrsunfall gehandelt.
5
Die Klägerin ist der Ansicht, als Eigentümerin Anspruch auf Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von 13.143,50 € sowie weiterer 1.878,51 € („Nachzahlung“), einer Wertminderung in Höhe von 1.550 € sowie weiterer 741,55 € („Nachzahlung“) und einer Kostenpauschale in Höhe von 20 € zu haben. Durch die Regulierung gegenüber der nicht existenten Firma R GmbH seien die Schadensersatzansprüche der Klägerin als Eigentümerin nicht erloschen; die Beklagte habe grob fahrlässig die ihr gegenüber für eine nicht existente Firma geltend gemachten Ansprüche nicht auf deren Berechtigung geprüft. Sie hätte dabei feststellen müssen, dass die Firma R GmbH (noch) nicht existierte. Zudem sei - insoweit unstreitig - im vorgelegten Schadensgutachten die Vorderseite der Zulassungsbescheinigung Teil I derart auffällig abfotografiert worden, dass die Eintragung der Klägerin nicht erkennbar war. Die abfotografierte Rückseite stamme hingegen - insoweit ebenfalls unstreitig - von einem anderen Fahrzeug. Nach dem Leasingvertrag habe der Klägerin ein Wahlrecht zugestanden, eine Schadensabwicklung im eigenen Namen oder aber durch den Leasingnehmer vorzunehmen, letzterenfalls jedoch mit Zahlung an die Klägerin. Dieses Wahlrecht habe die Klägerin nicht - schon gar nicht zugunsten ihres Leasingnehmers - ausgeübt.
6
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.333,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.05.2021 sowie weitere 1.021,00 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
8
Die Beklagte bestreitet das Eigentum der Klägerin und das Bestehen eines Leasingvertrages am Schadenstag. Den Schadenshergang bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen. Es stehe eine Unfallmanipulation im Raum. Jedenfalls aber sei die Beklagte durch die bereits erfolgte Regulierung auch gegenüber der Klägerin leistungsfrei geworden, da die Klägerin ihrer Leasingnehmerin gegenüber die Zustimmung dazu erteilt habe, etwaige Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Zudem habe die Klägerin als Eigentümerin mit ihre Leasingnehmerin im Verhältnis zu einem Schadenersatzschuldner eine Gesamtgläubigerschaft nach § 428 BGB gebildet, sodass die Beklagte mit schuldbefreiender Wirkung an die Leasingnehmerin habe leisten können. Schließlich bestreitet die Beklagte die Höhe des geltend gemachten Schadens.
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Es wurde Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen G. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2022 (Gerichtsakte S. 117 ff.) Bezug genommen. Die auf Antrag der Klägerin beigezogene polizeiliche „Auskunft bei Verkehrsunfällen im Kurzaufnahmeverfahren“ (Gerichtsakte S. 39) war Gegenstand der mündlichen Verhandlung (Protokoll vom 24.03.2022 S. 2; Gerichtsakte S. 59). Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das weitere Verhandlungsprotokoll vom 24.03.2022 (Gerichtsakte S. 58 ff.) Bezug genommen.
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Die Beklagte hat der Leasingnehmerin sowie dem im Rahmen der Schadensregulierung durch diese beauftragten Sachverständigen den Streit verkündet. Ein Streitbeitritt ist nicht erfolgt.
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Die Klage ist der Beklagten am 18.11.2021 zugestellt worden.
Entscheidungsgründe
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A. Die zulässige Klage ist nahezu vollumfänglich begründet.
13
I. Dass die Klägerin am Schadenstag Eigentümerin des Fahrzeugs war und für dieses ein Leasingvertrag mit einer Firma R GmbH i.Gr. bestand, hat die Klägerin durch Vorlage entsprechender Unterlagen (insbesondere Ankaufsrechnung der Klägerin vom 05.05.2021, Anlage K5 und Leasingvertrag samt Annahme durch die Klägerin, Anlagen K8 und K9) zur hinreichenden Überzeugung des Vorsitzenden nachgewiesen (§ 286 ZPO; vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 21.01.2008, 25 U 220/04 - juris). Zudem hat der Zeuge G bestätigt, dass er bzw. seine Firma für das besagte Fahrzeug als Leasingnehmer aufgetreten ist und die entsprechenden Unterschriften geleistet hat.
14
Explizit und unstreitig stützt die Klägerin ihre Schadensersatzansprüche auf die Verletzung ihres Eigentums am Fahrzeug (am Unfalltag). Die Klägerin ist damit als Anspruchsinhaberin ohne weiteres sach- bzw. aktivlegitimiert (vgl. BGH, Zwischenurt. v. 29. August 2012 - XII ZR 154/09 -, juris Rn. 18).
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II. Der Klägerin steht gegen den Halter und Fahrer des unstreitig bei der Beklagten zum Unfallzeitpunkt versicherten Fahrzeugs mit dem Kennzeichen … ein Schadensersatzanspruch zu (§ 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG), den sie nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG unmittelbar gegenüber der Beklagten als dessen Haftpflichtversicherer geltend machen kann.
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1. Die Unfallbeteiligung eines bei der Beklagten nach § 1 PflVG haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges ist notwendige Voraussetzung für den gegen die Beklagte geltend gemachten Direktanspruch; sie steht zur Beweislast des Anspruchstellers, also der Klägerin (BGH, Urt. v. 23.07.2019 - VI ZR 337/18, r+s 2019, 602 Rn. 7 f.).
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Dass das - nachgewiesen - im Eigentum der Klägerin stehende Fahrzeug durch ein bei der Beklagten versichertes Fahrzeug beschädigt wurde, stellt die Beklagte letztlich nicht in Frage.
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Selbst wenn man jedoch den Beklagtenvortrag („Eine Verursachung eines Unfallschadens unter Beteiligung eines bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs mit einer vollständigen Haftung der Versicherungsnehmerin und einer hiermit korrespondierenden Haftung der Beklagten ist ebenfalls noch nicht nachgewiesen.“, Schriftsatz vom 08.03.2022 S. 2; Gerichtsakte S. 44) als Bestreiten der entsprechenden Behauptung der Klägerin für ein haftungsbegründendes Schadensereignis verstehen wollte, wäre dieses Bestreiten jedoch aus Rechtsgründen unbeachtlich.
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Auf ein wirksames Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO könnte sich die Beklagte als unmittelbar in Anspruch genommener Kfz-Haftpflichtversicherer hinsichtlich der Darstellung des Unfallhergangs durch den Geschädigten nur wirksam berufen, wenn sie sich bei ihrem Versicherungsnehmer und etwaigen unfallbeteiligten Mitversicherten (etwa dem Fahrzeugführer) erkundigt hat, ob der Vortrag des Geschädigten zum Unfallgeschehen zutrifft, bevor sie sich zum klägerischen Vorbringen einlässt (BGH, Urt. v. 23.07.2019 - VI ZR 337/18, r+s 2019, 602 Rn. 18). Hierfür hat die Beklagte allerdings nichts vorgetragen. Tatsächlich verhält sich die Beklagte überhaupt nicht zur Person ihres Versicherungsnehmers bzw. des Fahrers des bei ihr versicherten Fahrzeugs.
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Aber auch als einfaches Bestreiten nach § 138 Abs. 2 ZPO ist der vorstehende Einwand der Beklagten unbeachtlich: Demnach hat sich eine Partei grundsätzlich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Der Umfang der erforderlichen Substantiierung richtet sich dabei nach dem Vortrag der darlegungsbelasteten Partei. Je detaillierter dieser ist, desto höher ist die Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO. Ob ein einfaches Bestreiten als Erklärung gemäß § 138 Abs. 2 ZPO ausreicht oder ob ein substantiiertes Bestreiten erforderlich ist, hängt somit von dem Vortrag der Gegenseite ab (BGH, Beschluss vom 28.07.2020 - VI ZR 300/18, juris Rn. 10). In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers gemäß § 138 Abs. 2 ZPO das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag darüber hinaus substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen. Je detaillierter der Vortrag der darlegungsbelasteten Partei ist, desto höher ist die Erklärungslast des Gegners gemäß § 138 Abs. 2 ZPO. Liegt danach hinreichender Gegenvortrag der nicht darlegungsbelasteten Partei vor, ist es wiederum Sache der darlegungs- und beweisbelasteten Partei, ihren Sachvortrag zu ergänzen und näher aufzugliedern (BGH, Urt. v. 19.12.2017 - II ZR 88/16, BGHZ 217, 129 juris Rn. 19).
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Gemessen daran hat die Beklagte den substantiierten Vortrag der Klägerin zum Unfall unter Beteiligung des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs lediglich pauschal - und damit unbeachtlich - bestritten:
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Die Klägerin hat sich zum Beweis des Unfallgeschehens insbesondere auf die von ihr zum Beweis angebotene und beigezogene „Auskunft bei Verkehrsunfällen im Kurzaufnahmeverfahren“ (Gerichtsakte S. 39) bezogen. Aus dieser ergibt sich, dass die Polizei zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort die maßgeblichen Fahrzeuge im Rahmen einer Unfallaufnahme feststellte. Das Fahrzeug der Klägerin wurde als am linken Fahrbahnrand parkend aufgenommen. Zusätzlich hat die Klägerin das vorgerichtlich erholte Schadensgutachten vorgelegt, aus dem sich auf einer Vielzahl von Lichtbildern ein frischer Unfallschaden erkennen lässt, der zumindest auf einen ersten und laienhaften Blick mit dem behaupteten Unfallgeschehen in Übereinstimmung zu bringen ist. Dieses Schadensgutachten war der Beklagten sodann als Anlass ausreichend, im Rahmen ihrer Regulierung ein Prüfgutachten („C“) einzuholen. Auf Grundlage dieser Unterlagen hat die Beklagte dann schließlich gegenüber der Leasingnehmerin reguliert.
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Diesem somit substantiierten Vortrag der Klägerin zum Unfallereignis durfte die Beklagte nicht ohne nähere Begründung mit einem einzelnen Satz (s.o.: Schriftsatz vom 08.03.2022 S. 2; Gerichtsakte S. 44) entgegentreten. Ihr hätte es oblegen, mit positiven Angaben ihre Zweifel am substantiierten Sachvortrag der Klägerin näher zu darzulegen.
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Da dies nicht erfolgt ist, ist der Vortrag der Klägerin zum Unfallereignis als zugestanden und damit unstreitig anzusehen.
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Ungeachtet des Vorstehenden lässt der Vortrag der Klägerin zum Unfallereignis jedenfalls unter zusätzlicher Berücksichtigung der Angaben des Zeugen G bereits die hinreichende Überzeugung davon zu, dass es wie behauptet am 05.07.2021 zu einer Kollision zwischen dem Fahrzeug der Klägerin und dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug gekommen ist. Der Zeuge G hat bestätigt - wenngleich nach seinen Angaben lediglich vom Hörensagen -, dass es einen Unfall mit dem Fahrzeug gegeben haben soll. Dies habe er vom (faktischen) Halter (hierzu unten sub IV.2.c) des Fahrzeugs erfahren.
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2. Ausgehend vom Vorstehenden sind die Voraussetzungen einer Schadenersatzpflicht nach § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG dem Grunde nach in vollem Umfang gegeben.
27
a) Das Fahrzeug der Klägerin wurde beim Betrieb des Beklagten-Fahrzeugs beschädigt. Umstände, die den Fahrer des Beklagten-Fahrzeugs entlasten könnten (§ 18 Abs. 1 Satz 2 StVG) sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
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b) Der Schadensersatzanspruch wird durch den von der Beklagten in den Raum gestellten Vorwurf einer Unfallmanipulation nicht in Frage gestellt.
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Zwar trägt die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.04.2022 (Gerichtsakte S. 80) verschiedene äußere Anzeichen vor, die ihrer Ansicht nach darauf hindeuteten, dass das Schadensereignis vorgetäuscht gewesen sei. Die entsprechende anderweitige Behauptung der Klägerin werde bestritten (Gerichtsakte S. 80). Tatsächlich steht jedoch die Einwendung eines manipulierten Unfallgeschehens, die beinhaltet, dass die Klägerin mit der Verletzung ihres Eigentums (zurechenbar) einverstanden war zur Beweislast des Schädigers (BGH, Urt. v. 01.10.2019 - VI ZR 164/18, r+s 2020, 47). Hierauf ist die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2022 ausdrücklich hingewiesen worden (Gerichtsakte S. 59).
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Die Klägerin hat zu den behaupteten Indizien für einen gestellten Unfall abweichend vorgetragen (Schriftsatz vom 14.04.2022 S. 2; Gerichtsakte S. 74). Gleichwohl hat die Beklagte Beweis für ihren Sachvortrag nicht angeboten (Schriftsatz vom 20.04.2022, Gerichtsakte S. 80). Soweit die Klägerin vorsorglich die Insassen des Beklagten-Fahrzeugs als Zeugen angeboten hat (Schriftsatz vom 14.04.2022 S. 2; Gerichtsakte S. 73), war diesem Beweisangebot angesichts der vorstehend dargelegten Beweislastverteilung als rein gegenbeweislich nicht nachzukommen.
31
Lediglich vorsorglich sei deshalb noch angemerkt, dass - selbst die von der Beklagten vorgetragenen Indizien in tatsächlicher Hinsicht als wahr unterstellt - die Überzeugung eines manipulierten Unfallgeschehens in dem nach § 286 ZPO erforderlichen Maß (BGH, Urt. v. 01.10.2019 - VI ZR 164/18, r+s 2020, 47) nicht gewonnen werden könnte. Die Unfallschilderung der Klägerin ist schlüssig, die Unfallstelle nicht besonders ungewöhnlich und die Tatsache, dass das Kläger-Fahrzeug geparkt war und es zu einem Streifschaden kam, weder für sich, noch in der gebotenen Gesamtwürdigung für eine Überzeugungsbildung ausreichend. Dass nach hiesigem Sachstand sehr viel dafür spricht, dass der (faktische) Halter des Leasingfahrzeugs in kollusivem Zusammenwirken mit dem Schadensgutachter in betrügerischer Absicht (zum Nachteil der Klägerin) die Schadensersatzansprüche eingezogen hat, lässt einen Rückschluss darauf, dass bereits die Schadensverursachung als solche vorsätzlich erfolgte, ebenfalls nicht zu.
32
c) Dass ein Fall höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG vorläge oder aber der Unfall für den Fahrer des Beklagten-Fahrzeugs unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 1 StVG war - was sich auch die Klägerin als Eigentümerin entgegenhalten lassen müsste (§ 17 Abs. 3 S. 3 StVG) - hat die insoweit beweisbelasteten Beklagte (OLG Düsseldorf 09.04.2019 - 1 U 170/16, NJW-RR 2019, 1166; OLG Karlsruhe 10.9.2018 - 1 U 155/17, r+s 2019, 405) nicht behauptet.
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d) Die Bildung einer Haftungsquote nach § 17 Abs. 2, 1 StVG zum Nachteil der Klägerin kommt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH schon aus Rechtsgründen grundsätzlich nicht in Betracht: Die Klägerin als Leasinggeberin, die ihre Ansprüche explizit auf die Verletzung ihres Alleineigentums stützt, muss sich als „nicht-haltende Eigentümerin“ die Betriebsgefahr des von der Leasingnehmerin - oder einem sonstigen Dritten - gehaltenen Fahrzeuges nicht zurechnen lassen (st. Rspr., z.B. BGH, Urt. v. 07.03.2017 - VI ZR 125/16, r+s 2017, 380).
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1. Die Klägerin hat nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich Anspruch auf Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von 15.022,01 €.
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Die Klägerin stützt die geltend gemachten Reparaturkosten von insgesamt 15.022,01 € (13.143,50 € zuzüglich „Nachzahlung“ von 1.878,51 €) der Höhe nach ersichtlich auf die bereits durch die Beklagte erfolgte Regulierung.
36
Demnach berechnet die Klägerin den Fahrzeugschaden fiktiv, also auf Basis einer sachverständigen Schadensschätzung (vgl. BGH, Urt. v. 05.04. 2022 - VI ZR 7/21, juris Rn. 9). Ausgangspunkt hierfür ist das Schadensgutachten vom 10.05.2021, das Reparaturkosten in Höhe von 21.693,68 € netto kalkuliert. Die Beklagte hat im Zuge ihrer Regulierung diese Schätzung anhand des von ihr eingeholten Prüfgutachtens gekürzt. Sie gelangte durch Verweisung auf eine gleichwertige Werkstatt mit günstigeren Stundensätzen zu einer Kürzung von Lohn- und Lackierungskosten von über 6.600 €. Zudem brachte sie zunächst Kosten für den Austausch der beiden linken Reifen und Felgen in Höhe von 1.878,51 € in Abzug (vgl. hierzu vorgelegtes Prüfgutachten vom 26.05.2021). Letzteren Betrag macht die Klageschrift als „Reparaturkostennachzahlung“ neben den bereits regulierten 13.143,50 € geltend.
37
Mit ihrem Vorgehen bringt die Klägerin zum Ausdruck, dass sie die infolge einer berechtigten Verweisung auf eine alternative Werkstatt vorgenommene Kürzung akzeptiert.
38
Im Übrigen gilt zur Höhe der Reparaturkosten: Grundsätzlich kann ein Schätzungsgutachten eines anerkannten Kfz-Sachverständigen eine sachgerechte Entscheidungsgrundlage sein, sofern es hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden (BGH, Urt. v. 20.06.1989 - VI ZR 334/88, r+s 1989, 328). Es kann dann zur Schätzung der Schadenshöhe nach § 287 ZPO geeignet sein, insbesondere wenn die beklagte Haftpflichtversicherung keine substantiierten Einwände hiergegen vorbringt (BGH, Urt. v. 20.06.1989 - VI ZR 334/88, r+s 1989, 328; OLG Nürnberg, Urt. v. 03.07.2002 - 4 U 1001/02, juris).
39
Im Streitfall bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob das Schadensgutachten, das unstreitig mit manipulativen Fotos zu den Fahrzeugpapieren arbeitet und zudem von einem gerichtsbekannt gerade nicht als „anerkannt“ zu bezeichnenden Gutachter stammt, die Anforderungen an substantiierten Parteivortrag im vorgenannten Sinne erfüllt. Jedenfalls aber hat die Beklagte die Schadensschätzung in technischer Hinsicht bestritten. Da die Klägerin den Schaden fiktiv abrechnet, kann sie sich insoweit nicht auf ein „Werkstattrisiko“ berufen (hierzu zuletzt BGH, Urt. v. 26. April 2022 - VI ZR 147/21, r+s 2022, 478), sondern muss für die von ihr behaupteten als erforderlich behaupteten Reparaturkosten vollen Beweis führen (BGH, Urt. v. 23. März 1976 - VI ZR 41/74 -, BGHZ 66, 239-250 juris Rn. 25). Umgekehrt muss die Beklagte sich aber unter den besonderen Umständen des Streitfalls an ihrer eigenen Regulierung in Höhe von 13.143,50 € und 1.878,51 € festhalten lassen, da sie diese Positionen nach eigener technischer Prüfung akzeptiert und reguliert hat. Jedenfalls hätte sie dann die Reparaturkostenforderung substantiiert bestreiten müssen, wie nicht.
40
2. Die Klägerin kann grundsätzlich die an ihrem Fahrzeug eingetretene Wertminderung in Höhe von 1.550 € und 751,55 € in Anspruch nehmen.
41
Insoweit kann im Grundsatz auf die vorstehenden Ausführungen zu den Reparaturkosten Bezug genommen werden. Die Beklagte hat im Zuge der vorgerichtlichen Regulierung, bei der eine Wertminderung mittels Schadensgutachten in Höhe von 3.033,11 € gefordert worden war, nach eigener Überprüfung auf der Grundlage des Prüfberichts eine Kürzung um zunächst 1.483,11 € sowie zuletzt noch 741,56 € vorgenommen, letztlich also auf die Wertminderung einen Betrag von 1.550 € zzgl. 741,55 € - entsprechend der streitgegenständlichen (Teil-) Klageforderung - gegenüber der Leasingnehmerin reguliert.
42
Da die Beklagte der Rechtfertigung der von ihr bereits selbst regulierten Wertminderung in Höhe von 1.550 € zzgl. 741,55 € nicht substantiiert entgegengetreten ist, ist dieser Betrag als zugestanden in Ansatz zu bringen.
43
In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass - anders als durch die Beklagte angedeutet - für das Entstehen einer Wertminderung nicht Voraussetzung ist, dass das beschädigte Fahrzeug tatsächlich verwertet (verkauft) wurde. Die Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar (BGH, Urt. v. 23.11.2004 - VI ZR 357/03 -, BGHZ 161, 151-161, juris Rn. 16 ff.). Dieser kann sofort gefordert werden, auch wenn er mit der Weiterbenutzung des Fahrzeugs durch den Geschädigten mit der Zeit an Bedeutung verliert (BGH, Urt. v. 03.10.1961 - VI ZR 238/60, NJW 1961, 2253) und sich erst beim Verkauf des Fahrzeugs realisiert (BGH, Urt. v. 18.09.1979 - VI ZR 16/79, NJW 1980, 281). Der Schädiger hat den merkantilen Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Wagens also unabhängig davon zu ersetzen, welche Dispositionen der Eigentümer über den Wagen trifft (BGH, Urt. v. 02.12.1966 - VI ZR 72/65, NJW 1967, 552).
44
3. Als Unfallgeschädigte hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz einer - im Streitfall der Höhe nach unstreitigen - Unkostenpauschale von 20 € (vgl. BGH r+s 2012, 515; BGH VersR 2006, 133).
45
4. Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen grundsätzlich auch die erforderlichen Rechtsverfolgungskosten (st. Rspr. BGH NJW 2005, 1112 m.w.N.). Diese errechnen sich bei einem berechtigten Gegenstandswert (vgl. BGH, Urt. v. 02.11.2021 - VI ZR 731/20; BGH, Urt. v. 11.07.2017 - VI ZR 90/17, r+s 2017, 494) von 17.333,56 € bei einer 1,3 Gebühr zzgl. Auslagenpauschale auf insgesamt 1.021,00 € (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB).
46
5. Eine Verzinsung ihrer berechtigten Schadensersatzforderung in der Hauptsache kann die Klägerin allerdings erst ab 22.10.2021 beanspruchen.
47
Ab diesem Zeitpunkt befand sich die Beklagte mit der endgültigen und ernsthaften Zurückweisung der Regulierung der ihr gegenüber geltend gemachten fälligen Schadensersatzansprüche in Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Soweit eine Verzinsung bereits ab dem 08.05.2021 (unmittelbar nach dem Schaden) geltend gemacht wird, ist für das Vorliegen der hierfür allenfalls in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 849 BGB nichts vorgetragen. Insoweit war die Klage deshalb abzuweisen.
48
Die Nebenforderung ist nach § 286 Abs. 1 S. 2 BGB wie beantragt ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
49
Die Zinshöhe richtet sich nach § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
IV. Die Beklagte kann sich nicht auf die - teilweise - Erfüllung der Schadensersatzansprüche der Klägerin berufen.
50
1. Für die Frage, ob sich die Beklagte im Umfang ihrer bereits erfolgten Regulierung auf eine Erfüllung der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche aus dem Eigentum der Klägerin berufen kann, ist zu differenzieren. Insoweit sind folgende Überlegungen anzustellen:
51
a) Wären für die gegenüber der Leasingnehmerin bzw. dem faktischen Fahrzeughalter regulierten Schadensersatzansprüche sowohl diese, als auch die Klägerin als Leasinggeberin anspruchsberechtigt, läge die Konstellation einer Mehrheit von Gläubigern vor. Die Antwort auf die Frage nach einer etwaigen Tilgungs- bzw. Erfüllungswirkung wäre deshalb in den §§ 420 ff. BGB zu suchen.
52
b) Wäre hingegen hinsichtlich der regulierten Ansprüche ausschließlich die Klägerin als Eigentümerin anspruchsberechtigt, wäre die Regulierung bzw. Zahlung zwangsläufig gegenüber einem Nichtberechtigten erfolgt. Eine tatsächliche Tilgungswirkung nach § 362 Abs. 1 BGB würde dann bereits an der fehlenden (Mit-) Gläubigerstellung des Zahlungsempfängers scheitern.
53
Eine leistungsbefreiende Wirkung der Regulierung käme dann allenfalls nach § 851 BGB in Betracht. Demnach wird derjenige, der wegen der Beschädigung einer beweglichen Sache zum Schadensersatz verpflichtet ist, durch seine Leistung an denjenigen, in dessen Besitz sich die Sache zur Zeit der Beschädigung befunden hat auch dann befreit, wenn ein Dritter Eigentümer der Sache war, es sei denn, dass ihm das Recht des Dritten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist. Im Falle einer solchen Leistungsbefreiung würde sich die Ausgleichspflicht nach § 816 Abs. 2 BGB richten, wonach der Nichtberechtigte (hier: Leasingnehmer bzw. faktischen Fahrzeughalter) dem Berechtigten (hier: Klägerin als Leasinggeberin/Eigentümerin) zur Herausgabe des Geleisteten verpflichtet ist (BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 851 Rn. 37 m.w.N.). Dieser etwaige Herausgabeanspruch ist allerdings nicht Streitgegenstand des hiesigen Rechtsstreits.
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c) Bedeutung erlangen diese Aspekte in der streitgegenständlichen Konstellation der Beschädigung eines Leasingfahrzeugs deshalb, weil durch das Auseinanderfallen von Eigentum (Leasinggeberin) und Besitz (Leasingnehmerin bzw. faktischer Halter) dem Schädiger gegenüber grundsätzlich zwei Anspruchsberechtigte auftreten können: Neben dem Eigentum als haftungsbegründend verletztem Rechtsgut steht der berechtigte unmittelbare Besitz des Leasingnehmers als nach § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB verletztes Rechtsgut im Raum (st. Rspr. z.B. BGH, Urt. v. 29.01.2019 - VI ZR 481/17, juris Rn. 13 f.).
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2. Der streitgegenständliche Anspruch der Klägerin aus Verletzung ihres Eigentums am Fahrzeug ist durch die vorgerichtliche Regulierung nicht erloschen.
56
a) Die vorgerichtliche Regulierung erfolgte nicht auf einen eigenen Anspruch der Klägerin. Seitens der Beklagten war die Zahlung zu keinem Zeitpunkt auf Erfüllung eines fremden Anspruchs (der Klägerin) gerichtet. Die Beklagte wollte den Anspruch demjenigen gegenüber regulieren, der ihn ihr gegenüber - als im eigenen Namen handelnd - geltend gemacht hatte. Dies war ausweislich des vorgerichtlichen Anwaltsschreibens (K1) die ausdrücklich als Vertretene bzw. Mandantin genannte Firma R GmbH. Die Beauftragung der Anwaltskanzlei erfolgte allerdings nicht durch die Klägerin selbst. Dies ist unstreitig.
57
b) Tatsächlich erfolgte die Geltendmachung aber auch nicht im Einverständnis bzw. mit Zustimmung der Klägerin. Eine solche pauschale „Vorab-Zustimmung“ ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht in den Leasingbedingungen normiert. Unter Nr. 14 (3) „Versicherungspflicht und Schadensabwicklung“ heißt es hierzu:
58
(3) Grundsätzlich obliegt die Schadensabwicklung dem LN. Der LN ist nach Wahl des LG verpflichtet. etwaige Ansprüche gegen den Versicherer sowie gegen einen Schädiger und dessen Versicherer in eigenem Namen auf Zahlung an den LG geltend zu machen; erforderlichenfalls durch gerichtliche Geltendmachung. Der LG ist aber nach seiner Wahl auch berechtigt, die Anspruche gegen den Versicherer sowie die Ansprüche gegen einen Schädiger und dessen Versicherer in eigenem Namen geltend zu machen, ggf. auch gerichtlich. ln iedem Fall hat der LN die Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung durch den LG zu tragen bzw. an den LG zu erstatten.
59
Mit dieser Regelung wird primär ein Wahlrecht der Klägerin festgelegt, wonach die Schadensregulierung entweder durch den Leasingnehmer erfolgt oder aber eben „nach seiner [des Leasinggebers] Wahl“ auch durch den Leasinggeber selbst. Der in diesem Zusammenhang von der Beklagten argumentativ herangezogene Passus in den Leasingbedingungen Nr. 14 (4), wonach „Leistungen der Versicherung“ dem Leasingnehmer angerechnet werden, beschreibt die Wirkungen bzw. Rechtsfolgen einer erfolgten Regulierung, nicht jedoch deren Rechtswirksamkeit, die durch den vorgenannten Passus als gegeben vorausgesetzt wird.
60
c) Selbst wenn man davon ausginge, dass die Klägerin als Leasinggeberin ihr Wahlrecht zugunsten der Leasingnehmerin ausgeübt gehabt hätte, wäre die Geltendmachung ausdrücklich unter dem Vorbehalt gestanden, Ansprüche „auf Zahlung an den LG geltend zu machen“. Dies ist ausweislich der vorgelegten Regulierungskorrespondenz jedoch nicht der Fall gewesen.
61
Im Übrigen hat der von der Beklagten für ihre Behauptung benannte Zeuge G, dass die Klägerin der Leasingnehmerin gegenüber ihre Zustimmung zur Geltendmachung der Ansprüche durch die Leasingnehmerin erteilt haben soll, dies nicht bestätigt.
62
Nach Angaben des Zeugen G habe er - grob zusammengefasst - das Fahrzeug als „Inhaber“ der Firma R GmbH bei der Klägerin geleast, sei dabei jedoch in Absprache mit einem gewissen „C“ als dessen Strohmann aufgetreten, ohne selbst im Ergebnis aus dem Leasingvertrag berechtigt oder verpflichtet sein zu wollen. Da der „C“ keine Ausweisdokumente gehabt habe, habe der Zeuge den Vertrag unterschrieben, um ihm einen Gefallen zu tun. Das Fahrzeug selbst habe der Zeuge G höchstens einmal gesehen, den Schlüssel habe er selbst nicht in der Hand gehabt und sei das Fahrzeug auch selbst nie gefahren. Im Zuge der Unfallschadensregulierung habe der Zeuge nichts veranlasst oder gar unterschrieben. Das Geld von der Versicherung sei dann auf seinem Geschäftskonto eingegangen, von wo es dann an den „C“ weitergeleitet worden sei.
63
Unabhängig davon, ob man diese Schilderung als glaubwürdig zugrunde legen kann oder nicht, wäre damit der Beklagten der Beweis für eine berechtigte Geltendmachung von Ansprüchen der Klägerin aus ihrem Eigentum der Beklagten gegenüber nicht erbracht.
64
d) Angemerkt sei an dieser Stelle noch, dass auf der Grundlage der Angaben des Zeugen G dieser nicht Halter des Fahrzeugs gewesen wäre.
65
Halter ist, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die dafür erforderliche Verfügungsgewalt besitzt (BGH, Urt. v. 22.03.1983 - VI ZR 108/81, BGHZ 87, 133), also das Fahrzeug auf eigene Rechnung gebraucht, die Kosten bestreitet und die Verwendungsnutzungen zieht (OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.01.2009 - 4 U 238/09, NZV 2010, 207; vgl. auch BGH, Urt. v. 03.12.1991 - VI ZR 378/90, BGHZ 116, 200). Wenn der Zeuge G das Fahrzeug jedoch ohne es selbst einmal in Händen gehabt zu haben und ohne Wissen über dessen konkreten Verbleib zur „freien Verwendung“ als Strohmann für den „C“ leaste, war dieser Halter und nicht der Zeuge G bzw. dessen Firma als Leasingnehmerin.
66
3. Im Streitfall waren - ausnahmsweise - weder der Leasingnehmer, noch der (faktische) Fahrzeughalter aus den von ihnen innegehabten Besitzpositionen heraus anspruchsberechtigt.
67
a) Die Beklagte ist nach allgemeinen Grundsätzen für die von ihr behauptete Erfüllungswirkung ihrer Regulierung gegenüber Leasingnehmerin beweispflichtig (BGH, Versäumnisurt. v. 14.09.2005 - VIII ZR 369/04, juris Rn. 7; OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.05.2011 - 4 U 261/10, juris Rn. 62).
68
Dies bedeutet, dass die Klägerin neben der Zahlung auch die Voraussetzungen eines berechtigten Schadensersatzanspruchs darlegen und beweisen muss, der durch die Zahlung der Beklagten hätte erfüllt werden können. Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass die Beklagte auch darlegen und beweisen muss, dass derjenige, dem gegenüber sie ihre Zahlung erbracht hat überhaupt einen Anspruch wegen der Beschädigung des Fahrzeugs hatte.
69
b) Ein solcher Anspruch kann sich nach dem Vorstehenden allenfalls aus einer Besitzrechtsverletzung ergeben. Nach der Rechtsprechung des BGH ist jedoch grundsätzlich lediglich der berechtigte unmittelbare Besitz an einer Sache durch § 823 Abs. 1 BGB und § 7 StVG geschützt (BGH, Urt. v. 24.05.2022 - VI ZR 1215/20, r+s 2022, 467 Rn. 7; BGH, Urt. v. 29.01.2019 - VI ZR 481/17, r+s 2019, 228 Rn. 13 f.; zur Schadensidentität der beiden Normen: BGH, Urt. v. 27.09.2022 - VI ZR 336/21, juris).
70
(1) Unmittelbarer Besitzer des Fahrzeugs i.S.d. § 854 Abs. 1 BGB war nach den Angaben des Zeugen G der faktische Fahrzeughalter C. Dessen unmittelbarer Besitz war allerdings im maßgeblichen Verhältnis zur Eigentümerin nicht berechtigt, da die Leasingnehmerin nach den Versicherungsbedingungen Nr. 12 (1) zu einer Überlassung des Fahrzeugs an Dritte ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Leasinggeberin nicht berechtigt war. Dass eine solche Zustimmung der Klägerin vorlag, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
71
(2) Ob in der streitgegenständlichen Konstellation auch ein etwaiger - im konkreten Fall aufgrund des Leasingvertrages wohl: berechtigter und gestufter (§ 871 BGB) - mittelbarer Besitz der Leasingnehmerin selbst als geschütztes Rechtsgut in Betracht kommt (vgl. BGH, Urt. v. 21.04.1960 - II ZR 21/58 -, BGHZ 32, 194-206), kann offenbleiben.
72
Denn jedenfalls wäre der Leasingnehmerin kein Schaden in Form eines Entzugs der Sachnutzung entstanden, da die Nutzung des Fahrzeugs durch den faktischen Halter und eben gerade nicht die Leasingnehmerin selbst erfolgte.
73
Dass der Leasingnehmerin ein Schaden in Form eines Haftungsschadens, d.h. in einer durch den Schadensfall ausgelösten Verpflichtung des Besitzers zu einer Reparatur gegenüber der Person, von der er sein Recht zum Besitz ableitet (BGH, Urt. v. 24.05.2022 - VI ZR 1215/20, r+s 2022, 467 Rn. 8) entstanden wäre, hat die Beklagte nicht behauptet. Eine solche Schadenersatzpflicht des Leasingnehmers gegenüber der Klägerin als Leasinggeberin lässt sich auch den Leasingbedingungen (insbesondere Nr. 10 („Gebrauch, Instandhaltung …“) und Nr. 18 („…, Schadenersatz, …“)) nicht entnehmen.
74
c) Ungeachtet des Vorstehenden konnten Leasingnehmerin bzw. Halterin zumindest die Schadensposition „Wertminderung“ ohnehin nicht wegen einer Besitzrechtsverletzung geltend machen.
75
Die merkantile Wertminderung eines Kraftfahrzeugs ist begrifflich untrennbar mit dem Eigentum an diesem verbunden. Ein entsprechender Schaden kann sich deshalb ausschließlich in der Person des Eigentümers realisieren (z.B. OLG München, Urt. v. 24.02.2021 - 10 U 6484/20, juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.04.2019 - 1 U 108/18, r+s 2020, 101). Durch eine widerrechtliche Besitzrechtsverletzung entsteht dem Besitzer kein Schaden in Form einer Wertminderung des Eigentums.
76
d) Standen nach alledem weder der Leasingnehmerin noch dem Halter des Fahrzeugs eigene Schadensersatzansprüche wegen dessen Beschädigung zu, bestand auch keine Mehrheit berechtigter Gläubiger. Die Frage, wie mehrere konkurrierende Ansprüche wegen Beschädigung derselben Sache zu handhaben sind (vgl. zum Streitstand BGH, Urt. v. 29.01.2019 - VI ZR 481/17, r+s 2019, 228 Rn. 19), muss deshalb nicht beantwortet werden. Die Beklagte hat ihre vorgerichtlichen Zahlungen an einen Nichtberechtigten erbracht.
77
4. Die Beklagte ist nicht nach § 851 BGB leistungsfrei geworden.
78
a) Demnach wird derjenige, der wegen der Beschädigung einer beweglichen Sache zum Schadensersatz verpflichtet ist, durch seine Leistung an denjenigen, in dessen Besitz sich die Sache zur Zeit der Beschädigung befunden hat auch dann befreit, wenn ein Dritter Eigentümer der Sache war, es sei denn, dass ihm das Recht des Dritten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist.
79
Wie sich aus dem Zweck des § 851 BGB - Schutz des im Hinblick auf die Rechtsscheinswirkung des Besitzes gutgläubig Leistenden (HK-BGB/Staudinger, 11. Aufl., BGB § 851 Rn. 1; Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 851 BGB (Stand: 01.02.2020) Rn. 1) und vereinfachte und beschleunigte Abwicklung des Schadensfalls (BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 851 Rn. 4; Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 1) - sowie der amtlichen Überschrift der Norm ergibt („Ersatzleistung an Nichtberechtigten“; BGBl. 2002 I S. 42, 57), ist deren Anwendungsbereich nicht eröffnet, wenn es um die Leistung an einen Berechtigten geht (vgl. auch MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., BGB § 851 Rn. 4; Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 2; Berger, VersR 2001, 419 unter I.4.). Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen war die Leasingnehmerin Nichtberechtigte, sodass § 851 BGB grundsätzlich anwendbar ist.
80
Unzweifelhaft ist der Anwendungsbereich des § 851 BGB als Sonderregelung zu den § 362 ff. BGB (Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 2) auch für Anspruchsgrundlagen außerhalb des BGB eröffnet, wie insbesondere solche des StVG (OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.05.2011 - 4 U 261/10, juris Rn. 74; NK-BGB/Katzenmeier, 4. Aufl., BGB § 851 Rn. 2; MüKoStVR/Geiger, BGB § 851 Rn. 2; BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 851 Rn. 13; Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 5).
81
Positive Kenntnis der Beklagten vom Eigentum der Klägerin im Zeitpunkt der Regulierung - als insoweit maßgeblichem Zeitpunkt (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., BGB § 851 Rn. 6; NK-BGB/Katzenmeier, 4. Aufl., BGB § 851 Rn. 2; BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 851 Rn. 31; Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 10) - lag unstreitig nicht vor.
82
Dass die Leasingnehmerin wie von § 851 BGB gefordert im Zeitpunkt des Schadensereignisses möglicherweise allerdings nicht selbst unmittelbare Besitzerin des Fahrzeugs war - dies war der Halter -, sondern lediglich mittelbare Besitzerin, steht der Anwendbarkeit der Norm ebenfalls nicht entgegen. Der dort genannte Besitz umfasst neben dem unmittelbaren Besitz entsprechend der Wertung des § 1006 Abs. 3 BGB, auch den mittelbaren Besitz nach § 868 BGB (OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.05.2011 - 4 U 261/10, juris Rn. 74; Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 6; Berger VersR 2001, 419 unter II.2.c). Hierauf kommt es indes nicht tragend an, da - wie nachfolgend zeigen sein wird - die Beklagte auch nicht gutgläubig geleistet hat.
83
b) Nach einhelliger und zutreffender Ansicht trägt die Klägerin die Beweislast für Umstände, die eine grobe Fahrlässigkeit nach § 851 BGB begründen, also einer Leistungsfreiheit entgegenstehen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.05.2011 - 4 U 261/10, juris Rn. 75; Wilhelmi in: Erman BGB, § 851 Rn. 1; MüKoStVR/Geiger, BGB § 851 Rn. 6; Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 851 BGB (Stand: 01.02.2020) Rn. 7; NK-BGB/Katzenmeier, 4. Aufl., BGB § 851 Rn. 2; BeckOK BGB/Spindler, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 851 Rn. 4; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., BGB § 851 Rn. 9; BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 851 Rn. 41).
84
c) Der Begriff der Gutgläubigkeit (Kenntnis vom Recht des Dritten bzw. Unkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit) des § 851 BGB ist inhaltlich mit dem des § 932 Abs. 2 BGB (gutgläubiger Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten) identisch (OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.05.2011 - 4 U 261/10, juris Rn. 79; MüKoStVR/Geiger, BGB § 851 Rn. 5; NK-BGB/Katzenmeier, 4. Aufl., BGB § 851 Rn. 2; BeckOK BGB/Spindler, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 851 Rn. 4; Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 851 BGB (Stand: 01.02.2020) Rn. 5; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., BGB § 851 Rn. 6; im Grundsatz auch BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 851 Rn. 28 ff.; Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 9; Berger VersR 2001, 419 unter II.2.d; a.A. wohl OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.03.1992 - 1 U 70/91 -, juris Rn. 10).
85
Grobe Fahrlässigkeit kennzeichnet im Allgemeinen ein Handeln, bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 23.09.2022 - V ZR 148/21, VersR 2022, 1513).
86
(1) Veröffentlichte Rechtsprechung, die sich inhaltlich mit der Frage der Bösgläubigkeit eines regulierenden Kfz-Haftpflichtversicherers i.S.d. § 851 BGB auseinandersetzt, gibt es kaum.
87
Nach einer Entscheidung des Kammergerichts (Urt. v. 04.03.1976 - 22 U 1946/75, juris) bestehe keine grobe Fahrlässigkeit, wenn in einem Anspruchsschreiben der Anspruchsteller nicht ausdrücklich als Eigentümer des beschädigten Fahrzeuges bezeichnet, sondern darin wiederholt von dem „Fahrzeug unseres Mandanten“ die Rede ist, eine Formulierung, die nach dem üblichen Sprachgebrauch auf eine Eigentümerstellung hinweise und im Schadensgutachten der Anspruchsteller als Eigentümer bezeichnet wurde.
88
Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 09.03.1992 - 1 U 70/91, juris) hat die Annahme grober Fahrlässigkeit für den Fall verneint, dass im Anspruchsschreiben und einem Fragebogen vom „Pkw des Mandanten“ die Rede ist, da dies nach dem üblichen Sprachgebrauch auf eine Eigentümerstellung hindeute, im Fragebogen zudem der Anspruchsteller ausdrücklich als Eigentümer bezeichnet ist und im Schadensgutachten der Anspruchsteller als Auftraggeber und Fahrzeughalter aufgeführt ist.
89
Nach Ansicht des OLG Saarbrücken (Urt. v. 10.05.2011 - 4 U 261/10, juris) ist es grob fahrlässig, wenn ein Haftpflichtversicherer ohne jede schriftliche Korrespondenz allein auf telefonische Anforderung Schadensersatz an den Fahrer des unfallbeschädigten Fahrzeugs leistet, wenn er weiß, dass dieser nicht der Fahrzeughalter ist und wenn dessen Eigentum und Anspruchsberechtigung nach dem Inhalt des Haftpflichtgutachtens zweifelhaft waren und er sich das Eigentum nicht in geeigneter Form hat belegen lassen. Grob Fahrlässigkeit liege aber nicht allein deshalb vor, weil sich der Versicherer den Kraftfahrzeugbrief nicht hat vorlegen lassen. Anderes müsse jedoch gelten, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich bei dem Unfallwagen um Vorbehaltsware oder um ein Leasing- bzw. ein an Dritte sicherungsübereignetes Fahrzeug handelt, oder wenn aus anderen Gründen valide Zweifel daran bestehen, dass der Besitzer und Anspruchsteller der Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs ist (aaO Rn. 88).
90
(2) Orientierte man sich an den Sorgfaltsmaßstäben des § 932 Abs. 2 BGB, so wäre der Haftpflichtversicherer im Zuge jeder Regulierung gehalten, sich zum Nachweis der Anspruchsberechtigung die Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 Abs. 6 FZV) vorlegen zu lassen (vgl. BGH, Urt. v. 23.09.2022 - V ZR 148/21, VersR 2022, 1513). Hierzu wird ein Leasingnehmer (wie auch im Fall der Fahrzeugfinanzierung durch Sicherungsübereignung) jedoch in der Regel gar nicht in der Lage sein, da die Bescheinigung beim Leasinggeber (bzw. der finanzierenden Bank: vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.03.1992 - 1 U 70/91 -, juris Rn. 10) verbleibt (vgl. im Streitfall: Versicherungsbedingungen Ziff. 5. (1)). Im Übrigen wäre die Zulassungsbescheinigung Teil II ohnehin nicht dazu geeignet, eine etwaige Berechtigung des Anspruchstellers verlässlich bzw. abschließend zu ermitteln, da die Bescheinigung das Eigentum am Fahrzeug nicht verbrieft (BGH, Urt. v. 23.09.2022 - V ZR 148/21, VersR 2022, 1513). Die Zulassungsbescheinigung Teil II ermöglicht es allerdings anhand ihrer Eintragungen die Übereignungsbefugnis des Fahrzeugbesitzers nachzuprüfen; im Kontext eines (Gebraucht-) Fahrzeugkaufs ergeben sich aus deren Nichtvorlage bzw. Nichtprüfung damit Verdachtsmomente, die den guten Glauben des Erwerbers ausschließen (BGH, Urt. v. 23.09.2022 - V ZR 148/21, VersR 2022, 1513).
91
Da die Regelung des § 851 BGB jedoch zumindest auch eine zügige Schadensregulierung fördern will, lassen sich die Anforderungen im Zuge eines Fahrzeugkaufs, konkret die Vorlage des Fahrzeugbriefs bzw. der Zulassungsbescheinigung Teil II auf das Massengeschäft einer Haftpflichtschadenregulierung nicht uneingeschränkt übertragen. Die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II ist nach alledem kein praktikabler Weg, um dem Haftpflichtversicherer eine im Hinblick auf das Eigentum gutgläubige Regulierung i.S.d. § 851 BGB zu ermöglichen (BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 851 Rn. 30; a.A. Wilhelmi in: Erman BGB, § 851 Rn. 1; Berger VersR 2001, 419 unter II.2.d; wohl auch BeckOK BGB/Spindler, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 851 Rn. 4; Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 10).
92
Umgekehrt kann nicht unbeachtet bleiben, dass der Anteil von Kraftfahrzeugen, bei denen - sei es durch Leasing oder Finanzierung - Eigentum und Besitz auseinanderfallen in den letzten Jahren eine solche Größenordnung erreicht hat, dass ein KFZ-Haftpflichtversicherer schlechterdings nicht mehr als „Normalfall“ davon ausgehen kann, dass der sich an ihn wendende Geschädigte gleichzeitig Eigentümer und Besitzer des Fahrzeugs ist. Die Erfahrung des Vorsitzenden nach nunmehr mehr als 15 Jahren in einer Spezialkammer für Verkehrssachen zeigt, dass nahezu jeder zweite Fall ein finanziertes oder geleastes Fahrzeug betrifft (vgl. auch MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., BGB § 851 Rn. 6: eher der Regelfall als die Ausnahme). Dies deckt sich mit frei zugänglichen Statistiken:
- Bundesverband Deutscher Leasing-Unternehmen (BDL): 2019 gehören ca. 40% aller Fahrzeuge Leasing-Gesellschaften (www.fuhrpark.de/bdl-40-prozent-der-autos-sind-geleast)
- Deutsche Automobil Treuhand GmbH: 2020 waren ca. 22% der privaten Neuwagen geleast und 62% der gekauften Neuwagen zumindest teil-finanziert (www.dat.de/news/thema-des-monats-august-finanzierung-und-leasing-bei-neuwagenkaeufern)
- Statista GmbH: 2022 sind ca. 36% aller privaten PKW in Deutschland per Kredit oder Leasing finanziert (de.statista.com/statistik/daten/studie/1065113/umfrage/anteil-der-per-kredit-oder-leasing-finanzierten-privaten-pkw-in-deutschland/)
93
Bei diesem Befund würden die Interessen der Beteiligten nicht ausgewogen berücksichtigt, wollte man dem Haftpflichtversicherer eine Erkundigungsobliegenheit zum Eigentum nur dann auferlegen, wenn bereits konkrete Anhaltspunkte erkennbar sind, die gegen die Eigentümerstellung des Besitzers am unfallbeschädigten Fahrzeug sprechen (so aber z.B. MüKoStVR/Geiger, BGB § 851 Rn. 5; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., BGB § 851 Rn. 6; BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 851 Rn. 30).
94
Nach Ansicht des Vorsitzenden ist ein Kfz-Haftpflichtversicherer vielmehr zur Vermeidung des Vorwurfs grob fahrlässiger Unkenntnis des Eigentums am beschädigten Fahrzeug gehalten, den Anspruchsteller zu einer eindeutigen Erklärung über die Eigentumsverhältnisse aufzufordern. Eine solche verbindliche Aussage ist auch - wenngleich aus verfahrensrechtlichen Gründen - im Rechtsstreit unabdingbar, um Ansprüche schlüssig zu erheben. In Zeiten der Digitalisierung stellt es für die Kfz-Haftpflichtversicherer auch keinen unzumutbaren Aufwand dar, beispielsweise in einem ohnehin an den Anspruchsteller versendeten Fragebogen jenem eine eindeutige Aussage zu den Eigentumsverhältnissen abzuverlangen.
95
In diesem Kontext kann die Erklärung des Anspruchstellers, es handele sich um „sein Fahrzeug“ - wie sie sich sinngemäß auch im hiesigen anwaltlichen Anspruchsschreiben vom 12.05.-2021 (Anlage K1) findet - keinesfalls mit einer verbindlichen Erklärung zum Eigentum am Fahrzeug gleichgesetzt werden. Eine solche oder vergleichbare Formulierung lässt entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht (dazu sogleich nachfolgend) nach dem „üblichen Sprachgebrauch“ gerade nicht mit der erforderlichen Verlässlichkeit auf eine Eigentümerstellung schließen. So würden wohl die wenigsten Fahrzeughalter auf die Frage wo sie „ihr Fahrzeug“ geparkt haben antworten, dass es ja gar nicht „ihr Fahrzeug“ sei, sondern das einer Leasinggesellschaft oder Bank. Die Erfahrung zeigt zudem, dass selbst Anwälte im Rechtsstreit immer wieder trotz Verwendung entsprechender Formulierungen auf Nachfrage erklären (müssen), dass das Fahrzeug tatsächlich nicht im Eigentum der Klagepartei steht, sondern geleast oder finanziert ist. Entsprechend obliegt es einem Haftpflichtversicherer durch eine präzise Frage nach den Eigentumsverhältnissen Klarheit zu schaffen, idealerweise ergänzt durch die konkrete Frage, ob das Fahrzeug geleast oder darlehensfinanziert ist.
96
d) Gemessen am Vorstehenden ist im Streitfall von einer grob fahrlässigen Unkenntnis der Beklagten vom (vorrangigen) Eigentum der Klägerin auszugehen.
97
Entgegen der Ansicht der Klägerin kann allerdings aus dem Umstand, dass die Firma R GmbH im Zeitpunkt der Regulierung noch nicht existent war, sich sondern tatsächlich noch in Gründung befand, nicht auf eine grob fahrlässige Unkenntnis geschlossen werden. Zum einen ist eine Vor GmbH „in Gründung“ zum Auftreten und Handeln im Rechts- und Geschäftsverkehr im weiten Umfang berechtigt und dabei - abgesehen von der Rechtsfähigkeit im engeren Sinne - einer juristischen Person bereits weitgehend angenähert (BGH, Urt. v. 29.10.1992 - I ZR 264/90, BGHZ 120, 103); zum anderen würde das durch die Klägerin stillschweigend postulierte Erfordernis, vor jeder Regulierung einen Handelsregisterauszug einzuholen, die Anforderungen und auch Erwartungen an eine zügige Schadensregulierung klar überspannen. Eine entsprechende Obliegenheit des Haftpflichtversicherers vor der Schadensregulierung ist nicht sachgerecht. Gleiches gilt für die fehlende Angabe eines Vertretungsberechtigten der GmbH (in Gründung).
98
Grob fahrlässig hat die Beklagte im Zuge der Regulierung aber deswegen gehandelt, weil sie überhaupt nicht nachgefragt hat, in wessen Eigentum das Fahrzeug stand und ihr gegenüber auch sonst keine hinreichend klaren Erklärungen zu den Eigentumsverhältnissen im vorstehend dargelegten Sinne vorlagen.
99
Die entsprechende Aufklärungsmöglichkeit stand ihr nach § 119 Abs. 3 VVG zu Gebote, der zur Beantwortung und gegebenenfalls Belegvorlage für sämtliche sachdienlichen Aspekte des Schadensfalls anhält (z.B. Beckmann in: Bruck/Möller, VVG, § 119 Rn. 28). Dass hierzu die für den bereits den Grund des Anspruchs maßgebliche Frage nach der Anspruchsberechtigung in Gestalt des Eigentums und gegebenenfalls die Vorlage von Belegen zu dessen Nachweis gehört, bedarf keiner Vertiefung.
100
Die Beklagte kann sich insoweit schon deshalb nicht darauf berufen, dass ihr eine solche Nachfrage nicht zumutbar gewesen wäre, da sie sich ausweislich der Anlage SK04 im Hinblick auf die sich ihr gegenüber anzeigende Anwaltskanzlei veranlasst und in der Lage sah, eine Vollmacht anzufordern.
101
Hinzu tritt im Streitfall die Besonderheit, dass im zur Regulierung vorgelegten Schadensgutachten die vermeintlich zum Fahrzeug gehörende Zulassungsbescheinigung Teil I derart abfotografiert war, dass der linke der drei „Faltflügel“ so umgefaltet war, dass er buchstäblich „wie abgeschnitten“ wirkte. Es war deshalb nicht erkennbar, auf wen das Fahrzeug zugelassen war, wer also (ursprünglich) dessen Halter war bzw. ist (vgl. § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 FZV). Zwar ist diese Information für die Frage nach dem Eigentum am Fahrzeug nicht von Bedeutung, doch hätte die ungewöhnliche bzw. unvollständige Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil I für die Beklagte jedenfalls Anlass sein müssen, hier nachzuhaken.
102
In der Gesamtwertung hat die Beklagte im Zuge ihrer Regulierung damit dasjenige unbeachtet gelassen, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 23.09.2022 - V ZR 148/21, VersR 2022, 1513). Sie hat das Eigentum der Klägerin grob fahrlässig nicht gekannt.
103
e) Da sich die Beklagte somit als bösgläubig nicht auf die Erfüllung der Schadensersatzforderung der Klägerin berufen kann, bleibt sie dieser als tatsächlich Schadenersatzberechtigter zur Leistung verpflichtet (Staudinger/Vieweg (2015) BGB § 851 Rn. 13 vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.05.2011 - 4 U 261/10, juris Rn. 99).
104
Die Klageforderung erweist sich damit - mit Ausnahme eines Teils des Zinsanspruchs - als vollumfänglich begründet.
105
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, da die Klägerin lediglich mit einem geringfügigen Teil der Nebenforderung (Zinsanspruch) unterliegt.
106
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.